Bergengrün, Werner - Der Großtyrann und das Gericht #


Referat / Aufsatz (Schule), 2002

8 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Gliederung

A. Werner Bergengruens „Der Großtyrann und das Gericht“ als typischer Roman der Inneren Emigration, in dem hintergründig die Verwirrungen des Dritten Reiches aufgezeigt werden

B. Diomede und Vittoria als Beispiel für das allmähliche Wirksamwerden der Mechanismen der Versuchung
I. Vittoria
1. psychischer Druck und Beziehungsängste
a. Angst Nespoli zu verlieren
b. Versuchung Mordverdacht auf verstorbenen Mann zu lenken
c. Der Versuchung wird durch ein von ihr in Auftrag gegebenes Mordgeständnis und Herbeiführung des Todes ihres Mannes nachgegeben
2. Existenzangst und psychische Verletztheit
a. Angst vor Besitzverlust bei Schuld Ihres Mannes
b. Versuchung Nespoli zugunsten ihres Besitzes zu verraten.
c. Der Versuchung wird nachgegeben, indem sie nicht mehr auf der Schuld ihres Mannes beharrt
3. Zusammenfassung der Ergebnisse

II. Diomede
1. Existenzangst und Angst vor Karriereende und Rufschädigung
a. Angst vor Besitzverlust, Rufschädigung und dadurch bedingtes Karriereende bei Schuld des Vaters
b. Versuchung Verdacht von Vater mit unlauteren Mitteln abzulenken
c. Der Versuchung wird durch bestochener Zeugin nachgegeben
2. Zuneigung zu Großtyrann
a. Zunehemende Zuneigung und Bewunderung des Großtyrannen
b. Versuchung sich Ideologie eintrichtern zu lassen und für Großtyrann zu arbeiten
c. Der Versuchung wird nicht entgegengetreten
3. Zusammenfassung der Ergebnisse

C. Bergengruen versucht seine Zeitgenossen durch die Schilderung der Versuchungen wachzurütteln

THEMA 1

Werner Bergengruen legt in seinem Roman der Inneren Emigration „Der Großtyrann und das Gericht“ großen Wert darauf, aufzuzeigen, wie die Mechanismen der Versuchung allmählich wirksam werden, wie sich die „Opfer“ immer tiefer in Schuld verstricken. Stellen Sie diese Mechanismen anhand zweier Hauptfiguren, Diomede und Monna Vittoria, so genau wie möglich dar!

In seinem Roman „Der Großtyrann und das Gericht“ ist Werner Bergengruen darauf bedacht, die Verwirrungen und Gefahren zur Zeit des NS-Regimes anhand verschiedener Versuchungen, durch welche seine Hauptfiguren sich immer tiefer in Schuld verstricken, aufzuzeigen. Bergengruens Roman ist ein typisches Buch der Inneren Emigration, wie die Gesamtheit der Werke jener Dichter und Schriftsteller bezeichnet wird, die weiterhin im eigenen Land ihren geistigen Widerstand versteckt in ihren Büchern zum Ausdruck brachten. Im folgenden soll nun ganz speziell auf die Figur der Vittoria und der des Diomede eingegangen werden und das allmähliche Wirksamwerden der Mechanismen der Versuchung detailliert beschrieben werden.

Zum allgemeinen Verständnis der Situation Vittorias wird kurz auf die äußeren Umstände eingegangen. In einer Stadt der Renaissance, Cassano, wird der Klosterbruder Fra Agostino vom Großtyrann, dem mit Gewalt an die Herrschaft gelangten Souverän des Stadtstaates, ermordet. Dieser will die Standhaftigkeit seiner Untertanen prüfen und beauftragt den Vorsitzenden seiner Sicherheitsbehörde, Massimo Nespoli, mit der Aufklärung des Mordes innerhalb einer Frist von drei Tagen. Jener hat ein heimliches Verhältnis mit der mit Pandolfo Confini verheirateten Monna Vittoria. Confini, welcher in der Mordnacht außerhalb der Stadt während einer Reise in einem Häuschen genächtigt hat, kehrt daraufhin erkrankt und bettlägerig nach Hause zurück. Währenddessen ist Nespoli erwartungsgemäß nicht in der Lage, den Mörder Fra Agostinos zu finden und besucht Vittoria unter dem Vorwand, sich nach dem Befinden Confinis erkundigen zu wollen, um sich bei ihr auszuweinen (S. 79ff), da er angesichts seines Versagens um seinen Kopf bangt (S. 77). Auf Vittorias Frage ob er krank sei, erwidert er: „Krank? Nein, krank bin ich nicht. - Des Teufels bin ich!“ (S. 61).

„Nichts! Ich schwöre es dir! Ich gebe dich nicht her!“ (S. 62) verspricht ihm Vittoria darauf, verängstigt ob des verstörten Eindruckes, den ihr Geliebter hinterlässt.

Aus Angst um ihre Liebe Nespoli ist sie hin- und hergerissen zwischen ihrem Mann Pandolfo und der Versuchung, den Mord ihrem Mann, im Falle dessen Versterbens, in die Schuhe zu schieben und somit Nespoli zu retten Als sie bemerkt, dass sich ihre Gebete „Lasse Pandolfo genesen!“ und „Lasse Massimo gerettet werden!“ (S. 95) widersprechen und sie sich zwischen den beiden entscheiden müsse, verschiebt sich ihre Gunst zunehmend auf Seiten Nespolis und sie wünscht sich, anschließend erschrocken über sich selbst, den Tod Confinis: „Lasse Pandolfo sterben!“ (S. 96). In der darauf folgenden Nacht versucht Vittoria, sich am Krankenbett verzweifelt Pandolfos Schuld einzureden: „Konnte sie [die Krankheit] nicht auch bewirkt worden sein durch eine große Erregung, durch ein leidenschaftliches Anspannen aller Gemütskräfte, weit hinaus über das gewohnte Maß ?“ (S. 101).

Zu später Stunde weiß sich Vittoria nicht mehr zu helfen, erliegt der Versuchung und führt, nicht mit Vorsatz, jedoch mit Bestimmtheit, den Tod Pandolfos durch die Verabreichung der falschen Medizin herbei. Daraufhin gibt sie beim Rettichkopf, einem cassanesischen Schriftgelehrten, ein gefälschtes Mordgeständnis in Auftrag und schiebt dieses in die Bettwäsche ihres verstorbenen Mannes, wo es bald darauf von einer Dienerin entdeckt und weitergereicht wird.

Der Großtyrann beauftragt anschließend den Rettichkopf damit, das Mordgeständnis auf seine Echtheit zu prüfen (S. 144ff.), worin dieser die Möglichkeit zur Erpressung Vittorias sieht, da dieser und ihrem inzwischen von seinen Studien heimgekehrten Sohn Diomede der komplette Entzug allen Besitzes droht, was Vittoria jedoch nicht bewusst ist. „Das ist nicht möglich!“ (S. 160) ist Vittorias Reaktion, als der Rettichkopf sie damit konfrontiert und ihr bewusst wird, dass sie die Rettung Nespolis und das Nachgeben der Versuchung in eine erneute Zwickmühle gebracht hat. Erklärt der Rettichkopf das Geständnis für echt, wird ihr ihr ganzes Hab und Gut genommen, so macht er ihr klar und verwirrt sie zudem mit wirren Forderungen. Erklärt er es jedoch für gefälscht, war alles umsonst, Nespoli verraten und der Verdacht des Fälschers des Geständnisses womöglich auf ihn gelenkt. „Fordere“ (S. 163) verlangt Vittoria nun resignierend vom Rettichkopf, welcher es vorerst jedoch für besser hält, sich die Entscheidung vorzuenthalten.

Am nächsten Morgen begibt sich Vittoria zum Großtyrannen um sich von der Möglichkeit des Besitzentzuges zu vergewissern. Dieser beruhigt sie erst und fragt, ob es jemanden möglich gewesen wäre, ein versiegeltes Blatt zu entwenden und ein Geständnis zu fälschen. Für Vittoria stellt sich nun die Frage ob „sie all ihren Besitz einbüßen [sollte], ja, die ganze Gestalt des Lebens, in welcher sie zu Hause war, oder sollte sie Nespoli preisgeben und verderben lassen?“ (S. 169). Mit ihrer Antwort „Ich erblicke diese Möglichkeit zwar nicht. Allein dies berechtigt mich nicht, sie auszuschließen.“ (S. 169) schließt sie die Möglichkeit nicht komplett aus und begeht somit Verrat, aus Angst um ihren Besitz, an dem Menschen, der ihr am meisten bedeutet, an Nespoli. Im weiteren Gesprächsverlauf „klammert sich [ihr geängstigter Geist] wiederum an Erinnerungen aus der abendlichen Ausprache im Schwanenzimmer“ (S. 172), in welchem Nespoli auf die Möglichkeit der Täterschaft Confinis hinwies. Sie täuscht sich zum zweiten Mal selbst, indem sie sich einredet, ihre Fälschung wäre wahrscheinlich nichts weiter als ein „verzeihlicher Kunstgriff, (...), um der Wahrheit an den Tag zu helfen“ (S. 172). Zu guter Letzt erscheint ihr dieser Gedanke „richtig, ja unwiderlegbar“ (S. 172).

Zusammenfassend ist die beispielhafte Belegung der „Leichtverführbarkeit der Unmächtigen und Bedrohten“ zu vermerken, auf die Bergengruen bereits in der Präambel hinweist. Vittoria fühlt sich in beiden fällen ohnmächtig und ausgeliefert und betreibt eine fast perfekte Art der Selbsttäuschung, durch die sie die Versuchungen, derer sie erliegt, zu verharmlosen und zu legitimieren sucht. Die unterlassene Hilfeleistung bei ihrem kranken Mann hat die Fälschung des Mordgeständnisses zur Folge, wobei sie posthum Verrat an ihrem Mann übt. Diese Schuld zieht ungewollt eine weitere Schuld, nämlich den Verrat an Nespoli, nach sich, wodurch Vittoria sich mehr und mehr in Schuld verstrickt. Dies alles geschieht aber als Folge ihrer Angst und nicht ihrer Böswilligkeit, zu Schluss jedoch auch aufgrund ihres Egoismus, den Besitz dem Menschen Nespoli vorzuziehen.

Im Anschluss soll nun die Figur des Diomede Confini genauer betrachtet werden. Dieser wird, von seinen Studien der Rechtswissenschaften in Bologna heimgekehrt, mit dem Tod seines Vaters und dessen vermeintlichen Mordgeständnis konfrontiert, was für ihn das Ende seiner Karriere aufgrund des verrufenen Namens und kompletten Besitzentzug bedeuten würde. Diomede kann nicht an die Schuld seines Vaters glauben und eilt zum Großtyrannen (S. 137 ff.). Im folgenden Gespräch überzeugt sich Diomede von der Richtigkeit der Möglichkeit des Entzuges des gesamten Besitzes im Falle der Schuld seines Vaters. Bereits hier kann man erkennen, welche Anziehungskraft der Großtyrann im Laufe der Zeit auf Diomede haben wird: „Denn die Gedanken, die ich auf der Hochschule mir gemacht und erworben habe, meinen ein Staatswesen, das durch einen Gewaltherrn an seiner Spitze selbst dem Letzten seiner Zugehörigen eine Kräftigkeit gibt, wie sie nicht sein kann, [...].“ (Diomede, S. 142). Weiterhin spricht er davon, dass „es [ihm] leid wäre, wenn eine offenbare Ungerechtigkeit [ihn] sollte erschüttern müssen [...].“ (S. 142) und versichert dem Großtyrannen, sich „[...] dem allen in den Weg zu werfen, was gegen [seinen] Vater geschieht.“ (S. 142). „Ich werde unseren Besitz ungeschmälert erhalten, und ich werde die geschädigte Ehre meines Vaters herstellen.“ (S. 178) verspricht Diomede daraufhin seiner Stiefmutter Vittoria und seiner dem verstorbenen Bruder sehr verbundenen Tante Mafalda.

Daraufhin rettet Diomede gegen den schriftlichen Befehl des Großtyrannen einen Teil des Besitzes der Confini durch dubiose Scheingeschäfte und Verschleierungen und besticht letztendlich eine leicht beeinflussbare Prostituierte, Perlhühnchen genannt, damit sie aussagt, Pandolfo hätte in der Mordnacht ihre Dienste in Anspruch genommen. Doch Mafalda macht Diomede einen Strich durch die Rechnung, indem sie das Perlhühnchen wiederum besticht, ihre Aussage umzuändern, da sie das Gesicht Pandolfos in den Köpfen der Menschen nicht beschmutzt sehen will.

Währenddessen wächst in Diomede die Bewunderung und Faszination für den Großtyrannen und dessen Macht und Auftreten. „Es war ihm nicht möglich, ihn so zu hassen, wie er es wünschte. Ja, er betraf sich manchmal auf Gedanken, die von einer bewundernden Zuneigung gekennzeichnet waren.“ (S. 184) In den zwei geschilderten Streitgesprächen über Herrschaft, Gerechtigkeit und Macht zwischen den beiden (S. 186ff. und 229ff.), vertritt Diomede zu anfangs eigene Ansichten, lässt sich jedoch die Ideologie und die Vorstellungen des Großtyrannen zunehmend aufzwingen. Diomede lässt sich z.B. davon überzeugen, dass „[...] reine Hände nicht stark sein, starke aber nicht rein bleiben dürfen.“ (S. 232), wodurch er seine von einem starken Gerechtigkeitssinn geprägten Prinzipien, die er sich während seines Studiums angeeignet hat, verrät. Ebenso wie er sie verrät, als er sich nach des Großtyrannen Angebot die Option, für ihn zu arbeiten, offen hält (S. 241f.).

Zu anfangs ist Diomede geleitet von der Angst vor der Schädigung des Rufes der Familie Confini und dem damit verbunden Besitzverlust, der Schande und dem womöglichen Karriereende und erliegt der Versuchung, den Verdacht von seinem Vater, im Widerspruch zu seinem ausgeprägtem Gerechtigkeitssinns, mit unlauteren Mitteln abzulenken. Er erkennt „[...] wie doch seine eigenen Verzweiflungen seinen Grund darin hatten, daß er diese Gerechtigkeit zwar noch verfechten wollte [...], sie aber verlassen und verleugnet hatte in den Notwendigkeiten seines [...] Tuns.“ (S. 230). Zudem fühlt sich Diomede zum mächtigen Großtyrannen hingezogen und lässt sich seine Denkweise eintrichtern, was den zweiten Verrat, den für Diomede viel bedeutenderen geistigen Verrat an seinen Werten, nach sich zieht, wodurch erneut die ‚Leichtverführbarkeit der Unmächtigen’ beweist wird. Interessant ist hierbei ein Kunstgriff des Autors, den man als versteckten Hinweis auf die Unmündigkeit der Bürger des Nationalsozialismus interpretieren kann. Bergengruen schreibt in einer Textstelle vor dem Gespräch, in dem der geistige Widerstand Diomedes vollends gebrochen wird: „Hierbei ist erwähnt worden, daß es den Deomede zum Großtyrannen zog.“ (S. 215), wobei Deomede frei übersetzt soviel wie „Heil dem Gott“ bedeutet, wobei der Großtyrann als göttliche Figur gesehen werden kann. Damit will Bergengruen zum Ausdruck bringen, dass selbst der mündige Bürger im Nationalsozialismus, der Diomede, fasziniert von Hitler und seinen Machtbekundungen, zum dumpfen Deomede verkommen kann.

Abschließend ist zu sagen, dass Bergengruen mit seiner Schilderung der Mechanismen der Versuchung in seinem Werk, die Menschen seiner Zeit wachrütteln und ihnen ein mahnendes Beispiel aufzeichnen wollte, da viele der Mechanismen direkt oder indirekt auf das NS-Regime und den „Großtyrannen“ Hitler übertragbar sind. Gerade auch heute hat die in diesem Buch gestellte „Frage nach dem Verhältnis von Macht und Gerechtigkeit, von Verführbarkeit, Schuld und Gewissen [...] nichts von ihrer Aktualität verloren [...]“ ( Benno von Wiese ). Der 1935 erstmals in Buchform erschienene Roman wurde bereits bei seiner Erstveröffentlichung als Parabel gegen die Diktatur verstanden und ist bis heute ein bleibendes Zeugnis für die Literatur der inneren Emigration und ihrem geistigen Widerstand.

Ende der Leseprobe aus 8 Seiten

Details

Titel
Bergengrün, Werner - Der Großtyrann und das Gericht #
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
8
Katalognummer
V106294
ISBN (eBook)
9783640045730
Dateigröße
399 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bergengrün, Werner, Großtyrann, Gericht
Arbeit zitieren
Stefan Birnkammerer (Autor:in), 2002, Bergengrün, Werner - Der Großtyrann und das Gericht #, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106294

Kommentare

  • Gast am 22.1.2003

    Spitze.

    Das hat mir echt geholfen! Ich hab ne 1 bekommen

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