Das deutsche Hörspiel


Bachelorarbeit, 2001

10 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Das deutsche Hörspiel

I. Definition des Hörspiels

Es handelt sich bei einem Hörspiel um eine akustische und darum schnell vergängliche Existenzform. Der Hörer wird durch seine Phantasie beim Zuhören durch das Wort und andere akustische Signale zum Mitproduzieren angeregt. Man kann sagen, dass sich die Bühne des Hörspiels im Inneren des Hörers befindet.

Eingrenzung auf solche Stücke, die original für den Rundfunk geschrieben bzw. in seinen Studios produziert worden sind.

II. Geschichte des deutschen Hörspiels

1. Einteilung der Geschichte des deutschen Hörspiels in vier Phasen

ƒ- Die Zeit der Weimarer Republik (1923- 1932)
ƒ- Die Zeit des Nationalsozialismus (1933- 1945)
ƒ- Die Zeit des Nachkriegsrundfunks (1947/48- ca. 1960) ƒ Das Zeitalter des Fernsehens (1960 bis heute)

2. Die Geschichte

2.1.Die Zeit der Weimarer Republik (1923- 1932)

Allgemeines

Am 29. Okt. 1923 eröffnete der deutsche Unterhaltungsfunk in Berlin.

Im Laufe des Jahres 1924 erfolgte der Programmbeginn weiterer Sendestationen wie Leipzig, Frankfurt a.M., München, Hamburg u.a. Das neue Medium faszinierte die Menschen und immer mehr begannen, Rundfunk zu hören: Zu Beginn des Jahres 1924 gab es 1580 Hörer, Mitte des Jahres 100.000 und zu Beginn des Jahres 1926 konnte man die erste Million ver- zeichnen, 1932 die vierte.

Entwicklung des Hörspieles/ Theoretisches

Die Frage nach dem ersten deutschen Originalhörspiel wird unterschiedlich beantwortet: Sowohl in Rolf Gunolds Spuk (uraufgeführt am 27.01. 1925 in Breslau), als auch Hans Fleschs Zauberei auf dem Sender (uraufgeführt am 24.10. 1924 in Frankfurt) werden in diesem Zusammenhang genannt.

Insgesamt betrachtet, lässt sich zunächst feststellen, dass man in der Anfangsphase des Rund- funks auf dramatische Werke der Literatur zurückgriff und diese für den Hörfunk bearbeitete. Eine solche Inszenierung literarischer Klassiker nannte man Sendespiele. Durch besondere Regieleistungen in diesem Bereich zeichneten sich Ernst Hardt (Intendant des Kölner Sen- ders), Alfred Braun und Arnolt Bronner (beide arbeiteten für die Berliner Funk- Stunde) aus.

- Inszenierung von Wallensteins Lager: Man versuchte durch Kostüme und Kulissen die Bedingungen einer Bühnenaufführung zu inszenieren. Dabei bezog man mehrere Stockwerke eines Hauses in Berlin, das erstes Stockwerk man gemietet hatte, sowie das Treppenhaus als Schallräume mit ein.

Zu einer Unterscheidung zwischen dem Begriff Sendespiel und Hörspiel kam es im Jahr 1924, als der Rundfunkkritiker Heinz S. von Heister in der Zeitschrift Der Rundfunk den neu- en Begriff des Hörspieles prägte. Dieser meint fortan eigens für den Rundfunk geschriebene Werke1 .

In den nächsten Jahren entwickelte sich das Hörspiel zu einem Rollenspiel, dessen Schwerpunkt auf Identifikation und Illusionismus beruhte. Der dramaturgische Einsatz von Geräuschen diente als Mittel, um diese Wirkung zu unterstreichen.

Eduard Reinacher Hörspiel Der Narr mit der Hacke (Erstaustrahlung am 11.07.1930 vom Kölner Sender) repräsentiert diesen Typus nahezu perfekt. Das Geräusch der Hacke, mit der sich der japanische Mönch Doin durch den Berg gräbt, erscheint als Symbol des inneren Kampfes bzw. als Leitmotiv der tätigen Buße.

Rundfunkanstalten

Von Anfang an versuchte der Rundfunk, Schriftsteller an das Medium Radio zu binden, um das Hörspiel als literarische Gattung ins Bewusstsein der Hörer zu bringen..

So veranstaltete die Reichs- Rundfunk- Gesellschaft 1927 ein Hörspiel- Preisausschreiben, bei dem nicht nur das Interesse der Dichter für das Medium Rundfunk geweckt werden sollte, sondern auch Nachwuchs gesucht wurde. Unter den 1177 eingesandten Hörspielen wanderten jedoch 900 direkt in den Mülleimer und von den restlichen wurden nur 6 zum Kauf empfohlen. Keines jedoch erhielt den ersten Preis.

Autoren/ Hörspiele

1929 fand die Kasseler Tagung über Dichtung und Rundfunk statt der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste zusammen mit der RRG. In 12 Referaten und Coreferaten wurden Probleme der Zusammenarbeit zwischen Schriftstellern und Rundfunk erörtert. In diesem Zusammenhang kamen erste Hörspieltheorien auf. Unter den Referenten befanden sich u.a. Alfred Döblin, Arnold Zweig oder Hermann Kasack

Im selben Jahr wurde auch eine breite Palette an Hörspielen ausgestrahlt. Man spricht von einer ersten Blütezeit des Hörspiels. Der Anteil des Hörspieles im Rundfunkprogramm machte in dieser Zeit etwa 2% aus. Einige von ihnen sind:

™- Bert Brechts Der Flug der Lindberghs, dessen 4. Fassung mit dem Untertitel: Ein Radio- lehrstück für Jungen und Mädchen, versehen war, verweist bereits auf den Kontext seiner Lehrstücke. Die Uraufführung erfolgte am 27. 07. 1927 im Rahmen der Baden-Badener Musiktage, die Ausstrahlung auf allen Sendern am 29. 07. 1929. Brecht dieses Konzept des Hörspieles aus der Überlegung heraus, aus dem Rundfunk eine wirklich demokratische Sache zu machen.
™- Erich Schäfers Malmgreen beschreibt die Katastrophe des Luftschiffes Italia während des Nordpolfluges unter seinem Kapitän Nobile im Jahr 1928. Im Hörspiel wird mit reporta- geähnlichen Elementen gearbeitet, sowie mit epischen und lyrischen Elementen, wie z.B. dem inneren Monolog. Das Individuum (in Person des gleichnamigen Protagonisten Fin Malmgreen) steht im Mittelpunkt.
™- Friedrich Wolfs SOS rao rao Foyn- „ Krassin “ rettet „ Italia “ thematisiert die Leistung des Kollektivs für den technischen Fortschritt wird Die Uraufführung fand am 08.11.1929 statt.
™- Ernst Johannsens Brigadevermittlung war das e rfolgreichstes Hörspiel, auch international mit über 50 Sendungen in elf Ländern. Die Uraufführung fand am 17.10.1929 statt. Es be- handelt inhaltlich die letzte Phase des Stellungskrieges im Westen aus der Perspektive ei- ner Telefonvermittlung. Antikriegsstück seiner Zeit.
™- Hermann Kessers Schwester Henrietta wurde das 1.Mal 1928 von Radio London gesen- det. Die deutsche Uraufführung fand am 28.8.1929 statt. Inhaltlich berichtet eine Kran- kenschwester an einem Gerichtstag in ihrer Zeugenaussageüber den Selbstmord eines von ihr geliebten Patienten. Kesser arbeitet mit dem inneren Monolog ohne weitere akus- tische Variation. Das Hörspiel ist auf Identifikation mit der Protagonistin angelegt und be- einflusste damit das Hörspiel der fünfziger Jahre.

Themen

Inhaltlich dominierten neben der Adaption klassischer Dramen die Darstellung echter oder fingierter Katastrophen und der letzten Helden der Neuzeit wie Polarforscher, Flieger, Berg- steiger usw.

Gestaltungsmittel/ Praktisches

Bis 1929 spricht man für das Hörspiel von einer Phase des Experiments .Man erprobte zunächst die technischen, inhaltlichen und formalen Mittel der neuen Gattung. Der Schwerpunkt lag somit einfach auf der akustischen Sensation, die dem Hörer vermittelt werden sollte. Nach Brecht sollte der Hörer zum aktiven Mitspieler des Hörspieles werden.

Erst am Ende der 20er Jahre entwickelte sich dieser Pluralismus der Formen in Richtung auf das literarisch-wortzentrierte Hörspiel. Stilbildend wirkte hier der innere Monolog, der imaginierte Dialog und die Technik, verschiedene Welten oder Erzähl- Ebenen (z.B. Gedankenund Realwelt) ineinander übergehen zu lassen.

Diese Richtung des literarischen Hörspieles fand ihren Höhepunkt in den fünfziger Jahren, während die akustischen Experimente in den sechziger Jahren wiederentdeckt wurden.

2.2.Die Zeit des Nationalsozialismus (1933- 1945)

Allgemeines

1932 wurden mit der Neuregelung des Rundfunks die notwendigen Vorraussetzungen ge- schaffen, um den Zugriff des Staates auf den Rundfunk zu ermöglichen. Mit der Machtüber- nahme der Nationalsozialisten 1933 wurde der Rundfunk zum staatlichen Propagandainstru- ment erklärt.

Obwohl liberale Intendanten und Mitarbeiter entlassen oder gar inhaftiert worden sind und Autoren wie Bert Brecht, Friedrich Wolf oder Alfred Döblin Sendeverbot erhielten, stellt das Jahr 1933 keine Zäsur in dem Sinne dar, dass es gar keine Hörspiele mehr gegeben hätte. Doch die strikte staatliche Kontrolle darüber, was gesendet wurde, nahm immer mehr zu.

Entwicklung des Hörspieles/ Theoretisches

Um dieser Zensur zu entgehen, traten viele Hörspiele, die sich nicht mit den nationalsozialistischen Idealen identifizieren wollten, den Rückzug ins Private, menschlich Allgemeingültige oder in die Natur an. Derselben Entwicklung begegnet auch man in der Literatur dieser Zeit. Jedoch wurden diese nicht-offiziellen Hörspiele nur eine kurze Zeit und auch das nur im Spätabendprogramm gesendet.

Hörspielautoren, welche sich nicht mit dem neuen deutschen Regime arrangieren konnten, verließen Deutschland und gingen ins Exil. Das bisher aufgefundene Material zum ExilHörspiel ist aber eher dürftig. Systematische Nachforschungen in den Archiven ausländischer Rundfunkanstalten stehen noch aus.

Zu den bekannteren Beispielen der Exil Hörspiele gehört Anna Seghers Prozess der Jeanne d ´ Arc zu Rouen 1431. Es ist das einzige Hörspiel Anna Seghers und wurde 1937 vom flämi- schen Rundfunk uraufgeführt. Die Autorin nähert sich dem historischen Stoff in dokumentari- scher Weise.

Das zweite bekannte Beispiel stellt Bert Brechts Lukullus vor Gericht dar, das 1940 von Radio Beromünster gesendet worden ist.

Das eigentliche und offizielle, „nationalsozialistische“ Hörspiel, das ab 1933 dramaturgisch entwickelt worden ist, stand im Dienste der Vermittlung nationalsozialistischer Ideologie. Insgesamt nahm der Anteil der Hörspiele im Rundfunkprogramm ab. 1938 machte er nur noch 0,9% aus.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges verschärfte sich diese Funktionalisierung des Hörspieles. 1940 wurde der Kriegsrundfunk proklamiert und fortan sollten mit Kurzhörspielen v.a. Soldaten ideologisch gefestigt werden. So wurde z.B. während des Frankreichfeldzuges die englandfeindliche Hörspieltrilogie Suez, Faschoda, Kapstadt von Hans Rehberg in französischer Sprache ausgestrahlt, um die englandfeindliche Haltung zu bestärken.

Autoren/ Hörspiele

Ein wichtiges Hörspiel der dreißiger Jahre, Hermann Kasacks Arbeitslosendrama Der Ruf, wurde im März 1933 gegen den Protest des Autors mit einem verfälschten Schluss ausgestrahlt, der dem Zuhörer das Gefühl vermittelt, der Nationalsozialismus habe das Problem der Arbeitslosigkeit gelöst.

Themen

In den nationalsozialistischen Hörspielen stehen Reichsidee und Reichsgeschichte im Mittelpunkt. Hauptsächlich gesendet wurden chorische Fest- und Weihespiele, in denen Politik einen sakralen Charakter erhielt.

Gestaltungsmittel

Die Forderung nach einer reinen Inhaltsdramaturgie im Rahmen des nationalsozialistischen Hörspiels, wie übrigens auch im Theater und der Literatur, zielte auf eine suggestive Emotio- nalisierung der Hörer. Der Einsatz von Musik, wie Fanfaren, Horn, Orgel, Chormusik, sollten ein Gemeinschaftsgefühl herstellen. Die Sprache war auch von chorischen Elementen geprägt.

2.3.Die Zeit des Nachkriegsrundfunks (1947/48- ca. 1960)

Allgemeines

In der unmittelbaren Nachkriegszeit war die deutsche Rundfunklandschaft von den alliierten Soldatensendern geprägt. Im Laufe der Jahre 1948/49 entstanden die ersten Rundfunkanstalten öffentlichen Rechts.

Am 5. August 1950 kommt durch den Zusammenschluss der Sendeanstalten der einzelnen Länder die Arbeitsgemeinschaft deröffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesre publik Deutschland (ARD) zustande.

Dieser Zusammenschluss ist aus dem Grunde wichtig, da er zum einen den kulturellen Programmaustausch zwischen den einzelnen Sendern möglich machte und zum anderen zur CoProduktion verschiedenster Sendungen führte, wie z.B. des Hörspiels. Auf diese Weise konnten die Sender ihre Kosten geringer halten.

Entwicklung des Hörspieles

Die Bedeutung des Hörspiels in den fünfziger Jahren war die einer kulturellen Abendveran- staltung. Es wurde abends um 20h gesendet und versammelte die ganze Familie vor dem Ra- dio. Durchschnittlich 30-40% der Gesamthörerschaft hörte regelmäßig Hörspiele. Dieser An- teil ging erst mit dem verstärkten Aufkommen des neuen Mediums Fernsehen Anfang der 60er Jahre auf 22% zurück. Seitdem hat das Hörspiel bei den Medien-Rezipienten nur noch eine geringe Bedeutung.

Erst 1950 erfolgte im Rundfunk, und insbesondere beim NWDR, die heute übliche organisatorische und intentionale Trennung von Hörspiel und Feature. Bis dahin herrschte eine Form vor, die Tatsachen, Erscheinungen der Natur, Probleme der Wirtschaft und Politik anschaulich machte, ohne zu dramatisieren. Das starke Interesse am Feature folgte der damaligen Forderung nach einem einfachen, klaren und präzisen Realismus.

Bei dem Begriff „Feature“ handelt es sich um einen Terminus technicus, der ein auf Stimmen verteiltes, gut sprechbares, lebendig gegliedertes Feuilleton2 meint.

Durch die Trennung der redaktionellen Einheit von Hörspiel und Feature wurde der Grund- stein gelegt zur Entwicklung des Hörspiels, die zu einer Konzeption des Hörspieles als eine reine Wortkunst führte. Inhaltlich trat der Alltag zugunsten allgemein ethischer Appelle zu- rück.

Preise

1951 wurde der Hörspielpreis der Kriegsblinden ins Leben gerufenen, der sich zu dem renommiertesten der BRD entwickeln wird.

Nach den Richtlinien des Hörspielpreises soll ein solches Hörspiel ausgezeichnet werden, das uns noch lange der Sendung am tiefsten bewegt und das uns innerlich bereichert, das uns vom Menschlichen her anredet und uns eine Hilfe gibt, mit dem Dasein besser fertig zu wer- den oder die Zusammenhänge und Aufgaben unseres eigenen Lebens besser zu verstehen.3

Mit dieser Stiftung wurde also das Konzept von Unterhaltung, Information und Bildung (des öffentlich-rechtlichen Rundfunks) mit dem Bestreben verbunden, die geistige Not der Nachkriegsgesellschaft überwinden zu helfen.

Diese inhaltlichen, sowie moralischen Aspekte wurden bald um die Akzente des künstlerischen Fortschritts und der Veränderung im Hörspiel ergänzt.

Rundfunkanstalten

Zwei Rundfunkanstalten waren in den 50er Jahren in Hinblick auf die Entwicklung des Hörspiels besonders bedeutend: Der NWDR (und ab 1955 NDR) und der SDR. Gerhard Prager (Leiter der Hörspiel-Redaktion des SDR) war eine prägende Persönlichkeit in der Hörspiellandschaft der BRD. Er war es, der als erster Sendereihen einführte. Diese fasste jeweils eine Gruppe von Hörspielen zusammen, sei es thematisch, typologisch oder geographisch. So kam z.B. 1950 die Reihe Pioniere des Hörspiels zur Sendung und damit war der Grundstein zur Repertoire- Bildung im Hörspiel-Programm gelegt.

Ebenfalls 1950 gab Prager das erste Hörspielbuch heraus. In dieser Publikationsreihe, die 1953-1960 von NDR und SDR gemeinsam herausgegeben wurde, erschienen die wichtigsten Hörspiele als Textausgaben. Diese Texteditionen waren für das poetische Hörspiel der fünfziger Jahre als Interpretationsgrundlage wertvoll, da man Handlungs- und Dialogstrukturen besser nachvollziehen konnte.

Der NWDR bemühte sich, durch Preisausschreiben (1950) und Kontakten zur Gruppe 47 Hörspielautoren zu finden Ernst Schnabel, ein Mitglied der Gruppe 47, brachte 1947 Wolfgang Borcherts Draußen vor der Tür zur Ausstrahlung. Bei diesem handelt es sich aber nicht, wie oft angenommen, um das erste Originalhörspiel des Nachkriegsrundfunks. Dies war vielmehr Ottos Starkes Der Held, das am 21. Oktober 1946 gesendet worden ist.

Autoren

Der Rundfunk gab den Autoren die Möglichkeit, gegen Bezahlung veröffentlichen zu können, während die Besatzungsmächte unter den Autoren unbelastete Mitarbeiter für ihr Re- Education Programm fanden. Fast alle haben vom Rundfunk gelebt, beschreibt Hans Werner Richter, Initiator der Gruppe 47, die Situation der Schriftsteller in der Nachkriegszeit.

Ein großer Verdienst des SDR ist die Entdeckung Günther Eichs als Hörspielautor. Ebenso wie Fred von Hoerschelmann, verpflichtete sich Günther Eich in einem Vertrag, dem SDR regelmäßig, nämlich viermal im Jahr, Hörspiele abzuliefern. Günther Eich war der produktivste und auch bedeutendste Hörspielautor der 50er Jahre. Sein Hörspiel Träume brachte 1951 den Durchbruch. Es erregte nicht nur ungeheures Aufsehen, sondern stieß auch auf heftige Proteste durch seinen Appell zum Nonkonformismus.

Unter den Autoren finden sich heute bekannte Namen wie:

Alfred Andersch, Wolfgang Hildesheimer, Wolfgang Weyrauch, Horst Mönnich, Siegfried Lenz, Walter Jens, Heinrich Böll, Wolfdietrich Schnurre, Marie Luise Kaschnitz, Günther Eich, Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger, Martin Walser oder die Schweitzer Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch.

Themen

Thematisch spiegelte sich im Hörspiel der 50er Jahre das Spektrum der Buch- Literatur jener Jahre:

Die Sinnlosigkeit des Krieges, das Ost-West-Problem, der innere Widerstand, das Verhältnis zu Juden, der Schuld-Sühne-Komplex waren zunächst bestimmende Themen, dann folgten auch die Wohlstandsgesellschaft, das leere Eheleben, die Identität, Macht und Faschismus und zeitgeschichtliche Ereignisse von Hiroshima bis zum Mondflug.

Gestaltungsmittel/ Praktisches

Auch die neuen technischen Möglichkeiten durch die Einführung des Tonbandes kamen der Entwicklung des Hörspieles im künstlerisch- dramaturgischen Bereich zugute: Schnitt, Überblendung, Raumwechsel, Einblendung von Geräuschen, Mehrgleisigkeit der Handlungsebenen waren nun ohne größeren Aufwand darstellbar.

In den Hörspielen wurden außersprachliche Mittel wie Geräusche und Musik sparsam eingesetzt. Sie haben zumeist symbolische Bedeutung und somit eine interpretative Funktion für die sprachliche Aussage. Das Zentrum sind die literarischen Dialoge, die lyrischen Passagen und die poetische Komposition.

Schwitzke: Im Hörspiel gibt es keine Musik ohne eine Handlungsfunktion und kein Geräusch ohne eine Sinnfunktion für den thematischen Zusammenhang.

Die 50er Jahre werden als die Blütezeit des Hörspieles bezeichnet. Es stellte einen nicht zu unterschätzenden kulturellen Beitrag zum Abendprogramm dar, innerhalb einer Gesellschaft, die sich in die Familie zurückzog. Die Krise, in die das Hörspiel dann Anfang der sechziger Jahre geriet, vollzog sichäußerlich durch das Absinken der Hörerbeteiligung aufgrund des sich immer weiter verbreitenden neuen Mediums Fernsehen und innerlich durch die wieder aufgenommene Suche nach neuen Ausdrucksformen für veränderte Inhalte.

2.4. Das Zeitalter des Fernsehens (1960- heute)

Allgemeines

Auf der Ulmer Hörspieltagung 1960 wurden zum ersten Mal Vorwürfe laut, dass Hörspielproduktionen für viele Autoren zur reinen Routine und Geldbeschaffungsmaßnahme geworden seien. In den Hörspielen zeichnete sich eine Gleichförmigkeit ab; die Form des literarischen Hörspieles hatte sich konventionalisiert und wirkte erschöpft.

Die technische Innovation, welche die Entwicklung des Hörspiels in den folgenden mitgetra- gen hat, ist die Stereophonie. Ab 1965 wurde sie bei der Produktion von Hörspielen anwen- det.

Zu Beginn befürchtete man eine ungewollte Renaturalisierung des Hörspiels. Doch diese Befürchtung wich dann der Erkenntnis, dass durch die Stereophonie

erst eine differenzierte Beziehung zwischen simultanen Hörereignissen möglich (ist); jetzt erst lässt sich z.B. sagen, ob sie tatsächlich ineinander fallen oder ob sie nebeneinander stehen. Jetzt erst, da es den schalltoten Raum gibt, gibt es auch den hörbaren, dimensionierten Raum.4

Entwicklung des Hörspieles

Allmählich fanden in der ersten Hälfte der 60er Jahre Experimente in die akustische Richtung statt. Dies v.a. in den Hörspielstudios des bayrischen und saarländischen Rundfunks.

Als bekanntestes Beispiel wären die Schallspielstudien zu nennen, die Paul Pörtner ab 1964 durchgeführt hat. Doch erst 1968 prägte Klaus Schöning, Dramaturg und Redakteur der WDR Hörspielabteilung, den Begriff des sogenannten Neuen Hörspiels.

1961 forderte Friedrich Knilli bereits in seiner Schrift Das Hörspiel- Mittel und Möglichkei- ten des totalen Schallspiels einen neuen Typus des Hörspiels, der die totale Bespielung der Schallwelt und Realisation von Gestalten, nicht deren Abbild beinhalten sollte. Knilli stieß mit seinen provokanten Thesen zu dem, wie er es nennt, Totalhörspiel, auf Unverständnis und Ablehnung. Erst Jahre später schätzt man ihn als einen Theoretiker des Neuen Hörspiels.

Doch was meint der Begriff Neues Hörspiel ? Es erklärt sich v.a. in seiner strikten Abgrenzung zum traditionellen Hörspiel. So lehnt es dessen heile Welt der Sprache und seine enge Bindung zum traditionellen Literatur- und Theaterverständnis ab und wirft ihm ein Misstrauen gegenüber der technischen Apparatur und ein unkritisches Verhältnis zur Kultur- und Bewusstseinsindustrie vor. Das Neue Hörspiel begreift sich als anti-literarisch, anti- illusionistisch und möchte als Spiel mit dem Hörbarem5 verstanden werden.

Traditionsbezüge lassen sich in der Lautdichtung der Dadaisten und v.a. Kurt Schwitters finden, der Konkreten Poesie (Heißenbüttel, Mon) und Brechts Radiotheorie.

Es spiegeln sich hier bereits deutlich die Auswirkungen der Krise, in welche die Sprache in diesen Jahren geriet. Man zweifelte prinzipiell an der Möglichkeit, mit Hilfe von Sprache die Wirklichkeit erfassen oder beschreiben zu können. Es ging fortan nicht mehr um Poetisierung, sondern um die Dekuvrierung bestehender Sprachmuster.

Vor allem gegen Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre entstanden die Originalton- Hör- spiele. In dieser Entwicklung sah Dieter Hasselblatt, Leiter der Hörspielabteilung des BR, ei- ne Gegenentwicklung zu der rein experimentellenüberbetonung des Technologischen6.

Durch die schnelle Verbreitung des Umgangs mit O-Ton-Material innerhalb des Hörspieles wurden die Sendeformen wieder offener. Und auch im anspruchsvollen Hörspiel kann man in der Mitte der 70er Jahre wieder Rollenspiele und Spiele mit exemplarischen Situationsmodel- len entdecken, wobei dramaturgisch durchaus die Spuren des Neuen Hörspiels sichtbar wer- den.

Neue Einflüsse auf das Hörspiel ergaben sich auch durch die elektronische und konkrete Musik. V.a. der Westdeutsche Rundfunk förderte diese neuen Tendenzen und sendete z.B. 1970 Hörspiele dieser Art in der Reihe Komponisten als Hörspielmacher.

Preise

Im Frühjahr 1969 wurde dann auch zum ersten Mal der Hörspielpreis der Kriegsblinden an ein Neues Hörspiel verliehen: Fünf Mann Menschen von Ernst Jandl und Friederike Mayröcker erhielt diese Auszeichnung. Zudem handelt es sich bei diesem Hörspiel um das erste vollständig stereophon produzierte Werk.

Als O-Ton-Hörspiele wurden 1972 Paul Wührs Preislied und 1973 Hans Noevers Der Tod meines Vaters mit dem Preis der Kriegsblinden ausgezeichnet.

Autoren

Die in den 50er Jahren übliche Trennung von Autor und Regisseur, also von Dichter und Technik, brach in den Neuen Hörspielen auf. Entweder realisierten die Autoren ihre Hörspiele selbst oder lieferten sogenannte Partituren (im Rahmen der Texteditionen), die offen waren für die Interpretation durch den Regisseur.

Themen

Thematisch wurde in der ersten Hälfte der 70er Jahre als Schwerpunkt die Arbeitswelt behan- delt, der sich ab der Mitte des Jahrzehnts zu Problemen der Identität, zum Privat- und Emoti- onsbereich und zum Autobiographischen hin verlagerte. Bekannte Autoren dieser Zeit sind z.B. Elfriede Jelinek, Urs Widmer, Gabriele Wohmann, Sylvia Hoffmann oder Peter Stein- bach.

Gestaltungsmittel

Ton, Geräusch und Stimme sollten nur noch als technische Schallgestalten gelten, die ein bildfreies Spiel ermöglichen. Dieses ist aber deutlich zu unterscheiden vom traditionellen Rollenspiel, denn es ist ein Spiel mit akustischen Mitteln.

Zentrales Gestaltungselement vieler Neuer Hörspiele, ist die Collage. Sie ist, nach Heinrich Vormweg, das Medium, mit dem geprüft wird, in welcher Art und Weise Dokumente auf die Realität verweisen.7 Durch die Collagetechnik kann der Umgang mit dem rein phonetischen Material über die Sprachkritik hinaus zur Medien- und somit zur Gesellschaftskritik erweitert werden.

Friedrich Knilli sagt im Deutschen Lautsprecher (1970) über die Autoren, dass ihre Heimat der Supermarkt der Kulturindustrie sei.

Heute

Auch heute ist das Hörspiel noch auf den öffentlich-rechtlich Sendern vertreten und es existieren die verschiedenen Genres nebeneinander. Vom Literarischen Hörspiel, über Kriminalhörspiele und Mundart wird alles gesendet.. Das Neue Hörspiel hat in der heutigen Sendepraxis, und v.a. im Zusammenhang mit der Arbeitsgruppe Der Europäischen Rundfunkunion, eine Umbenennung in Ars Acustica erfahren. Daneben existieren auch Begriffe wie Klangkunst, Audio Art oder Sound Art (USA).

3. Grundsätzliche Unterschiede zwischen dem Traditionellen und dem Neuen Hörspiel

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 Von Heister, Heinz S.: Das Hörspiel. In: Der deutsche Rundfunk. Heft 40/ 1925. S. 524f.

2 Fischer, Kurt Eugen: Das Hörspiel. Form und Funktion. Stuttgart 1964. S. 89.

3 Zitiert nach Wickert, Erich: Zur 25. Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden. In Schöning, Klaus (Hg.): Schriftsteller und Hörspiel. Reden zum Hörspielpreis der Kriegsblinden. Königstein/Taunus 1981. S. 127. 5

4 Mon, Franz: bemerkungen zur stereophonie. In: Schöning, Klaus (Hg.): Neues Hörspiel. Essays, Analysen, Gespräche... S.126.

5 Heißenbüttel, Helmut: Horoskop des Hörspiels. In: Schöning, Klaus (Hg.): Neues Hörspiel. Essays, Analysen, Gespräche... S. 58.

6 Hasselblatt, Dieter: Die Fantasie des Hörers ist die Wirklichkeit des Hörspiels. BR 1. 11.06.1979.

7 Vormweg, Heinrich: Nach den Reden. In: Schöning, Klaus (Hg.): Schriftsteller und Hörspiel. Reden zum Hörspielpreis der Kriegsblinden. Königstein/Taunus 1981. S. 164.

Ende der Leseprobe aus 10 Seiten

Details

Titel
Das deutsche Hörspiel
Hochschule
Universität Regensburg
Veranstaltung
Seminar
Note
2
Autor
Jahr
2001
Seiten
10
Katalognummer
V106256
ISBN (eBook)
9783640045358
Dateigröße
477 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hörspiel, Seminar
Arbeit zitieren
Maria Brauer (Autor:in), 2001, Das deutsche Hörspiel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106256

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