Der Versailler Vertrag und seine Bedeutung für die Zwischenkriegszeit in Europa


Facharbeit (Schule), 1997

25 Seiten, Note: 12 Punkte


Leseprobe


1. Einleitung

Vor achtzig Jahren tagte in Paris die Friedenskonferenz, die nach dem Ersten Weltkrieg über die künftige internationale Ordnung beraten sollte.

„Was wir suchen, ist die Herrschaft des Rechtes, gegründet auf die Zustimmung der Regierten und gestützt durch die organisierte Meinung der Menschheit “1 so das Zitat des amerikani- schen Präsidenten Woodrow Wilson während der Konferenz der Liquidation des Ersten Welt- krieges. Behandeln möchte ich in meinen nachfolgenden Untersuchungen die Friedenskonfe- renz von Versailles, ihren Ablauf und die resultierenden Ergebnisse für die europäische Poli- tik sowie die weiteren Entwicklungen in den internationalen Beziehungen zu dieser Zeit.

„Der Friede, und zwar eine neue Art des Friedens, war nötig. Denn der Krieg hatte die klassischen Maßstäbe zerstört und neue gesetzt. Traditionelle Vorstellungen mußten angesichts der verheerenden Materialschlachten an den Fronten fragwürdig werden. Auf die neue Art des Krieges sollte eine andere, dauerhafte Friedensordnung folgen. Zwischen 5 1919 und 1939 versuchte Europa noch einmal Weltpolitik zu betreiben, identifizierten die Staatsmänner europäische mit Weltgeschichte: Europa sollte bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges politisches Zentrum der Welt sein.“2

Hier werden bereits zentrale Aspekte meiner Untersuchungen angesprochen. Die Problemund Aufgabenstellung umfaßt sowohl die Analyse und Bewertung der ‚anderen, dauerhaften Friedensordnung‘ (Z.4) als auch die Beschreibung der ‚neuen Art des Friedens‘ (Z.1) nach Ende des Ersten Weltkrieges. Anlaß zur Diskussion wird die Verwendung des Wortes Frieden geben. Konnte man von einem europäischen Frieden durch Versailles reden ?

Zeitlich begrenze ich meine Untersuchung zu dieser Frage bis in das Jahr 1925, einen Zeit- raum, der mit der Analyse der Locarno- Ära enden wird. Bisweilen ist allerdings ein Ausblick in die nachfolgende Zeit unumgänglich. Ich konzentriere mich bei meinen Bearbeitungen der Versailler Nachkriegsordnung (auf der Grundlage des Vertragswerkes) auf das Verhältnis der europäischen Mächte untereinander, wobei die Beziehung zwischen Deutschland und Frank- reich einen Schwerpunkt einnehmen wird. Das Problem der weiterhin unterschiedlichen Inte- ressen, Befürchtungen und Ziele der europäischen Staaten werde ich am Beispiel der Konfe- renzen von Rapallo und Locarno aufzeigen. Nicht aufbereitet werden das explizite Verhalten der Amerikaner und der Sowjets, den späteren Supermächten, da die Aufgabenstellung Schwerpunkte auf den europäischen Raum setzt.

Methodisch wird der erste Teil der Arbeit, gemeint ist Inhalt und die Entstehung des Versail- ler Vertrages, eine reproduktive Materialuntersuchung sein. Hierzu werde ich Informationen und Fakten aus meiner vorliegenden Literatur verarbeiten. Der zweite Teil wird das resultie- rende Versailler System im Umfeld der europäischen Nachkriegsordnung analysieren. Dieser Teil liegt wiederum meiner Sekundärliteratur zugrunde, doch werde ich versuchen auf der Grundlage von Zitaten von Historikern und Zeitzeugen ein differenziertes Bild der euro- päischen Friedensordnung zu geben.

Schlußendlich erfolgt eine Zusammenfassung und Beurteilung meiner Untersuchungen. Hierbei wird auch ein Ausblick in die Zukunft gegeben, um meine Bearbeitungen in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang zu stellen.

2. Der Versailler Vertrag

2.1 Die Entstehung des Versailler Vertrages

Das entscheidende Signal zur Beendigung des Ersten Weltkrieges gab die deutsche Reichslei- tung, indem sie den amerikanischen Präsidenten Wilson im Oktober 1918 um die Vermittlung eines Waffenstillstandes und Anbahnung von Friedensverhandlungen auf der Grundlage sei- nes eigenen Friedensprogramms ersuchte. Sie tat dies unter dem Eindruck der militärischen Bankrotterklärung, welche die Oberste Heeresleitung am 26. September 1918 bekanntgegeben hatte. Der vorgesehene Schlieffenplan1 war damit ebenfalls gescheitert. Die deutsche Anru- fung bei Wilson kam daher nicht von ungefähr, hatte dieser doch am 8. Januar 1918 ein Frie- densprogramm in Form von „ Vierzehn Punkten “ verkündet, welches sich in der Anlage wie- derfinden läßt.

Im Wald von Compiègne diktierte der französische Marschall Foch dann die Bedingungen, die den Deutschen einen echten Vorgeschmack von den bevorstehenden Friedensverhandlungen geben sollte.

Dieser Waffenstillstand war der Auftakt der Verhandlungen der Völker und Staaten, deren Vertreter sich am 18.Januar 1919 nach einer Geheimkonferenz, die zwischen Lloyd George und Clemenceau stattgefunden hatte, im Spiegelsaal zu Versailles versammelten. Die Konferenzen für eine Neuordnung Europas hatten begonnen.

70 Delegierte von 27 Siegerstaaten ohne einen Vertreter des Deutschen Reiches saßen unter dem Vorsitz Lloyd Georges, Clemenceaus und Wilsons über die Deutschen, die sie als am Kriege hauptschuldig ansahen, zu Gericht.

2.2 Französische, britische und amerikanische Ziele

Frankreich hatte sich vorweg nach außen hin am wenigsten festgelegt. Intern gab es ein weites Spektrum an Wünschen, und immerhin, nachdem einmal der Waffenstillstan geschlossen war, hielt Frankreich gegenüber seinen Verbündeten mit seinen Wünschen nicht mehr hinter dem Berge. Daß es eine Rückkehr von Elsaß-Lothringen nach Frankreich fordern würde, war zu erwarten. Gleiches galt für das Verlangen nach einer umfassenden vom Deutschen Reich auf- zubringenden Kriegsentschädigung. Überraschender schon kam sein Wunsch, die Rheinlande mitsamt den besetzten rechtsrheinischen Brückenköpfen ein für allemal von Deutschland ab- zutrennen und zu Pufferstaaten zu verwandeln, die militärisch und weitgehend auch wirt- schaftlich unter französischer Kontrolle stehen würden. Frankreich zeigte sich außerdem ent- schlossen, auf eine Dezentralisierung Deutschlands hinzuarbeiten und die deutschen Nach- barn tunlichst zu stärken.

Die Regierung Großbritanniens sah den Friedensschluß ganz im Lichte ihrer imperialen Inte- ressen. Das Deutsche Reich verlor aus britischer Sicht in dem Moment seine Rolle als rivali- sierende Weltmacht, in dem es seine Flotte und seine Kolonien ausgeliefert hatte. De facto war dies spätestens mit dem Waffenstillstand geschehen, und es kam auf der Friedenskonfe- renz im Grunde nur noch darauf an, diesen Zustand völkerrechtlich zu legalisieren. Die spezifisch europäischen Probleme rangierten für die britische Regierung erst an zweiter Stelle ihres Interesses. Als relativ am wichtigsten erschien die Aufgabe der deutschen Kon- trolle über weite Teile Rußlands und damit allgemein das russische Problem, das britische Interessen in Asien berührte. Natürlich wollten die Briten auch verhindern, daß Deutschland unter bolschewistische Kontrolle geriet, eine Gefahr, die mehrmals zu drohen schien. Alle übrigen territorialen Fragen Europas lagen außerhalb des Bereiches der unmittelbar britischen Interessen. Gewiß sympathisierte die Regierung Lloyd George mit dem französischen Verlan- gen nach einer Rückkehr von Elsaß-Lothringen und nach einer gewissen - wenn auch nicht totalen - Schwächung der deutschen Landmacht. Weitergehende französische Territorialfor- derungen gegenüber Deutschland hatten bei der Britischen Regierung jedoch keine Unterstüt- zung gefunden.

Die Vereinigten Staaten von Amerika waren ausgerechnet durch Deutschland, ihren Haupt- gegner, auf die Viezehn Punkte als Friedensprogramm verpflichtet worden. Tatsächlich ist Wilson, als er in die Friedensberatungen eintrat, entschlossen gewesen, sein Programm in seinen wesentlichen Punkten zur Geltung zu bringen. Dazu gehörte an erster Stelle einer in- ternationalen Friedensorganisation, die zwei Zielen dienen sollte: einmal die Wiederholung einer Katastrophe wie der des Ersten Weltkrieges zu verhindern, zum anderen die USA in eine verantwortliche Weltmachtrolle einzubinden. Dem Hauptgegner Deutschland wollte Wil- son nur Gebietsabtretungen auferlegen, wenn diese mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völ- ker vereinbar waren. Elsaß-Lothringen betrachtete er als verlorene französische Provinz und unterstützte deshalb Frankreichs Wunsch nach einer Rückabtretung durch Deutschland. Wei- tergehende französische Wünsche nach einer Revision der deutschen Westgrenze lehnte die USA, ähnlich wie die britische Regierung, dagegen ab.

Ein Grundgedanke fand sich bei Wilson, der bei den europäischen Verbündeten keine Ent- sprechung besaß - die Überzeugung, daß ein Frieden des Ausgleiches geschlossen werden müsse, dem auch die Besiegten ohne verbleibende Ressentiments zustimmen konnten. Wie Wilson einmal erklärte, wollte er Deutschland aals Gesamtstaat und als Wirtschaftsgroßmacht erhalten wissen.

2.3 Der Inhalt des Versailler Vertrages

Es handelte sich um eine Mammutkonferenz mit circa 10.000 Delegierten und Sachverständi- gen, die in 58 Kommissionen zur Klärung der Einzelfragen arbeiteten. Am Ende verzeichnete man 1646 Sitzungen. Die Konferenz arbeitete nicht nur einzelne Friedensvertragsregelungen aus, die sich in den Vorortverträgen niederschlugen, nämlich in den Verträgen von Versailles mit Deutschland (28.6.1919), von St.Germain-en-Laye mit Österreich (10.9.1919), von Neuil- ly mit Bulgarien (27.11.1919) und von Sèvres mit der Türkei (10.8.1920). Die Konferenz richtete ihre Aufmerksamkeit auch auf allgemeine und weltweit wichtige Grundsätze zur „Förderung der Zusammenarbeit unter den Nationen und zur Gewährleistung des internatio- nalen Friedens und der internationalen Sicherheit“, wie es in der Präambel der Völkerbunds- satzung hieß.1

Der Vertragstext, der den deutschen Bevollmächtigten am Ende ausgehändigt wurde, übertraf deren schlimmste Befürchtungen. Durch die nachfolgend genannten Beschlüsse wurde auf deutscher Seite schnell die Schlußfolgerung gezogen, daß hier ein ebenso minutiöses wie dia- bolisches Programm der dauerhaften Unterdrückung und Schwächung des Reiches und der tiefgreifenden Beeinträchtigung seiner Überlebensmöglichkeiten vorliege.2 Der Protest bezog sich vor allem auf die wesentlichen Einzelbestimmungen, die Deutschlands Großmachtstel- lung für immer zu zerstören schienen. Der umfangreiche Vertragstext zerfiel in 15 Teilab- schnitte und 440 Artikel. Die Hauptbestimmungen möchte ich nun in stichpunktartiger Form mit Hilfe von Gedankenstrichen darstellen:3

- Einschneidend war die im Versailler Vertrag festgelegte Obergrenze für die künftigen deutschen Truppen. Für die Landstreitkräfte betrug sie 100.000 (ohne moderne Waffen, Er- satzsysteme, Generalstab etc.), für die Marine 15.000 Mann. Verboten wurden die allgemeine Wehrpflicht und bestimmte Waffengattungen. Die Luftwaffe war überhaupt nicht mehr er- laubt. Nach dem Willen der Siegermächte sollte nicht nur die militärische Großmachtstellung Deutschlands beendet werden. Auch wirtschaftlich sollte sein Gewicht in der Welt beschnit- ten werden. Abzuliefern war der größte Teil der Handelsflotte, die für die auf das Exportge- schäft angewiesene deutsche Wirtschaft von zentraler Wichtigkeit gewesen war. Nun büßte Deutschland mit der Niederlage und den wirtschaftlichen Bestimmungen des Versailler Ver- trages (neben dem Verlust der deutschen Handelsflotte, Beschlagnahme des deutschen Aus- landsvermögens, Sperrung von Exportmärkten, Zwangslieferung von Wirtschaftsgütern aller Art) die Existenz einer schlagkräftigen Armee ein.

- Zu den Mängeln des Vertrages gehörte, daß eine später zentrale Frage, nämlich die der Reparationen, im Vertrage selbst nicht ganz klar geregelt war. Diese gewollte Unklarheit im Vertragsinstrument führte dazu, daß die deutschen Regierungen für längere Zeiträume nie- mals eigene wirtschaftliche und finanzpolitische Planungen für Deutschland aufstellen konn- ten. Nicht nur für die deutsche, sondern auch für die Weltwirtschaft, erwies sich die Politisie- rung der Reparationen als verheerend. Dabei unterlief die Fehleinschätzung, man könne ein führendes Mitglied des Weltwirtschaftssystems substantiell schwächen, ohne dabei an den Grundlagen dieses Systems rütteln zu müssen. Die genaue Höhe wurde, wie oben schon ge- sagt, zunächst nicht festgesetzt.1 Die Art der Zahlungen der deutschen Reparationen sollte in der Nachkriegszeit durch verschiedene Abkommen geregelt werden. So ist hier das zentrale Schlagwort der Youngplan2, ein nach dem amerikanischen Manager Owen Young (1874- 1962) benanntes internationales Abkommen über die Zahlung der deutschen Reparationen nach dem 1.Weltkrieg, das in Ablösung des Dawesplans (der vorherige Reparationszahlungs- plan) am 21.8.1929 angenommen wurde.

- Schließlich der umstrittene Artikel 231, der das Reparationskapitel einleitete und die ei- gentliche Begründung der Reparationsforderung bot. Der sogenannte Kriegsschuldartikel 231 wurde in das Versailler Vertragswerk aufgenommen, um eine rechtliche Handhabe für die Eintreibung der Reparationen zu besitzen: „Die alliierten und assoziierten Regierungen erklä- ren, und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungen wurde, erlitten haben.“ Dieser Schuldspruch, aus dem die Siegermächte auch das Recht zur Aburteilung von Kriegsverbrechern ableiteten, hat dazu beigetragen, daß die internationale Politik vorerst nicht in eine konstruktive Nachkriegsphase eintreten konnte. Da die Alliierten für den Fall der Nichterfüllung von Reparationsleistungen oder anderer Vertragsbestimmungen Sanktionsmaßnahmen ankündigten, blieb de facto eine Art Kriegszustand auch über den Abschluß des Friedensvertrags hinaus bestehen. Mit dem Kriegsschuldartikel begann dann auch jene deprimierende, die Wahrheit vernebelnde, nationalistische Agitation und Frontbildung, die sich immer wieder politisch ausnutzen ließ. Denn die Mehrzahl der Deutschen war tief in ihrem nationalen Selbstverständnis getroffen, als zu allen Opfern im Krieg nun auch noch der schwerwiegende Vorwurf trat, daß man keiner gerechten Sache, daß man nicht der Verteidigung des Vaterlandes gedient habe.

- Der Gesamtverlust des deutschen Reichs in Europa wird auf sechs Millionen Einwohner, das sind 10% seiner Bevölkerung, und 70.000 Quadratkilometer, das sind etwa 13% des frü- heren Gebietes, geschätzt. Ferner verlor Deutschland sämtliche Kolonien (z.B. Kiautschau in China und Südwestafrika). Andere Zahlen verdeutlichen, welche Auswirkungen damit ver- bunden waren. Denn Deutschland büßte 75% seiner Eisenerz- und 26% seiner Steinkohleför- derung ein, ferner 68% seiner Zinkerze sowie 44% der Roheisen- und 38% der Stahlprodukti- on. Die wichtigsten Gebietsabtretungen erfolgten im Osten, wo unter anderem der größte Teil Westpreußens, die Provinz Posen und Teile von Ostpreußen und Hinterpommern an Polen abzutreten waren. Danzig wurde „Freie Stadt“, für weitere Regionen setzte man Volksab- stimmungen (z.B. in Ostoberschlesien) an. Diese Verluste im Osten wurden als besonders bitter empfunden angesichts der antipolnischen Politik Preußens und der nationalen Überheb- lichkeit gegenüber den Polen, die nun zum ersten Mal seit den polnischen Teilungen einen eigenen, unabhängigen Staat errichten konnten. Fast ebenso nachhaltig und als dauerhaftes Agitationsthema wirkte die einem Verbot gleichkommende Bestimmung gegen den Anschluß Deutsch- Österreichs, das nach der Zerschlagung des Vielvölkerreiches der Habsburger üb- riggeblieben war. Hinzu kam die Abtretung Elsaß- Lothringens an Frankreich sowie der nach den Friedensregelungen zu erwartende Verlust Eupen- Malmedys an Belgien und Nord- schleswigs an Dänemark. Das Saargebiet wurde einer Regierungskommission des Völkerbun- des unterstellt, und seine Kohlengruben mußten für 15 Jahre Frankreich zur wirtschaftlichen Nutzung überlassen werden. Über die weitere Zugehörigkeit des Saargebietes sollte 1935 in einer Volksabstimmung entschieden werden. Es läßt sich also insgesamt sagen, daß eine be- trächtliche Zahl Deutscher (10%) fortan außerhalb der Reichsgrenzen lebten, vor allem in Polen und in der Tschechoslowakei. In der Anlage befindet sich eine Karte über die territoria- len Folgen des Versailler Vertrages für das Deutsche Reich.

2.4 Analyse der bisherigen Verhandlungsergebnisse

Das Ergebnis der langwierigen und komplizierten, von vielen Interessengegensätzen gekenn- zeichneten Verhandlung, lag nun vor. Umsonst appellierte Brockdorff- Rantzau1 an die Frie- denskonferenz, das jetzt wichtige Ziel der ‚Solidarität der Völker‘ nicht aus den Augen zu verlieren. Doch nicht sie stand auf der Tagesordnung, sondern die Furcht vor der Kontinuität des deutschen Militarismus und der Wiederbelebung der deutschen Kriegsmaschinerie. Ich meine, daß Deutschland selbst die von ihm jetzt beschworene Solidarität der Völker zu sehr mißachtet hat, da sich Angst- und Rachepotential auf Seiten der Siegermächte durch den Krieg aufgestaut hatte. Der Zeitpunkt, Solidarität der Kriegsgegner für sich in Anspruch zu nehmen, war offensichtlich noch nicht gekommen. Die Kernfrage, ob man diesen Vertrags- text, dieses - wie es aus deutscher Sicht erschien - Friedensdiktat überhaupt unterzeichnen sollte, blieb bestehen. Einbeziehen müßte man in seine Bewertung auch die Positionen einiger sich in Deutschland leidenschaftlich Streitender. So wandte sich beispielsweise Thomas Mann gegen alle Bestrebungen, „einer mitten in Europa wohnhaften und immerhin verdienten Kul- turnation von 70 Millionen Menschen den Todesstoß zu geben“, und stellte fest: „Hier scheint ein Instinkt am Werke, der nur noch eines will: das Ende.“1 Als übertrieben läßt sich dieses Zitat beurteilen, da auch angesichts der einschneidenden Friedensbestimmungen vom „Ende“ nicht die Rede sein konnte. Vielmehr waren es aus meiner Sicht die Verlustängste der Deut- schen, die zu dieser überzogenen Sicht der Dinge führten.

Denn selbst wenn man den Vertrag für unannehmbar hält, läßt sich unter realistischer Bewertung die Tatsache herausstellen, daß trotz aller Härten in den Friedensvertragsbestimmungen das Deutsche Reich in seiner Substanz und potentiellen Großmachtstellung erhalten bleiben konnte. So blieb vor allem die Reichseinheit bewahrt, die im Falle einer Wiederaufnahme von Kampfhandlungen kaum zu retten gewesen wäre.2

Das mit dem Friedensvertrag begründete Versailler System zeichnete sich von Anfang an da- durch aus, daß niemand mit ihm richtig zufrieden war. Der Schlüsselbegriff nicht nur auf deutscher Seite lautete Revision. Auch die anderen Verlierer des Krieges - die nun getrennten Staaten Österreich und Ungarn oder auch die Türkei - lehnten die Nachkriegsordnung ab. Auch in Großbritannien war der Vertrag keineswegs sakrosant. Friedlicher Wandel im Sinne des Artikels 19 der Völkerbundsatzung, wonach der Völkerbund zur Nachprüfung von ‚un- anwendbar gewordenen Verträgen‘ und solchen ‚internationalen Verhältnissen‘ schreiten konnte, ‚deren Aufrechterhaltung den Weltfrieden gefährden könnte‘, war aus britischer Sicht spätestens dann geboten, wenn die momentane Nachkriegsschwäche Deutschlands überwun- den sein würde und wenn das - nicht zuletzt weltwirtschaftlich wichtige - deutsche Potential die Fesseln des Versailler Vertrags sprengen würde. Die Friedensmacher seien in einem zent- ralen Punkt ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden. Sie hätten die wirtschaftlichen Zusam- menhänge nicht begriffen, die den europäischen Problemen zugrunde lägen.

Auch in Frankreich sah man sich keineswegs zufriedengestellt. Dort vermißte man im Ver- tragswerk ebenfalls ausreichende - wenn auch ganz anders geartete - Stabilitätsfaktoren. Französisches Sicherheitsdenken habe sich nicht wirkungsvoll genug durchgesetzt. Marschall Foch rechnete aufgrund des Versailler Vertrages nur mit einem zwanzigjährigen Waffenstill- stand, weil das deutsche Eroberungs- und Expansionsstreben nicht wirkungsvoll gebremst worden sei.

3. Das Versailler System im Umfeld der europäischen Nachkriegsordnung

3.1 Der Völkerbund

Mit der Gründung des Völkerbunds sollte ein neues Kapitel in der Geschichte der internatio- nalen Beziehungen beginnen: Krieg sollte nach Möglichkeit abgeschafft, die Sicherung des Friedens vertraglich geregelt werden. Friedenssicherung sollte nicht mehr allein den Vorkeh- rungen der Einzelstaaten überlassen bleiben, sondern institutionell auf der Ebene der Staaten- gesellschaft verankert werden. Die Organe des Völkerbundes sollten den Gedanken der kol- lektiven Sicherheit durchsetzen. Die kollektive Anstrengung der Völkerbundsmitglieder wür- de die Sicherheit der Einzelstaaten gewährleisten, so daß eine weltweit betriebene Abrüstung in greifbare Nähe gerückt zu sein schien. Die Völkerbundssatzung nahm Krieg und Kriegs- drohung zwar nicht völlig aus der exklusiven Verfügungsgewalt der staatlichen Souveränität heraus, sie betonte aber die Friedenspflicht der Staaten und enthielt ein relatives Kriegsverbot. Denn sie forderte im Konfliktfall die Einschaltung des Völkerbunds oder die schiedsgerichtli- che Prüfung des Falls bevor zum Krieg geschritten werden durfte. Mit den Sitzungen der jähr- lich zusammentretenden Völkerbundsversammlung, an der alle Mitgliedsstaaten teilnahmen, bildeten sich neue Formen zwischenstaatlicher Kommunikation aus. Die multilaterale Diplo- matie eröffnete ein bisher unbekanntes System regelmäßiger Kontaktaufnahme.

Unabhängig von solchen Aktivitäten, die keineswegs geringzuschätzende Leistungen, aber doch Minimalziele darstellten, mußte sich der Völkerbund an dem von ihm selbst gesetzten Hauptzielen messen lassen. Wie war es um seine Fähigkeit bestellt, zwischenstaatliche Kon- flikte einzudämmen ? Konkreter: Bis zu welchem Grad ist es gelungen, die im traditionellen Völkerrecht verbriefte Souveränität der Einzelstaaten und ihre autonome Entscheidungsfrei- heit auch zu militärischem Konfliktaustrag einzuschränken ? Solche Fragen, die die Maximal- ziele des Völkerbundes erkennen lassen, sind eindeutig negativ zu beantworten. In den für die internationale Entwicklung entscheidenden Krisen konnte die Maschinerie des Völkerbunds nicht greifen.

3.2 Die Folgen für die Donaumonarchie

Mit dem militärischen Zusammenbruch der Mittelmächte ab September 1918 begann eben- falls der Zerfall der Habsburgermonarchie. Der Versailler Vertrag hatte eine Reihe von Bünd- nissen zur Folge, die zwischen Staaten abgeschlossen wurden, welche aus der Erbmasse der Donaumonarchie erwachsen waren. Vor allem das französische Bedürfnis nach einem „Cor- don Sanitaire“1, den die östlichen Nachbarn Deutschlands und die Balkanstaaten schließen sollten, förderten diese Verträge. Hinzu kam auch das Sicherheitsbedürfnis der Balkanstaaten gegenüber Ungarn und der Tschechoslowakei gegenüber Polen. Alle diese neu geschaffenen Verträge und Bündnisse waren im Grunde eine Folge der Auflösung Österreich- Ungarns.

Die Republik Österreich galt ebenso wie Ungarn als Rechtsnachfolger der Donaumonarchie. Die Friedensverträge von St.Germain-en-Laye (mit Österreich)2 und Trianon (mit Ungarn)3 schufen in den beiden Ländern jedoch keine Stabilität. Die wirtschaftliche Lage vor allem der Republik Österreich war labil; eine große Gruppe von Österreichern stimmte für den Anschluß an Deutschland, in Tirol und Salzburg waren es 1920 mehr als 98 Prozent der Stimmberechtigten. Österreich erklärte sich bereit, die Bedingungen des Völkerbundes anzu- erkennen, die an die Vergabe einer Anleihe von 300 Millionen Schilling geknüpft waren: Au- ßerdem verpflichtete man sich, bis 1952 keine wirtschaftliche und politische Union mit Deutschland einzugehen. Dieser Vertrag war jedoch dem wachsenden Druck der Nationalso- zialisten nicht gewachsen, der Anschluß an das Deutsche Reich war im Rückblick auf diese Entwicklungen nur eine Frage der Zeit.

Ungarn, der zweite Nachfolgestaat der Donaumonarchie, hatte ebenfalls unter politischen Wirren zu leiden. Das Land litt unter den harten Friedensbedingungen und dem wachsenden Druck durch die Nachbarländer. Auch die zu tilgende Reparationssumme war hoch: Ungarn sollte bis zum Jahre 1944 jährlich 10,5 Millionen Goldkronen und zwischen 1944 und 1966 noch einmal etwa 13,5 Millionen zahlen. Die wirtschaftliche Lage und die zunehmende Iso- lierung des Landes begünstigten den deutschen Einfluß, der gegen Ende der Dreißiger Jahre schließlich die nationalistischen und antisemitischen Tendenzen stärkte und sich auf die Ge- setzgebung auswirkte.

Der dritte der aus der Erbmasse Österreich-Ungarns hervorgegangenen Staaten, die Tschecho- slowakei, hatte sich gleichzeitig nach zwei Seiten abzusichern: gegen Ungarn und Polen. Es gelang der Pariser Friedenskonferenz nicht, die Ansprüche der Polen und Tschechen glei- chermaßen zu berücksichtigen. Der Kern der Auseinandersetzungen lag in dem beiderseitigen Anspruch auf das Industrierevier um Teschen, das die Tschechen dann im russisch- polni- schen Krieg annektierten.1

3.3 Die Lage in Italien

In Rom glaubte man Anlaß zu bitterer Enttäuschung über das Ergebnis des Krieges zu haben. Italien war - neben Rumänien - die einzige europäische Macht, die nicht zur Abwehr tatsäch- licher oder vermeintlicher Bedrohungen und nicht zum schutze vitaler oder als vital geltender Interssen in den Krieg eingegriffen hatte. Die Alliierten hatten die militärische Intervention Roms vielmehr mit dem Angebot umfangreicher territorialer Gewinne erkauft. Der Londoner Vertrag vom April 1915 versprach Italien große und umfangreiche territoriale Gewinne. Als die italienische Regierung mit diesem Programm - und dem zusätzlichen Anspruch auf Fiu- me- auf der Pariser Friedenskonferenz erschien, löste sie einige Verlegenheit aus. Die Wunschliste enthielt größtenteils Forderungen rein imperialen Charakters, stammte also aus einem Zeitalter, das die Friedensmacher ja gerade überwinden wollten, und Briten wie Fran- zosen ließen sich nur ungern an die Sünden der internationalen Gerechtigkeit erinnern, die sie unter dem Druck des Krieges begangen hatten. Auch Wilson zeigte sich fest entschlossen, den Italienern ihre „imperialistische Suppe“ zu versalzen. Rom hat trotzdem reiche Beute ge- macht: es erhielt das Trentino, Triest und den größten Teil Istriens, und wenngleich noch kei- ne reale Bedrohung existierte, bekam es zum Schutze gegen eine künftige Vereinigung Deutschlands mit Österreich die Brennergrenze und damit das deutschsprachige Südtirol zu- gesprochen. Obwohl alle nicht erfüllten italienischen Forderungen völlig ungerechtfertigt und lediglich Zeugnisse eines adriatischen und mediterranen Imperialismus waren, für den weder der Zeitgeist noch die Kraft des Landes eine Basis boten, setzte sich daher in Italien das Ge- fühl durch, in Paris wie eine geschlagene Nation behandelt worden zu sein. In der leiden- schaftlichen Auseinandersetzung um das außenpolitische Kriegsergebnis und in der wirt- schafts- wie gesellschaftspolitischen Krise, die der Krieg vererbt hatte, agierten bereits die Stoßtrupps einer sich faschistisch nennenden antiliberalen und nationalistischen Bewegung, die den permanenten Kampf als Grundsatz der internationalen Beziehungen proklamierte und keinen Hehl daraus machte, daß die Zukunft Italiens nur das rücksichtslos anzustrebende me- diterrane Imperium sein könne.

3.4 Der Einfluß Frankreichs auf das Versailler System

Aus der Sicht der einen Siegermacht des Ersten Weltkrieges, Frankreich, ging es nicht nur um eine umfassende und harte Regelung der Reparationen, sondern es ging darüber hinaus um die Herstellung des Gleichgewichts in Europa, d.h. um die Beendigung der halb-hegemonialen Stellung, die auch ein friedliches Deutschland nach der Reichsgründung von 1871 hatte1. Die französische Regierung glaubte das Sicherheitsbedürfnis ihres Landes nur befriedigen zu können, wenn Deutschland aufhörte, eine gleichberechtigte Großmacht zu sein, so daß die Zerschlagung des Reiches, wie es in den Grenzen von 1871 bestand, die ideale Bedingung für die Errichtung einer internationalen Nachkriegsordnung gewesen wäre. Zumindest die Her- stellung der Rheingrenze war ein dringendes französisches Ziel. Das linksreinische Gebiet mußte nicht unbedingt unter direkte französische Kontrolle kommen. Man wäre schon mit der Errichtung kleiner, frankreichfreundlicher Pufferstaaten zufrieden gewesen, die sich aus dem rheinischen und pfälzischen Separatismus entwickeln konnten. Derart weitreichende Forde- rungen konnte Frankreich auf der seit Januar 1919 tagenden Friedenskonferenz vor allem ge- genüber Großbritannien und den USA nicht durchsetzen1. Die Vorstellungen des französi- schen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau sahen so aus, daß er Frieden mit Zementie- rung der französischen Vormachstellung in politisch- militärischer Hinsicht gleichsetzte, da man die Deutschen als ein Volk mit einer Sklavenseele ansah dem man das Ergebnis des alli- ierten Sieges klar machen mußte2. Man hatte aus seiner Sicht im Bündnis mit den Alliierten die drohende deutsche Hegemomie über Europa gerade noch abwenden können, und hatte nun die völlig begründete Furcht, in einem liberalen System werde sich der potentiell überlegene deutsche Nachbar allzu rasch erholen können. Aus französischer Sicht besaß das liberale Mo- dell der Friedenssicherung nicht die geringste Anziehungskraft, weil man sich selbst nicht für genug konkurrenzfähig genug hielt und weil man ein Bild von Deutschland hatte, das mit den Spielregeln eines liberalen Friedens unvereinbar war. Es ging ihnen 1919 um eine dauerhafte Korrektur der Kräfteverhältnisse, wie sie vor dem Krieg geherrscht hatten. Die Macht des demographisch und wirtschaftlich weit überlegenen Deutschen Reiches mußte gebrochen, zumindest aber eingedämmt werden3. Ziel Frankreichs in der behandelten Zeit meiner Fach- arbeit ist also eine Veränderung des gesamteuropäischen Kontextes durch eine deutliche und massive Schwächung Deutschlands mittels Gebietsabtretungen sowie finanzieller Auflagen und wirtschaftlicher Einschränkungen, um endlich das Gleichgewicht auf dem Kontinent her- zustellen.

„ Französische Sicherheitspolitik “ wird in der Geschichte häufig diese Art von politischem Verhalten genannt. Worin besteht die französische Sicherheitspolitik ganz konkret ? Das siegreiche Frankreich von 1918 war erschöpft, nachdem es so harte Verluste erlitten hatte (1,25 Millionen Tote in der hoffnungsvollen jungen Generation und weitere 2 Millionen Ver- wundete in der restlichen Bevölkerung). So kam es, daß Frankreich von einem Sicherheits- komplex besessen war, der in meiner vorliegenden Literatur auch als Minderwertigkeitskom- plex (vergleiche: Die Folgen von Versailles, S.118) gedeutet wird. Für Frankreich mußte der Friede die komplette Sicherheit bedeuten. Außerdem hatte man wenig Vertrauen zum Völker- bund, der in dem Versailler Vertrag 1919 die Grundlage und den Vorwand bildete für die Zu- rückweisung der französischen Vorschläge bezüglich des Rheinlands. Realistisch gesehen drohte allerdings keine ernsthafte Gefahr. Frankreich hatte eine enorme militärische Macht mit einem siegreichen Generalstab unter Marschall Foch. Trotzdem sah man sich in den kommenden Jahren nach dem Friedensschluß nach neuen Verbündeten um, vornehmlich in Osteuropa, nach Staaten, die von dem alten Rußland oder von Österreich- Ungarn herstamm- ten. Verträge folgten aufeinander, um ein ausgeprägtes Bündnissystem zu schaffen: Bei- standspakt mit Polen (1925), Bündnisverträge mit der Tschechoslowakei (1924), mit Jugos- lawien (1927), Freundschaftsvertrag mit Rumänien. Frankreich unterstützte außerdem die gegen Ungarn gerichtete sogenannte Kleine Entente (1920-21) zwischen der Tschechoslowa- kei, Jugoslawien und Rumänien1. Eine Karte über den Großteil der europäischen Bündnissysteme ist der Anlage beigefügt.

3.5 Zentrale Aspekte und Bündnissysteme der europäischen Nachkriegsordnung

Die deutschen Hoffnungen und Erwartungen mußten sich also auf Großbritannien richten, denn Deutschland selber war vorerst handlungsunfähig. Großbritannien spielte daher die Rolle, die rigiden Vorstellungen der Franzosen zu mildern. Es versucht ein europäisches Gleichgewicht durch eine Politik ‚begrenzter Gegengewichte2 ‘ (=sogenannte Appeasement- Politik) zu schaffen. Belegend dafür ist ein Zitat von Lloyd George:

„Wir wären weise, wenn wir Deutschland einen Frieden anböten, der - indem er gerecht ist

- für alle vernünftigen Leute der Alternative des Bolschewismus vorzuziehen wäre. Ich würde also folgendes in den Vordergrund stellen: (...) Wir können nicht gleichzeitig Deutschland verkrüppeln und erwarten, daß es zahlt.“3

Hieran zeigt sich, daß auch den Briten daran gelegen war, daß Deutschland für die Kriegs- schäden aufkam. Doch die britische Regierung war nicht wie die französische von Sicher- heitsängsten geplagt, sondern stellte stets wiederholte und allen Beteiligten bekannte wirt- schaftliche Argumente in den Mittelpunkt. So startete der oben erwähnte britische Premiermi- nister Lloyd George eine der weitreichensten Initiativen zur Rekonstruktion der Nachkriegs- wirtschaft. Nichts geringeres als den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die politische Befrie- dung hatte er vor Augen4, als er die im April 1922 in Genua zusammengetretene Konferenz zustande brachte. Auf dieser Konferenz zu Genua versuchten die Teilnehmer, die Konsequen- zen aus der wirtschaftlichen Misere in Europa zu ziehen. Besonders die Briten bemühten sich, mit der sowjetrussischen Regierung in Kontakt zu kommen, um ihrem Osthandel neue Impul- se zu geben. Auch die Russen zeigten sich zu diesem beiderseitigen Vorteil aufgeschlossen. Problematisch allerdings war die Frage der Vorkriegsschulden, deren Bezahlung die West- mächte forderten, während die Sowjets jede Übernahme von Verpflichtungen aus der Zaren- zeit ablehnten. Ferner hatten die Sowjets nicht die Bereitschaft, sich in ein nach Lage der Dinge westlich beherrschtes wirtschaftliches System integrieren zu lassen1. Hinzu kam, daß Rußland im Hinblick auf Polen ein Einvernehmen mit Deutschland wünschte2. Diese Gründe riefen Deutschland auf den Plan ein Bündnis mit Rußland zu schließen, da „Rußland die ein- zige Großmacht ist, mit der wir keinerlei Schwierigkeiten besitzen; uns verbindet die gemein- same Feinschaft mit Polen.“3 Bereits im Vorjahr waren zwischen der deutschen und der Sowjetregierung Verhandlungen geführt worden, die sich auf wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gebiet auswirken sollten. Während die Konferenz zu Genua tagte, trafen sich der deutsche und der russische Abgesandte in Rapallo (Bevollmächtigte: Rathenau und Tschitscherin) und kamen am 16. April 1922 überein, ihre gegenseitigen Forderungen als er- ledigt zu betrachten und volle diplomatische Beziehungen auf der Basis von Gleichberechti- gung und Freundschaft aufzunehmen (= Vertrag von Rapallo). Die beiden Mächte verzichte- ten auf gegenseitige Ansprüche aus dem Krieg, beschlossen wechselseitige wirtschaftliche Förderung und räumten im Handel einander Vergünstigungen ein4. Der Vertrag beinhaltete nur die Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen und schloß keine militärischen und politischen Bündnisverpflichtungen ein. Dennoch rief er scharfe Reaktionen der westlichen Mächte, vor allem Frankreichs, hervor. Man sah in diesem Vertrag einen Ausbruch Deutsch- lands aus der antisowjetischen Front der Westmächte und reagierte verärgert. Der Vertrag bedingte auch zunächst eine Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Deutschland und der französisch- britischen- Entente. So sensationell der Vertrag von Rapallo5 erschien und so schockierend er im Westen wirken mochte, so wenig Anlaß zur Nervosität hätte er eigentlich geben dürfen. Seine Wirkung lag vor allem im psychologischen Bereich. Deutschland und die Sowjetunion schienen mit ihm ein Stück außenpolitischen Spielraums wiedergewonnen zu haben1. Der eigentliche Gewinner dieses Vertrages ist die Sowjetunion, denn sie durchbrach mit diesem Ereignis die außenpolitische Isolierung. Die europäischen Großmächte glaubten nun, den Kurs der Isolierung Rußlands nicht länger fortsetzen zu können. 1924 erkannten auch Großbritannien, Frankreich und Italien die Sowjetunion an2.

Gut ein Jahr nach Inkrafttretens des Dawes- Plans3 kamen in Locarno am Lago Maggiore die Vertreter Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und Italiens sowie Belgiens, Polens und der Tschechoslowakei zusammen, um europäische Sicherheitsprobleme auf politischer Ebene zu behandeln. Zustande gekommen war diese Konferenz von Locarno auf Initiative des deut- schen Politikers Gustav Stresemann (1878-1929; DVP). Dieser, der von Ende 1923 bis zu seinem Tode die Außenpolitik der Weimarer Republik bestimmte, suchte vorrangig einen Ausgeich mit den Entente- Mächten England und Frankreich herbeizuführen. Die Vorausset- zungen hierfür besserten sich im Sommer 1924 mit dem Sieg einer Linkskoalition in Frank- reich. Vor diesem politischen Hintergrund startete Stresemann Anfang 1925 seine außenpoli- tische Initiative, die im Laufe des Jahres zum Vertragswerk von Locarno führen sollte. Ein Sicherheitspakt und eine weitere Entspannung waren aus Stresemanns Sicht das Gebot der Stunde. Die Amerikaner würden ihr für die Belebung der europäischen Wirtschaft dringend benötigtes Kapital nur dann fließen lassen, wenn sie „Vertrauen in eine friedliche Entwick- lung Europas“ haben könnten.4 Dafür war eine vertragliche Friedenssicherung mit deutsch- französischem Ausgleich oberste Voraussetzung. Stresemann versuchte aber auch, einem dro- henden Stillstand seiner Revisionspolitik entgegenzuwirken und die Isolierung gegenüber den Entente- Mächten, die wieder die Möglichkeit einer Defensivallianz diskutierten, endgültig zu durchbrechen. Wirklich zu verstehen sind die im folgenden genannten Ergebnisse der europä- ischen Locarno- Politik aber nur als Ergebnis des engen Zusammenhangs zwischen politischer Entspannung und wirtschaftlicher Prosperität in Europa. Konkret bedeutet dies, daß der Da- wes- Plan nur der wirtschaftliche Teil der so ungemein schwierigen internationalen Regelung des Problemkomplexes und Sicherheit war und daß er in der Luft hing ohne die politische Bereinigung von Locarno, die besonders Frankreich verlangte5. Um dieses französische Si- cherheitsdenken zu befriedigen beinhaltete der Locarnopakt den sogenannten Rheinpakt zwi- schen Deutschland einerseits und Frankreich und Belgien andererseits unter der Garantie durch England und Italien. Die Vertragspartner verzichteten auf eine gewaltsame Änderung der gegenwärtigen Grenzen, und stimmten so dem Erhalt des Status quo zu. Ausdrücklich wurde die Verpflichtung festgehalten, „in keinem Falle zu einem Angriff oder zu einem Ein- fall oder zu einem Krieg gegeneinander zu schreiten.“1 Alle Probleme sollten friedlich gere- gelt werden; oberste Schiedsinstanz sollte der Völkerbund sein. Das Inkrafttreten des Vertra- ges wurde daher auch mit dem Beitritt Deutschlands in den Völkerbund gekoppelt. Auf der Konferenz kam es dann ebenfalls zu einer Reihe von weiteren Schiedsabkommen, die Deutschland mit Polen und der Tschechoslowakei traf. Deutschland bekannte sich zwar zu den in Versailles festgelegten Westgrenzen, zwang aber gleichzeitig die östlichen Nachbarn, einer möglichen Revision der deutschen Ostgrenzen auf Verhandlungswegen zuzustimmen und kriegerische Aktionen zu vermeiden. Der während der Locarno- Zeit ausgehandelte russi- sche Plan, Deutschland durch ein gegen Polen gerichtetes Bündnis an die UdSSR zu binden und den Abschluß der Locarno- Verträge wie auch den deutschen Eintritt in den Völkerbund zu verhindern, schlug fehl. Stresemann hatte es verstanden, sowohl gegenüber den Westmäch- ten keine Sanktionsverpflichtungen gegen die Sowjetunion einzugehen, als auch den Plan der Russen zurückzuweisen, ihre Forderungen gegen Polen zu unterstützen. Deutschland hatte damit eine Art Rückversicherung abgeschlossen, die es weitgehend aus den britisch- franzö- sisch- russischen Konflikten heraushielt2. Schließlich faßte das Schlußprotokoll (welches in der Anlage vorhanden ist) für die europäische Öffentlichkeit zusammen, worum sich die Be- teiligten der Konferenz bemüht hatten und weiter bemühen wollten: Schutz vor der „Geißel des Krieges“ sowie die Herbeiführung einer „moralischen Entspannung zwischen den Natio- nen.“3

Locarno war ein Beispiel für internationale Entspannung. Gleichwohl war es weit davon entfernt, einen stabilen Frieden zu begründen:

„Die entscheidende Strukturschwäche des Locarno- Friedens lag darin, daß der Gegensatz von Revisions- Politik und Status quo- Politik in den deutsch- französischen Beziehungen nicht ausgeräumt wurde. Einerseits sah Stresemann im ‚deutsch- französischen Ausgleich‘ den ‚Angelpunkt der Konsolidierung Europas‘. Andererseits aber erwartete er davon rasche positive Rückwirkungen, die das Versailler System weiter aushöhlen würden.“4

Die Locarno- Ära kann man zusammenfassend als eine Phase charakterisieren, in der die Großmächte ihre traditionellen Interessen weiterverfolgten, wenn auch im Falle Deutschlands und Frankreichs mit gebremster Kraft und gemäßigten Mitteln. Die Wende seit 1923 war möglich geworden, weil Deutschland und Frankreich sich dem liberalen Modell der Friedens- sicherung so weit annäherten, daß eine Lösung nach den Vorstellungen Großbritanniens und der USA möglich wurde. Dennoch blieb Locarno nur ein Ansatz1. Man hatte ernsthaft ver- sucht eine grundlegende Entspannung in Europa, besonders zwischen Deutschland und Frank- reich, zu erreichen. „Diese Hoffnungen wurden nicht erfüllt: die Ereignisse der folgenden Jahre (Weltwirtschaftskrise, Rheinland- und Reparationsfrage) förderten die antifranzösischen Strömungen in Deutschland und umgekehrt die französischen Ressentiments gegen das Reich“2, so der Historiker Erhard Klöss zum letztendlichen Erfolg der Locarno- Ära.

Wiederum außerhalb des Völkerbundes entstand wenig später ein neuer Versuch zur Frie- denssicherung, der sich gleichermaßen an alle Nationen richtete. Der US-Staatssekretär Kel- logg nahm 1927 den französischen zu einem zweiseitigen Vertrag über Gewaltverzicht zum Ausgangspunkt für einen multilateralen Austausch von Erklärungen über die Ächtung des Krieges. Im Pariser Vertrag vom 27. August 1928 bekannten sich fünfzehn Nationen zum Verzicht auf Krieg las Mittel der Politik; bis 1933 schlossen sich rund 50 Staaten, darunter sämtliche Großmächte, diesem Vertrag an. Einen unmittelbar verpflichtenden Charakter hatte der Beitritt freilich nicht. Er war mehr eine moralische Deklaration als eine politische Ent- scheidung und verfügte über keine andere Sanktion als die Meinung der Weltöffentlichkeit. Die schon lange angestrebte Weltabrüstungskonferenz trat im Februar 1932 in Genf zusam- men. Trotz langjähriger Vorarbeiten durch die Völkerbundskommission besaß sie bei ihrem Beginn kein Konzept, welches auf breite Zustimmung rechnen konnte. Frankreich wünschte wieder obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit, deren Entscheidungen durch eine internationale Polizeitruppe erzwungen werden sollten. Großbritannien hingegen wollte neue internationale Verpflichtungen tunlichst vermeiden, und die USA waren nicht geneigt, sich den Beschlüssen des Völkerbundes gegen einen Aggressor fraglos anzuschließen.

4. Diskussion und Bewertung

4.1 Die geschichtliche Abrundung der Ausführungen

Insgesamt brachten die Versailler Regelungen der Welt keinen Frieden. Der Völkerbund war zu schwach, um jemals eine entscheidende Rolle zu spielen. Der Vertrag war kein Mittel zur europäischen Ordnungsstiftung geworden. Die ‚Friedensbringer‘ hatten den obersten Grundsatz ihrer Aufgabe aus den Augen verloren, als sie den Vertrag erarbeiteten und beschlossen: die Garantie des Gleichgewichts der Kräfte in Europa.

So kam es, daß an den Folgen des Vertrages von Versailles schließlich die Demokratien in Europa scheiterten. Nutznießer waren die Faschisten in Spanien und vor allem in Italien. Die in eine permanente Krise geratenen demokratischen Regierungen auf dem alten Kontinent hatten dem nichts entgegenzusetzen als eine Politik der Sicherheit und des Appeasements. Darum steht der Friedensschluß von Versailles in meinen Augen, anders als beispielsweise das Werk des Wiener Kongresses, bei Zeitzeugen und Historikern in keinem guten Ruf. Wie bei der berühmten Kritik von John Keynes über die wirtschaftlichen Konsequenzen des Frie- dens war dies vielfach eine Sachkritik, die die Regierungen der Siegermächte in wachsende Verunsicherung geraten ließ. Diese permanente Kritik lieferte dann auch den Nährboden für die Politik des ‚Appeasements‘, aus der am Ende Hitler seinen Nutzen gezogen hat. Nachdem ich versucht habe, die Folgen des Versailler Vertrages in Europa zu erläutern, stellt sich abschließend die grundsätzliche Frage nach dem historischen Rang dieses Friedens- schlusses. Die Frage nach einer Art Gerechtigkeit ist in gewisser weise müßig, sie muß von Siegern und Besiegten immer verschieden beantwortet werden. Daß der Frieden in vielem den Vierzehn Punkten nicht entsprochen hat - etwa bei der Interpretation des Selbstbestimmungs- rechtes - ist ziemlich eindeutig. Ebenso unstrittig ist freilich, daß die Sieger die Vierzehn Punkte als Bewertungskriterien der einzelnen Vertragsbestimmungen im Grundsatz nie auf- gegeben haben.

Noch wichtiger als solche Überlegungen ist die Frage nach der langfristigen Haltbarkeit des Systems als internationale Ordnung.

Diese wird von vielen Historikern, und auch nach meinen Untersuchungen von mir, schon von dessen Voraussetzungen her angezweifelt. Zu dem Vertrag gehörten in der Tat Bestim- mungen, in denen Konflikte nahezu vorprogrammiert waren. Da war das Problem mit der

Reparationsregelung. Der Kardinalfehler lag auf jeden Fall, wie schon zahlreiche zeitgenössi- sche Fachleute erkannten, in der Nichtfestsetzung einer Gesamtsumme - eine Unterlassung, die Deutschland vorerst kreditunfähig (siehe: „Die Folgen von Versailles“ S.143ff) machte. Ungelöst blieb die Reparationsfrage eine Quelle von Konflikten.

Die lange Wartezeit für die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund, trug ebenfalls nicht zur langfristigen Haltbarkeit des internationalen Ordnungssystems bei. Das neu geschaffene Organ hätte durch eine schnellere Aufnahme eine insgesamt größere Wirkung entfalten können. Doch diese schon in den Vorkriegsverhandlungen als entscheidend anerkannte Vorbedingung für das Funktionieren der neuen Friedensordnung ist ausgeblieben. Auch diese als großes Manko zu bewertenden Fehler hinderten Europa nicht, durch Ersatzlösungen wie den Vertrag von Locarno für einige Zeit außenpolitisch zur Ruhe zu kommen.

Zu der Ausgangsfrage einer europäischen Friedensordnung auf Grundlage des Versailler Ver- trages ziehe ich das Resumée, daß die Westmächte, nicht zuletzt auch die USA, die Möglich- keiten des Versailler Vertrages, sich zu einer echten Friedensordnung zu entfalten, nicht er- kannt haben. Vielleicht waren sie bei der Kompliziertheit der Materie mit der Friedenswah- rung überfordert. Was nicht zustande kam, war ein Konsens über die schlichte Einsicht, daß die Wahrung und der Ausbau einer Friedensordnung schließlich im Interesse sowohl der Sie- ger als auch der Besiegten lagen. So stellten die Emotionen der verantwortlichen Politiker, sich solidarisch mit dem Kriegsgegner zu zeigen, die Ausbaufähigkeit der Versailler Frie- densordnung in Frage.

Insgesamt zeigt diese Vorgehensweise meiner Meinung nach auch ein Problem für unsere heutigen Demokratien auf: In welcher Weise und inwieweit es möglich ist, außenpolitisches Handeln und seine Resultate dem einzelnen Bürger näherzubringen, um ihm so die komplexen Zusammenhänge begreiflich zu machen. Für die Versailler Friedensordnung ist dies in den zwanziger Jahren mißlungen. So wurde der Friede verspielt.

5. Literaturverzeichnis

1. Eyck, Erich „Geschichte der Weimarer Republik“, 2 Bände Erlenbach/Zürich 1962/1972 Eugen Rentsch Verlag

2. Graml, Hermann „Europa zwischen den Kriegen“ München 1969 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG

3. Hagen Schulze (Hrsg.) und Karl Dietrich Erdmann „Weimar - Selbstpreisgabe einer Demokratie“ Düsseldorf 1980 Droste Verlag GmbH

4. Hürten, Heinz „Zwischenkriegszeit und Zweiter Weltkrieg“ Stuttgart 1982 Verlagsgemeinschaft Ernst Klett - J.G. Cotta (Klett-Cotta)

5. Krüger, Peter „Versailles - Deutsche Außenpolitik zwischen Revisionismus und Friedenssiche- rung“ München 1986 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG

6. Krautkrämer, Elmar „Internationale Politik im 20.Jahrhundert“ Freiburg 1976 Verlag Moritz Diesterweg

7. Mickel, Wolfgang „Geschichte, Politik und Gesellschaft“ Frankfurt am Main 1988 Cornelsen Verlag Hirschgraben

8. Niedhart, Gottfried „Deutsche Geschichte 1918-1933“ Stuttgart - Berlin - Köln 1994 W. Kohlhammer GmbH

9. Niedhart, Gottfried „Internationale Beziehungen 1917-1947“ Paderborn 1989 Verlag Ferdinand Schöningh GmbH

10. Rößler, Hellmuth (Hrsg.) „Die Folgen von Versailles 1919-1924“ Göttingen 1969 Musterschmidt-Verlag

Anlage 3

Die in den 14 Punkten enthaltenen Forderungen Wilsons, vorgetragen vom

08.01.1918 im amerikanischen Senat, lauteten:

1. Öffentliche Friedensverträge und Abschaffung der Geheimdiplomatie
2. Freiheit der Seeschiffahrt
3. Aufhebung sämtlicher wirtschaftlicher Schranken
4. Garantierte Rüstungsbegrenzung
5. Unparteiische Ordnung aller Kolonialfragen
6. Räumung des ganzen russischen Gebiets von fremden Truppen
7. Wiederherstellung der belgischen Souveränität
8. Räumung Frankreichs, Rückgabe von Elsaß-Lothringen und Wiederherstellung der zer- störten Teile
9. Grenzziehung Italiens nach dem Nationalitätenprinzip
10. Autonomie der Völker Österreich-Ungarns
11. Wiederherstellung Serbiens, Rumäniens und Montenegros
12. Autonomie der Völker des Osmanischen Reiches und ungehinderte Durchfahrt durch die Dardanellen und den Bosporus
13. Errichtung eines unabhängigen polnischen Staates
14. Gründung eines Völkerbundes zur Garantie der Unversehrtheit aller Staaten.

Anlage 4

[Unterzeichnet am 16.Oktober 1925 zu Locarno von Luther, Stresemann, Vandervelde, Briand, Austen Chamberlain, Mussolini, Skrzynski, Benesch.]

Die Vertreter der Deutschen, Belgischen, Britischen, Französischen, Italienischen, Polnischen und Tschechoslowakischen Regierung, die vom 5. bis zum 16. Oktober 1925 in Locarno versammelt waren, um gemeinsam die Mittel zum Schutze ihrer Völker vor der Geißel des Krieges zu suchen und für die friedliche Regelung von Streitigkeiten jeglicher Art, die etwa zwischen einigen von ihnen entstehen könnten, zu sorgen, haben ihre Zustimmung zu den Entwürfen der sie betreffenden Verträge und Abkommen gegeben, die im Laufe der gegenwärtigen Konferenz ausgearbeitet worden sind und sich aufeinander beziehen:

Vertrag zwischen Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien und Italien, Schiedsabkommen zwischen Deutschland und Belgien,

Schiedsabkommen zwischen Deutschland und Frankreich,

Schiedsvertrag zwischen Deutschland und Polen,

Schiedsvertrag zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei.

Die Vertreter der hier vertretenen Regierungen erklären ihre feste Überzeugung, daß die Inkraftsetzung dieser Verträge und Abkommen in hohem Maße dazu beitragen wird, eine moralische Entspannung zwischen den Nationen herbeizuführen, daß sie die Lösung vieler politischer und wirtschaftlicher Probleme gemäß den Interessen und Empfindungen der Völker stark erleichtern wird und daß sie so, indem sie Frieden und Sicherheit in Europa festigt, das geeignete Mittel sein wird, in wirksamer Weise die im Artikel 8 der Völkerbundssatzung vorgesehene Entwaffnung zu beschleunigen.

Sie verpflichten sich, an den vom Völkerbund bereits aufgenommenen Arbeiten hinsichtlich der Entwaffnung aufrichtig mitzuwirken und die Verwirklichung der Entwaffnung in einer allgemeinen Verständigung anzustreben.

[Datum, Unterschriften.]

[...]


1 Zitiert nach: Klöss: „Von Versailles zum Zweiten Weltkrieg“ S.7

2 derselbe: „Von Versailles zum Zweiten Weltkrieg“ S.7

1 Schlieffen, Alfred Graf von (1833- 1913), Chef des Generalstabs der Armee: Nach seinem strategischen Plan sollte ein Durchbruch in Belgien und Lothringen eine rasche Vernichtung von Frankreich herbeiführen, um sich gegen Rußland zu wenden

1 vgl. Niedhart: „Internationale Beziehungen 1917-1947“ S.29f

2 vgl. Krüger: „Versailles“ S.13

3 Die nachfolgenden Informationen zum Inhalt des Versailler Vertrages sind entnommen aus: Eyck: „Die Geschichte der Weimarer Republik Band 1“ S.120-124 und 159-166; Klöss: „Von Versailles zum Zweiten Weltkrieg“ S.39-100; Krüger: „Versailles“ S.12-18; Rößler, Hellmuth (Hrsg.): „Die Folgen von Versailles“ S.143-169; Niedhart: „Deutsche Geschichte 1918-1933“ S.51-54; derselbe: „Internationale Beziehungen 1917-1947“ S.29ff

1 Die Höhe der Schulden wird auf der Konferenz von Boulogne festgesetzt (Juni 1920, später aber revidiert): 269 Milliarden Goldmark, gezahlt in 42 Jahresraten

2 Tilgung von 59 Jahresraten mit durchschnittlicher Zahlung von 2 Milliarden Goldmark

1 liberal- aristokratischer (deutscher) Politiker und Leiter der sechsköpfigen Friedensdelegation in Ver- sailles

1 Thomas Mann am 21.5.1919 in einer Pressemitteilung. Zitiert nach: Niedhart: „Deutsche Geschichte 1918-1933“ S.53

2 vgl. Niedhart: „Deutsche Geschichte 1918-1933“ S.54

1 Als „Cordon sanitaire“ bezeichnet man einen Staatengürtel von Finnland über die baltischen Staaten und Polen bis zum Balkan. Er war innenpolitisch instabil, wirtschaftlich und militärisch zu schwach, um von sich aus ein Sperrgürtel gegen den von Westeuropa gefürchteten Bolschewismus zu sein. Frankreich verstärkte dieses ausgedehnte Bündnissystem aus Angst gegen eine revisionistische Politik Deutschlands und Rußlands

2 Abtretung von Südtirol bis zum Brenner, außerdem von Triest, Istrien und Dalmatien sowie Gebieten in Kärnten und Krain; Anerkennung der Selbstständigkeit Ungarns, Polens der Tschechoslowakei und Jugoslawiens. Berufsheer von 30.000 Mann

3 Abtretung von Slowakei und Karpato-Ukraine an die Tschechoslowakei, Kroatien-Slawonien an Jugoslawien, Siebenbürgens an Rumänien; Heeresstärke: 35.000 Mann

1 vgl. Ausführungen mit: Graml: “Europa zwischen den Kriegen“ S.48ff; Klöss: „Von Versailles zum Zweiten Weltkrieg“ S.16ff

1 Niedhart: „Internationale Beziehungen 1917-1947“ S.36

1 Graml: „Europa zwischen den Kriegen“ S.85

2 Niedhart: „Internationale Beziehungen 1917-1947“ S.36

3 vgl. letzten Absatz: Kotowski: „Die Folgen von Versailles 1919-1924“ S. 115-133 Hrsg: Rössler

1 Mickel: „Geschichte, Politik und Gesellschaft“ S.288

2 vgl. dtv- Atlas zur Weltgeschichte Band 2 S.412

3 zitiert nach: Niedhart: „Internationale Beziehungen 1917-1947“ S.37

4 derselbe: „Deutsche Geschichte 1918- 1933“ S.76

1 vgl. zur Genua-Konferenz: Hürten: „Zwischenkriegszeit und Zweiter Weltkrieg“ S.34;

2 Krautkrämer: „Internationale Politik im 20. Jahrhundert“ S.27

3 zitiert nach: Niedhart: „ Internationale Beziehungen 1917-1947“ S.52

4 vgl. Hürten: „Zwischenkriegszeit und zweiter Weltkrieg“ S.34

5 Der Vertrag wurde am 22. Juli 1941 außer Kraft gesetzt. Vorher war es noch zu weiteren Ergänzun- gen gekommen: 5. November 1922: Ausdehnung des Vertrages auf andere Bundesstaaten der UdSSR; ferner wurden am 12. Oktober 1925 noch Zusatzverträge wirtschaftlicher und anderer Art geschlossen

2 Krautkrämer: „Internationale Politik im 20. Jahrhundert“ S.27

1 vgl. zur Rapallobewertung: Niedhart: „Deutsche Geschichte 1918-1933“ S.78f

3 Regelungsplan der Reparationen: Deutschland soll 5,4 Milliarden Mark bis 1928, ab 1929 jährlich 2,5 Milliarden Mark zahlen, wobei Reichseinnahmen verpfändet werden. Außerdem Gewährung eines Darlehns von 800 Millionen Goldmark zur Zahlung der ersten Rate. Der Plan wird durch ein Abkommen auf der Londoner Konferenz bestätigt.

4 zitiert nach: Niedhart: „Deutsche Geschichte 1918-1933“ S.99

5 vgl. Krüger: „Versailles“ S.135

1 zitiert nach: Mickel: „Geschichte, Politik und Gesellschaft“ S.289

2 vgl. Klöss: „Von Versailles zum Zweiten Weltkrieg“ S.155

3 vgl. Schlußprotokoll des Locarno- Paktes vom 16. Oktober 1925 in der Anlage

4 zitiert nach: Niedhart: „Deutsche Geschichte 1918-1933“ S.103

1 vgl. Klöss: „Von Versailles zum Zweiten Weltkrieg“ S.155

2 derselbe: „Von Versailles zum Zweiten Weltkrieg“ S.155

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Der Versailler Vertrag und seine Bedeutung für die Zwischenkriegszeit in Europa
Veranstaltung
Leistungskurs Geschichte
Note
12 Punkte
Autor
Jahr
1997
Seiten
25
Katalognummer
V106188
ISBN (eBook)
9783640044672
Dateigröße
508 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Hoffe, es hilft euch ein bisserl!! Obwohl ich die Arbeit vor 5 Jahren geschrieben habe, würde ich mich über eine schriftliche Resonanz freuen!!
Schlagworte
Versailler Vertrag, Nachkriegsordnung, Locarno- Vertrag, Weimarer Republik, Thema Versailler Vertrag
Arbeit zitieren
Stefan Frank (Autor:in), 1997, Der Versailler Vertrag und seine Bedeutung für die Zwischenkriegszeit in Europa, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106188

Kommentare

  • Gast am 30.9.2008

    DEINE ARBEIT WAR MEINE RETTUNG!!!! =).

    HI
    also ich sittz hier gerade an meinen hausarbeiten und hab was über den vertrag von versailles gesucht.....hab aber nirgends das gefunden was ich gebraucht habe.
    deine facharbeit kam mir da gerade recht!!!!
    ich habe alles gefunden......und die arbeit ist echt top!!!
    alles dabei...hat mir echt megadoll geholfen.
    find ich cool dass ud deine arbeit zur verfügung stellst.
    Liebe Grüße und danke nochmal
    Linda

  • Gast am 24.8.2006

    der versailler vertrag und seine bedeutung für .....

    ich finde deine facharbeit echt top ;-)

    hat mir sehr geholfen... vielen dank

  • Gast am 28.9.2002

    Mein Kommentar.

    Ich finde die Ausarbeitung echt gut, denn du betrachtest viele Gesichtspunkte, die mit dem Versailler Vertrag zusammenhängen. Es nicht eine bloße Aufzählung von Fakten, sodern eine schriftliche Auseinandersetzung mit dieser Problematik. Ich denke man merkt deutlich bei deiner Arbeit, dass du dich mit dem Thema längere Zeit auseinandergesetzt hast. Mir hat die Arbeit sehr geholfen, da sich nun meine Fragen geklärt haben und ich die Klausur morgen nun etwas leichter nehmen kann.Hab Dank und viele Grüße Julia

  • Gast am 29.5.2002

    Bernd Hussmann.

    Die Arbeit ist zwar für ein mein kleines Referat zu ausführlich, trotzdem ist dein Sprachstil und die inhaltliche Tiefe der Ausführungen echt bemerkenswert (hätte bei uns glaub ich noch mehr als 12 Punkte eingebracht!!). Studierst Du jetzt Geschichte??

  • Gast am 12.5.2002

    Der Versailler Vertrag und seine Bedeutung für die Zwischenkriegszeit in Europa.

    In unserer Zeit vergisst man oft, dass oft ausländische Faktoren sich auf die deutsche Geschichte negativ ausgewirkt haben. So ist der Vertrag von Versailles ein Musterbeispiel dafür, wie in indirekter Weise die Mitverantwortung für das Verhängnis des Nationalsozialismus den Westmächten zugesprochen werden muss. Jeder Physiker weiß dass keine Wirkung (reactio) ohne Ursache (actio) sein kann. Endlich wird gezeigt, dass der Vertrag von Versailles ein großen Anteil an der Ursache von der Wirkung in Form des Nationalsozialismus hatte.

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