Jugendknastkultur


Hausarbeit, 2001

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1 Kultur der Moderne
2.2 Geschichtlicher Abriss
2.3 Einblick in den Jugendstrafvollzug der BRD
2.4 Betrachtete Teilaspekte aus der Jugendknastkultur
2.4.1 Lebensbedingungen
2.4.2 Politische Gesinnung
2.4.3 Knastsprache
2.4.4 Hierarchie
2.4.5 Freizeitbeschäftigungen
2.4.6 Kleidung
2.4.7 Religion
2.4.8 Sexualität

3. Fazit

4. Bibliographie

5. Anhang
- Fotos
- Theaterprospekt
- „3 x Zet - Zensierte Zeihainer Zeitung“

1 Einleitung

Im Rahmen der Lehrveranstaltung „Jugendszenen und Jugendkulturen“ war es die Aufgabe der Studenten, eine Untersuchung bezüglich einer selbstgewählten Jugendkultur durchzuführen und die Ergebnisse in dem Seminar darzustellen. Dabei entschieden wir uns für das Thema Jugendknastkultur. Die zentrale Frage unserer Untersuchung lautet: „Gibt es eine spezifische Jugendkultur in Jugendvollzugsanstalten?“ Dieser Frage sind wir theoretisch und speziell anhand von Interviews in der Jugendvollzugsanstalt Zeithain (im weiteren JVA Zeithain) nachgegangen. Betrachtet man den allgemeinen Kulturbegriff, so spricht man von der „Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Lebensäußerungen einer Gemeinschaft, eines Volkes“ (DUDEN, 1997, S.457). Da der Ausdruck ‚Kultur’ ein sehr weitgestreuter Begriff ist, haben wir uns insgesamt acht Unterpunkte (Sprache, Religion, Freizeitbeschäftigungen, Sexualität, Kleidung, Lebensbedingungen, politische Gesinnung, Hierarchie unter Häftlingen) herausgesucht, auf welche wir die Lebensäußerung in der JVA Zeithain untersuchten.

Zur Erarbeitung des ebengenannten Themas wählten wir die Methode des Leitfadengespräches mit neun Häftlingen im Alter von 18 und 22 Jahren der JVA Zeithain. Diese Interviews führten wir am 01.02.2002 durch. (drei zweierGruppen, eine dreier Gruppe). Am selben Tag besuchte die Junge Gemeinde Oschatz die Anstalt, wobei die Diskussionsrunde ein gelungener Abschluss und Zusammenfassung der tagsüber geführten Gespräche bildete. Am 14.02.2002 fuhren wir erneut nach Zeithain, um die Sichtweise des Anstaltsleiters Herr Schiebel, eines Vollzugsbeamten, Herr Stockert und des Gefängnisseelsorgers Herr Pieskers auf Kultur in der JVA zu erfragen. Vor den Interviews war es uns möglich, der Aufführung des Stückes „Das kalte Herz“ durch das Gefangenentheater beizuwohnen, was uns einen Einblick in die Kultur der JVA Zeithain verschaffte und so einen Einstieg in die Thematik bot.

2. Hauptteil

2.1 Kultur in der Moderne

Um eine möglichst gelungene Antwort auf die Frage der Untersuchung: „Gibt es eine spezifische Kultur in Jugendvollzugsanstalten?“ zu finden, erweisst es sich als notwendig, eine Betrachtung der Kultur unserer heutigen Gesellschaft vorzunehmen. Betrachtet man die heutige westliche Industriegesellschaft als Ganzes, so ist festzustellen, dass die Kultur als solche in gewisser Weise als übergeordneter Begriff für die Gesamtheit der Lebensäusserungen zu verstehen ist. In verschiedenen Modernisierungstheorien wird von einer Rationalisierung der Kultur gesprochen, was die Trennung der verschiedenen Bereiche der Lebensäusserungen bedeutet. Unterschieden wird diese nach der formalen und der theoretischen Rationalisierung sowie nach der Zweck- und Wertereationalisierung. Letztere bezieht sich auf die Ausrichtung des Handelns an den in der jeweiligen Handlungsphäre gültigen Ziele. Durch die Trennung der einzelnen Bereiche erfolgt die Differenzierung der gesellschaftlichen Struktur, welche die Vorraussetzung der Individualisierung ist. Das Individuum wird in der modernen westlichen Gesellchaft als Träger von Rechten und Pflichten anerkannt, bei deren Verletzung es die Folgen eigenverantwortlich zu tragen hat.

2.2 Geschichtlicher Abriss

Die Geschichte des Gefängnisses zeigt gleichzeitig die Kulturgeschichte der Menschen. Beginnend mit primitiver Gewaltäußerung bis hin zu psychologisch verfeinerter Menschenbehandlung zum Zweck des Sozialschutzes hat das Gefängnis eine lange Geschichte. Es lässt sich eine Entwicklung zu höherer ethischer Einstellung beobachten. Schon im alten Rom wurden Straffällige eingesperrt. Zwar gab es keine Gefängnisse in dem Sinne, wie wir sie heute kennen, jedoch durften Sklaven von ihren Herren zur Strafe eingesperrt werden. Mehr verbreitet als die Gefängnisstrafe war jedoch die Arbeitsstrafe. Auch im Mittelalter finden wir kein geregeltes Gefängnissystem. Verbrecher wurden in Verließe gesperrt, die sich meist unterirdisch befanden. Die Dauer der Strafe war äußerst willkürlich. Die Gefangenen von damals waren nicht nur der Willkür ihres Richters ausgesetzt, sondern auch der ihrer Gefängniswächter. Man erkannte jedoch bald, dass man Gefangene gut als Arbeitskräfte einsetzen kann und mit dieser Erkenntnis begann auch die Entwicklung des Gefängniswesens.

Bis 1600 wurden Verbrecher (bzw. die, von denen man dachte, es seien Verbrecher) schlecht behandelt ohne Rücksichtnahme auf die Menschlichkeit. (Folterungen, Leibesstrafen) Nach 1600 begann, wenn auch sehr langsam, die Gefängnisstrafe, die vor allem auf Resozialisierung und Besserung des Bestraften abzielte. Erst um 1800 kam der Gedanke der Anerkennung der Menschenwürde der Gefangenen auf. Trotzdem war man der Meinung, dass durch harte Behandlung am ehesten eine Besserung zu erzielen sei. Eine grundsätzliche Veränderung in der Behandlung von Gefangenen trat jedoch erst um 1900 auf. Ab diesem Zeitpunkt soll die Strafe eine “verständige Menschenbehandlung zum Zweck der sozialen Besserung und Eingliederung und notfalls zur Sicherung” (Mittermaier, 1954, S.14) sein. Die Sonderbehandlung von jugendlichen Straftätern wird auch erst in dieser Zeit realisiert. Erstmals taucht der Begriff des Erziehungsstrafvollzugs auf. Mit ihm verbunden ist die Forderung nach der Berücksichtigung der Persönlichkeit der Gefangenen. Natürlich ist dies nur schwer umzusetzen, da man neue Verantwortliche braucht, die andere Einstellungen haben und anders gebildet sind als die alten. Ausserdem müssen die neuen Methoden der Behandlung der Gefangenen erst erprobt und verfeinert werden. Zwischen 1933 und 1945 wird die im heutigen Sinn positiv verlaufende Entwicklung des Gefängniswesens, durch die Naziherrschaft unterbrochen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges sind viele Anstalten stark beschädigt und es fehlen die Mittel zur Erneuerung. Die Zuchthäuser wurden zwar abgeschafft, aber eine Demokratisierung in den Gefängnissen ging nur sehr langsam voran, was auch daran lag, dass Juristen aus der Nazizeit wieder in den Staatsdienst der neuen BRD aufgenommen wurden. Erst mit den Studentenbewegungen der späten 60er Jahre kamen die Reformgedanken vom Anfang des Jahrhunderts wieder auf. 1977 wurde das erste deutsche Strafvollzugsgesetz (StVollzG) erlassen, dennoch hat sich an den Bedingungen in Gefängnissen nicht viel geändert: die Kriminellen sind eingesperrt und der Alltag ist immerzu gleich. Die permanente Gegenwart der Staatsgewalt kennzeichnet diese Institutionen und dies steht im Widerspruch zu den Prinzipien vieler anderer Bereiche der Gesellschaft. (Motivation zur Arbeit bei weniger als 2,50 Euro? u.ä.)

2.3 Einblick in den Jugendstrafvollzug der BRD

Das somit historisch gewachsenene zentrale Anliegen des Jugendstrafvollzuges in der BRD ist die Resozialisierung des Gefangenen, um nach dessen Entlassung eine problemlose Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen. Dabei steht der Erziehungsgedanke dieser Anstalten schon im Jugendrecht und in der Jugendverurteilung im Vordergrund, wie zum Beispiel die Nähe des Wohnortes bezüglich der Inhaftierung zeigt. Mit Beachten dieses Beispiels soll der Kontakt zur Familie des Straffälligen gewährleistet werden. Des weiteren wird auf die etwaige Gleichaltrigkeit der Inhaftierten geachtet, was allgemein als Erziehungshilfe verstanden wird.

Nicht unbedeutend für die Erreichung der Resozialisierung des Häftlings sind dessen Ausbildungs- und Therapiemöglichkeiten in einer bestimmten Anstalt. Wird die Anstalt den Bedürfnissen des Einzelnen nicht gerecht, so besteht häufig die Möglichkeit einer Umgliederung in eine andere Anstalt.

Ein weit verbreitetes Phänomen unter Jugendlichen Gefangenen ist ein enormes Bildungsdefizit, welches die Grundlage der Notwendigkeit von umfangreichen Schul- und Berufsbildungsangeboten im deutschen Jugendstrafvollzug bildet. Die fehlende schulische Ausbildung der Häftlinge kann jedoch aus personellen, pädagogischen und didaktischen Gründen nur Gruppenweise kompensiert werden. Bedauerlicherweise ist das Fehlen von Fähigkeiten und besonders der Eigenmotivation der Inhaftierten zu verzeichnen. Spezielle Fördermöglichkeiten werden ehemaligen Besuchern von Sonderschulen geboten. Der geringste Teil der Inhaftierten kann eine angeschlossene Berufsausbildung nachweisen, so dass oftmals die Möglichkeit besteht, selbige während der Haftzeit zu erwerben. Dabei ist zu vermerken, dass aufgrund der, für den Jugendstrafvollzug typischen kurzen Dauer der Inhaftierung, Kurzzeitlehrgänge die zu demselben Abschluss führen von Nöten sind. Die extreme Verkürzung der Haftzeit wird hauptsächlich durch das Anrechnen der Untersuchungshaft auf die Strafzeit und durch Bewährung hervorgerufen. Dabei kommt es bei 25% der männlichen und 45% der weiblichen Insassen zu einer vorzeitigen Entlassung. Das Hauptziel der schulischen und beruflichen Angebote in Jugendstrafanstalten ist es also, den Inhaftierten die Möglichkeit zu bieten, gesellschaftlich anerkannte Qualifikationen zu erwerben.

Sind bei den Bildungsangeboten die Inhaftierten die Zielgruppe, so darf nicht vergessen werden, dass das Gesamtgleichgewicht einer totalen Institution, wie sie in Jugendvollzugsanstalten Anwendung findet, nur durch das Gegenüberstehen von mehreren Gruppen gesichert werden kann. Die Gruppe der Insassen steht der Gruppe der Vollzugsbeamten und sonstigen Angestellten der Jugendvollzugsanstalt gegenüber. Die stete Gefahr der Störung des Gesamtgleichgewichtes ist zu begründen durch den Charakter der Zwangsgemeinschaft von Vollzugsanstalten. Dabei ist die Erhaltung des Gesamtgleichgewichtes einer solchen Institution lebensnotwendig, um das Funktionieren in der Isolation von Aussen zu gewährleisten. Daraus schlussfolgernd erklärt sich das Bestreben der Anstaltsleitung dieses Gesamtgleichgewicht durch das Unterbinden sämtlicher Neuerungen in der Beziehung zwischen Inhaftierten und Beamten sowie Angestellten. Der historisch gewachsene Status quo bleibt somit erhalten.

2.4. Betrachtete Teilaspekte aus der Jugendknastkultur

2.4.1 Lebensbedingungen

Bezüglich der Lebensbedingung als unmittelbar Einflussnehmende Komponente auf die Kultur einer Gemeinschaft sind keine allgemeinen Aussagen für Jugendstrafvollzugsanstalten möglich. Begründet ist dies durch die logistisch spezifischen Bedingungen jeder Anstalt. Die Betrachtungen dieses Aspektes beziehen sich also ausschliesslich auf die JVA Zeithain. Derzeit sind in der JVA Zeithain 400 Jugendliche zwischen 14 und 24 Jahren inhaftiert, welche auf drei Häuser verteilt sind. Innerhalb dieser Häuser gibt es verschiedene Stationen, welche sich nach gelockert, geschlossen, Untersuchungshaft und der sozialtherapeutischen Station unterscheiden lassen. Letztere nimmt eine Sonderstellung ein, da auf ihr nur Sittlichkeitsverbrecher, Mörder und solche, welche schwere Körperverletzung begangen haben, untergebracht werden. Diesen Jugendlichen wird aufgrund ihres Verbrechens einen besonders hohen Bedarf an Resozialisierung zugeschrieben. Der Umfang der Stationen ist abhängig von ihrer Art, beläuft sich jedoch weitgehend auf etwa 30 Gefangene. Die Unterbringung des Einzelnen erfolgt meist in Einzelhaft, nur in den seltensten Fällen in Zweierzellen. Die Gefangenen teilen sich stationsweise einen Wasch- bzw. Duschraum sowie Gemeinschaftstoiletten. Auch in der Zelle selbst befindet sich eine Toilette, welche von dem übrigen Haftraum durch eine spanische Wand getrennt wird. Stellt diese Einrichtung in der Einzelhaft keine Probleme dar, so muss Erwähnung finden, dass dies bei einer Unterbringung in einer Zweierzelle zu einem wunden Punkt bezüglich der Privatsphäre wird. Die Nutzung einer Gemeinschaftsküche für jeweils zwei Stationen, also etwa 30 bis 40 Häftlingen, stellt die Alternative der Verpflegung durch die Gefängnisküche dar. Des weiteren steht den Bewohnern einer Station ein gemeinschaftlicher Aufenthaltsraum, in welchem die Gefangenen in ihrer Freizeit die Möglichkeit haben Fernsehen zu schauen, zu lesen, zu „quatschen“, Karten und Tischfussball zu spielen, zur Verfügung. Der Sportplatz im Hof der Institution wird von den Häftlingen als Gesamtheit genutzt.

In den Gesprächen mit den Jugendlichen wurde immer wieder deutlich, wie monoton der Alltag des Knastlebens ist. Jeden Morgen werden, mit Ausnahme an Wochenenden, 6 Uhr die Zellen aufgeschlossen, genannt Aufschluss. Die Jugendlichen, welche einer Arbeit nachgehen oder die Schule besuchen, gehen dann bis ca. 15 Uhr ihren jeweiligen Beschäftigungen nach und kehren danach auf ihre Stationen zurück. Die verbleibenden Häftlinge haben zwischen 8 und 11 Uhr die Möglichkeit bei offenen Zellen beliebigen Freizeitbeschäftigungen nachzugehen. 11 bis 13 Uhr wird das Mittagessen Stationsweise eingenommen, wobei die Teilnahme der Inhaftierten nicht obligatorisch ist. Viel häufiger wird von den Gefangenen gekocht. Paradoxerweise erfolgt der Verzehr der absoluten Mehrheit der Mahlzeiten alleine auf den Zellen. Dies ist durch mangelnde Alternativen und Anstaltsregelungen zu begründen. Der Tischkultur wird der Gefangene somit entwöhnt, was den Betrachter von aussen die berechtigte Frage nach der sinnvollen Umsetzung des Resozialisierungs- und Erziehungsauftrages der Jugendvollzugsanstalten stellen lässt. Von 13 bis 15 Uhr erfolgt der erneute Einschluss in die Zellen. Ab 15 Uhr kommen die Schulgänger und Arbeiter zurück auf die Stationen, 16 Uhr ist Hofgang, für alle fakultativ bis es 17 Uhr Abendbrot gibt. 19:45 Uhr ist erfolgt der letzte Einschluss des Tages. 22:30 Uhr werden die Lichter ausgemacht und der Strom abgeschaltet.

Die bisherige Darstellung der Lebensbedingungen in der JVA Zeithain bezieht sich ausschliesslich auf den formellen Teil des Anstaltslebens. Viel wichtiger und beschreibender jedoch erscheint die Hervorhebung der Zwangsgemeinschaft, mit welcher jede Jugendvollzugsanstalt umfassend charakterisiert werden kann. Die Jugendlichen sind im ‚Namen des Volkes’ verurteilt, miteinander zu leben. Dabei stellt das Aufeinandertreffen der Zwangsgemeinschaft, die hohe Konzentration von heranwachsenden Menschen mit den typischen Konflikten der Teenagerjahre in der Enge der totalen Institution und die Rolle des Einzelkämpfers, in welcher sich jeder Gefangene sieht, eine Spannung dar, welche der Jugendvollzug nicht aufzulösen vermag. So ist von häufigen Konflikten, die in unterschiedlichen Ausmassen und Art und Weisen von den Jugendlichen ausgetragen werden nicht abzusehen. Die Kunst dieser sich selbstreproduzierenden Gemeinschaft mit ihren starren Ordnungen und evidenten Spannungsfeldern besteht also darin, ihr eigenes Gesamtgleichgewicht zu wahren, um sich reproduzieren zu können.

2.4.2 Politische Gesinnung

Ausgehend von der Annahme, dass die politsche Gesinnug im Jugendgefängnis eine besondere Rolle spielt, bezogen wir diesen Gesichtspunkt in unsere Befragungen ein. Doch im Laufe der Untersuchungen merkten wir, dass dem nicht so ist. Weder in den zahlreichen Büchern, die sich mit dem Thema Jugendstrafvollzug beschäftigen, noch bei unseren Interviews konnten wir feststellen, dass eine bestimmte politische Gesinnung besonders dominiert oder ausschließlich existiert.

Aus den Gesprächen in Zeithain erfuhren wir, dass die Zahl der rechtsorientierten Jugendlichen in den letzten Jahren zurückgegangen ist und damit auch die Gewalt unter ihnen. Man kann zur Zeit nicht davon sprechen, dass der Jugendknast durch eine bestimmte Politikauffassung geprägt ist. Im Gegenteil. Die Ansichten sind sehr verschieden. Es gibt Punks, Rechte, Gruftis, Hip Hopper usw. Die Gefangenen berichteten sogar, dass es Häftlinge gibt, die während ihrer Haftzeit von einer Gruppe zur anderen wechseln. Das mag mit einer individuellen Entwicklung zusammenhängen oder aber auch mit den Mitgliedern der einzelnen Gruppen. Es muss aber betont werden, dass dieses Thema den Gefangenen nicht sehr wichtig war. Doch auch das werten wir als ein Ergebnis: während draußen die Vorstellung dominiert, dass es extrem viele Rechtsradikale in den Gefängnissen gibt, konnten wir, zumindest für Zeithain, lernen, dass es nicht so ist.

2.4.3 Knastsprache

Unter Knastsprache versteht man den Jargon, den Inhaftierte benutzen. In den Justizvollzugsanstalten bilden die Gefangenen eine von der Außenwelt weitgehend abgeschottete Sprachgemeinschaft. Dieser besondere Sprachgebrauch ist eine Erscheinungsform der Insassensubkultur in den Gefängnissen. Die Gefangenen pflegen einen Wortschatz, dessen Elemente aus Sprachgemeinschaften ausserhalb des Gefängnisses stammen. Die für den Knast typischen Ausdrücke leiten sich teilweise von der alten deutschen Gaunersprache, dem Rotwelsch, ab. Wichtig ist auch der Zufluss von Gruppen, die in der Gefängnispopulation in der Überzahl sind (wie jugendliche Randgruppen, Leute aus der Drogenszene). Doch auch Ausdrücke aus der allgemeinen Umgangssprache kann man im Knastjargon finden- allerdings mit einem partiell anderen Sinngehalt. Ausserdem wird die Kommunikation in deutschen Gefängnissen von einer Art "Vollzugsdeutsch" des Anstaltspersonals geprägt. (Laubenthal, 2001, Umschlagtext)

Beispiele für Begriffe aus der Knastsprache wären:

Bello - das WC in der Zelle

Brummi - selbstgebauter Tauchsieder zum Herstellen von Kaffeewasser

Bombe - großes Glas Pulverkaffee

Peikern- tätowieren

Piste - die Gefängnisstation Assis - Nudeln

Muschi - Gefangener, der in der Hierarchie sehr weit unten steht und Arbeiten für andere Gefangene erledigen muss

Sitte/Sittich - Sexualstraftat/täter (vgl. Ninow, 1998, S.14ff.)

Bei unseren Interviews mit den Gefangenen der JVA Zeithain mussten Gefangene über die Frage nach Beispielen aus ihrer Knastsprache eine Weile nachdenken, denn sie haben diesen Jargon schon sehr verinnerlicht, dass sie ihn gar nicht mehr von der Sprache ausserhalb des Gefängnisses unterscheiden können.

Auch den Vollzugsbeamten befragten wir zum Thema Knastsprache. Er kennt natürlich die gebräuchlichsten Begriffen und sagte sogar, dass er sich zum Teil sehr bemühen muss, bestimmte Ausdrücke nicht auch "draussen" zu verwenden, da vieles sehr vulgär ist. Da eine bestimmte Sprache und die Wortwahl immer auch eine Kultur prägen, ist die Knastsprache, die sich in jedem deutschen Gefängnis findet, ein Zeichen mehr, für eine vorhandene Subkultur. Denn schon allein die Tatsache, dass manche Begriffe und Ausdrücke nur verstanden werden können, wenn man selbst Mitglied dieser Subkultur ist, spricht dafür.

2.4.4 Hierarchie

Hatten die Gefangenen früher fast nur mit den Vollzugsbeamten Schwierigkeiten, so liegen die Probleme heute verstärkt bei den Gefangenen untereinander. Dass es Hierarchien in Gefängnissen gibt, ist allgemein bekannt, doch eigentlich weiß man nur, dass Sexualstraftäter in der Rangordnung sehr weit unten stehen und „nichts zu lachen“ haben. Schon 1994 wurde durch Holger Schindler in der JVA Zeithain eine Untersuchung durchgeführt, in der sich der Autor unter anderem auch mit dem Thema Hierarchie auseinandersetzt. Seine Ergebnisse diesbezüglich entsprechen im Wesentlichen dem, was uns die Gefangenen zu diesem Thema sagten: es gibt ganz klar eine Hierarchie. Die Position eines Gefangenen ist abhängig von seinen Kontakten, vom Geld und vom verbalen und körperlichen Durchsetzungsvermögen. Das Delikt spielt dabei keine besondere Rolle- außer bei Sexualstraftätern. Der Vollzugsbeamte bestätigte uns gegenüber, was auch die Gefangenen äußerten: viele der Inhaftierten kennen sich von draußen und bringen die Hierarchie der Straße mit. Außerdem gilt: je mehr Leute man kennt, desto höher ist die Rangordnung. Hat man einmal eine bestimmte Position eingenommen, ist es sehr schwer, sich aus dieser Position hochzuarbeiten. Dies ist meist nur während einer sehr langen Haftzeit möglich. Die Gefangenen, die das Sagen haben, schikanieren ihre Untergebenen mit Dingen wie körperlicher Gewalt, sie zwingen sie, ihnen teure Dinge abzugeben (wie Kaffee oder Tabak) oder die Schikanierten müssen die Zellen der anderen putzen und ähnliches. Nichtbeteiligte Häftlinge schreiten in solchen Situationen nicht ein, da jeder nach dem Prinzip „Wenn du mich in Ruhe lässt, lasse ich dich auch in Ruhe!“ lebt. Der Seelsorger bestätigte uns das Vorhandensein von Hierarchien und sprach sogar davon, dass einige Häftlinge ihre persönlichen Sklaven haben. Hier können die Bediensteten der JVA allerdings nicht einschreiten, da solche Vorgänge nicht öffentlich geschehen.

Interessant zu erwähnen wäre auch, dass die drei von uns befragten Jugendlichen der sozialtherapeutischen Station (Mörder, Sexualstraftäter, schwere Körperverletzung usw.) eine Hierarchie verneinten. Erst im weiteren Verlauf des Gesprächs wurde uns klar warum: Die Station ist eine Sonderstation mit nur 15 Häftlingen (auf anderen Stationen sind 30 bis 40 Häftlinge), die mit den anderen Jugendlichen kaum in Kontakt treten. Dort herrscht fast ein familiäres Klima, auch deswegen, weil der Tagesablauf durch viele Therapien geprägt ist, was bei den anderen nicht der Fall ist. Insbesondere sind dabei die Gruppentherapien gemeint.

Man könnte glauben, dass zwischen „starken“ und „schwachen“ Gefangenen Freundschaften bestehen, dies ist allerdings nicht der Fall. Es gibt im Knast keine Freundschaft. Das Verhältnis der Inhaftierten ist durch gegenseitiges Misstrauen geprägt und es wurde uns oft gesagt, dass man niemandem hundertprozentig vertrauen kann.

Allerdings muss betont werden, dass es auch Häftlinge gibt, die ihre Position in der Rangordnung als neutral beschreiben. Das heißt, es gibt niemanden, den sie schikanieren und sie werden auch von niemandem unterdrückt.

2.4.5 Freizeitbeschäftigungen

Viele jugendliche Gefangene wurden unter anderem straffällig, weil sie mit der Gestaltung ihrer freien Zeit nicht verantwortlich umgehen konnten. Ein weiterer Grund für Straffälligkeit ist das Aufwachsen der Jugendlichen in Heimen und/oder in sozial schwachen Familien. Sieben der neun befragten Häftlinge verlebten eine solche Kindheit.

Ziel der Freizeitangebote in den Jugendstrafanstalten ist es daher, Verantwortung und Eigeninitiative zur sinnvollen Gestaltung der freien Zeit in den Jugendlichen zu wecken. Durch den Gruppencharakter der Freizeitmöglichkeiten soll als positiver Nebeneffekt eine Heranführung und Vermittlung von sozial erwünschtem Verhalten erreicht werden. Die Straftäter sollen lernen sich anzupassen, anzugleichen und gleichzeitig die in unserer Gesellschaft notwendige Fähigkeit der Kompromissbereitschaft üben. Unter dem Gesichtspunkt des sozialen Übungsfeldes erfuhr im Laufe der Jahre das Freizeitangebot in den Anstalten eine Intensivierung, wobei besonders auf die Erweiterung und Neuschaffung von Gruppenfreizeitangeboten Wert gelegt wurde. Ausserdem ist zu beobachten, dass ein erhöhtes Angebot an Beschäftigungsmöglichkeiten allgemein zur Verbesserung der Atmosphäre in der Anstalt führt, sowie der Abbau von Aggressionen unter den Gefangenen beschleunigt wird. Besondere Bedeutung kommt hierbei der Beteiligung von anstaltsfremden Organisationen zu. Die Inhaftierten erhalten somit die Möglichkeit in die „Aussen“ Welt integriert zu werden, was dem Erziehungsgedanken und Resozialisationsauftrag von Jugendvollzugsanstalten Rechnung trägt. Eine weitere wichtige Komponente von Freizeitangeboten ist die Einbeziehung der Inhaftierten in die Schaffung und Gestaltung derselben. Die Resultate dieser Bemühungen werden im allgemeinen von einem breit gefächerten Publikum besucht und finden somit Bestätigung.

Ein hoher Stellenwert in den Betätigungsmöglichkeiten nimmt Sport ein. An diesem Beispiel wird die Nähe der Theorie zur Praxis besonders deutlich. Es wird versucht, durch die Benutzung von Sportanlagen ausserhalb der Haftanstalt die Isolation der Jugendlichen zu durchbrechen und gleichzeitig die Andersartigkeit der Gefangenen, im Verleich zu „draussen“ lebenden Jugendlichen, in den Hintergrund zu stellen. Der Sport an sich fördert somit die Vorbereitung des Insassen auf das Leben in Freiheit.

Eine vollkommen andere Möglichkeit der Kommunikation mit der „Aussen“-Welt ist den Gefangenen durch Literatur gegeben. Das Recht der Gefangenen, verankert im §68 des Strafvollzugsgesetzes, Informationen von aussen zu erhalten und, nicht weniger wichtig, Informationen nach aussen zu geben, spiegelt sich wieder in dem Lesen von Zeitungen und Zeitschriften. Informationen von Gefangenen an die restliche Gesellschaft erfolgt durch Zeitungen, deren Autoren ausschliesslich Gefangene sind ( zum Beispiel die Zeitungen „Knackpunkt“ in JVA Castrop-Rauxel, „Gitterstäbe“ in JVA Heinsberg, „Kuckucksei“ in JVA Schwerte).

Des weiteren sind Büchereien eine bedeutsame Freizeitbeschäftigung. Auch diese unterliegen in der Auswahl der Literatur dem Gedanken des Erziehungs- und Resozialisierungsauftrages. Rundfunk und Fernsehen nehmen im Vergleich zu den anderen dargestellten Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund von rechtlichen Bestimmungen einen geringfügigen Stellenwert ein.

In Bezug auf unsere Untersuchung in der JVA Zeithain bestätigen sich diese theoretischen Aussagen. Nach Aussagen der Insassen spielen sie gerne Fussball, so dass eine häufige Nutzung des Sportplatzes im Hof der JVA zu beobachten ist. Tischfussball und Tischtennis sind gefragte Abwechslungen, welche jedoch die Nachfrage nach Kraftsport nicht übertreffen können.

In der JVA Zeithain sind besonders Tageszeitungen begehrte Gegenstände, um welche es aufgrund ihrer Knappheit zu morgendlichen „Sprints auf der Piste“ kommt. Auch die hauseigene Bücherei findet grossen Anklang bei den Gefangenen. Besonders erwähnenswert ist Gefangenenzeitschrift „3 x Zet - Zensierte Zeithainer Zeitung“ in der den Insassen die Möglichkeit geboten wird, ihre literarisch-künstlerischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Sie bietet ausserdem die Chance, sich anderen mitzuteilen (siehe Anhang: „3 x Zet“, 2.Ausgabe 2001).

Durch den Besuch des Theaterstückes „Das Kalte Herz“ war es uns möglich, ein Stück Kultur der JVA Zeithain mitzuerleben. Ausführende waren aussschliesslich Inhaftierte unter der Leitung des Kusttherapeuten Herrn Haberkorn, welcher ein aktives Mitglied im Verein Kunst im Gefängnis e.V. ist. Die Aufführung beinhaltete, neben der an das Märchen angelehnten Geschichte, das Einbringen des Knastalltags durch die Schauspieler auf gekonnt humoristische Art und Weise. (siehe Anhang: Programm des Gefangenentheaters der JVA Zeithain).

2.4.6 Kleidung

Die individuelle Lebensäusserung findet unter anderem auch in dem persönlichen Kleidungsstil einer Person Anwendung. Dies wird in Vollzugsanstalten durch § 20 des Strafvollzugsrecht jedoch unterbunden, nach welchem die Anstalt verpflichtet ist, den Gefangenen Kleidung zur Verfügung zu stellen. Das wird aus Gründen der Sicherheit und Ordnung für erforderlich betrachtet. Einher mit der Besorgnis um Sicherheit und Ordnung wird auf diesem Wege auch eine äusserliche Uniformierung der Gefangenen vorgenommen. Der Einzelne verschwindet somit in der Masse von Straftätern. Eine Ausnahme, d.h. die Erlaubnis zum Tragen persönlicher Kleidung, bildet der Ausgang der Häftlinge, soweit keine absehbare Fluchtmöglichkeit besteht. Besteht diese, sind die Häftlinge verpflichtet während des Ausgangs die Kleidung der Anstalt zu tragen. Des weiteren ist es Straftätern nur gestattet persönliche Kleidung zu tragen, wenn für deren Reinigung, Instandsetzung und regelmässigen Wechsel selbst Sorge getragen werden kann.

Diese Regelung wurde uns in den Gesprächen in Zeithain nur teilweise bestätigt, denn laut Aussagen der Häftlinge ist es besonders im gelockerten Vollzug erlaubt, eigene Kleidung zu tragen. Des weiteren wurde darauf hingewiesen, dass bestimmte Marken, wie zum Beispiel „Londsdale“, von dieser Lockerung, aufgrund der damit assoziierten politischen Gesinnung, ausgenommen sind. Die Häftlingskleidung in der JVA Zeithain besteht aus einer dunkelblauen Jeans, einheitlichen T-Shirts und einem dunkelblauen Sweatshirt.

2.4.7 Religion

Untersuchungen, welche sich in erster Linie auf englische und amerikanische Gefängnisse beziehen, stiessen wiederholt auf eine ablehnende Haltung der Inhaftierten gegenüber der Kirche. Steffen Harbordt geht in seiner Untersuchung sogar soweit, die Insassenkultur als kirchenfeindlich zu bezeichnen (vgl. Harbordt, 1967, S. 36). Auch der Gefängnisseelsorger nimmt in den Augen der Inhaftierten eine geringe Rolle im Apparat der Vollzugsanstalt ein. Aus Sicht der Gefangenen vertritt er die Rolle eines Zuhörers und eines Sozialfürsogers, welcher der Schweigepflicht unterliegt.

Dem gegenüber steht die religiöse Betätigung der Straftäter in Form einer U - Kurve. Am Anfang und am Ende der Haftzeit ist also eine erhöhte Religiösität zu verzeichnen. Erstere ist bedingt durch den Schock der Inhaftierung und der erhöhten Konfrontation mit der Frage der Schuld. Im Verlauf der Haftzeit sinkt die Religiösität, was auf die Abstumpfung und die Anpassung an die bereits vorhandene Einstellung bezüglich Religion unter den Mitgefangenen zurückzuführen ist. Die erhöhte Religiösität am Ende der Inhaftierung wird weitgehend mit der Ungewissheit in Verbindung gebracht, welche für den Großteil der Gefangenen in enger Beziehung zu der näherrückenden Entlassung steht.

Auffällig ist die Gleichmäßigkeit mit der die Inhaftierten die Sonntagsgottesdienste besuchen, um für eine kurze Zeitspanne dem tristen und monotonen Gefängnisalltag zu entkommen. Wurde bisher von Religiösität im Allgemeinen gesprochen, so ist im Speziellen eine ablehnende Haltung der Straftäter gegenüber dem Christentum zu verzeichnen, welche die moralische Grundlage der westlichen Gesellschaft bildet. Harbordt erklärt diese Haltung mit folgenden Worten: „Zudem passt die christliche Lehre von Reue, Buße und Vergebung nur zu gut zur Gefängnis- bzw. Strafphilosophie, um von den Insassen anerkannt zu werden.“ (Harbordt, 1967, S.37).

Vergleicht man die Ergebnisse dieser Untersuchungen mit den von uns in der JVA Zeithain durchgeführten Interviews, so stellt sich die Frage, warum Theorie und Praxis in diesem 14 Aspekt soweit auseinandertriften. Eine direkt ablehnende Haltung der Befragten war nicht zu verzeichnen, gewisse Gleichgültigkeit und Desinteresse gegenüber Religiosität und dem christlichen Glauben jedoch nicht von der Hand zu weisen. Dies bestätigen auch Mitglieder der Jungen Gemeinde Oschatz welche, der Einladung des Gefängnispfarrers Thomas Pieskers folgend, sich seit 1998 vierteljährlich im Gespräch mit den Gefangenen befindet. Herr Piesker ist seit 1994 als Gefängnisseelsorger tätig. Im Rahmen seiner Arbeit gründete er eine Gruppe für Inhaftierte, welche sich mit den Grundsätzen des Christentums in häufigen Diskussionen kritisch auseinandersetzen. Dabei werden die Prinzipien als eine Möglichkeit der Neugestaltung des eigenen Lebens dargeboten, jedoch nie als ein Diktat vermittelt.

Eine gelungene, möglichst objektive und verallgemeinerbare Einschätzung der speziellen Einstellung der Gefangenen bezüglich Religion ist im Rahmen der eigenen Untersuchung allerdings nicht möglich, da alle interviewten Mitglieder der eben beschriebenen Gruppe von Inhaftierten sind.

2.4.8 Sexualität

Ein besonders, für Menschen, welche in Freiheit leben, nicht nachvollziehbares Problem, stellt die sexuelle Deprivation in Strafanstalten dar. Durch den weitgehenden Entzug der Möglichkeit, diesem grundlegenden Bedürfnis der Menschheit nachzukommen, ist eine weitverbreitete Homosexualität in Gefängnissen zu beobachten. Dieses Phänomen allerdings ist nur in Verbindung mit dem Problem des Verlustes von heterosexuellen Beziehungen zu sehen, ist also als eine Folgeerscheinung zu werten. Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Äusserungsformen homosexuellen Verhaltens ist dabei als das eigentliche Problem zu betrachten. So steht der ‚echten’ Homosexualität die ‚erzwungene’ gegenüber. Vertreter der ‚echten’ Homosexualität sehen den Partner nicht als Substitut einer Frau an, während die ‚erzwungene’ Homosexualität den Partner erkauft, als Ersatz einer Frau betrachtet und somit von männlicher Prostitution gesprochen werden kann.

Die Rollenverteilung innerhalb der Vollzugsanstalten bezüglich homosexuellen Verhaltens sind starr und für den Einzelnen unmöglich zu umgehen. Dabei werden im wesentlichen drei verschiedene Rollen unterschieden.

Der ‚wolf’ ist derjenige, welche die maskuline Rolle unter Zwang spielt. Sein Streben ist es, eine ‚Frau’ zu besitzen, welches als Machtsymbol gilt und welche gleichzeitig als Handelsobjekt benutzt wird. Um diesen Besitz zu erlangen, bedient er sich der Brutalität und der Aggressivität, so dass es unumgänglich scheint, von Notzucht, Vergewaltigung zu sprechen. In der Sprache der Gefangenen wird dies als ‚die Geburt einer Frau’ bezeichnet.

An den Opfern der ‚Wölfe’ wird deutlich, welche seelischen Schäden, welch menschliche Erniedrigung langzeitige Inhaftierung mit sich bringen kann. Den Opfern, welche die Rolle der ‚punks’ einnehmen wird, besonders von den nicht beteiligten Mithäftlingen, eine innere Weichheit zugeschrieben. Bezüglich des homosexuellen Aktes ist die von den ‚punks’ eingenommene weibliche Rolle nur gespielt. Anfangs verstehen sie diese als eine Art Freundschaftsgeschenk, doch im Laufe der Inhaftierung wird dieselbe immer mehr als Geschäft verstanden. Die ‚punks’ sind also die eigentlichen Betreiber männlicher Prostitution in Vollzugsanstalten. Interessanter Weise zeigen Untersuchungen, dass diese Männer von den Mitgefangenen am meisten verachtet werden, geben sie doch ihre Männlichkeit aufgrund von finanziellen und materiellen Vorteilen auf.

Die ‚fags’ hingegen sind die Straftäter, welche schon vor der Inhaftierung ihre sexuelle Befriedigung in homosexuellen Beziehungen gesucht haben. Unter dem Leitsatz „Punks are made, fags are born.“ (Harbordt, 1967, S.70) passen sie ihren Gang, Redensart, Sprache und Äusseres an die Ausprägungen dieser Merkmale bei Frauen an. Aufgrund dieses weiblichen Verhaltens stellen die ‚fags’ eine erhebliche Gefährdung der Ordnung innerhalb der Anstalt dar.

Trotz einer ausführlichen Beschreibung der verschiedenen Rollen innerhalb des sexuellen Lebens einer Anstalt ergibt sich daraus nur ein lückenhaftes Bild. Ergänzt und vervollständigt wir dieses durch Masturbation, gegenseitige Masturbation als soziale Beziehung, das Gespräch über Sex als Substitut des Aktes und der sogenannten Energieumwandlung. Der Frage der sexuellen Anpassung des Gefangenen ist besonders Clemmer nachgegangen und gelangte nach seinen Betrachtungen zu der Auffassung, dass sich diese in die normale, quasi-abnorme und abnorme Stufen einteilen lässt.

Trotz alle dem bleibt offen, wie die Rollenfindung bzw. Rollenfügung zu ‚wolfs’, ‚punks’ und ‚fags’ geschieht. Des weiteren bleibt die Frage, welche psychischen und sozialen Konsequenzen aufgrund der eingenommenen Rolle im sexuellen Leben einer Anstalt für das spätere Leben in Freiheit auftreten, weitgehend ungeklärt. Auch Untersuchungen bezüglich der Haftdauer und der Persönlichkeit und deren Einfluss auf die Rolle des Einzelnen kommen zu keinem allgemein anwendbaren Ergebnis. Fest steht jedoch, dass die Konsequenzen der Masturbation und der Homosexualität in der „zwingenden Desorganisation der Persönlichkeit“ (Harbordt, 1967, S.72) evident werden.

In der JVA Zeithain wurden uns die Fragen bezüglich Sexualität in der Anstalt nur zögerlich, teilweise auch abweisend beantwortet. Bestätigt wurde jedoch, dass es auch in dieser Anstalt Homosexualität vorhanden ist. Den Aussagen der Gefangenen nach zu urteilen allerdings nur in Form der Rolle der eben beschriebenen ‚fags’. Auch hier wurden starke Einschränkungen getroffen, nur in den seltensten Fällen wird von diesen Inhaftierten bewusst eine Beziehung gesucht. Die als typisch beschriebenen Rollenbilder treten somit in der JVA Zeithain gar nicht, oder in äusserst schwacher Ausprägung auf.

Wie erklärt sich die offensichtliche Differenz zwischen den Untersuchungen Harbordts und der eigenen? Zum einen ist sie bedingt durch die, im Vergleich mit dem Erwachsenenvollzug, extrem kurze Haftdauer, so dass die Kontinuität der Belegschaft fehlt, um eine starre und nicht zu durchbrechende diesbezügliche Ordnung zu schaffen und am Leben zu erhalten. Des weiteren muss beachtet werden, dass es sich bei den Jugendlichen um noch nicht sexuell ausgereifte Menschen handelt, währenddessen dies bei erwachsenen Inhaftierten der Fall ist. Trotz allem ist eine sexuelle Deprivation nicht von der Hand zu weisen, welche in der JVA Zeithain vor allem mit dem Gespräch über Sex, Pornographie und Masturbation kompensiert wird.

3. Fazit

Nach Beendigung der Untersuchung kommen wir zu dem Schluss, dass eine Subkultur in Jugendstrafanstalten existiert. Diese umfasst die Gesamtheit der Lebensäusserungen innerhalb der Instituion, d.h. sämtliche in ihr „geltende Regeln, Sitten, Vorstellungen, Ansichten und Gewohnheiten.“ (vgl. Koch, 1977, S. 102)

Vergleicht man die Subkultur in Gefängnissen, so tritt der künstliche Charakter derselben zu Tage. Bei näherer Betrachtung ist allerdings nicht von der Hand zu weisen, dass in gewisser Weise die Subkultur der totalen Institution ein komprimiertes Abbild der Kultur einer westlichen Insdustriegesellschaft darstellt.

Auch in der JVA Zeithain ist eine Subkultur zu verzeichnen, welche sich allerdings nicht mit anderen Jugendstrafvollzugsanstalten vergleichen lässt. Dies ist mit der in jeder Anstalt spezifischen herrschenden Atmosphäre zu begründen.

Das Durchdenken der Problematik „Jugendvollzugsanstalten“ führt zu der Frage, inwieweit der Resozialisierung- und Erziehungsauftrag tatsächlich Umsetzung findet. Nicht nur Aussenstehende Betrachter sondern auch Angestellte der Anstalt wagen dies zu bezweifeln. Des weiteren ist zu vermerken, dass aufgrund der zeitlich und räumlichen Begrenztheit der eigenen Untersuchung keine umfassende Darstellung der Thematik „Jugendkultur in Jugendvollzugsanstalten“ möglich ist. Hinzu kommt, dass diese durch eine extreme Komplexität gekennzeichnet ist, es uns demzufolge bloß möglich war, im Rahmen des Seminars „Jugendszenen und Jugendkultur“ einen kleinen Einblick zu geben. Auch wenn die Untersuchung nicht repräsentativ ist, ermöglichte sie uns einen weitläufigen Einblick in die Jugendkultur, speziell im Jugendstrafvollzug, und wurde somit auch zu einer persönlichen Bereicherung.

4. Bibliographie

Duden. (1997): Das Fremdwörterbuch. Band 5, 6. Auflage. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich. Duden Verlag.

Harbodt, Steffen (1967): Die Subkultur des Gefängnisses. Eine soziologische Studie zur Resozialisierung. Stuttgart. Ferdinand Enke Verlag.

Justizminister des Landes Nordrhein - Westfalen: Strafvollzug in Nordrhein - Westfalen.

Koch, Paul: Gefangenenarbeit und Resozialisierung. Stuttgart.Ferdinand Enke Verlag.

Laubenthal, Klaus (2001): Lexikon der Knastsprache: Von Affenkotelett bis Zweidrittelgeier. Berlin. Schwarzkopf und Schwarzkopfverlag.

Laubenthal, Klaus (1995): Strafvollzug. Berlin, Heidelberg, New York, Tokio. Springer Verlag.

Mittermaier, Wolfgang (1954): Gefängniskunde. Berlin, Frankfurt am Main. Verlag Franz Vahlen GmbH.

Ninow, Wolfgang (1998): Von Aufschluß bis Einschluß: Erlebnisse in einem Jugendgefängnis. Münster. Principal Verlag.

Schindler, Holger (1998): Jugendstrafvollzug in Sachsen. Aachen. Shaker Verlag.

Van der Loo, Hans & Van Reijen, Willen (1992): Moderisierung. Projekt und Paradox. München.

Waldmann, Peter (1968): Zielkonflikte in einer Strafanstalt. Stuttgart. Ferdinand Enke Verlag.

Winter, Manfred: Vollzug der Zivilhaft: Eine erläuternde Darstellung der gesetzlichen Regelung. Heidelberg. Kriminalistik Verlag.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Jugendknastkultur
Hochschule
Universität Leipzig
Veranstaltung
Jugendszenen und Jugendkultur
Note
1,7
Autor
Jahr
2001
Seiten
19
Katalognummer
V107089
ISBN (eBook)
9783640053643
Dateigröße
424 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jugendknastkultur, Jugendszenen, Jugendkultur
Arbeit zitieren
Susanne Riedel (Autor:in), 2001, Jugendknastkultur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107089

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