Die Bühne von Peter Shaffer - The Royal Hunt of the Sun


Seminararbeit, 1999

14 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Gestaltung der Bühne bei der Uraufführung in Chichester
1. Der Bühnenraum
2. Das Medaillon

III. Die bühnentechnische Darstellung der Konfrontation von Spaniern und Inkas ..
1. Die Spanier
a. Die räumliche Einordnung der spanischen Eroberer
b. Das Emblem der spanischen Eroberer
2. Die Inkas
a. Die räumliche Einordnung der Inkas
b. Das Medaillon des Inkavolkes

IV. Schlussbemerkung

V. Bibliographie

I. Einleitung

In seinem Vorwort zu The Royal Hunt of the Sun (im folgenden als RHS abgekürzt) beschreibt Peter Shaffer sein Drama als „a kind of `total´ theatre, involving not only words but rites, mimes, masks and magics. The text cries for illustration.“ (RHS, 8) Er deutet hiermit an, dass neben dem Text neue Ausdrucksmittel verwendet werden, die nicht dem Naturalismus bzw. dem Realismus zuzuordnen sind. Während sein Erstlingswerk Five Finger Exercise durch einen realistischen Stil gekennzeichnet ist und als sogenanntes well- made play klassifiziert wird1, hebt sich RHS durch eine Mischung unterschiedlicher, zum Teil konträrer Theaterkonventionen von diesem ab. Der Einsatz des epischen Erzählers Old Martin mit seiner erinnernden und kommentierenden Funktion ist zum Beispiel eine Brechts Theatertheorie entlehnte Methode der Verfremdung. Andererseits verwendet Shaffer -auf der für mein Thema relevanten Produktionsebene des Stücks- avantgardistische Theatertechniken, die, in Anlehnung an Artauds Theater der Grausamkeit, den Zuschauer emotional mitreißen sollen. Brecht hingegen wendet sich strickt von einer solchen Strategie ab und sieht die Aufgabe des Theaters darin, das Publikum dem Geschehen gegenüberzusetzen, und eine gefühlsmäßige Involviertheit des Zuschauers zu vermeiden.2 Die Grausamkeit im Sinne von Artaud besteht bei RHS darin, dass der Anteil an optischer und auch akustischer Symbolik für das Publikum der Uraufführung ungewöhnlich hoch war3, und so eine tiefenpsychologische Ebene beim Zuschauer erreicht werden sollte. Non-verbale Ausdruckmittel sollen nach Artaud „ihre untergeordnete Rolle aufgeben und anstelle des Wortes als der Form des Theaters angemessene neue Kommunikationsträger fungieren“4, „[...] appealing to all the senses of the audience [...] to reach the ritualistic basis of human behaviour“5. Artauds Theaterkonzept lässt sich in Hinblick auf seine „anti-literarische Ausrichtung“6 jedoch nicht auf Shaffers Konzept übertragen, da Shaffer dem gesprochenen Wort trotz der großen Relevanz außersprachlicher Mittel in RHS Priorität einräumt.7 Es wird dennoch deutlich, dass Artauds Ideengut Shaffer stark beeinflusst hat.

Hans Osterwalder spricht von einer „Verschmelzung von Brechtschen und Artaudschen Elementen“.8 Gene A. Plunka lobt Shaffers „[...] unique ability to combine Brechtian theater with Artaudian stage conventions“.9 Es wird also deutlich, dass sich Shaffer in RHS formal epischer und bühnentechnisch avantgardistischer Methoden bedient und dabei konventionelle Grenzen überschreitet. Was daraus entstand, nannte Shaffer total theatre, ein Begriff des avantgardistischen Theaters, der indirekt auch mit Artaud in Verbindung gebracht wird.10

In dieser Arbeit soll nun zum Ausdruck kommen, wie sich Shaffers total theatre in der Gestaltung des Bühnenbildes von RHS manifestiert, und wie der Bühnen- und Kostümdesigner Michael Annals die Vorstellungen des Autors umsetzte. Shaffer hat selbst an der ersten Bühnenrealisierung seines Stückes 1964 in Chichester mitgewirkt und eng mit dem Regisseur John Dexter und dem Bühnenbildner Annals zusammengearbeitet. Er verfasste eine detaillierte Inszenierungsbeschreibung, die als Vorwort zu der von mir verwendeten Dramenausgabe veröffentlicht wurde, und integrierte wichtige Einzelheiten zum Bühnenbild auch in den Nebentext. Auf diese hilfreiche Beschreibung werde ich mich bei meiner Analyse des Bühnenraumes stützen.

Ich möchte anhand dieser Bühnenbeschreibung zeigen, wie die Gegenüberstellung der beiden aufeinanderprallenden, entgegengesetzten Kulturen bühnentechnisch vermittelt wird.

II. Die Gestaltung der Bühne bei der Uraufführung in Chichester

Die Arenabühne des Chichester Festivals eignete sich besonders gut für die aufwendige Inszenierung von Shaffers Drama 11 , das dort am 7. Juli 1964 zur Uraufführung kam. Die Größe der Bühne ermöglichte eine ideale Flächennutzung des Raumes für die verhältnismäßig große Besetzung, und sie bot dem Regisseur, der Choreografin und dem Bühnenbildner einen weiten Spielraum zur Umsetzung ihrer Ideen. Einige Szenen, wie zum Beispiel "The Mime of the Great Massacre", sind wegen ihrer inszenatorischen Besonderheiten auf einer kleinen Theaterbühne kaum kompromisslos zu realisieren.

Auch dem Bühnenbildner kam die Größe der Festivalbühne entgegen, denn er musste sich in Bezug auf die räumlichen Möglichkeiten keinen Einschränkungen stellen. „Essentially, all that is required for a production of The Royal Hunt of the Sun is a bare stage and an upper level.“ (RHS, 7) Dies schreibt Shaffer zu Beginn seiner Bühnenbeschreibung, um anschließend hinzuzufügen, dass er das Bühnenbild von Michael Annals aber für so gelungen halte, dass er sich im Nebentext jener Ausgabe darauf berufen wolle. Annals habe die optischen Schwierigkeiten, die das Stück aufwerfe, hervorragend bewältigt und Shaffer in jeder Hinsicht zufriedengestellt: „This simple but amazing set was for me totally satisfying on all levels: scenically, aesthetically and symbolically.“ (RHS, 7) In den folgenden beiden Abschnitten wird deutlich werden, dass Shaffer „scenically satisfying“ wohl in Bezug auf die technisch aufwendige Konzeption des Bühnenbildes gemeint hat.

Zunächst erschien die Bühne schlicht, und dem Publikum bot sich der Anblick eines kahlen Raumes mit zwei Spielebenen und einer an der Rückwand aufgehängten Scheibe, die Shaffer in seinem Vorwort als Medaillon bezeichnet. Der Raffiniertheit dieser Kulisse konnte sich der Zuschauer dann im Verlaufe der Aufführung bewusst werden. Durch die folgende Beschreibung der Bühne, bei der ich mich hauptsächlich auf Shaffers Ausführungen in dem Nebentext und auf Fotografien aus der Augustausgabe der Zeitschrift Theatre World des Jahres 1964 stütze, soll der funktionale Wert insbesondere der Medaillonkonstruktion aufgezeigt werden.

1. Der Bühnenraum

Der Raum der Festivalbühne wurde in ebenerdige Hauptbühne und erhöhte Spielebene unterteilt und durch eine hinter der Spielfläche aufgestellte Holzwand zu einer Guckkastenbühne umfunktioniert. Die in der hinteren Bühnenmitte aufgebauten Podeste waren von allen drei Seiten der Bühne über Stufen zugänglich und schlossen an der hinteren Seite durch die hölzerne Rückwand ab. Das höchste und kleinste der abgestuften Podeste befand sich genau mittig vor dem Medaillon.

Hier befand sich im ersten Akt Atahuallpas erhöhte „Aussichtsplattform“, auf der er sich zum ersten Mal dem Publikum zeigte (RHS, 23), und von der aus er sein ganzes Reich überblickte (RHS, 32).

Zu Beginn des zweiten Aktes diente dieser oberste Bühnenbereich als Atahuallpas Gefängniszelle (RHS, 51). Nach dem Abkommen zwischen ihm und Pizarro wurde dieser „Raum“ frei (RHS, 57), um anschließend im Rahmen zweier „Gold Processions“ als Schatzkammer zu dienen (RHS, 62).

2. Das Medaillon

Der Hauptbestandteil des Bühnenbildes war ein großer, goldfarbener Aluminiumring mit einem Durchmesser von ungefähr 3,5 Metern, der zentral an der Rückwand der Bühne angebracht war und so das Bild der Bühne dominierte.12 Dieser Ring blieb für das Publikum die ganze Aufführung über sichtbar und wurde im Verlaufe des Stücks verschiedene Male umfunktioniert. In diesen Goldrahmen waren zwölf, durch Scharniere bewegliche Metallstücke eingearbeitet, die die Form von Blütenblättern hatten. In den Szenen 1 und 2 des ersten Aktes, die in Spanien bzw. in Panama spielen, waren die Blätter noch nach innen eingeklappt, und der Ring erschien als ein großes Medaillon, in das das Emblem der spanischen Eroberer eingraviert war. Dieses Emblem bestand aus vier Kruzifixen, die so angeordnet waren, dass sie den Kreis viertelten, und die so geformt waren, dass sie gleichzeitig an Schwerter erinnerten.

Zu Beginn der Szene 3 des ersten Aktes, als die Spanier das Inkareich erreichen, fand eine „Verwandlung“ des Medaillons statt. Es begann zu leuchten, und die zwölf Blütenblätter klappten langsam nacheinander heraus. Die Innenseite jedes der zwölf Blätter war mit einem Stück goldfarbenen Metall besetzt, das mit einem Magneten befestigt war. So entstand das Bild einer riesigen goldenen Sonne mit zwölf Strahlen, die das heilige Symbol des Inkareiches darstellte. In diesem Moment trat zum ersten Mal auch Atahuallpa auf, der als Sohn der Sonne von seinem Volk als Gott verehrt wird. Er stand in seinem prunkvollen, großzügig mit Gold verzierten Kostüm auf der höchsten Ebene des Podests direkt vor der Sonne. Diese Umfunktionierung des Medaillons, die von Lichteffekten, exotischer Musik, Gesängen und Rufen begleitet wurde, markierte prägnant den Schauplatzwechsel von spanisch-christlichem Terrain in das heidnische Sonnenreich der Inkas. Am Ende der Szene 7 des ersten Aktes befielt Atahuallpa: „Let them see my mountains!“(RHS, 36), und daraufhin wurde das Medaillon so angeleuchtet, dass die zwölf Strahlen der Inkasonne zackige, an Berggipfel erinnernde Schatten auf die Holzwand warfen. So konnte effektvoll das Problem der Darstellung der Anden gelöst werden. In der letzten Szene des ersten Aktes, im Anschluss an The Mime of the Great Massacre, wurde von einigen Eingeborenen, wieder von Geräusch- und Lichteffekten begleitet, ein riesiges, mit blutroten Farbflecken versehenes Tuch aus dem Medaillon gezogen und über die Bühne gedeckt. Dies diente der Intensivierung der nur pantomimisch angedeuteten Schlachtszene, bei der die unbewaffneten Eingeborenen brutal niedergemetzelt wurden. In der Szene 6 des zweiten Aktes findet The Rape of the Sun statt, und einige der Spanier stachen mit ihren Hellebarden in die Spalten zwischen den Sonnenstrahlen, um das Medaillon zu erforschen. Sie stellten fest, dass sich das eingearbeitete Gold lösen ließ, und während sie die Füllungen der Sonnenstrahlen herausbrachen, stöhnte und ächzte die Sonne, und die Soldaten triumphierten. Innerhalb kürzester Zeit war von dem Symbol der Inkas nur noch der äußere Ring übrig geblieben.

Es wird also erkennbar, worin die technischen Vorzüge dieses Bühnenbildes bestehen. Annals hat mit seiner Arbeit, wie Shaffer in seinem Vorwort betont, eine brillante Lösung der visuellen Probleme des Stücks gefunden (RHS, 7). Es waren zum Beispiel keine Umbaupausen nötig13, die die dreieinhalbstündige Aufführung14 zum einen in die Länge gezogen hätten und zum anderen ungewollte Pausen (RHS, 7) und damit Unterbrechungen der Handlung mit sich gebracht hätten. Außerdem war es problemlos möglich, das Bühnenbild an andere Spielorte zu transportieren, um es dort wieder aufzubauen.15 Annals hat mit der Unterteilung des Raumes und der vielseitigen Medaillonkulisse ein kompaktes Konzept realisiert.

III. Die bühnentechnische Darstellung der Konfrontation von Spaniern und Inkas

Wie in manchen Sekundärtexten zu Shaffers Drama bemerkt wird, transportiert RHS eine Fülle metaphysischer Themen16. Es geht demnach zum Beispiel „um das tiefsitzende Bedürfnis des Menschen nach [...] passionierter Anbetung einer höheren Macht [...]17 und um den Wunsch, die Zeit und somit die Endlichkeit der menschlichen Existenz zu bezwingen, d.h. um „man´s search for immortality“18. Auch Atahuallpas und Pizarros unterschiedliche Interpretationen der Bedeutung des Lebens und die Suche nach Gott sind zentraler thematischer Bestandteil des Stücks.19 In erster Linie wird jedoch der Zusammenprall zwischen europäischer und indianischer Zivilisation thematisiert. Shaffer sieht diesen „Zusammenstoß [...] nicht als Manifestation historischer (ökonomischer, politischer) Kräfte, sondern als Konfrontation abstrakter Prinzipien“, nämlich als „an encounter between European hope and Indian hopelessness; between Indian faith, and European faithlessness“20. Beide Kulturen mit ihren gegensätzlichen Weltanschauungen und Gesellschaftssystemen, „die beide [...] das „Humane“ verfehlen“21, wurden in Michael Annals Bühnengestaltung symbolhaft dargestellt. Auch der Konflikt zwischen Spaniern und Inkas und die gewalttätige Unterwerfung des Sonnenvolkes durch die Eroberer hatten in Chichester ihre bildhafte Entsprechung in der Gestalt der Bühne. Shaffer beurteilt Annals Arbeit als „symbolically satisfying“ (RHS, 7) und bringt damit zum Ausdruck, dass er seine intendierten Aussagen bildlich angemessen vermittelt sieht.

1. Die Spanier

a. Die räumliche Einordnung der spanischen Eroberer

Das Stück beginnt mit der Rekrutierungsszene in Pizarros Heimatdorf Trujillo in Spanien, wo er nach freiwilligen Soldaten für seine Expedition nach Peru sucht. Die zweite Szene spielt in einer panamaischen Kirche, in der die Waffen der Soldaten, die sich auf den Weg nach Peru gemacht haben, von spanischen Geistlichen geweiht werden. Dieser Schauplatzwechsel von Spanien nach Panama, der zeitlich mehrere Jahre überbrückt, wurde hier durch einen Lichtwechsel, eine Musikeinspielung und durch die von Valverde hereingetragene Christusfigur angedeutet. Diese beiden ersten Szenen spielten sich vermutlich hauptsächlich auf der ebenerdigen, beide Handlungsorte repräsentierenden Hauptbühne ab. Dies erscheint deshalb plausibel, da Shaffer in seinem Nebentext für diese beiden Szenen keine Bespielung der Oberbühne vorsieht, und diese eindeutig den Inkas zugewiesen zu sein scheint. Die einführende Handlung der Szenen 1 und 2 gibt zwar zwei zeitlich und räumlich weit auseinanderliegende historische Ereignisse wieder, sie ist aber durch ihre räumliche Zuordnung zu einer Einheit zusammengefasst und klar von den dann folgenden, im Inkareich spielenden Szenen getrennt.

In der zweiten Szene des zweiten Aktes betrat Pizarro mit Martin und De Soto die Gefängniszelle des Inkagottes, um mit ihm zu sprechen. An dieser Stelle macht eine Aufhebung der räumlichen Grenze zwischen Spaniern und Inkas insofern Sinn, als die Eroberer zuvor gewaltsam in den Alltag der Inkas eingedrungen sind, ein Massaker veranstaltet und den Sonnengott gefangen genommen haben. „The Kill“ und damit auch die Entweihung des Göttlichen durch die Spanier hatte damit begonnen, und die Oberbühne repräsentierte nicht mehr Atahuallpas „Thron“ und seine unantastbare Würde.

b. Das Emblem der spanischen Eroberer

Während dieser beiden Szenen zeigte das Medaillon im Hintergrund das Emblem der spanischen Eroberer bestehend aus vier Kruzifixen, die, zugespitzt und mit geschärfter Klinge, wie Schwerter aussahen. Diese Kombination von christlichem und ritterlichem Merkmal stand für die Doppelmoral der Spanier. Einerseits brechen sie zu einer Expedition auf, die offiziell christlich motiviert ist und das Ziel verfolgt „[...] to alter the heathen“ (Valverde, 16) und „[...] to break mercy with them like bread, and outpour gentleness into their cups.“ (De Nizza, 20). Andererseits lockt Pizarro die Männer ganz unverhohlen mit „uncountable wealth“ (Pizarro, 16) und dem Gold, das bei den Inkas „as common as wood“ (ebd.) sein soll. Außerdem verspricht er ihnen Macht, indem er sagt: „[...] over there you´ll be the masters [...]“ (Pizarro, 17), und ihnen seinen Sklaven Felipillo vorführt, den er von seiner vorigen Expedition mitgebracht hat. Seine Strategie hat Erfolg. Durch die Heiligsprechung der Waffen und Valverdes Worte: „Oh, God, [...] Show us our way to beat the savage out of his dark forest onto the broad plain of Thy Grace.“ (Valverde, S.20) sollen „die machtpolitischen Gründe der Expedition“22 verschleiert und die gewalttätige Eroberung des Inkareiches schon im voraus legitimiert werden. Diese beiden Szenen „lassen den Zuschauer die enge Verknüpfung von Glauben und Machtgier im spanischen

Königreich erkennen“23, und diese Aussage wird durch die Gestaltung des Emblems unterstrichen. Der Vierteilung des Medaillons durch die Kruzifixe (bzw. Schwerter) lässt sich auch eine absichtsvolle Symbolik zuordnen, denn Michael Annals hätte theoretisch jede andere Anzahl von Kruzifixen (bzw. Schwertern) in die Scheibe eingravieren können. Ebenso wie die Erhängung Atahuallpas am Ende des Stückes als Anspielung auf die Kreuzigung Jesus verstanden werden kann24, kann man diese Vierteilung als Anspielung auf die vier Evangelien verstehen und somit als eine verstärkte Thematisierung der christlichen Religion und der katholischen Kirche. Für Shaffer spielt diese Thematik in RHS fraglos eine wichtige Rolle, denn er setzt sich mit ihr durchgehend kritisch auseinander.

Die aus der Anordnung der Kruzifixe (bzw. Schwerter) resultierenden „vier Teile eines Ganzen“ ließen sich auch in Bezug auf Pizarros hinter der Expedition stehenden persönlichen Absichten interpretieren. Der General will durch die Eroberung Perus und die Unterwerfung des Eingeborenenvolkes Ruhm und Ehre in seiner Heimat und damit Unsterblichkeit erlangen. (Pizarro, 19) Atahuallpa hält ihn aufgrund seiner Entschlossenheit für einen Gott (RHS, 26) und sieht sich darin nach der Bezwingung der Anden durch Pizarros Männer bestätigt. Der Inkageneral Challcuchima fürchtet die Spanier, will Atahuallpa vor ihnen warnen und zitiert eine religiöse Prophezeiung der Inkas: „ The twelfth Lord of the Four Quarters shall be the last! “ (RHS, 26) Die vier Teile des Kreises symbolisieren für die Inkas ihr heiliges Sonnenreich und ihren darüber herrschenden Sonnengott, den sie für unsterblich halten. Auch in dem Emblem der Spanier steht die Kreisform für Unendlichkeit, die es für Pizarro zu erobern gilt. Es wird sich am Ende des Stückes herausstellen, dass Pizarro den Sonnengott töten lassen muss, das Reich der Inkas im Namen des spanischen Königs vorrübergehend beherrscht, und dass dies das Ende der Inkakultur bedeutet. Pizarro ist es also gelungen, mit seiner Eroberung des Inkareiches in die Geschichte einzugehen und sich damit über seinen Tod hinaus einen Namen zu machen. Es ist ihm gelungen, „die vier Teile des Ganzen“ zu beherrschen und auf gewisse Weise ewiges Leben zu erlangen. Die Prophezeiung hat sich damit bestätigt, und Pizarro ist der zwölfte und letzte Herrscher über die „Four Quarters“.

2. Die Inkas

a. Die räumliche Einordnung der Inkas

Der Schauplatzwechsel von spanischem Gebiet ins Inkareich findet zu Beginn der dritten Szene statt. Atahuallpa präsentierte sich hier auf der Oberbühne vor dem verwandelten Medaillon und verweilte dort „ motionless in his sunflower [...] until the end of Scene VII “ (RHS, 24). Unterhalb des seinen Thron repräsentierenden Podests traten Atahuallpas Untertanen der oberste Inkapriester Villac Umu, der Inkageneral Challcuchima und Atahuallpas Bote Manco auf. Während dieser Zeit erreichen die Spanier Tumbes und treffen zum ersten Mal auf die Eingeborenen, die ihnen von ihrem Sonnengott berichten. Wie einer der Inkas den noch weit von der Hauptstadt Cajamarca entfernten Spaniern erklärt, hat ihr Gottkönig „[...] eyes everywhere. He sees you now.“ (RHS, 32) Atahuallpas Überlegenheit hatte ihre räumliche Entsprechung in seiner erhöhten „Aussichtsplattform“, von der aus er Pizarro und seine Männer beobachtet.

Am Ende der siebten Szene, als die Spanier am Fuße der Anden ankommen, richtet Pizarro seine letzte Ansprache an den immer noch vor seiner Sonnenblume stehenden Atahuallpa, in der er seine Furchtlosigkeit und Entschlossenheit betont. Atahuallpa winkt ihn daraufhin zu sich heran, um sich dann rückwärts in die Dunkelheit zurückzuziehen. Darauf folgte "The Mime of the Great Ascent", und nachdem die Spanier dann nach Cajamarca hinuntergestiegen waren, sahen sie „Up on the hill [...] the Inca´s tents, and the lights from his fires ringing the valley“ (RHS, 39) Die spanischen Soldaten blickten hinauf, vermutlich in Richtung des Sonnensymbols, und so fand wieder eine räumliche Erhöhung der Inkas statt.

Zu Beginn des zweiten Aktes und nach dem Massaker an seinem Volk sah man den Inkagott in Ketten mit dem Rücken zum Publikum in seinem Sonnenzimmer stehen. Er trug keine Maske mehr und hatte einen Teil seiner königlichen Würde verloren. „The Kill“ hatte begonnen und Atahuallpas vormaliger „Thron“ war nun zu seinem Gefängnis geworden. In der dritten Szene des zweiten Aktes treffen die beiden Herrscher dann das Abkommen über die Auslösung Atahuallpas gegen eine Kammer voller Gold, und schon in der darauffolgenden Szene diente der erhöhe Bühnenbereich als Schatzkammer. Diese beiden Umfunktionierungen der Oberbühne stellten die schrittweise Entwürdigung des Inkagottes und somit seines gesamten Volkes dar. Die Spanier respektierten die gegebenen Verhältnisse und die religiösen Regeln nicht und ergriffen nicht nur von den materiellen Schätzen des Landes Besitz, sondern zerstörten auch die Kultur des Volkes. Diese Zerstörung und Entwürdigung kulminierte in der sechsten Szene in "The Rape of the Sun".

An dieser Stelle begeben sich die gierigen Soldaten auf die Höhe des heiligen Symbols, um es zu berauben.

b. Das Medaillon des Inkavolkes

In Verbindung mit Atahuallpas erstem Auftritt, zeigte sich dem Publikum erstmals auch das Sonnensymbol, das von aufwändigen optischen und akustischen Effekten begleitet aus dem Emblem der spanischen Eroberer entstand. Diese goldene Sonnenblume steht in deutlichem Kontrast zu dem dunklen spanischen Emblem, das bei den Zuschauern wohl eher Unbehagen ausgelöst haben wird. Die Inkas, ihre Kultur und Religion werden deutlich positiv eingeführt, denn mit der Sonne und der Farbe Gold bringt man Licht und Wärme in Verbindung. Diese spektakuläre Darstellung des Inkavolkes zog sich durch die gesamte Inszenierung und hob sich klar von der Darstellung der spanischen Eindringlinge ab, deren religiösen Rituale im Gegensatz zu denen der Inkas „[...]drab, stationary, and primarily verbal [...]“25 waren. Der durch diese Präsentation und De Sotos Worte „I have settled several lands. This is the first I´ve entered which shames our Spain.“ (RHS, 31) hervorgerufene Eindruck, die kommunistische Inkagesellschaft sei der europäischen absolut überlegen, wurde im Laufe des Stücks relativiert. De Nizza, der im Nebentext als intelligenter und reifer Mann beschrieben wird, stellt fest, welche Vorzüge die individualistische Gesellschaftsform Europas gegenüber der der Inkas hat:

[...] happiness has no feel for men here since they are forbidden unhappiness. They have everything in common so they have nothing to give each other. They are part of the seasons, no more; as undistinguishable as mules, as predictable as trees. All men are born unequal: this is a devine gift. [...]“ (RHS, 63)

Während die Spanier sich ihrem Ziel der Eroberung stetig nähern, dominierte das Sonnensymbol die Bühne. Nach The Mime of the Great Massacre wurde aus dessen Mitte ein blutverschmiertes Tuch gezogen, das über die Bühne gedeckt wurde. So endete der erste Akt, und das Massaker an den Inkas blieb durch das über der Bühne liegende Tuch noch bis zur vierten Szene optisch präsent. Die Zerstörung des Inkavolkes hatte hiermit begonnen. Nachdem Atahuallpa aus seiner Gefängniszelle entlassen wird, da er Pizarro verspricht, diese ganz mit Gold aufzufüllen, beginnt eine Art Reinigungsritus, und im Zuge dessen wird auch das Tuch durch zwei Eingeborene von der Bühne gezogen. Die brutale Zerstörung des Inkavolkes hatte ihren Höhepunkt mit der Entweihung des göttlichen Symbols in der sechsten Szene des zweiten Aktes. Der „Raum“ vor der Sonne wurde zum zweiten Mal durch die Eingeborenen mit Goldschätzen aufgefüllt, und nun folgte "The Rape of the Sun". Die Spanier fielen respektlos über die Sonne her, deren

Stöhnen sie wie ein verwundetes Tier erscheinen ließ, und brachen ihre goldenen Strahlen heraus. Durch diese Verwüstung der heiligen, prunkvollen Inkasonne, von der nur ein kalter Metallrahmen übrig blieb, wird die schreckliche Zerstörung nochmals eindringlich versinnbildlicht. Als Vasca kurze Zeit später eine riesige goldene Sonne hereinrollt, sagt er: „ [...] He ain´t public any more, the old sun. He´s private property!“ (RHS, 69) Er hat den Inkagott von dem Dach des Tempels und dem Inkavolk damit ihre Religion gestohlen. Die Gier nach Gold und Macht und der Wunsch nach Erniedrigung der fremden Kultur haben sich in dieser Szene verstärkt gezeigt.

Den Eingeborenen wird nichts mehr bleiben, selbst ihr König wird von den Eroberern getötet werden.

IV. Schlussbemerkung

Wie Dieter Schulz zu Beginn seines Aufsatzes über Shaffers The Royal Hunt of the Sun bemerkt, ist es schwierig, ein Theaterstück anhand des Dramentextes zu analysieren, das besonders durch seine außersprachlichen Elemente hervorzustechen scheint.26 Dies trifft natürlich insbesondere zu, wenn man sich speziell mit optischen Aspekten der theatralischen Umsetzung beschäftigen will. Dank Shaffers detaillierter Beschreibung der Inszenierung im Vorwort der von mir benutzten Ausgabe von RHS, wird die Kluft zwischen Text und Inszenierung deutlich kleiner. Es war so relativ gut möglich, auf die Funktion des Bühnenbildes einzugehen, ohne die Inszenierung gesehen zu haben. Andererseits kann eine bloße Textrezeption, auch wenn man sie durch Augenzeugenberichte und Fotografien von der Aufführung zu vervollständigen sucht, nicht annähernd die lebendige Erfahrung einer Theatervorstellung ersetzten; und möglicherweise bleibt es dem Dramenleser vorenthalten, das Stück in seiner Komplexität ganz zu erfassen. Diese Auffassung fand ich von Leonard Cabell Pronko bestätigt:

„The work[s] of [...] Shaffer, when read, may strike us as puzzling, conventional, chaotic, or just plain dull. When [...] Royal Hunt Of the Sun find[s] [its] real existence in performance, however, [it] come[s] alive, revealing facets not apparent in the reading; [...] [it] become[s] deeply moving and meaningful, and [is] even capable of bringing about in us the essential change that Artaud considered necessary to theatrical experience.“27

Es würde einer Inszenierungsanalyse mit Sicherheit Substanz verleihen, wenn man sich die relevante Aufführung persönlich ansehen könnte, oder wenigstens auf eine filmische Aufzeichnung des Stückes zurückgreifen könnte. Aber selbst dies würde der ChichesterInszenierung von The Royal Hunt of the Sun vermutlich nicht gerecht werden.

V. Bibliographie

- Cabell Pronko, Leonard. 1967. Theater East and West. Cambridge: CUP.

- Fehse, Klaus-Dieter et al. (eds.) 1975. Das zeitgen ö ssicshe englische Drama. Einf ü htung, Interpretation, Dokumentation. Frankfurt a.M.: Fischer.

- Hinchliffe, Arthur.1974. British Drama from 1950 to 1970. Oxford: OUP.

- Hutchings, William. Revitalised Ritual and Theatrical Flair: the Plays of Peter Shaffer. In: Achson, James (ed.) 1993. British and Irish Drama since 1960. London: Macmillan.

- Kerensky, Oleg. 1977. The New British Drama. 14 Playwrights since Osborne and Pinter. London: Hamish Hamilton.

- Klein, Dennis A. 1993. Peter Shaffer, Revised Edition. New York: Twayne. (=TEAS)

- Osterwalder, Hans: „Zwischen epischem und totalem Theater: Peter Shaffers Suche nach dem Numinosen“. In: Zeitschrift f ü r Anglistik und Amerikanistik 43, No.3 (1995)

- Plunka, Gene A. 1988. Peter Shaffer. Roles, Rites, and Rituals in the Theater. London: Toronto: Associated University Presses.

- Salem, Daniel. 1969. La Revolution theatrale actuelle en Angleterre. Paris: Denoel.

- Schnierer, Paul. 1997. Modernes englisches Drama und Theater seit 1945. Eine Einf ü hrung. Tübingen: Narr.

- Schulz, Dieter. Peter Shaffer: The Royal Hunt of the Sun. In: Bock, Hedwig& Albert Wertheim (eds.) 1986. Essays on Contemporary British Drama. München:Hueber.

- Watschke, Ingeborg. 1976. Erscheinungsformen der Grausamkeit im zeitgen ö ssischen englischen Drama. Frankfurt a.M.: Peter Lang.

- Hawkins-Dady, Mark (ed.) 1992. International Dictionary of Theater. London: St. James Press.

Quelle: Shaffer, Peter. The Royal Hunt of the Sun. 1981. London: Penguin.

[...]


1 Osterwalder, S.234

2 ders., S.236

3 Schnierer, S.74

4 Watschke, S.7

5 Hawkins-Dady, S. 16

6 Watschke, S.4

7 Schulz, S.107

8 Osterwalder, S.234

9 Plunka, S.50

10 Osterwalder, S.236

11 Hinchliffe, S.54

12 Hutchings, S.34

13 Schnierer, S.74

14 Plunka, S.96

15 Schnierer, S.74

16 z.B. Osterwalder, S. 234f

17 ebd.

18 Plunka, S.101

19 Salem, S.134

20 Schulz, S.110

21 ders., S.111

22 Watschke, S.88

23 dies., S.87

24 Hutchings, S.37

25 Hutchings, S.36

26 S. 107, Schulz

27 Cabell Pronko, S.186f

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Die Bühne von Peter Shaffer - The Royal Hunt of the Sun
Hochschule
Universität zu Köln
Veranstaltung
Proseminar Literaturwissenschaft
Note
1,7
Autor
Jahr
1999
Seiten
14
Katalognummer
V106398
ISBN (eBook)
9783640046775
Dateigröße
452 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bühne, Peter, Shaffer, Royal, Hunt, Proseminar, Literaturwissenschaft
Arbeit zitieren
Britta Lühr (Autor:in), 1999, Die Bühne von Peter Shaffer - The Royal Hunt of the Sun, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106398

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