Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Die Organisationsstruktur des ADSV
2.1 Gesamtvorstand und Zweigvereine
2.2 Die Zeitschrift des ADSV
3. Arbeitsbereiche
3.1 Allgemeine Beschäftigung mit Sprache und Schrift
3.2 Arbeit mit Fremdwörtern - Arbeit gegen Fremdwörter
3.2.1 Nationalismus im Sprachverein
3.2.2 Entbehrliche und unentbehrliche Fremdwörter
3.2.3 Aktionen gegen Fremdwörter
3.2.3.1 Erfolgreiche Beeinflussung des öffentlichen Sprachgebrauchs
3.2.3.2 Erfolglose Versuche und Probleme bei der Verdeutschung
3.2.3.3 Weitere Anregungen und Überlegungen des ADSV
4. Kritik am ADSV
5. Ausblick
6. Schlußwort
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Jahr 1871 brachte den Deutschen den Sieg über Frankreich und die Gründung des Deutschen Reichs. Im Zuge des daraufhin erstarkten Nationalgefühls verfaßte der Braunschweiger Museumsdirektor und Kunsthistoriker Hermann1Riegel im Jahr 1883 die SchriftEin Hauptstück von unserer Muttersprache. Mahnruf an alle national gesinnten Deutschen.Mit diesem Text „befand er sich plötzlich in der Rolle des Wortführers einer umfassenden Kampagne gegen die Fremdwörter“ (Greule 1986: 29).
1885 rief Riegel zur Gründung eines allgemeinen deutschen Sprachvereins auf, der zum Ziel haben sollte,
1) die Reinigung der deutschen Sprache von u n n ö t h i g e n f r e m d e n B e s t a n d - theilen zu fördern,
2) die Erhaltung und Wiederherstellung des e c h t e n G e i s t e s u n d e i g e n - thümlichen Wesens der deutschen Sprache zu pflegen - und
3) auf diese Weise das a l l g e m e i n e n a t i o n a l e B e w u ß t s e i n im deutschen Volke zu kräftigen. (§1 der Satzungen.) (Verdeutschungsbücher III 1890: 117)
Auf diesen Aufruf hin gründete der Gymnasialprofessor Hermann Dunger am
10. September 1885 in Dresden den ersten Zweigverein des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins (ADSV) (vgl. Greule 1986: 29).
Im folgenden soll nun die Arbeit des ADSV von seiner Gründung bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs beleuchtet, seine Erfolge bei der Fremdwortverdeutschung untersucht sowie auf die Probleme bei seinen Bemühungen hingewiesen werden.
2. Die Organisationsstruktur des ADSV
2.1 Gesamtvorstand und Zweigvereine
Der ADSV gliederte sich in einen Gesamtvorstand und in die regionalen Zweigvereine. Der Gesamtvorstand in Berlin war für die zentrale Organisation verantwortlich, die Zweigvereine arbeiteten zum größten Teil autonom (vgl. Greule 1986: 30). Sie verteilten etwa die Bearbeitungsgebiete für Verdeutschungsarbeiten untereinander (vgl. Verdeutschungsbücher VII 1896: 3), organisierten Veranstaltungen und Heimatabende und gingen auf regionaler Ebene gegen Fremdwörter vor. Im Jahr 1917 existierten 330 Zweigvereine des ADSV im Deutschen Reich, in Österreich, der italienischen Schweiz, Belgien, Luxemburg, Italien, England, in den USA und Südamerika, in den deutschen Kolonien sowie in Rußland (vgl. Hauffen 1917: 3f.) und „Deutschböhmen“ (Ebd.: 5), dem Gebiet des heutigen Tschechien.
Schon zwei Jahre nach Gründung des ersten Zweigvereins, im Jahr 1887, hatte der ADSV 6.500 Mitglieder (vgl. Greule 1986: 30), 1890 waren es 12.000, und bis zum Jahr 1914 wuchs er auf 34.280 Mitglieder heran (vgl. Bernsmeier 1977: 388). Dabei muß zwischen natürlichen Personen - einzelnen Individuen - und juristischen Personen
- ganze Unternehmen und öffentliche Einrichtungen wurden Mitglieder des Vereins - unterschieden werden (vgl. Olt 1991: 127f.).
2.2 Die Zeitschrift des ADSV
Seit April 1886 gab der ADSV für seine Mitglieder die Zeitschrift desAllgemeinen deutschen Sprachvereinsheraus (vgl. Greule 1986: 30). In ihr erschienen Aufsätze über Sprache, Mitteilungen, Leserbriefe, Rubriken wie Zeitungsschau(Sprachliches in Zeitungen) und Bücherschau(Buchvorstellungen) sowie die Nachrichten der Zweigvereine (Aus den Zweigvereinen).
Ab 1891 erschienen zusätzlich zur Zeitschrift dieWissenschaftlichen Beihefte, in denen „streng wissenschaftliche Abhandlungen“ (Hauffen 1917: 3) veröffentlicht wurden.
3. Arbeitsbereiche
3.1 Allgemeine Beschäftigung mit Sprache und Schrift
Neben der Verdeutschung von Fremdwörtern, auf die in Kapitel 3.2 eingegangen werden wird, beschäftigte sich der ADSV auch mit anderen Themen. Um den Sprach- und Schreibstil zu verbessern, wurde von Hermann Dunger die RubrikZur Schärfung des Sprachgefühlsin der Zeitschrift des Vereins eingeführt. Anhand von Zeitungsmeldungen und anderen Publikationen wurde dem Leser demonstriert, wie Satzbaufehler oder Fehler im Ausdruck vermieden werden können. So wurde beispielsweise folgender Satz zitiert:
Zu Ehren des am 19. April 1801 geborenen Philosophen G. Th. Fechner ist gestern ein Fechner-Denkmal im Rosenthale in der Nähe des Schweizerhäuschens der Öffentlichkeit übergeben worden. (Zeitschrift IV (1898), Spalte 42), der dann nach Hinweis auf die störende Wiederholung (Fechner) und den falschen Bezug innerhalb des Satzes (sinngemäß:Zu Ehren des Philosophen wurde ein Denkmal übergeben, statt richtig:Ein Denkmal zu Ehren des Philosophen wurde errichtet) korrigiert wurde:
Das im Rosenthal in der Nähe des Schweizerhäuschens errichtete Denkmal zu Ehren des Philosophen G. Th. Fechner (geb. am 19. April 1801) ist gestern der Öffentlichkeit übergeben worden. (Ebd.)
Seit 1900 wurden dem ADSV unter anderem von fast allen preußischen Ministerien die neuen Gesetze und Verordnungen „zur stilistischen Überprüfung und Bearbeitung vorgelegt“ (Hauffen 1917: 3).
In den Bereich der Rechtschreibung fallen Diskussionen über Straßen- und Ortsnamen. So wurde etwa debattiert, ob eine AdresseNeunkirchener HöheoderNeunkircher Höheheiße bzw. ob manFrankfurter StraßeoderFrankfurterstraßeschreiben solle (vgl. Olt 1991: 95ff.).
Die Bedeutung von Orts- und Personennamen wurde untersucht und erläutert. Damit ging ein Aufruf einher, seinen Kindern deutsche Namen zu geben. Vom Zweigverein Darmstadt wurden sogar deutsche Hundenamen gesucht und vorgeschlagen (vgl. Ebd.: 103ff.).
Im Bereich der Schrift setzte man sich mit der zunehmenden Verdrängung der Frakturschrift durch die im Ausland übliche lateinischeAntiquaauseinander (vgl. Ebd.: 113ff.).
Außerdem wurden Vorträge über Literatur und Philosophie gehalten, es wurden Dichterlesungen und Mundartveranstaltungen - teils mit musikalischer Begleitung - geboten und ähnliche Treffen organisiert (vgl. Hauffen 1917: 5f.).
3.2 Arbeit mit Fremdwörtern - Arbeit gegen Fremdwörter
3.2.1 Nationalismus im Sprachverein
Die Hauptbeschäftigung des Sprachvereins, die ja schon in Paragraph 1 der Satzung festgelegt war, war die Verdeutschung von Fremdwörtern. Diese Arbeit war motiviert durch das starke Nationalgefühl, den Nationalismus der damaligen Zeit.
Im Aufruf des allgemeinen deutschen Sprachvereins fordert Riegel, „i m Dienste des vaterländischen Gedankens“ zu arbeiten, bezeichnet Fremd- wörter als „fremde Lappen“, die in die deutsche Sprache „eingeflickt“ werden, als wäre sie „ein Hanswurstenkleid“, als „Übel“ und „Elend“, als „Schmach“ für „tapfere deutsche Männer“, die jeder als „Schande“ empfinden solle und fragt über diejenigen, die Fremdwörter benutzen: „Sind das noch Deutsche?“ (Verdeutschungsbücher III 1890: 117f.).
Die Grundsätze des ADSV lauteten folgerichtig: „Kein Fremdwort für das, was deutsch gut ausgedrückt werden kann!“ und „Gedenke auch, wenn du die deutsche Sprache sprichst, daß du ein Deutscher bist!“ (Ebd.: 119; im Original gesperrt).
Riegels Mahnung, „die blinde Reinigungswuth, die unvernünftige Übertreibung, die alte verblendete Deutschthümelei“ (Ebd.) zu vermeiden, wird von seiner radikalen Einstellung „gegen das Fremdwort nicht als Wort, sondern als Zeichen nationaler Stumpfheit und sprachlicher Versumpfung“ (Kirkness 1983: 20) relativiert. Diese Einstellung überwog auch innerhalb des Vereins.
Kirkness hat die Argumente des ADSV gesammelt:
Gegen die (überflüssigen) Fremdwörter wurde stereotyp geltend gemacht, daß sie die Schönheit und Ursprünglichkeit des Deutschen beeinträchtigten und vor allem in der Dichtung sehr störend wirkten; daß sie das Deutsche daran hinderten, die eigenen, vom Germanischen stammenden Wortbildungsmittel (Ableitung und besonders Zusammen- setzung) voll einzusetzen, und somit eine Verarmung des Wortschatzes darstellten; daß sie häufig unklar, mehrdeutig oder unverständlich wären und deshalb Verwirrung stifteten und eine Bildungsbarriere quer durch die Sprachgemeinschaft errichteten; daß ihr Gebrauch nur auf Bequemlichkeit, Gedankenfaulheit, Eitelkeit, Vornehmtuerei und Überheblichkeit gegenüber weniger Gebildeten beruhte, insbesondere aber auf der immer wieder als Erbfehler der (fremdwörtelnden?) Deutschen angeprangerten über- triebenen Hochachtung vor allem Ausländischen bei gleichzeitiger Selbstmißachtung. (Kirkness 1983: 19f.)
3.2.2 Entbehrliche und unentbehrliche Fremdwörter
Ziel des ADSV war es laut Satzung, „die Reinigung der deutschen Sprache von unnöthigen fremden Bestandteilen zu fördern“ (Verdeutschungsbücher III 1890: 117; Anpassung der Laufweite von mir, M.M.). Nicht verdeutscht werden sollten „Lehnwörter, fremdsprachige Fachtermini und Eigennamen [...] sowie unassimilierte Entlehnungen ohne ‚gutes’ einheimisches Äquivalent“2(Kirkness 1983: 19). Riegel selbst definiert ein Fremdwort dadurch, daß es „eben fremd erscheint“ (Bernsmeier 1977: 374).
Diese subjektiven Kriterien, nach denen ein Wortunnötigist,fremd erscheint, oder eine Verdeutschunggutgenug ist, wurden innerhalb des Vereins nicht einheitlich gehandhabt. Von seiten des Sprachvereins wurde erklärt, „die richtige Mitte zwischen dem Zuviel und Zuwenig“ (Verdeutschungsbücher III 1890: 4) zu suchen, da „in einer maßvollen Verfolgung unserer Ziele die sicherste Gewähr für die Erreichung derselben“ (Ebd.: 6) gesehen wurde. Andererseits gingen die Mitglieder des ADSV unwissen- schaftlich vor, indem sie Fremdwörter aus dem Zusammenhang rissen und „bezugslos als unverständliche Teile des Textes“ (Bernsmeier 1977: 380) darstellten, obwohl „viele Fremdwörter [...] im Text durchaus einen Sinn“ (Ebd.) hatten - „das Kriterium für Unverständlichkeit war meist ein nationalistisches“ (Ebd.: 394).
Der ADSV legte nicht durch eine klare Definition fest, welche Fremdwörter verdeutscht werden sollten. Aus Hermann Dungers theoretischen Überlegungen im Vorwort desWörterbuchs von Verdeutschungen entbehrlicher Fremdwörter(erschienen 1882, also noch vor Gründung des ADSV) stammt die Unterscheidung von entbehrlichen und unentbehrlichen Fremdwörtern. Dunger selbst war sich aber über die Verschwommenheit des KriteriumsEntbehrlichkeitim klaren, wenn er schrieb: „Der eine hält einen fremden Ausdruck für unentbehrlich, den der andere voll Entrüstung verwirft“ (Dunger 1989: IV).
Hermann Dunger nahm innerhalb des Vereins eine gemäßigte Position ein. Er untersuchte in seinem AufsatzWider die Engländerei in der deutschen Sprache(1899) erstmals ausschließlich die Anglizismen im Deutschen (vgl. Wolfgang Viereck in Dunger 1989: 7*) und erkannte in den englischen Lehnwörtern (wie in Lehnwörtern allgemein, so sie deutsch ausgesprochen werden) eine Bereicherung des Wortschatzes (vgl. Ebd.: 9*).
3.2.3 Aktionen gegen Fremdwörter
Der ADSV unternahm diverse Aktionen, um die Fremdwörter aus dem Deutschen zu beseitigen. Er führte Preisausschreiben durch, versandte Rundschreiben an Behörden und gab Verdeutschungsbücher zu unterschiedlichsten Themen heraus: Verdeutschung der Speisekarte, Kochkunst, Handel, häusliches und gesellschaftliches Leben, Namengebung, Amtssprache, Berg- und Hüttenwesen, Schule, Ärzte und Apotheken, Tonkunst, Sport, Versicherungswesen und Buchgewerbe (vgl. Greule 1986: 30). Bei diesen Verdeutschungsbüchern handelte es sich nicht um erklärende Fremdwörterbücher, sie dienten ausschließlich dazu, Fremdwörter durch entsprechende deutsche Wörter zu ersetzen. Das Buch zur Namengebung sollte Eltern als Hilfestellung dienen.
Die Themenbereiche, für die Verdeutschungen gesucht werden sollten, verteilten die Zweigvereine des ADSV untereinander. Vor der Veröffentlichung eines Verdeutschungsbuches wurden die ausgearbeiteten Ergebnisse des bearbeitenden Zweigvereins den anderen Zweigvereinen zur Begutachtung und Nachbearbeitung vorgelegt (vgl. Verdeutschungsbücher III 1890: 3).
3.2.3.1 Erfolgreiche Beeinflussung des öffentlichen Sprachgebrauchs
Unter den Mitgliedern des ADSV waren viele Lehrer und Verwaltungsbeamte, sie wurden gemäß der organisatorischen Leitlinien des Vereins besonders umworben. Dies galt ebenso für bekannte Persönlichkeiten, „deren entsprechende Herausstellungneue Mitglieder an den Verein heranführen sollte“ (Olt 1991: 62). Ihre Multiplikatorenfunktion war von großem Wert, denn um seine Ziele zu erreichen, war es für den ADSV unerläßlich, auf Einrichtungen des öffentlichen Lebens einzuwirken.
Die Zweigvereine des ADSV arbeiteten auch mit anderen lokalen Vereinen zusammen (vgl. Olt 1991: 145). Um ihre Veranstaltungen und ihre Kritik einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde in Zeitungen inseriert und veröffentlicht - dies verlief nicht immer reibungslos, da die Zeitungen nicht selten auch Objekt der Kritik waren (vgl. Ebd.: 148f.).
1894 wurden in Prag und Umgebung 200 Stück des VerdeutschungsbuchesDie Schulekostenlos an deutsche Lehrer und Schulen verteilt (vgl. Hauffen 1917: 6). Der Einfluß auf Schul- und Unterrichtsbehörden im Deutschen Reich war so groß, daß mehrere Regierungen und Ministerien die Lehrer ihres Landes anwiesen, keine Fremdwörter zu gebrauchen (vgl. Bernsmeier 1977: 180f.). Im Schulwesen wurden für etliche Fachbegriffe deutsche Termini eingeführt, beispielsweiseReifezeugnis(für Absolutium3),Klassenleiter(fürOrdinarius),Klassenarbeit(fürExtemporale) oder Hausarbeit(fürExercitium) (vgl. Bernsmeier 1977: 377). Von Hermann Dunger kam 1887 der Vorschlag, auch Fachbegriffe wieSemester,Dissertation,Pädagogikoder Didaktikzu verdeutschen. Damit wandte er sich gegen seine eigene Forderung, Fach- termini - und besonders internationale Fachtermini - als unentbehrliche Fremdwörter im Deutschen zu belassen (Ebd.: 381).
Es gab wohl kein Betätigungsfeld, das nicht auf entbehrliche Fremdwörter hin untersucht wurde.
Die Eisenbahner mußten sich an eine neue Terminologie gewöhnen: Statt Niveauüberganghieß es nunSchienenübergang, man fuhr nicht mehr imExtrazug sondern imSonderzug, derPerronwurde dank einer Lehnschöpfung Otto Sarrazins zumBahnsteigu.a.m. (vgl. Bernsmeier 1977: 382). Nach einer Schätzung von Dunger wurden bis 1910 1.300 Wörter im Eisenbahnwesen amtlich verdeutscht (vgl. Ebd.).
Im Bereich der Heeressprache ordnete Kaiser Wilhelm persönlich am 01.01.1899 die Verdeutschung mehrerer Fremdwörter an. So wurde etwa aus demOffizier-AspirantderFahnenjunker, aus demPremier-LeutenantderOberleutnant; stattChargesollte nunDienstgrad, stattAvancementder deutsche BegriffBeförderungverwendet werden (vgl. Zeitschrift XIV (1899), Sp. 33f.).
In der Sprache des Bauwesens wurden ebenfalls deutsche Begriffe eingeführt. DasProjekthieß ab 1906EntwurfoderPlanung, statt einesViaduktsbaute man eine Talbrücke,Terrainverdeutschte man zuGelände,ExpropriationzuEnteignungund aus derMeliorationwurde dieVerbesserung, um nur einige zu nennen (vgl. Olt 1991: 72).
Konrad Duden schrieb 1902 für das Vorwort zur siebten Auflage seines einflußreichenOrthographischen Wörterbuchs:
Eine Anzahl guter Verdeutschungen von Fremdwörtern habe ich dem Fremdwörterbuch von Otto Sarrazin und den vom Allgemeinen Deutschen Sprachverein herausgegebenen Verdeutschungsbüchern mit Dank entnommen. (Duden 1903: VI)
Die Liste der Fachbereiche und der dazugehörigen Verdeutschungen, die von Vereinsmitgliedern erarbeitet oder aus anderen Quellen gesammelt und von der Zeitschrift verbreitet wurden, ließe sich noch viel weiter fortführen. Als kurzer Überblick sollen die genannten Beispiele aber genügen.
3.2.3.2 Erfolglose Versuche und Probleme bei der Verdeutschung
Neben den erfolgreichen Verdeutschungen, die oft auf politischen Befehl hin eingeführt wurden und dann auch ihren Weg in die Umgangssprache fanden, gab es auch Verdeutschungen, die sich nicht durchsetzen konnten.
Dazu gehört etwa die Verdeutschung von Maßen. Im Jahr 1888 wurde in der Zeitschrift des ADSV vorgeschlagen,MeterdurchElle,3/10 MeterdurchFußund ähnliche Längenmaßangaben durch entsprechende deutsche Begriffe zu ersetzen. Weiterhin sollte an die Stelle desKilogrammsdasNeupfundtreten (vgl. Bernsmeier 387).
Auch die aus dem Lateinischen stammenden Monatsnamen sollten verdeutscht werden. Aus den Dialekten und aus früheren Sprachstufen des Deutschen wurden unter anderem folgende deutsche Monatsnamen zusammengestellt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(vgl. Bernsmeier 1977: 375)
Obwohl die Ersetzung der lateinischen durch die deutschen Begriffe erst 1922 beschlossen wurde (vgl. Bernsmeier 1977: 375), sind deutsche Monatsnamen vereinsintern schon weit vorher im Gespräch - etwa in O. Brenners BeitragDeutscheMonatsnamen!in der Zeitschrift des ADSV vom März 1898.
Aus dem Dialektwortschatz bediente man sich auch bei der Verdeutschung der Speisekarte. So wollte man den BegriffHühnerfricasséedurchWeißeingemachtes vom Huhnersetzen, dasBonbondurchZuckerleoderLeckerle(vgl. Bernsmeier 1977: 373). Solche Mundartausdrücke mußten jedoch vom Großteil der Deutschen wie neue Wörter erlernt werden - die französischen Ausdrücke waren dagegen oft allgemein bekannt (vgl. Ebd.: 372). Beispiele wie diese zeigen einmal mehr, daß Verdeutschungen nicht selten nur um des Verdeutschens willen durchgeführt wurden. In einigen Fällen war die Kritik des Vereins jedoch sicherlich berechtigt, wie eine (deutsche) Speisekarte aus dem Jahr 1913, zitiert in der Zeitschrift des ADSV, zeigt:
‚Déjeuner. Bisque d’écrevisses. Saumon froid à la Suédoise. Aloyau de bœuf braisé St. Florentine. Pommes de terre frites. Jambonneau à la Livonienne. Poulardes rôties à la broche. Cœurs de laitues fines herbes. - Compote. Céleri en branches au jus. Bombe Nelusco. Corbeilles de friandises. Canapés de Roquefort. Fruits - Dessert.’ Darüber stehen die einzigen deutschen Worte »Karlsruhe, 24. Juni 1913«. (Zeitschrift 28 (1913), Sp. 271)
Ein weiteres Beispiel, das hier stellvertretend auch für andere erfolglose Verdeutschungsversuche stehen soll, ist dieRauchrolle, durch welche dieZigarreersetzt werden sollte. Die Zeitschrift des ADSV schrieb dazu:
Stolz atmen die Raucher auf und jubeln über das grenzenlose Glück, endlich für ihre heißgeliebte Gesellschafterin ein echt deutsches Wort zu besitzen, das an Wohlklang und Geschmeidigkeit der Aussprache seines Gleichen sucht ... Die Tragweite dieses Ereignisses für die Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, ja für die gesamte Geistesentwicklung des deutschen Volkes ist geradezu unermeßlich ... Wie glücklich sind unsere Kinder und Enkel zu preisen, denen es vergönnt sein wird, in einer so großen Zeit zu leben! (Zeitschrift IV (1889), Sp. 159f., zitiert nach Bernsmeier 1977: 387f.)
3.2.3.3 Weitere Anregungen und Überlegungen des ADSV
Da die Mitglieder des Sprachvereins erkannten, daß die Spracherziehung der Kinder seitens ihrer Mütter großen Einfluß auf den Sprachgebrauch während des gesamten Lebens hat, brachten sie Vorschläge, die bei der Erziehung beachtet werden sollten. Von den Müttern wurde gefordert, „ihren Kindern die Muttersprache möglichst rein beizubringen“, sie müßten die Sprache „von jedem fremden Eindringlinge bewahren“ (Zeitschrift II (1887), Sp. 166, zitiert nach Bernsmeier 1977: 378).
Ein Mitglied, Josef Wichner, empfahl, der Jugend das Alemannische beizubringen, da in den Mundarten allgemein nur wenige Fremdwörter existierten und das Alemannische der idealen Sprache des Nibelungenlieds - einer überwundenen Sprachstufe! - nahestünde (vgl. Bernsmeier 1977: 379).
Ein weiterer Punkt ist die Forderung nach einer staatlichen Behörde für die Sprachpflegearbeit. Schon in der ersten Ausgabe seinesHauptstückshatte Riegel sich für eine deutsche Sprachakademie ausgesprochen (vgl. Riegel 1888: 63), in der zweiten Auflage von 1888 wirbt er weiterhin für diese Idee:
Wir haben ja allerlei nützliche Einrichtungen hergestellt. Da ist ein Reichsgesundheits- amt und ein Volks- oder Landwirtschaftsrath [...]. Ist es denn da nun nicht recht und billig, daß endlich auch etwas für die Sprache geschehe, das heiligste Band der Nation, das diese, in den schlimmsten Tagen ihrer Geschichte, einzig und allein noch zusammen gehalten hat? (Riegel 1888: 70)
4. Kritik am ADSV
Speziell dieser Punkt, das Verlangen nach staatlicher Unterstützung, war Ansatzpunkt für Kritik von außerhalb des Vereins. 1889 wandten sich in einer Erklärung41 bekannte Wissenschaftler und Schriftsteller (unter ihnen etwa Theodor Fontane, Paul Heyse und Gustav Freytag) dagegen, daß der „Sprachgebrauch von oben geregelt“, die Richtigkeit der Sprache von „Reichssprachämter[n] und Reichssprach- meister[n]“ (Bardt 1889: 312) bestimmt würde. Noch im selben Jahr dementierte Hermann Riegel in einerGegenerklärung, ein Amt für Sprachpflege einrichten zu wollen, und verwarf damit seine alten Forderungen (vgl. Bernsmeier 1977: 392).4
Des weiteren stellten die Unterzeichner derErklärungfest, daß das vorrangige Ziel der Sprachpflege nicht die Abwehr von Fremdwörtern sei (vgl. Bardt 1889: 312), und daß den „maßvollen Satzungen des Allgemeinen deutschen Sprachvereins [...] der übergroße Eifer vieler Vertreter“ (Ebd.: 313) entgegenstünde. Diese würden „durch sprach- und sinnwidrige Schnellprägungen von Ersatzwörtern Schaden anrichten und Unwillen herausfordern“ (Ebd.). Im Sprachverein sorgte diese Feststellung für Unverständnis, da einige der Kritiker selbst ihre eigenen Werke nach Fremdwörtern durchgesehen und diese verdeutscht hatten (vgl. Bernsmeier 1977: 392).
5. Ausblick
Während des Ersten Weltkriegs und danach in der Weimarer Republik setzte der ADSV seine Arbeit fort, ab 1923 unter dem NamenDeutscher Sprachverein(vgl. Bernsmeier 1980: 117). Die Mitgliederzeitschrift hieß analogZeitschrift des Deutschen Sprachvereins, ab 1925 dannMuttersprache. Zeitschrift des Deutschen Sprachvereins (vgl. Ebd.).
Nach der Machtübernahme durch die NSDAP bezeichnete sich der Deutsche Sprachverein als „d i e S A . u n s e r e r M u t t e r s p r a c h e “ (Miebach 1934: Sp. 146).
Aufgrund der Kritik des Vereins an der Sprache selbst führender nationalsozialistischer Politiker fiel er jedoch bald in Ungnade; die Fremdwortverdeutschung wurde 1940 schließlich per Führererlaß verboten:
Der Führer wünscht nicht derartig gewaltsame Eindeutschungen und billigt nicht die künstliche Ersetzung längst ins Deutsche eingebürgerter Fremdwörter durch nicht aus dem Geist der deutschen Sprache geborene und den Sinn der Fremdworte [sic!] meist nur unvollkommen wiedergebende Wörter. (Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Amtsblatt 6/1940, S. 534, zitiert nach Bernsmeier 1983: 43)
„[U]m M e n s c h e n u n d R o h s t o f f e f ü r a n d e r e k r i e g s w i c h t i g e Zwecke frei zu machen“ (Ruprecht 1943: Sp. 41) wird die Zeitschrift des Sprachvereins - seit 1939 gleichgeschaltet, mit verändertem Untertitel und neuem Herausgeber - im Jahr 1943 eingestellt (vgl. Bernsmeier 1983: 44f.). Auch die Arbeit des Vereins kam „in den Kriegswirren wohl weitgehend zu einem Erliegen“ (Ebd.: 45).
6. Schlußwort
Schon kurz nach seiner Gründung zeigte sich, daß die Mitglieder des ADSV nicht primär aus sprachpädagogischen Gründen handelten, sondern, von nationalistischer Ideologie geprägt, den Kampf gegen die Fremdwörter stellvertretend für den Kampf gegen das Fremde an sich führten. Dennoch, oder - aus dem Lichte der damaligen Zeit betrachtet - vielleicht gerade deswegen, war der Verein in vielen Bereichen erfolgreich. Wörter wieReifezeugnis,Bahnsteig,DienstgradoderEnteignungsind, wie viele andere mehr, heute allgemein gebräuchlich, ihre früheren Formen dagegen weithin unbekannt. Dieser Einfluß des ADSV auf die deutsche Sprache um das Jahr 1900 sollte mit der vorliegenden Arbeit umrissen werden.
Literaturverzeichnis
Bardt, Carl u.a.: „Erklärung“. In:Preußische Jahrbücher63 (1889), S. 312-313.
„Befehl über die Verdeutschung einiger fremder Heeresausdrücke“. In:Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen SprachvereinsXIV (1899), Sp. 33-34.
Bernsmeier, Helmut: „Der Allgemeine Deutsche Sprachverein in der Zeit von 1912 bis 1932“. In:Muttersprache. Zeitschrift zur Pflege und Erforschung der deutschen SpracheXC (1980), S. 117-140.
Bernsmeier, Helmut: „Der Allgemeine Deutsche Sprachverein in seiner Gründungsphase“. In:Muttersprache. Zeitschrift zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache87 (1977), S. 369-395.
Bernsmeier, Helmut: „Der Deutsche Sprachverein im ‚Dritten Reich’“. In: Muttersprache. Zeitschrift zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache XCIII (1983), S. 35-58.
Brenner, O.: „Deutsche Monatsnamen!“. In:Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen SprachvereinsXIII (1898), Sp. 33-40.
Duden, Konrad:Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Leipzig und Wien 71903.
Dunger, Hermann:Wörterbuch von Verdeutschungen entbehrlicher Fremdwörter/Engländerei in der deutschen Sprache. Nachdruck der Ausgaben Leipzig 1882 und Berlin 1909 mit einem Vorwort von Wolfgang Viereck. Hildesheim et al. 1989.
Greule, Albrecht und Elisabeth Ahlvers-Liebel:Germanistische Sprachpflege. Geschichte, Praxis und Zielsetzung. Darmstadt 1986.
Hauffen, Adolf: „Der Allgemeine Deutsche Sprachverein und Deutschböhmen“. Sonderdruck aus der MonatschriftDeutsche Arbeit16 (1917).
Das häusliche und gesellschaftliche Leben. Verdeutschung der hauptsächlichsten im täglichen Verkehre gebrauchten Fremdwörter. Braunschweig 1890 (=Verdeutschungsbücher des allgemeinen deutschen Sprachvereins III).
Kirkness, Alan: „Fremdwort und Sprachpurismus: Lehren aus der Sprachgeschichte für den Deutschunterricht“. In:Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht14 (1983), H. 52, S. 14-29.
Miebach, Franz: „Mehr Kampfgeist! Neue Wege für die Zweigvereinsarbeit“. In: Muttersprache. Zeitschrift des Deutschen Sprachvereins49 (1934), Sp. 145-148.
Olt, Reinhart:Wider das Fremde? Das Wirken des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins in Hessen 1885-1944. Mit einer einleitenden Studieüber Sprachreinigung und Fremdwortfrage in Deutschland und Frankreich seit dem 16. Jahrhundert. Darmstadt und Marburg 1991.
Riegel, Herman:Ein Hauptstück von unserer Muttersprache, der allgemeine deutsche Sprachverein und die Errichtung einer Reichsanstalt für die deutsche Sprache. Mahnruf an alle national gesinnten Deutschen. Zweite umgearbeitete und sehr vermehrte Auflage. Braunschweig 1888.
Ruprecht, Alwin: „Abschied von der »Muttersprache«“. In:Muttersprache. Zeitschrift für deutsches Sprachleben mit Berichten aus der Arbeit des Deutschen Sprachvereins und des Deutschen Sprachpflegeamtes58 (1943), Sp. 41-42.
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„Speisekarte“. In:Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins28 (1913), Sp. 271.
„Zur Schärfung des Sprachgefühls“. In:Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen SprachvereinsIV (1898), Sp. 42-43.
1In frühen Veröffentlichungen (vor der Rechtschreibreform), etwa imAufruf des allgemeinen deutschen Sprachvereins(Verdeutschungsbücher III 1890: 117-120) wird der Vorname „Herman“ geschrieben. Ich schließe mich mit der Schreibung „Hermann“ dem späteren Gebrauch innerhalb des Sprachvereins und den Autoren neuerer Werke zum Thema (Kirkness, Greule) an.
2Der Hannoveraner Zweigverein nennt als Beispiele für unassimilierte Entlehnungen, die nicht verdeutscht werden sollten, etwa „Idee“, „ideal“ und „Nation“ (Verdeutschungsbücher III 1890: 4).
3Statt des BegriffsAbsolutiumfindet man im VerdeutschungsbuchDie Schuledas Fremdwort „Absolutorium“ mit der Bedeutung „Reifeprüfung; Reifezeugnis“ (Verdeutschungsbücher VII 1896: 11). Da sowohl imDuden(71903) als auch inDr. Friedrich Erdmann Petri’s Handbuch der Fremdwörter in der deutschen Schrift- und Umgangssprache(251903) lediglich letzterer Begriff enthalten ist, liegt bei Bernsmeier evtl. ein Schreibfehler vor.
4Als 1935 das (relativ einflußarme)Deutsche Sprachpflegeamtgegründet wurde, wurde dies vom Sprachverein begrüßt. Vorsitzender des Amtes wurde der Vorsitzende des Sprachvereins, Rudolf Buttmann (Bernsmeier 1983: 56).
- Arbeit zitieren
- Michael Mann (Autor:in), 2002, Sprachpurismus im Wilhelminischen Reich: Der Allgemeine Deutsche Sprachverein, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106898