Rote Korallen.


Seminararbeit, 2001

16 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

- Symbole / Metaphern
Korallen
die Farbe Rot
Das Meer
Fische
Vorhänge
Staub
Öfen

- Personen
Die Erzählerin
Die Urgroßmutter
Der Urgroßvater
Issak Baruw
Nikolaij Sergejewitsch
Der Geliebte
Beziehungen - Elemente treffen aufeinander
Urgroßvater - Urgroßmutter
Erzählerin - Geliebter
Erzählerin - Urgroßmutter
Erzählerin - Therapeut

- Orte
Petersburg
Die Zimmer

- Stilelemente
Erzählsituation
Zeitraffung
Wiederholungen

- Eigener Kommentar

- Literaturverzeichnis

Symbole / Metaphern

Korallen

Die Geschichte beschreibt das Leben der verschiedenen Träger eines roten Korallenarmbandes, welches ein Geschenk von Nikolaij Sergejewitsch - einem Liebhaber der Urgrossmutter der Erzählerin - gewesen ist. Die Beziehung der beiden fand in der Zeit ab 1901 statt, in der ihr Mann Öfen in der Russischen Taiga baute.

Korallen sind meistens rosa oder rot, weiß und schwarz. Sie symbolisieren Freude und lässt ihren Träger das Leben genießen. Korallen entstehen weit entfernt von Russland, was die Fremdheit der Deutschen in Russland unterstreicht, im warmen Küstenwasser aus Skeletten von Meereslebewesen und sind über Tausende von Jahren alt. Fundorte sind die Küsten Ostaustraliens, Japans, Afrikas und die Mittelmeerländer.

Psychisch wirken Korallen verstärkend auf das Partnerschaftsbedürfnis und die Liebe, was in Judith Hermanns Geschichte als sehr gute Metapher verwendet wurde. Es wird zwar oft gebraucht um die Wut der Großmutter zu unterstreichen, doch wurde dafür eher die Farbe Rot als die Korallen benutzt, die am linken Handgelenk ein ständiger Begleiter sind. Kennt man die psychische Wirkung von Korallen, so lässt sich ein viel klareres Bild der Emotionen der Urgroßmutter abzeichnen. Dass Korallen die Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit steigern gibt noch mehr als dreijähriger Liebesentzug von Ihrem Mann zu verstehen weshalb sich die Großmutter vielen Liebhabern hingibt. Nicht zuletzt aus diesem Grund lässt Hermann einen ihrer Liebhaber, Nikolaij Sergejewitsch, ihr das rote Korallenarmband schenken.

Die Urgroßmutter benutzt die Korallen ihrem Mann gegenüber als Provokation, um ihm einen Denkanstoß zu geben dass die Gefühle seiner Frau während dreijähriger Abwesenheit nicht stillstehen. Bei dem Besuch ihres Mannes, der ihr verkündete nur noch einmal nach Wladiwostock, ans andere Ende des größten Landes der Erde zu reisen, legt sie wortlos ihre Hand samt dem roten Korallenarmband auf den Tisch. Auch wenn ihr Mann jahrelang beim Bauen von Öfen in Russland unterwegs gewesen ist, kann er sich angeblich erinnern dass sie davor kein solches Schmuckstück trug. Die erste wörtliche Rede im Text erscheint: „Was ist das?“ fragt der Urgroßvater (S.16). Kurze Zeit später wird er vom Schenker der Korallen, symbolisch für Liebe und Zärtlichkeit, im St. Petersburger Petrowskij - Park erschossen (S.17).

Während des Duells schlief die Urgroßmutter. Ihr Armband hing „matt“ am Arm herunter. Das bedeutet dass die Wut der Urgroßmutter verbraucht ist, und die Korallen verlangen nicht mehr nach Liebe. Tatsächlich wird in Judith Hermanns Text keine glückliche Beziehung, ja nicht einmal über eine Liebelei geschrieben. Genauso wenig geht hervor, dass der Tod ihres Mannes bei der Urgroßmutter Trauer ausgelöst hat.

Rot

Der Farbe Rot sind in Judith Hermanns Erzählung nur das rote Korallenarmband und die Vorhänge als Objekt zugeordnet, die subjektive Wirkung ist darüber hinaus weitaus größer.

Rot als eine der aktiven, warmen Farben steht für zwei gegensätzliche Bedeutungen. Einerseits wird damit Liebe und das Herz in Verbindung gebracht, andererseits waren die ersten Begriffe, die Studenten bei einem Versuch mit Rot in Verbindung brachten Glut, Feuer Hitze und Blut. Auch Goethe teilt rot in seiner Farbenlehre in zwei Bereiche. Auf der „Plusseite“ läuft Rot über Orange zu Gelb und wird von ihm als „lebhafte“ Farbe bezeichnet. Zu diesem Rot fällt die Bedeutung des Korallenarmbandes. Die Vorhänge erwecken eher einen beruhigenden, verträumten Eindruck - Goethe würde sie zu der Minusseite zählen, wo alle Rottöne mit Grün und Blau gemischt werden.

In Judith Hermanns Geschichte sind neben dem Korallenarmband die großen, roten samtenen Vorhänge rot. Während die Vorhänge eher einen melancholischen Eindruck nach Sehnsucht von Liebe und Wärme entstehen lassen, leuchtet das Korallenarmband „rot wie die Wut an ihrem linken, weißen Handgelenk“ (S. 16). Immer wieder wird die weiße Farbe ihrer Haut erwähnt, welche das Rot der Korallen und in Ihrer Wirkung als provozierende Farbe unterstützt.

Mit Erfolg. Schließlich unterbricht der Urgroßvater nach seiner Rückkehr seinen langen, russischen Monolog nachdem er das Leuchten der roten Korallen wahrgenommen hat. Nur dadurch wird ihm bewußt, dass sein Verhalten nicht stillschweigend hingenommen wird. Mit rot wie die Wut begann das Wiedersehen des Ehepaares und endete rot wie das Blut mit einem Schuß „mitten ins Herz“ (S. 17) - schon wieder der Verweis auf die Farbe rot - auf der Anhöhe des Petrowskij-Parkes nach dem Duell mit Nikolaij Sergejewitsch.

Versteckt begleitet uns Rot als Symbol für Wut mit der Bezeichnung ihres Lebensgefährten als „Geliebten“ . Auf den ersten Blick scheint das paradox zu sein, allerdings ist die Beziehung der Erzählerin mit ihrem Geliebten in keiner Stelle der Geschichte harmonisch, romantisch ja überhaupt nicht als Beziehung zu erkennen, ähnlich der Ehe ihrer Großeltern. Diese Verknüpfung stellt ein Satz auf S. 22 her: „Die Vergangenheit war so dicht mit mir verwoben, daß sie mir manchmal wie mein eigenes Leben erschien“.

Der Name des Lebenspartners wird nicht verraten, er ist durchgehend immer nur der Geliebte. Dadurch kommt diese Bezeichnung verhältnismäßig oft im Text vor, was dem gesellschaftlichen Verständnis eines Geliebten als Teilhaber an Freude und Leid der Partnerin die Bedeutung raubt.

Die maximale Bedeutung der Farbe Rot als Symbol für Wut kommt ein letztes Mal beim Besuch des Therapeuten zum Ausdruck. Nach längerem angespannten Anschweigen platzt der Seidenfaden der das Armband zusammengehalten hatte als Symbol für die über Jahre angestaute Wut von all den Ereignissen, denen das Korallenarmband beiwohnte. „die sechshundertfünfundsiebzig wutroten kleinen Korallen platzten in einer funkelnden Pracht von meinem dünnen und mageren Handgelenk“ (S. 26). Der gesamten Aggression, die sich während der Zeit der Großmutter in Petersburg und der Erzählerin in Berlin angestaut hatte wurde Luft gemacht. Die Erzählerin befreite dieser Ausbruch der Korallen, als wäre es ein Schrei, den sie (und die Urgroßmutter) schon lange hat loswerden wollen.

Das Meer

In einer Geschichte, die „Rote Korallen“ genannt wird, ist es selbstverständlich, dass der Lebensraum der Korallen - das Meer - eine wichtige Metapher ist. Geschickt setzt sie Judith Hermann in den Verlauf der Geschichte ein.

So benutzt sie es häufig, um unendliche Stille auszudrücken., Stille, die in der großen russischen Wohnung, so wie im Lebenszimmer des Geliebten, des Fisches herrscht. Auf S. 12 und S. 17 beschreibt sie das Licht der Petersburger Wohnung als „Licht wie auf dem Grund des Meeres“, wo es normalerweise schwarz wie die Nacht ist. Auch dadurch entsteht ein Eindruck von ewiger Stille, die nur durch die wenigen Besuche der Liebhaber der Urgroßmutter gestört wird. Den russischen Männern scheinen die Besuche jedoch nicht ganz so duster zu sein, so sprach man in Petersburger Männerkreisen von „Zimmern, so dunkel, weich und kühl wie das Meer“. Diese sympathische Einstellung den großen Gewässern gegenüber könnte an der geographischen Lage von Petersburg direkt am Meer liegen. Ein weiteres Mal auf S. 22 bedient sich die Autorin der Eigenschaft des Meeres als stilles, alles verschluckende Element: „Die Tage waren still und wie unter dem Wasser.“ Dieser Satz steht am Anfang eines Absatzes, das den Leser noch etwas zur Ruhe kommen lässt, zur sogenannten Ruhe vor dem Sturm. Später geht Judith Hermann genauer auf das ein, was sich denn im stillen tiefen Wasser bewegt: den Liebhaber, den Fisch.

Geschickt wird das stille, dunkle Meer langsam in eine lebende ja, stürmische Wasserflut verwandelt. Die künftigen Erwähnungen von Gewässern sind heller und mit Leben versetzt, angefangen mit dem Vergleich der sich im Zimmer befindenden Staublflocken mit Algen und Tang (S. 20).

„Wie die Oberfläche eines Sees“ (S.23) wird die Stille im zuvor noch wie unter Wasser getauchtem Zimmer erwähnt, worauf der Geliebte - der Fisch - sichtlich zu Leben erwacht und ungeahntes Wissen über rote Korallen preisgibt. Es scheint angeblich doch etwas mehr in diesem halbtoten Fisch zu stecken. Seine vergleichbar lange Rede beendet er mit einem träumerischen Gedanken an die Stellen, an denen rote Korallen vorkommen, nämlich dort, wo „das Meer so blau ist wie ein Türkis, sehr tief, man kann schwimmen und tauchen, und das Wasser ist warm...“. Zum ersten Mal spürt man Sympathie dem Geliebten gegenüber und kann sich vorstellen, dass er als Fisch tatsächlich ein besseres Leben haben würde.

Die nächste Etappe der Steigerung wird beim Besuch beim Therapeuten erreicht. Nicht zufällig liegt auf dem Boden des Zimmers ein „weicher, meerblauer, tiefblauer Teppich“ (S. 25, 26). Es scheint verständlich zu sein, weshalb der Geliebte nur in diesem Raum über sich selber sprechen kann: er fühlt sich in seinem Element, als wäre er ein Fisch umgeben von tiefblauem Meerwasser.

Auf der vorletzten Seite wird die Benutzung des Wassers als Stilmittel der Spannungssteigerung offensichtlich: mit der Wolga über das Kaspische und das Schwarze Meer bis hin zum Atlantischen Ozean entlädt sich die über Jahrzehnte und mehrere Generationen angespannte Wut in einem großen Schwung. Der Therapeut bekommt dies anhand eines Schauers von vielen kleinen Korallen zu spüren. Der Therapeut, der die andere Kraft war, die um die Gunst des Geliebten geworben hat (mit der Vermittlung des Gefühls der Geliebte befände sich umgeben von Wasser) wird mit seinen eigenen Waffen geschlagen, was im Ableben seines Patienten endet.

Fische

Fische symbolisieren lebende, stumme Inhalte des Unterbewußten. In der Tat ist der Liebhaber der Erzählerin nicht gerade sehr kontaktfreudig - im Gegenteil - es entsteht der Eindruck als habe er Angst sich mit seiner Geschichte oder seinem Umfeld auseinanderzusetzen

Vorhänge

Die Vorhänge der Wohnung sind das Zeichen der Abschottung der Grossmutter von dem Geschehen während ihrer Zeit in Russland. Die „schweren, roten samtenen Vorhänge“ (zum ersten Mal erwähnt auf S. 12 oben) verdecken die großen Fenster, welche auf die Newa und die Kronstädter Bucht zeigen. Durch Ihre Größe und Schwere schlucken sie die wenigen Geräsuche in dem Zimmer. Es entsteht der Eindruck einer eigenen kleinen Welt einer alten Dame, die sich allabendlich in Gedanken an verliert.

Meistens sind die schweren Vorhänge zugezogen sogar am Tage. Nur um die Briefe Ihres Mannes aus der Ferne lesen zu können, lässt sie ein wenig Tageslicht herein um zu erfahren was ihr Mann in der Ferne für erwähnenswert hält. Mit dem Licht erfährt Sie kommt ein klein wenig von außerhalb in das stille, zurückgezogene Leben der Urgroßmutter.

Für die Großmutter sind die Fenster viel zu hoch angebracht, da sie sich auf die Zehenspitzen stellen muß, um einen Blick auf Ihre schöne Umgebung werfen zu können (S. 11). Die Wohnung erweckt den Eindruck viel zu groß und protzig für ein kleines, zierliches Muttchen zu sein, schließlich hatte Sie die Wohnung nicht selbst ausgesucht, sondern Ihr Mann wählte die Lage und die Räumlichkeiten für Sie.

Staub

Dem Staub werden in Judith Hermanns Geschichte die Symbole Stille, Interesselosigkeit und Tod zugeordnet. Diese Metapher begegnet uns erst auf S. 20 zum ersten Mal, nachdem wir uns bereits ein Bild von der langweiligen Beziehung von Erzählerin und Geliebten gemacht haben. Gut kann man sich vorstellen, wie einen die Langeweile lähmt nachdem man folgendes Zitat gelesen hat: „...ich hatte die Knie an den Körper gezogen und pustete sachte die Staubflocken durch den Raum; ich fand es erstaunlich, sich nicht für sich selbst zu interessieren.“ Die Interesse- und Antriebslosigkeit wird durch die immer häufigere Erwähnung des Wortes Staub unterstützt. Tatsächlich kommen die Staubwolken mit dem Fisch in Bewegung, als er sich vehement gegen einen Besuch seiner Partnerin bei seinem Therapeuten zu wehren versucht. Er kratzt und beisst und wirbelt Staub auf. Wie sehr verschlossen dieser Mensch ist, kann man sich durch diese Reaktion gut vorstellen.

Staub kann sich nur in Räumen von großer ruhe ablegen, zudem ist eine verstaubte Wohnung Zeichen von Unzufriedenheit. Ungern betritt man verstaubte Wohnungen. Im Falle der Geschichte ist der Staub auch Zeichen der haftenden Geschichte, die die Erzählerin nicht losläßt - Staub der schon über mehrere Jahre liegt könnte von früheren Zeiten erzählen. Sie erzählt davon, daß ihr Staub im Gesicht und an den Fußsohlen hängen bleibt, und trägt somit die Geschichte ihrer Großmutter, also ihre Geschichte (dazu im Kapitel Beziehungen) ständig an sich.

Geschickt lässt die Autorin auch die tote Großmutter „durch den Staub“ zu ihr sprechen, was die Verbindung Staub - Geschichte noch mehr unterstreicht. In der Bibel steht: „Du bist Staub und wirst zum Staub zurückkehren“. Die Urgroßmutter fordert die vereinsamte Erzählerin auf, mit ihr nach „Hause“ zu gehen, durch den Staub. Da sie sich ja wieder in Deutschland befinden, welches ihr „Zuhause“ ist, kann sie nur den Tod damit meinen. Real spielt die Partnerin des toten Fisches mit dem Freitod, da ihr Fisch nicht bei der Bewältigung der Vergangenheit behilflich sein kann. Die Staubflocken beruhigen sich nach der Verwerfung des Selbstmordgedankens wieder.

Öfen

Das Lebenswerk des Mannes der Urgroßmutter war das Erbauen von Öfen in Russland. Sie symbolisieren Hitze und schreiben ihrem Erbauer das Element Feuer auf die Seele. In der Petersburger Wohnung ist es nie richtig warm geworden, ansonsten hätte sich die Frau des Ofenbauers nicht ihre Hände am Samowar wärmen müssen.

Der Ofen ist Symbol für das emotionale Defizit, das Fehlen von zum Ausdruck gebrachten Gefühlen; das in der Beziehung der beiden besteht. In seinen Briefen bringt der Urgroßvater nie persönliches von sich zum Ausdruck, keine Vertraulichkeit oder Liebkosung ,die man in einer jungen, auf solche räumliche Distanz geführten Ehe erwarten könnte. Statt dessen kreisen seine Gedanken, die zu Papier gebrachten Zeilen, um das Objekt Ofen; dieser steht also zwischen dem Pärchen als unüberbrückbares Hindernis. Die Wärme, die ein Ofen zu spenden vermag, soll letztendlich die emotionale Wärme einer Liebe ersetzen. .So wundert es nicht, dass die Urgroßmutter, der dies nicht ausreichen kann, des Mannes Briefe im Kamin verbrennt.

Personen

Die Erzählerin

Ungewöhnlich stark für unsere Verhältnisse fühlt sich die Erzählerin mit der Vergangenheit ihrer Urgroßmutter verbunden. Da sie oft von den „Petersburger Geschichten“ spricht fasziniert sie das Land und der Verlauf des Zurückkehrens ihrer Urgroßmutter nach Deutschland. Hätte sie dem Warten mit dem plötzlichen Aufbruch auch nur ein klein wenig später begonnen, wäre ihrer Urenkelin mit großer Wahrscheinlichkeit eine russische Kindheit bevorgestanden. Doch nicht nur das lässt sie sich so intensiv mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen - auch die Tatsache, daß Urgroßmutters Verhalten sie stark an ihre eigene Situation erinnert bekräftigt dies. Ihre Urgroßmutter wartete auf das Zurückkehren ihres Mannes, sie selbst wartet auf das „Erwachen“ ihres Geliebten - in beiden Fällen endet die Beziehung mit dem indirekten Töten der Geliebten. Sie „tötete“ ihren Fisch mit der Explosion ihrer Gefühle, was sie schon im ersten Satz selbst zugibt: „Mein erster und einziger Besuch bei einem Therapeuten kostete mich das rote Korallenarmband und meinen Geliebten“. Diese Ähnlichkeiten begründen weshalb sie sich zu ihrer Urgroßmutter und nicht Großmutter, Vater oder Mutter hinzugezogen fühlt. Das rote Korallenarmband ist das sichtliche Zeichen dieser Verbindung. Es hat die ganzen Gefühle und Geschichten miterlebt und war maßgeblich am Tod zweier Menschen beteiligt.

Die Urgroßmutter

Sie kam nach Russland um zu Warten. Ganze drei Winter lang wartete sie um nach Deutschland zurückzukehren, eine lange Zeit - zu lange - wenn man sich an einem Ort deplaziert fühlt. Das dies der Fall war beweisen die Tatsachen dass nie erwähnt wird, dass sich die Urgroßmutter auch nur ein einziges Mal ausser Haus begeben hat. Lediglich um die Rückreise mit dem letzten Zug nach Berlin anzutreten verließ sie es - nachdem das Warten sich ja eh erledigt hatte. Die andere Tatsache ist die, daß sie kaum Russisch spricht. Sie wird des Lebens müde, so müde sogar, daß sie die Liebhaber eintreten lässt und zu müde ist sie fortzubitten. Das begründet auch, dass die Liebe zwischen ihr und ihrem Mann nicht sehr groß gewesen sein kann. Doch was wäre der Urgroßmutter in den Jahren 1902 bis 1905 unter den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen übrig geblieben, als mit ihrem Mann nach Russland zu fahren?

Wann und wie die Urgroßmutter ihren Tod findet, ist nicht ganz klar, doch geht aus dem Kontext hervor, daß sie schon vor der Geburt der Erzählerin gestorben sein muß: „Aber wo war meine Geschichte ohne meine Urgroßmutter“

Der Urgroßvater

Um Öfen für das russische Volk zu bauen kam der Gatte der Urgroßmutter nach Russland. Von seiner Zeit davor wissen wir nichts und auch ansonsten wird nicht viel über Ihn geschrieben. Ständig ist er unterwegs und baut gegen die russischen Kälte jede Art von Öfen, nur in der eigenen Wohnung fand er es nicht für notwendig, da dort lediglich ein Kamin vorhanden ist.

Obwohl er seine Frau drei Jahre lang im Stich lässt, hat er sie nicht vergessen. Regelmässig treffen Briefe aus der Ferne von ihm ein, in denen er jedoch nur die Funktionsweise verschiedener Öfen beschreibt. Durch einen zitierten Brief auf S. 12 wird der beschränkte, fachidiotische Horizont und das unterentwickelte Emotionsverhalten zum Ausdruck gebracht.

Wie wenig er sich Gedanken über seine Umwelt, ja sogar über seine Frau macht, kommt am Abend seiner Heimkehr klar zum Ausdruck. Auf Russisch hält er einen langen Monolog ausschließlich über sich selber. Durch zwei Fakten weiss er, dass seine Frau nur Deutsch beherrscht: der Briefwechsel fand nur auf Deutsch statt und die einzigen zwei Fragen die er seiner Frau stellt, sind ebenfalls auf Deutsch: Von wem und woher das rote Korallenarmband sei.

Die Erzählerin wird nicht unglücklich sein, dass sie Urenkelin von Nikolaij Sergejewitsch und nicht Verwandt mit diesem Ofenbauer ist.

Isaak Baruw

Neben der Urgroßmutter ist Issak Baruw der letzte Zeitzeuge aus der russischen Zeit, ja er hat sogar noch „russisch-deutsches Blut in seinen Adern. Er scheint ein zarter, gebrechlicher Mensch zu sein, ohne viel eigenen Antrieb. Durch den Urgroßvater - dessen Freund er ist - lernt er die Urgroßmutter kennen. Im Gegensatz zu allen andern Männern, die bei ihr ein und ausgehen beginnt er kein Verhältnis zu ihr, wahrscheinlich aus Respekt vor dem ehrenvollen Freund, der gegen ihn genauso duelliert hätte. Dass sich die Urgrossmutter nicht gegen ein Verhältnis zu ihm gewehrt hätte, beweist die Stelle, dass seine beruhigenden Worte dem Urgroßvater gegenüber sie an ihre Liebhaber erinnert. Auch ist die Dame zu müde, die Liebhaber hinauszubitten, also blieben sie. Problemlos hätte Isaak Baruw auf der langen Liste der Liebhabe r auch noch Platz gefunden.

Er wird als krumm und bucklig beschrieben, und dadurch, dass er mit beiden Bewohnern der Wohnung gut auskommt, entsteht der Eindruck er wäre ein Diener der beiden. Schließlich muss er dem Duell beiwohnen, obwohl er es vermeiden wollte, und hat die Aufgabe der Urgroßmutter den Tod ihres Mannes zu berichten. Er wird es schlimmer gefunden haben als die Urgroßmutter selber.

Letztlich heiratet er das Pommersche Zimmermädchen und begibt sich somit weiter in den Dienerstatus hinunter. Die Urgroßmutter ermöglicht ihm mit dem letzten Zug die Fahrt nach Berlin, weshalb er ihr ewige Dankbarkeit verspricht und ihre Koffer trägt. Dies war die Grundvoraussetzung des Entstehens des Verhältnisses zwischen Dem Fisch und der Geliebten.

Nikolaij Sergejewitsch

Er ist der wahrscheinlich am meisten geliebte Liebhaber der Urgroßmutter, Verschiedene Tatsachen weisen darauf hin: er schenkte ihr das rote Korallenarmband, welches das einzige Schmuckstück ist, das die Urgroßmutter trug. Mit ihm zeugte sie mindestens ein Kind. Das erste wurde zwei Monate vor der Rückkehr des Urgroßvaters gezeugt und sieben Monate später erblickte die Oma der Erzählerin am 20. Januar 1905 das russische Licht der Welt. Auf diesen Zeitpunkt wartete die Urgroßmutter um sich nicht schwanger auf den weiten Weg nach Berlin machen zu müssen.

Nikolaij Sergejewitsch erschoß seinen Rivalen auf der Anhöhe des Petrowskij - Parks, doch hielt er es nicht für nötig dies seiner Geliebten zu berichten. Man kann davon ausgehen, dass er ein rücksichtsloser, egoistischer Mensch war, denn im Verlauf der Geschichte wird er nicht mehr erwähnt.

Der Geliebte

Der Geliebte stellt als Urenkel des Isaak Baruw, des Mannes, der die Urgroßmutter von Petersburg nach Deutschland begleitete, die einzige lebendige Verbindung zu dieser russisch- deutschen Vergangenheit, ihren Ursprüngen dar. Die Erzählerin lernt ihn auf der Beerdigung seiner Eltern kennen, „den letzten Zeugen der Petersburger Vergangenheit“, und mit ihnen beerdigt werden „die Geschichten , über die sie selbst (die Großmutter) nicht mehr sprechen wollte“. Aus diesem einzigen Grund, dem seiner Herkunft, ist er für die Erzählerin interessant - seine Person verliert sich hinter dem übermächtigen Status seiner Abstammung; er gewinnt auch im Laufe der Erzählung nicht mehr an Profil, bleibt nur der „Geliebte“, namen - ,und wie sich im weiteren Verlauf herausstellt, auch geschichtenlos.

Die Erzählerin sucht in ihm den Zugang zu ihrer eigenen Identität, die für sie in der Vergangenheit ihrer Urgroßmutter verschüttet liegt, sie vermutet dieselbe scheinbare Einsamkeit und Entfremdung bei ihm, und will ihm, wegen ihrer gemeinsamen Lage Trost und Halt geben („ich dachte, ich könne ihn trösten mit den Petersburger Geschichten“), und erwartet dasselbe von ihm.

Der Geliebte ist zehn Jahre älter als sie, so könnte man eine gewisse Überlegenheit in der Entwicklung der Persönlichkeit, der Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und Lebensweisheit der Erzählerin gegenüber, eines 20jährigen jungen Mädchens, erwarten. Statt dessen erweist sich er als der problembeladenere („es ging ihm sehr schlecht“); der Geliebte sucht zweimal wöchentlich einen Psychotherapeuten auf.

Der Erzählerin erscheint der Geliebte wie ein Fisch, „er hatte fischgraue Augen und eine fischgraue Haut, er war wie ein toter Fisch,...,kalt und stumm,...“.

Die Beziehungen - Elemente treffen aufeinander

Die Konflikte in den Beziehungen der beiden Paare und der Erzählerin - Therapeut gelten einer Auseinandersetzung der Elemente.

Urgroßvater - Urgroßmutter

Dem Urgroßvater kann als Element Feuer zugeordnet werden. Er baut Öfen gegen die Kälte und hat daher schon beruflich viel mit Feuer zu tun. Bei seinem Besuch in Petersburg hat er eine weitere Reise nach Wladiwostock ans andere Ende Russlands geplant, nur des Feuers Willens - doch das war zuviel des Elementes. Die Überdosis Feuer wird auf ihn im Petrowskij - Park abgelassen.

Seine Frau dagegen ist auch eine Art Fisch im Wasser. Nicht wie der Geliebte, eher wie eine Moräne am Meeresgrund. Ihr Zimmer füllt sich im Laufe der Geschichte symbolisch mit Wasser - bis zum Anschlag. Das provokante zur Schau stellen des Korallenarmbandes könnte als „das Ziehen des Stöpsels“ bezeichnet werden. Ganz ihrem Element Wasser entsprechend verhält sich die Urgroßmutter die meiste Zeit über recht ruhig, bis auf die Erwähnung einer weiteren Reise ihres Mannes. Sie als Wasser kommt in Kontakt mit dem Feuer des Urgroßvaters und erwärmt sich. Die Folge davon ist das Auslöschen der Flamme: ihr Mann stirbt. Das Wasser siegt über das Feuer.

Erzählerin - Geliebter

Die Rollen in der Neuzeit wurden getauscht. Das Wasser verkörpert eindeutig der Geliebte. Nicht umsonst wird er auch Fisch genannt. Er ist allerdings eine andere Art von Wasser. Ein umgekippter Tümpel könnte er sein, der nach Fäulnis stinkt. Ihm gibt seine Partnerin Kontra, welche stark an der symbolischen Bedeutung des Armbandes hängt, ja welches sogar ihr Leben beeinflusst und verändert hat. Als einziges materielles Erinnerungsstück an die russische Vergangenheit bringt es auch die ganzen Geschichten mit sich, die aus ihr hinaus müssen: „Die Petersburger Geschichten, die alten Geschichten, ich will sie erzählen, um aus ihnen hinaus, und fortgehen zu können.“ (S. 24). Sie brennt förmlich danach sie loszuwerden, und versucht durch anfänglich ihren Geliebten zu therapieren, nachdem seine Eltern auf See gestorben ist. Sie hofft, dadurch ihn zum Reden zu bringen. Daher kann man behaupten, dass ihr das Symbol Feuer zugeschrieben werden kann. Das Feuer erhitzt sie so stark, daß sie im Zimmer des Therapeuten innerlich explodiert und mit dem Platzen des Armbandes und dem Bewerfen des Therapeuten alle Geschichten aus sich herauslässt, die ihr Fisch nicht hören wollte. Durch diese freigesetzte Hitzewelle stirbt ihr Geliebter. Das Feuer siegt über das Wasser.

Erzählerin - Urgroßmutter

Nicht nur das rote Korallenarmband wurde von der Urgroßmutter an ihre Urenkelin weitervererbt, sondern genauso die russischen Geschichten. Dass sich die beiden je leibhaftig gegenüber standen, halte ich für unwahrscheinlich, eher scheint die Urgroßmutter eine Art Gewissen der Erzählerin zu sein. So „weist“ sie ihre Urenkelin an, auf die Beerdigung der Eltern ihres Geliebten zu gehen, denn mit ihnen werden „die Geschichten, über die sie selbst nicht mehr sprechen wollte“ (S. 19) ins Grab getragen. Zu diesem Zeitpunkt wird die Urgroßmutter wahrscheinlich schon längst tot gewesen sein, andernfalls hätten die Geschichten ja noch von Zeitzeugen weitergelebt werden können. Ihrer Verantwortung gegenüber den Geschichten wird sie bewußt, da sie die einzige Erbin ist. Ihr Geliebter kann die Geschichten nicht erzählen, wie es weiter unten im Text erwähnt wird - kein Wunder er gleicht ja mehr einem toten Fisch.

Der Urgroßmutter liegt viel an ihrer zwanzigjährigen Urenkelin, die sich ganz mit ihr identifiziert: „Die Geschichte meiner Urgroßmutter war meine Geschichte. Aber wo war meine Geschichte ohne meine Urgroßmutter?“ Dies Zitat beweist die enge Verbundenheit der beiden und daß es der Erzählerin wichtig ist mehr über sich, sprich über die Familiengeschichte zu erfahren. Diese Beziehung mit einer Toten geht sogar schon so weit, dass sie miteinander kommunizieren. Die Urgroßmutter lädt die unglückliche Urenkelin ein, zu ihr ins Reich der Toten zu kommen, um ihr dort Gesellschaft zu leisten und um sich dort die Petersburger Geschichten anzuhören. Geschickt lässt Judith Hermann ihre Stimme durch den Staub kommen, was ihr totes Wesen unterstreicht, schliesslich sind wir alle Staub und werden zum Staub zurückkehren. Doch sie will nicht und wehrt sich mit Schweigen. Sie lässt sich auch nicht von ihr mit Kosenamen verführen. Bis sich die Erzählerin ein Herz fasst und sie mit den Worten: „Du hast mich zu ihm geschickt, jetzt mußt du warten, bis es zu Ende ist!“ abspeist.

Diese Szene lässt sich - betrachtet man den Verlauf der Geschichte - als Selbstmordgedanke der Erzählerin interpretieren. Die einzigen Beziehungen die sie pflegt sind mit einer Toten Uroma und einem fast toten Fisch. Wegen oben genanntem Zitat verzichtet sie auf den Freitod. Dies hebt ihr starkes Selbstbewußtsein hervor.

Erzählerin - Therapeut

Im Zimmer des Therapeuten stehen sich symbolisch Feuer und Erde gegenüber. Der Therapeut - als Insel auf seinem meerblauen Teppich - ist und bleibt von den Geschehnissen in seiner Praxis unberührt. Er rührt sich nicht, spricht nicht viel und „er zog sein Fuß den Fuß ein winzigbißchen zurück“ (S. 27), als sie ihn beim Einsammeln ihrer Korallen berührte. Doch Feuer lässt sich nicht einfangen. Die Erzählerin wirkt ausgeglüht.

Orte

Petersburg

Wer Petersburg durch das Hörensagen ein klein wenig kennt, weiß dass es als eine der schönsten Städte Russlands gilt. In dieses romantische, verträumte Flair passt die Urgroßmutter als wäre sie eine Einheimische. Das wird durch die gehobene Wohnlage auf der Insel Wasilij Ostrow hervorgehoben. Dort verkehren Künstler, Gelehrte und allerlei gehobenes Volk - könnte man einen Vergleich zu heute ziehen, ähnelt es Montmartre in Paris oder Prenzlauer Berg in Berlin. Dadurch, daß sie sich selten in der Stadt sehen lässt, kann man die tiefe seelische Störung herauslesen.

Petersburg, früher Petrograd und in Zeiten der Sowjetunion Leningrad genannt, liegt direkt am Meer, was auf die häufige Erwähnung des Wassers als Symbol schliessen lässt.

Die Zimmer

Die gesamte Geschichte spielt in drei verschiedenen Zimmern: das Wohnzimmer der Urgroßmutter, das Schlafzimmer des Fisches und der Geliebten und das Zimmer des Therapeuten. Alle drei haben eines gemeinsam: Wasser, das nur als Fiktion vorhanden ist, dient als eine Art „Spannungsbarometer“. Ist der Höhepunkt erreicht, passiert ein einschneidendes Erlebnis, das die Geschichte prägt.

Im Zimmer der Urgroßmutter zeigt sich dies am provokanten Anlegen des roten Korallenarmbandes, in der Behausung des Fisches am Entschluss seiner Partnerin den Therapeuten zu besuchen, und dort am Explodieren des Armbandes und zugleich am Tod Patienten des Therapeuten.

Stilelemente

Erzählsituation

“Rote Korallen“ ist eine fiktionale Kurzgeschichte. Situationen wie das Anhalten des Zuges oder das Klopfen der Urgroßmutter lassen drauf schließen, dass diese Geschichte nicht so stattgefunden hat. Ebenfalls ist es für einen zeitgenössischen Erzähler nicht möglich, Handlungen die vor über 90 Jahren stattgefunden haben, so bildhaft zu beschreiben wie es Judith Hermann getan hat. Als Beispiel wäre nur anzugeben, dass der Arm mit dem roten Korallenarmband „matt“ von der Lehne hing, oder daß die Urgroßmutter mit der Zeit Liebkosungen wie „Du zarteste aller Birken“ zu verstehen gelernt hatte, ansonsten jedoch kein Russisch sprach. In keiner Familienchronik wird so etwas vermerkt.

Durch den Text leitet uns die Partnerin des Fisches als personelle Erzählerin. Da sie die Geschichte offensichtlich stark persönlich berührt, erfahren wir alles aus ihrer, stark subjektiven Sicht. Leider ist es uns nicht möglich die Handlung aus anderen Sichten zu sehen.

Zeitraffung

Die Geschichte ist deutlich in zwei Teile geteilt:. Die Zeitangaben im Text sind dünn gesät, doch anhand weniger Merkmale lässt sich das Zeitgerüst zusammenstellen. Der erste Teil - das Leben der Urgroßmutter - zieht sich über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren hin.

Ende des Jahres 1901 kam das Ehepaar nach Petersburg. Da am Anfang vom Text noch keine Zeitangabe zu finden ist, muss man aus dem Dasein einer Urgroßmutter und der Nennung Petersburgs daraus schließen, dass dies vor dem Sowjetregime geschehen sein musste. Wäre die Bezeichnung geschichtlich korrekt, hätte sie die Stadt Petrograd nennen müssen.

Der Urgroßvater machte sich auf die weiten Reisen durch das große Land - zum Glück gab es die Transsibirische Eisenbahn bereits (erbaut von Alexander II) - und kehrte erst nach drei Jahren nach Petrograd zurück. Er plante ein letztes Mal nach Wladiwostok zurückzukehren, wahrscheinlich um die im japanisch - russischen Krieg 1904/05 zerstörten Häuser wieder neu aufzubauen. Doch dazu kam es nicht. Im Sommer 1904 wurde er nach kurzem Aufenthalt von Nikolaij Sergejewitsch erschossen.

Sieben Monate später, am 20 Januar 1905 wurde die Großmutter noch in Petrograd geboren. Dies war für die Urgroßmutter der Auslöser mit Isaak Baruw mit dem letzten Deutschen Zug vor der russischen Revolution des Zar Nicolas II nach Berlin zu fahren.

Hier erfolgt der große Einschnitt in den Lauf der Geschichte. Im Eiltempo wird erklärt, dass Isaak Baruw mit dem Pommerschen Zimmermädchen 7 Kinder zeugte, die ihm 7 Enkelkinder schenkten, und eines davon gebar den Geliebten, den Fisch. Über die Generationen hinweg könnte der Lauf der jüngeren Geschichte sich um das Jahr 1990 abgespielt haben.

Mit der Beerdigung der Eltern des Geliebten findet die neuere Geschichte ihren Anfang. Der gesamte Handlungsrahmen dürfte sich in nicht mehr als zwei Monaten abgespielt haben, doch da es keinen Orientierungspunkt gibt, ist eine Schätzung sehr wage. Nur anhand des sich ablagernden Staubes als Symbol für verstreichende Zeit kann man sich eine Vorstellung machen.

Die Zeit verstreicht nach der Beerdigung ziemlich zäh. Dem Höhepunkt (welches sogleich der Schluss ist) hinzustrebend, fließt die Zeit immer schneller. Ab dem Zeitpunkt an dem es die Erzählerin nicht mehr aushält ihre Geschichten bei sich zu behalten, wird der sich abgesetzte Staub aufgewirbelt und die Zeit verstreicht schneller. Sie springt förmlich aus dem Bett und macht sich auf, den Therapeuten zu besuchen, wo die Geschichte ihr Ende findet.

Wiederholungen

Wiederholungen deuten auf etwas Wichtiges hin, das man sich dem Verlauf einer Geschichte immer vergegenwärtigen sollte. Doch bei einem zu häufigen Gebrauch lassen sie etwas für Unwirklich und Unseriös erscheinen.

Ein Satz eröffnet und teilt die Geschichte: “Mein erster und einziger Besuch bei einem Therapeuten kostete mich das rote Korallenarmband und meinen Geliebten.“ Ganz am Anfang und auf S.18 taucht dieser Satz auf. Man entdeckt ihn zwar nur zweimal, doch gilt er als Überschrift für zwei verschiedener Kapitel.

Häufiger tritt eine Frage auf, die gesamte Geschichte in Frage stellt. Es ist die Frage, nach dem Sinn der Quängelei unserer Erzählerin gestellt wird. Sie brennt förmlich darauf, ihre Geschichten zu erzählen und „Rote Korallen“ vereint diese Geschichten in einer. „Ist das die Geschichte, die ich erzählen will?“ So stellt sich die Erzählerin selbst in eine fragwürdige Situation. Auch die Antwort auf diese Frage hilft nicht wirklich weiter: „Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.“

Die Wirkung der Wiederholung dieser Frage ist das kritische Betrachten der gesamten Geschichte.

Eigener Kommentar

„Rote Korallen“ gefällt mir als Geschichte sehr gut. Um so länger ich mich mit ihr befasst habe, um so mehr versteckte Symbole tauchten auf, insbesondere die Elemente, die gegeneinander antraten. Mit viel Wortgefühl und Feinheit verliert die Geschichte nicht an Spannung.

Sie ist ein Aufruf an die Leser um auf unsere Mitmenschen zu hören und sie zu Wort kommen zu lassen. Ansonsten schaden wir uns nur selber, wie es im Falle der beiden Männer vorkam. Jede der vier Hauptpersonen plagt dieses Problem. Der Urgroßmutter wurde kein Gehör geschenkt, genauso wenig dem Urgroßvater, da es niemanden interessiert was für Öfen er gebaut hatte. Die Erzählerin schreibt ja ständig, dass sie ihre Geschichten loswerden möchte, und der Fisch besucht deswegen sogar einen Therapeuten.

Es ist nur schade und etwas unglaubwürdig dass die Erzählerin nicht mehr von sich preis gibt. Klar, ihr großes Verlangen ist, ihre Geschichte loszuwerden.

Zugleich ist „Rote Korallen“ ein Aufruf zu mehr Selbständigkeit. Bemerkenswert ist, dass die beiden Frauen - die zudem auch von einer Frau erfunden wurden - letztendlich mehr Selbstbewußtsein erlangt haben oder dieses durch ihr plötzliches Singledasein noch zwangsweise erlernen müssen. Ihre Männer sind ja durch ihre Unfähigkeit zur Kommunikation gestorben.

Auch im Anbetracht der anderen Geschichten vom Erzählband „Sommerhaus, später“ ist es nur zu gut nachzuvollziehen weshalb Judith Hermann zu den neuen Top - Autoren zählt.

Literaturverzeichnis

- Georg Bangen: Die schriftliche Form germamanistischer Arbeiten. München 1994. Band 13. Sammlung Metzler, Neunte Auflage
- Eckhart. Meyer - Krentler: Arbeitstechniken Literaturwissenschaft. München 1990. 2. Auflage
- Gerd Heinz-Mohr: Lexikon der Symbole. Freiburg 1999. Herder Verlag
- Hans Bredermann: Knaurs Lexikon der Symbole. München 1989. Drömersche Verlagsanstalt
- Ingrid Riedel: Farben. Stuttgart 1983. 7.Auflage. Kreuz Verlag Stuttgart
- Flora Peschek-Böhmer: Heilung durch die Kraft der Steine. München1996. 11. Auflage. Ullstein List Verlag GmbH & Co

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Rote Korallen.
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Veranstaltung
Proseminar
Note
2,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
16
Katalognummer
V106316
ISBN (eBook)
9783640045952
Dateigröße
442 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rote, Korallen, Proseminar
Arbeit zitieren
Simon Woyte (Autor:in), 2001, Rote Korallen., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106316

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