Die politische Theorie von Aristoteles
Wissenschaftsaspekt:
Aristoteles gilt als Begründer der Politik im Sinne einer eigenen, auf die Praxis ausgerichteten, Wissenschaft. Die Politik als Wissenschaft kristallisiert sich bei ihm heraus, indem zunächst eine grundsätzliche Trennung zwischen theoretischen Disziplinen der Wissenschaft und praktischen Disziplinen vollzogen wird. Die theoretischen Disziplinen ( Erste Philosophie, Physik, Mathematik) sind dabei den praktischen Disziplinen (Politik, Ethik, Strategik, Ökonomik, Rhetorik) dem Rang nach übergeordnet. Aristoteles verweist allerdings ausdrücklich darauf, daß innerhalb der praktischen Philosophien die Politik und Ethik eine übergeordnete Rolle einnehmen. Die Teildisziplinen Ethik und Politik werden von Aristoteles mit dem Begriff "politike" zusammengefaßt. Diese Wissenschaft "bezeichnet Aristoteles als wichtigste und leitendste Wissenschaft. Denn sie bestimmt, welche Wissenschaften in den Staaten vorhanden sein m üß en, welche ein jeder lernen mu ß und bis zu welchem Grade man sie lernen mu ß" (Spahn 1988, S.403).
Ziele der politischen Wissenschaft:
Die politike geht der Frage nach, was für den Menschen das höchste Gut, das Beste sei. Aristoteles nennt dieses höchste Gut Eud ä monie, Glückseligkeit. Sie besteht in der höchsten und dauerhaftesten Freude, wobei die Eud ä monie nur erreicht werden kann, wenn alle Menschen an ihr partizipieren können. Das Schicksal oder die Freude des Einzelnen sind für die Eud ä monie also nicht relevant, es ist nur entscheidend, was für die Gemeinschaft, die Polis, am Besten ist. In diesem Zusammenhang führt Aristoteles das Prinzip der Selbstgenügsamkeit (autarkeia) ein, die erforderlich ist, um die Eud ä monie zu erreichen. Die autarkeia bezieht sich dabei weniger darauf, daß sich das Individuum für die Gemeinschaft zurücknehmen muß, sondern vielmehr darauf, daß sich der Menschen in den sozialen Zusammenhang der Polis einzubinden hat.
Der Mensch ist von Natur aus mit Vernunft ausgestattet, so daß er sich schon vom Naturzustand aus in der Gemeinschaft zu organisieren versucht, und es ihm gar nicht in den Sinn kommt, sich gegen die Polis, gegen die Gemeinschaft, zu stellen oder aufzulehnen, um eigene Interessen durchzusetzen.
Die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Verwirklichung der Eud ä monie in der Gemeinschaft bezeichnet Aristoteles als Hauptanliegen der Politik. Der Wissenschaft Politik kommt dabei nicht nur eine beobachtende Funktion zu. Es geht nicht darum, die reine theoretische Erkenntnis zu erlangen, sondern vielmehr darum, selber tugendhaft zu verfahren und andere zu tugendhaftem Verhalten zu animieren.. Er ist der Auffassung, daß die Politikwissenschaft Nutzen stiften und zur Verbesserung bestehender politischer Strukturen beitragen soll.
Verfahren der Politikwissenschaft:
Aristoteles stellt in seiner "Politik" (Aristoteles 1996, Bd.4) die wichtigsten methodischen Schritte für spezifisch politische Untersuchungen vor. Anzumerken bleibt, daß Aristoteles politische Untersuchungen niemals rein deskriptiv verlaufen, was man z.B. in der Auseinandersetzung mit Platos "Politea" ersehen kann, sondern auch mit Bewertungen arbeitet. Der Politologe sollte nach Aristoteles bei seinen Analysen auf folgende Punkte bezug nehmen. Hier exemplarisch dargestellt am Beispiel der Untersuchungen von Verfassungen:
1. Die Auseinandersetzung mit schon vorhandener Meinung zu bestehenden Verfassungen, d.h. Aneignung des schon vorhandenen Wissensstandes.
2. Empirisches Untersuchen von Verfassungen, bezogen auf bestimmte Thesen - oder Fragestellungen. (Hier: die Frage nach der Stabilität oder Instabilität von Verfassungen, die Frage nach den Ursachen von Erfolg oder Mißerfolg von Verfassungen).
3. Auswertung: Die Erkenntnis der "Besten" Verfassung, wobei einschränkend nicht davon ausgegangen werden darf, daß es nur eine "beste Verfassung" geben darf. Aristoteles differenziert somit auch in :
a) Die absolut beste Verfassung
b) Die relativ beste Verfassung (unter Berücksichtigung der realen Bedingungen)
c) Wie man aus einer vorgegebenen Verfassung das Beste macht.
d) Die durchschnittlich beste Verfassung, die also für alle Poleis am Besten passt.
Aristoteles ist vielmehr der Ansicht, daß man nur durch die Untersuchung schon bestehender Poleis eine Aussage über den Idealstaat treffen kann. Er tritt deswegen für eine geschichtliche und systematische Untersuchung von bestehenden Poleis, in seinem Fall den griechischen Poleis, ein.
Das Prinzip der natürlichen Ungleichheit:
Aristoteles vertritt die Auffassung, daß die Menschen von Natur aus verschieden sind. Der Mann unterscheidet sich von der Frau, das Kind vom Vater, der Herr vom Sklaven. Diese Herrschaftsverhältnisse resultieren dabei aus dem Naturzustand, denn auch im Naturzustand gibt es Herrschaftsverhältnisse. Zum Beispiel herrscht der Verstand über die Affekte, die Seele über den Leib, das Männliche über das Weibliche etc.) Entsprechend sind die Anforderungen, die an einen Menschen zu stellen sind. Das "schwache" Geschlecht, die Frau, ist von Natur aus darauf ausgerichtet, Kinder zu gebären und im Haushalt ihren Pflichten nachzukommen. Sie verhält sich nach Aristoteles tugendhaft, wenn sie sich nicht öffentlich äußert, d.h. am öffentlichen Leben der Polis nur im geringen Maße teilnimmt. Dem Mann hingegen ist es vorbehalten, die Frau und dem Sklaven auf ihrem/seinem Weg zur Eud ä monie zu leiten. Der Mann verhält sich wiederum tugendhaft, in dem er am öffentlichen Leben aktiv teilnimmt, es mitbestimmt. Die Menschen sind, resultierend aus ihrer natürlichen Unterschiedlichkeit, zu verschiedenen Graden und Formen von Glück befähigt. Die Polis stellt dabei die idealen Rahmenbedingungen zur Verwirklichung der Tugenden, zum Erreichen der individuellen Glückseligkeit, dar. Aristoteles glaubt, daß alle Lebewesen unter dem Gesichtspunkt ihrer natürlichen Herkunft zu verstehen sind. Gemessen wird dabei die Natur des Individuums nach dem, was es im Abschluß seines Wachstums darstellt. So wie die Eichel als potentieller Baum zu verstehen ist, muß der Mensch als potentieller Teil der Polis verstanden werden. Denn so, wie es für die Eichel die Erfüllung ist, eine Eiche zu werden, so ist es für den Menschen die Erfüllung, seine individuelle Eud ä monie (siehe oben) zu erreichen. Die beste Existenzform zur Ermöglichung der Eud ä monie stellt dabei letztendlich für Aristoteles die Polis dar. Es folgt daraus, daß die - oben angesprochene - dreiteilige Wachstumsphase der Gemeinschaft Natur gegeben ist. Sie steckt potentiell in jedem Lebewesen und muß nur noch vom Individuum umgesetzt werden. Diese Umsetzung der potentiell gegebenen Tugenden werden nun in ihrem Wachstum beeinflußt von politischen Rahmenbedingungen, wie z.B. den sozio - kulturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten der Umwelt. Wie die Eichel ständiger Luft - Wasser und Sonnenzufuhr bedarf, um ihre potentiell gegebenen Möglichkeiten voll ausschöpfen zu können, so müssen auch für das zoon politikoon die richtigen Rahmenbedingungen (z.B. in Form einer Verfassung) gegeben sein, um sich voll entfalten zu können.
Zum Ökonomieverständnis:
Aristoteles: "Die Ö konomie hat in erster Linie die Aufgabe, das Lebensnotwendige zu besorgen und damit die Voraussetzung f ü r das gute Leben zu schaffen, das erst durch die Politik realisiert werden kann." (Spahn 1988)
Die von Aristoteles aufgestellte Unterscheidung zwischen oikos und polis findet auch in seinem Ökonomieverständnis ihren Ausdruck. Es geht hierbei vor allem um die Frage, inwieweit die Fertigkeit im Gelderwerb (chrematistike) mit der Hausverwaltungskunde (oikonomike) zu vereinbaren ist.
In seiner "Nikomachischen Ethik" (Aristoteles 1996, Bd.3) stellt Aristoteles Analogien zwischen den Herrschaftsverhältnissen in der Polis und in der Ökonomie dar. So verhält sich z.B. die Herrschaft vom Mann zur Frau in der Hausverwaltung wie das Verhältnis vom König zum Polisbeamten. Aristoteles gliedert seine oikonomike im Anschluß in vier Teilgebiete:
- Das väterliche Verhältnis
- Das eheliche Verhältnis
- Die Herrschaft über Sklaven
- Die verschiedene Art der Erwerbskunst
Zur Herrschaft Legitimation der Sklaverei:
Im 1.Buch der aristotelischen "Politik" (Aristoteles 1996, Bd.4) versucht der Autor die Sklaverei als einen in der Natur begründeten Zustand zu legitimieren. Er spricht sich dafür aus, daß die Menschen in ihrer physischen und psychischen Konsistenz grundlegend verschieden sind. Sklaven besitzen nun von Natur aus die zum Arbeiten nötigen Körperkräfte, sind allerdings nur mit einer niedrigen Intelligenz ausgestattet. Andere, (die am öffentlichen Leben der Polis teilnehmen) nicht so starke, aber sehr intelligente Menschen, sind zum Herrschen geboren und nicht zum Arbeiten. Sie stellen letztendlich die Einwohner der Polis, die am öffentlichen Leben teilhaben und es mitbestimmen. In ihrer naturgegebenen Form ist daher die Sklaverei zum gegenseitigen Nutzen. Die körperlich starken Sklaven bringen ihre Arbeitskraft in die Polis ein, die geistig Starken ihre Denkleistungen. Herr und Sklave gehen damit eine, für beide Seiten vorteilhafte, Symbiose ein. Der Herr verfügt über eine Arbeitskraft, der Sklave bekommt einen Anteil am Ertrag, rechtlichen Schutz und die Denkleistung des Herren.
Zur Erwerbskunst:
Aristoteles setzt sich im Weiteren mit den verschiedenen Arten der Erwerbskunst auseinander. Kritisiert wird hier vor allem die chrematistike, die er als naturwidrige Erwerbskunst bezeichnet. Sie ist eine Ökonomie, die weitgehend auf Geldwirtschaft und Handelsgeschäfte ausgelegt ist. Vielmehr spricht Aristoteles sich für eine Ökonomie aus, die vor allem darin besteht, Vorräte von lebensnotwendigen und nützlichen Gegenständen zu sammeln, und zwar für die Gemeinschaft der polis und der oikos. Zu diesem Zweck spricht sich Aristoteles für einen naturgemäßen Tauschhandel aus, da dieser selbstregulierend wirkt und die lebensnotwendigen Güter "gerecht" verteilt. Somit ist ein, allein auf Umsatz und Gewinnmaximierung ausgelegtes Handelsgeschäft, naturwidrig und zu verurteilen. Aristoteles spricht sich aus moralischen Gründen gegen das Anhäufen von Besitz als Selbstzweck aus. Der Besitz des Haushaltes (oikos) darf sich nach Aristoteles nur aus den lebensnotwendigen Dingen zusammensetzen, alles was darüber hinausgeht ist gegen die Natur bestimmter Luxus und aus moralischen Dingen zu verurteilen. Der Polisbewohner handelt demnach amoralisch, wenn er für das Verleihen eines Wertgegenstandes Zinsen verlangt. Dieses Verhalten, daß zu einer Abhängigkeit führt, die von der Natur aus nicht vorgesehen ist, bringt die natürlichen Hierarchien (siehe oben) durcheinander und ist damit im Sinne des guten Zusammenlebens nicht zweckmäßig.
Aristoteles Kritik an Platon:
Aristoteles als ehemaliger Schüler Platos setzt sich sehr kritisch mit dessen Gesamtkonzeption auseinander. Hierzu Spahn: "... und zwar auf eine derart einseitig - polemische Weise, daß man immer wieder sein mangelndes Verständnis für die philosophische Intention seines Lehrers beanstandet hat. Die Ironie, das Spekulative und Gleichnishafte in Platons Dialog findet keine Berücksichtigung, das Ganze wird ziemlich vordergründig als ein Verfassungsentwurf verstanden, der auf praktische Durchführung hin angelegt ist." (Spahn 1988, S.414)
Anzumerken bleibt zunächst, daß Aristoteles sich bei seinen Erörterungen der idealen Verfassung (siehe oben) im Gegensatz zu Plato an das realistisch machbare hält. Während Platos idealer Staat nur durch ein Wunder Wirklichkeit werden kann, befaßt sich Aristoteles mit den gegebenen Möglichkeiten und entwickelt daraus eine nachahmenswerte Staatsform. Bei Plato erhält der Herrscher seine Legitimation allein aus seinem Wissen heraus, bei Aristoteles aus seiner Tugendhaftigkeit. Aristoteles wendet ein, daß der Staat von Natur aus ein Ansammlung zu differenzierender Individuen ist, die in die Polis zu integrieren sind. Wenn nun Plato eine möglichst große Einheit der Polis anstrebt, so nähert sich laut Aristoteles der Charakter der Polis immer mehr dem Wesen der oikos oder sogar des Individuums an. Eine Vergemeinschaftung darf nur bis zu einem gewissen Punkt vollzogen werden, die Einzigartigkeit des Individuums muß erhalten bleiben.
Eine totale Gegenüberstellung der beiden Philosophen in diesem Punkt der Vergemeinschaftung scheint allerdings dem Wesen ihrer Theorie nicht gerecht zu werden. Plato nach heutigen Maßstäben als Totalitaristen oder sogar Kommunisten zu bezeichnen scheint dabei ebensowenig angebracht, wie es möglich ist, Aristoteles als Liberalen oder Verfechter des Pluralismus anzusehen (gerade wenn man sich seine Theorie der Ökonomie ansieht). Vielmehr ist es angebracht, sich ihre Theorien auf die ideale Beschaffenheit der Polis hin zu vergegenwärtigen. Die Grundtendenzen, daß Plato für eine Einheit und Aristoteles für eine Vielheit des Staatsvolkes eintritt, sind sicherlich gegeben und aufrechtzuerhalten.
Politische Grundbegriffe bei Aristoteles:
- Der Bürger: "Der Bürger schlechthin wird durch nichts anderes bestimmt als durch die Teilnahme am Richten und an der Regierung." (Aristoteles 1996,Bd.4) Aristoteles unterscheidet diese "Teilnahme am Richten" in eine zeitlich begrenzte Regierungsgewalt (z.B. das Ausüben eines Amtes) und einem unbegrenzten Mitspracherecht (z.B. in einer politischen Versammlung). Es geht ihm dabei nicht um eine normative Kategorisierung, welcher Bürger jeweils zu Recht oder zu Unrecht Bürger ist, sondern um eine Begriffsklärung, welche die Bürgerschaft (politea) empirisch abdeckt. Weiterhin zeichnet sich der Bürger in der Polis dadurch aus, daß er aktiv (z.B. durch Ausübung eines Amtes) am politischen Geschehen teilnimmt und die eigenen Bedürfnisse den Bedürfnissen der Polis unterordnet ( siehe Aspekt der Selbstgenügsamkeit).
- Die Verfassung: Die Verfassung der Polis wird bei Aristoteles durch die Bürgerschaft (politeia) repräsentiert. Alle Verfassungsbestimmungen, wie z.B. die Rechte und Pflichten der Bürger, sind förmlich niedergelegt und müssen eingehalten werden, damit die Polis ihrem Streben nach Eud ä monie folgen kann. Aristoteles definiert die politeia als "die Ordnung der Polis in bezug auf die Regierungsämter, wie sie zu verteilen sind, und die Bestimmung der obersten Gewalt im Staat wie auch des Endziels (telos) der jeweiligen Gemeinschaft" (Aristoteles 1996,Bd. 4) Der Begriff der obersten Gewalt (to kyrion) bleibt bei Aristoteles dabei nur wage formuliert. Demnach muß als oberste Gewalt in einer Polis nicht zwangsläufig die absolute oder alleinige Gewalt im Staat verstanden werden, sondern kann möglicherweise auch aus mehreren Teilhabern gebildet werden. Es muß allerdings festgelegt werden, wie die Machthabe und damit auch die Machtausübung strukturiert ist.
Eine Verfassung ist nach Aristoteles dann als "gut" zu bezeichnen, wenn das in der Verfassung verankerte Endziel (telos) auf das Gemeinwohl und nicht auf das Wohl des Einzelnen abzielt
- Die Polis: Aristoteles bestimmt die Polis zunächst als eine Gemeinschaft, eine Verbindung von Individuen, wobei die Polis als letzte Wachstumsstufe dieser Vergemeinschaftung angesehen werden kann. Unterteilt werden diese Wachstumsstufen in drei Kategorien, wobei die Gemeinschaft des Hauses (oikos) die erste Stufe darstellt und die Polis ( auch als bürgerliche Gemeinschaft bezeichnet) die vollendete dritte Stufe.
1. Das Haus: besteht aus der naturgemäßen Verhältnissen von Mann und Frau, Vater und Kindern und Herrn und Sklaven.
2. Das Dorf: die Gemeinschaft mehrerer Häuser zur Befriedigung von Bedürfnissen, die den Rahmen des häuslichen Lebensbedarf übersteigen.
3. Die Polis: als die Vollendung des genügsamen Zusammenlebens. Alle Bürger, die in dieser Polis leben, haben das gemeinsame Ziel, durch Selbstgenügsamkeit die Eud ä monie zu erreichen.
- Zoon politikoon:
Der Mensch ist nach Aristoteles ein von Natur aus politisches Lebewesen. Das Leben in einer Polis ist dabei der natürliche Zustand, somit ist der Mensch von Natur aus ein in der Polis lebendes Wesen. Zur Bekräftigung dieser Aussage fügt Aristoteles das Gegenbeispiel zu diesem zoon politikon hinzu: "...daß ein von Natur aus - und nicht zufällig - ohne polis Lebender entweder weniger oder mehr als ein Mensch sei, ein Tier oder aber ein Gott" (Spahn 1988, S.408). Die Polis ist dabei allerdings nicht als ein historisch spezifizierter Zusammenschluß von griechischen Bürgern zu sehen, sondern vielmehr das Bedürfnis des Menschen auf staatliche Gemeinschaft im allgemeinen. Bezeichnenderweise führt Aristoteles im ersten Kapitel der "Politik" (Aristoteles) das Beispiel der Bienen aus der Tierwelt ein. Diese Tiere stellen in gewisser Weise ebenfalls politische Lebewesen dar, auch sie sind auf die Gemeinschaft angewiesen. Was den Menschen allerdings nun in diesem Gedankenkonstrukt vom Tier unterscheidet, ist die Sprache (logos), da erst die Sprache dem Menschen zu einer Vorstellung vom Guten und Schlechten, von Recht und Unrecht, vermittelt. Diese Unterscheidung, die in der Polis letztendlich ihren Ausdruck findet, bringt schließlich erst die Trennung von oikos und polis hervor.
Aristoteles kategorisiert die bestehenden Verfassungsformen anhand von institutionellen Regeln, ethischen Maßstäben und sozialen Merkmalen in drei Grundformen:
a) Monarchie
b) Aristokratie
c) Politie (Timokratie)
Und den drei Abarten dieser Grundformen:
a) Tyrannis
b) Oligarchie
c) Demokratie
Unter den institutionellen Regeln ist die förmliche Konstitution der Polis (also z.B. die Beschaffenheit und Quantität der Bürgerschaft) zu verstehen, der ethische Kategorisierungsaspekt drückt sich in dem Endzweck (siehe oben) der Bürgerschaft aus. Unter sozialen Merkmalen versteht Aristoteles die Aufsplitterung der Bürgerschaft in ökonomische Gesichtspunkte. Die Trennung von armen und reichen Partizipienten an der Macht spielt vor allem in der Trennung von Oligarchie und Demokratie eine übergeordnete Rolle.
Aristoteles hielt alle bestehenden Verfassungen für unvollkommen. Das größte Defizit in den Verfassungsformen erkennt er darin, daß sowohl die Oligarchie als auch die Tyrannei und die Demokratie es von ihrer Verfassungsstruktur her nicht verhindern, daß die jeweiligen Herrscher ihren eigenen Interessen den Vorrang vor den Interessen der Allgemeinheit geben. Die Demokratie definiert Aristoteles dabei interessanter Weise als das Pendant zur Oligarchie. Während die Oligarchie eine Machtform der Reichen über die Armen darstellt, zeichnet sich die Demokratie durch eine Herrschaft der Armen aus. Zur Definition von Demokratie benutzt er also weniger den Aspekt der Quantität (Herrschaft von Vielen, oder wenigen, wie nach heutigen Definitionsansetzen), sondern vielmehr ökonomische Gesichtspunkte. Herrschaft der Armen über die Reichen.
Eine Demokratie, in der alles durch alle entschieden wird, spricht Aristoteles überhaupt den Titel einer Verfassung ab. "Denn sie kennt im Grunde weder eine Regierung noch Gesetze, sondern das Volk macht nur Tagespolitik ohne Blick für das Allgemeine" (Fenske 1996, S.90). Er schlägt nun im Folgenden eine Mischform von Oligarchie und Demokratie als ideale Staatsform vor. Die Politie, die er als "Durchschnittsverfassung" bezeichnet, zeichnet sich demnach dadurch aus, daß sie eine Mischform zwischen demokratischen und oligarchischen Aspekten darstellt. Soll die Verfassung eine möglichst hohe Unterstützung durch die Bürger erhalten, so ist es nicht nur von Nöten, daß sie durch selbige legitimiert wird, sondern auch ein möglichst großer Anteil an der Bevölkerung zu Wohlstand ( Versorgung der notwendigen Lebensbedürfnisse) kommt.
Bibliographie:
Primärliteratur:
- Aristoteles: "Philosophische Schriften, Bd.3, Nikomachische Ethik", Felix Meiner Verlag, Hamburg 1995.
- Aristoteles: "Philosophische Schriften, Bd.4, Politik", Felix Meiner Verlag, Hamburg 1995.
Sekundärliteratur:
- Naßmacher, Hiltrud: "Politikwissenschaft", Oldenbourg, München 1988.
- Spahn, Peter: in: Fetscher/Münkler: "Pipers Handbuch der politischen Ideen" Bd.1, Piper, München/Zürich 1988.
- Nicholson, Peter: in: Redhead/Starbatty: "Politische Denker", Bonn Aktuell, 1988.
- Fenske, Hans u.a.: "Geschichte der politischen Ideen", Fischer, Frankfurt/Main 1996.
- Arbeit zitieren
- Alexander Werth (Autor:in), 2002, Die Politische Theorie Aristoteles, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106829