788 nahm Karl der Große Herzog Tassilo III. von Bayern auf dem Hoftag in Ingelheim in einem Aufsehen erregenden Prozess die Herzogswürde, welche er von 748 bis dahin besessen hatte, und verbannte ihn ins Kloster; Bayern fiel an Karl. Der Erwerb dieses Landes „war einer der unblutigsten in der Regierungszeit Karls“, wie Matthias Becher feststellt – „und doch wirft er spezifische Probleme auf, vor allem die Frage nach Macht und Recht und nach der Art und Weise, in der die karolingische Geschichtsschreibung dies thematisierte.“ Der Prozess von Ingelheim gegen Tassilo III. zählt wohl, genau weil er die problematische Vermischung dieser antithetischen Felder, Macht und Recht, auf einem Höhepunkt darstellt, „zu den bekanntesten des Mittelalters“. Zugleich ist über diesen hochberühmten Prozess fast nichts Sicheres bekannt: die offizielle Quelle dazu, die Reichsannalen (Annales regni Francorum), die am Hof Karls des Großen erstellt wurden, vertreten eine hochparteiische königsfreundliche Sicht. Überhaupt „erweist sich“ die „Geschichte Tassilos [...] in großen Teilen als eine Art Palimpsest, wie die historischen Arbeiten der letzten Jahre herausgehoben haben.“ Becher hat nach einer eingehenden Prüfung der Parallel-Überlieferung dieser Zeit, eine Trennung in „eine vom Hof abhängige und eine unabhängige Überlieferung“ vorgenommen“, und dabei festgestellt, dass der Bericht der Reichsannalen zu Tassilo „bis 787 teils gefälscht und teils aus offizieller Sicht geschrieben“ ist, und auch seine Absetzung 788 sicherlich „anders“ als dort geschildert „vor sich gegangen“ sein muss. „Sichtlich wurden“ nach Kolmer „in der Kanzlei Karls des Großen“ „‘Daten gelöscht‘, neue ‚darüber‘ geschrieben.“ Wie so oft hatte sich hier die „Geschichte des Siegers [...] durchgesetzt“. Dass keine „Tassilo-freundliche Überlieferung als Korrektiv“ existiert, führt Kolmer nach Becher ebenfalls auf „karolingische „Auslöschungen“ zurück. Die Forschung hat die Reichsannalen, vor allem in Bezug auf das Schicksal Tassilos, einer gründlichen Interpretation und Kritik unterzogen; dem gegenüber die Parallelüberlieferung jedoch erst seit Neuestem miteinbezogen. Indem sie sich in die neueste Forschung zu Parallel-Überlieferung eingliedert, möchte sich diese Arbeit dem vieldiskutierten Thema widmen, ob Tassilos Sturz durch den fränkischen König „gerechtfertigt“ war, d.h. ob ihr Anlass eine wirkliche machtpolitische Notwendigkeit oder allein Machthunger war.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hauptteil
- Forschungsstand
- Quellenlage
- Biographie Tassilos bis 772
- Imitatio regis – eine königsähnliche Herrschaft?
- Der Sturz Tassilos
- Vorgeschichte bis 788
- Der Prozess in Ingelheim - Quellenkritik
- Nach dem Prozess
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit dem Sturz Herzog Tassilos III. von Bayern im Jahr 788 durch Karl den Großen. Sie untersucht, ob Tassilos Absetzung gerechtfertigt war und ob der Prozess in Ingelheim eine wirkliche machtpolitische Notwendigkeit oder allein Machthunger darstellte. Die Arbeit analysiert die Quellenlage und beleuchtet die historische Bedeutung der Reichsannalen und der Parallelüberlieferung.
- Die Rolle der Reichsannalen und ihre Interpretation
- Die Beurteilung der Parallelüberlieferung als Korrektiv zur Reichsannalen
- Die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Sturzes Tassilos
- Die Herrschaftsform und Machtausübung Tassilos III.
- Die Machtstrukturen und Interessenkonflikte im Frankenreich im 8. Jahrhundert
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Kontext des Sturzes Tassilos III. von Bayern im Jahr 788 dar und thematisiert die problematische Vermischung von Macht und Recht, die in diesem Prozess ihren Höhepunkt findet. Die Einleitung beleuchtet außerdem die Forschungsgeschichte des Themas und die unterschiedlichen Perspektiven auf Tassilos Absetzung.
Der Hauptteil der Arbeit widmet sich zunächst dem Forschungsstand und der Quellenlage zum Thema. Es wird ein Überblick über die unterschiedlichen Deutungen des Sturzes Tassilos gegeben, die von der Akzeptanz der Reichsannalen als „offizieller Quelle“ bis hin zu einer kritischen Bewertung dieser Quelle reichen. Der Abschnitt „Quellenlage“ stellt die wichtigsten Quellen für den Prozess gegen Tassilo vor, darunter die Reichsannalen, die Lorscher Annalen und die Annales Nazriani. Hier wird auf die jeweiligen Besonderheiten der Quellen, ihren Entstehungskontext und ihre Zuverlässigkeit eingegangen. Der Abschnitt „Biographie Tassilos bis 772“ beleuchtet das Leben Tassilos bis zu seinem Sturz und seine Rolle als Herzog von Bayern. Es werden Fragen zur Ausübung seiner Herrschaft und zur „Imitatio regis“ (Nachahmung des Königs) im Kontext seiner Regierungszeit aufgeworfen. Im Abschnitt „Der Sturz Tassilos“ wird die Vorgeschichte des Prozesses bis 788 dargestellt. Schließlich werden die Quellenlage und der Verlauf des Prozesses in Ingelheim im Detail analysiert.
Das Fazit soll die Ergebnisse der Arbeit zusammenfassen und die zentrale Forschungsfrage nach der Rechtmäßigkeit des Sturzes Tassilos beantworten.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit der Geschichte des Herzogtums Bayern im 8. Jahrhundert und untersucht den Sturz von Herzog Tassilo III. Wichtige Schlüsselbegriffe sind: Tassilo III., Karl der Große, Frankenreich, Bayern, Reichsannalen, Parallelüberlieferung, Prozess in Ingelheim, Herrschaftsausübung, Macht und Recht, Machtpolitik, Geschichte des Siegers, historische Quellenkritik, fränkische Geschichtsschreibung, „Imitatio regis“, Hochverrat. Die Arbeit thematisiert außerdem die Frage der Legitimität des fränkischen Herrschaftsanspruchs und die Entwicklung des karolingischen Königshofs.
- Quote paper
- Clara Kassing (Author), 2019, Das Ende Tassilos III. von Bayern. Ein gerechtfertigter Sturz?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1064829