Vom Frankfurter ,,Sponti" zum Außenminister: Das Verhältnis des Politikers Joschka Fischer zu Macht und Gewalt


Hausarbeit, 2001

19 Seiten, Note: 1


Leseprobe


1. Einleitung

Bundesaußenminister und Vizekanzler Joschka Fischer steht zur Zeit der Abfassung dieser Arbeit aufgrund seiner systemoppositionellen Vergangenheit in den 70er Jahren unter massivem innenpolitischen Druck: Nahezu täglich kommen neue Vermutungen über Fischers Beteiligung an gewaltsamen Aktionen auf, die Rede ist von einem Untersuchungsausschuß, und sogar ein Ermittlungsverfahren wegen Falschaussage ist eingeleitet worden. Dies ist Thema in überregionalen Printund Rundfunkmedien.

Weniger Berücksichtigung in der Öffentlichkeit finden hingegen die jüngst publik gewordenen Erkenntnisse über Fischers Rolle beim Krieg der NATO gegen Jugoslawien, den beispielsweise der CDU-Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer einen „ordinären Angriffskrieg“1 nennt und der mit „offenkundigen Unwahrheiten“2 und Lügen „in unvorstellbarem Ausmaß“3 legitimiert worden zu sein scheint. Dieser Sachverhalt steht in krassem Widerspruch zu den Gründen, die auch von Fischer für den Krieg vorgebracht worden sind.

Interessant erscheint daher, sich mit Fischers Verhältnis zu zwei Phänomenen auseinanderzusetzen, zu denen er in seinem Leben schon zwei sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten hat: (Staats-)Macht und Gewalt. Was bewog Fischer in den 70er Jahren, die Staatsmacht zu bekämpfen und gegen den Staat gerichtete Gewalt zumindest nicht prinzipiell zu verdammen, wie kam der Umschwung zustande, der darin endete, daß Fischer als Außenminister staatliche Macht und Gewalt gegen einen anderen Staat ausgeübt hat?

Der Begriff „Gewalt“ wird hier verstanden als Zufügung körperlicher Schmerzen. Ausübender von Gewalt kann daher theoretisch jeder Mensch sein, verantwortlich für die Ausübung von Gewalt aber auch jemand, der ohne negative Konsequenzen für sich selbst anderen die Ausübung von Gewalt gegen andere Menschen befehlen kann.

Der Begriff „Macht“ wird hier verstanden als Möglichkeit, Gewalt gegen andere Menschen auszuüben oder zu befehlen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen.

2. Fischers Vergangenheit und die öffentliche Auseinandersetzung damit

Joseph Fischer wird 1948 als Sohn eines Metzgers im südhessischen Langenburg geboren. Die Schule bricht er nach der zehnten Klasse ab, und auch zwei Fotografenlehren beendet er nicht. Er verläßt seine Eltern als Minderjähriger und landet nach Jahren des Umherstreunens (einmal gelangt er gar bis nach Kuwait4) 1968 in Frankfurt, der damaligen „Hauptstadt der Revolution“5 – nicht zufällig, denn Fischer hat bereits in Stuttgart an einer Trauerdemonstration anläßlich des Todes von Benno Ohnesorg6 teilgenommen und gibt später zu Protokoll, die Schüsse in Berlin hätten ihn „aufgeweckt“7.

Fischer tut mit seiner Teilnahme an einem alternativen Proseminar über Adorno und an einer Lenin-Vorlesung von Oskar Negt, seiner intensiven Marxund Hegel-Lektüre8 und seiner Arbeit im größten linken Buchladen der Stadt nichts wirklich Außergewöhnliches. Aber durch Bücherklau, Schlagfertigkeit und rhetorische Fertigkeiten wird Fischer bald in ganz Frankfurt bekannt und ist Kontaktperson wichtiger Leute der Studentenbewegung wie Daniel Cohn-Bendit und Hans-Jürgen Krahl. Aus Ehrgeiz trainiert er sich Fachwissen in politischer Theorie an und übt immer wieder das Argumentieren in größeren Gruppen9. Aber bei Diskussionen fällt er auch schon einmal dadurch auf, daß er neben dem Podium steht und Redner mit Zischenrufen verunsichert – z.B. „Red doch mal inhaltlich!“ oder „Nimm die Hand aus dem Maul!“10

Nach dem Zerfall des SDS und damit der gesamten studentischen Protestund Diskussionskultur verlegt sich Fischer auf Betriebsarbeit und später auf den Stra- ßenkampf: Mit ca. 30 anderen Leuten gründet er 1969 die Organisation „Betriebsprojektgruppe“, die sich ein Jahr später in RK („Revolutionärer Kampf“) umbenennt. Das nun verwendete martialische Logo, „eine geballte Faust, die dem Betrachter schwungvoll direkt ins Gesicht zu fliegen scheint“11, drückt Gewaltbereitschaft aus und den Willen, die Verhältnisse notfalls militant zu bekämpfen.

Fischer beteiligt sich an Hausbesetzungen und Straßenkämpfen. Im Taunus halten größere Gruppen manöverartige Militanzübungen ab12, an denen er teilnimmt. Es herrscht eine sehr harte, männliche Atmosphäre. Fußballspielen und Karate tragen zu einer sehr agilen und sportlichen Außenwirkung des RK bei. Joschka Fischer selbst schreibt dazu: „Meine linksradikalen siebziger Jahre in der Frankfurter Spontiszene verlangten ein hohes Maß an körperlicher Fitneß.“13 Das „Pflichtjahr“ in einem Betrieb, um Arbeiter zu agitieren, bringt der ehemalige Leistungsradfahrer14 dagegen nicht zuende.

Zu dieser Zeit hat sich die Option „Militanter Kampf“ in der linken Szene bereits durchgesetzt: Die RAF hat bereits mehrere Anschläge verübt, ihre bekanntesten Vertreter sitzen im Gefängnis, aber immer noch steht Gewalt auf der Tagesordnung. 1973 schlägt Fischer bei einer Demo gegen Fahrpreiserhöhungen einen Polizisten zusammen.

Mitte der 70er Jahre gehört Fischer zur Frankfurter Sponti-Szene15. Am 9. Mai, auf einer vorbereitenden Sitzung zur Demonstration anläßlich des Todes von Ulrike Meinhof16, tritt die Mehrheit der Anwesenden dafür ein, der Polizei eine Schlacht zu liefern, die diese nicht vergessen werde17. Auch der Einsatz von Molotowcocktails wird gefordert18. Ein Augenzeuge schildert Fischers Rolle an diesem Abend: „Schließlich gab es nur noch eine Person im ganzen Saal, die das Desaster hätte abwenden können: der Mann, der die Diskussion leitete, Genosse Joschka Fischer persönlich. Doch der zeigte sich wenig besonnen und setzte sich selbst für die Wunderwaffe ein.“19 Die Zeugenaussage wird allerdings zwei Jahre nach ihrer Veröffentlichung widerrufen20.

Auf der Demonstration am nächsten Tag fliegen schon bei der ersten Begegnung mit der Polizei Molotowcocktails, mehrere Polizeibeamte werden verletzt, selbst

Demonstranten müssen aufpassen, nicht selbst getroffen zu werden. Ein Polizeiauto brennt, einer der Insassen wird schwer verletzt21.

Vier Tage nach der Demonstration wird Fischer verhaftet, weil er verdächtigt wird, an der Inbrandsetzung des Polizeiautos beteiligt gewesen zu sein, und sitzt anschließend zwei Tage im Gefängnis. Eine Schuld kann ihm aber schließlich nicht nachgewiesen werden.

1978 sind für Fischer die „revolutionären Träume ausgeträumt“22; er fährt Taxi, verkauft in einem linken Antiquariat Bücher und schreibt Ende 1978 im von Daniel-Cohn Bendit herausgegebenen Frankfurter Alternativmagazin Pflasterstrand:

„Die Perspektivlosigkeit, das Rumhängen, das Nicht-wissen-was-Tun wird immer unerträglicher.“23

Im Januar 2001 wird Fischer erstmals ernsthaft mit dieser Vergangenheit konfrontiert: Im Dezember 1975 hat ein deutsch-palästinensisches Kommando die Ministerkonferenz Erdölexportierender Länder (OPEC) in Wien besetzt und 70 Geiseln genommen; 26 Jahre später wird Fischer im Prozeß gegen den an diesem Anschlag beteiligten Hans-Joachim Klein als Zeuge befragt, weil er in den 70er Jahren nachweislich Kontakt mit dem Angeklagten hatte. Eine Beteiligung an dem OPEC-Anschlag wird Fischer aber nicht vorgeworfen.

Zum Jahreswechsel 2000/2001 beginnt eine öffentliche Diskussion über Fischers Vergangenheit: Ist ein Mensch, der damals Verbrechen begangen hat, als Außenminister tragbar? Wie viele und welche Gewalttaten hat Fischer begangen? Wie stand Fischer selbst in den 70er Jahren zur Gewalt?

Fischer selbst sagt dazu. „Das war nicht nur im Grenzbereich, da gab es nichts schönzureden. Ja, ich war militant. Wir haben Häuser besetzt, und wenn die geräumt werden sollten, haben wir uns gewehrt. Wir haben Steine geworfen, wir wurden verdroschen, aber wir haben auch kräftig hingelangt. Ich habe da nie etwas verschwiegen.“24

„Noch in den achtziger und den neunziger Jahren kokettierte er mit seiner Lust am Schlagen“, wie die Radikalökologin Jutta Ditfurth schreibt25. „Einem gepflegten Krach gehe ich ungern aus dem Weg“26, wird Fischer noch 1998 zitiert. Auch

Christian Schmidt schildert Fischer als Raufbold und Rabauken, „der mit Räuberbart, schwarzer Lederjacke und entschlossener Miene durch Frankfurt schritt wie einst Django über die Hauptstraße eines mexikanischen Dorfes.“27 Laut Schmidt gesteht Fischer in den 70er Jahren „Lust am Schlagen“28, ja sogar „ein tendenziell sadistisches Vergnügen“29 daran ein.

Auf einer Veranstaltung namens „Tribunal gegen Folter“ im März 1974 definiert Fischer als die bessere von zwei Entscheidungen, „was als Aktionen von Politrockern diffamiert wird, was in Wirklichkeit aber heißt: Massenwiderstand gegen die reaktionäre Gewalt gewaltsam zu organisieren.“30 Damit ist der Bogen zu dem geschlagen, was Fischer als Ursache für die Notwendigkeit von Gewalt angibt: die Staatsmacht, die es mit Gewalt zu bekämpfen gelte.

Allerdings existieren wenige Zitate aus den 70er Jahren, in denen Fischer seine Gewalt als notwendige Gegengewalt deklariert und in denen sie mehr als Selbstzweck zu sein scheint. 1973 schreibt Fischer: „Die RAF hat das Recht beansprucht, sich zu verteidigen. Das ist ein legitimes Recht! Jeder hat das Recht, sich gegen tägliche Gewalt dieses Staates, gegen die Gewalt dieser gesellschaftlichen Verhältnisse zu wehren. Ein Revolutionär kann sich nur der Notwendigkeit der Situation unterwerfen, nicht aber dem Gesetzbuch seiner Henker.“31 1976 erklärt er, die in ihrer Zelle tot aufgefundene RAF-Angehörige Ulrike Meinhof sei „von der Reaktion in den Tod getrieben, im wahrsten Sinne des Wortes vernichtet“32 worden – aber ansonsten stehen sein gewaltverherrlichendes Auftreten und Reden selten in direktem inhaltlichen Zusammenhang mit politischen Statements. Zusammenfassend läßt sich Fischers frühe Karriere somit wirklich als die eines Draufgängers und Schlägers charakterisieren, für den Gewalt ein Mittel war, sich zu profilieren und auszuleben.

[...]


1 Zit. nach: „Von Konkret“ (Editorial), in: Konkret Nr. 3/2001, S. 4.

2 Hamburger Abendblatt, zit. nach: ebd.

3 Die Presse, zit. nach: ebd.

4 Vgl. Christian Schmidt: Wir sind die Wahnsinnigen. Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang, München/Düsseldorf 1999 [im folgenden „Schmidt (1)“], S. 59.

5 ebd., S. 60

6 Bei einer Protestkundgebung gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien wurde der Student Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 von einem Polizeibeamten erschossen. Vgl. Karl A. Otto: APO. Außerparlamentarische Opposition in Quellen und Dokumenten (1960–1970), Köln 1989, S. 230.

7 Schmidt (1), S. 61

8 ebd.

9 Vgl. Michael Schwelien: Joschka Fischer. Eine Karriere, Hamburg 2000 [im folgenden „Schwelien (1)“], S. 27 ff.

10 ebd., S. 28

11 Schmidt (1), S. 21

12 Vgl. Michael Schwelien: Gerechter Sünder, in: Die Zeit Nr.3 vom 11.01.2001 [im folgenden: Schwelien (2)], S. 4.

13 Joschka Fischer: Mein langer Lauf zu mir selbst, Köln 1999, S. 24

14 Vgl. Schwelien (1), S. 165

15 Wladimir Iljitsch Lenin hatte den Begriff „Spontaneist“ geprägt und damit ungeduldige Linksradikale bezeichnet, die sich nicht der Parteidoktrin unterwerfen wollten. Vgl. Schwelien (1), S. 20. Cohn-Bendits Ideologie war nach eigener Aussage die absolute Spontaneität, die zum zentralen Kampfbegriff des RK wurde. Man wurde zu „Spontis“. Vgl. Schmidt (1), S. 39.

16 Die inhaftierte RAF-Angehörige Ulrike Meinhof wurde am 9.Mai 1976 erhängt in ihrer Zelle aufgefunden.

17 Vgl. Schmidt (1), S. 93

18 Vgl. ebd.

19 ebd.

20 TAZ vom 11.01.2001, S. 2

21 Vgl. Schmidt (1), S. 89 ff.

22 Zit. nach: Jochen Bölsche: Die verlorene Ehre der APO, in: Der Spiegel Nr. 5/2001 vom 29.01.2001, S. 79.

23 Zit. nach: ebd., S. 82.

24 „Ja, ich war militant.“ Interview mit Joschka Fischer im Stern Nr. 2/2001 vom 04.01.2001

25 Jutta Ditfurth: Das waren die Grünen. Abschied von einer Hoffnung, München 2000 [im folgenden „Ditfurth (1)], S. 100

26 ebd.

27 Schmidt (1), S. 67

28 ebd., S. 66

29 ebd.

30 Schmidt (1), S. 79. Auch Schwelien zitiert diesen Satz, allerdings ohne das Adverb „gewaltsam“. Schwelien (1), S. 148

31 Zit. nach: Schwelien (1), S. 170.

32 Zit. nach: Schmidt (1), S. 94.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Vom Frankfurter ,,Sponti" zum Außenminister: Das Verhältnis des Politikers Joschka Fischer zu Macht und Gewalt
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Veranstaltung
Propädeutikum
Note
1
Autor
Jahr
2001
Seiten
19
Katalognummer
V107013
ISBN (eBook)
9783640052882
ISBN (Buch)
9783640504084
Dateigröße
413 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frankfurter, Sponti, Außenminister, Verhältnis, Politikers, Joschka, Fischer, Macht, Gewalt, Propädeutikum
Arbeit zitieren
Marie Kuster (Autor:in), 2001, Vom Frankfurter ,,Sponti" zum Außenminister: Das Verhältnis des Politikers Joschka Fischer zu Macht und Gewalt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107013

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