Die Funktion intertextueller Bezüge in der Netflix-Serie "Stranger Things"

Postmodernes Erzählen, Emotionalisierung durch Nostalgie der 80er Jahre und Analyse intertextueller Bezüge


Hausarbeit, 2020

34 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Postmodernes Erzählen

3. Emotionalisierung durch Nostalgie

4. Analyse der intertextuellen Bezüge
4.1 Figuren und Darsteller
4.2 Ästhetik und Gestaltung
4.3 Genre und Lebenswelten

5. Fazit

Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Internetverzeichnis
Filmverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

“The Stranger Things Secret? It's Basically an 8-Hour Spielberg Movie.”1

Die Serie Stranger Things (2016-), welche am 15. Juli 2016 auf der Streaming-Plattform Netflix angelaufen ist, wird bereits nach der ersten Staffel von vielen Kritikern und Zuschauern ambivalent bewertet. Einerseits wird die Serie als ein Mix der größten kinematischen Klassiker der 1980er hoch gelobt und andererseits als ein leeres Gefäß gefüllt mit popkulturellen Referenzen bemängelt. Wenn Artikel oder Kritiken über die erfolgreiche Show erscheinen, fallen im Zusammenhang die großen Namen der Autoren und Regisseure der Popkultur wie Steven Spielberg, Stephen King und John Carpenter. Der Einfluss ihrer Werke aus den 1980ern ist soll sehr deutlich in Stranger Things wahrzunehmen. Mittlerweile verfügt die Serie über drei Staffeln mit insgesamt 17 Episoden und ist eine der erfolgreichsten Netflix-Shows. Die Produktionen für die vierte Staffel laufen noch.

Die Erfolgsserie, deren Handlung im Jahr 1983 startet, bieten folglich viele Referenzen zu den 1980ern, die für eine postm oderne Ästhetik sorgen. Matt und Ross Duffer, auch bekannt als die Duffer Brothers, sind die Regisseure und wurden selbst im Jahr 1984 geboren. Der Retro­Look von Stranger Things ist unverkennbar, weshalb viele Zuschauer der Nostalgie verfallen und demnach von den Achtzigern schwärmen. In dieser Arbeit soll vor diesem Hintergrund herausgearbeitet werden, inwiefern intertextuelle Bezüge in die filmische Gestaltung der Serie Stranger Things einfließen und wie durch postmoderne Ästhetik eine Nostalgie der 1980er geschaffen wird. Dies wird mittels einer Analyse von filmischen Stilmitteln auf audiovisueller Ebene durchgeführt. Die These, dass Stranger Things nicht nur aus einer Ansammlung von postmodernen Referenzen auf verschiedenen Ebenen besteht soll hiermit aufgestellt werden.

Die Hausarbeit wird in fünf Kapitel gegliedert. Das erste Kapitel beginnt mit der Einleitung, die die Forschungsfrage und die Thesen beinhaltet. Das nächste Kapitel widmet sich der Erläuterung des postmodernen Erzählens, indem der theoretische Zugang zur Postmoderne verdeutlicht wird. Folgend werden im dritten Kapitel die Emotionalisierung und die verschiedenen Perspektiven der Nostalgie ermittelt. Das vierte Kapitel bildet den Hauptteil der Arbeit und befasst sich mit der Analyse der Serie. Dabei wird ein genauer Fokus auf die Figuren und ihre Darsteller, die visuelle und auditive Ästhetik und den Kontext, welcher die Genreeinordnung und Veranschaulichung der Lebenswelten umfasst, gelegt. Die Funktionen der intertextuellen Bezüge werden in den Analysen detailliert beschrieben und durchleuchtet. Im fünften Kapitel werden letztlich alle Resultate der Arbeit zusammengefasst und die Forschungsfrage beantwortet.

2. Postmodernes Erzählen

In den Siebzigern, Achtzigern und Neunzigern ist zu beobachten, dass viele Regisseure, wie zum Beispiel die Coen Brüder, Quentin Tarantino und David Lynch, sich der postmodernen Strategien bedienen. Es gibt in der Filmwissenschaft viele widersprüchliche Meinungen über das Konzept der Postmoderne, weshalb eine Rahmenschaffung und Abgrenzung nicht direkt durchgeführt werden kann. In dieser Arbeit wird sich nach den deutschen Filmtheorien gerichtet, da diese nicht so heterogen sind wie die internationalen Diskurse. Der Begriff des postmodernen Films ist zwar im deutschen Filmdiskurs etabliert, doch ist dieser laut dem Filmwissenschaftler Jürgen Felix sehr spät und mangelhaft diskutiert worden. Er stellt beim Forschungsstand fest: „In der Regel endet die deutsche Filmgeschichtsbeschreibung mit dem Neuen deutschen Film, dem New Hollywood, der nouvelle vague und ihren Hinterbliebenen.“2 Demnach schließt sich der postmoderne Film der Epoche der Autorenfilme an.3 Wann genau die Epoche der Postmodernität anfängt und endet, ist nicht klar definiert. Harald Stang erklärt dieses Problem der Grenzziehung wie folgt:

„Das Problem der Einordnung von Filmproduktionen nach dem Konzept der Postmoderne gründet vor allem auf der Schwierigkeit, eine einheitliche Klärung des Begriffs Postmod erne als Grundlage der Analyse zu schaffen.“4

Das Konzept der Postmoderne ist demnach zu anderen Filmstilen nicht trennscharf genug, weshalb Filme aus unterschiedlichen Gründen als postmodern bezeichnet werden können, wie z.B. durch ihre popkulturellen Zitate, ihren gesellschaftlichen Kontext, die Atmosphäre oder die Erzählweise. Der Medienwissenschaftler Jens Eder hat zum Verständnis eine Grafik (siehe Abb. 1) erstellt, der man die Merkmale eines postmodernen Films entnehmen kann. Laut Eder sind die vier zentralen Merkmalsbereiche: Intertextualität, Spektakularität und Ästhetisierung, Selbstreferentialität, Anti-Konventionalität und dekonstruktive Erzählverfahren. Der Kern des postmodernen Films liegt in dem Bereich, in dem sich diese vier Charakteristika überschneiden. Es ist in der Grafik zu erkennen, dass durch die Vernetzungskultur der Merkmale Überschneidungen unvermeidbar sind. Dabei gibt es einen Spielraum für die Schwerpunktsetzung, Merkmalskombination, -ausprägung, und -variation.5 Im Folgenden werden die verschiedenen Charakteristika der Postmoderne erklärt.

Der postmoderne Film ist oft als das „Kino der Zitate“6 beschrieben worden. Die Intertextualität ist wahrscheinlich das auffälligste Merkmal. Der Begriff Intertextualität stammt aus der Literaturwissenschaft und bezeichnet die Beziehungen, die Texte untereinander haben. Viele verwenden auch den Begriff der Intermedialität, was als die medienübergreifende Intertextualität zu verstehen ist. Allerding gibt es viele kontroverse Begriffsbestimmungen. Da Eders Theorieansatz auf dem Fachausdruck Intertextualität basiert, wird sich in dieser Arbeit auch nach diesem Begriff gerichtet. Im Kino ist schon immer auf erzählerische Traditionen, Bilder und Muster zurückgegriffen worden. Die Intertextualität beschreibt das Zusammenfügen verschiedener Versatzstücke. Dabei bedient sie sich aus Bereichen der Popkultur und der Hochkultur. Zur Popkultur gehören die vergleichsweise wenig geschätzten Bereiche wie B- Movies, Trivialliteratur und Computerspiele. Diese werden gezielt mit Elementen aus der Hochkultur und Kunst vermischt. Durch die Kombination der medien- und spartenübergreifenden Bereiche kann aus den alten Bauteilen etwas Neues und Eigenes geschaffen werden. Es ist für den postmodernen Film jedoch nicht charakteristisch wichtig auf was er sich beziehen, sondern wie er dies tut und mit welcher rezeptionsstrategisch e n Ausrichtung.7 Intertextualität ist vielfältig und kann auf jeder Ebene in jedem möglichen filmischen Gestaltungsmittel auftreten: „[...] durch Sequels, Remakes, Pastiches, Parodien, offene Zitate, verdeckte Anspielungen über Genre, Dialog, Musik, Bild, Dramaturgie, Figuren, Motive, Themen, Kamera, Schnitt und Darsteller.“8 Charakteristisch ist zudem die ironische Haltung des Erzählens. Ziel dabei ist nicht, das tatsächliche Zitat zu ironisieren, sondern dem Zitieren wissend überlegen zu sein und eine Verbindung zwischen Zuschauer und Erzählinstanz zu erschaffen. Wenn keine Parodie geschaffen wird, dann kann die postmoderne Intertextualität auch die Form der Pastiches annehmen, die ohne jegliche Wertung das Werk eines vorangegangenen Künstlers neutral anwenden. Die gängigen Genre- und Erzählkonventionen werden also durch die Intertextualität gebrochen.9

Die intertextuellen Bezüge des postmodernen Films sind gezielt auf die Zuschauerschaft abgestimmt, deren Medienkompetenz hoch ist. Dadurch entsteht eine Kommunikation zwischen Rezipienten und Filmtext. Es werden jedoch auch andere Zuschauergruppen angesprochen, und zwar durch die Rezeptionsstrategie der Doppelcodierung bzw. Mehrfachcodierung. Eine filmische Darstellung ist im postmodernen Film so angelegt, dass sie auf mindestens zwei verschiedene Weisen verstanden werden kann. Das Zitat kann als ein Zitat verstanden werden oder als eine eigenständige Kom m unikation. Zuschauer müssen also kein enormes Wissen über den zitierten Kulturbereich besitzen und müssen nicht Zitate und Anspielungen erkennen, um die Darstellung zu verstehen. Für die Unwissenden werden spektakuläre Bilder und Ereignisse geboten. Die medienkompetenten Zuschauer können jedoch durch Kulturwissen zum Insider werden und Sinnebenen entschlüsseln. Postmoderne Filme bieten demnach unterschiedliche Lesearten an und erreichen unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen. Damit die Doppelcodierung bei den Rezipienten funktioniert, soll die Intensität von Erlebnissen und Sinnesreizen beim Schauen so weit wie möglich gesteigert werden. Dieser sogenannte Sensualismus wird durch Spektakularität und Ästhetisierung ausgelöst.10 Die Autorin Kristin Thompson spricht von einem kinematografischen „Überschuss“11, in dem unabhängig vom Plot Szenen, Stilelemente oder audiovisuelle Attraktionen stärker gegenüber der Story hervorgehoben werden.

Der postmoderne Film lässt den Zuschauer also nicht glauben, dass das Erzählte und Dargestellte eine Neuerfindung ist. Dem postmodernen Film ist bewusst, was er erzählt. Er nutzt Mittel der Ironie, Überstilisierung und Intertextualität, um den Rezipienten seine Selbstreferentialität bewusst werden zu lassen. Durch die Doppelcodierung wird sichergestellt, dass trotzdem keine Verfremdung durch die Selbstreferentialität entsteht. Der Zuschauer soll in die Geschichte hineingezogen werden und eine ironische Distanz haben. Die Selbstreferentialität hängt laut Eders Modell eng mit der Intertextualität und der Ästhetisierung und Spektakularität zusammen.12

Die postmoderne Intertextualität hat eine Tendenz zum Konventionsbruch. Die Anti­Konventionalität und die dekonstruktiven Erzählverfahren des postmodernen Films meinen, dass mit gängigen Erzählkonventionen gespielt wird und die damit verbundenen Reglements gebrochen werden. Postmoderne Filmemacher dekonstruieren „Handlungsabläufe, Star Images, Standardszenen, Klischeefiguren und gängige Verfahren der visuellen und auditiven Darstellung“13, die ohnehin schon beim medienkompetenten Zuschauer bekannt sind. Dadurch können verschiedene Figuren, Handlungen und Stile aus unterschiedlichen Genres zusammengeführt werden und mit den Erwartungen des Rezipienten gespielt werden.

3. Emotionalisierung durch Nostalgie

Das Wort Nostalgie entstammt zwei griechischen Wörter. Der erste Teil leitet sich von dem Wort nostos ab, welches im Deutschen die Rückkehr (in die Heimat) bedeutet, während der zweite Wortstamm dem Wort algos entspringt, welches mit Schmerz übersetzt wird.14 Der Begriff Nostalgie wird im 17. Jahrhundert stark als medizinischer Fachterminus von dem Schweizer Studenten Johannes Hofer geprägt. 1688 schreibt er in seiner medizinischen Dissertation, dass Nostalgie für Melancholie steht, die den Wunsch ausdrückt, in die eigene Heimat zurückzukehren.15 Auch im frühen 20. Jahrhundert wird es als eine psychiatrische Störung angesehen und Mitte des 20. Jahrhunderts verwenden Psychoanalytiker den Begriff, um depressive Störungen von Patienten zuzuordnen. Erst Ende des 20. Jahrhunderts wird die Nostalgie mit den Begriffen “such warm, old times, childhood, and yearning with the term ‘nostalgia' much more frequently than they did with homesickness”16 geprägt. Das Heimweh wird demnach heutzutage durch das Wort Sehnsucht ersetzt. Auch Traurigkeit wird mit Nostalgie in Verbindung gebracht, wenngleich in den Forschungsarbeiten Einigkeit besteht, dass positive Gefühle die negativen überstrahlen. Durch diese sentimentale Sehnsucht nach vergangenen Zeiten kann die Vergangenheit oftmals romantisiert oder verklärt werden.17

Die Literaturwissenschaftlerin Svetlana Boym setzt sich ausgiebig mit dem Thema Nostalgie auseinander. Sie stellt klar, dass Nostalgie nicht nur ein Ausdruck lokaler Sehnsucht, sondern das Ergebnis eines neuen Verständnisses von Zeit und Raum ist. Die Wissenschaftlerin unterscheidet im Wesentlichen zwei Typen: Die restaurative und die reflektierende Nostalgie. Die restaurative Nostalgie betont den griechischen Begriff nostos und versucht die Symbole und Rituale von der Heimat transhistorisch zu rekonstruieren. Es versteht sich dabei als Wahrheit und Tradition und nimmt sich selbst sehr ernst. Die reflektierende Nostalgie hingegen bekräftigt das Wort âlgos. Sie stellt die Am bivalenz menschlicher Sehnsucht und Zugehörigkeit dar. Die reflektierende Nostalgie kann mehrere verschiedene Zeitzonen präsentieren, indem sie sich auf zerbrochene Erinnerungsfragmente im Detail konzentriert. Dabei kann sie ironisch und humorvoll sein. Diese beiden Typen, die den Ursprungswörtern entspringen, zeigen, dass Sehnsucht und kritisches Denken einander nicht entgegengesetzt sind, so wie affektive Erinnerungen einen nicht von Mitgefühl, Urteilsvermögen oder kritischer Reflexion befreien.18

Die soziale und emotionale Erfahrung, die durch die Nostalgie gemacht werden kann, wird außerdem von Medienmitwirkenden als Marketingstrategie genutzt. Die Marketing Professorin Barbara B. Stern verdeutlicht in ihrer Arbeit, dass Nostalgie historisch als The Way It Was oder persönlich The Way I Was zu verstehen ist. Sie stellt das Verständnis der beiden Varianten in einer Tabelle (siehe Abb. 2) gegenüber und stützt sich dabei auch auf die positiven Elemente der Nostalgie, die für Marketingstrategien genutzt werden. Die historische Nostalgie drückt den Wunsch nach einem Rückzug durch die Rückkehr zu einer fern gelegenen Vergangenheit aus, die der Gegenwart als überlegen angesehen wird. Diese ist also ein Fluchtort aus dem Hier und Jetzt für Zuschauer, die vor dem dargestellten Zeitraum geboren worden sind. Für sie wird eine Welt von Mythen gezeigt, in der die Charaktere bestimmten Archetypen entsprechen und die Handlungen an für sie exotischen Orten stattfinden. Es entsteht eine Vorstellung von einem Zeitalter mit der sie starke Empathie entwickeln. Historische Nostalgie idealisiert somit die fantasievoll nachgebildete Vergangenheit. So gestaltet sich auch die persönliche Nostalgie, indem sie die erinnerte Vergangenheit der eigenen Kindheit im Erwachsenenalter idealisiert. Hierbei ist zu beachten, dass persönliche Nostalgie nicht von einer tatsächlich glücklichen Kindheit abhängt, sondern vielmehr von der rekonstruierten Fiktion einer solchen.19

Immer wieder greifen Hersteller auf die Nutzung der Nostalgie im Marketing zurück, um Empathie beim Kunden zum Produkt oder zur Marke zu stimulieren. In der Filmindustrie ist ein ähnliches Phänomen zu beobachten. “Indeed, the popularity for pre-existing narratives meant that there were no fewer than 40 filmic reboots, remakes, and sequels produced during 2017.”20 Neben Stranger Things finden in den letzten Jahren viele Reboots, Remakes, Sequels und Hommagen ihren Weg im Retro-Look zurück ins Kino oder ins Fernsehen. Zu nennende Beispiele wären Freitag der 13. (2009), Fuller House (2016-), It (2017), Magnum P.I. (2018), Wonder Woman 1984 (2020) und Ghostbusters: Legacy (2021).

4. Analyse der intertextuellen Bezüge

Die Bezüge von Stranger Things zu den großen Achtziger Klassikern sind unübersehbar. Die Duffer Brüder bedienen sich audiovisueller Merkmale, der Figurenzeichnung, Dramaturgie und Themen bekannter Regisseure. Wie und warum diese intertextuellen Bezüge eingeführt werden und wodurch Nostalgie entsteht, soll durch die methodische Herangehensweise der Filmanalyse geklärt werden. Der Filmwissenschaftler Lothar Mikos hat sich in seinem Werk Film- und Fernsehanalyse ausführlich mit den Theorien und Methoden anderer Filmwissenschaftler beschäftigt und aus diesen eine Analysemethode entwickelt. Mikos versteht den Film als ein Medium, indem Filmemacher mit den Rezipienten über technische Mittel in direkter Kommunikation stehen. Der Filmwissenschaftler teilt seine Methode wie folgt in fünf Ebenen auf: Inhalt und Repräsentation, Narration und Dramaturgie, Figuren und Akteure, Ästhetik und Gestaltung und Kontexte.21

Für die Analyse der intertextuellen Bezüge werden nur die Teilbereiche der Figuren, der Ästhetik und der Kontexte betrachtet, da die weiteren Ebenen den Rahmen dieser Hausarbeit bei Weitem überschreiten würden. Es ist jedoch unausweichlich Elemente aus den Dimensionen Inhalt und Repräsentation sowie Narration und Dramaturgie aufzugreifen, da alle Ebenen miteinander verbunden sind. Mit Mikos Methode werden die Funktionen der intertextuellen Bezüge im Zusammenhang mit der Nostalgie anhand der Figuren und Darsteller, der Ästhetik und Gestaltung sowie der Genreeinordnung und der Lebenswelten der Serie Stranger Things untersucht und analysiert. Es soll verdeutlicht werden, wie und warum bekannte Achtziger Stile in der Erfolgsserie auftreten. Zudem muss erwähnt werden, dass nur ein kleiner Teil der intertextuellen Bezüge beispielhaft genannt werden kann, da die Serie eine hohe Anzahl von Referenzen aufweist.

4.1 Figuren und Darsteller

„With the kids... there's the Spielberg stuff... the Spielberg stuff like E. T” 22 berichten die Duffer Brüder in einem Interview 2016 mit dem Magazin The Hollywood Report. Die Regisseure haben bereits in etlichen Interviews bestätigt, dass sie sich bei den Figurenzeichnungen nach den Stereotypen sowohl aus Steven Spielbergs Klassikern E.T.- Der Außerirdische (1982) und Die Goonies (1985), als auch aus den Filmgeschichten Stand By Me - Das Geheimnis eines Sommers (1986) und Stephen Kings Es (1990) vom Autor Stephen King gerichtet haben. Dementsprechend machen die Zwillingsbrüder den Rezipienten in Interviews bewusst, dass das Dargestellte keine Neuerfindung ist und sie sich ihrer Selbstreferentialität durchaus bewusst sind. Die erzählte Geschichte von Stranger Things und die Suche nach dem Jungen Will Byers ist dennoch komplex, da sie auf mehreren Ebenen der Figuren verläuft, und zwar einmal über die Kinder, die Teenager und die Erwachsenen. Die Gruppen treten meist getrennt auf, sind aber interaktiv durch die Geschichte verbunden.

Betrachtet man die Gruppendynamik aus dem Abenteuerfilm Die Goonies, so entspricht sie der Dynamik von Mike Wheeler, Will Byers, Dustin Henderson und Lucas Sinclair aus Stranger Things. Ihr Mantra in englischer Ausgabe Friends don't lie bildet den Gegensatz zu Goonies never say die! Da sich die Figuren aus Die Goonies genrebedingt nie wirklich in Gefahr begeben, können die Filmemacher diese Unbeschwertheit auf die Stranger Things Kindertruppe übertragen.23 Die Einzigartigkeit, Kinder als Protagonisten zu verwenden, gelingt auch Stephen King in seinen Novellen Die Leiche (1982) und Es (1986). Die Kinder treten als Einheit in einer Gruppe auf, was als „Collective Child Protagonist“24 bezeichnet wird, und bestärken die Themen Freundschaft und Zusammenhalt. Die intertextuellen Bezüge der Jungengruppe von Stranger Things werden in visuellen und charakterlichen Ähnlichkeiten deutlich (siehe Abb. 3), weshalb man Charaktere aus der Kindheit in einem anderen Kontext wiederfinden kann. Die Figurenzitate können durch das Merkmal der Doppelcodierung auch allein stehen und von Zuschauern verstanden werden, die kein Vorwissen zu Spielberg und King haben. Es muss darüber hinaus erwähnt werden, dass den Kindern in der Erfolgsserie viel mehr individuelle Charakterentwicklung gegeben wird als in den Achtziger Klassikern. Mike Wheeler ähnelt zum Beispiel durch seine Führungsqualitäten dem Charakter Michael Welsh aus den Goonies. So werden beispielsweise Mikes Charakter und seine Beziehungen zu anderen Figuren besser ausgearbeitet . Die Protagonistin Eleven weist zugleich die stärksten intertextuellen Bezüge zu dem außerirdischen Wesen aus E.T. auf. „Eleven is presented as familiar inversion of E.T.'s character.”25 E.T. wird als ein netter und neugieriger Außerirdischer porträtiert, während Eleven distanziert und traumatisiert auftritt. Hinzukommt, dass die Superkräfte von E.T. heilend und lebensspendend sind, wohingegen Elevens Kräfte tödlich und selbstzerstörerisch wirken. Der grundsätzliche Unterschied der beiden Figuren wird besonders in der adaptierten Szene der Fahrradjagd deutlich. E.T. benutzt seine telekinetischen Kräfte bei der Flucht vor der Regierung defensiv, indem er mit den Freunden über die Vans hinweg fliegt.26 Eleven hingegen reagiert offensiv und lässt die mit Menschen gefüllten Wagen in die Luft fliegen.27 Eleven als fremdartiges Wesen erfüllt die gleiche Rolle, die durch ihre Umgebung bestimmt wird. Sie bringt im Gegensatz Leute um, da sie ein Produkt der Gewalt ist. Somit ist Eleven das perfekte Äquivalent zu E.T. und weckt durch die gleichen Plot Points starke Nostalgie zu den Achtzigern.

Darüber hinaus adaptiert Stranger Things typische Archetypen in der Gruppe von Jugendlichen. Besonders das Aussehen von Nancy Wheeler und ihrer besten Freundin Barbara Holland erinnert sehr an Andrea Charmichael und Stephanie Steinbrenner aus den Goonies, vor allem in der Kostümgestaltung der Figuren (siehe Abb. 4). Doch die Serie adaptiert nicht nur gewisse Stereotypen, sondern weist auch eine Tendenz zum Konventionsbruch auf, indem sie mit diesen spielt oder sie sogar auflöst. Der Filmwissenschaftler Robin Wood zählt fünf Bedingungen des klassischen 1980er High-School­Zyklus auf: „sex, suppression of the parents, multicharacter movies, hunter/hunted characters and the repression of homosexuality as elements which define teen narratives”28. Die klassischen Jugendfilme sind Multicharakter-Filme, in denen ein Angebot von Identifikationsfiguren auftaucht. Nancy Wheeler wirkt in den ersten Folgen der ersten Staffel wie Claire Standish aus John Hughes‘ Jugendfilm The Breakfast Club (1985). Beide Figuren scheinen wohlhabend, beliebt und sorgenlos zu sein, Nancy wird sogar Miss Perfect gerufen. Im Laufe der ersten beiden Staffeln wird dieser weibliche Charakter nicht nur als sehr belesen, sondern auch als rebellisch gezeigt. Nancy trinkt, flucht und geht im Verlauf der Serie mit zwei Jungen eine intime Beziehung ein.29 Bei den männlichen Teenagern wird das Verständnis der bekannten Stereotypen ebenso untergraben. Jonathon wird anfangs als eigenartig und jungfräulich porträtiert, weshalb er nach Wood die haunted Figur typisiert. Der Jugendliche entwickelt sich aber über diese simple Charaktererscheinung hinaus. Jonathon prügelt sich mit Steve und kommt in der zweiten Staffel mit Nancy zusammen.30 Im Gegensatz dazu wird Steve Harrington zu Beginn als klassischer haunter charakterisiert. Er ist gutaussehend, beliebt und schreckt nicht vor Straftaten zurück. Denn bei einer Auseinandersetzung mit Nancy sprüht er auf eine Kinoanzeige mit Graffiti die Worte Nancy ‘the slut‘ Wheeler. Er überwindet diesen Stereotyp, indem er sich bei seiner Freundin entschuldigt.31 In der zweiten Staffel wirkt Steve einfühlsamer und entwickelt eine starke freundschaftliche Beziehung zu Dustin und den anderen Kindern. Er nimmt somit die häuslichere Rolle des Aufpassers ein und unterwandert somit das Konzept der Hyper-Männlichkeit.32 Der männliche Teenager Bill Hargrove ist der klassische Bad Boy, der Aggressivität und Intoleranz von seinem Vater als Erziehungsmaßnahmen für Respekt und Verantwortung lernt. Doch auch er entkommt diesem Bild und opfert sich letztendlich für seine Stiefschwester Max und ihre Freunde.33 Ebenso tauchen Vorlagen von jugendlichen Archetypen der amerikanischen Slasher-Filme wie Freitag, der 13. (1980) auf. Der Drehbuchautor Adam Rock listet unter anderem die elementaren Figuren „the Killer, [...] the Final Girl“34 auf, welche der Literaturkritiker John Kenneth durch die Aufzählung “the Bitch, the Practical Joker and the Jock”35 erweitert. Der Practical Joker entspricht demnach Jonathon mit seiner seltsamen Art, während der Jock durch Steve und sein Fehlverhalten repräsentiert wird. Wie weiter oben aufgezeigt, überwinden diese Figuren ihre Charakterzuweisung. Das Final Girl ist meist jungenhaft und sexuell inaktiv und überlebt meist nur, um die Geschichte weitererzählen zu können.36 Das Mädchen, welches sexuell aktiv ist und ihre Grenzen austestet gilt laut der Kategorisierung als die Bitch, welche in der Regel die hübsche, sarkastische beste Freundin vom Final Girl ist. Die Bitch überlebt den Angriff des Monsters nicht, da sie für ihre Triebhaftigkeit bestraft wird. Die Serie Stranger Things spielt auch mit diesen Stereotypen. So erscheint Nancys beste Freundin Barb als das schüchterne und sexuell unerfahrene Mädchen. Als Nancy auf einer Party ihre Jungfräulichkeit verliert, zieht sich Barb allein in den Garten zurück.37 Die Charaktereigenschaften des Final Girls werden exakt auf Barb zugeschnitten, während Nancy die Bitch porträtiert. „Barb's death is one of the crucial ways in which Stranger Things undermines slasher film conventions [,..].”38 Der Tod von Barb widerspricht den Erwartungen an ihren Stereotyp. Auch Nancys Charakter entwickelt sich entgegen der Ideale zum Final Girl, womit die Serie den Konservatism us dieser Archetypen bricht. Nancy überlebt den Terror nicht nur, sondern stellt sich den Monstern mutig entgegen.39 „The Duffer brothers go to significant effort to make us believe that Stranger Things will reinforce these teen stereotypes.”40 Es wird deutlich, dass die Serie mit den nostalgischen Erwartungen der Zuschauer an den klassischen Teenager Archetypen spielt. Die traditionelle Rollenverteilung bleibt nicht bestehen, denn die Teenager machen sich frei von den Stereotypen und werden zu multidimensionalen, komplexen Individuen.

[...]


1 https://www.wired.com/2016/08/geeks-guide-stranger-things/.

2 Felix, Jürgen (1996): Postmoderne Permutationen, S.401.

3 Vgl. ebd., S. 402ff.

4 Stang, Harald (1992): Einleitung – Fußnote – Kommentar, Bielefeld: Aisthesis Verlag, S.1.

5 Eder, Jens (2002): Die Postmoderne im Kino. Entwicklungen im Spielfilm der 90er Jahre In: Oberflächenrausch. Postmoderne und Postklassik im Kino der 90er Jahre. Münster: LIT, S. 9ff.

6 Ebd., S.12.

7 Vgl. ebd., S.12ff.

8 Ebd. S.15.

9 Vgl., ebd. S.13ff.

10 Vgl. ebd., S. 16ff.

11 Thompson, Kristin (1999): “The Concept of Cinematic Excess”. In: Braudy, Leo; Cohen, Marshall (Hrsg.): Film Theory and Critism: Introductory Readings. New York/Oxford, S.487ff.

12 Vgl. Eder, Jens (2002): Die Postmoderne im Kino. Entwicklungen im Spielfilm der 90er Jahre. In: Oberflächenrausch. Postmoderne und Postklassik im Kino der 90er Jahre. Münster: LIT, S.20ff.

13 Ebd. S. 22.

14 Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Nostalgie.

15 Vgl. Hofer, Johannes (1688): Dissertatio Medica de Nostalgia oder Heimweh. Quoted in Helmut Innbruch, Nostalgia: Origins and Ends of an Unenlightended Disease. Illinois: Northwestern University Press. 2012, S.5

16 Davis, Fred (1979): Yearning for Yesterday: A Sociology of Nostalgia. New York: Free Press, S.4.

17 Vgl. https://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=8740.

18 Vgl. http://monumenttotransformation.org/atlas-of-transformation/html/n/nostalgia/nostalgia-svetlana-boym.html.

19 Vgl. Stern, Barbara B. (1992): Historical and Personal Nostalgia in Advertising Text: The Fin de siècle Effect. In: Journal of Advertising, 1992, Band 21, Ausgabe 4, S. 11ff.

20 Twomey, Ryan (2018): Competing Nostalgia and Popular Culture. In: Wetmore, Kevin J. Jr.: Uncovering Stranger Things. Jefferson, North Carolina: McFarland & Company, S. 39.

21 Vgl. Mikos, Lothar (Hrsg.) (2003): Film- und Fernsehanalyse. 2. Auflage, Konstanz, S.39.

22 https://www.hollywoodreporter.com/fien-print/duffer-brothers-talk-stranger-things-916180.

23 Vgl. Quercia, Jacopo Della (2018): Spielberg Things. In: Wetmore, Kevin J. Jr.: Uncovering Stranger Things. Jefferson, North Carolina: McFarland & Company, S.121f.

24 Carranza, Ashley Jae (2018): The Rebirth of King’s Children. In: Wetmore, Kevin J. Jr.: Uncovering Stranger Things. Jefferson, North Carolina: McFarland & Company, S.9.

25 Vgl. Quercia, Jacopo Della (2018): Spielberg Things. In: Wetmore, Kevin J. Jr.: Uncovering Stranger Things. Jefferson, North Carolina: McFarland & Company, S.119.

26 Spielberg, Steven (1982): E.T. - Der Außerirdische, TC: 1:40:00 – 1:43:05.

27 Duffer, Matt; Duffer, Ross (2016-): Stranger Things, S1.7 TC: 0:02:31 – 0:04:31.

28 Wood, Robin (1986): Hollywood from Vietnam to Regean. New York. Columbian University Press 1986, S.216f.

29 Duffer, Matt; Duffer, Ross (2016-): Stranger Things, S1.1 TC: 0:14:06 – 16:05, S1.2 TC: 0:43:42 – 0:51:52., S.1.3 TC: 0:36:41, S2.6 TC: 0:01:01 – 0:03:51.

30 Ebd., S1.6 TC: 0:32:17 – 0:33:04, S2.6 TC: 0:07:28 – 0:11:52.

31 Ebd., S1.7 TC: 0:18:51 – 0:19:25, S. 1.8 TC: 14:35 – 0:17:06.

32 Ebd., S2.6 TC: 0:01:01 – 0:03:51.

33 Ebd., S2.8 TC: 0:06:34 – 0:08:39, S3.8 TC: 0:45:07 – 0:49:43.

34 Rockoff, Adam (2002): Going to Pieces: The Rise and Fall of the Slasher Film 1978-1986. Jefferson, NC: McFarland, S. 5ff.

35 Muir, John Kenneth (2007): Horror Films of the 1980s. Jefferson, NC: McFarland, S.24.

36 Vgl. Herrmann, Anne (1991): “Passing” Women, Performing Men. In: Arbor, Ann: The Female Body: Figures, Styles, Speculations. Ed. Laurence Goldstein: University of Michigan Press, S.183.

37 Duffer, Matt; Duffer, Ross (2016-): Stranger Things, S1.2 TC: 0:49:34 – 0:52:59.

38 Butler, Rose (2018): The Eaten-for-Breakfast Club. In: Wetmore, Kevin J. Jr.: Uncovering Stranger Things. Jefferson, North Carolina: McFarland & Company, S.79f.

39 Duffer, Matt; Duffer, Ross (2016-): Stranger Things, S1.2 TC: 0:49:34 – 0:52:59., S2.8 TC: 0:42:09 – 0:43:06.

40 Butler, Rose (2018): The Eaten-for-Breakfast Club. In: Wetmore, Kevin J. Jr.: Uncovering Stranger Things. Jefferson, North Carolina: McFarland & Company, S.76.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Die Funktion intertextueller Bezüge in der Netflix-Serie "Stranger Things"
Untertitel
Postmodernes Erzählen, Emotionalisierung durch Nostalgie der 80er Jahre und Analyse intertextueller Bezüge
Hochschule
Universität Siegen
Note
1,7
Autor
Jahr
2020
Seiten
34
Katalognummer
V1061017
ISBN (eBook)
9783346479570
ISBN (Buch)
9783346479587
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Postmodernes Erzählen, Nostalgie, Emotionalisierung, Intertextualität, Intermedialität, Jens Eder, Stranger Things, 80er Ästhetik, Spielberg, Steven King, John Carpenter, Horrorfilme
Arbeit zitieren
Alina Behnen (Autor:in), 2020, Die Funktion intertextueller Bezüge in der Netflix-Serie "Stranger Things", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1061017

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