Produktanalyse Serie - Das Beispiel "Lindenstraße"


Seminararbeit, 2002

18 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Thema
1.2 Vorgehensweise

2 Die Fernsehserie

2.1 Definition
2.2 Geschichte der Fernsehserie

3 ,,Lindenstraße"
3.1 Hintergrund
3.2 Produktionsbedingungen
3.3 Dramaturgie
3.3.1 Aufbau
3.3.2 Zeit
3.3.3 Ort/Raum
3.3.4 Personen
3.3.5 Themen
3.4 Realitätsanspruch

4 Fazit

5 Literatur

1 Einleitung

1.1 Thema

Noch nie war das Angebot an Fernsehserien so groß wie im Moment. Die Vielzahl der verschiedenen deutschen und amerikanischen Serien läßt sich im Programm der deutschsprachigen Sender schwerlich überblicken.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Programmform der Fernsehserie - untersucht am Beispiel ,,Lindenstraße". In diesem Zusammenhang soll insbesondere auf den von den Produzenten erhobenen Realitätsanspruch der Serie eingegangen werden.

1.2 Vorgehensweise

Die vorliegende Arbeit setzt sich aus zwei Teilen zusammen.

Teil I befaßt sich mit der Programmform der Serie im allgemeinen. Nach einer Begriffsdefinition folgt ein historischer Überblick unter besonderer Berücksichtigung der Seriengeschichte der Bundesrepublik Deutschland.

In Teil II beschäftige ich mich mit der deutschen Fernsehserie ,,Lindenstraße". Mit Hilfe der Begriffsdefinition aus dem ersten Teil werde ich hier v.a. die Seriendramaturgie analysieren und den Realitätsanspruch prüfen.

2 Die Fernsehserie

2.1 Definition

Was man unter dem Begriff der Fernsehserie zu verstehen hat, ist medienwissenschaftlich umstritten.1Allerdings läßt sich zumindest eine Minimaldefinition herausarbeiten, die den meisten Ansprüchen gerecht wird: Die Serie ist ,,eine fiktionale Produktion, die auf Fortsetzung hin konzipiert und produziert wird, die aber zwischen ihren einzelnen Teilen verschiedene Verknüpfungsformen aufweist."2

Anhand der verschiedenen Verbindungen werden drei Idealtypen unterschieden: der Mehrteiler, die Sendereihe und die (Endlos-)Serie.3

Ein Mehrteiler erzählt eine abgeschlossene Geschichte, die auf mehrere zumeist gleich lange Teile aufgeteilt ist. Er ist lediglich auf dieses Ende hin ausgerichtet, gewissermaßen wie ein Film, der episodenhaft gesendet wird.4Er ist von Anfang an auf eine bestimmte Anzahl von Sendeterminen festgelegt.5Die Fernsehweihnachtserzählung ,,Anna" ist ein Beispiel für diese Programmform.

Eine Sendereihe ist eine narrative Programmform mit in sich abgeschlossenen Episoden.

Dabei bleiben die Hauptprotagonisten und die Grundsituation in jeder Folge gleich.6Dies ist z.B. bei ,,Derrick" der Fall.

Die Serie dagegen ist auf Unendlichkeit hin konzipiert. Sie erzählt in ihren einzelnen Folgen keine abgeschlossenen Geschichten.7

Mikos führt in seiner Seriendefinition weitere Kategorien für die Endlosserie an. Er spricht von Regelmäßigkeit (ein fester Sendetermin, damit der Zuschauer die Serie in seinen Alltag integrieren kann) und Gleichzeitigkeit der fiktiven und der realen Zeit. Die Handlung sei zukunftsorientiert und durch das Verweben einzelner Geschichten geprägt. Die Protagonisten seien durch eine soziale und räumliche Gemeinschaft miteinander verbunden.8Dies alles trifft auf viele Serien zu - unter anderem auch auf die ,,Lindenstraße" (s.u.). Allerdings wären andere Serien nach dieser Definition gar keine. Die deutsche Daily-Soap ,,Gute Zeiten Schlechte Zeiten" beispielsweise zeichnet sich gerade durch eine Ungleichzeitigkeit der fiktiven und der realen Zeit aus. Das Leben der Serienfiguren läuft nicht parallel zu dem der Zuschauer.

Einschränkend muß festgestellt werden, daß es sich hier um rein formale Definitionen handelt, die der enormen Vielzahl an Realisationen dieser Programmform nicht gerecht werden können. So gibt es z.B. zahlreiche Mischformen, die sowohl aus fortlaufenden, wie auch aus abgeschlossenen Handlungselementen bestehen (z.B. ,,Die Schwarzwaldklinik").9 Der Unterscheidung von Sendereihen und Serien entspricht im anglo-amerikanischen Sprachraum die Unterscheidung zwischen ,,series" (abgeschlossene Folgen) und ,,serial" (fortlaufende Handlung).10

2.2 Geschichte der Fernsehserie

Die Praxis, Geschichten in Fortsetzungen zu erzählen, ist nicht erst eine Erfindung des Fernsehens. Vielmehr setzt das Fernsehen eine schon lange bestehende Tradition - insbesondere in der Literatur - fort. Hier liegen die Anfänge vor allem in der sogenannten Kolportageliteratur, die im 17. Jahrhunderts von Hausierern feilgeboten wurde und deren Tradition in den heutigen Groschenheften fortlebt.11Auch im 19. Jahrhundert läßt sich die Tradition des Erzä hlens in Fortsetzungen finden. Der sogenannte Feuilletonroman erfreute sich großer Beliebtheit bei der Leserschaft. Dabei handelte es sich um Zeitungsromane, die in Fortsetzungen gedruckt wurden. Sie sind auch heute noch ein fester Bestandteil nahezu aller großen Zeitungen.12Die ältesten überlieferten Beispiele serieller Unterhaltung sind nach Hickethier die Gesänge Homers und die Geschichten aus 1001 Nacht.13

Ein weiterer Vorläufer der Fernsehserie ist die amerikanische Radioserie: die Radio-Soap- Opera, aus der sich nach Einführung des Fernsehens in den USA die Fernseh-Soap-Opera entwickelte. Die Radioserie in den USA war durchschnittlich 15 Minuten lang und wurde täglich (meistens vormittags) ausgestrahlt. Sie war auf Fortsetzung hin konzipiert und vornehmlich als Werbeträger gedacht: Das Zielpublikum waren Hausfrauen, die die beworbenen Produkte kaufen sollten. Werbesponsoren waren oft Waschmittelhersteller, worauf dann auch der Name dieses Ge nres zurückzuführen ist.14

Auf die bundesdeutsche Fernsehlandschaft hatte die US-amerikanische Soap-Opera anfänglich allerdings keinen großen Einfluß. Da der Rundfunk zu diesem Zeitpunkt noch öffentlich-rechtlich organisiert war, gab es keinen vergleichbaren kommerziellen Rahmen für die Einbettung von Werbung.

In Deutschland war es die Familienserie, die zu Beginn des Fernsehens das Programm prägte. Allerdings hatte auch hier das Radio mit Formen der Radiofamilienserie vorgearbeitet.15 Die Familienserie läßt sich formal von dem Genre der Soap-Opera abgrenzen, da ihre einzelnen Episoden meistens in sich abgeschlossen sind.

Die Familienserien der 1950er und frühen 1960er Jahre waren stark regional geprägt und thematisierten den bundesdeutschen Alltag während der Zeit des Wirtschaftswunders. Im Mittelpunkt stand eine Familie bzw. ein ihr angegliederter Betrieb. Dabei wurde die Familie als ,,heile Welt" vorgeführt, die ihren Mitgliedern Schutz vor möglichen Einwirkungen von außen bot. Konflikte wurden im Mikrokosmos der Familie schnell und ohne nachhaltige Konsequenzen gelöst - am Ende der Folge war der zu Anfang präsentierte harmonische Zustand erneut wieder hergestellt.16

Diese Serien präsentierten Verhaltensnormen bzw. -anleitungen, die für damalige Verhältnisse maßgebend waren.17Sie erfüllten eine Ratgeberfunktion für den Zuschauer.18 Als die wichtigsten Vertreter dieser Form der Familienserie sind zu nennen: ,,Unsere Nachbarn heute Abend: Die Schölermanns" (1954), ,,Die Firma Hesselbach" (1960) und ,,Der Forellenhof" (1965).

Aufgrund der Zulassung von Werbung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (1957) und der Einführung des ZDF (1963) wurden zu Beginn der 1960er Jahre verstärkt englische und amerikanische Serien eingekauft.19Diese Serien (vor allem Tier-, Western- und Kriminalserien wie ,,Fury", ,,Bonanza" und ,,Perry Mason") erfreuten sich in der Bundesrepublik sehr großer Beliebtheit und ,,ihr anhaltender Erfolg, aber auch der Zuschauerwunsch nach deutschen Darstellern ... initiierte die Produktion deutscher Serien."20

Diese wiederum griffen die amerikanischen Vorbilder auf, paßten sich aber auch den bundesdeutschen Zuschauerbedürfnissen an und bemühten sich, einen eigenen Stil zu entwickeln.21An dieser Stelle sei auf die deutschen Kriminalserien ,,Der Kommissar" (ZDF 1969) und ,,Tatort" (ARD 1970) verwiesen.

Zu Beginn der 1970er Jahre kam es zu einer Umorientierung im Bereich der Serienproduktion. Ausschlaggebend waren die gesellschaftlichen Umwälzungen der Studentenbewegung. So kam es zum Versuch, gesellschaftskritische Themen und Inhalte über die Programmform der Fernsehserie zu transportieren. Rainer Werner Fassbinders ,,Acht Stunden sind kein Tag" (1972) und ,,Ein Herz und eine Seele" (1973) lösten sich vom "Familienidyll" der 1950er Jahre und thematisierten gesellschaftliche Konflikte. Das Interesse des Publikums an derartigen Sendeformen sank allerdings bereits Mitte der 1970er Jahre.

In den 1980er Jahren kam es zu einem enormen Anstieg von Fernsehserien im bundesdeutschen Fernsehprogramm (,,Serienboom"). Grund war zum einen die sich ankündigende Einführung des privatrechtlichen Rundfunks (Serien als Rahmen für Werbung), zum anderen der Erfolg der beiden US-amerikanischen Serien ,,Dallas" (ARD 1981) und ,,Denver-Clan" (ZDF 1983)22, die bei den Fernsehzuschauern beide sehr beliebt waren.23In diesen Prime-Time-Operas, die nun auch ein männliches Publikum ansprechen sollten24, standen amerikanische ,,Familien-Großkonzerne" im Mittelpunkt, ihre Machenschaften und Intrigen.

Vor dem Hintergrund dieser beiden Serien entstand in Deutschland eine ,,neue Seriengeneration".25Die Dramaturgie der amerikanischen Vorbilder (Endlosigkeit bei gleichzeitiger Abgeschlossenheit der Folgen) wurde mit deutschen Themen und Schauplätzen kombiniert. So kann ,,Die Schwarzwaldklinik" (ZDF 1985) als direkte Reaktion auf den Erfolg von ,,Dallas" und ,,Denver" gesehen werden.26 In den 1990er Jahren erfuhr die deutsche Serienlandschaft - durch die Weiterentwicklung des Dualen Rundfunksystems - eine weitere Ausdifferenzierung. Immer mehr US-amerikanische Serien wurden eingekauft, ausgestrahlt, wiederholt. Somit fand eine Angleichung der Programmstrukturen an das amerikanische Vorbild statt.27

3 ,,Lindenstraße"

3.1 Hintergrund

Im Dezember 1985 startete die ARD die erste in Deutschland produzierte Endlosserie: Die ,,Lindenstraße". Sie wird seitdem immer Sonntags von 18:40 - 19:10 Uhr im Ersten ausgestrahlt und in fast allen Dritten Programmen wiederholt. Dieser Sendeplatz ist seit 1985 gleich geblieben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten (aufgrund der schlechten Qualität der ersten Folgen) stellte sich doch noch Erfolg ein: Eine stabile Sehbeteiligung und Marktanteile von weit über 30% prägten die Anfangsphase der Serie.28Es wurde von der erfolgreichsten deutschen Fernsehserie gesprochen.29

Auch heute kann sich die ,,Lindenstraße" in der Vielzahl des Serienangebots, das sich vor allem nach Einführung des Privatfernsehens einstellte, ,,behaupten". So wurde die ,,Lindenstraße" im Januar 2002 von 5,55 Millionen Zuschauern gesehen, was einem Marktanteil von 19,7% entspricht. Der Durchschnittswert für das Jahr 2001 liegt bei 20,0% (4,68 Millionen Zuschauer).30So kann auch von Absetzung keine Rede sein: Der aktuelle ,,Lindenstraße"-Vertrag mit der ARD läuft bis zum Jahr 2005 (einschließlich Folge 1044).31

Direktes Vorbild für die ,,Lindenstraße" war die sehr erfolgreiche sozialrealistische britische Langzeitfernsehserie ,,Coronation Street", die im Yorkshirer Arbeitermilieu spielt32und nach über 40 Jahren auch heute noch erfolgreich in Großbritannien läuft.33

Indirekt ist die ,,Lindenstraße" sicherlich auch von den deutschen Familienserien der 1950er und frühen 1960er Jahren beeinflußt. Darüberhinaus lassen sich auch sozialkritische Ansprüche, wie sie charakteristisch waren für die Familienserie der 1970er Jahre, finden.34Die ,,Lindenstraße" macht den Alltag eines Münchner Mietshauses (Lindenstraße Nr. 3) zum Thema. Erzählt wird von den Bewohnern dieses Hauses und der restlichen Straße. Aus dem Zusammenleben und der Interaktion der Figuren ergibt sich die Vielzahl der erzählten Geschichten.

3.2 Produktionsbedingungen

Die ,,Lindenstraße" wird im Auftrag der ARD von der Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion (GFF) und dem WDR produziert.35Der WDR stellt die Räumlichkeiten auf seinem Betriebsgelände in Köln-Bocklemünd zur Verfügung. Hier befindet sich die Außenkulissen und das Studio. Pro Folge werden vier Drehtage benötigt, dazu kommt ein Tag für die technische Nachbearbeitung (Feinschnitt, Tonbearbeitung). 80% der Serienhandlung werden in Studios gedreht, 15% spielen in der Außenkulisse und 5% werden an Originalschauplätzen inszeniert. Gedreht wird - mit Ausnahme einer 5-wöchigen Sommerpause - das ganze Jahr über. So ist die ,,Lindenstraße" im Dreh der tatsächlichen Zeit um ca. zehn Wochen voraus. Die Kosten für eine sendefertige Folge belaufen sich auf rund 185.000 €.36

Zur Zeit werden die Geschichten der ,,Lindenstraße" von einem 3-köpfigen Autorenteam erarbeitet. Zweimal im Jahr finden sich die AutorInnen - darunter der ,,Erfinder" der Serie Hans W. Geißendörfer - zu einer Klausursitzung zusammen. Hier werden ihre Ideen zu sogenannten Story-Lines verbunden. Diese Vorform der Drehbücher wird dann im folgenden von den AutorInnen weiter ausgearbeitet. Die entwickelten Drehbücher sind der aktuellen Produktion etwa um ein Jahr voraus.37Bisher haben insgesamt 18 Autoren für die ,,Lindenstraße" geschrieben.38

Nachdem Geißendörfer in den ersten 31 Folge selbst Regie führte, ist die wetere Produktion durch einen ständigen Wechsel der Regisseure bestimmt.39

Die ,,Lindenstraße" wird elektronisch und mit mehreren Kameras gleichzeitig produziert. Jede Szene wird dabei von den Schauspielern gewissermaßen ,,live" gespielt, während drei bis vier Kameras das Geschehen aufzeichnen. Diese Kamerabilder werden bereits während des Drehs gemischt und erst dann auf Magnetband aufgezeichnet.40Das Verfahren der Videoproduktion gewährleistet eine verhältnismäßig preiswerte Produktion, da zum einen das Material billiger ist und zum anderen eine schnelle Arbeitsweise ermöglicht wird.41

3.3 Dramaturgie

Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit einer theoretischen Betrachtung der Dramaturgie der ,,Lindenstraße". Einzelne Aspekte werden anhand der aktuellen Folge vom 17.02.2002 (Folge 846: ,,Das Tuch") verdeutlicht. In diesem Zusammenhang werde ich auch auf Neuerungen in der Dramaturgie eingehen.

3.3.1 Aufbau

Wie für Serien charakteristisch, erzählt eine Folge der ,,Lindenstraße" keine abgeschlossene Geschichte. Vielmehr werden mehrere Geschichten gleichzeitig und ohne Abschluß erzählt. In jeder ,,Lindenstraße"-Folge gibt es drei Handlungs- oder Erzählstränge, die sich in unterschiedlichen Stadien der Erzählung befinden. Die Erzählstränge können sowohl Hauptals auch Nebenhandlungsstrang sein, wobei sich die Zuordnung aus dem Anteil an der Gesamtzeit der jeweiligen Folge ergibt.42

Auch die vorliegende Beispielfolge (28:44 min Gesamtlänge) setzt sich nach diesem Prinzip aus drei Handlungssträngen zusammen. In Handlungsstrang A (11:11 min) wird die Hauptgeschichte erzählt. Es geht um Streitereien in der Wohngemeinschaft in Haus Nr. 3. Die Handlung ist spannend, die Erzählweise schnell. Der B-Strang (9:01 min) erzählt wie sich Alexander Behrend und Lisa Hoffmeister ineinander verlieben.

Auch diese Geschichte ist spannend, allerdings nicht annähernd so dramatisch, so daß sie die Wirkung der Hauptgeschichte nicht relativiert. Der dramatische Höhepunkt der B-Geschichte folgt erst in einer der nächsten Folgen.43Der dritte Erzählstrang (7:28 min) bereitet wahrscheinlich eine größere Geschichte vor und ist eher heiter und witzig: Mutter Beimer erhält Liebesbriefe von einem heimlichen Verehrer.

Die drei Handlungsstränge (HS) sind auf der nächsten Seite graphisch dargestellt.

In der ,,Lindenstraße" gibt es nicht nur diese drei Handlungsstränge. Vielmehr ist die Anzahl der verschiedenen Erzählstränge nicht zu überblicken. Teilweise werden sie über Monate hinweg ausgesetzt, um dann ganz überraschend doch wieder aufgenommen zu werden.

Dieses Prinzip ist fortlaufend: Gelangt ein Handlungsstrang zu einem Ende, dann nur, um aus diesem Ende einen neuen Handlungsstrang zu entwickeln.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie man aus der Darstellung des Folgenaufbaus ersehen kann, sind die drei Erzählstränge einer Folge nicht hintereinander angeordnet, sondern ineinander verzahnt.

Die vier Bausteine einer Folge werden mosaikartig ineinander verwoben. Das heißt: Strang A wird nicht 10 bis 12 Minuten lang am Anfang einer Folge chronologisch entwickelt und dann durch die Geschichten und Figuren aus Strang B abgelöst, dieser danach wiederum vom nächsten Kapitel.

Vielmehr müssen alle drei Stränge so nahtlos wie möglich, aber auch so wirkungsvoll wie möglich verzahnt erzählt werden, und zwar durch ganz bestimmte Handgriffe innerhalb einer erkennbaren Ordnung.

Am besten vergleicht man dieses ,,In-oder-Miteinander-Verwoben-Sein" der drei Stränge mit einem Zopf, der aus drei Haarsträngen oder aus drei unabhängig voneinander bereitliegenden Seilen geflochten wird. Am Ende des Zopfes wird eine Schleife gebunden, die alles zusammenhält. Diese Schleife ist der Cliff. Das Bild eines Zopfes ist deswegen zutreffend, weil es die Vereinigung von drei an sich getrennten Teilen deutlich macht. Ein Zopf ist ein Ganzes, seine drei Teile werden vordergründig nicht bemerkt.

·Geißendörfer 1995, S. 14_

Die nahtlose Verbindung der drei Handlungsstränge erreicht man in der Praxis v.a. durch das Zusammenführen von Personen. In diesen sogenannten ,,Mischszenen" treffen sich Figuren (zufällig) an öffentlichen Plätzen44, so daß ein Handlungsstrang den anderen ablöst bzw. zeitweise in ihm mündet.45In der untersuchten Folge werden Handlungsstrang A und B z.B. über den gemeinsamen Arbeitsplatz von Helga Beimer und Alexander Behrend (das Reisebüro ,,Ehrlich Reisen") miteinander verbunden.

Ein weiteres wichtiges Mittel zur Verknüpfung ist Musik.46In der vorliegenden Beispielfolge hören Alex und Lisa ein Liebeslied, als sie sich näherkommen. Dieses Lied ist auch nach dem Szenenwechsel zur Figur des David zu hören, der (wegen Lisa) mit Liebeskummer zu Hause sitzt.

Eine weitere wichtige Kategorie des Aufbaus ist nach Geißendörfer der sogenannte Cliffhanger. Der Begriff stammt aus frühen Stummfilmserien der US-amerikanischen Kinos. Die einzelnen Folgen endeten in der Regel mit Szenen, in denen der Held tatsächlich an einer Klippe oder einem Felsen hing und herunterzufallen drohte.47Der Cliffhanger ist die letzte Szene einer Folge und stellt einen abrupten Handlungsabbruch an einem besonders spannenden Punkt der Erzählung dar.

Diese Dramatisierung erfolgt in der ,,Lindenstraße" durch das Heranzoomen des Gesichts des Protagonisten. Letztlich ist sein Gesicht, auf dem sich die Gefühle überdeutlich spiegeln, nur noch in Großaufnahme zu sehen und wird einen Moment lang ,,eingefroren". Zusätzlich ertönt die typische ,,Lindenstraße"-Melodie, die diesen Emotionalisierungseffekt weiter verstärkt. Oft gipfelt die Spannungssteigerung in einer unbeantworteten Frage, die dem Protagonisten gestellt wird. Der Cliffhanger soll die Aufmerksamkeit für den Handlungsstrang, aus dem er entwickelt wird, aufrecht erhalten. Der Zuschauer soll animiert werden, die Serie weiterzugucken.48

Charakteristisch für die ,,Lindenstraße" ist auch die Verwendung von Minicliffs am Ende einzelner Szenen. Sie sollen innerhalb der jeweiligen Folge die Weiterentwicklung eines Handlungsstrangs offen halten und Spannung aufbauen.

3.3.2 Zeit

Ein besonderes Charakteristikum der ,,Lindenstraße" ist die ,,tatsächliche Zeit".49Gemeint ist die Parallelität zwischen der fiktiven Zeit der Serie und der realen Zeit der Zuschauer. Eine Folge ,,Lindenstraße" spielt immer am Donnerstag vor der Ausstrahlung, hat also den begrenzten Zeitraum von 24 Stunden zur Verfügung.

Zwischen zwei Folgen vergeht auch in der Serie die Zeit gemäß der realen Zuschauerzeit.

Ereignisse, die sich zwischen den beiden Donnerstagen abgespielt haben, können nicht dargestellt werden. Sie müssen im Off miterzählt werden, z.B. in Gesprächen der Protagonisten.50Was genau passiert ist, bleibt der Vorstellungskraft der Zuschauer überlassen. Dies wird besonders deutlich beim Cliffhanger. Eine Folge beginnt nicht in der Situation, in der man die Protagonisten in der vorangegangenen Folge verlassen hat. Die vergangene Zeit muß berücksichtigt werden. Im Gegensatz zu anderen deutschen Serien (z.B. ,,Gute Zeiten Schlechte Zeiten") sieht man also nicht die Auflösung des Cliffhangers, sondern lediglich die Konsequenzen.

Die Gleichzeitigkeit von fiktionaler und realer Zeit manifestiert sich v.a. in der Darstellung der Jahreszeiten und den verschiedenen Ereignissen, die der Jahresablauf mit sich bringt. So werden Oster- und Weihnachtsvorbereitungen ebenso dargestellt wie aktuelle, reale Ereignisse.51

Aber auch innerhalb der jeweiligen Folge folgt die Dramaturgie einem chronologischen Zeitablauf: Die Handlungsstränge werden nicht zeitlich parallel erzählt. Da es keine Parallelmontagen gibt, muß auch hier die Logik der vergangenen Zeit berücksichtigt werden. Kehrt man zu einem Handlungsstrang zurück, dann trifft man die Personen nicht in der gleichen Ausgangssituation an, in der man sie verlassen hat.52

Die Zeit schreitet also innerhalb einer Folge und innerhalb der Endlosigkeit der gesamten Serie sukzessiv voran.53

Nach Geißendörfer wird die Zeit in der ,,Lindenstraße" aufgrund des oben erläuterten Prinzips nicht manipuliert. Im Gegensatz zu anderen Serien wird nicht ,,...verkürzt, auf den Kopf gestellt, rückgeblendet und vorgeblendet."54Gerade hier läßt sich allerdings in der letzten Zeit eine Veränderung hin zur Verwendung von zeitlichen Rückblenden beobachten: In der vorliegenden Beispielfolge erinnert sich die Figur der Tanja Schildknecht in einer Rückblende an ihren verstorbenen Vater. Vielleicht ist diese Entwicklung ein Ausdruck der Anstrengungen der ,,Lindenstraße", ,,mit der Zeit zu gehen" und sich anderen Erzählprinzipien zu öffnen.

3.3.3 Ort/Raum

Der eigentliche Ort der Handlung ist in der ,,Lindenstraße" eine Wohnstraße in München. In dieser Straße spielen sich die Geschichten ab. Der größte Teil der Handlung ereignet sich dabei in den Wohnungen und im Treppenhaus des Hauses Nr. 3. Aber auch andere Räume bilden den Hintergrund für Geschichten. Zu nennen sind hier v.a. die ,,öffentlichen Räume" der Lindenstraße. Gemeint sind Treffpunkte, an denen Figuren zusammengeführt und somit Handlungsstränge verknüpft werden. Dies erklärt die hohe Anzahl von Geschäften und Gaststätten in der ,,Lindenstraße". So gibt es einen Friseursalon, eine Arztpraxis, eine Eisdiele, einen Bäcker, einen bayrischen Imbiß, einen Antiquitätenhändler, ein griechisches Restaurant, etc..

Geißendörfer spricht im Zusammenhang mit dem Ort der ,,Lindenstraße" von ,,Schauplatzgenauigkeit", da der Raum der Lindenstraße dem Erfahrungsbild des Normalbürgers angenähert sei. Auch dessen Leben spiele sich vornehmlich zwischen Arbeitsplatz, Wohnung und Stammkneipe ab.55

Seit neuestem sind in der ,,Lindenstraße" Veränderungen des Raumes aufgetreten. So gibt es seit dem 05.03.2000 einen zweiten Schauplatz. In Folge 744 (,,Zimmer frei")56wird eine Dresdner Wohngemeinschaft vorgestellt. Hier werden in den nächsten Folgen erst Philipp Sperling und dann auch Klaus Beimer einziehen.

Aus dieser Situation des ,,Miteinander-Lebens " werden vielfältige Handlungsstränge abgeleitet und weiterentwickelt. Allerdings wird - wohl aus Kostengründen - weitgehend auf Außenaufnahmen verzichtet.57Der neue Schauplatz wird durch Telefongespräche und gegenseitige Besuche immer wieder mit der ,,Lindenstraße" verbunden.

3.3.4 Personen

Zur Zeit umfaßt das Ensemble der Lindenstraße 53 Schauspieler. Hinzu kommen Nebenfiguren, die lediglich in ein oder zwei Folgen eine Rolle spielen. Pro Jahr gibt es in der ,,Lindenstraße" ca. 40 große und 20 kleinere Hauptrollen sowie 130 Gastrollen. Dazu kommen rund 1.300 Komparseneinsätze.58

Haupt- und Nebenrollen lassen sich nicht explizit voneinander trennen. Allerdings gibt es eine Art ,,Stammpersonal", das den größten Anteil der Geschichten trägt.59Dazu ist z.B. Mutter Beimer zu zählen, die nicht nur von Anfang an zum festen Bestandteil der Serie gehört, sondern nahezu durchgängig Protagonistin eines Handlungsstrangs ist.

In Folge 810 (,,Glück im Unglück"), gesendet am 10.06.200160, wird Marion Beimer nach 6- jähriger Bildschirmabstinenz durch eine neue Schauspielerin ersetzt. Diese Praxis ist zwar bei anderen deutschen Serien Gang und Gäbe, in der ,,Lindenstraße" aber eher eine Ausnahme und erst in jüngster Zeit zu beobachten. In der Regel sind die Schauspieler der ,,Lindenstraße" sehr stark an ihre Figur und somit an die Serie gebunden. Undenkbar wäre beispielsweise, die Rolle der Helga Beimer oder der Else Kling mit anderen Schauspielerinnen zu besetzen.

Die Figuren wachsen mit der Serie; werden in ihr groß und älter. Insgesamt sind 14 Schauspieler seit dem Sendestart dabei, darunter Marie-Luise Marjan (Helga Beimer), Moritz A. Sachs (Klaus Beimer), Annemarie Wendl (Else Kling) und Georg Uecker (Carsten Flöter).61Geißendörfer spricht in diesem Zusammenhang von einer Identifizierung der Schauspieler mit ihrer Rolle, so daß Seriencharakter und realer Darsteller letztlich nicht mehr voneinander zu trennen sind.62

Aufgrund der großen Anzahl an Figuren müssen die Personen vom Zuschauer genau eingeordnet werden können. Dies erfolgt im Wesentlichen über die Zuschreibung von bestimmten stereotypen Rollen. So wird z.B. Helga Beimer die Rolle der fürsorglichen Mutter zugeschrieben. Für den Zuschauer ergibt sich so eine Vielzahl an Identifizierungsmöglichkeiten.63

Die Rollenzuschreibung ist allerdings nicht mit einem Mangel an Veränderbarkeit gleichzusetzen. Vielmehr beabsichtigen die Autoren der ,,Lindenstraße" eine Weiterentwicklung ihrer Figuren, aber ohne daß diese ihre grundlegenden Charaktereigenschaften verlieren. Hierfür gibt es ein großes Nachschlagewerk für das Autorenteam: Das ,,Who is Who in der Lindenstraße".64.

Hier finden sich genaue Historien des Einzelnen, sein Geburtsort, Geburtsdatum, Familienverhältnisse, Ausbildung, etc.. Akribisch werden auch im weiteren Verlauf der Serie alle Veränderungen und Entwicklungen aufgenommen. Neue Entwicklungen einer Figur müssen zuerst mit dieser Historie abgeglichen und auf Machbarkeit überprüft werden. Schließlich hat auch der Zuschauer ganz bestimmte Erwartungen an eine Figur. Abweichungen von diesen Erwartungen müssen sich durch bestimmte Schicksalsschläge bzw. die jeweilige Seriengeschichte prüfen lassen und logisch begründet werden.65

,,Alle Figuren werden irgendwann gebrochen oder gekippt oder in eine

Richtung entwickelt, die zwar aus der Biographie denkbar ist, aber die nicht unbedingt zu erwarten war..." ·aus Geißendörfer-Interview 1991, (in Korndörfer 1992, Anhang I, S.II)_

Die Figur der Tanja Schildknecht beispielsweise wurde in den frühen Folgen der Serie von fast allen ,,Lindenstraße"-Bewohnern geschnitten. Sie war das, was man gemeinhin als ,,intrigantes Biest" bezeichnet. In den aktuellen Folgen dagegen ist sie eine bei den Nachbarn sehr beliebte junge Frau. Dies ist aus ihrer Seriengeschichte wie folgt zu erklären: Die Probleme bei der Scheidung von ihrem Mann und der Verlust ihrer Freundin haben positive Auswirkungen auf ihren Umgang mit ihren Mitmenschen gehabt.

3.3.5 Themen

Die in der ,,Lindenstraße" behandelten Themen lassen sich in zwei Gruppen einteilen.66 Zum einen finden sich die auch für andere Familienserien typischen Themen zwischenmenschlicher Beziehungen wie Liebe, Krankheit und Tod. Dies ergibt sich schon aus der Grundkonstellation des Zusammenlebens mehrerer Personen in einem gemeinsamen Raum. Auf der anderen Seite zeichnet sich die Serie durch ihren aktuellen gesellschaftlichen Bezug aus.67Gesellschaftsrelevante Themen wiederum treten in zwei Formen auf. Sie können einerseits unpersönlich durch das Einspielen von Nachrichtensendungen, den Verweis auf einen Zeitungsartikel oder im Dialog der Figuren berührt werden.

Dies ereignet sich insbesondere bei sportlichen Großveranstaltungen, Bundestagswahlen oder anderen innen- und außenpolitisch relevanten Themen. In der analysierten Folge geschieht dies z.B. dadurch, daß in der Wohngemeinschaft der laufende Fernseher mit Bildern von den Olympischen Winterspielen 2002 gezeigt wird.

Folgen Kommentare von Figuren auf diese ,,Zitate", sind diese immer eher linkskritisch. Der enorme Wahlsieg von Ronald Schill im Jahr 2001 in Hamburg wurde beispielsweise von den ,,Lindensträßlern" sehr negativ bewertet. Oft wirken diese Figurenkommentare - aufgrund ihrer Loslösung vom Kontext der Serie - allerdings etwas konstruiert.

Die andere, weitaus aufwendigere Möglichkeit der Einbringung aktueller Themen ist die der Projektion auf eine bestimmte Figur. Hat sich das Autorenteam um Geißendörfer für ein bestimmtes Thema entschieden, wird ein geeigneter ,,Träger" gesucht. Findet sich keine passende Figur und ist das Thema dennoch von entscheidender Wichtigkeit, wird eine neue Figur konzipiert.68

Das wohl berühmteste Beispiel für die Anbindung eines Themas an eine bestimmte Figur ist die AIDS-Erkrankung von Benno Zimmermann in Folge 143 - gesendet am 28.08.1988.69Die relativ frühe Beschäftigung der Serie mit der AIDS-Problematik hatte eine nachweisliche Wirkung auf das Publikum.70

Kaum ein Thema wurde von der ,,Lindenstraße" ausgelassen: AIDS, Homosexualität, DownSyndrom, Arbeitslosigkeit, Sterbehilfe, Abtreibung, Drogen, Atomstrom und Rechtsradikalismus sind nur eine kleine Auswahl der behandelten Themen.

3.4 Realitätsanspruch

Die ,,Lindenstraße" stellt sich selbst den Anspruch der Realitätsnähe. Sie sieht ihre Aufgabe darin, den bundesdeutschen Alltag darzustellen und ihre Zuschauer aufzuklären. Dieser Realitätsanspruch unterscheidet die ,,Lindenstraße" von anderen Serien im deutschen Fernsehen.71

,,Wir versuchen, die alltäglichen Sorgen und Nöte der Menschen, ihre Liebes- und Beziehungsgeschichten ebenso in die Handlung zu integrieren wie aktuelle Themen aus Politik und Wirtschaft. Wenn Aids, Neonazismus, Drogensucht, die Steuerreform, die Asylantenproblematik oder Kindesmißhandlung die Menschen bewegen, dann liegt es nahe, daßauch die Bewohner der ,,Lindenstraße" hiervon betroffen sind." ·aus Geißendörfer-Interview 1996, (in: Moritz 1996, S. 25)_

Durch eine ganze Reihe von verschiedenen Merkmalen wird versucht, diesem Realismusanspruch nachzukommen.72

Als wichtigstes Kriterium kann hier das Moment der ,,Transparenz" angefühert werden.73Das heißt, daß - wie in allen fiktiven Serien - vermieden wird, den Eindruck zu erwecken, daß es sich um eine nicht-reale Produktion handelt. So sind beispielsweise nie Kameras oder dergleichen im Bild zu sehen. Dies erzeugt ein Gefühl der direkten Teilnahme des Zuschauers am Geschehen.74

Weiter spielt natürlich die oben erwähnte Schauplatzgenauigkeit eine wichtige Rolle. Alle Drehorte sind so naturgetreu wie möglich ausgestattet.

Dies trifft nicht nur auf die Außenkulisse zu, sondern auch auf die einzelnen Wohnungen, bei denen sehr penibel darauf geachtet wird, daß die Ausstattung dem jeweiligen Bewohner (finanzielle Verhältnisse, etc.) angepaßt ist.

Die Figuren erleben selten außergewöhnliche Ereignisse. Vielmehr werden vor allem die alltäglichen Tätigkeiten keineswegs ausgelassen. Geißendörfer spricht davon, daß die ,,Lindenstraße" Extreme reduziert ,,auf die wahrscheinliche Häufigkeit ihres Auftretens im ,,normalen" Lebenslauf."75

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die ,,tatsächliche Zeit" (s.o.) und die Einbindung tagesaktueller und gesellschaftlich relevanter Themen. Am Mittwoch vor der Ausstrahlung wird die aktuelle Folge, die ja 10 Wochen vorher produziert wurde, auf mögliche aktuelle Bezüge geprüft. Haben entscheidende gesellschaftliche oder politische Veränderungen stattgefunden, werden einzelne Szenen nachgedreht.76

Auch die Charakterisierung der Figuren unterstützt den Realismuseffekt. Wie im ,,wirklichen Leben" wird versucht, Veränderungen und Entwicklungen einer Person logisch zu erklären. Außerdem ist der Figurenstab dem gesellschaftlichen Leben in diesem Land stark angenähert. Gemeint sind ist hier die Altersstruktur, Schichtzugehörigkeit, etc.. So finden immer auch gesellschaftliche Randgruppen ihre Vertretung.

4 Fazit

Das ,,Realismuskonzept der Alltagsnähe"77ist durch oben genannte Faktoren sicherlich zu einem großen Teil aufgegangen. Allerdings darf der angestrebte Realismus nicht überbewertet werden. Die ,,Lindenstraße" gibt einen ,,Orientierungsrahmen" hinsichtlich verschiedener Verhaltensmodelle78, aber man darf - wie Geißendörfer selbst sagt - diesen nicht als Anleitung zur Lebenshilfe auffassen.79

Es geschieht aber immer wieder, daß Zuschauer nicht mehr zwischen Fiktion und Realität unterscheiden können. Dies belegen Briefe an die ,,Lindenstraße", in denen Zuschauer z.B. nach dem Tod einer Serienfigur in deren Wohnung einziehen wollen.80Was wohl viele Menschen vergessen, ist, daß es sich immer noch um eine Programmform der Unterhaltung handelt. Alle Darstellungen - und sind sie noch so realistisch - sind immer dem Unterhaltungsaspekt unterworfen.

Dies wird insbesondere in den neueren Folgen der Serie deutlich. In der vorliegenden Beispielfolge wird das filmische Mittel der Überblendung in der Liebesszene mit Alex und Lisa verwendet. In Kombination mit der Liebesmusik im Hintergrund wirkt diese Sequenz eher wie ein Ausschnitt aus einem Hollywood-Liebesfilm und nicht wie eine Szene aus einer deutschen Endlosserie, die eine realistische Darstellung als oberstes Ziel anstrebt.

Man könnte es letztlich auch so formulieren: Der angestrebte Realismus hilft, Information und Aufklärung einem breiten Publikumbesserzu vermitteln.

5 Literatur

Bleicher, Joan Kristin: Von der Musterfamilie zur Mietshausbesatzung. Zur Geschichte deutscher Familienserien von 1950 bis 1980. In: Arbeitshefte Bildschirmmedien 4. Wege zur Fernsehgeschichte. Hrsg. von Irmela Schneider und Bernhard Zimmermann. Universität Siegen: 1992.

Evermann, Jovan: Der Serienguide. Das Lexikon aller Serien im dt. Fernsehen von 1978 bis heute. Bd. 2. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag 1999.

Externbrink, Anneliese: Die Darstellung der Frau in der Fernsehserie ,,Lindenstraße". Magisterarbeit. Universität Köln: 1990.

Geißendörfer, Hans W.: ,,Lindenstraße" - Die Dramaturgie der Endlosigkeit. In:

,,Lindenstraße". Produktion und Rezeption einer Erfolgsserie. Hrsg. von Martin Jurga. Opladen: Westdeutscher Verlag 1995; S. 13 - 20.

Hickethier, Knut: Die Fernsehserie und das Serielle des Fernsehens. Kultur Medien

Kommunikation: Lüneburger Beiträge zur Kulturwissenschaft 2. Hrsg. von Werner Faulstich, Jens Flemming, Otfried Hoppe, Peter Stein, Dieter Stein. Lüneburg: 1991.

Hickethier, Knut: Geschichte des deutschen Fernsehens. Unter Mitarbeit von Peter Hoff. Stuttgart; Weimar: Metzler 1998.

Jurga, Martin: Zur narrativen Struktur von Fernsehserien - Das Beispiel ,,Lindenstraße". In: Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Fernsehen. Hrsg. von Bernd Ulrich Biere und Rudolf Hoberg. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1996 (Studien zur deutschen Sprache; Bd. 5); S. 163 - 180.

Korndörfer, Christoph: Gesellschaftliche Aktualität in deutschen Fernsehserien. Untersucht am Beispiel ,,Lindenstraße". Magisterarbeit. Universität Hamburg: 1992.

Krützen, Michaela: Alles Seife? Ein Arbeitsheft zur Analyse von Soap Operas. Im Auftrag von RTL-Television, Abteilung Jugendschutz. Redaktion: Karla Durchleuchter. Köln: 1998

Mikos, Lothar: Es wird dein Leben! Familienserien im Fernsehen und im Alltag der

Zuschauer. Film- und Fernsehwissenschaftliche Arbeiten. Hrsg. von Klaus-Peter Heß und Hans J. Wulff. Münster: Maks Publikationen 1994.

Moritz, Peter: Ratgeber ,,Lindenstraße"? Fernsehen zwischen Moral und Unterhatung. In: Medien Praktisch 4/96 (1996), S. 22 - 25.

Valentin, Oliver: ,,Lindenstraße". Modernes Märchen oder Wirklichkeit? Frankfurt am Main: Haag und Herchen 1992.

http://www.lindenstrasse.de (20.02.2002)

http://www.coronationstreet.co.uk (20.02.2002) http://www.corrie.net (20.02.2002)

[...]


1 Korndörfer 1992, S. 20

2 Hickethier 1991, S. 8

3 vgl. z.B. Mikos 1994, S. 136f

4 Mikos 1994, S. 136

5 Jurga 1996, S. 168

6 Mikos 1994; S. 137

7 Jurga 1996, S. 168

8 Mikos 1994, S. 135

9 Krützen 1998, S. 16

10 Ebd., S.14

11 Mikos 1994, S. 130f

12 Ebd.

13 Hickethier 1991, S.17

14 Korndörfer 1992, S. 27

15 Hickethier 1998, S. 90

16 Korndörfer 1992, S. 28

17 Hickethier 1998, S. 159

18 Bleicher 1992, S. 27

19 Korndörfer 1992, S. 33f

20 Hickethier 1991, S. 23

21 Ebd., S. 24

22 im Original: ,,Dynasty"

23 Korndörfer 1992, S. 39

24 Externbrink 1990, S. 10

25 Hickethier 1991, S.26

26 Ebd., S. 27

27 Ebd., S. 29

28 Mikos 1994, S. 236

29 vergl. z.B. Valentin 1992, S. 13

30 Angaben zu Marktanteil und Einschaltquote wurden vom Medienreferat des Ersten zur Verfügung gestellt.

31 http://www.lindenstrasse.de

32 Moritz 1996, S. 22

33 http://www.coronationstreet.co.uk http://www.corrie.net

34 Bleicher 1992, S. 26

35 http://www.lindenstrasse.de

36 http://www.lindenstrasse.de

37 Korndörfer 1992, S. 47

38 http://www.lindenstrasse.de

39 Mikos 1994, S. 237

40 Ebd.

41 Korndörfer 1992, S. 49

42 Jurga 1996, S. 171

43 Geißendörfer 1995, S. 13

44 siehe auch 3.3.3

45 Jurga 1996, S. 171

46 Geißendörfer 1995, S. 15

47 Externbrink 1990, S. 24

48 Jurga 1996, S. 174f

49 Geißendörfer 1995, S. 16

50 Ebd.

51 Vgl. auch 3.3.5

52 Geißendörfer 1995, S. 15

53 Jurga 1996, S. 170

54 Geißendörfer 1995, S. 16

55 Ebd., S. 17

56 http://www.lindenstrasse.de

57 Eine komplette neue Außenkulisse müßte hierfür erst errichtet werden.

58 http://www.lindenstrasse.de

59 Korndörfer 1992, S. 60

60 http://www.lindenstrasse.de

61 http://www.lindenstrasse.de

62 Korndörfer 1992, Anhang I, S. I

63 Ebd., S. 61

64 Geißendörfer 1995, S. 19

65 Ebd.

66 Korndörfer 1992, S. 65

67 Evermann, S. 534

68 Korndörfer 1992, S. 69

69 Valentin 1992, S. 43

70 Korndörfer 1992, S. 72

71 Valentin 1992, S. 15

72 Korndörfer 1992, S. 81

73 Hickethier 1991, S. 31

74 Ebd.

75 Geißendörfer 1995, S. 17

76 Bleicher 1992, S. 33

77 Bleicher 1992, S. 35

78 Hickethier 1991, S. 50

79 Moritz 1996, S. 25

80 Ebd.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Produktanalyse Serie - Das Beispiel "Lindenstraße"
Hochschule
Universität Hamburg
Veranstaltung
Seminar: Grundlagen des Fernsehens
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
18
Katalognummer
V106442
ISBN (eBook)
9783640047215
Dateigröße
511 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Produktanalyse, Serie, Beispiel, Lindenstraße, Seminar, Grundlagen, Fernsehens
Arbeit zitieren
Sarah Lahl (Autor:in), 2002, Produktanalyse Serie - Das Beispiel "Lindenstraße", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106442

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