Leseprobe
Rechtsextremismus
1. Einleitung
2. Begriffserklärungen
3. Beteiligung von Frauen in rechtsextremen Szenen
3.1 Parteien
3.2 Nicht-parteiförmige Organisationen
3.3 rechtsextreme Kriminalität
3.4 Einstellungen
4. Die Rolle der Frau in der extrem rechten Weltanschauung
5. Die Realität: Umsetzung des Frauenbildes
6. Soziale Arbeit und Rechtsextremismus
6.1 Frühkindliche Bildung
6.2 Jugendarbeit
6.3 Familienunterstützende Hilfe
6.4 Schutz vor häuslicher Gewalt
7. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Zusammenhang mit dem Themenkomplex Rechtsextremismus erscheint in der Öffentlichkeit meist noch immer das Bild von jungen, männlichen Tätern. Spätestens seit der Aufdeckung des NSU-Komplexes und den Gerichtsprozess gegen Beate Zschäpe sollte klar sein, dass die extreme Rechte eben nicht ausschließlich männlich ist und dass durchaus auch Frauen eine große Rolle innerhalb der Szene spielen. In der Berichterstattung wurde und wird durchaus heute noch durch geschlechtsstereotypische Klischees vom unschuldigen Opfer oder aber vom abartigen ‚Teufel‘ gesprochen.
In dieser Hausarbeit soll grundlegend der Frage nachgegangen werden, welche Weiblichkeitskonstruktionen in der extremen Rechten vorherrschen, ob und wie diese von den Frauen in der extrem rechten Szene realisiert werden und wie der Umgang innerhalb der sozialen Arbeit mit dem Thema aussieht, welche Problematiken hier gegeben sind und welche Handlungsempfehlungen gelten können.
Um dieser Frage nachzugehen, sollen zunächst einmal die hier verwendeten Definitionen der zentralen Begriffe kurz benannt und erläutert werden. Der zweite Teil befasst sich mit der Beteiligung von Frauen im Rechtsextremismus, hier werden verschiedene Untersuchungen und Schätzungen herangezogen, um zu klären, wie die Geschlechterverhältnisse in den verschiedenen Bereichen der extrem rechten Szene sind und wo Frauen innerhalb der Szene agieren. Anschließend wird auf die Weiblichkeitskonstruktionen im extrem rechten Weltbild eingegangen, um diese im folgenden Kapitel auf ihre Realisierung hin zu prüfen. Abschließend soll der Umgang der sozialen Arbeit mit Rechtsextremistinnen thematisiert werden. Dies geschieht zunächst über einige Annahmen, die im Allgemeinen getroffen werden können und anschließend exemplarisch anhand von verschiedenen Arbeitsfeldern der sozialen Arbeit.
2. Begriffserklärungen
In dieser Hausarbeit wird der Begriff des Rechtsextremismus entsprechend der Verwendung in der deutschsprachigen Fachliteratur unabhängig von der Extremismus-Theorie verwendet, da dieser Begriff neben (neo-)faschistischen auch deutschnationale beziehungsweise nationalistisch-konservative Konzepte umfasst (Virchow 2016: 16).
Die zugrunde liegende Definition ist die sogenannte Konsens-Definition, die in den frühen 2000er Jahren entwickelt wurde. Demnach ist Rechtsextremismus „ein Einstellungsmuster, dessen verbindender Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen“ (Kreis 2007 zitiert in Virchow 2016: 17).
Im Bewusstsein, dass Aspekte des Begriffs Rechtsextremismus auch in relevanten Teilen der Gesellschaft verbreitet sind und Rechtsextremismus also nicht nur klar abgrenzbar am Rande des politischen Spektrums existiert, soll die Begrifflichkeit ‚ extrem rechts ‘, anstatt ‚rechtsextremistisch‘ verwendet werden.
Der Begriff Frau soll in dieser Hausarbeit die Menschen beschreiben, die sich als Frauen identifizieren beziehungsweise identifiziert werden.
3. Beteiligung von Frauen in rechtsextremen Szenen
Die extrem rechte Szene wurde im öffentlichen Diskurs lange als ein weitgehend männerdominiertes Feld gesehen. Frauen am rechten Rand galten durch die weniger gewalttätige Erscheinung lediglich als Akteurinnen im Hintergrund, damit waren sie für die breite Öffentlichkeit zu unspektakulär. Weibliches politisches Engagement wurde nicht gesehen oder unterschätzt. Als der Blick für subtilere Formen des Rechtsextremismus geschärft wurde, rückten auch Frauen mehr in den Fokus öffentlicher Wahrnehmung (Esen 2016: 288).
Im Laufe der Zeit wurde auch wissenschaftlich zum Thema Frauen in der extrem rechten Szene geforscht, mit dem Ergebnis, dass bezogen auf verschiedene Bereiche erhebliche statistische Unterschiede zwischen Frauen und Männern vorhanden sind. In der Fachliteratur wird hier häufig der Begriff Gender Gap verwendet. Wie sich dieser zeigt, soll im Folgenden anhand statistischer Befunde in den Bereichen Parteien, nichtparteiliche Organisationen und der Beteiligung an extrem rechter Gewalt gezeigt werden.
3.1 Parteien
Wenn es um die Beteiligung von Frauen bei Parteien geht, gibt es verschiedene Bereiche, die betrachtet werden: Das Wahlverhalten, die Parteimitgliedschaften sowie der Anteil von Frauen unter den Funktionsträgern extrem rechter Parteien.
- Wahlverhalten
Beim Wahlverhalten gilt es als stabiler Befund der Wahlforschung, dass die WählerInnenschaft extrem rechter Parteien zu etwa einem Drittel aus Frauen besteht (Bitzan 2016: 337–339).
Esen (2016: 293) nennt dieses Verhältnis beim Wahlverhalten ebenfalls als in der Vergangenheit stabil. Sie betont allerdings, dass sich möglicherweise eine Trendwende in diesem Bereich ankündigt, da es laut ihrer Umfragen für 14% der Frauen und nur 9% vorstellbar ist, bei der nächsten Wahl für eine extrem rechte Partei zu votieren.
Stöss betont allerdings aufgrund eigener Studien, dass die Gründe, eine extrem rechte Partei zu wählen, bei Männern und Frauen unterschiedlich sind. Frauen entschieden sich eher aus Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien für extrem rechte Parteien, während Männer dies eher aus Überzeugung täten. Aufgrund dessen hält er weiblichen Rechtsextremismus für grundlegend anders geprägt als den männlichen; weiblicher Rechtsextremismus sei durch Distanz gegenüber der Politik geprägt, der männliche durch Distanz gegenüber der Demokratie (Stöss 2009: 284).
- Parteimitgliedschaften
Laut Eigenangaben liegt der Anteil der weiblichen Parteimitglieder zwischen 10 und 40%, sofern regionale Splitterparteien in der Betrachtung berücktsichtigt werden (Bitzan 2016: 337).
- Anteil von Frauen unter den Funktionsträgern extrem rechter Parteien
Unter den FunktionsträgerInnen auf Bundes- und Landesebene innerhalb dieser Parteien ist der Anteil von Frauen bei durchschnittlich 20% (Bitzan 2016: 338).
3.2 Nicht-parteiförmige Organisationen
Im Bereich von Nicht-Parteiförmigen Organisationen, wozu auch Kameradschaften und Cliquen gezählt werden, wird sich aufgrund fehlender Studien hauptsächlich auf Schätzungen von mehrheitlich journalistischen BeobachterInnen bezogen, welche hier einen Frauenanteil von 10-30% sehen (Virchow und Häusler 2016: 337–339).
3.3 rechtsextreme Kriminalität
Im Bereich der Kriminalität ist die Beteiligung von Frauen vergleichsweise am geringsten, jedoch ist sie in den vergangenen Jahren immer wieder gestiegen. Im Jahr 1996 bezifferte das Bundesinnenministerium den Anteil von Frauen an Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender extrem rechter Motivation mit 4% (Bundesinnenministerium 1996: 97). Aktuell geht man davon aus, dass der Anteil von Frauen an extrem rechter Kriminalität bei etwa 10% liegt (Bitzan 2016: 337–339).
Anhand von Studien wird davon ausgegangen, dass daraus nicht zu schließen ist, Frauen hätten ein geringeres Aggressionspotenzial, da die Zustimmung von Frauen zu indirekter Gewalt auf einem ähnlichen Niveau liegt, wie bei Männern. Stöss geht davon aus, dass die Diskrepanz sowohl darauf zurückzuführen ist, dass für Frauen weniger Möglichkeiten zu direkter Aggression zur Verfügung stehen als auch darauf, dass Frauen häufiger Erfahrungen machen, Opfer von Gewalt von Männern zu werden (Stöss 2009: 269-270; 294).
3.4 Einstellungen
Seit den neunziger Jahren wird zum Thema Frauen und Rechtsextremismus auf der Einstellungsebene geforscht. Dabei werden häufig Autoritarismus, Nationalismus, Ethnozentrismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus als Indikatoren für extrem rechte Einstellungen bei Männern und Frauen Mittels Zustimmungswerten für spezifische Aussagen verwendet (Stöss 2009: 262). Laut Esen (2016: 289) bestätigen sowohl ältere als auch jüngere Untersuchungen den Befund der SINUS-Studie von 1981: „Wir können davon ausgehen, dass Frauen und Männer gleichermaßen anfällig bzw. unerreichbar für rechtsextreme Ideologie sind“ (Greiffenhagen 1981: 87).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Rechtsextremismus nicht als reines Männerphänomen zu sehen ist, obgleich eine Gender Gap in den verschiedenen Bereichen zu sehen ist, da Frauen und Mädchen in allen Bereichen involviert sind, Tendenz steigend (Esen 2016: 299). Es scheint Frauen sogar besser zu gelingen, sich in der Mitte der Gesellschaft zu bewegen (Esen 2016: 288).
4. Die Rolle der Frau in der extrem rechten Weltanschauung
Die im letzten Abschnitt genannten Unterschiede in der Beteiligung zwischen Männern und Frauen im Rechtsextremismus legen die Vermutung nahe, dass die Ursache hierfür auch differente Geschlechterrollenbilder sein können, die dazu führen, dass Männer und Frauen sich unterschiedlich im Rechtsextremismus engagieren. In diesem Abschnitt soll die Rolle der Frau in extrem rechten Weltanschauungen dargestellt werden, um anschließend darauf einzugehen, ob und wie diese Rolle realisiert wird.
Laut Bitzan sind die Weltbilder extremer Rechter im Allgemeinen geprägt von Heteronormativität: Die Existenz zweier ‚naturgegebener‘ Geschlechter – Männer und Frauen – gilt als unumstößlich und ist verbunden mit der Heterosexualität als Norm. Die Autorin weist jedoch auf darauf hin, dass traditionalistisch beziehungsweise sozial-biologistisch angewendete Argumentationen seit etwa der Jahrtausendwende auch im Mainstream weit verbreitet sind und so die Heteronormativität gesamtgesellschaftlich verankert ist. Spezifisch für die extrem rechte Szene gilt jedoch der Verweis auf den ‚Volkserhalt‘ als Legitimation für die Heteronormativität (Bitzan 2016: 352).
Die Weiblichkeitskonstruktion der extrem rechten Szene entspricht laut Bitzan teilweise noch ungebrochen den Leitbildern nationalsozialistischer Propaganda und zeichnet sich vor allem durch eine klare Orientierung an Geschlechterdifferenz sowie eine Fixierung auf Mutterschaft als Pflicht verbunden mit einer völkischen Argumentation aus. Dabei gilt die Rolle der Frau als Mutter nicht als Unterordnung, sondern wird als existenziell wichtig für das Ziel des ‚Volkserhalts‘ angesehen, was dazu führt, dass die Geschlechter als gleichwertig, aber nicht gleichartig gelten. Die Mutterrolle der Frau ist stark fokussiert auf eine Funktion der Gebärerin und Erzieherin, welche der nachfolgenden Generation ‚deutsche Tugenden‘ und ‚deutsches Brauchtum‘ lehren soll, damit diese zu starken Mitgliedern der ‚Volksgemeinschaft‘ heranwachsen. Hinsichtlich der nächsten Generation wird dabei den Müttern im Gegensatz zu den Vätern eine besondere Verantwortung zugewiesen. Neben dieser Verantwortung in Sinne eines quantitativen und qualitativen ‚Volkserhalts‘ wird die ‚natürliche Bestimmung‘ der Frau als Mutter betont; Ein Leben ohne Kinder sei glücklos (Bitzan 2016: 342). Beispielhaft für die Aktualität dieser Weiblichkeitskonstruktion ist eine Äußerung der Gemeinschaft Deutscher Frauen, der ältesten Frauenorganisationen der extrem rechten Szene: „Wir ermuntern Frauen […] dazu, ihrer Bestimmung zu folgen und Mutter zu werden. Wir behaupten, dass die wenigsten Frauen glücklich werden können, wenn sie das Mutterglück nicht kennengelernt haben“ (GDF 2004 zitiert in Bitzan 2016: 343).
Bezüglich der weiblichen Sexualität in der extrem rechten Szene können vor allem durch den Umgang mit sexuellem ‚Fehlverhalten‘ seitens der Frauen, aber auch durch den Umgang mit weiblicher Homosexualität Rückschlüsse auf das Rollenbild gezogen werden. Zum einen werden Frauen für sexuelles ‚Fehlverhalten‘, wie beispielsweise einen häufigen Partnerwechsel, oft einstimmig als ‚Schlampen‘ bezeichnet, während Männer lediglich sporadisch für dieselben Verhaltensweisen ermahnt werden. Männliche Homosexualität ist in extrem rechten Milieus immer wieder im negativen Sinne ein Thema, die weibliche Homosexualität jedoch ist kaum im Fokus der Feindseligkeiten extremer Rechter. Es liegt nahe, dass dies nicht darin begründet ist, dass sie in der Szene akzeptiert würde, sondern viel mehr einer tief verankerten Verneinung von weiblicher Sexualität, worauf auch die unterschiedlichen Konsequenzen von sexuellem ‚Fehlverhalten‘ hindeuten (Bitzan 2016: 352–354).
Zusammenfassend sind große Teile der Weiblichkeitskonstruktion in der extrem rechten Szene also übernommen von den Leitbildern nationalistischer Propaganda und fixieren sich mit der Begründung der Volkserhalts vor allem auf die Rolle der Frau als Mutter. Dies geschieht heute häufig ohne Bezugsrahmen, jedoch nicht minder deutlich (Bitzan 2016: 342). Des Weiteren kann davon ausgegangen werden, dass weibliche Sexualität in extrem rechten Weltbildern verneint wird (Bitzan 2016: 352–354).
5. Die Realität: Umsetzung des Frauenbildes
Dieser Abschnitt soll thematisieren, ob und wie die im vorigen Abschnitt thematisierten vorherrschenden Weiblichkeitskonstruktionen in extrem rechten Kreisen von Frauen der Szene realisiert werden.
Bitzan (2016: 325) vertritt die Meinung, die Geschlechterkonstruktionen seien vor allem in Bezug auf das Geschlechterverhältnis, aber auch auf Sexualität und Familie in der Ideologie von zentraler Bedeutung, da sie eng mit den Kernthemen ‚Rasse‘ und ‚Volksgemeinschaft‘ verbunden seien.
Betont wird vor allem, dass die Frauen in extrem rechten Kreisen dennoch keineswegs lediglich am Kuchenstand oder in Volkstanzgruppen anzutreffen sind, sondern ebenso Ämtern in Parteien und Organisationen bekleiden, als Autorinnen arbeiten, Aufmärsche organisieren oder selbst als Rednerinnen fungieren. Somit ist davon auszugehen, dass die klassische Weiblichkeitskonstruktion für den persönlichen Lebensstil realisiert werden kann, aber keinesfalls muss. Nationalistische und rassistische Einstellungen scheinen weitaus wichtiger für die politische Selbstverortung der Frauen zu sein als die konkrete Umsetzung extrem rechter Frauenbilder (Bitzan 2016: 347).
In der Realität adaptiert die extrem rechte Szene also auch geschlechter-kulturelle Modernisierungen in unserer Gesellschaft. So wird das Frauenbild über die Mutterschaft hinaus erweitert, was sich beispielsweise in der Berufstätigkeit von Frauen und damit verbunden bei der Nutzung von Kinderbetreuung und Kindertagesstätten zeigt. Im Bereich der Bekleidung politischer Ämter und des Agierens im politisch-öffentlichen Raum, der traditionell den Männern vorbehalten war, gibt es auch immer mehr Frauen, die hier einen Platz finden. Dies wird meist mit Imageverbesserungen der extrem rechten Szene begründet, teilweise jedoch auch damit, dass die ‚Sicht der Frauen‘ ergänzend in die Politik miteinfließen soll, um eine ‚Ganzheitlichkeit‘ herzustellen (Bitzan 2016: 343–344).
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