Foucault - Sozialisation des Gefangenen


Hausarbeit, 2002

14 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. System der Martern
2.1 Symbolischer Körper des Königs
2.2 Zeremonielle Marter

3. Reformprojekte
3.1 Notwendigkeit einer Ökonomie der Strafgewalt
3.2 Veränderte Machtverhältnisse
3.3 Manipulation der Seele

4. System der Haftstrafe
4.1 Transformation des Strafvollzugs
4.1.1 Verschwinden des öffentlichen Schauspiels
4.1.2 Milderung der zugefügten Schmerzen
4.2 Dressur der Körper
4.3 Prinzipien des Strafvollzugs

5. Disziplin

6. Disziplinarmacht
6.1 Mittel der guten Abrichtung
6.1.1 Der hierarchische Blick
6.1.2 Die normierende Sanktion
6.1.3 Die Prüfung
6.2 Die gelehrigen Körper

7. Panoptismus/Panopticon

8. Fazit/Kritik

9. Literaturliste

1.Einleitung

In der folgenden Hausarbeit soll im Rahmen des Seminarthemas ,,Zivilisationstheorien" Michel Foucaults Überlegungen zu Veränderung von Machtverhältnissen am Beispiel der Sozialisation des Gefangenen unter Bezug auf das Werk ,,Überwachen und Strafen" genauer betrachtet werden. Foucault sieht ,,Macht" als Strategie welche die gesamte Gesellschaft durchzieht (Marti 1988: 85) und verändert. Darüber hinaus bezeichnet er im ,,Macht-Wissen"- Komplex einen unausweichlichen Zusammenhang zwischen herrschenden Machtverhältnissen und entstehendem Wissen und Wissenschaften und definiert eine Forschungsebene auf der Erkenntnis und Gesellschaft sich gegenseitig bedingen.

Es wird sich zeigen, dass Veränderungen im Strafsystem im 19. Jahrhundert, genauer die Veränderung dahinterstehender Machtverhältnisse, die Geburt neuer Wissenschaften wie Kriminologie, Psychologie und Soziologie begünstigten.

Mit dem Werk ,,Überwachen und Strafen" versucht Michel Foucault am Beispiel der Strafen hinter der Gesellschaft stehende Machtverhältnisse aufzudecken. In historischer Betrachtung erkennt er zunächst bis Mitte des 18. Jahrhundert den Körper des Königs als Träger einer hinter der Gesellschaft stehenden Macht. Ein jedes Verbrechen, als gegen die Macht auflehnender Akt, wird somit zum ,crimem majestatis' (Foucault 1976: 71) . Die Bestrafung eines Verbrechers ist die Wiederherstellung der Autorität des Herrschers. So lassen sich sowohl die Härte der Strafen als genau einstellbare Vergeltung, die Angriffe auf die Körper der Verbrecher, als auch die öffentliche Zeremonie der Martern erklären.

In utopischen Innovationsvorschlägen aufgeklärter Reformer, die die Strafe vollkommen zu entkörperlichen und auf die Manipulation der Seele zu beschränken abzielten, sieht Foucault einen Wandel der dahinter stehenden Machtverhältnisse. Nicht der Körper des Königs, sondern der Gesellschaftskörper ist Träger der Macht. Da jeder Verbrecher selbst ein Teil dieses Gesellschaftskörpers ist, wird aus rein ökonomischen Gründen der Verbrecher vom zu besiegenden Feind zum wiedereinzubürgenden Rechtssubjekt. Genauso ist in der Vorstellung eines ,homo oeconomicus' (ebd. 1976: 158) auf körperliche Strafen zu verzichten und zur Beibehaltung und Steigerung der Produktivkräfte einer ökonomischen Gesellschaft die Seele und Vorstellung des Verbrechers zu bestrafen. Die Strafe bleibt weiterhin öffentlich, wird jedoch vom vergeltenden, zeremoniellen Schauspiel zur andauernden Belehrung und perfekten, individuell angepassten Inszenierung der Moral.

In der Realität jedoch entwickelte sich sehr schnell ab dem Beginn des 19. Jahrhundert ein neues, weder den peinlichen Strafen, noch der Manipulation der Vorstellung der Seele entsprechendes Strafsystem. Das Gefängnis und das System der Haftstrafe setzte sich bis in die heutige Zeit als universale Bestrafung durch. Die unterschiedlichsten Verbrecher werden vollkommen gleich behandelt und gleichzeitig lückenlos individualisiert, klassifiziert und isoliert. Die Bestrafung im Gefängnis wird zum verschlossenen Prozess der Abrichtung. Eine von Verwaltungsapparaten kontrollierte, zwanghafte Unterwerfung und Dressur der Verbrecher findet statt.

Nicht der Körper und auch nicht die Seele, sondern die Körpertätigkeiten und das Gewissen des Individuums sind zum Zielobjekt der Bestrafung geworden. Michel Foucault versucht hinter diesem evolutionär anscheinend überlegenen System der Haftstrafe eine neue, zunächst nicht genauer lokalisierte Form der Macht zu erkennen.

Das Gefängnis entlarvt er genauso wie Schule, Kolleg, Fabrik und Militär als Apparat zur Disziplinierung und postuliert die ,Disziplinarmacht' als neue die Gesellschaft durchdringende und Erkenntnis bedingende Macht (Marti 1988:93).

Die genauere Analyse dieser neuen Spielart der Macht als Triebkraft der Entstehung neuer Wissenschaften und einer effizienteren Ökonomie im Sinne einer Leistungsgesellschaft soll hier im Vordergrund stehen. Abschließend soll das Prinzip des Panoptismus und der Architektur des von J. Bentham 1785 enworfenen Panopticon als reinste Form des Auftretens der Disziplinarmacht erläutert und kritisch geprüft werden.

2. System der Martern

Das gesamte Mittelalter hindurch, bis hinein in das 18.Jahrhundert, stand die körperliche Bestrafung von Verbrechern im Vordergrund. Dabei sind Vorstellungen zügelloser, willkürlicher und wilder Foltern und Strafen aus der Welt zu schaffen. ,,Die peinliche Strafe ist eine Technik und hat nichts mit gesetzloser Raserei zu tun" (Foucault 1976: 46). Die Bestrafung war der Schwere des Verbrechens entsprechend graduell einstellbar und beruhte ,,auf einer quantifizierten Kunst des Schmerzes" (ebd. 1976:46) welche sich in ihrer Vielfältigkeit und öffentlichen Zurschaustellung durch die allgemeine Beziehung zu Verbrecher und Vergehen begründen lässt.

2.1 Symbolischer Körper des Königs

Verbrechen werden allgemein als Auflehnung gegen Gesetze und Normen von Herrschaften betrachtet. Dabei ist von großer Bedeutung, wie sich die Macht dieser Herrschaften oder politischen Systeme nach außen hin offenbart. Bis in das 18. Jahrhundert hinein, vor allem in absoluten Monarchien, wurde die Macht des herrschenden Systems durch die Person des Feudalherren bzw. Königs verkörpert. Nach Untersuchungen von Kantorowitz (,,The King's two bodies") sind Recht und Ordnung unmittelbar mit dem ,Körper des Königs' verwoben. ,,Nach der Rechtstheologie des Mittelalters handelt es sich um einen zweifachen Körper, da er außer dem vergänglichen Element, welches geboren wird und stirbt, eines enthält, welches über die Zeit hinweg dauert und sich als der physische und gleichwohl unberührbare Träger des Königtums erhält" (Foucault 1976: 40)

Die Symbolhaftigkeit dieses Körpers offenbart sich in einer ,,Ikonographie sowie ein[em] Ritual, das in der Krönung, im Leichenbegängnis und in Unterwerfungszeremonien seine stärkste Augenblicke findet" (ebd. 1976:41). Es wird sich im folgenden zeigen, dass peinliche Strafen ebenso als ,,politisches Ritual zu verstehen sind in denen sich die Macht manifestiert" (ebd. 1976: 63).

Ein jedes Verbrechen und Vergehen war demnach nicht nur ein Bruch gültiger Gesetze und Schädigung der Gesellschaft, sondern vielmehr ein direkter persönlicher Angriff auf den Herrscher. ,,Selbst unter der Voraussetzung, dass keinem Individuum Unrecht geschehen ist, liegt immer dann, wenn etwas begangen worden ist, was das Gesetz verboten hat, ein Vergehen vor, das nach Wiedergutmachung verlangt weil das Recht des Herrschers verletzt ist und seine Würde beleidigt ist" (Risi 1768: 9).

Die Bestrafung ist die Wiederherstellung der für einen Augenblick verletzten Macht des Souveräns und wird mit dem Recht des Königs, gegen seine Feinde Krieg führen zu dürfen, begründet.

Es gilt, einen Verbrecher zu ,übermächtigen' und in einer ,Lithurgie der Strafe' die Macht der physischen Kraft des Souveräns und die Asymmetrie zwischen Verbrecher und Herrscher wiederherzustellen und darüber hinaus öffentlich dessen Überlegenheit zu demonstrieren (vgl. Foucault 1976: 65).

2.2 Zeremonielle Marter

In diesem Zusammenhang wird die Notwendigkeit eines öffentlichen Schauspiels verständlich. Die Bestrafung erfüllt ihre rechtlich-politische Funktion nur dann wenn das Volk den Triumph der Justiz ,genauer den Triumph ihres Herrschers, aufsehenerregend zur Kenntnis nimmt und die Bestrafung ,terrorisierend' und abschreckend ist (vgl. ebd. 1976: 64f).

,,Das Volk wird als Zuschauer gebraucht"(ebd. 1976:75). So wurden Pranger, Galgen und Schafotte an öffentlichen Plätzen oder am Rand der Wege errichtet. Die Zeremonie der Übermächtigung endete dabei seltenst mit dem Tod des Verurteilten, sondern ging wie z.B. mit der restlosen Zerstückelung und Schlachtung des Toten bis hin zur Aussendung der Extremitäten in alle vier Himmelsrichtungen des Landes oder tagelanges Aufspießen abgehackter Köpfe an öffentlichen Plätzen weiter. Genauso wird durch die Strafe als Übermächtigung das häufig auftretende Nachspielen des Verbrechens unter umgekehrten Vorzeichen deutlich.

So wurde z.B. Taschendieben die Hand abgehackt, Mörder mit ihren eigenen Tatwaffen umgebracht, Betrüger Geldbußen auferlegt und Entführer eingesperrt. Die Strafe sollte ein an Grässlichkeit überbietendes Spiegelbild des Verbrechens sein. Hier zeigt sich vorausgreifend , dass das Gefängnis in der heutigen Form zwar existierte allerdings nur Teil eines Arsenals an Straftechniken war und nicht dessen universales Prinzip (vgl. ebd. 1976: 75f).

Die peinliche Strafe oder Marter als Teil dieses Strafsystems musste ,,Schmerzen erzeugen, und zwar in einem möglichst genau kalkulierbaren und vergleichbaren Ausmaß, das es erlaubt für die Qualität des Verbrechens eine Entsprechung zu finden" (Marti 1988: 86)

Da der symbolische Körper des Königs durch ein Verbrechen direkt angegriffen wurde und unausweichlich mit dem physischen Körper der Person des Königs verbunden war, wird ersichtlich warum die Bestrafung von Verbrechern die Bestrafung deren Körper als Ziel hatte.

Das öffentliche Schauspiel der Martern war jedoch auch Ausgangspunkt von Unruhen und einer neuen ,,Herde von Gesetzwidrigkeiten" (Foucault 1976: 82). Bei veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, wie der Aufklärung und der beginnenden Industrialisierung wurde das Volk bei Zurschaustellung von Gewalt und Rache zum Unsicherheitsfaktor (vgl. ebd. 1976: 78f).

3. Reformprojekte

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert wird der Protest gegenüber peinlichen Strafen von allen Seiten her immer lauter. Wenn das Volk daran gewöhnt ist ,,Blut strömen zu sehen", lernt es schnell, dass ,,es sich nur mit Blut rächen kann" (Lachèze, Rede vor der Verfassunggebenden Versammlung am 3.Juni 1791). Doch nicht nur Politiker, sondern auch Rechtstheoretiker, Juristen, Richter und Philosophen fordern Veränderungen im Strafsystem.

Jedoch sind Forderungen nach Mäßigung und Menschlichkeit, die in allen Forderungen nach einem gemilderten Strafsystem enthalten waren weniger einer allgemeinen Humanisierung zuzuschreiben, als vielmehr in einen Prozess gegen Ende des 18. Jahrhundert einzuordnen, in welchem die Verbrechen an Gewaltsamkeit zu verlieren schienen, während die Intensität der Bestrafungen nachlässt und ihre Häufigkeit zunimmt.

In Gerichtsarchiven ist eine beträchtliche Verschiebung von bisher geduldeten Gesetzwidrigkeiten von Gewalt- zu Eigentumsdelikten in dieser Zeit zu erkennen. Dieser Sachverhalt wird durch eine allgemeine Erhöhung des Lebensstandards, ein starkes Anwachsen der Bevölkerung, einer Vervielfältigung der Reichtümer und Güter und des daraus folgenden Sic herheitsbedürfnisses erklärt. (vgl. Foucault 1975: 96-98).

In der Folge steigt das Bedürfnis nach Ausweitung der Polizeiapparate und strengeren Überwachungsmethoden und besseren Erfassungs-, Ergreifungs- und Ermittlungstechniken (vgl. Foucault 1976: 95).

In Forderungen nach milderen Strafen ,,zeichnet sich weniger ein neuer Respekt vor dem Menschen im Verurteilten [ab]... sondern vielmehr eine Tendenz zu einer sorgfältigeren und verfeinerten Justiz, zu einem lückenloseren Durchkämmen des Gesellschaftskörpers" (ebd. 1976, S.99).

3.1 Notwendigkeit einerökonomie der Strafgewalt

Verschiedene Verfahren in unterschiedlichen Landesteilen, innere Kompetenzkonflikte der gerichtlichen Instanzen, Einzelinteressen der Richtenden und Eingriffe königlicher Macht behinderten nach Ansicht vieler einen geregelten Ablauf der Strafjustiz. Zu viele ,Konzentrationspunkte der Macht' machten ein gleichmäßiges Durchdringen des Gesellschaftskörpers unmöglich und lähmten die Justiz. Die Übermacht des Königs und dessen willkürliche Verteilung der Macht wird kritisiert und eine effizientere Strafjustiz zur Hauptforderung der Reformer. ,,In der Kritik der Reformer geht es weniger um Schwäche oder Grausamkeit als um eine fehlerhafte Ökonomie der Macht" (ebd. 1976:101).

3.2 Veränderte Machtverhältnisse

In vielen Reformprojekten wird der Körper des Herrschers durch den des Gesellschaftskörper ersetzt. Durch eine Veränderung der hinter der Strafgewalt stehenden Machtverhältnisse wird die Gesellschaft selbst zum Gegenstück des Körpers des Verbrechers und die Bestrafung zur gesamtgesellschaftlichen Funktion. Unter diesem Aspekt trägt die Strafe ,,nicht mehr die Zeichen der Rache, [sondern] sie dient präventiven Zwecken und soll verhindern, dass der Gesellschaft weiteren Schaden zugefügt wird" (Marti 1988: 88).

Der Körper des Verurteilten wird nicht mehr zur Sache des Königs, ,,welcher der Souverän sein Brandmal eindrückte und an welcher er seine Macht ausließ. Jetzt ist er eher ein gesellschaftliches Eigentum, Gegenstand einer kollektiven und nutzbringenden Aneignung"(Foucault 1976: 143).

Die Spiegelbildlichkeit der Bestrafung zum Verbrechen bleibt erhalten, doch wird jetzt die Lektion, der Diskurs, die Inszenierung und Abbildung der öffentlichen Moralität zum Träger des Exempels im Gegensatz zum Terror bei den peinlichen Strafen (vgl. ebd. 1976: 143ff).

3.3 Manipulation der Seele

Die Strafe wird zur rituellen Recodierung die dem Volk durch öffentliche Arbeiten und öffentliche Abbitte zusätzlich zur Belehrung wird. (vgl. ebd. 1976: 140,143). Sie wird von der ,Kunst der gezielten Schmerzen' zur ,Kunst der gezielten Wirkungen'. Aus ökonomischen Gründen und einer fehlenden physischen Repräsentanz der Macht wie sie der König als Person neben seinem symbolischen Körper innehatte wird in einer Ökonomie des Körpers die Seele der Verurteilten zum Zielobjekt der Bestrafung (vgl. Marti 1988: 88).

Ausgehend von veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entstanden also neue Verbrechen, die zu bekämpfen und zu kontrollieren eine neue Ökonomie der Strafgewalt erforderten, die selbst wiederum automatisiert durch veränderte Machtverhältnisse entstanden. Der Verbrecher wird zum Feind der gesamten Gesellschaft und aus ökonomischen Gründen dessen Seele zum Zielobjekt der Bestrafung.

,,Für die Reform-Juristen ist die Bestrafung eine Maßnahme, durch welche die Individuen wieder zu Rechtssubjekten gemacht werden sollen; sie arbeitet nicht mit Brandmalen, sondern mit Zeichen, mit codierten Vorstellungskomplexen, die durch Strafszenen in den schnellsten Umlauf gesetzt... werden müssen" (Foucault 1976: 169). Der Körper der Verurteilten soll durch die Kontrolle der Ideen unterworfen werden.

Die Bestrafung der Seele erfordert allerdings genauere Kenntnisse, zum einen der Seele selbst, um sie zu erfassen und zum anderen des begangenen Verbrechens, um die Wurzel der Tat möglichst genau erkennen und die Verbrecher ,heilen' und in die Gesellschaft zurückführen zu können. In diesem Zusammenhang entstehen neue Wissenschaften, wie die Psychologie, Soziologie und Kriminologie bzw. Gerichtsmedizin (vgl. ebd. 1976:19).

In gleichem Maße findet durch die Verfeinerung der Strafgewalt, genauere Gesetz- und Strafbücher, Erkenntnismethoden und die Verlagerung der Bestrafung vom Körper zur Seele, also auf eine abstrakte Ebene, ein ,Objektivierung der Verbrecher und der Verbrechen' statt (vgl. ebd. 1976:130) .

4. System der Haftstrafe

Doch die Realität hat mit diesen von aufklärerischen Utopien geprägten Vorstellungen wenig zu tun. Zu Beginn des 19. Jahrhundert ist die Haft zur allgemeinsten Form der Züchtigung geworden. An die Stelle der öffentlichen Rachemanifestation und Wiederherstellung der Macht des Herrschers und des moralischen Straftheaters der Reformer ist eine ,,große, geschlossene, komplexe und hierarchisierte Architektur getreten, die sich in den Körper des Staatsapparates integriert." (ebd. 1976: 149).

Innerhalb kürzester Zeit verschwand der gemarterte, zerstückelte, gebrandmarkte, zum Spektakel dargebotene und ausgestellte Körper völlig und das Netz an Gefängnisgebäuden weitet sich über ganz Frankreich und Europa aus. Die Haftstrafe wurde von der Randerscheinung und nur in einigen Gewohnheitsrechten und Fällen der Entführung eingesetzten Strafe zum universalen Prinzip. (vgl. ebd. 1976: 150) In dieser Transformation des Strafvollzugs lassen sich zwei unabhängige Prozesse erkennen.

4.1 Transformation des Strafvollzugs

4.1.1 Verschwinden des öffentlichen Schauspiels

Zum einen verschwindet das öffentliche Schauspiel und ,,das Zeremoniell der Strafe tritt allmählich ins Dunkel und ist schließlich nicht mehr als ein weiterer Akt des Verfahrens oder der Verwaltung" (ebd. 1976: 15). Die Bestrafung sollte zum verborgensten Teil der Rechtsache werden. Nicht mehr die öffentliche Übermächtigung und die sichtbare Intensität und Grässlichkeit die von Verbrechen abhalten soll, sondern die Unausweichlichkeit der Strafe selbst tritt in den Vordergrund.

Alles Zeremonielle im Strafvollzug wird anrüchig und die Justiz selbst vergräbt die Strafe in der Bürokratie und ihrem autonomen Verwaltungsapparat. Die Bestrafung wird von der Strafermittlung abgetrennt und teilweise sogar räumlich in weit entfernte, versteckte, dem Volk verborgene Kolonien verbannt. (vgl. ebd. 1976: 15ff)

4.1.2 Milderung der zugefügten Schmerzen

Zum zweiten wird der Zugriff auf den Körper gelockert und ,,das physische Leiden, der Schmerz des Körpers selbst bilden nicht mehr die wesentlichen Elemente der Strafe" (ebd. 1976: 19). Die Strafpraktiken werden schamhafter und ,,die Züchtigung ist nicht mehr eine Kunst der unerträglichen Empfindung, sondern eine Ökonomie der suspendierten Rechte" (ebd. 1976:19). Der Körper dient als Mittler das Individuum zu dressieren und dem Zwang der Norm zu unterwerfen. Die Übung und Dressur wird im Gegensatz zur Zeremonie und zur Manipulation der Vorstellung zum zentralen Instrument der Strafgewalt. (vgl. ebd. 1976: 170)

4.2 Dressur der Körper

Im System der Haftstrafe geht es darum, ,,unterworfene Individuen zu bilden" (ebd. 1976: 167). ,,Zielscheibe der Strafe ist nicht die Vorstellung, sondern der Körper, die Zeit, die alltäglichen Gesten und Tätigkeiten. Auch die Seele ist Zielscheibe, aber nur in dem Maße, in welchem sie der Sitz der Gewohnheiten ist" (ebd. 1976: 166).

Die Körpertätigkeiten und das Gewissen des Individuums werden zum Zielobjekt der Strafe. Durch totale Kontrolle wird der Körper des Verurteilten mittels Übung abgerichtet und dressiert.

Das Gefängnis wird vom Ort des reinen Freiheitsentzugs zum Ort des Strafvollzugs im Sinne eines Prozesses und zur Gesinnungswandelmaschine zur Umformung von Individuen und Umcodierung deren Existenz (vgl ebd. 1976: 143, 162, 296). ,,Die Bestrafung [ist] eine Technik des Einzwängens der Individuen; sie arbeitet mit Dressurmethoden, die am Körper nicht Zeichen, sondern Spuren hinterlassen: die Gewohnheiten des Verhaltens" (ebd. 1976:170).

Die Gefangenen werden zum Untersuchungsgegenstand der Humanwissenschaften die immer lückenloser zu individualisieren und zu analysieren sind. Als Abbildung des Rechtsbrechers im Strafvollzug wird der Delinquent geschaffen, für den weniger seine Tat, als vielmehr sein Leben für seine Charakterisierung entscheidend ist. (vgl. ebd. 1976: 322, 365).

4.3 Prinzipien des Strafvollzugs

Im Gefängnis gelten sieben Prinzipien die als Universalmaximen des angemessenen Strafvollzugs gelten.

- Erstens das Prinzip der Besserung, d.h. ,,die Strafe der Freiheitsberaubung hat als wesentliches Ziel die Besserung und die Resozialisierung des Verurteilten" (ebd. 1976: 346).
- Zweitens das Prinzip der Klassifikation.
Die Gefangenen sind möglichst zu isolieren und von allem zu trennen was Verbrechen motivierte bzw. wenigstens nach dem Grad der Schwere ihres Verbrechens voneinander zu separieren.
- Drittens das Prinzip der Flexibilität der Strafen d.h. der Möglichkeit, das Maß der
Schuld innerhalb des Gefängnisses neu zu bestimmen und somit den Strafvollzug über die Möglichkeit der Bewährung indirekt als Gerichtsinstanz zu verselbständigen.
- Viertens das Prinzip der Arbeit als Pflicht und Recht, das als wesentliches Element der Umformung und fortschreitenden Sozialisierung der Gefangenen gilt.

Die Arbeit soll nicht wegzudenkende Humanisierung sein und ,,muss die Erlernung oder Ausübung eines Berufs ermöglichen und dem Gefangenen sowie seiner Familie den Lebensunterhalt sichern" (ebd. 1976: 346). Fünftens das Prinzip der Besserungsstrafe als Erziehung. Die Gefangenen werden erzogen und umcodiert. Sechstens das Prinzip der technischen Kontrolle der Haft.

Die Haft wird dabei begleitet von spezialisiertem Personal, ,,das die moralischen und technischen Fähigkeiten besitzt, über die gute Entwicklung der Individuen zu wachen" (ebd. 1976:347). Und siebtens das Prinzip der Anschlussinstitution.

Dabei wird der ehemalige Häftling auch nach Ablauf seiner Gefängnisstrafe weiterhin in Kontroll- und Fürsorgemaßnahmen betreut, bis er endgültig wieder angepasst ist. (vgl. ebd. 1976: 345ff)

Foucault stellt die Frage warum das System der Haftstrafe so überlegen war und sich so schnell allgemein durchsetzte. Seiner Theorie folgend, dass Macht und Machtverhältnisse die Gesellschaft durchziehen, verändern und automatisch steuern, versucht er eine hinter dem ,,Projekt der Kerkerinstitution" (ebd. 1976:169) stehende Macht auszumachen und zu analysieren.

5. Dis ziplin

Foucault erkennt im Gefängnis immer wieder die Kontrolle über die Körper der Menschen mittels Dressur und Abrichtung als zentrales Element. Um diese Herrschaft zu erlangen erkennt er Techniken. ,,Es handelt sich immer um minutiöse, oft um unscheinbare Techniken, die aber ihre Bedeutung haben. Denn sie definieren eine bestimmte politische und detaillierte Besetzung des Körpers, eine neue ,Mikrophysik' der Macht" (ebd. 1976: 178). Zu Beginn des 19. Jahrhundert bedienten sich immer mehr Institutionen dieser neuen Mittel.

,,Diese Methoden, welche die peinliche Kontrolle der Körpertätigkeiten und die dauerhafte Unterwerfung ihrer Kräfte ermöglichen und sie gelehrig/gefügig machen, kann man die ,Disziplinen' nennen" (ebd. 1976: 175).

Mittels der wiederholenden Übung wird das Individuum unterworfen und in eine Machtmaschinerie eingegliedert. Die Eingliederungen in einen umfassenderen Apparat waren unheimlich effizient. ,,Die Gründe für die Mutation [hier am Beispiel der Veränderungen beim Militär] sind zum Teil ökonomischer Natur"(ebd. 1976:210). ,,Sie [die Disziplin] muß eine Maschine konstruieren, die durch genau abgestimmte Ineinanderfügung ihrer Teilchen ein hohes Maß an Effizienz erreicht" (ebd. 1976:211f)

Der Mensch, besser der Körper des Menschen, wird hierbei in einen gesellschaftlichen Gesamtkontext gestellt und zum ökonomisierten ,Homme-machine'. Die Kräfte der Menschen werden als Ganzes organisiert. (vgl. ebd. 1976: 174)

Neben einer medizinischen und philosophischen Ebene findet diese Organisation auch auf einem ,,technisch-politischen Register, das sich aus einer Masse von Militär-, Schul- und Spitalreglements" (ebd. 1976: 174) ergibt, statt. Ebenso in allgemeinerer Natur lässt sich das Prinzip der Disziplin mit dem Beginn der Industrialisierung in der Arbeitsteilung in der Ökonomie erkennen.

Das Aufkommen der Disziplin ist also ein die gesamte Gesellschaft erfassender, verstreuter Prozess der neben den Gefängnissen vor allem die Schulen, die Spitäler, Fabriken und Kasernen der Militärs betrifft die Foucault als Disziplinarapparate entlarvt. (vgl. ebd. 1976: 174, 222)

,,Die Herrschaft der Disziplin, wie sie sich zuerst in der Armee durchsetzt, verwandelt in Foucaults Augen die Gestalt der Gesellschaft in grundlegender Weise; sie wird zur Garantin der inneren Ordnung." (Marti 1988: 92).

Nicht mehr die Ausübung der königlichen Macht in Form der peinlichen Strafen und auch nicht die Ausübung der Macht des Gesellschaftskörpers durch die Manipulation der Vorstellung und Inszenierung der Moral, sondern die Disziplin wird zum ordnungsschaffenden Mittel.

Seiner eigenen , Ordnung der Dinge' folgend, die Mächte und Machtverhältnisse als Antriebskräfte gesellschaftlicher Prozesse zu definieren, erkennt Foucault die Disziplinarmacht als sich der Disziplin bedie nenden und damit auch hinter dem Gefängnis, dem Militär, der Industrie und der gesamten Gesellschaft stehende Macht. (vgl. Marti 1988: 93)

6. Disziplinarmacht

Die Disziplinarmacht durchdringt nun den Raum den zuvor die Mächte des symbolischen Körpers des Königs und des Gesellschaftskörpers erfüllten.

Die Disziplinarmacht bedient sich in ihrer allgemeinen Form dreier Instrumente. Dem hierarchischen Blick, der normierenden Sanktion und der Prüfung. (vgl. Foucault 1976: 220- 250)

6.1 Mittel der guten Abrichtung

6.1.1 Der hierarchische Blick

Der hierarchische Blick ist ,,eine Anlage, in der die Techniken des Sehens Machteffekte herbeiführen und in der umgekehrt die Zwangsmittel die Gezwungenen deutlich sichtbar machen" (ebd. 1976:221). Die Anwendung dieses Instruments zeigt sich in veränderten Bauweisen der Gefängnisse, Kasernen, Fabriken und Spitäler.

,,An die Stelle des einfachen Schemas der Einschließung und Klausur mit der dicken Mauer und der festen Pforte, die das Hereinkommen und Hinausgehen verhindern, tritt allmählich das Kalkül der Öffnungen, Wände und Zwischenräume, der Durchgänge und Durchblicke" (ebd. 1976: 222). Der hierarchische Blick garantiert eine ständig mögliche Kontrolle.

Neben der unmittelbaren Beobachtung beispielsweise der Gefangenen oder der Fabrikarbeiter, findet wegen der hierarchischen Gliederung auch die Überwachung der Überwacher statt. Die Schachtelung der Supervision ist sogar von größter Bedeutung, da ein ,,Netz der einander kontrollierenden Blicke" (ebd. 1976: 221) die völlige Kontrolle der Körpertätigkeiten und Disziplinierung garantiert. ,,Der perfekte Disziplinarapparat wäre derjenige, der es einem einzigen Blick ermöglichte, dauernd alles zu sehen" (ebd. 1976: 224).

6.1.2 Die normierende Sanktion

Die normierende Sanktion ist ein ,,im Herzen aller Disziplinarsystem arbeitender, kleiner Strafmechanismus, der mit seinen eigenen Gesetzen, Delikten, Sanktionsformen und Gerichtsinstanzen so etwas wie ein Justizprivileg genießt.

Die Disziplinen etablieren eine ,Sub-Justiz'" (ebd. 1976: 230). Dabei werden bestimmte, ganz vom Disziplinarapparat abhängige, zum Teil legale und legitime Vergehen geahndet sanktioniert. Dadurch wird implizit eine einzuhaltende Norm geschaffen und diese den Menschen ständig vergegenwärtigt. Die normierende Sanktion schafft ein Bild des ,,Normalen" und wirkt bei ständiger Erfassung aller ,,Augenblicke der Disziplinaranstalten...normend, normierend, normalisierend" (ebd. 1976: 236).

6.1.3 Die Prüfung

,,Die Prüfung kombiniert die Techniken der überwachenden Hierarchie mit denjenigen der normierenden Sanktion. Sie ist ein normierender Blick, eine qualifizierende, klassifizierende und bestrafende Überwachung" (ebd. 1976: 238). In der Prüfung überlagern sich die ,Machtverhältnisse und Wissensbeziehungen'.

Am Beispiel der Spitäler und zunehmender Visiten der Ärzte zeigt sich ,wie sich im Prozess der Prüfung, hier die Visite, das Wissen von den Patienten zunimmt und sich gleichzeitig die Machtverhältnisse dahingehend verändern, dass der Arzt in immer stärkerem Maße durch seine häufigen Besuche Element der Organisation des Spitals wird (vgl. ebd. 1976: 239). Es existiert also ein Wechselbeziehung zwischen Wissen und Macht.

Der Ort der Prüfung wird zum Ort der Erkenntnisbildung. ,,Die Geburt der Wissenschaften vom Menschen hat sich wohl in jenen ruhmlosen Archiven zugetragen, in denen das moderne System der Zwänge gegen die Körper, die Gesten, die Verhaltensweisen erarbeitet worden ist" (ebd. 1976: 246).

6.2 Die gelehrigen Körper

Dabei produziert die Disziplinarmacht Individualität mit folgenden Merkmalen: zellenförmig, organisch, evolutiv und kombinatorisch. ,Zellenförmig' weil ,,ihn [das Individuum] nicht mehr seine Tüchtigkeit oder seine Kraft definiert - sondern der Platz, den er einnimmt, der Abstand, den er überbrückt, die Regelmäßigkeit und Geordnetheit seiner Stellungswechsel"(ebd. 1976: 212).

Zellenförmigkeit ist die Folge der Klausur, Parzellisierung, Zuweisung von Funktionsstellen und Klassifizierung durch Rangvergabe, allgemein der genauen Zuweisung von Plätzen. (vgl. ebd. 1976: 181-187). Im Gefängnis geschieht dies durch die Zelle, in der Schule durch einen festen Sitzplatz, im Militär durch einen Rang und in der Fabrik durch eine Räumlichkeit und Funktion.

,,Der Körper wird auf seine Funktion reduziert und gleichzeitig wird dieser segmentierte Körper seinerseits als ein Segment in eine Gesamtheit eingefügt" (ebd. 1976: 212). ,Organisch' meint die Kontrolle der Tätigkeiten. Dies ist der Fall weil jede auszuführenden Tätigkeit genau codiert und ein genauer Zeitpunkt zugewiesen wird (vgl. ebd. 1976: 193-198). ,Evolutiv' wegen der Einteilung in ,,parallele Abschnitte...,von denen jeder auf ein bestimmtes Endziel ausgerichtet ist" (ebd. 1976: 203) und Klassen klarer Reihenfolge.

So sind Offiziers- und Schullaubahnen, aber auch wissenschaftliches Arbeiten und Lernen von verschiedenen übereinander liegenden Ebenen geprägt. Eine Prüfung hat zu zeigen, dass das Subjekt das vorgeschriebene Niveau erreicht hat und sich bewährt, bevor ein höheres Niveau beschritten werden darf. (vgl. ebd. 1976: 203-206). ,Kombinatorisch' aufgrund der Zusammensetzung der Kräfte.

Die Anordnung der Elementarkräfte ist darin entscheidend und wird optimiert. Das Entdecken effizienterer Nutzungsmöglic hkeiten der Einzelkräfte in umfassenderem Kontext wird deutlich in entstehenden Taktiken. (vgl. ebd. 1976: 209,212). Am Beispiel der Schule werden Schüler als Hilfslehrer eingesetzt, so dass bei optimaler Kombination ,,die gesamte Zeit aller Schüler entweder mit Unterrichten oder mit Unterrichtetwerden ausgefüllt [wird]. Die Schule wird zum Lernapparat in welchem alle Schüler, alle Niveaus, alle Augenblicke bei richtiger Kombination ständig im allgemeinen Unterrichtsprozeß eingesetzt sind." (ebd. 1976: 214)

7. Panoptismus/ Panopticon

Die reinste Form des Auftretens der Disziplinarmacht ist die des gesellschaftlichen Prinzips des Panoptismus, das in der Architektur des Panopticon eine Ausprägung hat. ,,Dieser geschlossene, parzellierte, lückenlos überwachte Raum [das Panopticon], innerhalb dessen die Individuen in feste Plätze eingesperrt sind, die geringsten Bewegungen kontrolliert und sämtliche Ereignisse registriert werden, eine ununterbrochene Schreibarbeit das Zentrum mit der Peripherie verbindet, die Gewalt ohne Teilung in einer bruchlosen Hierarchie ausgeübt wird, jedes Individuum ständig erfasst, geprüft und... aufgeteilt wird - dies ist das kompakte Modell einer Disziplinierungsanlage" (ebd. 1976: 253).

Das Panopticon ist ein von J. Bentham im Jahre 1785 entworfenes Gefängnismodell, in welchem die Einzelzellen kreisförmig um einen Beobachtungsturm angeordnet sind, von dem aus der Tagesablauf jedes einzelnen Häftlings überwacht werden kann.

Der Häftling selbst kann jedoch nicht in den Turm sehen und seinen vermeintlichen Überwacher erkennen. ,,Das Panopticon ist eine Maschine zur Scheidung des Paares Sehen/Gesehenwerden" (ebd. 1976: 259). Der Gefangene muss davon ausgehen, und dessen muss er sich immer wieder vergegenwärtigt werden, dass er zu jedem Zeitpunkt vollkommen unter der Kontrolle eines einzigen Blicks eines Überwachers steht.

In der Perfektion der Disziplinarmacht ist die tatsächliche Ausübung der Überwachung überflüssig. So verbindet der Panoptismus die Vorstellung mit der Kontrolle des Körpers. Bentham selbst ,,hat nicht ausschließlich an Gefängnisse gedacht, sondern auch an Schulen, Spitäler, Irrenanstalten, Fabriken, Armen- und Arbeitshäuser, an jede Art von Gebäuden, in denen Personen ,are to be kept under Inspection', wie der Originaltitel der 1787 verfassten Schrift heißt." (Marti1988: 93).

8. Fazit/ Kritik

In den Augen Foucaults beruht der Gefängnisbetrieb auf Machtmissbrauch. Das Gefängnis schafft keine wiedereingegliederten Individuen, sondern Delinquenten, ein rückfälliges Verbrecherklientel in der Unterschicht. Dabei entsteht Delinquenz. ,,Sie ist in Foucaults Augen eine strategische Antwort auf...eine von Herrschenden unter Kontrolle gehaltene und eben deshalb auch ausbeutbare und manipulierbare Gesetzwidrigkeit, die als Waffe zur Überwachung und Spaltung, der revoltierenden Klassen dient" (Marti 1988: 95).

Gesellschaftliche Prozesse und Veränderungen werden als nicht zufällig betrachtet. Sie sind in der Theorie Foucaults Zwangsläufigkeiten eines Automatismus. Dieser wird von gesellschaftlichen Rahmenbedingen bzw. von die Gesellschaft durchdringenden Mächten festgelegt.

War es im Mittelalter die Macht des Königs und in den Utopien der Aufklärer die Macht des Gesellschafskörpers, so ist es in den Augen Foucaults in ,,Überwachen und Strafen" heute die Macht der Disziplin, welche Entwicklungen in der Gesellschaft bedingt. Am Beispiel der Sozialisation der Gefangenen werden die gesamte Gesellschaft durchdringende Machtverhältnisse versucht aufzuzeigen.

Das heutige System der Haftstrafe und des Gefängnisses als universale Bestrafung dient als Ausgangspunkt der Analyse der Eigenschaften des Mittels der Disziplin. Dessen Überlegenheit erklärt er durch eine bessere ,Ökonomie'. Die seiner Ausgangstheorie, einer von Mächten durchdrungenen Gesellschaft folgendenden, dahinterstehende Macht bezeichnet er als ,Disziplinarmacht'.

Persönlich halte ich die Überlegungen von automatisierenden Mächten, welche den Zufall in der Gesellschaft ausschließen, für sehr schlüssig. Demnach kann unsere Leistungsgesellschaft als unmittelbares Produkt einer solchen Macht gesehen werden.

Allerdings sehe ich nach der Behandlung des Werks ,,Überwachen und Strafen", die von Foucault entdeckte Disziplinarmacht nicht als Ausgangspunkt von Entwicklungen, sondern vielmehr als Ausprägung einer viel allgemeineren und umfassenderen ,Macht der Ökonomie'.

9. Literaturliste

Foucault, Michel (1976): Ü berwachen und Strafen. Frankfurt am Main (französische Erstauflage 1975)

Marti, Urs (1988): Michel Foucault. München

Risi, Paul (1768): Observation sur les mati è res de jurisprudence criminelle. Genève

Lachèze (3.Juni 1791): Rede vor der Verfassunggebenden Versammlung. Archives parlementaires, Bd. XXVI

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Foucault - Sozialisation des Gefangenen
Hochschule
Universität Trier
Autor
Jahr
2002
Seiten
14
Katalognummer
V106276
ISBN (eBook)
9783640045556
Dateigröße
515 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Foucault, Sozialisation, Gefangenen
Arbeit zitieren
Thomas Grund (Autor:in), 2002, Foucault - Sozialisation des Gefangenen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106276

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Foucault - Sozialisation des Gefangenen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden