Die Frage nach dem Widerstand innerhalb der Krankenpflege im Nationalsozialismus


Hausarbeit, 2001

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. EINLEITUNG

2. NACH DER MACHTÜBERNAHME
2.1. DIE ALLGEMEINE STIMMUNG UND DIE STIMMUNG IN DEN KIRCHLICHEN SCHWESTERNVERBÄNDEN
2.2. DIE NEUORGANISATION DER PFLEGE
2.3. ZUSAMMENFASSUNG

3. WIDERSTAND
3.1. WIDERSTAND DER KIRCHLICHEN VERBÄNDE GEGEN GLEICHSCHALTUNG UND VERDRÄNGUNG AM BEISPIEL DER INNEREN MISSION UND DIAKONIE
3.2. EINE BIOGRAPHIE DES WIDERSTANDES
3.3. DIE FRAGE NACH DER MÖGLICHKEIT DES WIDERSTANDES
3.3.1. Mitleid und Mitgefühl mit den Opfern
3.3.2. Rechtfertigungen
3.3.4. Widerstand war möglich

4. ZUSAMMENFASSUNG

5. LITERATUR

1. Einleitung

Als im Dezember 1945 die Pflegerin Wieczorek im Prozess gegen die Angestellten der Heil- und Pflegeanstalten Obrawalde vor dem Berliner Landgericht befragt wurde, warum sie Patienten mittels Injektion von Morphin bzw. Morphin-Skopolamin zu Tode brachte, antwortete sie Folgendes:

„Zur ersten Zeit haben die Oberpflegerin Ratajczak und Luise E. die Spritzenverabfolgt. Dann ließmich, ebenso wie andere Stationspflegerinnen der DirektorGrabowski kommen, wann kann ich nicht genau sagen, er sagte, wir müssten den Oberpflegerinnen jetzt helfen, es wäre für sie zu viel, auch mit den Sachen und was drum und dran wäre, wir müssten die Spritzen mit verabfolgen. Ich weigerte mich zuerst1, und ersagte, das hätte aber keinen Zweck, da ich langjährige Beamtin wäre2,müsste ich meine Pflicht tun, besonders in Kriegszeiten.[...]

Im Jahre 1942 oder Anfang 1943 wurde noch eine Oberpflegerin gesucht. Die Oberpflegerin Gr. fragte mich, ob ich den Postenübernehmen wollte, aber ich müßte dannalles tun. Da habe ich mich geweigert und da bekam Frl. Luise E. die Stelle als Oberpflegerin.(...)“(Ebbinghaus, 1997)

Die unkritische Einstellung gegenüber der Euthanasie-Befehle sowie der zum Teil blinde Gehorsam gegenüber ärztlicher Anordnungen kostete in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland tausenden Erwachsenen und Kindern das Leben, beendet durch Injektionen von Luft oder einer tödlichen Dosis eines Medikamentes durch an den Institutionen arbeitenden Krankenschwestern. Aus dem damaligen und auch heutigen ethischen Verständnis heraus sind dies Taten, die eigentlich nicht hätte geschehen dürfen.

Was trieb damals die Krankenschwestern dazu, wehrlose und wehrlos gemachte Patienten zu töten ? Hatten Sie kein Gewissen ? Waren sie zu Widerstand nicht fähig oder gar bereit ? Wie sind Aussagen wie die obige zu bewerten, aus denen hervorgeht, dass Widerstand bis zu einem gewissen Grad möglich war ?

Ich möchte in dieser Arbeit der Frage nachgehen, inwieweit es eine Widerstandsbe- wegung, an einem Beispiel der Inneren Mission und der Diakonie, innerhalb der Schwesternverbände während der Herrschaft der Nationalsozialisten gab oder ob Widerstand nur eine Tat von Einzelnen war. Außerdem versuche ich der Frage nachzugehen, ob es möglich gewesen wäre, mehr Widerstand zu leisten als dies geschehen ist.

Ich werde als erstes ein Stimmungsbild innerhalb der Schwesternorganisationen nach der Machtübernahme geben, dann die Bemühungen der Nationalsozialisten, die Pflegeorganisationen gleichzuschalten, wiedergeben, um danach mich dem Thema des Widerstandes innerhalb der Organisationen bzw. von einzelnen Menschen zu widmen. Am Schluss gehe ich der Frage nach, inwieweit mehr Widerstand möglich gewesen wäre.

2. Nach der Machtübernahme

2.1. Die allgemeine Stimmung und die Stimmung in den kirchlichen Schwesternverbänden

Als Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, war dies lediglich ein formaler Akt. Doch nicht nur die Begleitumstände der Machtübernahme der Nationalsozialisten wie dramatisch gestaltete Fackelaufzüge, Massenaufmärsche und Appellen begeisterten die Massen, vielmehr fand in ihren Augen der lang ersehnte nationale Aufbruch statt (Fest, 1991). Weg von der antinationalen Politik der Weimarer Republik, die nicht ihr Heil in der Wiederherstellung des großdeutschen Reiches sah, sondern vielmehr in der Erfüllung des nach dem ersten Weltkrieg auferlegten Versailler Vertrages, weg von den Gegensätzen innerhalb der Gesellschaft, hin zum nationalen Sozialismus.

Dieses Gefühl ergriff nahezu alle Gesellschaftsschichten. Auch die Schwestern- verbände des evangelischen Diakonievereins gaben Hitler ihre Zustimmung. Schon früh waren ihre Mitglieder in den Sog der nationalsozialistischen Politik geraten. Auf Grund der politischen Gesinnung ihrer Elternhäuser (40% der Väter waren Akademiker, 21% Kaufleute und Gewerbetreibende, 16% Beamte und Lehrer), die gegen die Erfüllung des Versailler Vertrages waren und für ein neues Kaiserreich und die Wiederherstellung des großdeutschen Raumes eintraten, betrachteten sie Hitler als denjenigen, der ihre nationalen Wünsche in Erfüllung bringen würde.

(Katscher, 1990).

Pastor Grossmann, ehemaliger Direktor des Diakonievereins schrieb hierzu:

Aber das mußdoch gesagt werden, dass in unseren Reihen ein ganz starker Zug zum Nationalsozialismus, auch schon vor der nationalen Revolution, wie in den Reihen der evangelischen Diakonieüberhaupt, in die Erscheinung getreten ist.“(Katscher, 1990)

Doch auch die Zweifler und diejenigen, die die politische Neutralität eines evangelischen Diakonievereins im Sinn hatten, meldeten sich zu Wort. Schon 1928 verbot man es den Schwestern, abfällig über die Nationalflagge der Weimarer Republik zu reden („Schwarz-Rot-Mostrich“) und Dr. Harmsen, Leiter des Referats Gesundheitsfürsorge schrieb bereits 1931:

Ich persönlich empfinde es als tiefe Not, dass in breiten Kreisen unseres Volkes nichtohne Berechtigung evangelische Schwestern, besonders Diakonieschwestern, mitreaktionärer Politik identifiziert werden.“(Katscher, 1990).

Auch die Innere Mission sah in Hitler den Erfüller ihres Kampfes gegen Verwahr- losung der Jugend, Massenarbeitslosigkeit und -verelendung und Zusammenbruch des Lebenswillens in vielen Schichten, zumal Hitler schon frühzeitig signalisierte, dass er die Zusammenarbeit mit den großen christlichen Konfessionen für unentbehrlich hielt.

Doch der im Kirchenvolk entstandene Massenrausch legte sich relativ schnell, als im Sommer 1933 der Kampf der Nationalsozialisten gegen die Kirchen begann. (Beyreuther, 1983).

2.2. Die Neuorganisation der Pflege

Als eine der größten Berufsgruppen im Reich und der größten im Gesundheitswesen, geriet die Krankenpflege schnell in das Visier der Nationalsozialisten. Nach ihrer Vorstellung war die Krankenpflege und dort vor allem die Krankenschwestern und Pflegerinnen, die in der Gemeindepflege tätig waren, dazu geeignet, als „Transportmittel“ die nationalsozialistische Ideologie in jeden Haushalt des Reiches zu bringen. Dementsprechend groß war das Interesse, die Krankenpflege und ihre Organisationen neu zu strukturieren und ideell neu zu formieren. Es waren vor allem zwei Ziele, die verfolgt wurden:

1. Die Vereinheitlichung, organisatorische Straffung und Zusammenfassung der vielen verschiedenen, zersplitterten Berufsverbände unter einer nationalsozialistischen Führung.

2. die inhaltliche „Gleichschaltung“, das heißt die möglichst weitgehende Durchdringung der pflegerischen Berufsauffassung mit der nationalsozialistischen Weltanschauung.

Sich daraus ergebend versuchte man vor allem den Einfluss der kirchlichen Verbände zu schmälern, in denen man den größten Widerstand erwartete (Steppe, 1996).

Eine Vielzahl rivalisierender Organisationen hatten den Anspruch, diesen Bereich neu zu strukturieren. Hierbei setzte sich die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) unter ihrem Leiter Erich Hilgendfeld durch. Sie definierte die Ziele der Volkswohlfahrt und damit auch der Krankenpflege neu: nun galt nicht mehr als oberstes Ziel das Wohl des Einzelnen, vielmehr stand das Wohl des Volkes und damit die Volksgesundheit im Vordergrund. Auch die Art der Pflege und Unterstützung richtete sich jetzt nur nach der Bedeutung der Leistung des Einzelnen für die Gesellschaft.

Auf die Gleichschaltung der einzelnen Verbände wurde schrittweise aber gezielt hingearbeitet. Den Anfang stellte die Gründung der „Reichsarbeitsgemeinschaft der Berufe im ärztlichen und sozialen Dienste e.V.“ (RAG) 1933 dar, der 11 berufsständige Reichsfachschaften, darunter auch die „Reichsfachschaft deutscher Schwestern und Pflegerinnen“ und die „Reichsfachschaft deutscher Krankenpfleger“ eingegliedert waren. Diese wurde 1935 komplett in die Deutsche Arbeiterfront (DAF) überführt, die nach der zwangsweisen Auflösung der Gewerkschaftsverbänden entstand.

Die schon vor der Machtübernahme entstandenen Schwesternschaften, die dem nationalsozialistischen Gedankengut bzw. der NSDAP nahe standen wie z.B. die „Roten Hakenkreuzschwestern“, mussten sich 1934 auflösen, um der Gründung einer Schwesternschaft unter der Leitung des NSV Platz zu machen, die „NSV- Schwesternschaft“, die jedoch bald in die offizielle „NS-Schwesternschaft“ überführt wurde.

Im Oktober 1936 wurde der „Reichsbund der freien Schwestern und Pflegerinnen“ gegründet, in dem alle freiberuflichen, also nicht organisierten Schwestern und Pflegerinnen, ihren Platz finden sollten.

Im April 1942 kam es dann zum Zusammenschluss des „Reichsbundes freier Schwestern“ und der „NS-Schwesternschaft“ zum „NS-Reichsbund deutscher Schwestern“.

Den kirchlichen Schwesternverbänden war durchaus bewusst, dass sie sich der organisatorischen Gleichschaltung nicht entziehen konnten, waren aber in der Lage durch die Gründung neuer Verbände, die innerhalb der RAG bzw. später innerhalb der DAF bestand hatten, ihren dem jeweiligen Verband eigentümlichen Charakter beizubehalten. So kamen die evangelischen Schwesternverbände schon im Herbst 1933 überein, eine eigene Gemeinschaft zu gründen, um Geschlossenheit gegenüber der Regierung und seiner Verbände zu zeigen: es entstand die Diakonie- gemeinschaft. Weiterhin wurde die „Reichsgemeinschaft der freien Caritas- schwestern“ sowie der Verband der freien Schwestern des Kaiserwerther Verbandes die „Verbandschwestern“ gegründet.

Ebenfalls vereinheitlicht und überarbeitet wurde die Ausbildung der Schwestern, in der auch die Ideologie der Nationalsozialisten (inklusive der Rassenideologie) Einzug hielt. Die Ausbildung fand nun in staatlich anerkannten Schulen statt und dauerte 18 Monate. Zuvor musste jedoch ein einjähriges Haushaltspraktikum absolviert werden. Der Inhalte der Ausbildung wurde auf den neuesten Stand gebracht, die Berufsbezeichnung wurde erstmalig geschützt.

2.3. Zusammenfassung

Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler setzte unter der Bevölkerung und damit auch unter den einzelnen weltlichen und kirchlichen Schwesternverbänden eine Euphorie über die „nationalsozialistische Revolution“ ein. Hitler verkörperte für viele das Gegenteil der niemals richtig angenommene Weimarer Republik und den damit verbundenen politischen Gegebenheiten.

Nach Auflösung der freien Gewerkschaften und einzelner Schwesternverbände zum Ziel der Gleichschaltung war jedoch vielen klar geworden, dass die von Hitler versprochene Umwälzung weitreichender sein würde, als sich dies viele gedacht hatten. Vor allem die kirchlichen Verbände erkannten dies schnell und handelten prompt, um die Eigenständigkeit ihrer Verbände in Schutz zu nehmen. Der anfänglichen Begeisterung aller Gesellschaftsschichten wich eine gewisse Skepsis gegenüber den Zielen der Nationalsozialisten.

3. Widerstand

Widerstand in der Krankenpflege oder innerhalb der Pflegeorganisationen ist auch heute noch ein kaum erforschtes Gebiet in der Geschichte des Nationalsozialismus. Nur wenige Krankenschwestern sind namentlich bekannt, die aktiv Widerstand aus verschiedenen Motiven heraus geleistet haben (Steppe, 1997). In diesem Kapitel möchte ich auf die Formen des Widerstandes eingehen, die die kirchlichen Verbände - am Beispiel der Inneren Mission und der Diakonie - und damit auch deren Krankenpflegeverbände auf die eine oder andere Art geleistet haben. Danach entwerfe ich eine kurze Biographie einer Krankenschwester, die auf Grund ihres aktiven Widerstandes zum Tode verurteilt wurde. Zuletzt werde ich der Frage nachgehen, ob ein vermehrter Widerstand möglich gewesen wäre.

3.1. Widerstand der kirchlichen Verbände gegen Gleichschaltung und Verdrängung am Beispiel der Inneren Mission und Diakonie

Nach dem großen „Massenrausch bis tief hinein in die Reihen des Kirchenvolkes und der Mitarbeiterkreise der Inneren Mission“ (Beyreuther, 1983), folgte recht schnell die Erkenntnis, dass die Nationalsozialisten das Ziel hatten, die Kirche und deren Verbände gleichzuschalten. Die Innere Mission erfuhr dies u.a. im Winter 1933/34 mit dem Beschluss, ein NS-Winterhilfswerk einzusetzen, welches das bisher von der freien Wohlfahrt organisierte Winterhilfswerk ablöste. 1934 trat ein neues Sammlungsgesetz ein, das alle öffentlichen Sammlungen genehmigungspflichtig machte. „Mit Hilfe dieses Gesetzes wurde innerhalb von drei Jahren die Innere Mission von allen öffentlichen Sammlungsmöglichkeiten weggedrängt“ (Beyreuther, 1983). Dieses neue Sammlungsgesetz wurde jedoch ab September 1937 umgangen, indem die Landeskirche einen Opfersonntagein einführte, den sogenannten „Tag der Inneren Mission“, um die Verluste durch das neue Sammlungsgesetzt durch die kirchliche Kollekte auszugleichen. Diese Kollekte stellte sich als großer Erfolg heraus. Mehr als 50% der Einnahmeverluste konnten so gedeckt werden (Kaiser, 1990). Das „Sammlungsverbot“ wurde so umgangen.

Auch die Versuche der nationalsozialistischen Vertreter, die kirchlichen Verbände und ihre Schwestern aus den Krankenhäusern zu vertreiben, scheiterte zeitweise nicht nur an der numerischen Unterzahl der nationalsozialistisch gesinnten Schwestern gegenüber den konfessionell organisierten Schwester3, die verhinderte, dass diese die Arbeit übernahmen, vielmehr war es auch der bewusste passive Widerstand, den die kirchlichen Organisationen solchen Versuchen der Vertreibung entgegensetzten.

Als Beispiel hierfür kann der Gründungsversuch einer „braunen Schwesternschaft“ innerhalb des städtischen Krankenhauses Nordstadt in Hannover aufgeführt werden. Der Magistrat der Stadt Hannover hatte für dieses Krankenhaus seit 1894 einen Gestellungsvertrag mit dem diakonischen Mutterhaus „Henriettenstift“ inne. Neben den Diakonissen arbeiteten dort auch Johanniterschwestern und Hilfsschwestern, die im Mutterhaus ausgebildet worden waren.

Nach Hitlers Machtübernahme versuchte der Oberarzt der chirurgischen Abteilung Dr. Jensen die Gründung einer „Schwesternschaft mit einseitig nationalsozialistischer Einstellung durchzusetzen“ (Breiding, 1997). Doch die Diakonissen erwiesen sich, trotz der oben erwähnten Einstellung zu Hitler, als resistent gegen die Anwerbung aus den Reihen der Nationalsozialisten (s. Fußnote), sodass die braune Schwesternschaft sich lediglich zur Hälfte aus dem bisherigen Personal rekrutierte. Dies wurde zum Anlass genommen, Druck auf den Leiter des Henriettenstiftes und den mit den Diakonissen sympathisierenden Chefarzt der Klinik Prof. Dr. Westphal auszuüben, um sie zur Kündigung des Gestellungsvertrages zu zwingen und um damit Platz für die braune Schwesternschaft zu schaffen. Nach anfänglichem zögern zog Westphal zugunsten seiner Karriere seine Bedenken gegen die Kündigung zurück. Das Henriettenstift stimmt nun der Lösung des Vertrages zu.

Nun meldete sich der Magistrat der Stadt Hannover zu Wort und forderte von der braunen Schwesternschaft, sich zu einem eingetragenen Verein zusammen zu schließen, um mit diesem einen Gestellungsvertrag abschließen zu können. „Würden nämlich mit den einzelnen Schwestern Verträge abgeschlossen werden, dann unterliegen diese Verträge dem bestehenden allgemeinen Tarifvertrag, [...] und das würde dann zu einer Erhöhung der Ausgaben zwangsläufig führen.“ (Breiding, 1998). Dass sich die Schwestern zu einer rechtsverbindlichen Organisation zusammen- schließen würden, wollte nun die NSV unter der Leitung Hilgenfelds jedoch nicht, da sie den Führungsanspruch bezüglich der nationalsozialistischen Schwestern gelten machten. Der Magistrat der Stadt Hannover erhielt daraufhin ein Schreiben, in dem betont wurde, „dass die braune Schwesternschaften als zur Zeit bestehend nicht anerkannt werden können.“ (Breiding, 1998, S. 109). Dies führte weiterhin dazu, so eine Mitteilung an den Oberbürgermeister der Stadt Dr. Menge, dass es momentan nicht die Aufgabe der Schwesternschaft sei, Krankenhäuser zu besetzen. Die Vertrags-kündigung mit dem Henrietttenstift wurde daraufhin zurückgezogen. Doch die Diakonissen verweigerten bewusst die Wiederaufnahme des Vertrages.

3.2. Eine Biographie des Widerstandes

Exemplarisch für die vielen ungenannten und unbekannten Krankenschwestern, die den Mut hatten, sich gegen das Regime der Nationalsozialisten und gegen die Anweisungen ihrer Vorgesetzten zu stemmen, möchte ich kurz auf die Widerstandsbiographie von Schwester Maria Restituta (Helene Kafka) eingehen. Helene Kafka wird am 1. Mai 1894 in Husovitz in Mähren geboren. Mit 16 arbeitet sie als Hilfskrankenschwester und tritt 1914 unter Begleitung der elterlichen Proteste in den Orden des Heiligen Franziskus ein. Sie ist eine ungewöhnliche Persönlichkeit, die nicht viel auf Gerede gibt und dem asketischen und duldsamen Leben der Franziskanerinnen nicht immer zugeneigt ist. Man sieht sie des öfteren in den diversen Gasthäusern Gulasch essen und Bier trinken. Aus diesem Grund stößt sie bei ihren Mitschwestern auf Unverständnis und Ablehnung.

Ihre Impulsivität und rücksichtslose Offenheit stellt sie nach außenhin zur Schau. Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland richtet sich ihr Groll gegen die Machenschaften der Nationalsozialisten.

1938 arbeitet sie als OP-Schwester in einem Krankenhaus in der Nähe von Wien. Im Rahmen der Entlassungen jüdischer Ärzte aus dem Krankenhaus zu Gunsten „arischer“ Ärzte, tritt Dr. Lambert Sturmfohl seinen Dienst an.

Helene Kafkas Kritik an der nationalsozialistischen Politik und der fachlichen Kompetenz von Dr. Sturmfohl machen sie zu seinem Todfeind. Entgegen den lautenden Anordnungen hängt sie während des Krieges Kreuze in den Kranken- zimmern auf und selbst die ihr drohende Entlassung kann sie nicht davon abhalten weiter zu handeln.

Im Februar 1942 wird sie von der Gestapo aus dem Operationssaal heraus verhaftet. Zum Verhängnis wird ihr die Abschrift und das Vorlesen eines Soldatenliedes im kleinen Kreise, welches österreichisch-national ist, die drohenden Kriegsverluste beschreibt und zur Dessertation aufruft. Sie wird monatelangen Verhören unterzogen bis am 4. Juli 1942 die Anklage gegen sie erhoben wird. Sie lautet: Vorbereitung zum Hochverrat und landesverräterische Feindbegünstigungen. Trotz ihres Einspruchs und keinerlei Beweisen, die auf die Veröffentlichung des Soldatenliedes hinweisen wird sie zum Tode verurteilt. Im März 1943 wird das Todesurteil vollstreckt.

3.3. Die Frage nach der Möglichkeit des Widerstandes

Betrachtet man sich die Aussagen, die in den Prozessen nach dem zweiten Weltkrieg gegen Krankenschwestern der Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde gemacht wurden, so erkennt man recht schnell die Widersprüchlichkeit der Handelnden bezüglich der Tötungsaktionen innerhalb dieser Anstalten im Rahmen der sogenannten Aktion „T4“4bzw. der Zeit der „wilden Euthansie“5. Diese Aktionen kostete ca. 18000 Menschen das Leben.

Auf der einen Seite äußerten die Angeklagten ihr Mitleid mit den getöteten Opfern, auf der anderen Seite stehen die Tötungshandlungen selbst: Einflößen von Medikamenten in tödlicher Dosis, Luftinjektionen, Vorbereitung von Tötungsaktionen. Immer wieder wird anhand dieser Aussagen klar, dass Widerstand ohne jegliche Folge für den Widerstandsleistenden durchaus möglich gewesen wäre. Hierdurch drängt sich natürlich die Frage auf, warum diese Menschen diese grauenvollen und unverständlichen Tötungen durchgeführt haben. Es stellt sich die Frage des Motivs. Die befragten Angeklagten äußerten zumeist, dass sie die Taten durchführten, weil es eine Anordnung des „behandelnden“ Arztes war und dieser keinen Widerspruch duldete. Doch können Handlungen, die zum Tode eines Menschen führten, ohne Widerspruch durchgeführt werden ?

Um diese Widersprüche deutlich aufzuzeigen, werden ich im Folgenden Zitate aus den Vernehmungsprotokollen gegen die angeklagten Krankenschwestern der oben genannten Anstalt wiedergeben (zitiert nach: Ebbinghaus, 1997).

3.3.1. Mitleid und Mitgefühl mit den Opfern

Anna G., Jahrgang 1897, beschuldigt an der Tötung von 150 Patientinnen teilgenommen zu haben.

„Es ist richtig, daßich christlich erzogen wurde und daßich mein ganzes Leben lang vom christlichen Glaubenüberzeugt war. Andererseits habe ich im Laufe meiner Tätigkeit besonders auf der Siechenstation furchtbares Elend gesehen und die einzelnen Krankheitszustände bis zum Endstadium kennengelernt. Aus dieser Kenntnis heraus habe ich es in den schwersten Fällen für eine Gnade und Erleichterung angesehen, wenn Tötungen vorgenommen wurden.“

„Es war unser Bestreben, den ausgewählten Patienten den letzten Weg so leicht wiemöglich zu machen. In diesem Zusammenhang fällt mir ein, daßeine Patientin strengkatholisch war und sie am letzten Tag darum bat, daßsie vom katholischen Geistlichen zuvornoch Sterbesakramente erhalten konnte. Ich[...] kann[...] sagen, daßder katholischeGeistliche vor der Tötung benachrichtigt wurde und daß die Patientin[...] von demGeistlichen die Sterbesakramente erhielt.“

3.3.2. Rechtfertigungen

Luise E. Jahrgang 1901, beschuldigt bei der Tötung von 210 Menschen mitgewirkt zu haben:

„Ich habe zwar zu keiner Zeit davon zu hören bekommen, daßein entsprechendes Gesetzüber die Anwendung der Euthanasie existierte, aber andererseits erklärte mir Dr.Mootz einmal, daßich keine Bedenken zu habe brauche, weil er mich gegebenenfalls decke.Aus dieser Aussage heraus von Dr. Mootz zog ich den Schluß, daßfür die Euthanasie eineRechtfertigung bestehen müsse. (...)“

„Anders ist es bei den Fällen gewesen, wo ich die Tötung nicht für notwendig oder angebracht hielt. Wenn ich mich bei diesen Tötungen beteiligte und somit gegen meine innere Einstellung undÜberzeugung handelte, so geschah es deswegen, weil ich es gewohnt war, die Anordnungen und die Befehle derÄrzte unbedingt auszuführen.“

Gertrude F., Jahrgang 1916, angeklagt wegen gemeinschaftlichem Mord an fünf Menschen:

„Ich habe zwar ein großes Schuldgefühl, [...] es ist mir aber nicht möglich, eineBegründung dafür zu geben, weshalb ich mich nicht weigerte. Es ist einfach befohlen wordenund ich mußte es ausführen.“

Pflegerin Wieczorek:

„Ich habe nur meine Pflicht gelebt und alles auf Anordnung meiner Vorgesetztengetan. Der Direktor Grabowski hat uns immer mit der Gestapo gedroht.[...]“

3.3.4. Widerstand war möglich

Luise E.:

„Ich tat nicht alles so, wie sie(die Pflegerin Ratajczak; Anm. d. Verf.)es habe wollte.Ich war nämlich derÜberzeugung, daßdie Tötung bei einer Patientin nicht gerechtfertigtwar, während es bei einer anderen der Fall war.“

Anna G:

„Ich erkläre hiermit ausdrücklich, daßich von niemandem zur Mitwirkung gezwungen wurde.“

Erna D.:

„[...]Im Grunde genommen, kann ich nicht sagen, weswegen ich mich nicht weigerte.“

Margarete Maria M., Jahrgang 1910, drei Patientinnen getötet:

„Hätte ich mich geweigert ihre Anordnungen durchzuführen, so wäre ich aus derAnstalt geflogen. In letzter Konsequenz hätte ich zwar kündigen können, andererseits war ich aber damals verpflichtet, meine Großeltern [...] zu versorgen.“

Doch nicht nur diese Aussagen zeigen, dass Widerstand möglich gewesen wäre. Immer wieder wird von den Beklagten erzählt, dass die falsche Ausführung von Anordnungen, die nicht zum Tode der Patienten führten, keine Konsequenzen mit sich brachten. Auch die direkte Weigerung, Patienten die tödliche Dosis oral und per Injektion zu verabreichen, schien meist keine für Leib und Seele gefährlichen Konsequenzen mit sich zu führen, vielmehr beließ man es bei Verweisen und Tadel. Die Aussage von Margarete M. scheint mir jedoch am besten dazu geeignet zu sein zu verdeutlichen, dass sich jeder dieser Mordmaschinerie hätte entziehen können, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen.

Meiner Meinung nach ist die Frage, warum all die Menschen ihre ihnen anvertrauten Patientinnen töteten, ein Kapitel in der Geschichte der Krankenpflege, das noch gründlich erforscht werden muss.

4. Zusammenfassung

Trotz der anfänglichen Begeisterung für die „nationalsozialistische Revolution“ Adolf Hitlers und seiner Partei, setzt schnell Ernüchterung innerhalb der Kirche und ihrer Schwesternverbände ein. Man versuchte, dem zunehmenden Druck der Gleich- schaltung durch Aktionen zu entgehen, gegen welche das Regime nur schwer etwas tun konnte. Es reichte von der Gründung eigener Verbände mit nach außen hin konformer Politik, nach innen jedoch mit christlichem Glauben gefüllt bis hin zum offenen Widerstand, wie z.B. der Sonntagskollekte, welcher von so breiter Masse getragen wurde, dass selbst die NSDAP und ihre Organisationen dem gegenüber machtlos waren.

Viele einzelne Krankenschwestern, -pflegerinnen und -pfleger setzten ihr Leben aufs Spiel, um die ihnen anvertrauten Menschen dem sicheren Tode durch gezielte Tötungsaktionen zu entziehen. Viele von ihnen werden unbekannt bleiben. Die Frage, ob jedoch noch mehr Widerstand möglich gewesen wäre, bleibt vorerst unbeantwortet. Vieles scheint dafür zu sprechen, vieles mag diese These widerlegen. Es ist ein Kapitel, das der weiteren Erforschung bedarf.

5. Literatur

Beyreuther, E. (1983): Geschichte der Diakonie und Innere Mission in der Neuzeit. S.198-204. Berlin: Christlicher Zeitschriftenverlag

Breiding, B. (1998): Die Braunen Schwestern. Stuttgart: Franz Steiner Verlag

Ebbinghaus, A. (Hrsg.) (1997): Opfer und Täterinnen: Frauenbiographien des Nationalsozialismus. Frankfurt a.M.: Fischer

Fest, J.C. (19912): Hitler. Frankfurt a.M./Berlin: Ullstein

Kaiser, J.-C. (1990): NS-Volkswohlfahrt und Innere Mission im „Dritten Reich“ in: Strohm, T.; Thierfelder, J. (Hrsg.). Diakonie im „Dritten Reich“. Heidelberg: Heidelberger Verlagsanstalt n die Öffentlichkeit gelang,

Katscher, L. (1990): Krankenpflege und „Drittes Reich“ 1933-1939. Der Weg der Schwesternschaft des Evangelischen Diakonievereins. Stuttgart: Verlagswerk der Diakonie

Seidler, E. (19966): Geschichte der Medizin und Krankenpflege. S. 233-237. Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer

Steppe, H. (1997): „...den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre...“. Frankfurt a.M.: Mabuse-Verlag

Steppe, H. (Hrsg.) (19968): Krankenpflege im Nationalsozialismus. Frankfurt a.M.: Mabuse-Verlag

[...]


1Hervorhebung durch den Autor

2Zu dieser Zeit waren die meisten Krankenschwestern zwar in einem Angestelltenverhältnis, aber ein geringer Teil von ihnen, meistens leitende Kräfte, standen im Beamtenverhältnis (Steppe 1996)

3Die Gründe der Unterzahl der nationalsozialistisch gesinnten Schwestern sind vielschichtig. Es mögen hier zwei Gründe erwähnt werden:
1. Da die braunen Schwestern keinem kirchlichen Verband angehörten und die Nationalsozialisten explizit äußerten, dass die Erfüllung des Frau-Seins in der Gesellschaft neben dem Beruf der Krankenschwester auch der Beruf der Ehefrau sei, heirateten viele Schwestern nach ihrer Ausbildung und bekamen Kinder. Dies führte dazu, dass trotz intensiver Werbung für den Beruf der Krankenschwester, die Zahl der braunen Schwestern bzw. der NS-Schwestern immer deutlich hinter der Anzahl der in den kirchlichen Organisationen verhafteten Schwestern lag.
2. Trotz der oben erwähnte Sympathie der Diakonissen gegenüber der Nationalsozialisten, waren viele nicht bereit, ihren Orden zu verlassen und ihre karitative Überzeugung aufzugeben. Schuld daran ist wohl der Vorwurf der Nationalsozialisten, dass die konfessionellen Schwestern nicht in der Lage wären, krankhafte Abweichungen zu erkennen und dass ihre Arbeit nur „Ausfluß caritativen Mitleids“ sei.

4Mordaktion die über eine zentrale Diensstelle in der Berliner Tiergartenstr. 4 organisiert wurde

5Nach heftigen Protesten aus der Kirche und innerhalb der Bevölkerung wurde die Aktion T4 abgebrochen. Im November 1941 setzte schließlich die „wilde Euthanesie“ ein, eine Aktion, welche diesmal dezentral geleitet wurde. Die vor Ort ansässigen Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger entschieden über Leben oder Tod.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Die Frage nach dem Widerstand innerhalb der Krankenpflege im Nationalsozialismus
Hochschule
Katholische Hochschule Freiburg, ehem. Katholische Fachhochschule Freiburg im Breisgau
Veranstaltung
Nationale/internationale Geschichte der Pflege und der Berufe der Pflege
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
14
Katalognummer
V106667
ISBN (eBook)
9783640049448
Dateigröße
499 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frage, Widerstand, Krankenpflege, Nationalsozialismus, Nationale/internationale, Geschichte, Pflege, Berufe, Pflege
Arbeit zitieren
Stefan Köberich (Autor:in), 2001, Die Frage nach dem Widerstand innerhalb der Krankenpflege im Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106667

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Frage nach dem Widerstand innerhalb der Krankenpflege im Nationalsozialismus



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden