Ist eine Zusammenarbeit zwischen den türkischen Grauen Wölfen in Deutschland und deutschen Neofaschisten möglich?

Türkische Faschisten in Deutschland und ihre Gemeinsamkeiten mit der deutschen rechten Szene


Hausarbeit, 2016

22 Seiten, Note: 1,3

Benjamin Waldmann (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Graue Wölfe

3. Gemeinsamkeiten mit deutschen neofaschistischen Strukturen

4. Unterschiede

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Verzahnung türkischer Politik mit der Lebenswelt türkischer Migrant:innen in Deutschland ist seit vielen Jahrzehnten Normalität. Im Jahr 2016 ist diese Verzahnung durch die Asyl-Vereinbarung der EU mit der Türkei, dem Gedicht „Schmähkritik“ des Satirikers Jan Böhmermann vom 31. März 2016, der sogenannten „Armenien-Resolution“ des deutschen Bundestages vom 2. Juni 2016, dem gescheiterten Putschversuch vom 15. auf den 16. Juli 2016 in der Türkei und die damit verbundenen politischen und gesellschaftlichen Folgen verstärkt in den Fokus von Medien, Politik und Gesellschaft gerückt. Dabei wird insbesondere in den deutschen Medien von einer „Polarisierung“ (vgl. Köster und Wiebicke, online), „Spaltung“ (vgl. Vu, online) oder der Trennung von „Erdogan-Anhängern“ und „Erdogan-Gegnern“ (vgl. Prüfer, online) innerhalb der türkischen Gemeinschaft in Deutschland gesprochen. Allerdings existieren viele unterschiedliche Strukturen, Gruppierungen und politische Strömungen bereits seit Beginn der türkischen Arbeitsmigration nach Europa und insbesondere nach Deutschland.

Nach dem deutsch-italienischen Anwerbeabkommen im Jahr 1955 nahm mit dem weiteren Wachstum der Wirtschaft und dem Ende des Zustroms von Geflüchteten aus der DDR die Bereitschaft in der deutschen Öffentlichkeit zu, ausländische Arbeiter nach Deutschland zu holen (vgl. Wüller 2004, S. 16). Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei wurde am 30. Oktober 1961 die Vereinbarung zur Anwerbung von Arbeitskräften geschlossen. „Zwischen 1968 und 1973 erreichte die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte ihren Höhepunkt: Sie stieg von 1,014 auf 2,595 Millionen. 1972 wurden die Arbeiter aus der Türkei zur größten Gruppe der ausländischen Arbeitskräfte in Deutschland“ (Arslan 2009, S. 23). Insbesondere durch die Familienvereinigung stieg die türkische Bevölkerung in den 1970er Jahren rapide an (vgl. Storz 2002, S. 28). Heute leben ca. drei Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund1 in Deutschland. Etwas mehr als die Hälfte hat die deutsche Staatsbürgerschaft (vgl. Auswärtiges Amt, online). Damit ist es die größte Bevölkerungsgruppe mit Migrationshintergrund in Deutschland.

Für eine Analyse und Wertung der Integration, der Integrationshemmnisse und des Verhältnisses der deutschen Mehrheitsgesellschaft sowie den drei Millionen Mitbürger:innen türkischer Herkunft fehlt an dieser Stelle der Raum. Für diese Arbeit ist es jedoch wichtig festzuhalten, dass es in der türkischen Gemeinschaft in Deutschland zahlreiche eigene Strukturen in der Wirtschaft, im Zusammenleben sowie im sportlichen, kulturellen und politischen Vereinsleben gibt. Das gilt insbesondere auch für nationalistische, rassistische und faschistische Strukturen. Dass diese Struktur vor allem für türkische Jugendliche, die nach eigener Orientierung suchen, attraktiv erscheinen, die nach eigener Orientierung suchen haben Wilhelm Heitmeyer, Joachim Müller und Helmut Schröder in der Untersuchung „Verlockender Fundamentalismus“ (1997) detailliert aufgezeigt. Sie beschreiben das Phänomen unter anderem mit dem Begriff „Integrations-Desintegrationsdynamik“.

Die vorliegende Arbeit widmet sich diesen Strukturen und den Gemeinsamkeiten mit deutschen neofaschistischen Strukturen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Ähnlichkeiten, die in der türkischen und deutschen Szene ansprechend und integrierend auf junge Menschen wirken. Die Arbeit geht der Frage nach, ob eine Zusammenarbeit und Kooperation zwischen deutschen Neofaschisten und Grauen Wölfen in Deutschland möglich erscheint. Diese Frage mag im ersten Moment weit hergeholt klingen, da das rassistische und ausgrenzende Ideologie und Auftreten (bis hin zu Gewalt und Morden) deutscher Neofaschisten sich auch auf die Bevölkerung mit türkischem Migrationshintergrund erstreckt. Außerdem ist eine Zusammenarbeit in größeren Maße bisher nicht auszumachen oder dokumentiert. Dennoch ist diese Gefahr nicht auszuschließen oder rundheraus zu verneinen. Denn die Zusammenarbeit und die gegenseitige Faszination zwischen deutschen und türkischen Nationalisten und rechten Bewegungen existiert seit mehr als 100 Jahren. So waren neben der Bewegung der Jungtürken, „die sich zu nationalistischen, rassistischen Fanatikern entwickelten und mit der turanistischen Ideologie die Vereinigung sämtlicher turksprachiger Völker anstrebten“ (Aslan & Bozay 2012, S.31) auch viele deutsche Generäle und Offiziere am Genozid an den Armenier:innen zwischen 1877 und 1922 beteiligt (ebd). Während des Zweiten Weltkriegs unterstütze Nazideutschland faschistische türkische Gruppierungen organisatorisch wie finanziell. Zudem gab es eine enge Zusammenarbeit beider Länder (Aslan & Bozay 2012, S.47ff). Aber auch heutzutage ist diese Faszination ungebrochen. So erreichten in „den letzten Jahren […] verschiedene ultranationalistische Bücher in der Türkei Bestsellerstatus. Hitlers Buch „Mein Kampf“ war plötzlich so populär, dass es im Februar und März 2005 zu einem der zehn Bestseller in der Türkei wurde“ (Arslan 2009, S. 13).

Ist diese Zusammenarbeit deutscher und türkischer Faschisten Vergangenheit oder kann sie eine Renaissance erleben? Sind die Ähnlichkeiten groß genug oder gehen beide Szenen unterschiedliche Wege? Entstehen gar durch einen Anstieg oder eine Verstetigung nationalistischer und rassistischer Strukturen in beiden Szenen noch größere Hürden und Trennlinien, die eine Zusammenarbeit unmöglich machen? Diesen Fragen gehe ich in dieser Arbeit nach und stelle verschiedene Denkansätze vor. Dazu werde ich im ersten Teil einen kurzen Einblick in die Struktur und Ideologie der Grauen Wölfe geben um anschließend die Gemeinsamkeiten mit deutschen neofaschistischen Strukturen herauszuarbeiten. Ausgehend von diesem Vergleich von Ähnlichkeiten und Unterschieden in Ideologie und Organisation werde ich anschließend analysieren, ob und in welcher Form ein Zusammenwirken beider Szenen möglich erscheint.

2. Graue Wölfe

2.1. Ursprung und Begriffsdefinition

„Das mythische Element des Grauen Wolfs ist grundsätzlich mit der Vorstellung einer überlegenen türkischen Nation verknüpft,“ hält Emre Arslan im Buch „Graue Wölfe heulen wieder“ von Fikret Aslan und Kemal Bozay fest (S. 123). Es ist der „Grundmythos“ (ebd.) des türkischen Ultranationalismus, der die Parteien und Organisationen verbindet, die sich selbst Ülkücüs (Idealisten) oder Bozkurt (Graue Wölfe) nennen. In der Türkei sind dies vor allem die beiden Parteien Büyük Birlik Partisi (BBP/Große Einheitspartei) und Milliyetçi Hareket Partisi (MHP/Partei der Nationalistischen Bewegung). In Deutschland und Europa werden sie durch unterschiedliche Vereine repräsentiert (Siehe 2.4.). Neben dem Symbol des Grauen Wolfes, der in diversen Legenden zum einen als weibliches Tier als Vorfahrin der Kök-Türken (oder Göktürken) und zum anderen als männliches Tier als Vorfahr der Uiguren (oder Uygurs) fungiert bzw. als Anführer im Krieg (vgl. Arslan 2012, S. 123), sind die Drei Halbmonde das Symbol der Bozkurt. Diese nehmen Bezug auf die Flagge des Osmanischen Reiches um damit zu betonen, „dass unter der Verwaltung des Osmanischen Reiches auf den drei Kontinenten [Asien, Afrika, Europa - Anm. d. Verf.] Frieden und Wohlstand herrschte.“ (Arslan 2012, S. 127f).

2.2. Ideologie

Faschismus und Ultranationalismus sind die Grundlagen der Grauen Wölfe, obwohl sie selbst den Begriff „Faschist:innen“ ablehnen (vgl. Arslan 2009, S. 53). Bora und Can bezeichnen die Ideologie als „eigenartige faschistische Bewegung“ (1994, S. 46) und postulieren diese als Ülkücü-Bewegung: „Wie der Faschismus in Deutschland als Nationalsozialismu s und der Faschismus in Spanien als Frankoismus bezeichnet werden, hat es auch die Ulkücü-Bewegung ‚verdient’ihren eigenen Namen zu bekommen“(Bora & Can 1994, S. 45). Gleichzeitig betont Arslan, dass der Begriff „Ultranationalismus“ insgesamt besser geeignet sei. Denn diese Weltanschauung, die Idee der Nation als zentrales und ursprüngliches Element, Geschichte als Verhältnissen zwischen Nationen aus Kriegen und Allianzen sowie die Überlegenheit der eigenen Nation, sei die gemeinsame Basis italienischer, deutscher und türkischer Faschist:innen (2009, S. 53). Eng damit verbunden ist das Ziel der Errichtung eines Großtürkischen Reiches, in dem alle Turkvölker vereinigt sind. Diese Ideologie wird als Pantürkismus bezeichnet. Alparslan Türkeş, der 1965 Vorsitzender der Republikanischen Nationalen Bauernpartei (CKMP) wurde, die er 1969 in die heutige MHP umformte (vgl. Aslan & Bozay 2012, S. 58), stellte dies als „Wiedervereinigung der türkischen Nation“ dar und stellte 1976 die Frage: „Sollen wir also, um die weggerissen Teile unseres Vaterlandes, um die weggerissenen Teile unserer Rasse, alles, einschließlich den Krieg in Kauf nehmen?“, und beantwortet diese mit: „Ja, das müssen wir!“ (vgl. Aslan & Bozay 2012, S. 84). Damit einher geht ein rassistischer Nationalismus, der sich insbesondere als Antisemitismus und der Bekämpfung von Minderheiten in der Türkei – insbesondere gegen Kurd:innen und Armenier:innen – ausdrückt. Einer der pantürkischen Chefideologen, Reha Oguz, bezeichnet den „Türkismus“ selbst als „rassistischen Nationalismus“ und propagiert die „Reinheit des Blutes“ und die Vertreibung von Minderheiten, die nicht der „türkischen Rasse“ angehören (vgl. Aslan & Bozay 2012, S. 84). Gleichzeitig finden sich bei rechtspopulistischen Wissenschaftler:innen und in Schulbüchern des Instituts für Türkische Normen typologische und biologistische Beschreibungen von Kopfform, Hautfarbe, Nasenform, Haarfarbe etc. Diese werden noch heute durch den türkischen Staat offen als klassische Rassentheorie vertreten und damit eine biologische Überlegenheit über andere Gruppen von Menschen begründet. (vgl. Aslan & Bozay 2012, S. 74ff).

Ein weiterer Baustein der Ideologie ist ein stringentes Führerprinzip, die Ablehnung der Demokratie und die Anwendung von Gewalt. Arslan stellt fest, dass Führerkult einer „der wichtigsten Aspekte eines unkritischen und blinden Engagements bei der ultra-nationalistischen Mythisierung ist […]“ (2009, S. 113). In der MHP war innerparteilich alles auf Alparslan Türkeş als „Basbug“ (Führer) ausgerichtet und die Gesellschaft solle streng hierarchisch organisiert werden. Demokratie wird in der Doktrin der MHP-Ideologie, die als D.A.S. (Die allgemeine Grundlage der türkischen nationalistischen und populistischen Doktrin) 1969 von Mehmet Özsoy verfasst wurde, als „Erfindung der Juden“ dargestellt und als „Beginn des Untergangs“ bezeichnet (vgl. Aslan & Bozay 2012, S. 83ff). Dass Gewalt nicht nur in der Rhetorik der MHP – „Jeden erschießen der vom Weg abweicht“ (vgl. Aslan & Bozay 2012, S. 58) – und in der Wahl des grauen Wolfes als kriegerischer Anführer in türkischen Legenden eines Symbol wiederzufinden ist, zeigt eine lange Liste von Gewalttaten und Morden in der türkischen Geschichte. So gelang es der MHP als Teil der ersten und zweiten Nationale-Front-Regierung mit eigenen MHP-Kommandos und mit der Kontrolle der türkischen Geheimdienstorganisation (MIT) durch den stellvertretenden Ministerpräsidenten Alparslan Türkeş politische Morde und Terror zu verbreiten. So stieg die Zahl politischer Morde von 34 (1975) auf über 90 (1976) und im Jahr 1977 auf 300. In der Stadt Kahramanmaras wurden 1978 durch ein Massaker durch MHP, MIT und weitere Kräfte nach offiziellen Angaben 111 Personen ermordet - andere Angaben gehen von bis zu 1000 Menschen aus. (vgl. Aslan & Bozay 2012, S. 65f). Die Ausbildung der Grauen Wölfe in paramilitärischer Taktik wurde dabei bereits ab Juli 1968 in Kommando-Lagern nach dem Muster von SS-Einheiten forciert. Grundlage für die paramilitärischen Schlägertrupps war die offizielle MHP-Jugendorganisation Genclik Kollari (vgl. Aslan & Bozay 2012, S. 59).

Kompliziert ist das Verhältnis der Grauen Wölfe zum Islam. Zu Beginn war die faschistische Bewegung laizistisch oder sogar antiislamisch, wendete sich aber Anfang der 70er Jahre dem Islam zu (vgl. Aslan & Bozay 2012, S. 78). Die Hinwendung zum Islam hatte mehrere Vorteile für die Grauen Wölfe. So stellt Emre Arslan fest, das dadurch der „politische Machtraum [ausgeweitet]“ wurde und so einen „Massencharakter“ erhielt (2009, S. 47). Gleichzeitig konnten sie damit an alte türkische islamische Traditionen anschließen. M. Hakan Yavuz bringt es in einem Artikel im Middle East Journal auf den Punkt: „Although the MHP is committed to the secularist nature of the state, Islam is still an indispensable part of its Turkish identity. The MHP’s understanding of Islam essentially is intertwined with its concept of Turkish nationalism, an ideology that evolved as a state-centric nationalism in response to the desintegration of the Ottoman empire. Similarly, its conception of „Turkish“ ethnicity is defined and articulated by Islam and a shared Ottoman culture.“ (2002, S. 211) Jedoch sind dadurch auch neue Konkurrenzsituationen entstanden. So ist die islamistische Milli-Görüs-Bewegung der wichtigste Konkurrent der Grauen Wölfe in der türkischen Politik. Auch in der Untersuchung von Heitmeyer, Müller und Schröder in Deutschland werden diese beiden als „Fundamentalismus“ analysiert. Die Autoren betonen jedoch, dass „Milli Görüs und die ‚Grauen Wölfe‘ bzw. als Parteienpendants in der Türkei die Refah-Partei (RP) und die MHP [sich] strategisch und ideologisch auf politischen Feldern [bewegen], die sich partiell überlappen und Übergänge aufweisen. Während Milli Görüs (bzw. in der Türkei die Refah-Partei) eine überwiegend islamistische Politik mit nationalistischen Elementen betreibt, definiert sich die Politik der ‚Grauen Wölfe‘ (bzw. in der Türkei der MHP) in erster Linie über die Ideologie des türkischen Nationalismus, der wiederum die Religion des Islams konstitutiv zugeordnet ist. Islamisch-fundamentalistische und türkisch-nationalistische Orientierungen sind insofern keinesfalls als deckungsgleich anzusehen“ (1994, S. 132f). Gleichzeitig entstehen durch Abspaltungen jedoch noch weitere Konkurrenten, die sich stärker dem Islam zuwenden. In der Türkei war es 1992 die BBP die sich von der MHP löste. Aber auch in Deutschland war diese Entwicklung zu beobachten.

2.3. Graue Wölfe in Deutschland

„Die politischen Kontakte der MHP zu deutschen Politikern gehen zurück auf die ‚Türkisch-Deutsche-Waffenbrüderschaft‘ im Ersten Weltkrieg und auf die gemeinsame ideologische Auffassung und Zusammenarbeit während des Hitler-Faschismus“ (Aslan & Bozay 2012, S. 237). Anfang der 1970er machte sich die MHP unter den türkischen Arbeitsemigranten in Deutschland bemerkbar und erhielt beim Aufbau der Organisation Unterstützung von Politikern von CDU und CSU. Am 12. Februar 1972 gründete sich die National-Sozialistische Türkische Arbeiterbewegung (NSTAB) in München, die sich 1973 offiziell der MHP anschloss. Obwohl der Türkische Verfassungsschutz im Sommer beschloss, dass Auslandsorganisationen geschlossen werden mussten, wurden durch MHP-Mitglieder mehrere neue Organisationen in Deutschland gegründet. Diese nannten sie „Idealistenvereine“ (Ülkücü Dernegi), und sich selbst bezeichneten sie einfach als „Graue Wölfe“. Auch Alparsan Türkes reiste während dieser Zeit nach Deutschland – im Jahr 1975 zum 4. Generalkongress seiner Partei und im April 1978 zu einem Treffen mit dem CSU-Vorsitzenden Franz-Josef Strauß. Wenig später wurde am 17./18. Juni 1978 die „Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa“ (ADÜTDF, auch Türk Federasyon genannt) in Schwarzenberg gegründet. Neben Grauen Wölfen aus Deutschland waren auch Vertreter:innen aus Holland, Österreich, Belgien und Frankreich bei der Gründung dabei. Der ADÜTDF schlossen sich mit der Zeit 220 Vereine – davon 170 aus der Bundesrepublik Deutschland – an. Ähnlich wie in der Türkei erlebte die Organisation jedoch auch in Deutschland Abspaltungen, die sich vor allem durch eine stärkere Zuwendung der türkischen Bevölkerung zum Islam, und der eigenen Organisation begründen lassen. So gründete sich am 17. Oktober 1987 die „Union der türkisch-islamischen Kulturvereine“ (ATIB), die eher den Kontakt zur BBP in der Türkei suchte. Ihr schlossen sich etwa ein Drittel der Mitgliedsverbände der Türk Federasyon an (vgl. Aslan & Bozay 2012, S. 237ff). Folgende Dachverbände der Grauen Wölfe sind heute in Deutschland aktiv:

2.3.1. ADÜTF / Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu - Türk Federasyon

Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V.

Der Kern der Ideologie der Türk Federasyon ist nationalistisch-pantürkisch mit starker Betonung der national-islamistischen Geschichte und Kultur der Türkei. Inhaltlich ist sie vor allem türkeizentriert, z.B. bezüglich der Kurd:innenfrage. Sie nimmt aber auch verstärkt Bezug auf die Migrationspolitik, um Menschen mit türkischem Migrationshintergrund – insbesondere Jugendliche der jüngeren Generation – für die ethnisch-nationalistischen Ziele der Grauen Wölfe zu begeistern. Sie lehnen damit Multikulturalismus ab und fordern eine Stärkung der türkischen Kultur innerhalb Deutschlands sowie islamischen Religionsunterricht als Pflichtfach in der Schule mit Unterrichtsmaterial der Religionsanstalt der Türkei. Offiziell sind sie keine Ablegerorganisation der MHP, dennoch sind es vor allem MHP-Funktionäre, die auf Veranstaltungen sprechen und von denen Publikationen und Bücher bei der Türk Federasyon zu erhalten sind. Bundesweit hat die Türk Federasyon ca. 26.000 Mitglieder in über 200 organisierten Vereinen. Einen Schwerpunkt bilden hier Feste, Veranstaltungen, kulturelle Aktivitäten vor Ort, aber auch Massenkulturveranstaltungen. Darüber hinaus richten die Vereine aber auch Gebetsstätten ein und bieten Korankurse an (vgl. zu diesem Absatz Aslan & Bozay 2012, S. 272ff).

2.3.2. ATIB / Avrupa Türk Islam Birligi

Türkisch-Islamische Union Europa e.V.

Die ATIB bezeichnet sich selbst als islamischer Dachverband der 25.000 Mitglieder in 126 Vereinen in Europa – vor allem in Deutschland – hat. Die ATIB fördert vor allem die Gründung von Gebetsstätten in Moscheevereinen vor Ort und hat eine aktive Jugend-, Frauen- und Bildungsarbeit. So ist der Frauenverband eine eigenständige Abteilung, die sich neben religiösen Themen auf die Unterweisung in hauswirtschaftlichen Aufgaben konzentriert. Obwohl auch die ATIB sich als überparteilich definiert, tendiert sie insbesondere zu der islamistisch-rechtsextremen BBP und agiert so für einen nationalistisch geprägten Islam. In Deutschland nimmt sie verstärkt migrationspolitische Ziele auf, fordert einen islamischen Religionsunterricht und ein flächendeckendes Angebot an Türkischunterricht, um nationale Identität zu stärken. Sie ist Mitglied im Zentralrat der Muslime in Deutschland und weiterer Spitzenverbände und pflegt enge Kontakte zu deutschen Parteien (vor allem CDU, CSU und SPD), zu anderen Institutionen wie der Konrad-Adenauer-Stiftung und zur Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) (vgl. zu diesem Absatz Aslan & Bozay 2012, S. 285ff).

2.3.3. ATB / Avrupa Türk Birligi

Europäisch-Türkischer Bund e.V.

Der ATB (früher: Föderation der Weltordnung in Europa / ANF) ist ein neuerer rechtsextrem-nationalistisch-islamistisch orientierter Dachverband, der 1994 gegründet wurde und sich von der MHP bzw. der Türk Federasyon in Deutschland abgespalten hat. Anders als die ATIB bekennt sich der ATB zur Büyük Birlik Partisi (BBP) als Mutterpartei und fußt ideologisch auf einem radikal türkisch-nationalistischen Diskurs als „Islam-Volk“. Damit gehört u.a. auch die Zielvorstellung eines Großtürkischen Reiches zur Kernideologie. Die Schwerpunkte der Aktivitäten liegen in der nationalistischen, religiösen, kulturellen und geschichtlichen Bildungsarbeit, dem Angebot von Gebetsstätten und auf kulturelle Veranstaltungen u.a. mit rechtspopulistischen Schriftsteller:innen und Politiker:innen. Darüberhinaus gibt es im ATB auch Bestrebungen, einen gemeinsamen Vereinigungsprozess mit der ADÜTF und der ATIB anzustreben, um die Kräfte zu bündeln und die diversen Dachverbände der Grauen Wölfe zu vereinen (vgl. zu diesem Absatz Aslan & Bozay 2012, S. 281ff).

3. Gemeinsamkeiten mit deutschen neofaschistischen Strukturen

Zu Beginn des Vergleiches gilt es für diese Arbeit festzuhalten, was konkret unter Neofaschismus verstanden wird und warum explizit diese Strukturen für den Vergleich herangezogen werden. Dies ist insofern wichtig, da es in der Forschung eine „konkurrierende Verwendung der Begriffe Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus, Rechtspopulismus, Neonazismus und Neofaschismus [gibt], die nicht einfach andere Wörter für dasselbe Phänomen sind, sondern als Begriffe auf unterschiedliche, teils gegensätzliche Wahrnehmungen und soziale wie politische Kontexte verweisen“ (Salzborn 2014, S. 12). Der Vorteil des Begriffs „Neofaschismus“ ist, dass er für den Vergleich vieler Gruppierungen in unterschiedlichen Ländern herangezogen werden kann, die sich positiv auf die jeweiligen faschistischen Bewegungen in den einzelnen Ländern beziehen bzw. die autoritäre Stoßrichtung des Faschismus wieder aufgreifen wollen (vgl. Fritzsche 1998, S. 319ff). In diesem Sinne wird er in dieser Arbeit verwendet. Damit darf jedoch nicht nivelliert werden, dass der deutsche Nationalsozialismus neben der Etablierung eines faschistischen Regimes auch auf einem „eliminatorischen und mit der Shoah als Vernichtung praktizierenden Antisemi-tismus“ (Salzborn 2014, S. 14) basiert. Als neofaschistische Strukturen werden hier all diejenigen Gruppen und Organisationen verstanden, die sich positiv auf den historischen Nationalsozialismus beziehen und ideologisch diesen neu etablieren wollen. Dazu gehört die Ersetzung der Demokratie durch ein autoritäres Führerregime, eine rassistische und antisemitische Abstammungstheorie und die Umsetzung der politischen Ziele durch Agitation und Gewalt. Dies trifft in Deutschland auf das Spektrum der Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und der neuen Partei „Die Rechte“ als „Nachfolgeorganisation bzw. Auffangstruktur“ (Stadt Hamm 2016, S. 6) verbotener Kameradschaften über aktive Kameradschaften und Autonomen Nationalisten bis hin zu militanten Gruppierungen wie dem selbsternannten „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) zu (vgl. Grumke 2013, S. 23ff).

Aus dieser Ideologiegleichheit, wie sie hier für deutsche Neofaschisten und Graue Wölfe in Deutschland (siehe 2.2. und 2.3.) festzustellen ist, ergibt sich die Vergleichsbasis dieser beiden Szenen.

[...]


1 Zu den Menschen mit Migrationshintergrund zählen alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil. (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, online)

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Ist eine Zusammenarbeit zwischen den türkischen Grauen Wölfen in Deutschland und deutschen Neofaschisten möglich?
Untertitel
Türkische Faschisten in Deutschland und ihre Gemeinsamkeiten mit der deutschen rechten Szene
Hochschule
Universität Bielefeld
Veranstaltung
Heterogene Lebenslagen
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
22
Katalognummer
V1064663
ISBN (eBook)
9783346475176
ISBN (Buch)
9783346475183
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Faschismus, Türkei, Neofaschismus, Rassismus, Antisemitismus, Graue Wölfe, Ülkücü, Bozkurt, Nationalsozialismus, Neonazis, Rechts, Pantürkismus, Großtürkischen Reiches, Osmanisches Reich, Alparslan Türkes, Genclik Kollari, MHP, Türk Federasyon, ADÜTF, ATIB, ATB, Islam, Islamismus, Nationalismus, Ultranationalismus, Hitler, Führer, Gewalt, NSU, Jugendkultur, Turkvölker, Migration, NPD, AfD, Mythos, Wölfe
Arbeit zitieren
Benjamin Waldmann (Autor:in), 2016, Ist eine Zusammenarbeit zwischen den türkischen Grauen Wölfen in Deutschland und deutschen Neofaschisten möglich?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1064663

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Ist eine Zusammenarbeit zwischen den türkischen Grauen Wölfen in Deutschland und deutschen Neofaschisten möglich?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden