Kritik zu den (Re-)Integrationsmaßnahmen in Erwerbsarbeit


Akademische Arbeit, 2016

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Das Jobcenter – öffentlicher Diskurs um ein „Bürokratiemonster“

2. Fordern und Fördern – umfangreiche Kontrolle und Existenzängste der Leistungsbezieher

3. Überwindung der Langzeitarbeitslosigkeit – Sollten die Jobcenter die Zügel lockern?

4. Literaturverzeichnis:

1. Das Jobcenter – öffentlicher Diskurs um ein „Bürokratiemonster“

Jobcenter in Deutschland stehen als Verantwortliche für die Grundsicherung von Millionen Arbeitsuchenden im öffentlichen Diskurs unter Kritik. In einem Artikel der Spreezeitung vom 23.05.2015 mit dem Titel „Die Jobcenter übernehmen die Aufgabe eines paternalistischen Staates“ äußert sich eine ehemalige Jobcenter-Mitarbeiterin zu diesem Diskurs und macht deutlich, wieso das Wort paternalistisch so gut zum System der neuen im SGB II eingebetteten Aktivierungspolitik passt. Macht und Machtausübung gegenüber denen die abhängig sind. Sie sind zentrale Eigenschaften der Situation zwischen Arbeitsvermittler und Leistungsbezieher, wenn diese sich in einem Beratungsgespräch im Jobcenter befinden und für viele der zuletzt genannten entsteht durch die ungleiche Kräfteverteilung eine unangenehme Atmosphäre bei diesen Treffen. Die ehemalige Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann war acht Jahre lang Teil des Jobcenter-Systems und spricht „in Hinblick auf die Hartz-IV-Gesetzgebungen von einem Bürokratiemonster, das betroffenen Bürgern, die gerne auch als "Kunden" bezeichnet werden, mit Misstrauen und Vorbehalten begegnet“ (Pidun 2015).

Später im Interview äußert sie weitere Kritikpunkte gegenüber den Jobcentern, die sich seit der Einführung des SGB II im Jahr 2005 wohl verschlimmert haben sollen. Sie erzählt über „die Bevormundung aber auch die Befehle eine bestimmte Tätigkeit aufzunehmen, die Chance oder eben „Nicht-Chance“ auf Qualifizierung, die z.T. eingeschränkte Wohnungsfreiheit bis hin zum Zwang, auch eine nicht gewollte Ausbildung und den Fähigkeiten entsprechend bei den jungen Menschen aufzunehmen. Beratungen oder neue Wege suchen, sind nicht per se das Schlechteste. Allerdings muss dieses auf Freiwilligkeit und mit Respekt gegenüber den Arbeitsuchenden erfolgen“ (Pidun 2015). Im Hinblick darauf, wie man das derzeitige Konzept der Jobcenter verbessern könnte hat sie eine klare Meinung: „Für die Zukunft wünsche ich mir, dass statt Hartz IV eine ausgereifte und menschliche Alternative für Arbeitsuchende und arbeitslose Menschen erschaffen wird“ (Pidun 2015)

2. Fordern und Fördern – umfangreiche Kontrolle und Existenzängste der Leistungsbezieher

Unter der Bezeichnung Jobcenter versteht man die gemeinsamen Einrichtungen und die zugelassenen kommunalen Träger des SGB II (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Servicestelle SGB II, Glossar 2016, Jobcenter). Sie haben die Aufgabe für die Grundsicherung der Leistungsbezieher nach dem SGB II zu sorgen, also die Sozialleistungen für den Lebensunterhalt zu gewährleisten (vgl. Bundesagentur für Arbeit, Organisation der Bundesagentur für Arbeit 2016), wobei der jeweilige Arbeitsvermittler oder die jeweilige Arbeitsvermittlerin den Leistungsbezieher, bei seiner Verpflichtung sich aktiv um Arbeit zu bemühen, berät und unterstützt (vgl. Bundesagentur für Arbeit, Merkblatt für Arbeitslose 2016, S. 24).

Das Kernelement dieser Unterstützung bildet das allgemeine Beratungsgespräch, in welchem den Leistungsbeziehern mit der Suche nach freien Stellen geholfen wird und Bewerbungsfortschritte besprochen, aber auch kontrolliert werden. Des Weiteren sind die Leistungsbezieher dazu aufgefordert weitere Eigenbemühungen wie „Vorsprachen bei Betrieben, die Nutzung der Job-Börse und des Serviceportals unter www.arbeitsagentur.de, die Arbeitsplatzsuche per Inserat, der Besuch von Arbeitsmarktsbörsen und Ähnliches“ (Bundesagentur für Arbeit, Merkblatt für Arbeitslose 2016, S. 24) zu erbringen. Die Art und Weise, in der diese Angebote jedoch an den Leistungsbezieher herangetragen werden, stellt eine Schattenseite des viel diskutierten Systems dar.

In dieser Arbeit werde ich mich mit der Aktivierungspolitik des SGB II beschäftigen und mit der Frage wie die verschiedenen Maßnahmen dieser Politik auf die Empfänger von Hartz IV wirken, ob das Konzept dieser Politik wirksam ist und diese wirklich dazu anregt aktiv nach Arbeit zu suchen oder ob es eher fehlschlägt und aus verschiedenen Gründen, die ich im Weiteren erläutern werde, den Leistungsbeziehern wenig hilft und mehr Frustration als Motivation bei ihnen auslöst.

In der wissenschaftlichen Arbeit „Aktivierung zu Arbeit? - Gegenstandsbezug qualitativer Forschungsansätze in der Arbeitslosenforschung in Zeiten des SGB II“ von Andreas Hirseland, Natalie Grimm und Tobias Ritter wird diese Frage ebenfalls erörtert: „Von zentraler Bedeutung ist dabei, ob und unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen es zu jener gesetzlich intendierten Überwindung von Hilfebezug durch (Re-) Integration in Erwerbsarbeit kommt oder im Gegenteil zu einer immer auch institutionell mitbedingten Verstetigung von Hilfebedürftigkeit und/oder jener in der welfarization-Debatte unterstellten subjektiv mentalen Verfestigung eines Selbstbildes als Wohlfahrtsempfänger und daraus abgeleiteter Erwartungshaltungen und Lebensführungsmuster“ (Hirseland u.a. 2010, S. 73).

Dieses Übernahme eines Selbstbild als Wohlfahrtsempfänger und die damit verbundene Aussichtslosigkeit ihrer Situation empfindet auch Frau Zaun, eine der interviewten Untersuchungspersonen deren Fall in der „Analyse der Situation des Hilfebezugs“, (Hirseland u.a. 2010, S. 78) in der wissenschaftlichen Arbeit von Hirseland u.a. vorgestellt und in dieser dokumentiert wurde: „Die Befragte ist inzwischen 54 Jahre alt, knapp sieben Jahre im Leistungsbezug und sieht für sich aufgrund ihres Alters kaum Chancen, auf den ersten Arbeitsmarkt zurückkehren“ (Hirseland u.a. 2010, S. 81). Gleichzeitig klagt sie den Umgang ihrer zuständigen Sachbearbeiterin mit ihr an, welcher ihrer individuellen Situation nicht gerecht zu werden scheint: Demnach „berichtet sie nun, dass sie den Druck ihrer Fallbearbeiterin, sich häufiger zu bewerben als Zumutung empfindet. Sie ist der Meinung, dass es für „Über 50-Jährige“ ein bedingungsloses Sozialgeld geben sollte und ältere Hilfebezieher aus dem Aktivierungsdruck herausgenommen werden sollten. Sie deutet ihre Situation als chancenlos und wünscht sich eine gesellschaftlich und institutionell akzeptierte Form der Lebensführung im Hilfebezug (Hirseland u.a. 2010, S. 81). Frau Zaun ist mit dem derzeitigen Konzept der Wiedereingliederung von Leistungsbeziehern in Erwerbsarbeit der Jobcenter unzufrieden und wünscht sich eine zu ihrer Lebenssituation passende Modifikation des Systems. Sie kann jedoch aktuell nichts anderes tun, als sich an die Anweisungen der Jobcenter zu halten.

Aus der wissenschaftlichen Arbeit von Hirseland u.a. lässt sich deutlich entnehmen, dass eine derartige Forderung wie sie Frau Zaun in ihrer Befragung äußert, in der Strategie des Forderns und Förderns keine Beachtung findet. Die Autoren berichten hier von einer „expliziten Betonung jener auf Erhaltung und Förderung von Beschäftigungsfähigkeit und Erwerbsintegration gerichteten ‚aktiven’ Leistungen gegenüber den materiellen (‚passiven’) Unterstützungsleistungen aus. Vermieden werden sollen passivierende Gewöhnungseffekte, die einem länger anhaltenden Bezug staatlicher Transferleistungen zugeschrieben werden “ (Hirseland u.a. 2010, S. 73). Durch die Eingliederungsvereinbarung bzw. der schriftlichen Festsetzung der Eigenbemühungen zwischen dem Jobcenter und dem Arbeitssuchenden werden bestimmte durch den Leistungsbezieher verpflichtend zu erbringende Bemühungen, um möglichst schnell wieder in Erwerbsarbeit einsteigen zu können, festgelegt. Diese Bemühungen sind Voraussetzung dafür, dass der Leistungsbezieher weiterhin finanzielle und kommunikative Unterstützung seitens der Jobcenter erwarten kann (vgl. Bundesagentur für Arbeit, Merkblatt für Arbeitslose 2016, S. 24 und 25).

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Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Kritik zu den (Re-)Integrationsmaßnahmen in Erwerbsarbeit
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Proseminar "Einführung in die Organisationssoziologie"
Note
2,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
14
Katalognummer
V1064657
ISBN (eBook)
9783346476913
ISBN (Buch)
9783346476920
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arbeit, Arbeitslosigkeit, Jobcenter, Fordern und Fördern, Reintegrationsmaßnahmen, Hartz-IV, Erwerbsarbeit, Langzeitarbeitslosigkeit, Bundesagentur für Arbeit, Aktivierungspolitik, Sozialgesetzbuch, Sozialgesetzgebung, Arbeitsvermittlung, Leistungsbezieher, Wohlfahrt, Bedürftigkeit, System, Bürokratie
Arbeit zitieren
Johanna Ernst (Autor:in), 2016, Kritik zu den (Re-)Integrationsmaßnahmen in Erwerbsarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1064657

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