Machiavelli-Rezeption in Friedrichs Antimachiavell


Seminararbeit, 2002

17 Seiten


Leseprobe


Inhalt:

1 Der „Antimachiavell“ als Grundlage der Diskussion

2 Machiavelli-Rezeption im „Antimachiavell“ von Friedrich dem Großen
2.1 Überblick der Machiavelli-Rezeption und -Kritik
2.1.1 Allgemeiner kurzer Abriss der Machiavelli-Forschung
2.1.2 Besondere Interpretationen in der Zeit der Aufklärung
2.2 Entstehungsgeschichte des „Antimachiavell“
2.3 Inhalt des „Antimachiavell“
2.4 Vergleich von Machiavelli und Friedrich dem Großen
2.4.1 Machiavellis „Fürst“
2.4.2 Friedrichs Einwende im „Antimachiavell“

3 Endbetrachtungen über die Wirkung des „Antimachiavell“

4 Literaturverzeichnis

1 Der „Antimachiavell“ als Diskussionsgrundlage

Als ich den „Principe“ von Niccolò Machiavelli das erste Mal las und im Vergleich die „Discorsi“ daneben sah, kam mir der Gedanke, dass Machiavelli sein Werkchen - wie er es selber nennt - nicht ernst gemeint hat. Ich glaubte, es müsse in seiner Zeit etwas gegeben haben, was ihn der Ironie, Satire und bösen Farce überführen könnte.

In seinem Werk heiligt er alle Mittel, die ein Heerführer anwenden kann, um Fürst eines Staates zu werden. Er kann und muss sogar zum Tyrannen werden, um eine Dauerhafte Herrschaft aufzubauen. Er darf - laut Autor - morden, betrügen, verraten. Alles ist erlaubt, um sich eine andauernde Stüt- ze zu verschaffen.

Doch Machiavelli war einer der größten Verfechter für die Staatsform Republik. Für mich war undurchsichtig, warum er auf einmal die Alleinherrschaft eines Großen befürworten und ihm eine Gebrauchsanweisung schreiben sollte. Selbst wenn er hoffen konnte, damit wieder in den Dienst der Medici - die Herrscherfamilie in Florenz - aufgenommen zu werden. Bei meiner Recherche vor allem in der Rezeption und Kritik der aufgeklärten Autoren und Philosophen des 18. Jahrhunderts stieß ich auf Friedrich den Großen - das Paradebeispiel der Aufklärung - und sein Werkchen des „Antimachiavell“. Er sagt auch denen ein Wort, die glauben,

Machiavelli schreibe vielmehr dasjenige, was Fürsten wirklich tun, nicht aber, was sie tun sollten. Dieser Gedanke hat vielen gefallen, weil er satirisch ist. Diejenigen [...] sind ohne Zweifel durch das Beispiel einiger böser Fürsten [...] ver- führt worden. [...]

Man sollte in der Geschichte nur die Namen der guten Fürsten aufbewahren, hingegen die Namen der andern mit ihrer Trägheit, ihren Ungerechtigkeiten und Lastern auf ewig erlöschen lassen. [...] die Welt würde sich überzeugen, daß die wahre, einzig auf die Gerechtigkeit, Klugheit und Gütigkeit gegründete Staatskunst der Könige [...] dem unrichtigen und abscheulichen Lehrgebäude vorzuziehen sei, welches Machiavelli der Welt darzubieten die Frechheit gehabt hat.1

Diese Idee des besseren Königs, des Herrschers auf Grund von Intelligenz, Güte und Gerechtigkeit fand mein vollstes Interesse. Wie kann solch einer die Macht erlangen? Welche anderen Wege kann Friedrich der Große uns erschließen? Und vor allem: Hat er seine Grundsätze verwirklicht? Er hatte die Möglichkeit - im Gegensatz zu Machiavelli - seine Ideen auch umsetzen, kannte selber die Probleme und Lösungsmöglichkeiten, die sich einem Herrscher bieten. Deshalb beschäftige ich mich in dieser Hausarbeit mit seinem „Antimachiavell“, den ich dem „Principe“ gegenüber stellen möch- te.

2 Machiavelli-Rezeption im „Antimachiavell“ von Friedrich dem Großen

Als Kronprinz liest Friedrich zum ersten Mal „Il Principe“ von Niccolò Machia- velli. Als Thronfolger, der bald auch die Pflichten eines Herrschers erfüllen muss, stößt er sich an der Aussage des Italieners. Mit 27 Jahren versuchte er, eine Widerlegung des Werkes zu verfassen, die von viel Emotion und auf- richtiger Missbilligung geprägt ist. Sein „Antimachiavell“ entsteht mit Hilfe des französischen Aufklärers Voltaire und ist damit in keiner Weise von ihm los- gelöst zu betrachten.

2.1 Überblick der Machiavelli-Rezeption

Da die Kritik schon zu Machiavellis Lebzeiten begann und bis heute mit vielen Lücken fortgeführt wird, möchte ich mich auf die Rezeption des Autors in der Zeit der Aufklärung, der Zeit Friedrichs des Großen beschränken. So werden Hintergründe und Wirkungen des „Antimachiavell“ deutlich und der Rahmen wird nicht gesprengt.

2.1.1 Allgemeiner kurzer Abriss der Machiavelli-Forschung

Die Rezeption von Machiavellis „Principe“ vollzog sich durch eine Ideologie belastete Polemik bis in die Gegenwart. Schon zu Lebzeiten Machiavellis stand sein Werk im Mittelpunkt der öffentlichen Kritik.

In der Zeit der Gegenreformation trafen Verteidiger und Gegner Machiavellis zusammen. Es gab scharfe Diskussionen im Zeichen von Machiavellismus und Antimachiavellismus. Man wagte kaum noch, den verfemten Namen des Autors in der Öffentlichkeit zu nennen und versteckte sich hinter der kriti- schen Auseinandersetzung mit Tacitus. Dies hielt bis zur Wende des 17. Zum 18. Jahrhunderts an.

Ungeachtet der Kritik setzte sich doch die Ansicht Machiavellis von einem weltlichen Saat durch. Die Idee, dass das Interesse des Staates vor allen anderen Interessen - auch der Moral und Religion - den absoluten Vorrang hat, die verbirgt sich hinter dem Begriff der Staatsräson, den Machiavelli als „ragione di stato“ prägte. An der Diskussion über dieses Prinzip des staatli- chen Handelns beteiligten sich Juristen, Philosophen, Kleriker, Politiker und Dilettanten2.

Die Idee von der Trennung von Staatsinteressen von Religion und Kirche ist ein durch und durch aufklärerischer Gedanke.

Dann kam eine positive Wertung Machiavellis als freiheitsliebender Republi- kaner und Vorreiter der nationalen Einigung auf. Vorerst in Italien, dann im ganzen Europa. Da schließt sich auch Spinoza - einer der größten Philoso- phen des 17. Jahrhunderts - mit seiner realistischen Rechts- und Staatslehre an3.

Mit der einsetzenden objektiven Forschung endete die Diskussion für oder wider Machiavelli nicht. Vielmehr wird heute vom „modernen Machiavellis- mus“ gesprochen, der auch keine eindeutige Antwort geben kann. Eine be- friedigende Gesamtdarstellung konnte bis heute nicht erstellt werden. „Der Forschungsstand gestattet es nicht, eine vollständige Geschichte der Machi- avelli-Rezeption in Angriff zu nehmen.“4

2.1.2 Besondere Interpretationen in der Zeit der Aufklärung

Die negative und die positive Auffassung Machiavellis findet sich bei zwei der führenden Vertretern der französischen Aufklärung. Pierre Bayle verurteilt ihn noch immer als Lehrer des Tyrannen und Menschenverachter. Auch Denis Diderot versucht dem Tyrannen, der alles, was sich seinen Interessen in den Weg stellt, zertritt, einen gerechten Herrscher gegenüber zu stellen. „Nichts, auch nicht die Staatsräson kann ein Verbrechen rechtfertigen.“5

Doch räumen beide ein, dass er auch moralische Qualitäten hat. Sie erkennen seine republikanische Gesinnung - den „Esprit Républicain“6 an. Diderot und auch Rousseau sind der Überzeugung, Machiavellis „Principe“ soll die Völker über den Machenschaften der Tyrannen aufklären:

Zweck der Entlarvung der ruchlosen Machtpolitik der Fürsten konnte nur sein, die- se zu ächten und durch eine moralisch fundierte menschenfreundliche Politik zu ersetzen.7

Auf dieser Spannung zwischen Handeln des Tyrannen und Aufklärung des Volkes steht auch der „Antimachiavell“ des Kronprinzen und späteren aufge- klärten Monarchen Friedrich dem Großen. Hier lässt sich sein Werk einord- nen.

Es kommt in der Aufklärung wieder zu erhöhtem Interesse an dem Werk Ma- chiavellis. Man erkennt ihn jetzt auch als Vorreiter der nationalen Einigung Italiens an.

Mit dem Aufkommen des Historismus Anfang des 18. Jahrhunderts vollzieht sich eine Wende in der Rezeption Machiavellis zu einer historischen Würdi- gung des Autors - vorbereitet von Montesquieu in der Zeit der Aufklärung. Auf dem Boden des politischen Realismus erkennt der Franzose die histori- sche Bedeutung des großen politischen Denkers an8. Die Entwicklung setzt sich in Deutschland mit Herder und Fichte fort. Sie meinen, Machiavelli sei immer missverstanden worden, da man nie berücksichtigte, dass er Moral und Politik voneinander trennt. Herder spitzt diese Ansicht noch zu, in dem er sagt, „Machiavelli folgte der höchsten Moral, nämlich derjenigen, welche die Erfordernisse des Staates diktieren“9.

Die Interpretation setzt sich über den politischen Realismus bis in die Ge- genwart fort. Das zentrale Problem ist immer noch die Frage vom Verhältnis von Moral und Politik, was noch keiner objektiv und allgemeingültig klären konnte.

2.2 Entstehungsgeschichte des „Antimachiavell“

Friedrich der Große hat Machiavelli nicht im Original gelesen, sondern in ei- ner französischen, anonymen Übertragung von 1696. Sie blieb stilistisch und in ihrer Aussage weit hinter dem Original zurück. Deshalb kommt es zu klei- nen Ungenauigkeiten in der Widerlegung. Voltaire hingegen kennt die besse- re Übersetzung von Amelot de la Houssaye, die er mit dem Werk des Kron- prinzen veröffentlicht.

Der französische Aufklärer und der junge deutsche Kronprinz stehen seit Sommer 1736 in einem fruchtbaren Briefkontakt. Voltaire sieht in Friedrich das Paradebeispiel seiner Grundidee der Aufklärung und versucht ihn darin zu fördern, wo nur möglich. Die Themen des Gedankenaustausches waren sehr vielgestaltig. Man tauschte sich aus über Moral, Metaphysik, Geschichte, Naturwissenschaft und Literatur.

Von Machiavelli ist das erste Mal am 31. März 1738 die Rede, als Voltaire ihn in seinem „Zeitalter Ludwigs XIV“ unter die großen Männer einreihte. Friedrich schreibt an Voltaire:

Ihre Histoire du Si è cle de Louis XIV bezaubert mich. Ich wünschte bloß, daß sie Machiavelli, der ehrlos war, nicht in den Rang der großen Männer seiner Zeit erho- ben hätten. Selbst wenn jemand der hervorragendste Kopf von der Welt wäre, soll- te er niemals, sobald er Wortbruch, Unterdrückung, Unrechttun lehrt, einen Platz einnehmen, der einzig den Tugenden und lobenswerten Talenten zusteht.10

Voltaire gibt zu, dass der Kronprinz recht hat und die Sache liegt bis zum 22. März 1739. Da berichtet Friedrich, dass er vorhabe, ein Werk über den „Prin- cipe“ zu verfassen. Leider lässt sich nicht feststellen, ob Voltaires „Zeitalter Ludwigs XIV“ der Anstoß zur schriftlichen Auseinandersetzung mit Machia- velli war.

Doch ein anderes Werk des Franzosen beeinflusste Friedrich, nämlich die „Heriade“, ein Epos auf Heinrich IV, der ein Vorbild des jungen Prinzen wird. Was er sonst noch als Grundlage gelesen hat, ist nicht klar. Nur dass er nicht einmal die anderen Werke Machiavellis kannte, lässt sich aus seinen Schrif- ten entnehmen.

Friedrich arbeitet bis Ende Januar oder Anfang Februar 1740 an seiner Wi- derlegung des „Principe“. Voltaire erlebt die Entstehung des Werkes durch den regelmäßigen Briefverkehr sozusagen „live“ mit. Am 6. November schickt ihm der Kronprinz eine erste Fassung von fünf Kapitel, am 4. Dezem- ber die ersten zwölf, am 6. Januar fünf weitere, am 3. Februar die restlichen Kapitel. Er bittet den französischen Schriftsteller, sein Werk zu überarbeiten, erst nur sprachlich, später auch in inhaltlichen und taktischen Fragen:

Mit dieser Post bekommen Sie die Hefe meines Tuns, und ich bitte Sie, mich Ihrer Kritik wissen zu lassen. [...] Ich spreche zu freimütig über alle bedeutenden Fürsten, um gestatten zu können, daß der Antimachiavell unter meinem Namen erscheint. So habe ich mich entschlossen, ihn [...] als das Werk eines Anonymus drucken zu lassen. Legen Sie also Hand an alle Beleidigungen, die Sie für überflüssig halten, und lassen Sie keine Verstöße gegen die Reinheit der Sprache durchgehen.11

Voltaire kritisiert nicht nur und macht Änderungsvorschläge, sondern fängt gleich an, nachdem er das Werk in Händen hält, nach einem Verleger und Drucker zu suchen, den er in den Haag findet. Der Drucker van Duren nimmt sich nach einigem Sträuben auch dem Werk an. Doch wird vereinbart, den Namen des Verfassers nicht bekannt zu geben, da es unverantwortlich war, ein in seiner Kritik an Staat und Kirche brisantes Werk unter dem Namen des deutschen Königs zu veröffentlichen.

Voltaires erste Fassung ist gekennzeichnet durch viele Streichungen, durch die er pure Beschimpfungen Friedrichs mit sachlichen Argumenten ersetzt und versucht eine Verkürzung zu erzielen, die schneller auf den Punkt kommt. Er schreibt an Friedrich am 23. Februar 1740:

Ich liebe und ich bewundere den Gehalt des ganzen Werks, und das gibt mir den Mut, Ew. Kgl. Hoheit zu sagen, daß mir einige Kapitel zu lang erscheinen; transverso calamo signum wird rasch Abhilfe schaffen, und dies Blattgold wird, etwas massierter aufgetragen, mehr Gewicht und Glanz bekommen.12

Außerdem verbessert der wortgewandte Franzose einige Formulierungen, um die Grobschlächtigkeit Friedrichs an einigen Stellen zu glätten. Doch dem Druck kommt der 30. Mai dazwischen, an dem Friedrich König wird. Sofort will Voltaire den Druck stoppen. Daß sich die Autorschaft des „Antimachiavell“ nicht lange geheim halten ließe, war dem Franzosen so klar wie dem König. Doch der gewitzte Drucker van Duren hat sich nicht davon abhalten lassen, das gefährliche Werk zu verlegen. Ende September 1740 war es auf dem Markt.

Daraufhin blieb Voltaire nichts anderes übrig, als noch eine neue Fassung zu veröffentlichen, in deren Vorwort er die Ausgabe van Durens als Fälschung hinstellte. Er bearbeitete den Text noch einmal so, dass alle Stellen entschärft oder getilgt wurden, die durch ihre Freimütigkeit Anstoß erregen konnten. Damit nahm er dem Werk seine Unmittelbarkeit und den freien Stil Friedrichs, die Art, seinem Ärger Luft zu machen. Er ging zu weit. Diese Edition gefällt dem König ebensowenig wie die alte.

Der Herrscher will eine eigene Auflage in Preußen heraus bringen, zu der es aber nie kommt.

Ab diesem Zeitpunkt bröckelt die Freundschaft der beiden großen Aufklärer. Friedrich verliert das Vertrauen in seinen französischen Briefpartner und Vol- taire bemerkt, dass der König nicht in der Lage ist, die Theorie seines Wer- kes vom tugendhaften und ehrlichen Herrscher in die Praxis umzusetzen.

2.3 Inhalt des „Antimachiavell“

Der „Antimachiavell“ ist in 26 Kapitel eingeteilt - wie es auch der „Principe“ von Machiavelli ist. Man kann alle Abschnitte direkt gegenüberstellen. Diese Aufteilung wurde von Voltaire vorgenommen. Auch ließ er beide Werke immer parallel abdrucken.

Im Vorwort schlägt Friedrich einen sehr hohen moralischen Ton an, den er das ganze Werk über beibehält, der das Werk bestimmt. Hier wird Machia- velli sofort als Verbrecher der Politik und Feind einer gesunden Sittlichkeit bezeichnet und der Leser auf seine folgenden Ausführungen vorbereitet:

Ich übernehme die Verteidigung der Menschlichkeit wider diesen Unmenschen, der dieselbe vernichten will; ich setzte die Vernunft und die Gerechtigkeit dem Sophismus und dem Laster entgegen, und ich habe es gewagt, meine Betrachtungen über Machiavellis Buch von Kapitel zu Kapitel anzustellen, damit das Gegengift unmittelbar auf die Vergiftung folge.

Ich habe allezeit Machiavellis Buch von der Regierungskunst eines Fürsten als eines der allergefährlichsten Bücher angesehen, die jemals in der Welt verbreitet worden.13

Der Souverän eines Landes sollte nicht der absolute Herrscher seines Volkes sein, sonder dessen erster Diener.

Für Friedrich gibt es drei legitime Möglichkeiten, durch die ein Herrscher die Macht zu übernehmen:

entweder durch die Erbfolge, oder durch die Wahl eines Volkes, welches dazu in der Lage ist; oder, wenn man durch einen mit Gerechtigkeit unternommenen Krieg einige feindliche Provinzen erobert.14

Der gerechte Krieg wird in seiner Ausführung am Ende ein Punkt, in dem er sich selbst widerspricht.

Der Herrscher muss sein Volk zufrieden stellen und ihm nicht Tyrann sein, dann braucht er keine Aufstände zu befürchten.

Machiavelli lebte - laut Friedrich - in einem halbbarbarischen Zeitalter, wo Eroberungen noch Heldentaten waren. Doch war er in seinen Ratschlägen über Methoden der Behauptung des Eroberten bedenkenloser als seine Zeitgenossen. Er empfahl sogar die Ausrottung der besiegten Dynastien:

[...] che il sangue del loro principe antiquo si spenga; [...]15

Im 18. Jahrhundert haben sich die Verhältnisse gebessert, weil die Grundsätze der Moral und Menschlichkeit an Bedeutung gewannen. Nicht mehr die Größe eines Landes hatte Bedeutung, sondern die Anzahl und der Unternehmungsgeist seiner Bewohner.

Der Kronprinz stellt das Vorbild Machiavellis - Cesare Borgia nicht nur als Eroberer dar, sondern sieht ihn als Attentäter und Giftmörder:

[Der Fürst] ist ein Buch von der Staatskunst, [...] es ist ein sehr ernsthaftes Werk, in welchem Machiavelli so unverschämt ist, daß er dem abscheulichsten Unge- heuer, das die Hölle jemals auf die Erde gespien hat, Lobsprüche beilegt. Das heißt, sich mit kaltem Blute dem Hasse des menschlichen Geschlechts ausset- zen.16

Auch Friedrich bewertet die Natur des Menschen nie positiv, doch war seine Meinung über sie in seiner Jugend, als er den „Antimachiavell“ verfasst noch besser als in seinen Reifejahren. Auf Machiavellis Beweisführung, dass in dieser verderbten Welt, wo alle Menschen schlecht sind, die Güte den Unter- gang herbeiführe, entgegnet der Prinz, dass man gut und klug sein muss:

Machiavelli: uno uomo che voglia fare in tutte le parte professione di buono, con- viene rovini infra tanti che non sono buoni. Onde è necessario a uno principe, volendosi mantenere, imparare a potere essere non buono, e usarlo e non l’usare secondo la necessità.17

Friedrich: Machiavelli behauptet, es sei nicht möglich, in einer so bösen und verderbten Welt ganz und gar gut zu sein [...]. Ich aber behaupte: damit man nicht umkomme, müsse man klug und tugendhaft sein.

Die Menschen sind gemeiniglich nicht ganz gut und nicht ganz böse; [sie] werden sich alle vereinigen, einen mächtigen, gerechten und geschickten Fürsten zu erhalten.18

Er erkennt die Übermacht der Selbstsucht an, doch mit einer anderen Bedeutung. Die Menschen sind weder alle gut noch alle böse, aber sie erkennen einen gerechten und geschickten Fürsten an.

Manneszucht ist auch für Friedrich den Großen unumgänglich für ein Heer, doch sollte sie sich nie in Grausamkeit umwandeln. Denn ein grausamer Fürst wird leichter durch Verrat fallen, denn Grausamkeit ist für jeden uner- träglich. Auch der von Machiavelli so ans Herz gelegte Treuebruch sei un- klug, denn die Menschen lassen sich nur einmal täuschen. Leider gibt es traurige Zwangslagen, in denen auch der gerechteste Fürst zum Vertragsbruch gezwungen wird. Doch sollte dieses Mittel erst eingesetzt werden, wenn es kein anderes zum Schutz des Volkes gibt. Weitere Ausnahmen - besonders den Krieg betreffend - führt Friedrich der Große im letzten Kapitel über gerechte und ungerechte Kriege aus:

Die Veranlassung des Krieges macht ihn gerecht oder ungerecht. [...] Der Krieg ist ein Mittel, wenn alles andere auf das Äußerste gekommen ist. Daher darf man nur mit Vorsicht und in verzweifelten Fällen dazu greifen und muss genau prüfen, ob man durch eine Täuschung der Eigenliebe oder durch triftigen und unumgänglichen Grund dazu gebracht sein.19

Gerechte Kriege, sind Verteidigungskriege, Interessenkriege und Vorbeugungskriege, wovon der erste der gerechteste sei und alle anderen langer Überlegung bedürfen und nur eingesetzt werden sollten, wenn keine andere Möglichkeit der Klärung mehr möglich ist.

2.4 Vergleich von Machiavelli und Friedrich dem Großen

Wie schon angedeutet, missversteht Friedrich der Große Machiavelli in einigen Punkten. Seine Widerlegung hat somit Mängel und verliert an Boden. Oft pflichtet er dem italienischen Humanisten bei, teils unbewusst, teils aber doch mit Absicht. Diese Schwachpunkte in Friedrichs Argumentation sollen hier konkret gezeigt werden.

2.4.1 Machiavellis „Fürst“

Wer den „Principe“ unvoreingenommen liest, ohne geschichtliche Hintergründe oder andere Werke Machiavellis zu kennen, wird dieses Werk wirklich als Leitfaden zur Eroberung von Gebieten, zur Vergrößerungen der Macht und zu politischem Handeln allgemein finden, das Gewalt und Verrat zur Grundlage nehmen muss. Doch mit einem Hintergrundwissen über die Zersplitterung Italiens in der Zeit der Renaissance und Machiavellis politische Einstellung ist diese Interpretation nicht mehr möglich.

Viel eher lässt sich dann in dem Werk ein Versuch erkennen, Italien mit Hilfe eines starken, absoluten Fürsten von allen Fremdherrschaften zu befreien und zu einigen. In dieser Ausnahmesituation müssen Moral und Politik von einander getrennt werden, da auch die Gegner amoralisch sind. Er bricht mit der Ethik des Christentums, behält nur noch die Rahmenbegriffe von Gut und Böse bei. Doch strebt er im allgemeinen nach einer neuen, na- turalistischen Ethik, die der Stimme der Natur folgt. Das kann seiner Meinung nach nicht tadelnswert sein. So entscheidet bei Machiavelli die necessit à ü- ber das Handeln des Fürsten. Er muss auch lernen, nicht gut zu sein, wenn die necessit à es verlangt.

Der Autor geht von einem Menschen, der von der Erbsünde belastet ist aus, also dass alle Menschen von Anfang an schlecht sind und nicht die Fähigkeit zu Moral, Güte und Gerechtigkeit haben.

Deshalb ist das verwerflichste und missverständlichste an Machiavellis Buch der Verzicht auf eine moralische, ethische Bewertung von Politik oder auch, dass er Politik und Moral nicht in Einklang bringt. Deshalb öffnet der „Princi- pe“ die Möglichkeit zu einer Politik, die sich von dem Grundsatz leiten lässt, der Zweck heilige die Mittel und alles ist erlaubt:

Wohl kann der Principe in seinen technischen Kapiteln den Eindruck erwecken, daß Machiavelli nur für den persönlichen Nutzen des Fürsten Ohr und Auge gehabt habe. [...] Wird er aber als Ganzes der Discorsi und übrigen Schriften zusammengehalten, so verschwindet dieser Eindruck, und die Regeneration eines gesunkenen Volkes zu neuer staatlicher Tugend und Kraft durch die virt ù eines Zwingherren und die Hebelkraft aller von der necessit à diktierten Mittel erscheint als der eigentliche innerste Lebensgedanke Machiavellis.20

Friedrich der Große missverstand das Werk des Italieners, da er seine anderen Schriften nicht kannte, und schrieb eine Widerlegung voller Gegensätze und Widersprüche.

2.4.2 Friedrichs Einwende im „Antimachiavell“

Dieses Werk des Kronprinzen ist getragen von Enthusiasmus statt von Erfahrung. So Gelingt es ihm nicht, ein wirkliches Gegenkonzept, das von guten Argumenten getragen wird, zu entwickeln.

Auch das Menschenbild Friedrichs ist ein anderes, als zur Zeit der italieni- schen Renaissance. In der Aufklärung wandelte sich die Betrachtungsweise der menschlichen Natur, das den theologischen Grundlagen der Boden ent- zogen wurde. Statt dessen setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Mensch weder gut noch böse ist, er die Anlagen zu beidem hat und man es durch Vernunft beeinflussen kann. Somit kann Moral nicht von der Politik getrennt werden, da besonders Regierende, die Verantwortung für ihr Land und ihr Volk haben, tugendhaft und vernünftig sein müssen. Friedrich versucht in seinem Werk Politik und Moral in Einklang zu bringen, was Machiavelli von vornherein ausschließt.

Auf Grund der Unterschiedlichen Herangehensweise und der Sicht auf die menschliche Natur kommt es automatische zu Widersprüchen in der Beweis- führung Friedrichs des Großen. Auch weil der Kronprinz Machiavelli missver- steht, verliert sein eigenes Werk seine Wirkung.

Besonders deutlich wird das im letzten Kapitel, wo er auch Ausnahmen zu Kriegen zulässt und sich damit auch ein Tor öffnet, seine späteren militärischen Schritte zu rechtfertigen. So, laut Gooch, den Raub Schlesiens 1740 und den Beginn des siebenjährigen Krieges 175621. Er öffnet selbst dem Fürsten die Möglichkeit jederzeit, einen Krieg zu beginnen:

Die Klugheit erfordert es, ein kleineres Übel dem größeren vorzuziehen [...]. Es ist also besser, daß sich ein Fürst in einen Angriffskrieg einläßt, wenn es in seiner Macht steht [...], als daß er bis auf den verzweifelten Augenblick wartet, da eine Kriegsankündigung seine Sklaverei und seinen Untergang nur um wenige Augenblicke aufschieben kann. Die Regel ist gewiß, es sei besser, andern zuvorzukommen, als sich zuvorkommen zu lassen.22

Doch baut der Herrscher seine Argumentation darauf auf, dass er alles um des Staates Willen tut und somit das Recht zu Kriegen hat. Wohingegen der italienische Philosoph den Fürsten ermutigt, zu erst an sich zu denken.

3 Endbetrachtungen über die Wirkung des „Antimachiavell“

Friedrich versucht, doch es gelingt ihm nicht, ein ausgereiftes Gegenkonzept zu entwickeln. Er beginnt als Moralist, als aufgeklärter Thronfolger, der eine neue Idee zur Herrschaft entwickeln möchte. Er hat noch das Ideal, er könne es schaffen. Auch durch die Förderung und die Lobpreisungen durch den französischen Philosophen und Schriftsteller aufgebaut, scheint dieses Ziel erreichbar.

In seinem jugendlichen Eifer versucht er eine Widerlegung des „Principe“ zu verfassen, doch verstrickt er sich in Widersprüche und Gegensätze, da er den Autor falsch verstanden hat und sich nicht näher mit dessen Umfeld und weiteren Werken auseinander gesetzt hat.

Schon im „Antimachiavell“ werden die Widersprüche deutlich, doch noch mehr in seiner Politik als König von Preußen, der er 1740 wird. Er fällt in Schlesien ein und beginnt den siebenjährigen Krieg. Voltaire ist sehr ent- täuscht von seinem Schützling, den er als das Paradebeispiel des aufgeklärten Zeitalters gesehen hat. Friedrich der Große kann die Ideale, die er als Kronprinz ohne Erfahrung hatte, nicht verwirklichen. Ein moralischer, guter Fürst kann nicht existieren. Er verliert seine Macht. Das stellt er selber in seinem politischen Testament von 1752 fest:

Machiavelli sagt, eine selbstlose Macht, die zwischen ehrgeizigen Mächten steht, müßte schließlich untergehen. Das ärgert mich, aber ich muß leider zugeben, daß Machiavelli recht hat. Die Fürsten müssen notwendigerweise Ehrgeiz besitzen, a- ber er muß weise, maßvoll und von der Vernunft erleuchtet sein.23

Also hat Machiavelli, als großer Denker seiner Zeit, die einzige Möglichkeit gefunden, einen starken, geeinten, ruhigen Staat zu erschaffen. Jedes Wort in seinem Werk ist wohl überlegt. Selbst der große aufgeklärte Herrscher Friedrich der Große, der gegen den „Principe“ so wetterte, musste das ein- sehen. Somit kann von dieser Sicht her das Werkchen nicht ironisch und als Parodie aufgefasst werden. Es ist eine wohlüberlegte Abhandlung zur Eini- gung eines Staates und Aufbau einer Macht, die Sicherheit und Ordnung in einem Reich gewährleisten kann.

4 Literaturverzeichnis

Primärliteratur:

Floerke, Hanns (Hrsg.), Der Fürst / Niccol ò Machiavelli, Antimachiavell / Friedrich der Große, Berlin 1913.

Machiavelli, Niccolò. Il Principe / Der Fürst, übersetzt und herausgegeben von Philipp Rippel, Stuttgart 1986.

Sekundärliteratur:

Bardong, Otto (Hrsg.), Friedrich der Große, Darmstadt 1982.

Buck, August, Machiavelli, Darmstadt 1985.

Chabod, Federico, Scritti su Machiavelli, Torino 1964.

Cutinelli-Rendina, Emmanuele, Intrduzione a Machiavelli, Roma-Bari 1999.

Gooch, George Peabody, Friedrich der Große. Preußens legendärer König, München 1992, 10. Auflage.

Meineke, Friedrich, Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, München 1963.

Pleschinski, Hans (Hrsg.), Aus dem Briefwechsel Voltaire - Friedrich der Große, Zürich 1992.

Skinner, Quentin, Machiavelli zur Einführung, Hamburg ³ 2001.

[...]


1 Floerke (Hrsg.), Der Fürst/Machiavelli, Antimachiavell/Friedrich der Große, Berlin 1913, S.101, 102.

2 vgl. Buck, Machiavelli, Darmstadt 1985, S. 135-136.

3 vgl. ebd. S.142.

4 ebd. S.130.

5 ebd. S. 145.

6 ebd. S. 145.

7 ebd. S. 146

8 ebd. S. 151.

9 zitiert in Buck S. 151.

10 Pleschinski, Aus dem Briefwechsel Voltaire - Friedrich der Große, Zürich 1992, S. 98.

11 Friedrich an Voltaire am 3.2.1740 in Pleschinski, S. 157.

12 Ebd. S. 159.

13 Floerke (Hrsg.), Der Fürst/Machiavelli, Antimachiavell/Friedrich der Große, Berlin 1913, S. 100.

14 Ebd. S. 104.

15 Machiavelli, Il Principe / Der Fürst, Stuttgart 1986, S. 14.

16 Floerke (Hrsg.), Der Fürst/Machiavelli, Antimachiavell/Friedrich der Große, Berlin 1913, S. 123.

17 Machiavelli, Il Principe / Der Fürst, Stuttgart 1986, S. 118.

18 Floerke (Hrsg.), Der Fürst/Machiavelli, Antimachiavell/Friedrich der Große, Berlin 1913, S. 145.

19 Ebd. S. 191.

20 Meinecke, Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, München 1963, S. 49.

21 Vlg. Gooch, Friedrich der Große, München 1992, S. 289.

22 Floerke (Hrsg.), Der Fürst/Machiavelli, Antimachiavell/Friedrich der Große, Berlin 1913, S. 192.

23 Bardong, Otto (Hrsg.), Friedrich der Große, Darmstadt 1982, S. 221.

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Details

Titel
Machiavelli-Rezeption in Friedrichs Antimachiavell
Hochschule
Technische Universität Dresden
Autor
Jahr
2002
Seiten
17
Katalognummer
V106939
ISBN (eBook)
9783640052141
Dateigröße
468 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Machiavelli-Rezeption, Friedrichs, Antimachiavell
Arbeit zitieren
Anna-Maria Torchala (Autor:in), 2002, Machiavelli-Rezeption in Friedrichs Antimachiavell, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106939

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