Wie hat sich die Bedeutung des Konzepts 'Gerechtigkeit' während der frühen Neuzeit gewandelt?


Hausarbeit, 2021

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Literaturuberblick

3. Theoretische Grundlagen

4. Methodik

5. Deskriptive Analyse

6. Diskussion der Ergebnisse

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Bestimmung von Begriffsbedeutungen ist eine elementare Aufgabe der Politischen Theorie, um fur die Wissenschaft eine identische Ausgangslage zu schaffen, auf deren Basis Konzepte aufgearbeitet, weiterentwickelt und diskutiert werden konnen. Da es keine Seltenheit darstellt, dass sich uber Zeitepochen hinweg prasente Begriffe in ihrer Auslegung wandeln, hat sich mit der Begriffsgeschichte ein eigener Forschungsbereich ausgebildet, der eben diesem Phanomen auf den Grund geht und dabei Begriffsbedeutungen fur den politikwissenschaftlichen Diskurs um Konzepte der Vergangenheit und ihrer Prasenz in der Moderne entschlusselt. Methodisch hat sich hierbei neben dem Fokus auf die mogliche Begriffsauslegung selbst auch insbesondere der Bezug auf den historischen Kontext und eine quellenkritische Herangehensweise manifestiert. Als prominentes Beispiel in diesem Zusammenhang sei der Demokratiebegriff genannt, dessen Verstandnis sich von der Antike bis zur Moderne zum einen drastisch gewandelt hat, daruber hinaus aber auch der andauernde Diskurs sich ruckblickend auf vergangene Auslegungen bezieht. Aber auch heute existieren noch Begriffe, die nur unzureichend beziehungsweise fragmentiert aufgearbeitet wurden.

Dies ist auch bei ,Gerechtigkeit‘ der Fall. So legte John Rawls mit seinem Werk ,A theory of justice' im 20. Jahrhundert den Grundstein zur Entwicklung einer „conception of justice which generalizes and carries to a higher level of abstraction [...] as found, say, in Locke, Rousseau, and Kant“ (Rawls 1999: 10). Damit uberfuhrt er den Gerechtigkeitsbegriff „justice as fairness“ (Rawls 1999: 511) von Kant in die Moderne, doch intendiert dabei vorrangig eine Weiterentwicklung der Gesellschaftsvertragstheorie (vgl. Rawls 1999: 3). Nun gilt es noch, den historischen Ruckbezug auf diesen Begriff zu vervollstandigen und mit semasiologischer Methodik die mogliche Lucke zur Moderne zu schlieBen. Die dieser Hausarbeit zugrunde liegende Forschungsfrage lautet dementsprechend: Wie hat sich die Bedeutung des Konzepts 'Gerechtigkeit' wahrend der fruhen Neuzeit gewandelt? Hierbei wird sich konkret mit der Zeitepoche der fruhen Neuzeit befasst, da in diesem zeitlichen Rahmen der entscheidende und alles andere als gradlinige Wandel von zuvor vorrangig gottlich legitimierten Konzepten bis zur durch Rawls fortgefuhrten kontingenten Auffassung dieses Begriffs zu verorten ist. Es wird sich dabei explizit auf zentrale gesellschaftliche Transformationen in Europa bezogen, da diese den groBten Einfluss auf die Konzepte der spateren Politikwissenschaft aufweisen. Aufgrund der Diversitat an Denkansatzen, die die Politische Theorie der fruhen Neuzeit pragten und die in einem ausgepragten Diskurs zueinander standen, soll an dieser Stelle zudem die grundsatzliche These aufgestellt werden, dass dort mehrere Auslegungen des Konzepts ,Gerechtigkeit' anzutreffen sind. Aufgebaut ist diese Arbeit nach einem gewohnten Schema, in dem nach einem kurzen Literaturuberblick zunachst theoretische Grundlagen erlautert werden und die fur die anschlieBende deskriptive Analyse relevante Methodik angefuhrt wird. Nach eben dieser Analyse konnen die gewonnenen Erkenntnisse evaluativ diskutiert und letztendlich in einem Fazit zusammengefasst werden.

2. Literaturuberblick

Fur diese Hausarbeit kann auf eine fundierte Quellenbasis zuruckgegriffen werden. Dies liegt zum einen daran, dass die Zeitepoche der fruhen Neuzeit politikwissenschaftlich bereits gut erschlossen ist, zum anderen aber auch daran, dass die revolutionaren Ideen und Modelle zentraler Werke aus dieser Zeit noch Eingang in die heutige Politische Theorie finden und darauf im Rahmen konzeptueller Werke haufig noch verwiesen wird. Dementsprechend stehen fur die Aufarbeitung der Thematik einerseits die Leitwerke der damals federfuhrenden Theoretiker zur Verfugung sowie die Monographien und wissenschaftlichen Sammelbande, die zur ErschlieBung dieser Epoche bereits verfasst wurden, andererseits aber vor allem auch Beitrage aus Fachzeitschriften, die damalige Ideen aufgreifen, in einen ubergeordneten Kontext setzen oder resumieren. Da die in diesem Zusammenhang entstandenen Werke aufgrund des epochalen Abstands zur Thematik keinem Aktualitatsdruck unterliegen, kann bei der Quellenauswahl insbesondere auf die Qualitat geachtet und dementsprechend nicht nur auf entsprechend im wissenschaftlichen Diskurs etablierte Verlage zuruckgegriffen werden sondern daruber hinaus auch ,peer-reviewed‘ zu einer Grundvoraussetzung fur angefuhrte Fachzeitschriften erklart sowie auf Einflusse aus dem Feld der sogenannten ,grauen Literatur' verzichtet werden. Der politikwissenschaftliche Diskurs wird dabei auf einer internationalen Ebene gefuhrt, darum ist logischerweise ein GroBteil der genannten Quellen in englischer Sprache verfasst. Kontrar zum grundsatzlichen Alter der Thematik ist die begriffsbezogene wissenschaftliche Aufarbeitung derselben ein ausgesprochen junges Forschungsfeld. Dies spiegelt sich auch in der hierfur zur Verfugung stehenden Literatur wieder, da wissenschaftliche Leitwerke in diesem Kontext bisher nur bedingt existent sind. Methodisch ist das Forschungsfeld zwar bereits ansatzweise erschlossen, jedoch sind etwaige Herangehensweisen alles andere als unumstritten (vgl. Hj0rland 2009: 1519). Nichtsdestotrotz lassen sich sowohl bereits durchgefuhrte Analysen fruhneuzeitlicher Konzepte und Akteure in diese Hausarbeit mit einbeziehen als auch allgemein daraus Ruckschlusse ziehen, die ein entsprechend produktives Arbeiten in diesem Segment ermoglichen.

3. Theoretische Grundlagen

Fur die Politische Theorie spielen historische Rahmenbedingungen eine groBe Rolle. Insbesondere die Begriffsgeschichte ist darauf angewiesen, bei moglichen Analysen auf einen entsprechend aufbereiteten Kontext zuruckgreifen zu konnen, da nur so der Standpunkt des jeweiligen Autors einerseits aber auch die Bedeutung des zu analysierenden Konzepts andererseits hinreichend prazise verortet werden konnen. Diese analytischen Grundlagen werden im Kapitel ,Methodik‘ weiter erortert.

Als fruhe Neuzeit - international auch ,Early Modern Age‘ - bezeichnet man die Zeitepoche vom 15. bis zum spateren Verlauf des 18. Jahrhunderts und beschreibt dementsprechend die Transformationsphase zwischen Mittelalter und Moderne - und damit eine Phase, die sich endgultig von den Resten des auch im Spatmittelalter noch vertretenen Denkens von Ordo und gottlicher Legitimation loste und in ihrer Entwicklung so progressiv war, dass sie mit der Aufklarung und der historisch haufig mit ihr im gleichen Atemzug genannten franzosischen Revolution schlieBlich den Ubergang zur Moderne beschritt und auch fur die Politische Theorie der Spatmoderne noch viele Weichen stellte (vgl. Rawls 1999: 3). Gepragt wurde dieser Umbruch einerseits durch eine Revolution des technischen Fortschritts und des Entdeckertums, eingeleitet durch die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg und in einem breiteren Kontext fortgefuhrt durch eine einsetzende Aufgeschlossenheit gegenuber neuen Welten seit der Entdeckung Amerikas 1492. Dies schlagt auch die Brucke zur andererseits zu nennenden Pragung durch eine ideelle Revolution, die durch die Reformation im theologischen Umfeld einsetzte und auch fur die Politische Theorie maBgeblich Raum fur ein freieres Denken schaffte, wie es zuvor im Ansatz hochstens bei Thomas von Aquin zu sehen war. Aus spezifisch kreierten radikalen politischen Utopien - explizit genannt sei hier Thomas Morus - heraus entwickelte sich unter anderem der Humanismus (vgl. Elton 1990: 500), fur dessen fruhe Ausbildung insbesondere der Theologe Erasmus von Rotterdam steht. Eine maBgeblich pragende Tendenz der fruhen Neuzeit war zudem eine Ruckbesinnung auf die Antike - was als Hauptmerkmal fur die gesamte Renaissance festgehalten wird. Als Kulturepoche wird diese Ende des 16. Jahrhunderts vom Barock abgelost, doch kann bei letzterem abseits seiner Wiederspiegelung im spateren Humanismus kein wirklicher Einfluss auf die Politische Theorie verortet werden. Erstere hingegen stellte die Weichen fur eine ganze Reihe an Entwicklungen, die mit der Politischen Theorie der fruhen Neuzeit verknupft werden. So regt sich Kritik, die scholastische Philosophie des Mittelalters wurde „accounting for phenomena with circular pseudo-explanations“ (Nadler 2008: 35). Dies impliziert nicht nur den Bedarf wissenschaftlich fundierterer Erklarungsansatze in den Naturwissenschaften, sondern bedeutet als Folge der Sakularisierung auch die Notwendigkeit einer weltlichen Legitimation von Herrschaft, welche in ihrem Wesen nun als kontingent angesehen wird und sich aus diesem Grund zu einem der wichtigsten Anliegen der Politischen Theorie der fruhen Neuzeit entwickelt. Im Zusammenhang mit der konkreten Umsetzung der mit dem Grundwesen der Renaissance erzeugten Pramissen ist als einer der wichtigsten Vertreter Alberico Gentili zu nennen, welcher „is portrayed as pitted against the scholastic theologians“ (Wagner 2012: 876) und sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts nicht nur kritisch mit Recht in der (in erster Linie romischen) Antike auseinandersetzt, sondern dies zudem als „paradigmatic case of imperial order in general" (Wagner 2012: 874) versteht und damit zum einen progressiv Rechtsdiskurse - insbesondere in Bezug auf das Volkerrecht - pragt und zum anderen daruber hinaus eine auch fur das Begriffsverstandnis dieser Hausarbeit essenzielle Grundlage mitgestaltet. Aber der Beginn der fruhen Neuzeit schaffte auch Raum fur ein kritischeres realpolitisches Denken, wie es beispielsweise Machiavelli mit der Literatur des Furstenspiegels pragte und durch seine provokative Uberspitzung vermutlich nicht unintendiert ebenfalls gewisse Charakterzuge der Renaissance zum Vorschein brachte, da er so von Vertretern des damals aufkommenden „early modern republicanism“ (McCormick 2003: 613) zu einem speziellen Interessensobjekt deklariert wurde. Doch Machiavelli war auch fur die nachfolgende Entwicklung der Politischen Theorie in der fruhen Neuzeit von elementarer Wichtigkeit, da er begann, „human nature“ (Elton 1990: 502) zu rationalisieren - eine Denkweise, die unter anderem zur Grundlage der Vertragstheorie werden sollte und somit beginnend mit Hobbes uber Rousseau und Locke bis hin zu Kant wichtige Bausteine der Politischen Theorie der fruhen Neuzeit mitpragte. Es entwickelten sich allerdings mit dem Rationalismus, introduziert durch Rene Descartes, welcher diese philosophische Stromung insbesondere durch das Zitat ,cogito ergo sum‘ profilierte, und gepragt durch Leibniz, und dem Empirismus, wo die eben erwahnte Vertragstheorie zu verorten ist, zwei im Diskurs zueinander stehende Stromungen aus, die die politische Theorie der fruhen Neuzeit spalten und erst durch Kant wieder verknupft werden (vgl. Nadler 2008: 306f). Den realistischen Logiken Machiavellis stellt sich zudem uber mehrere Jahrhunderte hinweg der Humanismus entgegen, in dessen Wirkungssphare sich in diesem Kontext speziell der moral-basierte Antimachiavellismus, angefangen beim kirchlichen Widerstand gegenuber seinen Werken bis hin zu Friedrich dem GroBen als Leitfigur dieser spezifischen Gegenstromung, ausbildete. All diese Entwicklungen haben zur Folge, dass Politik ein eigenes Handlungsfeld wird und mit Beginn der fruhen Neuzeit schon getrennt von Religion (vgl. Elton 1990: 274f) und spatestens seit Machiavelli auch losgelost von Moral im Kontext zueinander betrachtet werden kann. Die Tatsache, dass in der fruhen Neuzeit mehrere elementare theoretische Stromungen parallel existierten, lasst die Eingangs aufgestellte These zu, dass durchaus mehrere Auffassungen eines Konzepts zugleich existiert haben konnten, und rechtfertigt diese grundsatzlich argumentativ. Ob dies jedoch im Fall von ,Gerechtigkeit‘ zutrifft, soll der analytische Teil dieser Hausarbeit klaren. Bevor diese Analyse durchgefuhrt werden kann, steht es allerdings noch aus, die hierfur zugrunde liegende Methodik darzulegen.

4. Methodik

Das anfanglich erwahnte vergleichsweise junge Alter der Forschungsrichtung spiegelt sich in der diesbezuglich zur Verfugung stehenden Literatur wieder, deren Diskurs sich dementsprechend fur dieses spezifische Forschungsfeld der ,Concept Theory' mit der Aussage „different theories and ,paradigms‘ may be considered the most important mechanism for the development of concepts“ (Hj0rland 2009: 1519) zusammenfassen lasst. Hierbei greifen bestimmte Paradigmen ineinander. So wird fur die Semantik, welche Begriffe in ihrem Kontext zu interpretieren ersucht und so einen potenziellen Bedeutungswandel mit der Zeit offenlegt, festgehalten, dass es sich bei ebendiesen Wortbedeutungen wiederum um Konzepte handelt (vgl. Lobner 2013: 18). In diesem Zusammenhang mussen Onomasiologie und Semasiologie als zentrale - bedingt zueinander in Konkurrenz stehende - Forschungsansatze Erwahnung finden, welche „a longstanding tradition, especially in continental semantics“ (Glynn 2015: 48) aufweisen. Ersteres dient der linguistischen Begriffseingrenzung, wahrend Letzteres die vorliegende Begriffsverwendung in einen historisch-kritischen Kontext setzt (vgl. Glynn 2015: 48f), was auch im Falle dieser Hausarbeit deutlich eher zur Deckung des Erkenntnisinteresses beitragt. Als „the most influential approach to the study of classical and early-modern [concepts, bei McCormick's analysiertem Fallbeispiel insbesondere ,republicanism‘]“ (McCormick 2003: 615f) wird die ,Cambridge School‘ angesehen, welche auch parallel existierende Konzepte diverser Begriffsbedeutungen mit einbindet und hierfur erganzend ein „interpretative framework“ (McCormick 2003: 619) bietet. Auf mit Hilfe dieses Rahmens bereits analysierte fruhneuzeitliche Akteure und Positionen kann im Rahmen dieser Hausarbeit zuruckgegriffen werden, um die gewonnenen Erkenntnisse in den Kontext der spezifischen Begriffsanalyse mit einzubeziehen. Auch die Hermeneutik blieb von Diskursen nicht verschont, lange Zeit wurde sie „not formerly considered a theory of knowledge, but a theory of interpreting texts“ (Hj0rland 2009: 1525). Doch insbesondere der Einfluss der hermeneutischen Erkenntnisse Gadamers lieB folgern „Observations are always made on the background of theoretical assumptions; they are theory dependent“ (Hj0rland 2009: 1525) - ein Paradigma, welches auch heute noch in einem breiteren Kontext Beachtung findet. Fur diese Hausarbeit lasst sich dementsprechend zusammenfassend folgern, dass die Analyse eines bestimmten Konzeptes nur moglich ist, wenn die theoretischen und explizit historisch-kritischen Einflusse auf Autoren der damaligen Zeit mit einbezogen werden. Die Ausgangsbasis hierfur wurde mit dem Darlegen der theoretischen Grundlagen in Kapitel 3 bereits geschaffen, folglich kann daran nun mit der entsprechenden Analyse des konzeptuellen Wandels von ‚Gerechtigkeit‘ in diesem spezifischen Zeitraum angeknüpft werden.

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Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Wie hat sich die Bedeutung des Konzepts 'Gerechtigkeit' während der frühen Neuzeit gewandelt?
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Zentrale Konzepte der Politischen Theorie in gesellschaftlichen Transformationsphasen: Zeitgenössische Diskurse politischen Denkens
Note
1,3
Autor
Jahr
2021
Seiten
17
Katalognummer
V1060879
ISBN (eBook)
9783346470034
ISBN (Buch)
9783346470041
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ideengeschichte, Semasiologie, Gerechtigkeit, Konzeptanalyse, Konzeptwandel, a theory of justice, deskriptive Analyse
Arbeit zitieren
Felix Mentele (Autor:in), 2021, Wie hat sich die Bedeutung des Konzepts 'Gerechtigkeit' während der frühen Neuzeit gewandelt?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1060879

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