Das Türkenbild im Fastnachtspiel des Spätmittelalters


Seminararbeit, 2001

21 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Fastnachtspiel des Spätmittelalters
2.1 Der Begriff „Fastnachtspiel“
2.2 Forschung
2.3 Die erste Nürnberger Fastnachtspieltradition
2.4 Form, Inhalte und Aufführungspraxis

3. Hans Rosenplüt
3.1 Leben
3.2 Literarische Tätigkeit

4. Rosenplüts „Des Türken Fastnachtspiel“
4.1 Wiedergabe des Inhalts
4.2 Quellenkritik
4.3 Interpretation
4.4 Das Türkenbild

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Am 29. Mai 1453 nahmen die Türken Konstantinopel ein. Die Nachricht der Eroberung erreichte den lateinischen Westen einen Monat später. In den darauffolgenden Jahren wurde mit einer Vielzahl publizistischer Mittel, die sich mit diesem Thema beschäftigten, eine sehr breite Öffentlichkeit erreicht. Als publizistische Mittel sind vor allem Flugschriften, Hof- und Reichstagsreden, Ablasskampagnen, Volkspredigten, Briefe, Türkentraktate sowie das Lied und das Fastnachtspiel zu nennen. All diese Mittel wirkten zusammen und beweisen einen zuvor nie erreichten hohen Grad der Propagierung des Türkenthemas1.

Diese Arbeit wird sich mit dem zuletzt genannten Mittel, dem Fastnachtspiel, beschäftigen. So steht im Mittelpunkt dieser Arbeit das 1456 von Hans Rosenplüt verfasste Fastnachtspiel „Des Türken Fastnachtspiel“. Neben einer kritischen Betrachtung des Türkenbildes mit der Frage, ob es sich um ein neues Türkenbild handelt, wird anhand der Aufführungspraxis des Fastnachtspiels, der Überlieferung sowie anhand außerliterarischer Quellen versucht zu zeigen, inwiefern dieses Schauspiel auf den Zuschauer bzw. den Leser wirkte.

Bevor das oben erwähnte Fastnachtspiel untersucht wird, gebe ich in den nächsten beiden Kapiteln eine für das Verständnis des Genres „Fastnachtspiel“ grundlegende Einführung sowie ein Kurzportrait des Autors Hans Rosenplüt.

2. Das Fastnachtspiel des Spätmittelalters

2.1 Der Begriff„Fastnachtspiel“

Das Fastnachtspiel ist die bedeutendste Repräsentationsform des spätmittelalterlichen weltlichen Dramas im deutschsprachigen Raum. Die Überlieferung dokumentiert es gegenüber fastnächtlichen Bräuchen als „eine bestimmte, gegen 1430 entstehende und nach 1600 aus der Literatur wieder verschwindende literarisch-theatralische Form“2. Fastnachtsbräuche finden sich nur höchst selten in den Fastnachtspielen wieder, so dass davon ausgegangen werden kann, dass zwischen den Bräuchen und den Spielen kein enger Zusammenhang besteht.3 Die festliche vorösterliche Fastnachtzeit diente lediglich als bevorzugter Anlass dazu, vor der kirchlich verordneten Fastenzeit im Rahmen großer Ausgelassenheit in städtischer Umgebung, vor allem in Nürnberg, Fastnachtspiele zu veranstalten. Dabei bezogen die Autoren der Fastnachtspiele ihre Komik und Drastik neben der Ständesatire vor allem aus der Sexual- und Fäkalsphäre4. Dass die einzelnen Spiele keineswegs ein einheitliches Bild aufweisen, zeigt die Tatsache, dass neben den Fastnachtspielen mit alltäglichen Inhalten mit dem Ziel der einfachen Unterhaltung ebenso Spiele mit ernsthaften politischen Inhalten (wie z.B. Hans Rosenplüts „Des Türken Fastnachtspiel“) sowie solche mit antisemitischen Inhalten5 (z.B. Hans Folz „Die alt und die neu ee“) verfasst wurden.

2.2 Forschung

Erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts wandte sich die Forschung dem Fastnachtspiel zu6. Und zwar zunächst in Form von Editionen der größtenteils handschriftlich überlieferten Texte. Den entscheidenden Anstoß gab Adelbert von Keller. Seine umfassende Sammlung der größtenteils aus Nürnberg stammenden „Fastnachtspiele aus dem 15. Jahrhundert“ enthielt schon den wesentlichsten Teil der spätmittelalterlichen Spiele7 der beiden damaligen bekanntesten Autoren Hans Rosenplüt und Hans Folz. In rascher Folge wurde im Laufe der nächsten 30 Jahre eine Vielzahl weiterer Texte editiert, so dass schon vor 1900 fast alle bis heute bekannten Texte der Forschung zugänglich waren.

Die Erforschung des Fastnachtspiels setzte trotz des reichen Materials an Texten nur zögernd ein. Der Grund dafür könnte die geringe Beachtung sein, die es aufgrund der Moralvorstellungen im 19. bzw. in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhielt8.

Soweit sich die Forschung in dieser Zeit mit den Fastnachtspielen befasste, untersuchte sie es vor allem unter volkskundlichen und kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten, die sich dann in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts mit rassenkundlichen9 Gesichtspunkten verbanden10. Zur Erkenntnis des Fastnachtspiels als eine literarische Form trugen diese Betrachtungsweisen aber nur wenig bei11.

Erst seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wird versucht, unabhängig von Brauchtumsursprüngen den literarischen Charakter der Fastnachtspiele herauszuarbeiten und diese in städtischer Umgebung unter bestimmten sozialen Umständen als ein Produkt individueller Verfasser darzustellen. Dazu trugen vor allem die Werke von Eckehard Catholy (1961, 1966), Werner Lenk (1966), Jörn Reichel (1985) und Elisabeth Keller (1992) bei.

Bei der Frage nach der Herkunft des Fastnachtspiels hat sich die Forschung bis heute noch nicht geeinigt. Lediglich, „dass in den Fastnachtspielen die Kultspiele germanischer Männerbünde wiederaufleben12, wird heute im Ernst niemand mehr behaupten“13. „Fastnachtspiele aus den älteren geistlichen Spielen [...] herzuleiten, ist zumindest in Nürnberg nicht möglich, da hier im 14. und 15. Jahrhundert keine geistlichen Spiele dokumentiert sind14 “. Als ansprechende Vermutung zur Grundlage der Entstehung der Fastnachtspiele gilt der „komische Einzelvortrag“, da selbst jene Spiele, die schon eine gewisse Selbstständigkeit entwickelt haben und zur geschlossenen Handlung tendieren, die Nachwirkungen des Einzelvortrags zeigen oder sogar aus ihm entwickelt wurden15.

2.3 Die erste Nürnberger Fastnachtspieltradition

Da sich diese Arbeit mit der literarischen Verarbeitung der Türkengefahr nach dem Fall Konstantinopels 1453 auseinandersetzt, genügt es, sich auf die erste deutsche Fastnachtspieltradition, welche zu Anfang des 15. Jahrhunderts in Nürnberg einsetzte und die nächsten 80 Jahre andauerte, zu beschränken. Neben Nürnberg entstanden zu dieser Zeit auch in Sterzing und Lübeck Traditionen. Allerdings galt Nürnberg mit einem guten Dutzend überlieferter Handschriften aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in denen rund 110 Fastnachtspiele überliefert wurden, als das wichtigste Zentrum für Fastnachtspiele16. Weshalb sich diese Zentren in nur wenigen bestimmten Städten entwickelten, „ist noch wenig erforscht und beruht wohl von Fall zu Fall auf sehr unterschiedlichen Gründen“17.

Um 1450 begann die literarische Überlieferung der Fastnachtspiele in Nürnberg. Man geht aber davon aus, dass die ersten Fastnachtspiele in Nürnberg in den ersten beiden Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts aufgeführt wurden18.

Als erster namhafter Autor der frühen Fastnachtspieltradition trat der Nürnberger Handwerkerdichter Hans Rosenplüt (geb. 1410, gest. 1460) hervor. Mit seinen rund 70 verfassten Fastnachtspielen hat er diese Tradition entscheidend geprägt und vermutlich ist diese durch ihn erst literarisch geworden19. Der zweite große Vertreter dieser Tradition war Hans Folz (geb. 1435, gest. 1513).

Im 16. Jahrhundert „folgt dann nach einer deutlichen Zäsur eine in vielen Zügen abweichende zweite Nürnberger Fastnachtspieltradition mit Hans Sachs als ihrem bedeutendsten Autor“20, auf diese in dieser Arbeit aber kein Bezug genommen wird.

2.4 Form, Inhalte und Aufführungspraxis

2.4.1 Form der Fastnachtspiele

Ein typisches frühes Nürnberger Fastnachtspiel umfasst selten mehr als 250 Verse. Die Spiele selbst lassen sich grundlegend in zwei Grundtypen zuordnen: dem Reihenspiel, in dem die Spieler einer nach dem anderen ihren Text zum angekündigten vortragen, ohne aufeinander Bezug zu nehmen, und dem Handlungsspiel, das entweder aus einer zusammenhängende Episode oder aus mehreren, häufig gleichgebauten, Episoden besteht.

Zwischen diesen beiden Typen gibt es eine Fülle von Mischformen, sei es, dass die Einzelsprecher sich um eine zentrale Figur gruppieren, die sie nacheinander zum Vortrag auffordert oder auch zu einem Wettstreit einlädt, oder dass einzelne Strophen aufeinander antworten. Des weiteren gibt es die Sonderform der Gerichtsverhandlung und die des Arztspiels.

2.4.2 Inhalte der Fastnachtspiele

Die Fastnachtspiele der frühen Nürnberger Fastnachtspieltradition weisen zwar kein eindeutiges Bild auf, jedoch beschränken sich die meisten Spiele auf wenige stetig wiederkehrende Themen. „Soweit die Fastnachtspiele überhaupt in das allgemeine literarische Bewusstsein eingedrungen sind, erblickt man ihr hervorstechendstes Kennzeichen in ihrer Obszönität“21. Fast immer geht es dabei um die Bereiche des Sexuellen und Fäkalen. „Was die frühen Fastnachtspiele an Drastik bieten, übertrifft andere Gattungen bei weitem“22. Die Ursache für diese Einseitigkeit ist vor allem im Charakter der Fastnacht des 15. Jahrhunderts zu suchen. „Aus verschiedenen Gründen ist sie die hohe Zeit der Enthemmung des animalischen Menschen“23. Wie bereits erwähnt, hat die Forschung darauf lange mit Nichtbeachtung reagiert. Die Untersuchungen, die diesbezüglich erst seit den 50er Jahren einsetzten, haben viel dazu beigetragen, die Texte und vor allem die reale Umwelt der Fastnachtspiele zu erhellen. Sie signalisieren die Narrenfreiheit, die den Fasching vor allen anderen Zeiten des Kirchenjahres auszeichnet. Hierbei ist zu erwähnen, dass die Fastnacht nicht als Protest gegen den übrigen, kirchlich bestimmten Jahresablauf zu verstehen werden darf24. Die Kirche stellt sich zur Fastnachtzeit bewusst in den Hintergrund, so dass sie „die Regungen der Menschen unter Kontrolle hält und sie daran hindert, sich außerhalb des christlichen Kosmos einen Platz zu suchen“25.

Neben diesen Fastnachtspielen entstanden aus der frühen Nürnberger Fastnachttradition aber auch solche, „deren erklärtes Ziel es nicht ist, Beitrag einer leichten Fastnachtsunterhaltung zu sein. [...] Sie wollen den Trubel durch ernste Besinnung unterbrechen. Es geht in ihnen thematisch um den Vorrang des christlichen vor dem jüdischen Glauben, um die Drohung der Heraufkunft des Antichrist sowie die Anprangerung politischer Missstände“26. Mit dem zuletzt genannten befasst sich „Des Türken Fastnachtspiel“, welches in dieser Arbeit intensiv behandelt wird.

Die unterschiedlichen Inhalte der Spiele lassen sich auch auf die Auswahl der Figuren übertragen. Dementsprechend haben in den einfachen unterhaltsamen Spielen die Bauern den Hauptanteil der Komik zu tragen, indem „ihre plumpe sexuelle Gier, ihr unflätiges Gebaren oder ihre groteske Selbstüberschätzung zur Schau gestellt wird“27. Aber auch Vertreter des städtischen Bürgertums, vor allem Gelehrte, Juristen und Ärzte werden in den Gerichts- und Arztspielen verspottet.

Über die Zweidimensionalität der genannten Typen geraten in den Fastnachtspielen mit ernsten Inhalten einige Typen hinaus. Ein Beispiel für eine solche Figur ist der Türkenkaiser in „Des Türken Fastnachtspiel“. Darauf wird in der Analyse der Quelle noch näher eingegangen werden.

Eine Gruppe für sich bilden diejenigen Spiele, in denen Juden auftreten. „Während im Lachen über die unflätigen Bauern, die selbstsichtigen Richter und die geldgierigen Ärzte stets auch ein Moment [...] der heimlichen Bewunderung für die affektiv ausgelebte Körperlichkeit oder die schamlose Wahrnehmung der Eigeninteressen mitschwingt, ist das Gelächter über die Juden nie anders als aggressiv“28.

2.4.3 Aufführungspraxis

Über die Aufführungsform der Fastnachtspiele weiß man wenig. Eine wichtige außerliterarische Quelle, die Nürnberger Ratsprotokolle ab 1474, zeigt, dass die Spieler meist Handwerker und Handwerksgesellen waren29, vereinzelt spielten vermutlich auch Patriziersöhne mit30. In diesen Protokollen lässt sich auch eine Reglementierung der Fastnachtspiele und anderer Fastnachtsvergnügen feststellen31. So bezeugt sie, dass die Spieltruppe, die aus jungen, ausschließlich männlichen Spielern bestand, von einem Spielführer angeführt wurde32, und dieser musste, spätestens seit 1474, zunächst beim Rat um Erlaubnis bitten, mit seiner Spielgruppe herumzuziehen33. Mit dieser Zensur wollte der Rat sowohl die obszönen wie auch die potentiell zeitkritischen Elemente der Fastnachtspiele verbieten, die in den Jahrzehnten zuvor dargestellt wurden. Da aber „die Handwerker und ihre Gesellen es nicht so genau mit dieser Meldepflicht nahmen [...], wird das Fastnachtspiel, besonders das politisch-satirische, reicher geblüht haben, als es die zensurierte Überlieferung zeigt“34. Als eine weitere Einschränkung galt das Verbot des Maskentragens.

Die meisten Informationen ergeben sich indessen aus den Spielen selbst. Besonders ergiebig sind dafür der Prolog und Epilog35, die jedes Fastnachtspiel besitzen. Fastnachtspiele sind demnach Einkehr- oder Stubenspiele ohne speziellen Aufführungsort und ohne Bühne36. Man spielt an den Abenden der Fastnacht in Wirtshäusern und in den Sälen von Nürnberger Bürgerhäusern, also „vor einem etablierten stadtbürgerlichen Publikum aus Handwerker- und Kaufmannskreisen, vielleicht auch Patriziern“37.

Geleitet von einem Spielführer fallen die Schauspieler in die feiernde Fastnachtsgesellschaft ein und schaffen sich eine kleine Spielfläche. Das Fastnachtspiel beginnt mit dem Prolog. Dieser wird von einem Spieler vorgetragen, der in den Handschriften, sofern überhaupt erwähnt, als Praecursor, Herold oder Einschreier bezeichnet wird38. Elemente des Prologs sind Begrüßung des Hausherrn und des Publikums, Bitten um Ruhe und Aufmerksamkeit, sowie knappe Hinweise auf Inhalt und Thema des Stückes39. Das Fastnachtspiel endet mit dem Epilog, der von einem Ausschreier vorgetragen wird. In diesem bittet der Ausschreier häufig um Nachsicht, falls die Spieler es zu toll getrieben haben, was meist mit der Ausgelassenheit der Fastnachtszeit entschuldigt wird40. Oft kündigt der Ausschreier auch an, wohin die Gruppe weiterziehen will. Nur selten bittet er um eine Gabe oder einen Trunk. „Diese festen Rahmenelemente dienten dazu, die Aufführung gleichzeitig aus der allgemeinen Lustbarkeit herauszuheben und sie zu integrieren“41.

3. Hans Rosenplüt

3.1 Leben

Hans Rosenplüt ist der erste klar fassbare Repräsentant eines neuen spätmittelalterlichen Dichtertypus42, der des Handwerkerdichtes, denn aufgrund seiner poetischen Erzeugnisse gehörte er nicht zu jener anonymen Masse spätmittelalterlicher Handwerker43. Handwerkerdichter übten neben ihrer literarischen Tätigkeit ein Handwerk aus. Rosenplüt, der um 1400 in Nürnberg geboren wurde, erhielt 1426 das Bürgerrecht der Reichsstadt Nürnberg, und zwar „zunächst nur als sleht burger, als Bürger minderen Ranges, der sich nur in der Vorstadt niederlassen durfte“44. Zu dieser Zeit übte er das Handwerk des sarw ü hrt, das des Ketten- und Panzerhemdenmachers, aus, zu diesem er 1427 das Meisterrecht erwarb.

Seit 1429 erscheint er in den Nürnberger Ratsdokumenten auch unter dem Namen Hans Schnepper bzw. Hans Schnepperer, was in der Forschung lange Zeit für Verwirrung sorgte45.

Anfang der dreißiger Jahre wechselte Rosenplüt ins zukunftsträchtigere Handwerk der Rotschmiede (Messinggießer) über, das in Nürnberg hochentwickelt war46. Seinen Fachkenntnissen verdankte er es, dass er neben der Ausübung seines Berufes ab 1444 bis zum Lebensende als Büchsenmeister (Artillerist) auch im Dienst der Stadt stand. In Verbindung damit nahm er an den Kriegen gegen den Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg teil.

Im Unterschied zu späteren Nürnberger Handwerkerdichtern wie Hans Folz und Hans Sachs lebte Rosenplüt lange Zeit in eher bescheidenen Umständen. Erst ab etwa 1449 lebte er in finanziell gesicherten Verhältnissen.

Da sein Sold als Büchsenmeister am 4.6.1460 letztmals ausbezahlt wurde, starb er sehr wahrscheinlich im Sommer 146047.

3.2 Literarische Tätigkeit

Hans Rosenplüt war durchwegs literarisch tätig. Er konnte zwar aufgrund seiner Lebensverhältnisse nur eine bescheidene Bildung erwerben, diese jedoch war sehr solide48. Zudem „scheint er als Autodidakt dennoch ein recht beträchtliches Wissen erworben zu haben“49.

Rosenplüt verfasste nicht nur Fastnachtspiele. Der Umfang seines Gesamtwerkes besteht im wesentlichen aus drei großen Teilkomplexen: kleinen Reimpaargedichten und Liedern, Priameln und Fastnachtspielen. Im Gegensatz zu den späteren Nürnberger Autoren Hans Folz und Hans Sachs war Rosenplüt engagiert für politische und soziale Ziele50, was sich neben Fastnachtspiel auch in den Reimpaargedichten und Liedern zeigte. „Das Lied von den Türken“ - eines der nur drei überlieferten Lieder Rosenplüts - handelt von der drohenden Türkengefahr. Das Lied wird zum Verständnis des zu untersuchenden Fastnachtspiels eine zentrale Rolle spielen.

4. Rosenplüts „Des Türken Fastnachtspiel“

4.1 Wiedergabe des Inhalts

Das Fastnachtspiel „Das Türken Fastnachtspiel“ handelt vom Türkischen Kaiser, dem die Stadt Nürnberg freies Geleit gewährt hat. Bereits im Prolog, der in diesem Stück von einem Herold vorgetragen wird, ergibt sich dem Zuschauer bzw. dem Leser eine ausführliche Einführung in Inhalt und Thema des Stückes. Hier wird der Türkische Kaiser mit rühmenden Worten vorgeführt:

Der gro ß e T ü rk ist kumen her,

Der Kriechenland gewunnen hat,

Der ist hie mit seinem weisen rat

Von Orient [...] da selbst es wol und fridlich stet 51

Es ist nach Nürnberg gekommen, weil er aus den christlichen Ländern mancherlei Klagen zu hören bekam. Die Klagen kamen von den Bauern wie von den Kaufleuten und wandten sich gegen den Adel und seine Straßenräuberei. Der Türkische Kaiser ist bereit, für Frieden und Ordnung zu sorgen, ohne dass deshalb der christliche Glaube auch nur im geringsten angetastet wird.

Nach dem Herold tritt ein Ritter auf, der feststellt, dass all diese Angebote des Türkischen Kaisers nur Köder seien, welche die Christen darüber hinwegtäuschen sollen, dass der Gott der Türken „des teufels bruoder“52 ist. Es komme ihrem Herrscher nur darauf an, sich im fremde Lande einzunisten. Wer an ihn und seinen Gott glaubt, „der ist des himelreichs beraubt“53.

Nach diesem tritt wieder ein Türke auf, ein Rat des Sultans. Der warnt davor, gegen ihn böses zu reden, denn dessen Gott sei mit ihm und führe seine Vorhaben glücklich zu Ende. Die Einnahme des Kaiserreiches von Trapezunt, „das künkreich von Barbarei“54, sei ein Beleg dafür.

Die Wechselrede setzt ein Christ fort, diesmal ein Edelmann. Wesentlich neues weiß er nicht zu sagen. Er warnt den Türken, er solle aufpassen, dass er sich nicht selbst eine Grube grabe, wenn er sich in christlichem Lande festsetze.

Ein Rat des Sultans, der darauf wieder das Wort übernimmt, rät seinem Herrn trotz der feindlichen Sprache des Edelmannes eine milde Reaktion, denn wer „sich pald lasst überwinden, derselb schnell wider abtrünnig würt“55.

Der Sultan hält sich an diesen Hinweis. Er sei nicht gekommen, um „zu kriegen“ und zu betrügen, sondern weil gelehrte Bücher ihn dazu mahnten. Darin sei nämlich zu lesen, dass der Christen Unglück anheben werde, wenn die Bedrückten und Armen um ihr Recht und Gut gebracht würden, wenn die Satten sich des Hungers nicht mehr erbarmten, wenn die Herren den Bauern keine Ruhe mehr ließen. Diese Nachrichten führten zu dem Schluss, dass der Zeitpunkt gekommen sei, dass sich der Christengott abkehre und eine Umwälzung der Dinge bald bevorstehe. Da er das wisse, wolle er nicht Gewalt anwenden, sondern auf die Kraft der Überzeugung vertrauen. Der Gott der Türken würde, wenn sie sich ihm zuwendeten, „die Übel alle von ihnen nehmen“56. Nach dem Sultan stellt sich ein Bote des Papstes vor. Dieser behauptet, dass der Heilige Vater sich die Klagen über die Türken nicht länger mit anhören werde. Er droht dem Sultan mit Verbannung und harten Strafen. Der Rat des Sultans widerspricht ihm. Sein Herr sei nicht gekommen, um die römische Kirche zu zerstören. Es ginge um „eine rechte reformatzen“57, welche die Missstände im Reich beseitigen soll, die der Rat aufzählt:

Ir seit all ungetreu ainander

Und habt b ö s m ü nz, das ist das ander,

Und falsch richter und ungetreu amptleut.

Wo lebt einer, der ein solchs au ß reut? 58

Auf ein solches Programm vermag der im Anschluss auftretende Bote des Kaisers nur mit heftigen verbalen Attacken zu antworten, in denen er dem Sultan alle Scheußlichkeiten der mittelalterlichen Bestrafung androht.

Die türkische Seite reagiert mit Beharren. Sie werden erst fliehen, „wenn die gans ein wolf wirt jagen, und frauen nimer kinder tragen“59. Nach den Boten des Papstes und des Kaisers erscheint nun auch ein Kurfürst vom Rhein. Seine Beschwerden richten sich vor allem auf die bei der Einnahme Konstantinopels geschehenen Gräueltaten. Der türkische Rat kontert mit dem Hinweis, dass die Kurfürsten bei ihrem Wohlleben, das nur durch Ausbeutung der Bauern möglich sei, allen Grund hätten, vor der eigenen Türe zu kehren.

Nachdem so viele Worte ohne Entscheidung gewechselt wurden, geht das Spiel seinem Ende entgegen. Zunächst treten zwei Bürger auf, Mitglieder des Nürnberger Rates und versichern Kaiser, Fürsten und Herren zum Trotz ihren Geleitschutz. Der Sultan dankt vor seiner Abreise für solches Entgegenkommen und lädt seinerseits die „ersamen weisen burger“60 zu einem Besuch in seinem Reich ein.

4.2 Quellenkritik

„Des Türken Fastnachtspiel“ ist das am häufigsten überlieferte Fastnachtspiel der frühen Nürnberger Fastnachtspieltradition. Zwar wurde es nur handschriftlich überliefert, jedoch bezeugen insgesamt sieben Handschriften aus den Jahren 1456 bis 149061, die das Spiel beinhalten, eine enorme Aufmerksamkeit, welche das Stück zu dieser Zeit erhalten haben muss. Es muss „sowohl mit seiner Thematik an sich wie vor allem mit deren Behandlung die Aufmerksamkeit breiter Volksschichten auf sich gezogen haben“62. Die Tatsache, dass alle untersuchten Quelleneditionen63 den Spieltext fast ausschließlich der Handschrift D64 entnahmen, zeigt, dass diese am vollständigsten sein muss. Dementsprechend war der Text des Stückes in den unterschiedlichen Editionen nahezu identisch.

Eine weitere Besonderheit ist, dass es das einzige Fastnachtspiel ist, von dem man ziemlich genau weiß, wann es verfasst wurde. Schon lange Zeit wird als Abfassdatum das Jahr 1456 angegeben, da zum einen die Eroberung Konstantinopels erwähnt wird und dieses Ereignis im Stück als ein neues betrachtet wird65.

Allerdings spekulierte man lange Zeit darüber, ob dieses Stück Hans Rosenplüt oder Hans Folz zuzuschreiben sei, da in den Handschriften kein Verfassername zu finden war. Mittlerweile ordnet man es jedoch aufgrund des sehr verwandten Schreibstils mit anderen, zu Rosenplüt fest zugewiesenen Stücken dem Rosenplüt-Corpus zu. Da nur diese beiden Autoren als Verfasser in Frage kamen, stand von vornherein Nürnberg als Abfassort fest.

Mit gerade mal 15 Versen gehört „Des Türken Fastnachtspiel“ zu den kürzeren Stücken der frühen Nürnberger Fastnachtspieltradition. Während die meisten überlieferten Stücke Rosenplüts dem Reihenspieltypus angehören, haben wir es hier mit einem der wenigen Handlungsspiele Rosenplüts zu tun. In einer einzigen langen Episode zeigt sich in Dialogform eine geschlossene Handlung.

Eine Besonderheit im Vergleich zu anderen Fastnachtspielen zeigt sich bereits im Prolog, der in diesem Stück von einem Herold vorgetragen wird. Hier wendet sich der Sprecher zwar noch deutlich an das Publikum, zugleich gibt er sich jedoch schon als Figur des Spiels zu erkennen66. Auch eine breite Einführung in das Thema des Stückes, die hier der Herold gibt, ist im Vergleich zu anderen Fastnachtspielen eher untypisch67. Der derbe Epilog des Stückes zählt allerdings wieder zu den typischen der frühen Nürnberger Fastnachtspiele. Auf die Handlung wird nicht mehr eingegangen, stattdessen wird hier der Segen des Wirtes erbeten und es wird eine weitere Lokalität, wo die Schauspieler auftreten werden, genannt. Des weiteren ist in diesem Fastnachtspiel die Charakteristik der Figuren bemerkenswert. Während sich Ritter, Edelmann, Bote vom Papst, Bote vom Kaiser sowie Fürst vom Rhein nur mit unflätigen Worten und ohne wirkliche Argumente auf die Vorschläge der Türken eingehen, so sticht vor allem der türkische Kaiser durch die Macht seiner Sprache, mit der er zu überzeugen versucht, hervor. Eine solche Fixierung auf eine Person ist in den frühen Fastnachtspielen ungewöhnlich68.

4.3 Interpretation

„Fastnachtspiele des 15. Jahrhunderts, die Dramatik in Dialog und Handlung besitzen, [...] gründen sich häufig auf dichterische Widerspiegelung der Alltagswirklichkeit“69. So auch hier in „Des Türken Fastnachtspiel“, denn das Engagement zur politischen literarischen Tätigkeit Rosenplüts geht über ein bloßes Interesse am Politischen und Sozialen hinaus. Es spiegelt sich darin die Betroffenheit des Reichsstadtbürgers von der allgemeinen Situation im Reich, dem Versagen des Kaisers und der Fürsten, dem Verlust von Sicherheit und Frieden. Hier wird mit satirischer Schärfe auf die innenpolitischen Missstände des Reiches eingegangen. Der Türkenkaiser ist hier nichts anderes „als die Projektion der Idealvorstellungen, die die Reichsstädte vom deutschen Kaiser haben: ein Herrscher, der im Bund mit den Städten die Fürsten und das territoriale Prinzip bekämpft, den Reichsfrieden wiederherstellt, die Bauern befreit und die Kirche reformiert“70. Provozierend mussten gerade dann diese idealen Fähigkeiten einem türkischen Kaiser zugesprochen werden, als „Nürnberg ein städtisches Kontingent für die Teilnahme an einem Feldzug gegen die Türken ausrüstete und in der Stadt die Kreuznahme für den Türkenzug gepredigt wurde“71. Rosenplüt beschwört die revolutionäre Krisensituation herauf, die für Deutschland am Vorabend von Bauernkrieg und Reformation kennzeichnend war. Allerdings muss beachtet werden, dass „es sich dabei um rückwärts gewandte politische Ansichten handelt, die sich an der idealisierten Reichseinheit des hohen Mittelalters orientieren“72. An keiner Stelle ruft Rosenplüt zu gewaltsamer Veränderung der Verhältnisse, zu revolutionärer Tat auf. Rosenplüts Ziel liegt hierbei im sozialen Engagement. Er hilft den sozial Schwachen damit, dass er ihre Nöte und Erwartungen artikuliert und durch Literatur auch in breiteren Kreisen die Situation bewusst macht.

4.4 Das Türkenbild

Bevor ich nun zur zentralen Fragestellung dieser Arbeit gelange, der Frage, ob sich in „Des Türken Fastnachtspiel“ ein wirklich neues Türkenbild zeigt, mache ich zunächst auf ein anderes Werk Rosenplüts aufmerksam.

Neben dem untersuchten Fastnachtspiel gibt es ein weiteres Werk Rosenplüts, welches sich mit den Türken beschäftigte. Das 40-strophige „Lied von den Türken“, was aller Vermutung nach 1458/1459 verfasst wurde, richtet sich durchwegs an Kaiser Friedrich III („Herr Adler“) und fordert ihn zur Verteidigung gegen die Türken auf, die sich nach der Einnahme Konstantinopels rüsteten, den Balkan zu erobern.

„ Die Turken sind in Krichen worden fluck.

Her adler, got geb euch heil und gluck,

Last wach ß en ewer flugel! 73

Intensiver noch mahnt Rosenplüt den Kaiser, die Ordnung und Einheit im Reich selbst wiederherzustellen. Kein anderes Gedicht Rosenplüts beschwört in so eindringlicher Weise die chaotische Situation im Reich, den Verlust aller Normen, die Erfahrung des Umbruchs und das Ende eines ganzen Zeitalters74. Eine erste kürzere Fassung des Liedes bezog sich nicht auf die Türken, sondern auf die jecken, d.h. auf die Armagnaken. Sie entstand vermutlich 1444 während des Armagnakeneinfalls, den König Friedrich heraufbeschwor75.

Der Exkurs zum „Lied von den Türken“ war insofern nötig, da sich in diesem Werk ein völlig anderes Türkenbild zeigt. Der Türke wird dort als unmittelbare akute Gefahr dargestellt, der man nur mit einem innenpolitisch stabilen Reich entgegentreten kann. Was die zentrale Botschaft dieses Liedes betrifft, nämlich die Aufforderung zur Wiederherstellung des Frieden im Reiches, so zeigen sich im Vergleich zu „Des Türken Fastnachtspiel“ deutliche Parallelen. Allerdings werden die Kompetenzen im Fastnachtspiel zur Reichsreform dem türkischen Kaiser zugewiesen. Im Lied dagegen ist es der eigene Kaiser Friedrich III, dem diese Kompetenz zugewiesen wird.

Das in dem Lied dargestellte Türkenbild aber scheint sich im Vergleich zum untersuchten Fastnachtspiel deutlich zu unterscheiden. Im Fastnachtspiel gelten die Türken als Retter, im Lied dagegen als Bedrohung. Berücksichtigen wir nun die Tatsache, dass eine Erstfassung des „Lied von den Türken“ nicht von den Türken, sondern von den oben erwähnten jecken handelte. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass das „Lied von den Türken“ gar nicht aufgrund der Türkengefahr umgeschrieben wurde, sondern das „der Türke“ nur als Druckmittel galt, was man je nach politischer Lage auch gegen eine andere Gruppe hätte austauschen können.

Ähnlich lässt sich nun auch beim Fastnachtspiel argumentieren. Rosenplüt könnte als groteskes, sarkastisches Druckmittel den Türken als „den Guten“ dargestellt haben können, um den Zuhörern bzw. Lesern auf scharfe Weise die Missstände im eigenen Reich vorzuführen. So konnte sich Rosenplüt sicher sein, dass er die Aufmerksamkeit des Lesers bzw. des Zuschauers gewinnt. Bei diesem Spiel mit der „Türkenfurcht“ handelt es sich nicht um ein revolutionäres Türkenbild, was der enormen Propagierung von Kirche und Adel gegenüberstand. Wenn man die zentrale Botschaft des Fastnachtspiels betrachtet, also die Missstände im eigenen Reich darzustellen, so hat der Türke an sich mit dem Stück nichts zu tun. So hätte ebenso eine andere starke Macht das Idealbild des Reformators abgeben können. So haben wir es auch nicht mit einem neuen Türkenbild zutun.

„Im Lied von den Türken“ zeigt sich dagegen das eindeutig negative, so auch von der Kirche und dem Adel propagierte, Türkenbild. Das zeigt auch Rosenplüts wahre Einstellung zum Türkenthema und Entkräftigt zudem ein zu vermutendes positives Türkenbild im Fastnachtspiel.

Man kann auch davon ausgehen, das es sich bei dem Lied nicht um bestellte Arbeit vom Nürnberger Rat handelt. Das bezeugt Rosenplüts Zugehörigkeit zur unteren Mittelschicht sowie seine Nicht-Identifikation mit dem Nürnberger Rat76.

5. Fazit

Durch zahlreiche publizistische Mittel, vor allem durch die Massenmedien der Kirche, wurde nach dem Fall Konstantinopels ein ganz bestimmtes hassverzerrtes Bild vom Türken aufgebaut77. „Das Reden über die Türkengefahr wurde enorm intensiv geführt“78, sodass die „Türkenfurcht“ breite Bevölkerungsschichten erreichen konnte und so der Fall Konstantinopels „sehr bald als Ereignis von epochaler Bedeutung ins Bewusstsein breitester Bevölkerungsschichten“79 einging. Auch das neue Medium der Druckerpresse kam als publizistisches Mittel in Einsatz. So „war das früheste einwandfrei gesicherte Datum für ein Erzeugnis der ‚Schwarzen Kunst’, der 22. Oktober 1454, das Ausgabedatum eines gedruckten Ablasszettels zugunsten des Türkenkrieges“80.

„Herrscht also hinsichtlich der negativen Bewertung der Ereignisse von 1453 durchaus Einmütigkeit, so nimmt es wunder, in anderen literarischen Zeugnissen der Zeit auch recht andere Auffassungen zu finden“81. Mit eines dieser „Wunder“ mit „recht anderen Auffassungen“ hat sich diese Hausarbeit beschäftigt. Dabei stand im Mittelpunkt das Fastnachtspiel „Des Türken Fastnachtspiel“ von Hans Rosenplüt. Zunächst konnte man davon ausgehen, in diesem Stück ein ganz der Kirche widersprechendes Türkenbild aufzufinden. Hier wurde das Türkenthema satirisch auf die Spitze getrieben, indem der türkische Kaiser als Reformator der Innenpolitik im eigenen Reich dargestellt wurde. Betrachtet man aber die zentrale Botschaft des Fastnachtspiels und das eindeutig negative Türkenbild im „Lied von den Türken“, so entkräftigen diese Tatsachen das Türkenbild im Fastnachtspiel. So handelt es sich „Des Türken Fastnachtspiel“ um ein kurzlebiges und einmaliges Türkenbild, sofern man es überhaupt so nennen kann.

Was allerdings die Wirkung dieses Stückes angeht, so lässt sich feststellen, dass diese sehr groß gewesen sein muss. Zunächst bezeugen sieben überlieferte Handschriften eine enorme Akzeptanz der Botschaft und der angewandten satirischen Mittel in „Des Türken Fastnachtspiel“. Die Tatsache, dass der Nürnberger Rat erst seit 1474 die Aufführungen der Fastnachtspiele reglementiert, zeigt, dass das Stück in den ersten Jahren mit Sicherheit während der Fastnacht aufgeführt wurde82. Allerdings entwickelte sich die Nürnberger Zensurpolitik von der Mitte des 15. Jahrhunderts an „aufgrund der sich permanent vergrößernden Empfindlichkeit und Angst des Rats in allen von der Literatur berührten politischen und sozialen Fragen als eine ständig weiter ausgreifende und immer perfekter werdende Kontrolle“83. Es gab also in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch einen relativ großen Spielraum für literarische Betätigung auf politischem Gebiet, der von der Jahrhundertmitte an zunehmend eingeengt wurde. So handelt es sich in „Des Türken Fastnachtspiel“ um „Polemik und Satire, wie sie zur Zeit von Folz und Sachs nicht denkbar ist“84. Die Botschaft Rosenplüts in diesem Fastnachtspiel ist auch deshalb besonders hervorzuheben, weil der spätere Handwerkerdichter Hans Folz „in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Politik des Rats vorbehaltlos unterstützte und mit gehässigen antijüdischen Fastnachtspielen und Mären der offiziellen Politik literarische Schützenhilfe gab“85.

Mit Rosenplüts „Des Türken Fastnachtspiel“ haben wir ein Stück Mediengeschichte kennen gelernt, in dem Rosenplüt mit brillanten satirischen Mitteln auf die Missstände im eigenen Reich aufmerksam machte. Die auffällig breite Überlieferung des Stückes beweist die hohe Akzeptanz, die es erhielt. Allerdings verhinderte die zunehmende Zensur des Nürnberger Rates eine weitere Ausprägung dieses sozialkritischen Mediums.

6. Literaturverzeichnis

Quellenverzeichnis / Textausgaben

Froning, Richard: Das Drama des Mittelalters, Stuttgart 1891 / 1892 (Neudruck Darmstadt 1964).

Keller, Adelbert: Fastnachtspiele aus dem fünfzehnten Jahrhundert, Bd. 1 / 3, Stuttgart 1853-1858 (Neudruck Darmstadt 1965-1966).

Kettmann, Gerhard: Frühneuhochdeutsche Texte, Leipzig 1971.

Reichel, Jörn: Hans Rosenplüt, Reimpaarsprüche und Lieder, Tübingen 1990.

Sekund ä rliteratur

Catholy, Eckehard: Fastnachtspiel, Stuttgart 1966.

Catholy, Eckehard: Das Fastnachtspiel des Spätmittelalters, Tübingen 1961.

Classen, Albrecht: Die autobiographische Lyrik des europäischen Spätmittelalters, Amsterdam 1991.

Göllner, Carl: Turcica, Bd. 3, Baden-Baden 1978.

Irmscher, J.: Zeitgenössische deutsche Stimmen zum Fall von Byzanz, in: Byzantinoslavica 14 (1953), S. 109-122.

Keller, Elisabeth: Die Darstellung der Frau in Fastnachtspiel und Spruchdichtung von Hans Rosenplüt und Hans Folz, Frankfurt am Main 1992.

Lenk, Werner: Das Nürnberger Fastnachtspiel des 15. Jahrhunderts, Berlin 1966.

Mertens, Dieter: Europäischer Friede und Türkenkrieg im Spätmittelalter, in: Münstersche historische Forschungen (1991), S. 45-90.

Meuthen, Erich: Der Fall von Konstantinopel und der lateinische Westen, in: Historische Zeitschrift 237 (1983), S. 1-35.

Reichel, Jörn: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, Stuttgart 1985.

Ridder, Klaus: Frühe Nürnberger Fastnachtspiele, Paderborn 1998.

Thomke, Hellmut: Deutsche Spiele und Dramen des 15. und 16. Jahrhunderts, (Bibliothek der Neuzeit 2), Frankfurt 1996.

Wuttke, Dieter: Fastnachtspiele des 15. und 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1978.

Handb ü cher

Glier, Ingeborg: Art. „Rosenplüt, Hans“, in: Verfasserlexikon Bd. 8, S. 195-211.

Glier, Ingeborg: Art. „Rosenplütsche Fastnachtspiele“, in: Verfasserlexikon Bd. 8, S. 211-232.

Schulze, U.: Art. „Drama, V. Deutsche Literatur“, in: Lexikon des Mittelalters, CD-ROM Ausgabe.

[...]


1 Vgl. Mertens, Dieter: Europäischer Friede und Türkenkrieg im Spätmittelalter, in: Münstersche historische Forschungen (1991), S. 72f

2 Keller, Elisabeth: Die Darstellung der Frau in Fastnachtspiel und Spruchdichtung von Hans Rosenplüt und Hans Folz, Frankfurt am Main 1992, S. 31.

3 Vgl. Catholy, Eckehard: Das Fastnachtspiel des Spätmittelalters, Tübingen 1961, S. 2.

4 Vgl. Schulze, U.: Art. „Drama, V. Deutsche Literatur“, in: Lexikon des Mittelalters, CD-ROM Ausgabe.

5 Vgl. Keller, Elisabeth: Die Darstellung der Frau, S. 34.

6 Vgl. Catholy, Eckehard: Fastnachtspiel, S. 1.

7 Vgl. Catholy, Eckehard: Fastnachtspiel, Stuttgart 1966, S. 1.

8 Vgl. ebd., S. 2.

9 Hierbei verweist Catholy auf Robert Stumpfls Buch „Kultspiele der Germanen als Ursprung des mittelalterlichen Dramas“ (Berlin 1936)

10 Vgl. Catholy, Eckehard: Fastnachtspiel, S. 2.

11 Vgl. ebd., S. 2

12 Diese These stellte ebenfalls Stumpfl (siehe Anm. 9) auf.

13 Glier, Ingeborg: Art. „Rosenplütsche Fastnachtspiele“, in: Verfasserlexikon Bd. 8, S. 215.

14 Ebd., S. 215.

15 Vgl. Catholy, Eckehard: Fastnachtspiel, S. 16f.

16 Vgl. Ridder, Klaus: Frühe Nürnberger Fastnachtspiele, Paderborn 1998, S.9.

17 Glier, Ingeborg: Art. „Rosenplütsche Fastnachtspiele“, S. 215.

18 Vgl. ebd., S. 216.

19 Vgl. ebd., S. 217.

20 Ridder, Klaus: Frühe Nürnberger Fastnachtspiele, S. 9. 5

21 Catholy, Eckehard: Fastnachtspiel, S. 41.

22 Glier, Ingeborg: Art. „Rosenplütsche Fastnachtspiele, S. 230.

23 Catholy, Eckehard: Fastnachtspiel, S. 41.

24 Catholy, Eckehard: Fastnachtspiel, S. 12.

25 Ebd., S. 12.

26 Wuttke, Dieter: Fastnachtspiele des 15. und 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1978, S. 425.

27 Ridder, Klaus: Frühe Nürnberger Fastnachtspiele, S. 10.

28 Ebd., S. 10.

29 Vgl. Glier, Ingeborg: Art. „Rosenplütsche Fastnachtspiele“, S. 218.

30 Vgl. Keller, Elisabeth: Die Darstellung der Frau, S. 39-42. Keller schließt aufgrund von drei Einträgen in den Ratsprotokollen von 1475, 1487 bze. 1488, wo von „erbern gesellen“ die Rede ist, eine Beteiligung einiger Patriziersöhne am Fastnachtspiel nicht aus.

31 Vgl. Ridder, Klaus: Frühe Nürnberger Fastnachtspiele, S. 12.

32 Vgl. Wuttke, Dieter: Fastnachtspiele des 15. und 16. Jahrhunderts, S. 419.

33 Vgl. ebd., S. 419.

34 Lenk, Werner: Das Nürnberger Fastnachtspiel des 15. Jahrhunderts, Berlin 1966, S. 11.

35 Vgl. Glier, Ingeborg: Art. „Rosenplütsche Fastnachtspiele“, S. 218.

36 Vgl. Catholy, Eckehard: Fastnachtspiel, S. 20.

37 Ridder, Klaus: Frühe Nürnberger Fastnachtspiele, S. 13. 8

38 Vgl. Glier, Ingeborg: Art. „Rosenplütsche Fastnachtspiele, S. 218.

39 Vgl. Catholy, Eckehard: Fastnachtspiel, S. 21f.

40 Glier, Ingeborg: Art. „Rosenplütsche Fastnachtspiele, S. 218.

41 Ebd., S. 218.

42 Vgl. Thomke, Hellmut: Deutsche Spiele und Dramen des 15. und 16. Jahrhunderts, (Bibliothek der Neuzeit 2), Frankfurt 1996, S. 916.

43 Vgl. Reichel, Jörn: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, Stuttgart 1985, S. 61.

44 Vgl. Reichel, Jörn: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S. 127f.

45 Vereinzelt wurde an der Identität von Rosenplüt und Schnepperer als ein und dieselbe Person gezweifelt. Die Identität ist zwar nicht eindeutig zu beweisen, jedoch spricht bislang mehr dafür als dagegen, dass sich beide Namen auf dieselbe Person beziehen. (Vgl. hierzu Reichel, Jörn: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S. 59-72.)

46 Vgl. Glier, Ingeborg: Art. „Rosenplüt, Hans“, S. 196.

47 Vgl. Reichel, Jörn: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S. 151.

48 Vgl. Glier, Ingeborg: Art. „Rosenplüt, Hans“, in: Verfasserlexikon Bd. 8, S. 197.

49 Classen, Albrecht: Die autobiographische Lyrik des europäischen Spätmittelalters, Amsterdam 1991, S. 437.

50 Vgl. Reichel, Jörn: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S. 193. 10

51 Keller, Adelbert: Fastnachtspiele aus dem fünfzehnten Jahrhundert, Bd. 1 / 3, Stuttgart 1853- 1858 (Neudruck Darmstadt 1965-1966), S. 288.

52 Ebd., S. 290.

53 Ebd., S. 290.

54 Ebd., S. 291.

55 Keller, Adelbert: Fastnachtspiele aus dem fünfzehnten Jahrhundert, S. 292f.

56 Ebd., S. 295.

57 Ebd., S. 297.

58 Ebd., S. 296.

59 Ebd., S. 299.

60 Keller, Adelbert: Fastnachtspiele aus dem fünfzehnten Jahrhundert, S. 302.

61 Darunter die Handschriften M (verfasst um 1456-1458, zu finden in: Bayrische Staatsbibliothek München), D (verf. um 1460-1462, zu finden in: Sächsische Staatsbibliothek Dresden), X (verf. um 1480, zu finden in: Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar), F (verf. um 1472, zu finden in Nürnberg), K (verf. um 1460, zu finden in: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel), G (verf. um 1490, zu finden in: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel) und A (verf. um 1486, zu finden in Augsburg). Informationen entnommen aus: Ridder, Klaus, Frühe Nürnberger Fastnachtspiele, Paderborn 1998, S. 176 sowie S. 193ff.

62 Irmscher, J.: Zeitgenössische deutsche Stimmen zum Fall von Byzanz, in: Byzantinoslavica 14 (1953), S. 119.

63 Untersucht wurden die Editionen: Keller, Adelbert: Fastnachtspiele aus dem fünfzehnten Jahrhundert, Bd. 1 / 3, Stuttgart 1853-1858 (Neudruck Darmstadt 1965-1966); Froning, Richard: Das Drama des Mittelalters, Stuttgart 1891 / 1892 (Neudruck Darmstadt 1964); Kettmann, Gerhard: Frühneuhochdeutsche Texte, Leipzig 1971.

64 Siehe Anm. 50.

65 Schon Adelbert von Keller gab in seiner Fastnachtspieledition (1853-1858) diese richtige Begründung zur Festlegung des Verfasserdatums an. Die Forschung konnte sich diesem bis heute nur anschließen.

66 Vgl. Catholy, Eckehard: Fastnachtspiel, S. 26.

67 Vgl. edb., S.26.

68 Vgl. Glier, Ingeborg: Art. „Rosenplüt, Hans, S. 226. 14

69 Lenk, Werner: Das Nürnberger Fastnachtspiel des 15. Jahrhunderts, S. 37.

70 Reichel, Jörn: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S. 207

71 Ebd., S. 207. Reichel bezieht sich dabei auf die Städte-Chroniken.

72 Ebd., S. 208.

73 Reichel, Jörn: Hans Rosenplüt, Reimpaarsprüche und Lieder, Tübingen 1990, S. 241.

74 Reichel Jörn: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S. 206.

75 Vgl. Glier, Ingeborg: Art. „Rosenplüt, Hans“, S. 200. 16

76 Vgl. Reichel, Jörn: Der Spruchdicher Hans Rosenplüt, S. 170-192.

77 Vgl. Göllner, Carl: Turcica, Bd. 3, Baden-Baden 1978, S. 24.

78 Mertens, Dieter: Europäischer Friede und Türkenkrieg im Spätmittelalter, S. 71.

79 Irmscher, J.: Zeitgenössische deutsche Stimmen zum Fall von Byzanz, in: Byzantinoslavica 14 (1953), S. 109.

80 Mertens, Dieter: Europäischer Friede und Türkenkrieg im Spätmittelalter, S. 73.

81 Irmscher, J.: Zeitgenössische deutsche Stimmen zum Fall von Byzanz, S. 112. 18

82 Vgl., Reichel, Jörn: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, S. 159.

83 Ebd., S. 161.

84 Ebd., S. 162.

85 Ebd., S. 218.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Das Türkenbild im Fastnachtspiel des Spätmittelalters
Hochschule
Universität Münster
Veranstaltung
Europa und das osmanische Reich
Note
gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
21
Katalognummer
V106523
ISBN (eBook)
9783640048021
Dateigröße
462 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Der Titel macht Angst! Aber für diejenigen, die sich mit Fastnachtspielen, Hans Rosenplüt oder dem osmanischen Reich beschäftigen wollen, wird es von Nutzen sein. Genre: Literatur- und Wahrnehmungsgeschichte.
Schlagworte
Türkenbild, Fastnachtspiel, Spätmittelalters
Arbeit zitieren
Thomas Miesseler (Autor:in), 2001, Das Türkenbild im Fastnachtspiel des Spätmittelalters, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106523

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Das Türkenbild im Fastnachtspiel des Spätmittelalters



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden