Sind Naturkindergärten eine Alternative zum Regelkindergarten in der vorschulischen Erziehung?

Vergleich von Naturkindergärten und Regelkindergärten in Deutschland


Hausarbeit, 2017

27 Seiten, Note: 1,3

Benjamin Waldmann (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Naturkindergärten
2.1. Ursprung und Definition
2.2. Formen von Naturkindergärten
2.2.1. „Reine“ Naturkindergärten
2.2.2. Integrierte Naturkindergärten
2.2.3. Feste Naturgruppe
2.2.4. Flexible Natur- oder Wandergruppen
2.2.5. Naturprojekte, -wochen oder -tage
2.3. Konzeptionelle Leitgedanken
2.4. Pädagogische Praxis

3. Vergleich mit Regelkindergärten in der vorschulischen Erziehung
3.1. Unterschiede zwischen Natur- und Regelkindergärten
3.2. Ansprüche an die Schulfähigkeit
3.3. Vorstellung empirischer Untersuchungen

4. Fazit

5. Verzeichnis der Diagramme

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Montessori-, Waldorf- und Reggio-Kindergärten sind nur ein paar Beispiele für alternative Pädagogikkonzepte in Kindertagesstätten und Kindergärten. Sie freuen sich wachsender Beliebtheit und Anerkennung vor Ort. Doch der Regelkindergarten ist weiterhin und mit großem Vorsprung die erste Anlaufstelle für frischgebackene Eltern. Eine weitere Alternative erhält in den letzten Jahren jedoch immer mehr Aufmerksamkeit und das trotz - oder insbesondere weil - es mit traditionellen Vorstellungen einer örtlich festen Anlaufstelle bricht. Die Rede ist vom Natur- oder Waldkindergarten.

Laut dem Bundesverband der Natur- und Waldkindergärten in Deutschland e.V. gibt es aktuell über 1500 Natur- und Waldkindergärten bzw. Gruppen in Deutschland (vgl. BVNW, online). Diese Zahl ist umso erstaunlicher, wenn man beachtet, dass der erste Waldkindergarten in Deutschland erst 1993 in Flensburg gegründet wurde. Selbst aktuelle Literatur und Veröffentlichungen sind daher in der Angabe der Anzahl von Naturkindergärten schnell überholt. Dabei gilt es generell festzuhalten – auch im Hinblick auf diese Hausarbeit – dass nicht nur die deutsch- und englischsprachige Literatur zu dem Thema, sondern insbesondere die Forschung noch sehr spärlich ist. Als die am weitreichendste Forschung ist wohl die Inauguraldissertation von Peter Häfner zu nennen, der in sechs Faktorenskalen die Unterschiede von Kindern aus Wald- und Regelkindergärten im Hinblick auf den Übergang zur Grundschule untersucht hat. Zur gleichen Zeit widmete sich Roland Gorges als Professor für die Fachgebiete Pädagogik und Vorschulerziehung an der Fachhochschule Darmstadt intensiv den Waldkindergärten und begründete mit ersten Erhebungen die empirische Forschung zur Schulfähigkeit von Kindern aus Naturkindergärten. Unter Punkt 3.3. werden diese Ergebnisse sowie weitere Erhebungen vorgestellt, um eine Antwort auf die gewählte Forschungsfrage zu finden.

Denn erstmal klingt es für viele sehr ungewohnt, dass Kinder an jedem Tag, zu jeder Jahreszeit und bei (fast) jedem Wetter draußen in der freien Natur spielen, lernen und gemeinsam essen. Naturkindergärten haben bis auf einen kleinen Unterstand oder einen Bauwagen weder Wände noch Dächer oder selbst sanitäre Anlagen. Befürworter führen dabei verschiedenste Vorteile und Argumente an, weshalb diese Lernatmosphäre in der freien Natur für Kinder besonders wertvoll ist. Als einleuchtend ist dabei das ökopädagogische Argument nach einer besseren Umweltbildung zu nennen. Aber auch eine gesundheitliche Stärkung der Kinder wird angeführt. Ein stärkeres Immunsystem, weniger Erkältungskrankheiten und weniger Allergien sind nur ein paar der genannten Vorteile. Doch welche Veränderungen sind festzustellen beim Sozialverhalten, bei der Konzentration oder den kognitiven Fähigkeiten der Kinder. Wichtige Punkte, die im Hinblick auf die Schulfähigkeit und dem Verhalten im Klassenverbund im Übergang zur Grundschule als „Schulreife“ vorausgesetzt werden. Daher möchte ich in dieser Hausarbeit der Frage nachgehen, ob Naturkindergärten eine Alternative zum Regelkindergarten in der vorschulischen Erziehung darstellen.

Dafür werden zuerst im 2. Kapitel der Ursprung, die konzeptionellen Leitgedanken und Beispiele aus der Pädagogischen Praxis von Naturkindergärten vorgestellt. Aus dieser Vorstellung ergeben sich dabei nicht nur die Argumente, die den Naturkindergarten als Alternative zum Regelkindergarten darstellen, sondern auch die Basis zum Vergleich der beiden Institutionen im anschließenden 3. Kapitel. Dabei sollen nicht nur die beiden Einrichtungen und Konzepte verglichen werden, sondern insbesondere ihre unterschiedlichen Erfolge und Wirkungen in der vorschulischen Erziehung in den Fokus rücken. Hierzu werden die empirischen Ergebnisse vorgestellt. Sie sind die Grundlage zur Analyse der Naturkindergärten als Alternative zum Regelkindergarten.

2. Naturkindergärten

2.1. Ursprung und Definition

Der erste Waldkindergarten wurde 1954 in Dänemark als eine private Initiative rund um Ella Flatau gegründet. Nachdem sie mit ihren eigenen Kindern täglich zum Spielen und zur Naturbeobachtung in den Wald ging, schlossen sich nach und nach Nachbar:innen und Freund:innen an, die für ihre Kinder keinen Kindergartenplatz erhalten hatten (vgl. Rech 1997, S. 13). Insbesondere in den 70er Jahren verbreitete sich diese Idee in Dänemark weiter und wurde in Norwegen, Schweden und in den 90er Jahren auch in Deutschland umgesetzt (vgl. Kane & Kane 2011, S. 16). In Deutschland wurde nach einem Artikel über die Waldkindergartenbewegung in Dänemark die Erzieherinnen Kerstin Jebsen und Petra Jäger auf diese alternative Form der Kindergartenpädagogik aufmerksam, erarbeiteten mit Pädagog:innen und Psycholog:innen ein Konzept und gründeten 1991 einen Verein, der 1993 in Flensburg den ersten Waldkindergarten in Deutschland eröffnete. Dieser wird seitdem vom Land Schleswig-Holstein und der Stadt Flensburg gefördert (vgl. Häfner 2002, S. 33). Diese Gründung war der Ursprung für die besondere Popularität, die Waldkindergärten von nun an in Deutschland erfuhren. Dabei gilt jedoch zu beachten, dass schon 1968 – ebenfalls in Ermangelung von ausreichend Kindergartenplätzen - Ursula Stube in Wiesbaden mit einer festen Wandergruppe dieser Naturpädagogik folgte (vgl. Gorges 2000, S. 275) ohne jedoch einen Namen, ein Konzept oder staatliche Förderung für ihren „Waldkindergarten“ zu haben (vgl. Häfner 2002, S. 34).

Heute werden Naturkindergärten weiterhin und vor allem über ihr fehlendes Gebäude definiert, wobei zu beachten ist, dass sich auch ihre Materialien und Pädagogik vom Regelkindergarten unterscheidet (siehe 2.4.). Eine grundsätzliche Beschreibung hat das Hessische Ministerium für Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Gesundheit veröffentlicht, dass sich so oder in ähnlicher Form in fast allen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Publikationen wiederfindet:

„Reine Wald- bzw. Naturkindergärten unterscheiden sich von Regelkinder-gärten darin, daß sie kein eigenes Gebäude besitzen, sondern unter freiem Himmel ‚zu Hause‘ sind: im Wald oder am Strand, zu jeder Jahreszeit, an jedem Vormittag der Arbeitswoche, bei jedem Wetter (abgesehen von extremen Witterungslagen), vier Stunden im Sommer, drei bis dreieinhalb Stunden im Winter, also Kindergärten ‚ohne Türen und Wände‘. In der Regel verfügen Waldkindergärten jedoch über einen Stützpunkt, in dem die Gruppe bei plötzlichem Wetterumschwung Schutz finden kann und wo auch Materialien und Geräte gelagert werden können […]“ (1998, S. 8)

Diese Beschreibung des hessischen Umweltministeriums zeigt, dass jedoch nicht nur der Wald als natürliche Umgebung genutzt wird. Gorges hält ebenfalls dazu fest, dass „anstatt „Waldkindergarten“ sich auch häufig die Bezeichnung „Naturkindergarten“ [findet], insbesondere dort, wo kein Wald vorhanden ist, die Kinder sich aber dennoch in der freien Natur, z.B. am Strand, aufhalten.“ (2000, S. 276). So plant beispielsweise aktuell auch die Stadt Hamm in Nordrhein-Westfalen eine „Natur-Kita“ einzurichten, die zum ersten Mal eine Flussaue als Umfeld nutzen will (vgl. Stadt Hamm 2016, S. 99f). In dieser Hausarbeit wird daher der Begriff „Naturkindergarten“ als Oberbegriff verwendet, um neben der häufigsten Form des Waldkindergartens auch die anderen Naturräume zu inkludieren. Zusätzlich existieren neben diesen „reinen“ Naturkindergärten auch integrierte Formen oder einzelne Waldgruppen in Regelkindergärten, die sich an die Pädagogik der Naturkindergärten anlehnen.

2.2. Formen von Naturkindergärten

2.2.1. „Reine“ Naturkindergärten

Diese schon oben beschriebene Form ist ein Halbtagskindergarten, der ausschließlich in Naturräumen stattfindet und über kein eigenes Gebäude verfügt. In der Regel liegen die Betreuungszeiten in den Sommermonaten bei vier Stunden und in den Wintermonaten bei drei bis dreieinhalb Stunden am Vormittag (vgl. Häfner 2002, S. 44f).

2.2.2. Integrierte Naturkindergärten

Diese Form sind Ganztagskindergärten, in denen die Kinder am Vormittag in der freien Natur und am Nachmittag in eigenen Räumen wie in einem Regelkindergarten spielen. Der Personalschlüssel gleicht dabei dem eines „reinen“ Naturkindergartens (vgl. Häfner 2002, S. 45). Damit werden sie dem Anspruch an mehr Ganztagsbetreuung bei Berufstätigkeit beider Elternteile bzw. bei Alleinerziehenden gerecht. Häfner prophezeit deshalb, dass „auf Grund dieser absehbaren gesellschaftlichen Entwicklung […] sich in Deutschland die integrierte Form eines Waldkindergartens durchsetzen [wird]“ (ebd.).

2.2.3. Feste Naturgruppe

Ähnlich dem integrierten Modell verbringt eine feste Gruppe von Kindern den Vormittag in der Natur ist jedoch anschließend am Nachmittag fester Bestandteil eines Regelkindergartens. Damit wird sie ebenfalls dem Anspruch einer Ganztagsbetreuung gerecht. Während diese Form in Deutschland noch selten ist, ist sie wiederum in Dänemark das weit verbreitetste Modell von Naturkindergärten (vgl. Häfner 2002, S. 46).

2.2.4. Flexible Natur- und Wandergruppen

Hier wird in einem Regelkindergarten täglich eine Gruppe zusammengestellt, die sich auf den Weg in die Natur macht (vgl. Gorges 2000, S. 276). Teilweise können die Kinder dabei selbst entscheiden, ob sie lieber im Kindergarten bleiben oder mitgehen, oder es gibt festgelegte Tage für die Wanderung in die Natur und den Aufenthalt in den Räumlichkeiten des Kindergartens (vgl. Häfner 2002, S. 46).

2.2.5. Naturprojekte, -wochen oder -tage

Immer häufiger bringen Regelkindergärten in projektbezogenen Zeitspannen die Natur in ihre pädagogische Arbeit mit ein und nutzen dazu Ideen und Konzepte von Naturkindergärten (vgl. Gorges 2000, S. 276). Diese ermöglichen Kindern – insbesondere aus urbanen Gebieten – neue und außergewöhnliche Erfahrungen. Häfner weist dabei daraufhin, dass „durch die völlig neue Umgebung […] dies anfangs bei einigen Kindern mit Problemen verbunden sein [kann]. Das Fehlen von Spielzeug oder der unbegrenzte Raum kann auf einige Kinder irritierend und befremdend wirken. Meist weicht diese Skepsis nach einigen Tagen, und die Kinder haben mehr und mehr Spaß an und in der Natur“ (2002, S. 47).

2.3. Konzeptionelle Leitgedanken

Auch wenn die ersten Naturkindergärten eher aus der Not heraus entstanden sind, um neue Kindergartenplätze zu schaffen, so werden heute verschiedenste und vielfältige Gründe und Leitgedanken genannt, die die Pädagogik der Naturkindergärten tragen. Sie beziehen sich häufig auf eine Kritik der aktuellen Medien- und Konsumgesellschaft, in die die Kinder hineinwachsen. Diese wird als „zivilisatorisch und sozialökologisch determinierte Umstände“ (Gorges 2000, S. 277), als „Verhäuslichung“ (Häfner 2002, S. 16), als „Verinselung“ (ebd, S. 17) oder als „Unterforderung […] sinnlicher und emotionaler Bedürfnisse“ (Seifert 2001, S. 47) charakterisiert. Dabei schließt diese Kritik, die sich heute insbesondere auf die Medienwelt mit Computern und Fernsehern konzentriert, nahtlos an frühere Zivilisationskritik an, wie sie beispielsweise schon 1963 vom Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich in einem Gastbeitrag in der Zeitung „Die Zeit“ formuliert wurde. Darin formuliert er eine Definition pädagogischer Vorraussetzungen für „den jungen Menschen“, die noch heute als Paradigma der Naturkindergarten-Bewegung angesehen werden kann:

„Er braucht deshalb seinesgleichen – nämlich Tiere, überhaupt Elementares, Wasser, Dreck, Gebüsche, Spielraum. Man kann ihn auch ohne das alles aufwachsen lassen, mit Teppichen, Stofftieren oder auf asphaltierten Straßen und Höfen. Er überlebt es – aber man soll sich dann nicht wundern, wenn er später bestimmte soziale Grundleistungen nie mehr lernt […]“ Dieser Herleitung einer naturorientierten Erziehung wird durch weitere Argumente ergänzt und gestützt. Diese seien hier kurz als Leitgedanken vorgestellt:

Als soziologischer bzw. sozialökologischer Leitgedanke wird die bereits erwähnte „Medienkindheit“ und „Konsumkindheit“ (Gorges 2000, S. 276) kritisiert und angeführt, dass Kinder seltener die Möglichkeit haben natürliche Lebensräume kennenzulernen, das Umfeld der elterlichen Wohnung zu erkunden, Eigeninitiative zu entwickeln oder Stille zu erfahren (ebd.). Gleichzeitig führt Gorges an, dass Kinder ihre Umwelt mehr und mehr über Medien erfahren, dass sie technische und elektronische Geräte bedienen, dass sie mit perfektioniertem Spielzeug und häufiger in pädagogisch angeleiteten Situationen spielen und sich häufiger in geschlossenen Räumen aufhalten oder im Auto mitfahren (ebd., S. 277). Diese Umstände werden als „eine der Hauptursachen für die immer häufiger zu beobachtenden Verhaltensauffälligkeiten oder -störungen wie hyperkinetisches Syndrom, Konzentrations-schwächen, Tendenz zu aggressiven Verhalten angesehen“ (ebd.). Auch eine starke Zunahme an Sprachentwicklungsstörungen bei Kindern wird dieser Entwicklung zugesprochen (vgl. Häfner 2002, S. 21).

Daran anschließend wird auch das Sozialverhalten der Kinder als sozialpädagogischer Leitgedanke in den diversen Veröffentlichungen angeführt. So spricht Häfner von einer „Verhäuslichung“ (2002, S. 16f), zu der er nicht nur die Verlagerung der Spieltätigkeit von Außen nach Innen, sondern ebenso die Veränderung von größeren Spielgruppen hin zu einem „Verabredungsgeflecht“ mit befreundeten Kindern aus anderen Familien zählt, welches häufig zu einem Spiel zu zweit führt. Auch den Rückgang der Geburtenrate und damit das vermehrte Auftreten von „Einkindfamilien“ betont er dabei und hält fest: „Eine Folge aus diesem „veränderten Sozialverhalten“ im Kindesalter ist, dass sich die Kleinen zwar einen Spielpartner aussuchen können, aber solchen Kindern die überaus wichtigen sozialen Erfahrungen aus dem gegenseitigen Umgang in größeren Gruppen fehlen“ (ebd.). Diese größeren Gruppen sind zwar auch in Regelkindergärten zu finden, doch wird bei den Naturkindergärten besonders angeführt, dass durch die fehlenden räumlichen Einschränkungen sich Gruppen besser spontan bilden und ebenso spontan umbilden können (vgl. Johannes 1998, S. 42). Ebenso ist das große und natürliche Umfeld der Natur ein Ort, der durch gegenseitige notwendige Hilfe, nötige Konfliktlösungen und mit natürlichen Anlässen für eine gemeinsame Lösung von Aufgaben die kooperativen Verhaltensmuster unter Kindern stärkt und auch zur kommunikativen Kompetenz beiträgt. Zusätzlich sind Regeln leichter herauszuarbeiten und zu vermitteln, da der Sinn und die Relevanz für die Kinder bei den besonderen Herausforderungen und Gefahren in der Natur (Fuchsbandwurm, giftige Pflanzen, Unwetter, Insekten) besser nachvollziehbar sind (vgl. Gorges 2000, S. 278).

Neben diesen sozialen Faktoren verbindet der gesundheitliche Leitgedanke die Konzeptionen von Naturkindergärten. So wird betont: „[…] children who attend Waldkindergarten are healthier, have stronger immune systems and fewer allergies, develop a greater sense of self, and develop a greater sense of empathy towards nature and others“ (Kane & Kane 2011, S. 16). Diese geringere Anfälligkeit für Erkältungskrankheiten und Allergien wird um die Vorbeugung gegen Haltungsschäden und Fehlentwicklungen der Wirbelsäule und Rückenmuskulatur ergänzt, zu dem die große Bewegungsmöglichkeit und natürlichen Bewegungsanlässe in der Natur beitragen. Auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Leistungsfähigkeit sowie der Zusammenhang zwischen psychomotorischen Erfahrungen mit der kognitiven Entwicklung heben die Bedeutung für eine gesunde Entwicklung der Kinder hervor (vgl. Gorges 2000, S. 277f).

Als viertes Argument ist der ökopädagogische Leitgedanke anzuführen, da die Kinder in der technisierten Welt mit Naturkindergärten einen Ort erleben, in dem sie einen behutsamen und respektvollen Umgang mit Lebewesen und der Natur erlernen. Damit ist diese Umwelterziehung eine wichtige Säule der Naturkindergärten, die damit dem Verlust von Naturerfahrung entgegenwirken wollen (vgl. Gorges 2000, S. 277). Dabei steht nicht das Erlernen von Namen einer Pflanze oder eines Tieres im Vordergrund, sondern die primäre „hautnahe“ Erfahrung der Vielseitigkeit und Einzigartigkeit der Natur im jahreszeitlichen Kreislauf sowie die Erhaltung und der Schutz ihrer (vgl. Häfner 2002, S. 40).

Als letztes sei hier der sinnliche bzw. erlebnispädagogische Leitgedanke erwähnt. Dieser schließt ebenfalls an die Kritik an, dass im Zeitalter von Computern und Fernsehen viele Sinneseindrücke mit einer Reizüberflutung des auditiven und visuellen Sinns einhergehen, während der olfaktorische (Riechen), gustatorische (Schmecken) und taktile (Fühlen) Sinn vernachlässigt wird. Gleiches gilt für den kinästethischen (Bewegungsempfindung) und vestibulären (Geichgewichtssinn) Sinn (vgl. Häfner 2002, S. 41). Die Vielfalt emotionaler und sinnlicher Eindrücke, die in der Natur möglich sind, bieten dazu in Naturkindergärten einen ganzheitliche und erlebnisbetonte Erfahrungen die in den pädagogisch strukturierten Räumen eines Regelkindergartens nicht möglich sind oder – z.B. mit Tastsäckchen oder Riechfläschchen – konstruiert werden müssen.

Diese Leitgedanken sind nicht getrennt voneinander zu betrachten, sondern bedingen einander und stehen miteinander im Zusammenhang. Gleichzeitig setzen Naturkindergärten eigene Schwerpunkte und betonen so in ihrer Konzeption unterschiedliche Leitgedanken. So gibt es beispielsweise Naturkindergärten, welche die Bezeichnung „Erlebniskindergarten“ tragen (vgl. Gorges 2000, S. 278) oder die mit dem Schwerpunkt Umweltbildung von Förster:innen, Naturschützer:innen und Waldpädagog:innen gegründet wurden (ebd., S. 277). Insgesamt sind jedoch – bei aller Vielfalt – diese aufgeführten Leitgedanken als verbindendes Element aller Naturkindergärten anzusehen.

2.4. Pädagogische Praxis

So wie es bei der Vielfalt der Naturräume und der pädagogischen Schwerpunkte eine Vielzahl von Unterschieden zwischen den einzelnen Naturkindergärten gibt, so gibt es diese auch in der praktischen Umsetzung vor Ort. Jedoch sind auch hier ein paar Element verbindend, die in den meisten Naturkindergärten umgesetzt werden (vgl. BVNW, online):

- Morgenkreis: Nach Verabschiedung der Eltern wird mit einem Lied, Gedicht oder Spiel der gemeinsame Tag eingeläutet und geschaut, wer alles da ist und wie viele insgesamt da sind. Auch ein erster Austausch über die Erlebnisse am Vortag oder Wochenende findet dort statt. Anschließend wird gemeinsam überlegt und entschieden, wo die Gruppe am Tag hingeht und was sie dort unternehmen wollen.
- Frühstück: Gefrühstückt wird am vereinbarten Ort. „Auf dem Weg zum vereinbarten Frühstücksplatz kann sich jedes Kind Zeit lassen. Nach dem Motto „Der Weg ist das Ziel“ gibt es bereits dorthin für jedes Kind viel zu entdecken, erkunden und zu spielen“ (Häfner 2002, S. 48). Wichtig ist dabei nur der Rufbereich zu den Erzieher:innen und zuvor festgelegte Haltepunkte auf der Strecke, wo die Gruppe wartet und erst weitergeht, wenn alle Kindern den Haltepunkt erreicht haben.
- Freispiel: In der Freispielphase haben die Kinder alle Möglichkeiten sich frei zu beschäftigen ohne Anleitung durch Erzieher:innen. Dabei entstehen kleinere und größere Gruppen oder auch Einzelbschäftigung. Spielsachen oder -geräte werden nicht mit in den Wald genommen - gespielt wird mit den Objekten, die in der Natur gefunden werden. Neben der Fantasie schärft dieses Spiel auch die kognitiven und kommunikativen Kompetenzen der Kinder. Amanda und Judy Kane beschreiben dieses Kernelement der pädagogischen Praxis in ihrem Artikel „Waldkindergarten in Germany“: „There are no human-made toys in the woods. Children use their imaginations to create fantasy objects. Some childrens have found evergreen branches and are pretending to paint a tree, using the branches as imaginary brushes. The branches are then transformed into brooms, and the children clean the Forest floor. One child pushen a knob on a tree to sound an imaginary fire alarm, and others run for safety! Creative fantasy play, where objects are transformed in countless ways, is an essential component in these schools. This symbolic fantasy play develop abstract thinking and comprehension of spatial relationships, skills that young children do not get from traditional pencil and paper tasks or from toys with predetermined meanings. They are also role-playing and learning cooperative social skills, other important developmental tasks“ (2011, S. 17).

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Details

Titel
Sind Naturkindergärten eine Alternative zum Regelkindergarten in der vorschulischen Erziehung?
Untertitel
Vergleich von Naturkindergärten und Regelkindergärten in Deutschland
Hochschule
Universität Bielefeld
Veranstaltung
Theorien & Institutionen
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
27
Katalognummer
V1066275
ISBN (eBook)
9783346475749
ISBN (Buch)
9783346475756
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Naturkindergarten, Waldkindergarten, Regelkindergarten, Kindergarten, Kita, Schule, Schulfähigkeit, Vorschule, Erziehung, Bildung, Vorschulische Erziehung, Naturpädagogik, Umweltpädagogik, Natur, Umwelt, Ökologie, Verhäuslichung, Verinselung, Wald, Strand, Häfner, Gorges, Vergleich, Empirie, quantitative Studie
Arbeit zitieren
Benjamin Waldmann (Autor:in), 2017, Sind Naturkindergärten eine Alternative zum Regelkindergarten in der vorschulischen Erziehung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1066275

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