Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
1. Rückblick
1.2. Entwicklung des Agenda-Setting-Ansatzes
1.3. Die Chapel-Hill-Studie
2. Komponenten des Agenda-Setting-Ansatzes
3. Wirkungsmodelle
3.2. Awareness-Modell
3.3. Salience-Modell
3.4. Prioritätsmodell
4. Typologie des Agenda-Setting-Ansatzes
5. Intervenierende Variablen
5.1. Zeitrahmen
5.2. Medien
5.3. Themeneigenschaften
5.4. Medie nnutzung
5.5. Orientierungsbedürfnisse des Rezipienten
5.1. Interpersonale Kommunikation
5.2. Umweltbedingungen
6. Agenda-Setting-Forschung
1. Kritik
2. Perspektiven
Literaturverzeichnis
Vorwort
Der Agenda-Setting-Ansatz schreibt sich die Aufgabe zu, einen Kausalzusammenhang zwischen der Themenauswahl der Medien und den Prioritäten ihrer Rezipienten festzustellen. In der Agenda-Setting-Forschung möchte man die Frage beantworten, ob die bevorzugte Behandlung bestimmter Themen in den Medien dazu führt, daßdie Rezipienten diese Themen für wichtiger halten als andere.1
Im Rahmen dieser Arbeit werde ich die Grundgedanken dieses Ansatzes darstellen und einen Überblick über Ziele, Methoden und Ergebnisse des Agenda-Setting-Ansatzes geben. Zu erklären ist auch, warum es trotz der vielen Studien auf diesem Gebiet den Forschern nicht gelungen ist, das Agenda-Setting-Konzept zu einer eigenständigen Theorie zu entwickeln; darüber hinaus ist zu verdeutlichen, welche Mängel dieses Konzept hat und was in der Literatur zur Klärung dieser Mängel vorgeschlagen wird.
Einleitung
Der Prozeßdes Agenda-Setting wird definiert als eine stetige Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Themen, um die Aufmerksamkeit der Medien, des Publikums und der Politik zu bekommen.2 Auf Deutsch kann man Agenda-Setting-Prozeßals Themenstrukturierung beschreiben. Der Ansatz des Agenda-Setting liefert die Erklärung, warum Informatione n über bestimmte Themen und nicht über andere Themen dem Publikum zur Verfügung gestellt werden. Er beschreibt die Bildung der öffentlichen Meinung und beantwortet die Frage, warum bestimmte Themen mehr Aufmerksamkeit des Publikums bekommen als andere bzw. warum bestimmte Themen von der Politik berücksichtigt werden, während andere vernachlässigt werden.
Der Kerngedanke des Konzepts des Agenda-Setting basiert auf der Annahme, daßdie Themenwahl der Medien Einflußnimmt auf die Prioritäten ihrer Rezipienten. Über ihre reine Vermittlungsfunktion hinaus wird den Medien noch eine andere Funktion zugeschrieben. McCombs und Shaw beschrieben diese Funktion wie folgt: ,,While the mass media may have little influence on the direction or intensity of attitudes, it is hypothesized that the mass media sets the agenda for each political campaign, influencing the salience of attitudes towards the political issues."3
Der Agenda-Setting-Ansatz analysiert die Wirkung der Medien auf ihre Rezipienten von einem ganz neuen Blickwinkel. Im Gegensatz zum bis in die 70er Jahre vorherrschenden Persuasions-Modell steht im Zentrum der Agenda-Setting-Überlegung nicht mehr die Frage, ob die Medien die Einstellung und das Verhalten der Menschen beeinflussen, sondern wie die Medien den Grad der Wichtigkeit, der einem Thema in der öffentlichen Diskussion zugemessen wird, beeinflussen.4
In diesem Zusammenhang beschreibt Schenk die Funktion des Agenda-Setting als ,,die Fähigkeit der Massenmedien, das Wissen und Denken des Publikums zu strukturieren und auch Wandlungsprozesse in den Kognitionen zu bewirken."5
1. Rückblick
1.1. Die Entwicklung des Agenda-Setting-Ansatzes
Der Anstoßzur Agenda-Setting-Überlegung wird in der Sekundärliteratur zeitlich unterschiedlich angesetzt. McLeod, Becker und Byrnes führen den Agenda-Setting-Ansatz auf Walter Lippmann (1922) zurück. In seiner ,,Pictures in our head"-These schreibt er den Medien die Aufgabe zu, eine Art Landkarte für die Menschen zu basteln, die ein vereinfachtes Bild der komplexen Umwelt darstellt.6 Cohen erweiterte diese Überlegung und stellte eine These auf, die heute als der Ausgangspunkt der Agenda-Setting-Forschung gilt: ,,The press is significantly more than a purveyor of information. It may not be successful much of the time in telling people what to think, but it is stunningly successful in telling its readers what to think about".7
Es waren jedoch die beiden Kommunikationsforscher McCombs und Shaw, die den wirklichen Anstoßzur Agenda-Setting-Forschung gaben. Sie gelten heute als Vorreiter der Agenda-Setting-Studien. Es war ihre berühmte Chape-Hill-Studie, die den Gedanken der kognitiven Medienwirkung eröffnete, welcher die bis dahin herrschende Vorstellung von schwacher bzw. fehlender Medienwirkung revidierte.8 Die beiden Forscher bezogen sich auf die Aussagen von Lang und Lang, daß,,(...)die Massenmedien fortlaufend Objekte präsentieren, die vorschlagen, worüber die Individuen der Masse denken und etwas wissen bzw. fühlen sollen"9.
1.2. Die Chapel-Hill-Studie
Ziel dieser Studie war es, die Wirkung der Medien durch ihre Themenauswahl auf die Wähler und ihre Wahl bei der Präsidentschaftswahl im Jahre 1972 zu erforschen. Dies sollte erreicht werden durch einen Vergleich zwischen den Themen, mit denen die Medien sich in dieser Zeit beschäftigten, und den Themen, die die Wähler in den Kampagnen für wichtig hielten. Einhundert zufällig ausgewählte Bewohner der Stadt Chapel Hill wurden danach befragt, was sie - unabhängig davon, was die Kandidaten sagten - für wichtige Themen hielten. Es wurde zwischen entschlossenen und unentschlossenen Wählern unterschieden. Nur die unentschlossenen Wähler wurden weiter befragt. Man führte gleichzeitig eine Analyse der Medien durch, die diese Befragten bedienten. Folgende Medien kamen in Betracht: Die Tageszeitungen Durham Morning Herald, Durham Sun, Raleigh News, Observer, Releigh Times, New York Times, die Magazine Time und Newsweek sowie die Nachrichtensender NBC und CBC.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung wurden in mehreren Tabellen dargestellt, wobei man zwischen major und minor items unterschied.
Die Ergebnisse zeigten eine Korrelation zwischen den in den Medien behandelten major items und den nach dem Urteil der Befragten wichtigen Themen von 0,976. Bei den minor items war dies 0,979. McCombs und Shaw fassen dies zusammen: ,,In short the data suggests a very strong relationship between the emphasis placed on different campaign issues by the media (reflecting to a considerable degree the emphasis of the candidates) and the judgment of the voters as to the salience and importance of various campaign topics."10
Sie weisen darauf hin, daßdie hohe Korrelation eine Bedingung dafür ist, daßein AgendaSetting-Prozeßstattfindet, aber keine hinreichende Bedingung ist für einen kausalen Zusammenhang.11
Der Chapel-Hill-Studie wird eine enorme Bedeutung zugeschrieben; sie bleibt jedoch nicht ohne Kritik. Ehlers weist auf die methodischen Mängel hin wie zu kleines Wählersample, keine Erhebung über die Mediennutzung, Vergleich mit aggregierten statt individuellen Daten.12 Die Studie von McCombs war eine Querschnittsstudie, d.h. es wurde ein Vergleich der Themenrangfolge der Medien mit der des Publikums zu einem bestimmten Zeitpunkt durchgeführt. Brosius weist darauf hin, daßes daher nicht möglich ist, die Richtung des Zusammenhangs zwischen der Medienagenda und der Rezipientenagenda festzustellen.13
Die Chapel-Hill-Studie ist laut Ehlers trotz der genannten Mängel eine sehr fruchtbare Pilotstudie.14
2. Die Komponenten des Agenda-Setting-Prozesses
Dearing unterscheidet zwischen drei Komponenten, die den Prozeßdes Agenda-Setting beeinflussen:
1) die Medien
2) das Publikum
3) die Politik.
Zwischen diesen drei Komponenten existieren Interdependenzbeziehungen. Aus der Interaktion zwischen diesen Komponenten ergeben sich drei Agenda-Setting-Formen. Das folgende Schaubild soll dies verdeutlichen:
Einflußfaktoren
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Matrix der Agenda-Setting-Prozesse (nach Rössler, S.32)
Eine detaillierte Betrachtung der einzelnen oben genannten Agenda-Setting-Formen und deren Zusammenwirken würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ich werde mich nur auf das Media -Agenda-Setting beschränken, da die Wirkung der Medien auf ihre Rezipienten die zentrale Überlegung des Agenda-Setting-Ansatzes ist. Fest steht aber, daßzwischen den drei Akteuren eine wechselseitige Abhängigkeit besteht, der sich keine der beteiligten Institutionen entziehen kann.15
Eine solche Differenzierung könnte auch dazu beitragen, die Beziehungen zwischen den Medien und der Politik weiter aufzuarbeiten.16
3. Wirkungsmodelle
Zur Erklärung der kausalen Zusammenhänge zwischen der Medien-Agenda und der Agenda ihrer Rezipienten unterscheidet McCombs drei Wirkungsmodelle17:
3.1. Awareness-Modell
In diesem Modell wird unterstellt, daßdie Rezipienten die Themenrangfolge der Medien spiegelbildlich übernehmen. Das Verhältnis der Themen zueinander und die Wichtigkeit der Themen werden in diesem Modell nicht angesprochen.
3.2.Das Salience -Modell
erweitert das Awareness-Modell, indem es den Grad der Zuschreibung von Wichtigkeit als inhaltlichen Aspekt in die Annahme integriert. Die Wichtigkeit der einzelnen Themen für die Rezipienten wird in diesem Modell berücksichtigt; das Verhältnis zwischen den Themen untereinander bleibt jedoch außer acht.
3.3. Prioritätsmodell
In diesem Modell kommen nicht nur die Aspekte der Themenwichtigkeit, sondern auch der Relation untereinander in Betracht. ,,Im Unterschied zu den beiden zuvor dargestellten Positionen formuliert dieses Modell also eine Hypothese über die Beziehung zwischen den einzelnen Themen."18
4. Typologie des Agenda-Setting-Ansatzes
Je nachdem, ob man in einer Analyse individuelle Daten oder aggregierte Daten und ein Thema oder mehrere Themen untersucht, unterscheidet man nach der sogenannten AcapulcoTypologie zwischen vier Kategorien:
1) Strukturaggregatanalyse:
Untersuchung von mehreren Themen basiert auf aggregierten Daten.
2) Strukturindividualanalyse:
Untersuchung von mehreren Themen in Bezug auf individuelle Daten.
3) Themenaggregatanalyse:
Untersuchung eines Themas mit Hilfe von aggregierten Daten.
1) Themenindividualanalyse:
Analyse eines Einzelthemas in Bezug auf Individualdaten.19
5. Intervenierende Variablen
Außer den oben genannten Variablen werden in der Literatur viele andere intervenierende Variablen erwähnt, die darauf Einflußnehmen, wie der Prozeßdes Agenda-Setting verläuft. Im folgenden werde ich die wichtigsten dieser Variablen nennen und kurz erläutern.
5.1. Zeitrahmen
Agenda-Setting-Effekte werden als kumulative Wirkung von Medienaussagen betrachtet.20 Ohne die Berücksichtigung des Zeitfaktors ist die Richtung des Zusammenhangs nicht feststellbar. Studien, die den Zeitfaktor nicht berücksichtigen, werden Querschnittsstudien genannt. Ein Beispiel für eine solche Querschnittsstudie war die Chape-Hill-Studie von McCombs und Shaw. Mit Querschnittsstudien läßt sich die dynamische Struktur des Agenda- Setting-Prozesses nicht nachvollziehen, denn die zeitliche Struktur bzw. die Zeitverzögerung zwischen Veränderungen in den Berichterstattungen und Veränderungen in der Themastruktur bei den Rezipienten können nicht beschrieben werden.21 Der Zeitfaktor wird in folgender Hinsicht unterschieden22:
1) der zeitliche Rahmen der Untersuchung;
2) der Abstand der Messung von Medien- und Publikums-Agenda;
3) die Dauer der Medien-Agenda;
4) die Dauer der Publikums-Agenda;
5) die Zeitspanne der optimalen Anpassung von Medien- und Publikums- Agenda
Eine eindeutige Klarheit über die Richtung der Wirkung oder der kausalen Zusammenhänge läßt sich mit Hilfe der Cross-lagged Korrelation feststellen23:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Eine Medienwirkung auf die Themenpriorität des Publikums gilt dann als erfüllt, wenn die Medien-Agenda X1 zum Zeitpunkt t1 mit der Publikums-Agenda Y2 zum Zeitpunkt t2 höher korreliert als die Medien-Agenda X1 zum Zeitpunkt t2 mit der Publikums-Agenda Y1 zum Zeitpunkt t1. Es ist jedoch festzustellen, daßkein ,,richtiger" Zeitrahmen sich bestimmen läßt, der für alle einzelnen Themen und ihre Übernahme durch das Publikum gilt, denn ,,(...) jedes Thema hat seine eigene Karriere und gelangt unterschiedlich rasch in die Schlagzeilen."24
5.2. Medien
Die Nutzung bestimmter Medien nimmt Einflußauf die Themenstruktur des Nutzers. Die Glaubwürdigkeit bestimmter Medien im Vergleich zu anderen spielt eine Rolle dabei, wie stark der Agenda-Setting-Effekt sich auswirkt. Das Fernsehen z.B. wird in der BRD als das glaubwürdigste Medium eingeschätzt.25 Bei Personen, die das Fernsehen generell als zuverlässigste und sorgfältigste Informationsquelle bezeichneten, zeigten sich bei einer Untersuchung von verschiedenen Fernsehstationen in den USA stärkere Agenda-Setting- Effekte.26
In diesem Zusammenhang beschreibt McCombs die Rolle des Fernsehens als kurzfristigen Scheinwerfereffekt, während der Zeitung ein langfristiger Agenda-Setting-Effekt eingeräumt wird. Die Rolle der beiden Medien im Agenda-Setting-Prozeßwird von McCombs wie folgt beschrieben: ,,The basic nature of the Agenda seems often to be set by the newspapers, while television primarily reorders or re-arranges the top items of the Agenda."27
5.3. Themen
Außer den Medien wird beim Agenda-Setting-Prozeßauch der Aspekt der Themeneigenschaft berüc ksichtigt. Man unterscheidet zwischen aufdringlichen und unaufdringlichen Themen. Aufdringliche Themen sind solche, die der Einzelne direkt und persönlich erfahren kann, z.B. Preissteigerung. Unaufdringliche Themen liegen im allgemeinen außerhalb der eigenen Reichweite und sind daher die Domäne der Massenmedien, z.B. internationale Beziehungen.28 Rössler unterscheidet zwischen Themeneigenschaften wie Personalisierung, räumliche Nähe, Konflikte, Negativismus, Überraschung und Eindeutigkeit als Charakteristika, die das Auftreten von Agenda-Setting- Mechanismen beeinflussen.29
Unaufdringliche Themen weisen einen höheren Agenda-Setting-Effekt als aufdringliche Themen auf. Dies liegt daran, daßdie Rezipienten keine Möglichkeit haben, von solchen unaufdringlichen Themen zu erfahren. Sie verlassen sich deshalb auf Informationen aus zweiter Hand, die in der Regel durch Medien vermittelt werden. Diese Hypothese wird von Zucker in seinen empirischen Tests für alle Themen, die er untersuchte, bestätigt.30
Seitens der Rezipienten gibt es auch intervenierende Variablen, die den Prozeßdes AgendaSetting beeinflussen. Die in der Literatur meist genannten Variablen sind
1) Mediennutzung,
2) Interpersonelle Kommunikation und
3) Orientierungsbedürfnisse des Rezipienten.
5.4. Mediennutzung
Die Kernaussage der Mediennutzung ist, daßmit steigendem Medienkonsum auch der Agenda-Setting-Effekt steigt.31 Ehlers setzt die Mediennutzung für das Auftreten des Agenda- Setting-Effekts voraus. Nach Schenk ist Mediennutzung eine notwendige Voraussetzung für kummulative Agenda-Setting-Effekte.32 Rössler kritisiert eine undifferenzierte Adaption dieser Annahme.
Er sagt, ,,(...) daßsich Fernsehzuschauer und Leser von Tageszeitungen erwiesenermaßen hinsichtlich ihres Mediennutzungsprofils und ihrer Persönlichkeitsmerkmale unterscheiden, was ebenfalls zu einer Variation der Agenda-Setting-Effekte beitragen kann."33
5.5. Orientierungsbedürfnisse des Rezipienten
Die Nutzungsmotive der Rezipienten rücken bei diesem Konzept in das Zentrum der Fokussierung. Laut diesem von McCombs und Weaver entwickelten Konzept führt ein hohes Orientierungsbedürfnis zu verstärkter Mediennutzung und demzufolge zu einem ausgeprägteren Agenda-Setting-Effekt.34 Diesem Konzept liegt die Uses and- gratificationsapproach zugrunde und geht von einer aktiven Rolle des Rezipienten aus.35 Das Konzept der Orientierungsbedürfnisse wird durch zwei weitere Variablen determiniert: 1)
Bedeutsamkeit (Relevance) der Information für den Rezipienten, und 2) den Grad der Unsicherheit (Incertainty) und den Gegenstand der Aussage.36
5.6. Interpersonelle Kommunikation
Die Effekte der Interpersonellen Kommunikation auf den Agenda-Setting-Prozeßwerden in der Literatur nicht einheitlich dargestellt.. Rössler geht davon aus, daß
1) die soziale Nützlichkeit für antizipierte Diskussionen,
2) die Determination der Inhalte von Gesprächen und
3) die Veränderung aufgrund tatsächlicher Diskussionen der interpersonealen Kommunikation einen erheblichen Einflußauf das Auftreten von AgendaSetting-Effekten zuweisen."37
Obwohl Schenk dieser Annahme zustimmt, sagt er, daß,,aber auch das Gegenteil denkbar und plausibel" sei, daß,,Partizipation am interpersonalen Netzwerk negativ mit der Modellbildung der Medien korreliert."38
Um diese Divergenz zu überbrücken, schlägt Rössler den Einsatz eines Komplementaritätsmodells oder eines Verstärkermodells vor.39
5.7. Umweltbedingungen
Man unterscheidet zwischen den Realitätsindikatoren (Real world indicators) und persönlicher Erfahrung als Faktoren der Umweltbedingungen.
Als Realitätsindikatoren werden jene Faktoren bezeichnet, die die wirklichen Gegebenheiten oder Tatsachen repräsentieren. Ein Realitätsindikator könnten z.B. die Geburtszahlen oder die Zahl der Gewalttaten sein. Sie stellen eine objektives Vergleichsmaßdar. Diese statistischen Kennzahlen stehen nach empirischen Agenda-Studien in keinem Zusammenhang oder gar in einem negativen Zusammenhang mit der Agenda. Funkhouser stellte in seiner Längsschnittuntersuchung keinen nennenswerten Zusammenhang zwischen den statistischen Kennzahlen und den erhobenen Agenden fest.40
,, The correlations between news coverage and public opinion in the high influence cases cannot be readily explained (...) as the result of `reality' causing both coverage and opinion."41
Bei der persönlichen Erfahrung wird der Aspekt der Betroffenheit angesprochen. Wie wichtig ein bestimmtes Thema für eine Person ist, hängt davon ab, wie sehr sie betroffen ist. Das Thema Arbeitslosigkeit z.B. wird nach Untersuchungen von Erbring, Goldberg und Miller nur von Personen als wichtig eingestuft (und aus den Medien übernommen), die direkt (in Familie oder Nachbarschaft) von Arbeitslosigkeit betroffen sind.42 Ehlers spricht hier von Themensensibilisierung der Mediennutzer.
6. Agenda-Setting-Forschung
Das Konzept, das von McCombs und Shaw in ihrer Chape-Hill-Studie verwendet wird, stießauf Kritik, weil verschiedene Aspekte nicht berücksichtigt worden waren.43 In der Literatur werden unterschiedliche Modelle vorgestellt, die es anstreben, die Vielzahl von Variablen zu berücksichtigen. Welches Konzept ein Agenda-Setting-Forscher zu Grunde legt, hängt letztendlich von einer Vielzahl von Faktoren und Variablen ab. Man mußsich entscheiden, ob man anhand von individuellen oder aggregierten Daten eine Analyse durchführt und ob man ein Thema oder mehrere Themen untersucht. Hier schlägt Rössler vor, Agenda-Setting als individuellen Medieneffekt aufzufassen: ,, Agenda-Setting ist als individueller Medieneffekt formuliert, der Wirkungen der individuell wahrgenommenen Medieninhalte auf die individuelle Zuweisung von Wichtigkeit postuliert."44
Medienagenda wird in der Regel durch eine Inhaltsanalyse ermittelt. Man mußhier über die Zahl der Medien entscheiden, d.h. ob man nur wenige Medien oder viele Arten von Medien berücksichtigt. Weiterhin mußüber das Design entschieden werden - Querschnitt, mehrere unterschiedliche Wellen, Panel oder Längsschnitt. Über die herrschende Uneinheitlichkeit klagt Ehlers: ,,Die Anzahl der Kategorien schwankt stark von Untersuchung zu Untersuchung, denn nicht immer wollen die Wissenschaftler die gesamte politische Themenstruktur der Medienaussage mit der des Publikums vergleichen."45
Es gibt auch bei der Ermittlung der Publikumsagenda einen großen Entscheidungsspielraum. Rössler formuliert eine Reihe von Entscheidungen, die bei der Messung der Publikumsagenda getroffen werden müssen. Er unterscheidet bei Publikumsumfragen z.B. zwischen offenen und geschlossenen Antworten oder iener Kombination der beiden bei der Antwortvorgabe46. Die Bedeutung dieses Aspektes wird nach der Meinung von Ehlers überschätzt. Sie unterscheidet zwischen interpersonaler, intrapersonaler und der wahrgenommenen Wichtigkeit der politischen Themen.47 Bei der Befragung nach der Wichtigkeit der politischen Themen wird meist die von Gallop formulierte Fragestellung verwendet: ,,What do you think is the most important problem facing America?" Ehlers zweifelt an der Aussagefähigkeit dieser Formulierung.48
7. Kritik
Aufgrund der oben genannten Uneinheitlichkeit und des großen Entscheidungsspielraums ist es schwierig, den Agenda-Setting-Ansatz zu einem Modell zu entwickeln. ,,Insofern tragen die vielen Studien und theoretischen Konzepte eher zur Verwirrung als zur Klärung dieses Forschungsansatzes bei."49 In der Agenda-Setting-Forschung fehlt es an einheitlichen Begriffsunterscheidungen, klagt Ehlers. Der Begriff issue z.B. kann unterschiedlich definiert werden. Obwohl die Zahl der Studien in diesem Bereich im Laufe der Zeit deutlich gestiegen ist (sie liegt bei 200)50, ist es nicht gelungen, den Agenda-Setting-Ansatz als ein Thema zu etablieren.
Als Ursache für die mangelhafte Theoriebildung des Agenda-Setting-Ansatzes nennt Brosius drei Faktoren:
1) Schwache Datenbasis der meisten Studien
- kurzer Zeitraum der Untersuchung
- kleines und von Studie zu Studie unterschiedliches Spektrum führt zu Unvergleichbarkeit der Studien
- eingeschränkte Möglichkeit, intervenierende Variablen auf Rezipienten- und Medienseite zu identifizieren wegen Aggregation der Daten, die die Stärke und Richtung des Agenda-Setting-Prozesses modifizieren können
- die Benutzung von Sekundärdaten statt Primärdaten aus Kostengründen; dies führt dazu, daßdie Anzahl der Themen, der erhobenen intervenierenden Variablen und das Aggregierungsniveau drastisch sinkt
2) Methodische Probleme
- die Verwendung von einfachen Korrelations- und Regressionsverfahren wegen der geringen Anzahl der Meßzeitpunkte und des geringen Aggregierungsniveaus; dies erschwert eine theoretische Differenzierung des Agenda-Setting-Ansatzes
- einfache univariate Analyse hat zur Folge, daßdie Richtung der Thematisierung sich nicht bestimmen läßt
- Verfahren ist ungeeignet für die Bestimmung von Kausalität in der einen oder anderen Richtung
3) Konzeptionelle Schwäche
- die Abhängigkeit von Sekundärdaten hat zur Folge, daßz.B. bei Zeitreihen der Wortlaut der Fragen nicht identisch ist
- der Zeitpunkt der Befragung entspricht nicht den sachlichen Gegebenheiten
- variierende Themenliste und ungleiche Zeitabstände
,, Deshalb hat die Agenda-Setting-Forschung mit einer Vielzahl von Problemen zu kämpfen, die nicht auf den theoretischen Annahmen des Ansatzes, sondern auf den Voraussetzungen der Forschung beruhen."51
8. Perspektiven
Trotz der Vielzahl von Mängeln, unter denen der Agenda-Setting-Ansatz leidet, meint Ehlers, daßer zweifellos auch für die BRD ein vielversprechendes Konzept der Medienwirkungsforschung darstellt, das aus der Sackgasse der Fixiertheit auf unmittelbare Meinungs- und Verhaltensbeeinflussung hinaushilft.52
Es ist notwendig, daßmehr verfeinerte Modelle entwickelt werden. Dearing und Rogers schlagen vor, eine Kombination von unterschiedlichen Forschungsverfahren einzusetzen. ,,(...) argue for the strategic combination of different research methods that vary in their type of inherent bias."53
Die Erforschung des Agenda-Setting-Prozesses ist heute immer noch nicht vervollständigt. Roberts und Bachen stellen fest, daßdie Agenda-Setting-Hypothese keine adäquate Überprüfung erfahren hat: weder läge ,,(...) eine ausreichende Konzeptionierung und Operationalisierung des Schlüsselkonzepts vor, noch seien die Forschungsdesigne für die Überprüfung kausaler Zusammenhänge geeignet."54
Brosius beschreibt die Agenda-Setting-Theorie wie folgt: ,,Die Medienagenda beeinflußt die Rezipientena genda für einige Rezipienten, für andere nicht; bei einigen Themen, bei anderen nicht; zu einigen Zeitpunkten, zu anderen nicht."55 Diese Beschreibung von Agenda-Setting scheint mir sehr allgemein und nicht aussagekräftig zu sein.
Dies bestätigt Brosius selbst, indem er das Konzept des Agenda-Setting als zu allgemein und unspezifisch beschreibt. Er meint, daßdas Konzept ,,(...) als ein Vehikel angesehen wird, um eine Studie über den Zusammenhang zwischen Berichterstattung und öffentlicher Meinung unter einem allgemeinen Kennwort zu publizieren."56
Wie Ehlers argumentiert, geht es in der Agenda-Setting-Forschung nicht darum, ein perfektes Design zu entwickeln, sondern es müssen Kriterien gefunden werden, die es dem Forscher ermöglichen, die seiner Fragestellung von den sachlichen Gegebenheiten her am besten entsprechenden Methoden auszuwählen.57
Literaturverzeichnis
BROSIUS, Hans-Bernd: Agenda-Setting nach einem Vierteljahrhundert Forschung: Methodischer und theoretischer Stillstand?, in: Publizistik (39) 1994
DEARING, James W. / ROGERS, Everett M.: Agenda Setting, Thousand Oaks, London und New Delhi 1996
EHLERS, Renate: Themenstrukturierung durch Massenmedien. Zum Stand der empirischen Agenda-Setting-Forschung, in: Publizistik (28) 1983
EICHHORN, Wolfgang: Agenda-Setting-Prozesse. Eine theoretische Analyse individueller und gesellschaftlicher Themenstrukturierung, München 1996
McCOMBS, Maxwell / SHAW, Donald: Mass Communication in Political Campaigns: Information, Gratification, and Persuasion. In: KLINE, F.G. / TICHENOR, P. (Hrsg.): Current Perspectives in Mass Communication Research, Beverly Hills und London 1972 dies.: Agenda-Setting Function of the Mass Media. In: Public Opinion Quarterly (36) 1972
RÖSSLER, Patrick: Agenda-Setting. Theoretische Annahmen und empirische Evidenzen einer Medienwirkungshypothese, Opladen 1997
SCHENK, Michael: Medienwirkungsforschung, Tübingen 1987
[...]
1 Vgl. EICHHORN, Wolfgang: Agenda-Setting-Prozesse. Eine theoretische Analyse individueller und gesellschaftlicher Themenstrukturierung, München 1996, S. 9
2 Vgl. DEARING, James W. / ROGERS, Everett M.: Agenda-Setting, Thousand Oaks, London und New Delhi 1996, S. 1f.
3 McCOMBS, Maxwell / SHAW, Donald: Mass Communication in Political Campaigns: Information, Gratification, and Persuasion. In: KLINE, F.G. / TICHENOR, P. (Hrsg.): Current Perspectives in Mass Communication Research, Beverly Hills und London 1972, S. 177
4 Vgl. RÖSSLER, Patrick: Agenda-Setting. Theoretische Annahmen und empirische Evidenzen einer Medienwirkungshypothese, Opladen 1997, S. 17
5 SCHENK, Michael: Medienwirkungsforschung, Tübingen 1987, S. 195
6 Vgl. RÖSSLER, Patrick: a.a.O., S. 23
7 EICHHORN, Wolfgang: a.a.O., S. 9
8 Vgl. BROSIUS, Hans-Bernd: Agenda-Setting nach einem Vierteljahrhundert Forschung: Methodischer und theoretischer Stillstand?, in: Publizistik (39) 1994, S. 269
9 SCHENK, Michael: a.a.O., S. 196
10 McCombs, Maxwell / SHAW, Donald: The Agenda-Setting Function of Mass Media. In: Public Opinion Quarterly (36) 1972
11 Vgl. EHLERS, Renate: Themenstrukturierung durch Massenmedien. Zum Stand der empirischen Agenda-Setting-Forschung, in: Publizistik (28) 1983, S. 167
12 Vgl. EHLERS, Renate: a.a.O.
13 Vgl. BROSIUS, Hans-Bernd: a.a.O., S. 273
14 Vgl. EHLERS, Renate: a.a.O., S. 167
15 Vgl. RÖSSLER, Patrick: a.a.O., S. 37
16 Vgl. BROSIUS, Hans-Bernd: a.a.O., S. 276
17 EHLERS, Renate: a.a.O., S. 169
18 RÖSSLER, Patrick: a.a.O., S.95
19 Vgl. ebd.
20 Vgl. EHLERS, Renate: a.a.O., S. 181
21 Vgl. BROSIUS, Hans-Bernd: a.a.O., S. 273
22 EICHHORN, Wolfgang: a.a.O., S. 49
23 Vgl. SCHENK, Michael: a.a.O., S. 201f.
24 EHLERS, Renate: a.a.O., S. 181
25 Vgl. RÖSSLER, Patrick: a.a.O., S. 149
26 Vgl. ebd.
27 Vgl. SCHENK, Michael: a.a.O., S. 209
28 Vgl. EHLERS, Renate: a.a.O., S. 177
29 Vgl. RÖSSLER, Patrick: a.a.O., S. 155
30 Vgl. RÖSSLER, Patrick, a.a.O., S. 159
31 Vgl. ebd., S. 177
32 Vgl. SCHENK, Michael: a.a.O., S. 198
33 RÖSSLER, Patrick: a.a.O., S. 177
34 Vgl. EHLERS, Renate: a.a.O., S. 178
35 Vgl. RÖSSLER, Patrick: a.a.O., S.178
36 Vgl. EHLERS, Renate: a.a.O., S. 223
37 RÖSSLER, Patrick: a.a.O., S. 190
38 SCHENK, Michael: a.a.O., S. 227
39 Vgl. RÖSSLER, Patrick: a.a.O., S. 201
40 Vgl. RÖSSLER, Patrick: a.a.O., S. 166
41 Vgl. RÖSSLER, Patrick: a.a.O., S. 167
42 Vgl. EHLERS, Renate: a.a.O., S. 179
43 Vgl. BROSIUS, Hans-Bernd: a.a.O., S. 273
44 RÖSSLER, Patrick: a.a.O., S. 203
45 EHLERS, Renate: a.a.O., S. 173
46 Vgl. RÖSSLER,Patrick: a.a.O., S. 207
47 Vgl. EHLERS, Renate: a.a.O., S. 173
48 ebd.
49 ebd., S. 169
50 Vgl. BROSIUS, Hans-Bernd: a.a.O., S. 276
51 BROSIUS, Hans-Bernd: a.a.O., S. 277
52 Vgl. EHLERS, Renate: a.a.O., S. 182
53 DEARING, James W. / ROGERS, Everett M.: a.a.O., S. 9
54 EICHHORN, Wolfgang: a.a.O., S. 63
55 BROSIUS, Hans-Bernd: a.a.O., S. 278f.
56 ebd.
57 Vgl. EHLERS, Renate: a.a.O., S. 182
- Arbeit zitieren
- Alvin Mosioma (Autor:in), 2000, Agenda-Setting-Forschung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106163