Von den Spartakusbriefen zum Spartakusaufstand - Rosa Luxemburg und die deutsche Novemberrevolution


Hausarbeit, 2002

26 Seiten, Note: 15 Punkte


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitende Betrachtung und Intentionen der Arbeit

2. Rosa Luxemburg und die deutsche Novemberrevolution
2.1 Rosa Luxemburg - Kurzbiographie (1871-1914)
2.2 Rosa Luxemburg - Von den Spartakusbriefen zum Spartakusaufstand
2.2.1 Der erste Weltkrieg und die Rolle der Sozialdemokratie (1914)
2.2.2 Rosa Luxemburg und der Beginn der Antikriegsbewegung - „Die Internationale“ als Vorläufer der Spartakusgruppe (1914/15)
2.2.3 Rosa Luxemburg und die Gründung der Spartakusgruppe - Die deutsche Linke begibt sich in den Untergrund (1916)
2.2.4 Rosa Luxemburg und der Kampf der Spartakusgruppe - Vorbereitung der Revolution (1916/1917)
2.2.5 Rosa Luxemburg, die Spartakusgruppe und die Novemberrevolution - Deutschland im Umbruch (1918-1919)

3. Schlussbetrachtung

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Erklärung

1. Einleitende Betrachtung und Intentionen der Arbeit

Die deutsche Novemberrevolution 1918 ist ein zentrales Ereignis in der neueren deutschen Geschichte. Nach vier Jahren Krieg und Entbehrung scheint Deutschland im Chaos und in der politischen Krise zu versinken. Der Krieg ist verloren, der Kaiser und seine militärischen Berater haben abgedankt, der Kampf um die politische Vorherrschaft in Deutschland ist entbrannt.

Die Ereignisse überschlagen sich, nichts scheint mehr so wie es einmal war. Kapitalismus oder Sozialismus - das ist die Frage der Stunde.

Ein Name scheint unausweichlich mit den Geschehnissen in Deutschland um 1918 verbunden: Rosa Luxemburg. Der Name dieser Frau ist noch heute ein Mythos. Rosa Luxemburg steht systemübergreifend als Synonym für uneingeschränkten Kampfeswillen, Einsatz und Überzeugung.

Für mich stellt sich an dieser Stelle die Frage:

Wer war Rosa Luxemburg und welche Rolle spielte sie in der deutschen Antikriegsbewegung und in der deutschen Novemberrevolution?

Zunächst war ich der Ansicht, dass es für die Beantwortung dieser Frage ausreiche, einen chronologischen Ablaufplan über die Ereignisse, die mit Rosa Luxemburg und der Spartakusgruppe in Zusammenhang stehen, zu erstellen.

Ich kam jedoch zu der Überzeugung, dass dieses Vorgehen der Komplexität der thematischen Zusammenhänge nicht gerecht werden kann. Es ist vielmehr meine Intention in dieser Facharbeit, mich auf Rosa Luxemburg und ihre Rolle in der Antikriegsbewegung und in der Novemberrevolution zu konzentrieren. Ich werde nur jene geschichtlichen Fakten in meine Arbeit integrieren, die unbedingt für das Verständnis der Rolle Rosa Luxemburgs notwendig sind.

Zum Verständnis der Arbeit und ihres Aufbaus möchte ich vorwegschicken, dass ich Rosa Luxemburgs gesamtes Wirken in der deutschen Antikriegsbewegung als Prozess begreife.

Aus diesem Grund beginne ich mit der Beschreibung der politischen Aktivitäten Rosa Luxemburgs bereits im Jahre 1914, obwohl die in der Themenstellung erwähnten Spartakusbriefe erst im Jahre 1916 erstmalig erschienen. Des weiteren werde ich an Stellen, an denen ich dies zum Verständnis der Position Rosa Luxemburgs für nötig halte, auf politische Theorien Rosa Luxemburgs zurückgreifen, die schon sehr viel früher von ihr entwickelt wurden.

Der Hauptteil meiner Arbeit gliedert sich in fünf Teile. In jedem der Teile liegt der Schwerpunkt auf der Rolle Rosa Luxemburgs in jeweils unterschiedlichen Zeitabschnitten des Krieges.

In der Schlussbetrachtung werde ich, basierend auf den vorangegangen Ausführungen, die Rolle Rosa Luxemburgs zusammenfassend einschätzen.

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass mir in dieser Arbeit keine endgültige Beantwortung der Frage nach der Rolle Rosa Luxemburgs gelingen wird.

Zur Beantwortung dieser höchst komplexen Frage ist der Rahmen, den eine Facharbeit bietet, unzureichend.

2. Rosa Luxemburg und die deutsche Novemberrevolution

Ich stelle dem Hauptteil meiner Arbeit eine Kurzbiographie Rosa Luxemburgs voraus, da es meiner Meinung nach nicht sinnvoll ist, die politischen Aktivitäten und Vorstellungen einer Person in einem bestimmten Zeitabschnitt zu betrachten und zu analysieren, ohne sich zumindest einen groben Überblick über die vorhergegangenen Ereignisse im Leben dieser Person verschafft zu haben, denn Menschen, ihr Denken und Handeln, sind Produkte ihrer Sozialisation und ihrer bisherigen Lebensgeschichte.

2.1 Rosa Luxemburg -Kurzbiographie (1871-1914)

Rosa Luxemburg wurde am 5. März 1871 als jüngstes von 5 Kindern in Zamosc (Polen) geboren. Sie gehörte einer gebildeten Familie des polnischen Mittelstandes an. Im Jahre 1873 siedelte Rosa Luxemburg gemeinsam mit ihrer Familie nach Warschau um, wo sie ab 1884 mit dem Besuch des zweiten Warschauer Frauengymnasiums begann.1 Schon früh interessierte sich Rosa Luxemburg für Politik, bereits im Jahre 1887, also im Alter von 16 Jahren, trat sie in die „Revolutionäre Partei Polens“ ein. Von Beginn ihrer politischen Aktivität an musste Rosa Luxemburg aufgrund ihrer politischen Einstellungen mit Verfolgung rechnen. Im Jahre 1889 blieb ihr - als letzte Option, einer drohenden Verhaftung zu entgehen - die Flucht in die Schweiz.

Nach ihrer Ankunft in Zürich begann Rosa Luxemburg 1890 mit dem Studium der Mathematik und der Naturwissenschaften. Nach zwei Jahren des Studiums entschloss sie sich, ihr Studienfach zu wechseln und Jura zu studieren.2

Der Ortswechsel von Polen in die Schweiz bedeutete für Rosa Luxemburg keineswegs das Ende ihres politischen Engagements, denn auch während ihrer Zeit in Zürich pflegte Rosa Luxemburg Kontakte zu verschiedenen politischen Gruppen. Am intensivsten arbeitete Luxemburg in der Polnischen Sozialistischen Partei. Im Jahre 1893 trat Rosa Luxemburg erstmals öffentlich auf dem Kongress der II. Internationale als Delegierte der sogenannten Sprawa-Robotnisza-Gruppe in Erscheinung.3 Noch im selben Jahr kam es zu heftigen Kontroversen mit den polnischen Sozialdemokraten über die Unabhängigkeit Polens. Während die Sozialdemokraten für die nationale Unabhängigkeit Polens plädierten, propagierte Luxemburg eine Kooperation mit den russischen Arbeitern und somit den Internationalismus.4

Aufgrund dieser und anderer Kontroversen beschlossen Rosa Luxemburg und ihre Mitstreiter 1894 eine eigene Partei, die Sozialdemokraten des Königreichs Polen zu gründen, die sich später mit der Litauischen Sozialdemokratie zur Sozialdemokratie des Königreichs Polens und Litauens vereinigte. Rosa Luxemburg hatte Zeit ihres Lebens großen Einfluss auf diese Partei.5

Im Zeitraum zwischen 1895 und 1897 publizierte Luxemburg ihre ersten eigenständigen politischen Schriften in deutscher Sprache, die sich mit der Problematik der polnischen Arbeiterbewegung beschäftigten. Rosa Luxemburg hatte den Eindruck, in Deutschland politisch mehr erreichen zu können als in Polen oder der Schweiz. 1898 siedelte Rosa Luxemburg, nachdem sie ein Jahr zuvor, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten, eine Scheinehe mit dem Deutschen Karl Lübeck eingegangen war, nach Berlin über und trat dort in die SPD ein, in welcher sie sich stark im linken Flügel engagierte. In Berlin wurde sie in mehreren Arbeiterzeitungen als Autorin und als Redakteurin aktiv und schrieb weitere marxistische Schriften.

Wegen einer Rede gegen Kaiser Wilhelm II. wurde Rosa Luxemburg im Jahre 1904 zum ersten Mal zu einer kurzen Gefängnisstrafe verurteilt. Nach ihrer Freilassung fuhr Rosa Luxemburg im Dezember 1905, trotz eines Verbotes durch die polnische Regierung, illegal nach Warschau, um dort an der russischen Revolution teilzunehmen. Anfang 1906 wurde sie in Warschau verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Im Juli gelang es Rosa Luxemburg gegen eine Kaution aus der Haft freizukommen und Polen wieder zu verlassen. Im Jahre 1906 wurde Luxemburg in Deutschland zu einer weiteren Haftstrafe wegen „Aufreizung zu [politisch motivierten] Gewalttätigkeiten“6 verurteilt, die sie allerdings erst im Sommer 1907 verbüßte. Nach ihrer Entlassung am 12. August 1907 wurde Rosa Luxemburg am 1. Oktober Dozentin an der sozialistischen Parteischule in Berlin. In dieser Zeit entstand ihr berühmtes und wohl auch wichtigstes Werk „Akkumulation des Kapitals“, welches sie 1913 vollendete und veröffentlichte.7

In den nächsten Jahren tat sich Luxemburg durch ihre Aktivitäten als Dozentin und als Rednerin auf Massenveranstaltungen zu den Themen Massenstreik und Wahlrecht hervor.

Bereits im Jahr 1913 erkannte Rosa Luxemburg die sich zuspitzende Konkurrenz der imperialistischen Mächte Europas und prognostizierte den 1. Weltkrieg. Als überzeugte Pazifistin versuchte sie alles, um diesen Krieg zu verhindern. In Reden und Schriften forderte sie die Arbeiter, von denen der Krieg in breiter Masse getragen werden müsste, auf, die Waffen nicht gegen die europäischen Brüder zu erheben.8 Als Schlusswort einer Demonstration in Frankfurt hielt Luxemburg ihre berühmte Rede „Militarismus, Krieg und Arbeiterklasse“.9 Aufgrund ihrer Reden gegen Militarismus und Krieg in Frankfurt wurde Luxemburg zu einer weiteren einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die sie jedoch erst 1915 verbüßte.

2.2 Rosa Luxemburg - Der Weg in die Novemberrevolution (1914-1919)

In dem nun folgenden Hauptteil gehe ich auf Rosa Luxemburgs politische Rolle in Deutschland zwischen dem Beginn des ersten Weltkrieges 1914 und der deutschen Novemberrevolution 1918/19 ein. Ich beginne mit einem Abriss über die politische Situation zu Beginn des Krieges 1914, um dem Leser ein Verständnis des politischen Klimas zu ermöglichen. Dann werde ich zu einer chronologisch geordneten Beschreibung der politischen Aktivitäten Rosa Luxemburgs im Rahmen der Antikriegsbewegung übergehen, die mit ihrem Tod 1919 endet. Aus dieser Beschreibung sollen ihre politischen Ziele in der Bewegung und ihr Einfluss auf eben diese deutlich werden.

2.2.1 Der erste Weltkrieg und die Rolle der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (1914)

Am 28. Juni des Jahres 1914 ermordeten serbische Nationalisten das österreichische Kronprinzenpaar. Dies war der Funken, der das Pulverfass Europa, in dem es schon lange geschwelt hatte, endgültig zur Explosion brachte. Das, was folgte, ist bekannt: Der ERSTE WELTKRIEG!

Die politische Situation im Deutschen Reich war für die Linke zu diesem Zeitpunkt außerordentlich schwierig, denn der Krieg bedeutete nicht nur den Tod Unzähliger auf den Schlachtfeldern Europas, sondern auch den Niedergang der deutschen Sozialdemokratie. Mit ihrer Zustimmung zu den Kriegskrediten und dem Burgfrieden mit dem Militär legitimierten die Sozialdemokraten einen eindeutig imperialistischen Krieg.10 Dieser Krieg widersprach jedem Grundsatz der Sozialdemokratie und dem von der SPD zuvor propagierten Internationalismus. Unter dem Deckmantel des Burgfriedens und des Patriotismus verrieten die Sozialdemokraten ihre Ideale und gaben das ihnen vom Volk gegebene Heft der politischen Initiative und der mühsam erstrittenen demokratischen Rechte aus der Hand.11

Nach der historischen Zustimmung zu den Kriegskrediten war die „Revolutionäre Idee“ der Sozialdemokratie zur Sonntagsphrase der „geistlosen [Partei-]Bürokratie“12 geworden, die nichts mehr fürchtete als die Bewegung.

Die damaligen Debatten mit den linken Marxisten um Rosa Luxemburg zeigten in frappierender Art und Weise, dass die sozialdemokratische Führung unfähig und auch nicht Willens war, die Massen auf die kommenden „Stürme“ vorzubereiten, noch eben diese zu verhindern, was eigentlich zu ihrer selbstverständlichen sozialdemokratischen Pflicht gehört hätte. Die Sozialdemokratie befand sich im konservativ-imperialistischen Lager des Kaisers und der Bourgeoisie.13

Von nun an war es einem kleinen Häuflein vorbehalten, das sich um Rosa Luxemburg und einige wenige andere geschart hatte, das Erbe der deutschen Sozialdemokratie anzutreten und die Fahne der wirklichen Sozialdemokratie weiterhin in Deutschland gegen die Kriegstreiber aus der Fraktion der Sozialchauvinisten und der Zentristen aufrechtzuerhalten.

2.2.2 Rosa Luxemburg und der Beginn der Antikriegsbewegung -„Die Internationale“als Vorläufer derSpartakusgruppe (1914/15)

Rosa Luxemburg sah es von Anbeginn des Krieges als ihre Pflicht an, sich gegen den Opportunismus und gegen den Verrat an der sozialdemokratischen Sache innerhalb der SPD zu stellen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.14

Nach der verhängnisvollen Billigung der Kriegskredite im Reichstag versammelte Rosa Luxemburg einige der wenigen noch verbliebenen zuverlässigen Linken, unter ihnen Franz Mehring, Julian Marschlewski, Ernst Meyer, Hermann Dunker und Wilhelm Pieck, in ihrer Wohnung, um über „Maßnahmen zum Kampf gegen die Kriegs- und Burgfriedenpolitik [der Sozialdemokraten] zu beraten.“15 Die Gruppe kam jedoch zu keiner konkreten Lösung; zwar wurde ein demonstrativer Austritt aus der Partei erwogen, jedoch wieder verworfen, da man die Parteibasis später als Instrument gegen die Politik der Parteiführung gebrauchen wollte. Man beschloss, überall im Land Personen anzuschreiben, die man für Gegner des neuen Kurses der Parteiführung hielt, um mit ihnen weiter zu beratschlagen. Das Ergebnis dieser Initiative war niederschmetternd. Nur Clara Zetkin, eine überzeugte Linke, erklärte sich bereit, den Kampf gegen den Opportunismus der Partei aufzunehmen. Die wenigen anderen, die überhaupt antworteten, gebrauchten „dumme und faule Ausreden.“16

Aus der Gruppe um Rosa Luxemburg begann sich - aller widrigen Umstände zum Trotz - in den Jahren 1914 und 1915 eine Opposition innerhalb der Sozialdemokratischen Partei zu bilden, die zunehmend konsequent gegen den kriegsfördernden Kurs der Parteiführung agierte.

Nahziel der Bewegung, die sich in Luxemburgs Wohnung am 4. August 1914 formierte, war zunächst die Organisation derer, die dem Sozialismus die Treue gehalten hatten, um so eine Basis für den Kampf gegen die Rechten und auch gegen die Zentristen innerhalb der eigenen Partei zu schaffen. Karl Liebknecht, Clara Zetkin und andere schlossen sich der Bewegung an. Rosa Luxemburg beschrieb die Situation in der Partei als gespalten, denn sie war der festen Überzeugung, dass die offizielle Haltung der Reichstagsfraktion keinesfalls der Meinung aller Parteimitglieder entsprach.17

Das mittel- und langfristige Ziel Luxemburgs war jedoch die Revolution, ein gesellschaftlicher Umsturz, der zu einer Räterepublik führen sollte. Rosa Luxemburg war sich - aufgrund ihres eingehenden Studiums des Russisch-Japanischen Krieges - der Tatsache bewusst, dass es auch in Deutschland sehr schwer, vielleicht sogar unmöglich für die Arbeiterklasse sein würde, den „Absprung vom Krieg zur Revolution“18 zu vollziehen, aber doch war genau dies ihr erklärtes Ziel: Sie wollte das Ende des Krieges durch eine Revolution herbeiführen, denn für sie gab es nur zwei gegensätzliche Optionen: Entweder Klassenharmonie oder Klassenkampf, entweder Imperialismus oder Sozialismus.19

Als die Militärführung im Dezember 1914 ein zweites Mal die Bewilligung von Kriegskrediten vom Reichstag forderte, protestierte zwar eine Anzahl von Abgeordneten gegen den Kurs der Regierung, doch je näher die Abstimmung rückte, desto mehr schrumpfte die Zahl der Kritiker, bis schließlich bei der Abstimmung nur noch Karl Liebknecht die Courage besaß, mit seinem Votum ein Zeichen gegen die Kriegskredite zu setzen.20 Zu diesem Zeitpunkt begann Rosa Luxemburg verstärkt auf die Massen einzuwirken, um somit die politische Bildung der Arbeiter, die für sie eine entscheidende Grundlage der Revolution darstellte, voranzutreiben. Außerdem war es Rosa Luxemburgs Intention, mit ihren Texten den Widerstand gegen den Krieg und die staatstragende Linie der SPD innerhalb der Arbeiterschaft auszubauen.21 Die Texte, die in diesen Monaten von Rosa Luxemburg und ihren Freunden verfasst wurden, konzentrierten sich darauf, dem Arbeiter den Charakter des Krieges nebst seiner imperialistischen und ökonomischen Hintergründe und die Rolle und das ungeheuerliche Verhalten der Sozialdemokraten zu verdeutlichen.22

Rosa Luxemburg wurde bereits zu diesem frühen Zeitpunkt von der Reichsregierung als das geistige Oberhaupt der Opposition erkannt und gehasst.23

Um Massenwirksamkeit zu erzielen, drängte Rosa Luxemburg auf die Schaffung eines Zentralorgans der Linken, das von der ‚duckmäuserischen’ Parteiführung autark sein müsse, um den Kampf innerhalb der bestehenden Linken zu koordinieren.24 Eine Zeitung erschien Rosa Luxemburg als das richtig Medium für die Erfüllung dieser Aufgabe.

Aus dieser Situation gründeten Rosa Luxemburg und ihre Mitstreiter die Zeitung „Die Internationale“, deren Redaktion Rosa Luxemburg und Franz Mehring übernahmen25, die neben den obengenannten Intentionen auch noch ihre Bestimmung in der Verteidigung der marxistischen Lehren gegen die Verwässerung und Verfälschung durch die Zentristen um Kautsky sahen.

Rosa Luxemburg selbst veröffentlichte in der ersten Ausgabe der „Internationale“, die im April 1915 erschien, zwei Artikel, einen unter ihrem Namen, den anderen unter dem Pseudonym Mortimer26. Unter ihrem wirklichen Namen verfasste sie einen Artikel mit dem kämpferischen Titel „Der Wiederaufbau der Internationale“, in welchem sie die Abdankung der Sozialdemokratie am 4. August 1914 konstatierte und dieses Datum gleichzeitig mit dem endgültigen Zusammenbruch der Internationalen gleichsetzte. Der Sozialismus habe nach einem Jahrzehnt des Ringens, so Luxemburg, dem Imperialismus mit Anbeginn des Krieges kampflos das politische Feld im Deutschen Kaiserreich überlassen.27 Sie forderte nicht die Wiederauferstehung der alten Internationale, sondern wollte vielmehr die sofortige Bildung einer neuen Organisation, die die Führung des internationalen Proletariats übernehmen sollte.

In beiden Artikeln - der zweite Artikel rezensierte ein Buch Kautskys - demaskiert Luxemburg Kautsky, den Vertreter des angeblich marxistischen Zentrums, als einen „Theoretiker des Sumpfes“28, der mit seinen Publikationen und Reden maßgeblich zum Zusammenbruch der deutschen Sozialdemokratie beigetragen habe. In beiden Texten verteidigt Rosa Luxemburg die Internationale gegen die Angriffe Kautskys, der diese als eine nur im Frieden funktionierende Einrichtung beschreibt und fordert außerdem deren sofortige Wiederauferstehung, denn es sei „absurd [...], die Internationale [...] nach dem Krieg wieder als Klassenkampforganisation entstehen [lassen zu wollen], wenn sie nicht schon im Kriege ihre Auferstehung auf dem Boden des Klassenkampfes beginne.“29 Die gesamte Politik der Sozialdemokraten seit Kriegsausbruch müsse liquidiert werden, denn nur in diesem Fall könne die Sozialdemokratische Partei wieder zu einer aktiven Antikriegskraft werden. Dauerhafter Friede sei nur durch eine Machtübernahme, also durch eine Revolution des Proletariats möglich.30

Der Wunsch der Linken, mit dieser Zeitung ein legales Organ ihrer politischen Gruppe zu schaffen, ging nicht in Erfüllung. Aufgrund der hochkarätigen linken Autoren wie zum Beispiel Clara Zetkin, Paul Lange, Karl Liebknecht oder Wilhelm Pieck, die alle an dem Blatt mitarbeiteten, und nicht zuletzt durch die Realität, die es dem Leser offenbarte, erhielt das Blatt solch große politische Brisanz für die Regierung, dass diese die Zeitschrift für die nächste Ausgabe der politischen Zensur unterwarf und ihre Macher mit zum Teil hohen Haftstrafen wegen angeblichen Hochverrats belegte.31

Als „Die Internationale“ erschien, hatte Rosa Luxemburg bereits zwei Monate ihrer Haftstrafe, die ihr 1½ Jahre zuvor in Frankfurt auferlegt worden war, verbüßt.32 Der Antritt der Haft hatte sich zwar durch eine Krankheit verschoben, war aber nicht aufgehoben. Von wenigen Monaten abgesehen, sollte Rosa Luxemburg den Rest des Krieges hinter den Mauern deutscher Gefängnisse verbringen. Obwohl Rosa Luxemburg die ‚revolutionären’ Hände fast gänzlich gebunden waren, gab sie jedoch keineswegs auf, sondern nutzte die ihr verordnete ‚Zwangspause’ im Gefängnis zum Verfassen politischer Schriften. In dieser Zeit entstand unter anderem „Die Krise der Sozialdemokratie“, eine Schrift, die sie im April 1915 aus dem Gefängnis herausschmuggeln und dem Büro Karl Liebknechts zuspielen konnte.33

Das Jahr 1915 gilt als die schwierigste Zeit der deutschen Antikriegsbewegung34. Nicht nur eilten die deutschen Truppen von Sieg zu Sieg und schien es, als sei kein Ende des Mordens in Sicht35, sondern die Linke wurde auch ihrer geistigen Führer wie Rosa Luxemburg, Clara Zetkin oder Franz Mehring beraubt. Karl Liebknecht war als Arbeitssoldat an die Front geschickt worden und konnte nur in der Bewegung wirken, wenn er zu den Sitzungen des Parlaments zurück nach Berlin durfte. Es schien, als fehle ohne die charismatischen Führer der richtige Wille zur Tat und der Kampf schien für viele aussichtsloser als je zuvor.36

Unter dem Druck der revolutionären Mitglieder der Sozialdemokraten bildete sich jedoch im Herbst und Winter des Jahres 1915 eine Opposition der Zentristen gegen die Bewilligung der Kriegskredite heraus. In der Reichstagssitzung vom 21. Dezember 1915 stimmten neben Karl Liebknecht und Otto Rühle 18 weitere Abgeordnete unter der Führung von Hugo Haase und Georg Ledebour gegen erneute Kriegskredite. Dies war der Beginn einer zweiten Opposition gegen die Parteiführung neben der, die durch Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und ihre Anhänger gebildet wurde. Diese beiden oppositionellen Gruppen waren jedoch in ihren Vorstellungen keinesfalls konform und während des Krieges kam es zu großen Spannungen zwischen den Gruppen, die aber über weite Strecken miteinander kooperierten.37

2.2.3 Rosa Luxemburg und die Gründung des Spartakusgruppe - Die deutsche Linke begibt sich in denUntergrund (1916)

Im Winter des Jahres 1915 fasste die Linke ihre Ziele und Überzeugungen wieder konsequenter ins Auge. Hierzu trug auch die Internationale Sozialistische Konferenz in Zimmerwald im September 1915 bei, denn sie lieferte neue (Denk-)Anstöße für die linke Bewegung und leitete eine internationale Bewegung gegen die Kriegspolitik in ganz Europa ein.38

Während des gesamten Jahres 1915 ließ sich Rosa Luxemburg von der negativen Entwicklung in der Bewegung nicht verunsichern und schrieb kontinuierlich weitere politische Aufsätze, um die Antikriegsbewegung zumindest theoretisch zu unterstützen. Ende des Jahre 1915 konnte sie einen geheimen Briefwechsel mit Karl Liebknecht aufnehmen und sofort politische Initiative entwickeln.39 Sie initiierte aus dem Gefängnis durch und mit Liebknecht eine Reichskonferenz der Linken, die am 1. Januar 1916 in Karl Liebknechts Büro in Berlin tagte40. Auf dieser Konferenz beschlossen die Teilnehmer die Gründung einer neuen linken Gruppe, die den mit der Zeitung Die Internationale eingeschlagenen Weg durch die regelmäßige Publikation eines im Untergrund erscheinenden politischen Flugblattes mit dem Namen Spartakus illegal fortsetzen sollte. Von Rosa Luxemburg lagen auf dieser Konferenz Leitsätze vor, die sie aus dem Gefängnis geschmuggelt hatte, welche die „programmatische Grundlage“41 für die neue Organisation bildeten.

In den Leitsätzen definierte Rosa Luxemburg, dass es die Aufgabe des Proletariats sei, sich gegen den Imperialismus und die Bourgeoisie zu stellen. Nachdem die Zweite Internationale im Krieg gesprengt worden sei, sei es nun „eine Lebensnotwendigkeit [...] eine neue Arbeiterinternationale zu schaffen, welche die Leitung [...] des revolutionären Klassenkampfes gegen den Imperialismus in allen Ländern übernimmt.“42 Rosa Luxemburg ruft an dieser Stelle zum Klassenkampf des Proletariats auf, da dies der einzige Weg sei, den von den Imperialisten gesteuerten Krieg zu beenden und den Sozialismus in die Tat umzusetzen.43 Einigen radikalen Mitgliedern der Organisation fehlte in den Leitsätzen Rosa Luxemburgs der „Vorsatz [...], mit den rechten [so]wie mit der zentristischen Richtung in der Sozialdemokratie entscheidend zu brechen“44, jedoch hatte Rosa Luxemburg zuvor mit Karl Liebknecht beschlossen, dass die Spartakusgruppe nach wie vor mit der zentristischen Opposition um Ledebour und Haase zusammenwirken solle,45 da sich inzwischen auch diese zu einem kleinen Schritt gegen den Krieg durchgerungen hatte, indem sie sich bei der Beratung über die 5. Kriegskredite im Dezember 1915 gegen diese stellte46. Es war Luxemburgs Intention, gemeinsam mit den Zentristen eine politische Plattform zu bilden. So sollte im Kampf gegen die Parteiführung eine größere Schlagkraft erreicht werden. Jedoch wandten sich Ledebour und Haase und damit die um sie gruppierte zentristische Opposition gegen die Leitsätze. Diese Auseinandersetzung zwischen Zentristen und Linken führte zu einer zeitweiligen Trennung von revolutionärer und zentristischer Opposition.47

Im Volksmund wurde die Gruppe später aufgrund ihrer gleichnamigen Briefe und Flugblätter Spartakusgruppe genannt. Die Spartakusgruppe ist also als die direkte Nachfolgeorganisation der Gruppe zu betrachten, die Die Internationale herausbrachte, und ist somit tief in der deutschen Antikriegsbewegung verwurzelt.48 Der Spartakusgruppe gehörten neben Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht die wichtigsten linken Intellektuellen Deutschlands an. Es war das Ziel der Gruppe, durch die Spartakusbriefe die deutsche Linke weiter zu festigen, auszubauen und besser zu organisieren.

Bereits während der Gründungsphase der Spartakusgruppe wurden die ersten Spartakusbriefe publiziert, die mit der Regierung noch schonungsloser ins Gericht gingen als Die Internationale, was zu einer konsequenten Verfolgung der Mitglieder durch die Regierung führte.

Die Gründung der (Internationalen) Spartakusgruppe durch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht markiert einen Wendepunkt in der Antikriegsbewegung im ersten Weltkrieg. Durch straffe Organisation, charismatische Führungspersonen und durch klar und präzise formulierte Ziele hatte die Spartakusgruppe eine wirkliche Chance, die Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse hin zu einer sozialistischen Staats- und Gesellschaftsform herbeizuführen. Mit der Spartakusgruppe war die neue revolutionäre Dritte Internationale zumindest in Ansätzen geschaffen, die den Kampf gegen Imperialismus, Krieg und Sozialchauvinismus aufnahm.49

2.2.4 Rosa Luxemburg und der Kampf der Spartakusgruppe - Vorbereitung der Revolution (1916/1917)

Trotz ihrer Gefängnisaufenthalte spielte Rosa Luxemburg auch weiterhin eine wichtige Rolle im Widerstandskampf. Nicht nur wurde von ihr die Spartakusgruppe (mit)begründet, sondern sie war auch mit ihren Schriften und Reden, die sie vor ihrer Gefangennahme veröffentlicht und gehalten hatte, in den Köpfen der Menschen als die markante Figur der linken Bewegung allgegenwärtig. So empfingen sie Tausende Berliner - hauptsächlich Frauen, da Rosa Luxemburg vor ihrer Festnahme im Besonderen unter ihnen gewirkt hatte - als sie am 18. Februar endlich aus dem Gefängnis freikam.50

Durch die im Gefängnis erlittenen Qualen war die früher so enthusiastische Frau stark geschwächt. Rosa Luxemburg, die brillante Rednerin, hatte die Angst vor der Masse, der „horror pleni“51 ergriffen, doch da die Bewegung sie brauchte, traf Rosa Luxemburg am 19. März 1916 das erste Mal seit ihrer Haftentlassung mit Anhängern der Spartakusgruppe zusammen. Thema der Konferenz war die Zukunft der Opposition. Rosa Luxemburg nahm auf dieser Konferenz unter anderem Stellung zu der Kritik an ihren Leitsätzen.52 Sie verteidigte sich gegen die Zentristen, die ihr eine zu große Radikalität vorwarfen, indem sie ihnen ihre zu große Zögerlichkeit während des gesamten Krieges vorhielt.

Inzwischen war die Anzahl der aktiven „Spartakuskämpfer“ auf über 500 angestiegen und die Organisation gewann zunehmend an Einfluss.53

Am 24. März 1916 wurde die Gruppe der 18 Abgeordneten um Ledebour und Haase, die am 21. Dezember 1915 gegen die Kriegskredite gestimmt hatte, aus der SPD-Reichsfraktion ausgeschlossen. Daraufhin bildete diese Gruppe die „Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft“, aus der später die USPD hervorging.54 Die Spartakusgruppe und vor allem Rosa Luxemburg beobachteten die zentristische Opposition um Ledebour und Haase argwöhnisch. In mehreren Spartakusbriefen verurteilten Luxemburg und Liebknecht die Opposition wegen ihrer Zögerlichkeit, ihrer Inkonsequenz und ihrer nicht revolutionären Auffassungen.55

Im April 1916 gelang es Rosa Luxemburg, die von ihr zuvor aus dem Gefängnis geschmuggelte Schrift „Die Krise der Sozialdemokratie“ zu veröffentlichen, die aufgrund des verwandten Pseudonyms „Junius“ im Volksmund die „Juniusbroschüre“ genannt wurde56. In dieser Broschüre, die ihre bedeutsamste Schrift während des Krieges darstellt, versucht Rosa Luxemburg den Leser durch eine Beschreibung der Welt, in der die brutale Massenschlachterei auf den Schlachtfeldern Europas und das imperialistische Geschäft auf den Trümmern des Krieges zu Alltäglichem geworden sind - also mit einem Abbild der Realität - aufzurütteln.

Ihre Empörung verbirgt sie hinter beißendem Sarkasmus. Zum wiederholten Male geißelt sie das Verhalten der Sozialdemokratie, die sich gegen den Krieg hätte auflehnen müssen. Diesmal schont Luxemburg auch die aufgeklärte Arbeiterschaft nicht, die im blinden Vertrauen ihren Führen ins Verderben gefolgt ist und selbst die Initiative hätte ergreifen müssen.57

In ihrer Schrift versucht Rosa Luxemburg in der für sie typischen Manier, ihre Gefühle zurückzuhalten und Sachlichkeit zu wahren, denn es sind primär ihre Intentionen, die Leser aufklären und sie von der Sache zu überzeugen. Außerdem versucht sie dem Leser Hilfestellungen zu vermitteln, um die Probleme zu lösen, die der Krieg an alle stellt. So wird die Juniusbroschüre „zum Leitfaden der Geschichte und der proletarischen Strategie.“58

Des weiteren übertrug sie in der Juniusbroschüre die Erkenntnisse, die sie in ihrem Werk „Akkumulation des Kapitals“ über den imperialistischen Drang der Großmächte niedergeschrieben hatte, auf die außenpolitischen Verwicklungen in Europa und brandmarkte den Krieg „als ein frivoles imperialistisches Verbrechen“59. Der Krieg sei, so Luxemburg, kein Verteidigungskrieg, sondern ein imperialistischer Angriffskrieg, und es sei die unumstößliche Aufgabe des nationalen sowie internationalen Proletariats, den Imperialismus und den Krieg zu bekämpfen60.

Der Friede werde für die Arbeiter aller Länder verhängnisvoll, ob nun durch Niederlage oder Sieg des eigenen Landes erwirkt, denn nach dem Krieg werde der Imperialismus weiter herrschen, es sei denn, es käme zu einer „revolutionären Intervention des Proletariats“61. In dieser „revolutionären Intervention“ sah Rosa Luxemburg die einzige Hoffnung des Proletariats. Diese müsse schnell herbeigeführt werden, denn in diesem Krieg werde, konstatierte Luxemburg, die Klasse des Proletariats ausgerottet. Es seien die „die besten und intelligentesten [...] Kräfte des internationalen Sozialismus, [...], die Vortruppen des gesamten Weltproletariats [...] die jetzt zuhauf [...] niedergemetzelt“62 würden, während die Dividenden der Imperialisten stiegen. Der Juniusbroschüre, die als Propagandamittel für die Massen gedacht war und mit dem berühmten Satz aus dem Kommunistischen Manifest „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“63 schließt, war ein enormer Erfolg beschert und sie gehörte schon bald zum Rüstzeug fast aller Kämpfer der Antikriegsbewegung.

Im Frühling des Jahres 1916 richtete sich das Hauptaugenmerk Rosa Luxemburgs und der Spartakusgruppe auf die Mobilisierung der Massen im Kampf für Frieden, Freiheit und Brot. Luxemburgs Juniusbroschüre war ein erster theoretischer Schritt in diese Richtung gewesen, doch mussten konkrete Taten folgen. Mit dem Flugblatt „Auf zur Maifeier!“ bereitete die Spartakusgruppe ihre erste Massenaktion vor.64

Am 1. Mai folgten - trotz eines riesigen Polizeiaufgebotes - mehr als 10.000 Arbeiter dem Aufruf und demonstrierten auf den Straßen Berlins. Auch in vielen anderen Städten in Deutschland wurde dem Aufruf Folge geleistet. Die zentristische Opposition um Haase und Ledebour verweigerte ihre Mithilfe an der Organisation. Auf der Demonstration in Berlin rief Karl Liebknecht der Menschenmasse seinen legendären Ausruf zu: „Nieder mit dem Krieg, nieder mit der Regierung“, der unverzüglich zu seiner Verhaftung führte, die auch Rosa Luxemburg nicht zu verhindern vermochte.65

Die Gerichtsverhandlung vor einem Kriegsgericht instrumentalisierte Liebknecht, um dem imperialistischen Krieg den Prozess zu machen und nicht um sich zu verteidigen. Er demaskierte im Gerichtsaal den Burgfrieden als eine in keiner Weise sozialdemokratische Vereinbarung und forderte das Volk auf, nun vielmehr den „Burgkrieg“ zu führen.66. Jede seiner Eingaben und Reden fand den Weg aus dem Gerichtsaal oder aus seinem Kerker und wurde von der Spartakusgruppe in den Spartakusbriefen und durch Flugblätter veröffentlicht. Unterdessen versuchte Rosa Luxemburg durch Publikationen in den Spartakusbriefen ihren Freund und Weggefährten aus dem Gefängnis freizubekommen. In diesem Kontext veröffentlichte sie die Flugblätter „Hundpolitik“, „Liebknecht“ und „Was ist mit Liebknecht?“, welche dokumentieren, dass die Verhaftung des aufgrund seiner zahlreichen politischen Ämter unter Immunität stehende Liebknechts jeglicher Rechtsgrundlage entbehrte. Sie forderte die Arbeiter abermals auf, von den ihnen eigenen Machtmitteln Gebrauch zu machen und für den Frieden und für die Freilassung Karl Liebknechts zu kämpfen.

Am 28. Juni wurde Karl Liebknecht zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Bereits während des Prozesses kam es in Berlin zu heftigen Demonstrationen, am Tage der Verurteilung streikten allein in Berlin 55.000 Arbeiter der Munitionsfabriken. Arbeiter in anderen Städten Deutschlands folgten diesem Beispiel. In Bremen, in Stuttgart, in Braunschweig und noch in vielen anderen Städten legten Zehntausende die Arbeit nieder und gingen für Liebknecht auf die Straße.67

Für diese offene Rebellion nahm der Militarismus blutig Rache. Hunderte Spartakisten wurden in den Wochen nach den Demonstrationen verhaftet und Tausende von Arbeitern, die an den Streiks teilgenommen hatten, an die Front abkommandiert. Dies hatte den Nebeneffekt, dass nun auch an der Front und somit im Heer immer stärker revolutionäres Gedankengut verbreitet wurde.68

Am 10. Juli 1916 wurde Rosa Luxemburg erneut verhaftet. In den folgenden Wochen folgte ihr fast die gesamte Führung der Spartakusgruppe ins Zuchthaus. Allesamt wurden die Betroffenen in sogenannte Schutzhaft genommen, die jeweils 3 Monate dauerte, aber nach Belieben verlängert werden konnte. Keinem der so Festgehaltenen wurde je der Prozess gemacht und doch saßen alle für zum Teil Jahre im Zuchthaus.69 Bis zur Revolution, Ende 1918, sollte Luxemburg die Freiheit nicht wiedererlangen. Sie saß in verschiedenen Gefängnissen und ihre Schutzhaft wurde von Mal zu Mal verlängert. Rosa Luxemburg wahrte trotz all der misslichen Umstände, die ihr durch die Obrigkeit bereitet wurden, die Ruhe und verstand es, mit ihrer „Zeit“ produktiv umzugehen. Sie begann wieder zu schrieben und viel zu lesen.

Auch die Spartakusgruppe war durch die Aktionen der Militärs keineswegs lahmgelegt und die Spartakusbriefe erschienen weiterhin pünktlich. Nun war es Leo Jogiches, der die Zügel in der Hand hielt und für die Publikation Sorge trug. Das Wesen der Spartakusbriefe hatte sich gewandelt, denn sie waren nicht mehr nur Informationsblatt einer politischen Gruppe, sondern entwickelte sich zu einer Zeitschrift, in der das Weltgeschehen beleuchtet und seziert wurde. Die Spartakusbriefe waren die Waffe der Linken geworden. Rosa Luxemburg hatte an dieser Wandlung erheblichen Anteil, denn auch aus dem Zuchthaus schrieb sie weiter für die Spartakusbriefe und die „Gefängnistür hatte [...] Spalten, durch die die Blätter ihren Weg fanden. Die Festungswälle hielten den Schall ihrer Stimme nicht auf.“70

Im Herbst 1916 wurde Rosa Luxemburg vollkommen überraschend in die Festung Wronke verlegt, denn die Militärs wollten ihren Kontakt zur Spartakusgruppe ein für alle Mal kappen. Auch in ihrem neuen Gefängnis setzte sie ihre Autorentätigkeit, auch für die Spartakusbriefe, kontinuierlich fort.71

Rosa Luxemburg hoffte auf die Erhebung der Massen und tat alles in ihrer Macht stehende, um diese so schnell wie möglich zu voranzubringen, da eine Erhebung mit ihrer Befreiung gleichzusetzen war.72 Um den Jahreswechsel 1916/17 polarisierten sich die verschiedenen Richtungen innerhalb der deutschen Sozialdemokratie zusehends. Auf der Reichskonferenz der SPD gelang es der Parteiführung nicht mehr, die Einheit der Partei zu demonstrieren. Der Einfluss der Opposition hatte sich erhöht, auch der bisher unentschlossene und halbherzig agierende Kreis um Haase und Ledebour war entschlossen, sich sehr viel deutlicher von der Parteiführung und ihren Entscheidungen zu distanzieren, was zum großen Teil der Einflussnahme Rosa Luxemburgs zu verdanken ist. Sie hatte sich kontinuierlich mit dieser Gruppe auseinandergesetzt und durch die politische Kontroverse maßgeblich zur Wandlung beigetragen.73 Am 7. Januar 1917 veranstaltete die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft um Haase und Ledebour eine Konferenz der gesamten Opposition. Auch die Führung der Spartakusgruppe folgte der Einladung. Auf der Konferenz vertrat Ernst Meyer Rosa Luxemburgs Standpunkte, die mit denen des Spartakusbundes konform waren. Er forderte eine engere Kooperation innerhalb der Opposition und einen Boykott des Parteivorstandes der Mutterpartei durch Unterlassung aller Beitragszahlungen. Des weiteren seien die rechtsorientierten Parlamentsabgeordneten der Partei abzuberufen und durch wirklicher Vertreter des Volkes zu ersetzen, um der Friedenssehnsucht der Massen auf der Parlamentsebene konsequent Ausdruck zu verleihen.74 An diesem Referat Meyers ist der große Einfluss Rosa Luxemburgs auf die Bewegung der Spartakusgruppe zu erkennen. Obwohl sie zu diesem Zeitpunkt hinter Gittern saß, übernahm sie die geistige Vorreiterschaft und diktierte die politische Richtung der Bewegung. Dennoch war die Verhaftung ein starker Schlag für die linke Opposition, da es selbstverständlich ist, dass Rosa Luxemburg ihre Rolle als „Führerin“ aus dem Gefängnis nur in begrenzter Weise gerecht werden konnte.75

Das Fazit der Konferenz vom 7. Januar war ein Schulterschluss der gesamten Opposition, der die Trennung von revolutionärer und zentristischer Opposition beendete und die bis dahin stark zersplitterte Opposition vereinte. Am 20. Januar 1917 schloss die Parteiführung der Sozialdemokratischen Partei als Reaktion auf die Konferenz vom 7. Januar die gesamte Opposition - sowohl die Zentristen als auch die Linken - aus der Partei aus.76 Durch den Ausschluss brach eine neue Ära in der Geschichte der Antikriegsbewegung an. Durch den Bruch wurde endlich eine vollständige ideologisch-politische Selbstständigkeit ohne Rücksichtnahme auf Parteidisziplin und Hürden möglich, eine Situation, die Rosa Luxemburg immer erträumt und gefordert hatte.

Vom 6. bis 8. April 1917 trafen sich die Oppositionellen erneut. Folge dieser Konferenz, die in Gotha abgehalten wurde, war die Gründung der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands). Dieser Partei schloss sich - nach eingehender Beratung - auch die Spartakusgruppe an, jedoch nicht ohne den Vorbehalt, die Zentristen weiterhin kritisch zu beobachten und sich notfalls wieder gegen sie zu wenden.77 Rosa Luxemburg und den anderen Führern der Spartakusgruppe, die durch die Schutzhaft von ihren Anhängern getrennt worden waren, fiel es schwer, eine eigene, tragfähige Parteikonzeption in die neue Partei einfließen zu lassen und die Belebung und die Orientierung der sozialdemokratischen Antikriegsbewegung voranzutreiben. Zu groß war die Isolation, zu spärlich der Nachrichtenfluss in die Zellen.78

Die Welt veränderte sich für Rosa Luxemburg schlagartig, als sie - noch immer im Gefängnis sitzend - die Nachricht von der Revolution in Russland erhielt. Am 10. März 1917 mündeten die seit Tagen andauernden Unruhen der Petrograder Arbeiter in einen Generalstreik. Diese Ereignisse, dieses Donnergrollen, ließ die ganze Welt aufhorchen.79 In Russland kehrten die Proletarier ihre Waffen um. Sie waren nicht mehr bereit, ihre „Brüder im Dienste des Kapitals“80 abzuschlachten, vielmehr begannen sie nun, mit der Waffe in der Hand für die eigene Freiheit zu kämpfen. Am 16. April kehrte Lenin aus der Schweiz nach Russland zurück und drängte an der Spitze der Bolschewiki in Russland auf eine Weiterführung der Revolution durch die Massen. Die Situation in Russland war äußerst instabil und die Lage veränderte sich fast täglich in den folgenden Wochen und Monaten.81

Rosa Luxemburgs Stimmung war zu diesem Zeitpunkt euphorisch, so sah sie doch einen Teil ihres Lebenstraums endlich in Erfüllung gehen.82 Als die Revolution ausgebrochen war, empfand sie es als äußerst unbefriedigend, sich nur auf „theoretische Erörterungen und Prognosen“83 beschränken zu müssen. Sie wollte aktiv an den Geschehnissen teilnehmen. Sie musste sich jedoch auf Artikel über die russische Revolution für die Spartakusbriefe beschränken. In ihrem Artikel „Die Revolution in Russland“, den sie im April 1917 verfasste, nahm sie zum ersten Mal öffentlich Stellung zu den Ereignissen in Russland. In diesem Artikel betont Rosa Luxemburg, dass der errungene Sieg über den Absolutismus nur der Beginn gewesen sein könne und dass die Revolution vom Proletariat weiter getragen werden müsse. Es sei nötig, das revolutionäre Programm von 1905 wiederaufzurollen und durchzusetzen, sonst laufe die Revolution Gefahr stecken zu bleiben.84 Nicht zuletzt hinge viel vom deutschen Proletariat ab, denn es müsse begreifen, dass es nun im Osten nicht mehr gegen den Zarismus sondern gegen revolutionäre Brüder kämpfe. Es sei die Aufgabe des deutschen Proletariats, die Revolution in Russland mit allen Mitteln zu unterstützen. Sie prognostizierte, dass - falls die Hilfe des internationalen und des deutschen Proletariats ausbleiben würde - Russland unausweichlich von den beiden imperialistischen Machtblöcken in die Knie gezwungen und somit die Revolution schon im Keim erstickt werde.85

Während dessen versuchte die Spartakusgruppe - insbesondere Leo Jogiches - Rosa Luxemburg mit allen Mitteln aus dem Zuchthaus zu befreien. Selbst im Reichstag trugen die Spartakisten ihr Anliegen vor und wiesen auf die Ungesetzmäßigkeit der überlangen Schutzhaft im Falle Luxemburgs hin. Doch alle Bemühungen scheiterten und somit blieb Rosa Luxemburg weiter, zur Untätigkeit verdammt, in ihrer Zelle. In dieser Zeit verfiel Luxemburg in tiefe Depressionen.86

Am 22. Juli 1917 wurde Luxemburg vollkommen unerwartet aus der Festung Wronke in die Breslauer Gefängnisanstalt überführt. In den nächsten Wochen und Monaten wurde es still um Rosa Luxemburg. Die verschärften Haftbedingen ließen ihr kaum noch die Möglichkeit, Briefe oder Artikel aus dem Zuchthaus herauszuschmuggeln.87

Am 6. November 1917 begannen die Petrograder Arbeiter, Soldaten und Matrosen unter Führung der Bolschewiki den bewaffneten Aufstand zum Sturz der provisorischen Regierung. Innerhalb kürzester Zeit gelang es den Aufständischen, die strategisch wichtigen Punkte zu besetzen. Bereits am 7. November war die Regierung vollkommen entmachtet und die Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten übernahmen die Macht. Der alte Machtapparat wurde zerschlagen und unter dem Vorsitz Lenins wurde der Rat der Volkskommissare gebildet.88 Überall in Deutschland hagelte es Solidaritäts- und Friedensbekundungen. Rosa Luxemburg zweifelte, ob sich die sozialistische Revolution endgültig behaupten und entfalten könne, denn sie war der Ansicht, dass die proletarische Revolution in Russland nur bestehen könne, wenn sich die Sozialdemokraten in den anderen Ländern auch zu einer Revolution durchringen würden. Rosa Luxemburgs Blick war auf eine Weltrevolution gerichtet, da sie der Ansicht war, die Revolution könne nur auf globaler Ebene Erfolg haben, denn eine Koexistenz mit einem anderen System sei für die Revolution tödlich.89

Ihr Glaube an eine solche Entwicklung war schwach, denn sie kannte die Sozialdemokratien in den Ländern Europas und wusste, dass diese passiv bleiben würden. Trotz alledem kämpfte sie zusammen mit der Spartakusgruppe weiter. So ist es mit ihr Verdienst, dass es im Laufe der Friedensverhandlungen zwischen Deutschland und Russland, die immer mehr zu einem Diktat durch die Deutschen wurden, zu Massendemonstrationen und Streiks gegen das Vorgehen der Deutschen in mehr als 20 deutschen Städten kam. In Kooperation mit der USPD und anderen linken Organisationen organisierte die Spartakusgruppe am 28. Januar 1918 in Berlin einen Streik, in dessen Rahmen 500.000 Arbeiter innerhalb Berlins und eine weitere Million in anderen Städten Deutschlands ihre Arbeitsplätze verließen und gegen das deutsche Diktat demonstrierten. Bereits am 29. Januar wurden alle weiteren Versammlungen verboten und am 1. Februar traten außerordentliche Militärgerichte gegen Zivilisten zusammen und verurteilten die Köpfe des Streiks, auch den damaligen Führer der Spartakusgruppe, Leo Jogiches, zu langen Haftstrafen.90

Als Rosa Luxemburg die Nachricht von der endgültigen Unterzeichnung des diktierten Frieden von Brest- Litwosk am 3. März 1918 vernahm, zerschlugen sich ihre Hoffnungen auf einen positiven Verlauf der russischen Revolution endgültig. Sie war entsetzt, dass die Bolschewiki ein Bündnis mit den Deutschen unterzeichnet hatten. Dies empfand Luxemburg als Schande für das Proletariat und sie lehnte diesen Frieden, anders als Lenin, kategorisch ab. Gleichwohl sah auch sie keinen Ausweg für das russische Proletariat, solange die Weltrevolution nicht begonnen hatte. Obwohl sie nur geringe Chancen für eine Umsetzung sah, artikulierte sie wieder einmal in den Spartakusbriefen, dass nur eine Revolution des (Welt-) Proletariats den imperialistischen Krieg beenden könne.91

Rosa Luxemburg bezog differenziert Stellung zu den Ereignissen in Russland. Sie stimmte jedoch in vielen theoretischen und praktischen Punkten mit Lenin bzw. den Bolschewiki nicht überein. Der wichtigste Punkt, in dem Luxemburgs und Lenins Meinungen divergierten, war ihr unterschiedlicher Standpunkt bezüglich der Rolle der Masse in der Revolution. Lenin hatte Angst, in der Revolution von den, für ihn unberechenbar und elementar wirkenden Kräften der Massen „eingesogen und überrollt“92 zu werden. Aus diesem Grund war er der Ansicht, dass es für die kommunistische Revolution nötig sei, eine Maschinerie zu bilden, die in der Lage war, die Massen „mit eisernem Griff zu umschließen“93 und somit die Masse in eine von der geistigen und politischen Elite bestimmten Richtung zu führen. Dieses Instrument stellte für Lenin die Partei dar.94

Hingegen vertrat Rosa Luxemburg die Ansicht, dass eine Revolution nur aus der Masse selbst entstehen könne. Die Revolution und die Steuerung der Revolution müsse der Spontaneität der Masse überlassen werden. Für Rosa Luxemburg war der Begriff Spontaneität in diesem Kontext entscheidend. Nur wenn die Masse des Proletariats in ihrer politischen Entwicklung weit genug sei, würde es zu einer spontanen Revolution gegen die Unterdrücker aus dem Lager der Bourgeoisie und der Imperialisten kommen. Dies sei die einzig wahre Revolution der Massen, da sie durch die Masse selbst, in Form von Räten und nicht durch eine politische Elite, geführt werde.95

Rosa Luxemburg übte außerdem Kritik an den brutalen Vorgehensweisen Lenins und der Bolschewiki gegen politische Oppositionelle. Sie verurteilte das Vorgehen Lenins und der Bolschewiki als den Grundsätzen der Revolution widersprechend.96 Sie forderte die uneingeschränkte Demokratie innerhalb der Revolution, die nach ihrer Einschätzung durch das Vorgehen Lenins und die Bildung der Partei in der russischen Revolution nicht gegeben sei.97

Rosa Luxemburg war außerdem der Meinung, dass aufgrund der großen kulturellen und politischen Differenzen in den beiden Ländern, die russische Revolution und ihre Konzeption nicht ohne weiteres auf Deutschland übertragen werden könnte, und dass eine deutsche Revolution vollkommen anders verlaufen müsse.98 Aufgrund der Verhaftung des letzten Führers der Spartakusgruppe im Zuge der Januarstreiks, war die Arbeit der Spartakusgruppe in den nächsten Monaten schwerfällig. Neben der Herausgabe der Spartakusbriefe kam es kaum zu durch die Spartakusgruppe initiierten Aktivitäten. Erst im Sommer des Jahres 1918, mit dem Eintreffen Paul Levis, eines weiteren bedeutenden Führers der Spartakusgruppe, in Berlin wurde die Spartakusgruppe wieder aktiver.99 Es wurde konsequenter auf eine Revolution und den Frieden hingearbeitet; jedoch ohne die Köpfe der linken Bewegung wie Rosa Luxemburg oder Karl Liebknecht kam keine wirkliche Initiative auf.

2.2.5 Rosa Luxemburg, die Spartakusgruppe und die Novemberrevolution - Deutschland im Umbruch (1918-1919)

Am 1. Oktober 1918 zeigten zwei Ereignisse, wie die Zeichen in Deutschland standen. An diesem Tag forderten zum einen Hindenburg und Ludendorff, die Deutschland faktisch seit 1916 in einer Militärdiktatur geführt hatten, von der Regierung ein sofortiges Friedensangebot an die Entente, zum anderen tagte an diesem Tag eine gemeinsame Reichskonferenz der Spartakusgruppe mit weiteren ihr nahe stehenden linken Gruppen. Diese Konferenz war ein „Kriegsrat der Revolution“100, der ein politisches Aktionsprogramm beschloss, das vorsah, überall im Land sofort Arbeiter- und Bauernräte zu bilden.101

„Die Agonie der wilhelminischen Herrschaft“102 in Deutschland hatte begonnen. Es kam zu einem letzten Aufbäumen der Herrschenden, die das Alte und ihre damit verbundenen Pfründe durch mehr oder minder halbherzige Reformen retten und somit die sich abzeichnende Revolution verhindern wollten. Eine parlamentarische Regierung wurde am 3. Oktober gebildet, an deren Spitze Prinz Max von Baden stand. Auch Philipp Scheidemann, ein Führer der Sozialdemokraten, der obendrein Revolutionsgegner war, wurde an der Regierung als Minister beteiligt, um das aufgebrachte Volk zu beruhigen.103

Am 20. Oktober 1918 wurde eine Amnestie für politische Strafgefangene erlassen, aufgrund derer Karl Liebknecht am 23. Oktober 1918 frei kam, während jedoch Luxemburg vorläufig weiter in Haft blieb.104 Während dessen überschlugen sich die Ereignisse überall in Deutschland.105 Am 26. Oktober floh General Ludendorff mit einem falschen Pass aus Deutschland und in Kiel kam es zum ersten offenen Ausbruch der Revolution. 80.000 Matrosen der Hochseeflotte weigerten sich am 3. November 1918 noch einmal zu einer nicht zu gewinnenden „Entscheidungsschlacht“ gegen die Engländer auszulaufen. Die Matrosen verbündeten sich mit den Arbeitern und am 4. November wurde der Gouverneur von Kiel durch Arbeiter- und Soldatenräte ersetzt. Dies war der Beginn der Novemberrevolution.106

Am 7. November 1918 kam Rosa Luxemburg nach 1 ½ Jahren Haft aus dem Gefängnis frei. Die am 3. November begonnene Revolution hatte inzwischen große Gebiete in ganz Deutschland erfasst. Noch in Breslau beteiligte sich Rosa Luxemburg an revolutionären Kundgebungen.

Am Morgen des 9. November 1918 wurde bekannt, dass Arbeiter und Soldaten die württembergische Monarchie gestürzt hatten. Die Spartakusgruppe und die USPD besaßen in dem dort gebildeten Arbeiter- und Soldatenrat die Mehrheit.

Auch in Berlin hatte die Revolution inzwischen begonnen. Dort rief die Spartakusgruppe in Flugblättern zum Sturz der Monarchie und zur Errichtung einer sozialistischen Republik auf der Basis von Arbeiter- und Soldatenräten auf. Gegen Mittag des 9. November war Berlin in den Händen der von der Spartakusgruppe geführten Revolutionäre. Kaiser Wilhelm II. dankte ab und Max von Baden kündigte Wahlen für eine verfassungsgebende Nationalversammlung an. Friedrich Ebert, einer der beiden Vorsitzenden der SPD und Gegner der Revolution107, ließ sich von Max von Baden zum neuen Reichskanzler ernennen und unternahm mit einem Aufruf zu „Ruhe und Ordnung“108 einen weiteren Versuch, die alten Strukturen zumindest zum Teil zu retten. Dieser Versuch scheiterte, die Revolution schien nicht mehr aufzuhalten zu sein. Inzwischen hatte Karl Liebknecht als Vertreter der Spartakusgruppe die sozialistische Republik ausgerufen, während auf der anderen Seite Scheidemann kurz zuvor die deutsche Republik ausgerufen hatte, um den Einfluss der SPD auf die Revolution, die - wie selbst die SPD nun erkannt hatte - nicht mehr abzuwenden war, zu sichern.109 Fast automatisch vollzog sich der politische Umsturz in fast allen Großstädten; überall nahmen Vertreter der Spartakusgruppe Einfluss auf den Revolutionsverlauf.

Während am 9. November die Revolution durch die Straßen der deutschen Städte wogte, setzten sich jedoch immer mehr rechte SPDler an die Spitze der revolutionären Bewegungen. Es war keinesfalls ihre Intention, die Revolution zu fördern, sondern vielmehr wollte die SPD die Kontrolle über die Lage nicht vollends verlieren. Des weiteren wollte die SPD ihre Stellung als die traditionelle Partei der Arbeiter nicht mit einer zu offensichtlich konterrevolutionären Einstellung verlieren.

Gemeinsam mit der USPD bildeten die rechten Kräfte in der SPD eine Regierung, die sich „Rat der Volksbeauftragten“ nannte. Eine der Hauptaufgaben dieses Rates bestand in der Störung und Eindämmung der Revolution, um zurück zur „Normalität“ zu finden. Viele Arbeiter, zumeist Anhänger des Spartakusbundes, forderten die Beteiligung der Spartakusgruppe - repräsentiert durch Karl Liebknecht - an der Regierung, doch Liebknecht verknüpfte seinen Eintritt in die Regierung mit der Forderung nach Fortführung der Revolution. Diese Bedingung war für die SPD unannehmbar und somit trat Liebknecht der Regierung nicht bei und erklärte diese zum Feind der Revolution.110

Am 10. November erreichte Rosa Luxemburg endlich Berlin. Dort wurde sie von den Anhängern der Spartakusgruppe als geistige Führerin der Revolution frenetisch gefeiert.111 Noch am gleichen Abend arbeitete Rosa Luxemburg an der ersten Ausgabe der „Roten Fahne“, dem neuen Organ der Spartakusgruppe während der Revolution. In dieser Ausgabe riefen Rosa Luxemburg und ihre Mitstreiter zur Wahl von Räten auf. Rosa Luxemburg forderte im Namen des Spartakusbundes die Entwaffnung der Polizei, die Übernahme aller Behörden und Kommandostellen durch Vertrauensmänner der Arbeiter- und Soldatenräte, die Beseitigung aller Parlamente und der bestehenden Reichsregierung, die Bildung einer einheitlichen Republik, die Übernahme der Regierung durch den noch zu wählenden zentralen Arbeiter- und Soldatenrat.

Allen revolutionären Gremien und Massenversammlungen wurde empfohlen, diese Forderungen anzunehmen. Gleichzeitig schlugen die Spartakisten die Wahl Rosa Luxemburgs in den zentralen Arbeiter- und Soldatenrat vor.112

Viele eher rechts orientierte Mitglieder der SPD, die sich scheinbar solidarisch mit den Revolutionären zeigten, hatten sich zu diesem Zeitpunkt in die Arbeiter- und Soldatenräte wählen lassen. Somit waren diese Gremien der Revolution mit Konterrevolutionären durchsetzt.

Während die Massen schon den Sieg der Revolution sahen, ging der Rat der Volksbeauftragten ein konterrevolutionäres Bündnis mit dem deutschen Militarismus ein. Der Rat der Volksbeauftragten wollte die Befugnisse der gebildeten Räte auf ein Minimum reduzieren.

Am 11. November 1918 gründete sich im Hotel „Exzelsior“ auf einem Treffen der Spartakisten aus der bisherigen (Internationalen) Spartakusgruppe der Spartakusbund. Die Mitglieder des Bundes waren noch immer Mitglieder der USPD; Rosa Luxemburg und die Führung der Spartakisten hielten ein möglichst langes Bündnis mit der USPD für sinnvoll, um diese für die Auffassung des Spartakusbundes zu gewinnen. Auf diesem Gründungstreffen wurde eine zentrale Leitung des Spartakusbundes gebildet, der auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht angehörten.113

Die Herausgabe der „Roten Fahne“ wurde durch verschiedene Sabotageakte der Regierung und die Materialknappheit erschwert, aber ab dem 17. November erschien die „Rote Fahne“, für die Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg - selber Autorin mehrerer Artikel - verantwortlich waren, wieder regelmäßig.114

Im November ging Rosa Luxemburg ganz und gar in der Arbeit für die „Rote Fahne“ auf. Die Resonanz auf die „Rote Fahne“ innerhalb der Linken war hervorragend. Von vielen linken Intellektuellen wurde die „Rote Fahne“ als die einzige wirklich revolutionäre Zeitung gepriesen, dennoch reichte dies nicht aus, um die Arbeiterschaft auf die Seite des Spartakusbundes zu ziehen.

Seit dem 18. November hatte Rosa Luxemburg in der „Roten Fahne“ zu Großkundgebungen aufgerufen. Die ersten vom Spartakusbund organisierten Versammlungen fanden am 21. November 1918 statt. Auch Rosa Luxemburg hielt eine Rede, in der sie den Wert des durch die Revolution bisher Erreichten beurteilte und das Verhalten der SPD als antirevolutionär verurteilte. Aus den programmatischen Vorstellungen Rosa Luxemburgs ergeben sich klar und eindeutig die unüberwindbaren Differenzen zum Kurs der Regierungsparteien. Insgesamt war Rosa Luxemburg der Meinung, dass das Proletariat die Revolution fortsetzen und auf eine sozialistische Gesellschaft hinarbeiten müsse. Die Marxistin Luxemburg definierte als Ziele der Revolution: Abschaffung des kapitalistischen Privateigentums, der Lohnsklaverei, der bürgerlichen Klassengesellschaft und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung; die gesamte politische Macht sollte in den Händen des Proletariats liegen.115

Die Verteilung und Verwaltung der Macht als das Grundproblem einer jeden Revolution stand im Zentrum der Aussagen Rosa Luxemburgs in diesem Zeitraum. Im Zuge ihrer bereits 1905 publizierten Theorie der Spontaneität war sie auch im Fall der Novemberrevolution der Auffassung, dass Volksmassen durch eigene revolutionäre Erfahrungen zu bewussten und zielgerichteten Aktionen befähigt seien. Sie lehnte die Bevormundung des Proletariats in jeglicher Form kategorisch ab, ob nun durch eine Nationalversammlung oder durch eine politische Elite.

Für Luxemburg waren spontane Massenaktionen der Arbeiter und Soldaten Möglichkeiten, die es für die bewusste Machtergreifung und -ausübung durch das Volk zu nutzen galt. Hierfür forderte sie den Ausbau der Aktivitäten und die Wiederwahl der Arbeiter- und Soldatenräte. Sie ging nämlich davon aus, dass durch Räte die zuerst chaotischen und impulsiven Gesten der revolutionären Bewegung in die richtigen Bahnen gelenkt werden könnten und somit mit einer Verständigung über Ziele und Umsetzung der Revolution begonnen werde könne, die das nächste Stadium der Revolution darstelle.116

In der (November-)Revolution stelle sich, so Luxemburg, nicht die Frage nach Diktatur oder Demokratie, sondern vielmehr die Frage nach sozialistischer Demokratie oder bürgerlicher Demokratie. Rosa Luxemburg forderte zwar die konsequente Umsetzung der Demokratie in der Revolution, doch nicht durch die Bildung eines Parlaments, sondern durch eine sozialistische Demokratie, in der die Räte die Hauptrolle einnehmen sollten. Diese Gremien der Revolution müssten ständig tagen.117 Die für den 19. Januar angesetzten Reichswahlen sah Rosa Luxemburg als große Gefahr für die sozialistische Revolution an, da durch diese Reichswahlen eine bürgerliche, parlamentarische Demokratie angestrebt werde.118

Die Revolution müsse ihre eigenen Machtinstrumente schaffen, da mit einem Parlament der Bourgeoisie, der sämtliche ökonomische und soziale Machtmittel zur Verfügung standen, nicht beizukommen sei. Der unversöhnliche Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital in einer bürgerlichen Demokratie ermögliche weder die politische noch die soziale Gleichberechtigung.119

Rosa Luxemburg hoffte auch im weiteren Verlauf der Novemberrevolution auf die revolutionäre Entschlusskraft der Masse.

Aber es scheint, als seien Rosa Luxemburgs Einschätzungen der politischen Konstellation und ihrer eigenen Bindung zur Masse, nicht realistisch gewesen, denn die Spartakisten blieben eine zahlenmäßig doch begrenzte Organisation.120

Rosa Luxemburgs Ansichten waren zu denen der Regierung diametral entgegengesetzt, sie sah die Hauptschuld für den schleppenden Fortgang der Revolution bei den Führen der SPD, die sich nicht für eine Weiterführung der Revolution einsetzten, sondern vielmehr an der Erhaltung ihrer Macht arbeiteten. Rosa Luxemburg plädierte für eine Revolution in allen Zweigen des Staates. Ihr war unverständlich, dass der Rat der Volksbeauftragten die neue Gesellschaft auf dem Fundament des alten Verwaltungs- und Justizapparates aufbauen wollte. Für diesen Fall betrachtete Rosa Luxemburg die Novemberrevolution in Deutschland als gescheitert. Rosa Luxemburg war sich durchaus bewusst, wie zersplittert die revolutionären Kräfte in Deutschland waren und dass die revolutionäre Aktionsbereitschaft vieler, aufgrund des bereits Erreichten - der Kaiser hatte abgedankt und der Frieden schien in greifbarer Nähe - erlahmte. Doch Rosa Luxemburg war der Ansicht, dass der „politische Reifeprozess“121 der Massen bald weit genug fortgeschritten sei, so dass die Masse die Unzulänglichkeiten des durch die Revolution Erreichten erkennen und die Revolution fortführen würde, um gegen die Missstände vorzugehen.

Am 1. Dezember 1918 artikulierte Rosa Luxemburg die von ihr in die Masse gesetzte Hoffnung auf der öffentlichen Versammlung des Spartakusbundes und erntete große Zustimmung von den 3.000 Anwesenden. Die Anwesenden sprachen sich, Luxemburgs theoretisch-politischen Ansätzen folgend, gegen die Wahlen und gegen die Einberufung der Nationalversammlung aus. Tenor aller Treffen, die allesamt der geistigen Führerschaft Luxemburgs unterstanden, waren die Forderungen nach Absetzung der von SPD und USPD geführten Regierung und nach Machtübergabe an die zu bildenden Arbeiter- und Soldatenräte.122

Aus positiven Reaktion verhältnismäßig kleiner Gruppen auf Veranstaltungen des Spartakusbundes resultierte bei Rosa Luxemburg die Einschätzung, dass die traditionell von der SPD und USPD geführten Massen sich zugunsten des Spartakusbundes umorientieren würden. Es war ihr Plan, mit einer klaren Programmatik und charismatischen und integeren Führern das Vertrauen der Massen zu gewinnen.123

Schon seit Anbeginn der Revolution hatte es Gruppen und Strömungen, vor allem auch in der SPD, gegen die Revolution gegeben, doch diese hatten bisher im Hintergrund gegen die Revolution agiert. Anfang Dezember 1918 begann die sogenannte Konterrevolution 124 . Die konservativen, monarchistischen und militärischen Kreise traten immer stärker öffentlich in Erscheinung. Auf Flugblättern, die sich primär gegen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wandten, aber sich auch insgesamt gegen den Spartakusbund als Organisation aussprachen, ließen die Revolutionsgegner keinen Zweifel daran, dass sie gewillt waren, die Revolution mit allen Mitteln - Gewalt und Mord inbegriffen - zu ersticken, da diese dem Frieden angeblich im Wege stünde.

Am 6. Dezember 1918 unternahmen Konterrevolutionäre einen ersten Putschversuch, um die Revolution zu stoppen und sich selber mehr Macht zu verschaffen. Ziel war die Ausrufung des (rechten) Sozialdemokraten Ebert zum Präsidenten einer (angeblich) parlamentarischen Republik. Auch die Redaktion der „Roten Fahne“ wurde von Konterrevolutionären mit der Absicht besetzt, den Spartakusbund zum Schweigen zu bringen.125 Es wurde Zeit für die USPD, die auch an der Regierung beteiligt war, Position zu beziehen: Mit Rosa Luxemburg und dem Spartakusbund zusammen für die Revolution oder mit der SPD und anderen Konservativen für die Konterrevolution. Viele linke Mitglieder der USPD, unter ihnen auch Georg Ledebour, kritisierten die vielen Unterlassungssünden und die passive Position der USPD-Führer im Rat der Volksbeauftragten. Auf einer Generalversammlung der USPD am 15. Dezember 1918 erklärte Rosa Luxemburg, dass „alle konterrevolutionären Fäden in den Händen von Ebert [...] zusammen[liefen]“126. Sie identifizierte die Offiziere und Generäle um Hindenburg als den Ursprung der Konterrevolutionäre und geißelte zugleich Haases (USPD) Aussage, es handele sich um eine sozialistische Regierung, als Irreführung der Massen. Sie forderte die USPD auf, aus dem Rat der Volksbeauftragten auszutreten.127

Rosa Luxemburg wollte Klarheit für die Arbeiter. Sie wollte die Unterschiede zwischen USPD, SPD und Spartakusbund für den Arbeiter darlegen, damit dieser zwischen den einzelnen Gruppen zu unterscheiden lernte und somit seine Wahl auf den Spartakusbund fiele. Am 14. Dezember veröffentlichte Rosa Luxemburg unter dem Titel „Was will der Spartakusbund?“ in der „Roten Fahne“ das politische Programm für den Spartakusbund. In diesem Programm beschrieb Rosa Luxemburg die Gefahr, der die Revolution durch das Wirken der imperialistischen Bourgeoisie ausgesetzt sei, da diese als „Ausbeuterklasse“ in Brutalität und Niedertracht alle ihre Vorgänger überträfe. Die Bourgeoisie, von der SPD gestützt, werde nichts unversucht lassen, um ihre imperialistischen Ziele in die Tat umzusetzen, und werde „lieber das Land in einen rauchenden Trümmerhaufen verwandeln, als freiwillig die Lohnsklaverei aufzugeben.“128

Der Gewalt der bürgerlichen Gegenrevolution müsse die Gewalt des Proletariats entgegengestellt werden. Die Aktivität der proletarischen Masse sei das Mittel gegen die Konterrevolution.129

Dies bedeutete aber keinesfalls, dass Rosa Luxemburg roten Terror als Reaktion auf den Terror der Gegenrevolution befürwortete. Sie blieb ihren pazifistischen Prinzipien treu, denn noch immer war sie der Auffassung, dass Mord und Totschlag die sozialistische Idee schädigten.130

Rosa Luxemburg forderte die Massen auf, sich für alle Formen des Klassenkampfes zu rüsten. Der Kampf des Proletariats mit seiner gesamten politischen Macht für die Aufgaben der Revolution sei, so Luxemburg, die wahre Diktatur des Proletariats und somit die einzig wirkliche, nämlich die sozialistische Demokratie. „Dort, wo die millionenköpfige Proletariermasse die ganze Staatsgewalt mit ihrer schwieligen Faust ergreift, um sie, wie der Gott Thor seinen Hammer den herrschenden Klassen [der imperialistischen Unterdrücker] aufs Haupt zu schmettern, dort allein ist die Demokratie kein Volksbetrug.“131

In 25 Punkten fasst Rosa Luxemburg sofortige Maßnahmen zur Sicherung der Revolution im „politischen, sozialen, wirtschaftlichen und internationalen Bereich“132 zusammen. Sie wiederholt ihre Forderung nach der Bewaffnung der Massen und der Stellung und Verurteilung aller für den Krieg und für die Konterrevolution Verantwortlichen. Des weiteren fordert Rosa Luxemburg an dieser Stelle erneut, alle Macht den Räten und damit dem Proletariat zu übergeben, um so eine sozialistische Republik zu schaffen.

In Bezug auf die Wirtschaft waren die wichtigen Forderungen, die Luxemburg im Namen des Spartakusbundes stellte, die Konfiszierung aller dynamischen Vermögen und Einkünfte zur Verwaltung durch die Allgemeinheit, die Annullierung der Staatsschulden und Kriegskredite, die Enteignung des Grund- und Bodenbesitzes aller Groß- und Mittelbetriebe, die Gründung sozialistischer landwirtschaftlicher Genossenschaften unter einheitlicher zentraler Leitung durch die Arbeiter- und Soldatenräte, die Enteignung aller Banken und der gesamten Industrie durch die Räterepublik und Überführung in den Besitz der Allgemeinheit.133

Die USPD verurteilte die im Programm der Spartakisten genannten Forderungen als eine „phantastische Phantasie“134. Rosa Luxemburg wehrte sich gegen diese Vorwürfe auf der Generalversammlung der USPD in Berlin und erläuterte das Programm. Sie forderte die USPD auf, die Wahl der Nationalversammlung zu blockieren, um gegen die bürgerliche Demokratie anzukämpfen.

Doch ihr Programm wurde mehrheitlich von den Delegierten abgelehnt und die USPD entschied sich stattdessen für das Programm von Rudolf Hilferding, das auf einen größtmöglichen Erfolg bei den anstehenden Wahlen zur Nationalversammlung ausgelegt war.

Vom 16. bis zum 21. Dezember 1918 tagte in Berlin der 1. Reichsrätekongress der Arbeiter- und Soldatenräte. Es war die Aufgabe des von den rechten Sozialdemokraten majorisierten Kongresses, die Grundfrage der Revolution, die Frage nach der Ausübung der Macht, zu beantworten.

Weder Liebknecht noch Luxemburg hatten ein Mandat für diesen Kongress erhalten, aber insbesondere Rosa Luxemburg versuchte, das von ihr erstellte Programm des Spartakusbundes über die 10 Delegierten des Spartakusbundes einzubringen. Auch veröffentlichte sie Zeitungsartikel in der „Roten Fahne“, die den konterrevolutionären Kurs der SPD anprangerten und der SPD vorwarfen, mit den Imperialisten gemeinsame Sache zu machen. Am ersten Tag des Kongresses demonstrierten 250.000 Arbeiter und Soldaten für die Teilnahme Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts und für das Programm des Spartakusbundes.135 Aufgrund ihrer Mehrheit in den Räten konnte die SPD am 18. Dezember ihre konterrevolutionäre Politik durchsetzen. Der Kongress beschloss die Nationalversammlung als zukünftiges Machtzentrum der Republik. Bis zu den Wahlen zur Nationalversammlung, die am 19. Januar stattfinden sollten, übertrug der Kongress die Staatsgeschäfte dem von der SPD dominierten Rat der Volksbeauftragten und damit einhergehend die gesetzgebende und vollziehende Gewalt. Des weiteren beschloss der Kongress die faktische Entmachtung des zu bestellenden Zentralrates der Arbeiter- und Soldatenräte, indem man ihn zu einer lediglich beratenden Institution degradierte. In diesen Zentralrat wurden zudem vom Kongress nur Sozialdemokraten gewählt. Damit war die sozialistische Demokratie in utopische Ferne gerückt.136

Trotz dieser schweren Niederlage gab sich Rosa Luxemburg weiterhin kämpferisch. Sie artikulierte, dass sich die Revolution noch immer in einem Anfangsstadium befinde und prognostizierte schwere und langwierige Kämpfe, bis die Frage Kapitalismus oder Sozialismus endgültig beantwortet sei.

Am 29. Dezember 1918 distanzierten sich Rosa Luxemburg und der Spartakusbund in einem Artikel in der „Roten Fahne“ erneut von der sozialdemokratischen Regierung und diesmal auch eindeutig von der USPD. Für Rosa Luxemburg gab es in der Revolution keine Halbheiten, keine Kompromisse, kein Schleichen und kein Sichducken, sondern nur Kampf für das große Ziel der sozialistischen Weltrevolution.137 An diesem Tag beschloss die Führung des Spartakusbundes auf ihrer Reichskonferenz, die am 27.12 in Berlin begonnen hatte, die endgültige politische und organisatorische Trennung von der USPD. Auch Rosa Luxemburg vertrat die Ansicht, dass nun die Zeit der Trennung gekommen sei.

Am 30. Dezember 1918 wurde auf der Reichskonferenz des Spartakusbundes gemeinsam mit anderen linken Gruppen die Gründung der „Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund)“ als Reaktion auf die Trennung von der USPD beschlossen.138

Auf diesem Gründungsparteitag hielt Rosa Luxemburg ein Referat über die Grundsätze des zukünftigen Parteiprogramms und über die politische Situation. In ihrer Rede stellt sie die neugegründete Partei unter das Banner Marx’: die KPD müsse eine wirkliche marxistische Politik betreiben, um den Massen durch den Kontrast den „Ersatz-Marxismus“139 zu zeigen, der sich seit Jahren in der deutschen Sozialdemokratie breit mache. Rosa Luxemburg hielt an ihrer Vision der proletarischen Weltrevolution fest und forderte abermals die sofortige (erneute) Bildung von unabhängigen Arbeiter- und Soldatenräten. Die SPD und auch die USPD gäben vor, die Gesellschaft zu „sozialisieren“, dabei würden sie vielmehr auf eine Wiederherstellung der alten Machtverhältnis hinarbeiten. Es sei die Aufgabe der KPD, den Arbeitern zu verdeutlichen, dass die „Arbeiter- und Soldatenräte der eigentliche Hebel der Staatsmaschinerie nach allen Richtungen hin sein“140 müssten. Der Einfluss der sozialdemokratischen Regierung auf die Arbeiter müsse von der KPD reduziert werden, da ansonsten keine Revolution möglich sei. Eine wirkliche Revolution könne nicht erzwungen werden, sondern müsse aus der Masse entstehen.141

In der Diskussion über die Teilnahme der KPD an den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 gelang es Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nicht, die Delegierten von der Notwendigkeit einer Teilnahme an der Wahl zu überzeugen, die in der Wahl eine Manifestation der Konterrevolution sahen. Rosa Luxemburg Einschätzung zur Frage der Wahlbeteiligung war, dass die Massen einen Boykott der Wahlen nicht verstehen würden und die KPD sich somit aus der politischen Aktivität ausschlösse. Rosa Luxemburg war der Auffassung, dass sich die KPD an der Wahl beteiligen solle, da so ein späterer Umsturz einfacher umzusetzen sei.142

Die große Kluft, die sich zwischen dem Programm der KPD und dem Massenwillen gebildet hatte, sah Rosa Luxemburg nicht. Sie betrachtete ihr auf der Reichskonferenz vorgestelltes Parteiprogramm als Revolutionsprogramm und sah keine Notwendigkeit für ein auf die aktuelle Situation zugeschnittenes Aktionsprogramm. Auch aus diesem Grund waren zu diesem Zeitpunkt die Chancen für eine Ausweitung des Einflusses der KPD auf die Massen gering.

Bei den Wahlen am 19. Januar, bei der die KPD nicht antrat, erhielten SPD und USPD 50% der Stimmen. Dies zeigt, dass die Arbeiter das Konzept der rechten Sozialdemokraten noch immer nicht durchschaut hatten.143

Seit dem Jahreswechsel verschärfte sich die Hetze der konterrevolutionären Regierung gegen die KPD und ihre Führer Luxemburg und Liebknecht. Offen wurde in der Presse zum Mord an Luxemburg und Liebknecht aufgerufen.144

Am 4. Januar 1919 wurde der Polizeipräsident Emil Eichhorn, der dem linken Flügel der USPD angehörte und der KPD nahe stand, von der Reichsregierung mit fadenscheiniger Begründung abgesetzt. Hieraufhin riefen die KPD und andere linke Organisationen in Berlin zur Demonstration auf. 100.000 Arbeiter streikten, vereinigten sich in einem Protestmarsch und bildeten einen revolutionäreren Aktionsausschuss. Unter dem Eindruck der grandiosen Massendemonstration gab der Aktionsausschuss, dem Rosa Luxemburg nicht angehörte, die Losung „Nieder mit der Regierung Ebert-Scheidemann“ aus. Dies war ein unrealistischer Aufruf, der zu einer Desorientierung der Masse führte. Luxemburg und Leo Jogiches hielten den Aufruf zum unmittelbaren Kampf für falsch. Am 8. Januar wendete sich die KPD-Führung gegen den Aufruf zum Umsturz.145 Doch es war bereits zu spät. Die Masse in Berlin hatte sich in die „Revolution“ gestürzt, obwohl Rosa Luxemburg meinte, dass die Zeit hierfür noch nicht reif sei.

Indessen bereitete die SPD-Führung, vor allem Gustav Noske und ehemalige kaiserliche Offiziere, die Niederschlagung der Erhebung in Berlin vor und gingen am 8. Januar mit Teilen der Armee und einem Heer aus Freiwilligen, den sogenannten Freikorps, zum Angriff über.

In den folgenden Tagen kam es zu blutigen Kämpfen zwischen Konterrevolutionären und Revolutionären in den Straßen Berlins.146 Dieser Aufstand auf den Straßen Berlins ist als das letzte Aufbäumen der Revolution zu sehen. An dieser Stelle wurde von den revolutionären Kräften in Deutschland ein letzter verzweifelter Versuch unternommen, das Steuer zu Gunsten der Revolution doch noch herumzureißen.

Im Zuge der Niederschlagung der Januaraufstände in Berlin, die auch unter dem Namen „Spartakusaufstand“ bekannt sind, da sie von der KPD (der Nachfolgeorganisation des Spartakusbundes) initiiert wurden - wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg am 15. Januar 1919 von konterrevolutionären Freikorpskämpfern auf direkte Weisung Noskes verhaftet und anschließend nach Verhören kaltblütig ermordet. Die Morde waren von den Gegnern der Revolution um die SPD-Regierung geplant und wurden skrupellos und heimtückisch vollstreckt.

Man raubte der Revolution mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht die besten Köpfe. An diesem Tag starb mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg der Versuch, eine sozialistische Demokratie in Deutschland aufzubauen.147

3. Schlussbetrachtung

Welche Rolle Rosa Luxemburg in der Antikriegsbewegung und in der Novemberrevolution spielte und wie diese zu bewerten ist, werde ich nicht abschließend beantworten können.

Ich möchte mir weder ein endgültiges Urteil über Rosa Luxemburg selbst noch über ihre politischen Einstellungen anmaßen, da mir die hierzu nötige Kenntnis fehlt. Zu unterschiedlich sind die Einschätzungen der Experten, zu vielschichtig die Aspekte, die in die Überlegungen mit einbezogen werden müssen, um einem solchen Anspruch gerecht zu werden.

Es steht für mich jedoch außer Frage, dass Rosa Luxemburg eine außergewöhnliche Frau war. Sie gehörte zu den wichtigsten und charismatischsten Persönlichkeiten in der deutschen Antikriegsbewegung, obwohl sie in einer Zeit lebte, in der die gesellschaftlichen Verhältnisse emanzipierten Frauen kaum Raum zur Entfaltung ließen. Rosa Luxemburg war und ist der Inbegriff des Kampfes für Frieden und beeinflusste gemeinsam mit Karl Liebknecht mit ihren zahlreichen Schriften und Reden den Kurs der Antikriegsbewegung mehr als jede oder jeder andere in dieser Zeit.

Es war Rosa Luxemburg, die 1914 die Initiative ergriff, als - abgesehen von wenigen Ausnahmen - die gesamte deutsche Sozialdemokratie versagte, und eine Organisation gegen den imperialistischen Krieg zu formieren begann.

Es war Rosa Luxemburg, die die Herausgabe von „Die Internationale“ voranbrachte und die die Gründung der Spartakusgruppe - obwohl im Gefängnis - initiierte, damit die linke Bewegung eine Grundlage und ein Organ für ihre Aktivität hatte.

Es war Rosa Luxemburg, die konsequent - auch im Gefängnis - die theoretische Führerschaft der Antikriegsbewegung übernahm und die politische Bildung der Arbeiterschaft durch die Spartakusbriefe und andere politische Schriften vorantrieb.

Es war Rosa Luxemburg, die die KPD mitbegründete und die als begnadete Rednerin Kundgebung um Kundgebung leitete, um die gemeinsame Sache der Revolution voranzubringen.

Es war Rosa Luxemburg, der die deutsche Linke aufgrund ihrer politisch-theoretischen Kompetenz in unzähligen Fragen und Kontroversen zur Umsetzung des Kampfes gegen den Krieg und zur Realisation der Novemberrevolution vertraute.

Es war Rosa Luxemburg, die sowohl für die Spartakusgruppe als auch für die KPD politische Konzepte, Programme und Leitsätze entwickelte. Allein durch die Verfassung dieser als Grundlage der Organisationen dienenden Schriften trug Rosa Luxemburg maßgeblich zur Bestimmung des Kurses der linken Bewegung bei. Auch war es Rosa Luxemburg, die aktiv an vorderster Front für die Revolution kämpfte, als diese von den Konterrevolutionären angegriffen wurde.

Es war jedoch nie Geltungsbedürfnis, das Rosa Luxemburg in ihrer unermüdlichen Arbeit in der linken Bewegung antrieb, sondern vielmehr war es ihre politische Überzeugung und ihr Traum von einer Diktatur des Proletariats, von einer sozialistischen Demokratie, in der durch die Räte wirklich jeder und jede ein gleichwertiges Mitbestimmungsrecht hatte. Zur Überwindung der bürgerlichen Klassengesellschaft zu Gunsten einer klassenlosen Gesellschaft sah sie als einziges Instrument die sozialistischen Revolution. Nur ein radikaler Umsturz konnte für Rosa Luxemburg eine grundlegende Veränderung der gesamten gesellschaftlichen Machtverhältnisse bringen.

Im Winter des Jahres 1918, nach vier Jahren des Krieges, und nach mehr als 25 Jahren revolutionärer Arbeit sah Rosa Luxemburg in dem sich andeutenden Umsturz die Erfüllung ihrer Träume in greifbarer Nähe. Sie war der Ansicht, dass Deutschland kurz vor einer sozialistische Revolution stand und stürzte sich mit aller Energie in die Umsetzung der Revolution.

Rosa Luxemburg erkannte zwar, dass die Novemberrevolution noch nicht das war, was sie erträumt hatte, jedoch war sie der festen Überzeugung, dass sich diese Revolution entwickeln würde.

Meiner Meinung nach war dies eine Fehleinschätzung der gesellschaftlichen Realität. Ich denke, dass Luxemburg zu diesem Zeitpunkt, vollkommen von einer „revolutionären Euphorie“ ergriffen war, die eine wirklich realistische Sicht der Dinge verhinderte, denn es bleibt als bitteres Fazit nach der Analyse der sogenannten Novemberrevolution, dass der sich abzeichnende politische Umsturz keine wirkliche Revolution war, schon gar nicht die sozialistische Revolution, auf welche Rosa Luxemburg gehofft hatte. Das Scheitern Rosa Luxemburgs und der Revolution insgesamt ist meines Erachtens nach auf zwei falsche Einschätzungen ihrerseits zurückzuführen:

Rosa Luxemburg nahm im Winter 1918 an, dass die Masse bereit zum politischen Umsturz sei. Sie ging davon auf, dass die jahrelange politische Bildung der Arbeiter durch die linken Gruppen nun Früchte tragen und sich das Volk selbstständig auflehnen würde, da es endlich die Missstände erkannt hätte.

Aus diesem Grund, so war es Rosa Luxemburgs Ansicht, kam es zu der Rebellion im November 1918, die sie meinte, nur in die richtigen Bahnen lenken zu müssen, um eine sozialistische Revolution in Gang zu bringen. Die Volksmassen waren im November 1918 nicht wirklich zu einem politische Umsturz bereit. Die Auflehnung der Menschen, die Novemberrevolution, war, nicht eine politisch motivierte Revolution der Masse, die nun endlich einen gesellschaftlichen Umsturz herbeiführen wollte, sondern die Massen waren vielmehr erschöpft, auslaugt von vier endlosen Jahren des Krieges. Im Winter 1918 war nichts mehr von der Euphorie zu spüren, mit der die Soldaten 1914 in den Krieg gezogen waren, um dann in der Realität auf den Schlachtfeldern von Granaten in Stücke zerrissen und vom Gas verätzt zu werden. Die Menschen kannten im Winter 1918 nur noch ein Ziel: Endlich Frieden, egal wie. Der politische Umsturz, der Wille zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse wurde für die meisten Menschen in Deutschland zur Nebensache.

In einem weiteren Aspekt schätzte Rosa Luxemburg die Masse falsch ein. Sie war der Ansicht, dass die Arbeiterschaft, das Proletariat Deutschlands, die - für Rosa Luxemburg vollkommen klaren - Unterschiede zwischen der konterrevolutionären SPD und der Spartakusgruppe erkennen müsste und sich somit mit absoluter Sicherheit für den revolutionären Spartakusbund gegen die SPD entscheiden würde. Tatsache war jedoch, dass die SPD zwar Teile ihres Einflusses auf die Arbeiterschaft eingebüßt hatte, jedoch in den Köpfen der überwiegenden Mehrheit der Arbeiter noch immer die traditionelle Arbeiterpartei blieb. Dass Rosa Luxemburg und ihren Mitstreitern ein konkretes Aktionsprogramm fehlte, das eine wirkliche Alternative für die Arbeiter hätte darstellen können, muss zudem als grober Fehler in der Einschätzung der Bedürfnisse der Massen bewertet werden.

Die Massen verhielten sich vollkommen anders als Rosa Luxemburg dies erwartet hatte und der von Rosa Luxemburg erhoffte Schritt in Richtung Sozialismus wurde nicht getan.

Trotz dieser Fehleinschätzungen bin ich der Meinung, dass Rosa Luxemburg und ihre Mitstreiter die einzigen wirklichen Revolutionäre in dieser „steckengebliebenen Revolution“ waren. Sowohl die von Rosa Luxemburg verfassten Schriften und politischen Programme als auch ihr gesamtes Auftreten sprechen eine deutlich revolutionäre Sprache, die den totalen gesellschaftliche Umbruch, die Revolution, forderte. Im Gegensatz zu den Vertretern der SPD, die in der Revolution versuchten, die alten Strukturen soweit wie möglich beizubehalten und ihren Machtanspruch zu festigen, war Rosa Luxemburg mit absoluter Sicherheit keine „Pseudo-Revolutionärin“.

An dieser Stelle möchte ich dieser außergewöhnlichen Frau meinen Respekt zollen.

Rosa Luxemburg war eine Frau, die bereit war, nahezu unmenschliche Opfer für ihre Überzeugungen zu bringen und die über sich hinausgewachsen ist, nur um die Realisierung ihrer Träume und Visionen zum Wohle aller zu ermöglichen. Als begnadete Rednerin riss sie Zehntausende mit sich und begeisterte sie für die revolutionäre Idee, aber sie konnte nicht überall sein. Rosa Luxemburg wollte Freiheit für jeden Menschen, ohne Einschränkung durch ökonomische Klassen und ohne Führung durch eine politische Elite in Form einer Partei. Rosa Luxemburg ist ihren Prinzipien immer treu geblieben: Nie hat sie Gewalt als Mittel für die Erreichung eines politischen Zieles popagiert. Nie hat sie ihre Überzeugungen durch widersprüchliche Handlungen verraten. Rosa Luxemburg war die Führerin sowohl in der Novemberrevolution als auch in der Antikriegsbewegung überhaupt. Dass ihr Traum von der sozialistischen Demokratie nicht umgesetzt wurde, hat Deutschland wenig Gutes beschert.

Vielleicht war Deutschland zum Zeitpunkt der Novemberrevolution einfach noch nicht reif für die „wirkliche“ sozialistische Revolution. Ob die Menschen irgendwann einmal das Erbe Rosa Luxemburgs antreten werden, wird die Zukunft zeigen.

Anmerkungen

[...]


1 vgl. Rosa Luxemburg, Schriften zur Theorie der Spontaneität, Hg. von Susanne Hillmann, Rowohlt Taschenbuchverlag, Hamburg 1970, Biographische Daten im Anhang Seite 240- 241

2 vgl. Luxemburg, Schriften zur Theorie der Spontaneität, S. 240

3 vgl. Hirsch, Helmut, Rosa Luxemburg in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, hg. von Kurt Kusenberg im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 1969, Seite 142

4 vgl. Luxemburg, Schriften zur Theorie der Spontaneität, S. 241

5 vgl. ebenda, S. 241

6 vgl. ebenda, S. 241

7 vgl. Hirsch, S. 142

8 vgl. Luxemburg, Schriften zur Theorie der Spontaneität, S. 242

9 vgl. Hirsch, S. 142/143

10 vgl. Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution, Verlag Neue Kritik, Frankfurt am Main 1970, Seite 97

11 vgl. Arthur Rosenberg, Entstehung der Weimarer Republik, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main, 1961, Seite 71/72

12 Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, S. 99

13 vgl. ebenda, S. 99

14 vgl. ebenda, S. 113

15 Spartakusbriefe, Hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Dietz Verlag, Berlin 1958, Seite 10 (Vorwort)

16 Annelies Laschitza, Im Lebensrausch, trotz alledem Rosa Luxemburg, Aufbau-Verlag, Berlin 1996, Seite 467

17 Laschitza, S. 474

18 Paul Frölich, Rosa Luxemburg - Gedanke und Tat, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1967, Seite 246

19 Laschitza, S. 484

20 Frölich, S. 250

21 vgl. Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, S. 130

22 vgl. Frölich, S. 251

23 vgl. Laschitza, S. 476

24 vgl. Spartakusbriefe, S.13 (Vorwort)

25 vgl. Drabkin, S. 38

26 vgl. Frölich, S. 252

27 vgl. Rosa Luxemburg, Ausgewählte Reden und Schriften, Berlin (Ost) 1951, Bd. II, Seite 522ff

28 Frölich, S. 252

29 Frölich, S. 252

30 Laschitza, S. 497

31 vgl. Drabkin, S. 38

32 vgl. Frölich, S. 255/256

33 Hirsch, Seite 87

34 vgl. Frölich, S. 257

35 vgl. ebenda, S. 257

36 vgl. ebenda, S. 258

37 vgl. Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, S. 137 und Laschitza, S. 524ff

38 vgl. Frölich, S. 257

39 vgl. Frölich, S. 258

40 vgl. Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution, S. 136

41 Frölich, S. 259

42 Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution, S. 137 (Auszug aus Rosa Luxemburgs Leitsätzen)

43 vgl. Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution, S. 136/137 (Auszug aus Rosa Luxemburgs Leitsätzen)

44 Laschitza, S. 513

45 vgl. Laschitza, S. 512

46 vgl. Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution, S. 137

47 vgl. Laschitza, S. 512

48 vgl. Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution, S. 136

49 vgl. Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution, S. 137

50 vgl. Hirsch, S. 143

51 Frölich, S. 259

52 Laschitza, S. 521/522

53 Laschitza, S. 523

54 vgl. Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, S. 137/138

55 vgl. Spartakusbriefe, S. 13 (Vorwort)

56 vgl. Laschitza, S. 517/518

57 vgl. Frölich, S. 260

58 Frölich, S. 260

59 Politische Schriften von Rosa Luxemburg, Hg. und eingeleitet von Ossip K. Flechtenheim, Frankfurt am Main 1966, Seite 84ff

60 vgl. Frölich, S. 261

61 Juniusbroschüre aus Politische Schriften, S. 149

62 ebenda, S. 149

63 ebenda, S. 149

64 vgl. Laschitza, S. 527

65 vgl. Frölich, S. 269

66 vgl. Karl Liebknecht, Ausgewählte Reden, Briefe und Aufsätze mit einer Rede von Wilhelm Pieck, Berlin 1952, Seite 424ff

67 Frölich, S. 269

68 vgl. Laschitza, S. 530

69 vgl. Frölich, S. 270

70 Frölich, S. 270

71 vgl. Laschitza, S. 542ff

72 vgl. Frölich, S. 273

73 vgl. Laschitza, S. 548

74 vgl. Laschitza, S. 549

75 vgl. Hirsch, S. 96

76 Laschitza, S. 549

77 vgl. Spartakusbriefe, S. 13 (Vorwort)

78 vgl. Spartakusbriefe, S. 14 (Vorwort)

79 vgl. Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, S. 148

80 Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, S.148

81 vgl. Laschitza, S. 558

82 vgl. Frölich, S. 277

83 vgl. Laschitza, S. 561

84 vgl. ebenda, S. 559

85 vgl. ebenda, S. 561

86 vgl. ebenda, S. 564

87 vgl. ebenda, S. 566ff

88 vgl. Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, S. 145

89 vgl. Laschitza, S. 569

90 vgl. Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, S. 163

91 vgl. Frölich, S. 290ff

92 Luxemburg, Schriften zur Theorie der Spontaneität, S.239 (Aus einem Nachwort von Susanne Hillmann)

93 Luxemburg, Schriften zur Theorie der Spontaneität, S. 238 (Aus einem Nachwort von Susanne Hillmann)

94 vgl. ebenda, S. 238

95 vgl. ebenda, S. 238

96 vgl. Laschitza, S. 570

97 vgl. Laschitza, S. 573-575

98 vgl. Luxemburg, Schriften zur Theorie der Spontaneität, S. 239 (Aus einem Nachwort von Susanne Hillmann)

99 vgl. Laschitza, S. 572

100 Frölich, S. 303

101 vgl. Frölich, S. 302/303

102 Frölich, S. 303

103 vgl. Laschitza, S. 583

104 vgl. Frölich, S. 303

105 vgl. Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, S. 187

106 vgl. Frölich, S. 305

107 vgl. Frölich, S. 306

108 Fröhlich, S. 306

109 vgl. Laschitza, S. 586

110 vgl. Jander, Eckhard, Lehrbuch für Klasse 9, Volkseigener Verlag, Berlin 1976, Seite58ff

111 vgl. Fröhlich, S. 307

112 vgl. Frölich, S. 307

113 vgl. Laschitza, S. 589

114 vgl. Laschitza, S. 591

115 vgl. Laschitza, S. 594

116 vgl. Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 4, Dietz Verlag, Berlin 1970, Seite 398

117 vgl. Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 399

118 vgl. Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 399

119 vgl. Laschitza, S. 597

120 vgl. Laschitza, S. 597

121 Laschitza, S. 598

122 vgl. Laschitza, S. 599

123 vgl. Laschitza, S. 599

124 vgl. Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, S. 225

125 vgl. Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, S. 260

126 Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 456

127 vgl. Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 3, S. 456/457

128 ebenda, Bd. 4, S. 456

129 vgl. ebenda, Bd. 4, S. 443ff

130 vgl. Laschitza, S. 603

131 Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 443

132 Laschitza, S. 603

133 vgl. Laschitza, S. 604

134 Laschitza, S. 604

135 vgl. Jander, S. 20

136 vgl. Jander, S. 20

137 Luxemburg, Gesammelte Werke, S. 477

138 vgl. Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, S. 264

139 Laschitza, S. 611

140 Luxemburg, Gesammelte Werke, S. 507

141 vgl. Laschitza, S. 612/613

142 vgl. ebenda, S. 614

143 vgl. ebenda, S. 615

144 vgl. ebenda, S. 617

145 vgl. ebenda , S. 618

146 vgl. ebenda, S. 619

147 vgl. Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution, S. 297ff

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Von den Spartakusbriefen zum Spartakusaufstand - Rosa Luxemburg und die deutsche Novemberrevolution
Note
15 Punkte
Autor
Jahr
2002
Seiten
26
Katalognummer
V106324
ISBN (eBook)
9783640046034
Dateigröße
545 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Spartakusbriefen, Spartakusaufstand, Rosa, Luxemburg, Novemberrevolution
Arbeit zitieren
Piet Habbel (Autor:in), 2002, Von den Spartakusbriefen zum Spartakusaufstand - Rosa Luxemburg und die deutsche Novemberrevolution, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106324

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