Die Bundesrepublik Deutschland wird in der Literatur immer wieder als Zwitter oder Hybride bezeichnet (vgl. z.B. Holtmann/Voelzkow 2000: 11; Lehmbruch 2002: 176). Gemeint ist damit die einzigartige Kombination aus mehrheits- und konsensusdemokratischen Elementen. Arthur Benz (2000: 216) beispielsweise spricht von der "...eigentümlichen Mischverfassung der Bundesrepublik Deutschland, in der föderative Verhandlungssysteme und Verhandlungen zwischen Koalitionsparteien mit dem Parteienwettbewerb eines parlamentarischen Regierungssystems verbunden sind." Betrachtet man Deutschland anhand der Kriterien, die Arend Lijphart (1999) für die Einordnung von Mehrheitsdemokratie (majoritarian democracy) und Konsensusdemokratie (consensus democracy) aufgestellt hat, wird klar, dass zwischen der oben erwähnten Konstellation und der Positionierung Deutschlands im Lijphartschen Raster ein Zusammenhang besteht.
Im Folgenden soll nun anhand von Lijpharts Typologisierung genauer untersucht werden, was die Einzigartigkeit der deutschen Demokratie ausmacht. Dazu bietet sich zunächst - seiner Arbeitsweise folgend - eine getrennte Betrachtung der Exekutive-Parteien- sowie der Föderalismus-Unitarismus-Dimension an. Auf beiden Ebenen können klare Schwerpunkte gesetzt werden: In Bezug auf die erste Dimension sind dies die Parteien, die die deutliche Wettbewerbskomponente des Systems ausmachen. Im selben Atemzug mit dem Parteiensystem sind dabei jedoch auch die Regierungsbildung und das Wahlsystem zu erwähnen. Alle drei Kriterien, die Lijphart in seinen Patterns of Democracy getrennt voneinander betrachtet, stehen in so engem Zusammenhang, dass eine übergreifende Beurteilung in diesem Fall angemessen scheint. In der zweiten Dimension steht der Bundesrat als Ausdruck eines Zweikammersystems im Mittelpunkt des Interesses, da dessen Rolle in Bezug auf die Relativierung der deutschen Position im Raster Lijpharts von herausragender Wichtigkeit ist. Das letzte Kapitel beschäftigt sich dann mit der Verbindung der beiden Dimensionen und zeigt so, wie Deutschland zu seiner besonderen Stellung kommt. Berücksichtigt wird dabei auch - zumindest in Grundzügen - die Verschiebung hin zu deutlicher mehrheitsdemokratischer Prägung, die die Bundesrepublik Lijphart zufolge bis 1996 erfahren hat.
In dieser Arbeit wird nicht der Sinn der Lijphartschen Unterteilung in Mehrheits- und Konsensusdemokratie in Frage gestellt, auch wenn dies in manchen Werken implizit oder auch [...]
Inhaltsverzeichnis
- EINLEITUNG
- DAS LIJPHARTSCHE RASTER
- DIE STELLUNG DER BUNDESREPUBLIK IN DEN ZWEI DIMENSIONEN AREND LIJPHARTS
- DIE EXEKUTIVE-PARTEIEN-DIMENSION
- PARTEIENSYSTEM, WAHLSYSTEM UND REGIERUNGSBILDUNG
- DAS KRÄFTEVERHÄLTNIS VON EXEKUTIVE UND LEGISLATIVE
- DAS INTERESSENGRUPPENSYSTEM
- DEUTSCHLAND IN DER FÖDERALISMUS-UNITARISMUS-DIMENSION
- DER FÖDERALISTISCHE STAATSAUFBAU
- UNVERÄNDERBARKEIT DER VERFASSUNG
- DIE VERFASSUNGSGERICHTSBARKEIT
- DIE ZENTRALBANK
- DER BUNDESRAT - DEUTSCHLANDS ZWEITE KAMMER?
- DIE EXEKUTIVE-PARTEIEN-DIMENSION
- DIE KONKURRENZ DER DIMENSIONEN
- FAZIT
- LITERATURVERZEICHNIS
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Ziel dieser Arbeit ist es, die Einzigartigkeit der deutschen Demokratie anhand der von Arend Lijphart entwickelten Typologisierung von Mehrheits- und Konsensusdemokratie zu untersuchen. Die Arbeit analysiert die Bundesrepublik Deutschland im Lichte des Lijphartschen Rasters und beleuchtet, inwiefern die deutschen politischen Strukturen Elemente beider Demokratietypen aufweisen.
- Das Lijphartsche Raster und seine Anwendung auf die Bundesrepublik Deutschland
- Die Positionierung Deutschlands in den beiden Dimensionen des Rasters: Exekutive-Parteien-Dimension und Föderalismus-Unitarismus-Dimension
- Analyse der spezifischen Merkmale der deutschen Demokratie im Kontext der beiden Dimensionen
- Die Verbindung der beiden Dimensionen und die daraus resultierende besondere Stellung Deutschlands
- Die Verschiebung hin zu einer mehrheitsdemokratischen Prägung der Bundesrepublik
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Dieses Kapitel stellt die These auf, dass die Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer einzigartigen Kombination aus mehrheits- und konsensdemokratischen Elementen als Zwitter oder Hybride bezeichnet werden kann. Es wird eine erste Analyse der deutschen Demokratie anhand der von Arend Lijphart entwickelten Kriterien für Mehrheits- und Konsensusdemokratie vorgenommen.
- Das Lijphartsche Raster: Dieses Kapitel stellt die zehn Hauptmerkmale für die Idealtypen von Mehrheits- und Konsensusdemokratie vor, die Arend Lijphart in seinen "Patterns of Democracy" beschreibt. Die Merkmale werden in die zwei Dimensionen Exekutive-Parteien-Dimension und Föderalismus-Unitarismus-Dimension eingeteilt.
- Die Stellung der Bundesrepublik in den zwei Dimensionen Arend Lijpharts:
- Die Exekutive-Parteien-Dimension: Dieses Kapitel untersucht die Exekutive-Parteien-Dimension des Lijphartschen Rasters im Hinblick auf die Bundesrepublik Deutschland. Es analysiert die Merkmale Regierungsbildung, das Kräfteverhältnis von Exekutive und Legislative sowie das Interessengruppensystem und diskutiert, ob Deutschland in dieser Dimension eher eine mehrheitsdemokratische Prägung aufweist.
- Deutschland in der Föderalismus-Unitarismus-Dimension: Dieses Kapitel untersucht die Föderalismus-Unitarismus-Dimension des Lijphartschen Rasters im Hinblick auf die Bundesrepublik Deutschland. Es analysiert die Merkmale Staatsaufbau, Verfassung, Verfassungsgerichtsbarkeit, Zentralbank und die Rolle des Bundesrates.
Schlüsselwörter
Die Arbeit fokussiert sich auf die Typologisierung von Demokratietypen nach Arend Lijphart, insbesondere auf die Unterscheidung zwischen Mehrheits- und Konsensusdemokratie. Die Analyse untersucht die Bundesrepublik Deutschland anhand der Kriterien des Lijphartschen Rasters, wobei die Schwerpunkte auf den Aspekten der Exekutive-Parteien-Dimension, der Föderalismus-Unitarismus-Dimension und der daraus resultierenden Positionierung Deutschlands im Lijphartschen Raster liegen.
- Citar trabajo
- Sabine Balleier (Autor), 2002, Majorität cum Konsensus - Die Bundesrepublik Deutschland am Lijphartschen Raster, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10684