Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ein gesamteuropäischer Überblick der Jahre 1848/49
2.1. Was bedeutet der Begriff Revolution?
2.2. Ursachen der osteuropäischen Aufstände von 1848
2.3. Die Rolle Russlands 1848
2.4. Ursache und Abfolge der ungarischen Revolution
2.5. Die Intervention Russlands
3. Der Begriff ,,Kult"
3.1. Der Kulturbegriff im Ungarischen
3.2. Der ungarische Dichter Petőfi
3.3. Besondere Merkmale des ungarischen Aufstandes 1848
3.4. Die Bedeutung der ungarischen Sprache für die Nationalbewegung
3.5. Der ungarische Nationalfeiertag
4. Schlussfolgerungen
5. Literatur
6. Anhang 31
,,Das Jahr 1848 war ein Schaltjahr, nicht nur im Kalender"
aus: Urban, Otto S.29
1. Einleitung
Meine Hausarbeit beschäftigt sich mit der 1848/49er Revolution in Ostmitteleuropa und dem damit verbundenem Geschichtskult, sinngemäß ist sie in zwei Sektoren unterteilt.
Die 48/49er Revolution gehört augenscheinlich zu den besterforschtesten und massenhaft literarisch dargestellten Ereignissen der europäischen Geschichte. Das ist auch keineswegs erstaunlich, handelt es sich doch bei diesem Ereignis um eine geschichtliche Begebenheit, von der erstmals seit den Napoleonischen Kriegen fast ganz Europa erfasst worden ist, so dass die europäische Gesinnung dieser Revolution immer wieder als ihr markantestes Merkmal in der Literatur hervorgehoben wird. Die Revolution von 1848 wird vereinzelt auch als Nachfolgerevolution der großen Vorläuferin von 1789 hervorgehoben, obgleich die 48er Revolution ausreichend autonome Züge aufweist, und durch viele Aspekte einen bemerkenswerten Einschnitt in der Geschichte Europas darstellt; sie war demzufolge nicht nur ein bloßes Nachbeben. Die 1848/49er Revolution hatte eine enorme Konzentration an Zielvorstellungen und eine große Anzahl an Aktionsfeldern hervorgebracht, sie war von Anfang an in polyzentrischer Aufgliederung aufgetreten, und konnte von Beginn an verschiedene soziale Schichten für sich gewinnen. Sie ist auch zu keinem Zeitpunkt in den Ländern Europas, in nationaler Begrenzung steckengeblieben. Große Teile des europäischen Kontinents wurden 1848 durch revolutionäre Ereignisse erschüttert. Das Fundament dieser europäischen Revolution resultierte aus der Spannung, zwischen dem rückständigen und starren politischen System der Heiligen Allianz und der sozioökonomischen Entwicklung der Industriellen Revolution. Die Ziele der Bewegungen von Frankreich bis zum Balkan, von Süditalien bis Polen waren vielschichtig und teilweise widersprüchlich, sie reichten von der Beseitigung feudaler Abhängigkeiten über die Herstellung bürgerlich, liberaler politischer Verhältnisse, bis hin zu nationalen Projekten und zu ersten Emanzipationsschritten der Arbeiterschaft. Dementsprechend uneinheitlich waren auch die Trägerschichten der Revolutionen, sie reichten von Besitzbürgern, Intellektuellen (darunter vor allem Studenten), bis hin zu Handwerkern, Arbeitern und Bauern. Erfolgreich war die Revolution von 1848 nur bei der Abschaffung der Grunduntertänigkeit der bäuerlichen Bevölkerung. Außer in Frankreich scheiterte sie als ,,bürgerliche Revolution", die Bestrebungen zur Gründung neuer Nationalstaaten oder nach nationaler Autonomie kamen nicht zum Zug und überall fielen die Forderungen der Unterschichten, die den alten Eliten und dem Besitzbürgertum gemeinsamen Furcht einflößten einer ,,sozialen Revolution" zum Opfer. Dennoch wurden 1848 auch die Weichen für die Entwicklung in diesem Bereich gestellt. Die Revolutionskerne Europas haben vom Februar zum März des Jahres 1848 bis in den Sommer des darauffolgenden Jahres in ständiger Kommunikation untereinander gestanden. Bei Begutachtung der diesbezüglichen Forschungsliteratur wird man sehr schnell feststellen, dass das Hauptinteresse bisher im erheblichen auf die west- und zentraleuropäischen Revolutionszentren konzentriert ist, obgleich erwiesen ist, dass erst beginnend mit dem rasanten Ausgreifen der Revolution auf die Völker und Länder Ostmitteleuropas, dem 48/49er Aufstand eine gesamteuropäische Form gegeben wurde. Des weitern ist Ostmitteleuropa für diese Revolution von größter Bedeutung, da der endgültige Schlusspunkt für den gesamten Kontinent durch den russischen Einmarsch in Ungarn gesetzt worden ist. Ostmitteleuropa, dass ist der weitläufige Raum zwischen dem Osmanischen Reich an der Südostflanke und dem Gebiet entlang des deutschen und russischen Sprachgrenze. Dieser geographische Raum war für die Revolution im Jahre 1848/49 keineswegs von sekundärer Bedeutung, sondern maßgeblich an ihrem Verlauf, Erfolg und dem Scheitern des Aufstandes beteiligt. Anders als in den Ländern Frankreich, Italien, Preußen und den süddeutschen Gebieten waren in Ostmitteleuropa die überkommenen Formationen und Beharrungskräfte des Ancien régime samt ihrer überdauernden Trägerschichten um ein Vielfaches stärker, die Bauernfrage dringlicher und der Mittelstand durchgängig schwächer herausgebildet. In Ostmitteleuropa spielten statt dessen die konkurrierenden Nationalitätenbewegungen eine beachtliche Rolle, so dass hier insgesamt die zentralen Forderungen dieser Umbruchszeit die politische Teilhabe, die verfassungsmäßige Legitimation der Regierungen, die soziale Gleichberechtigung und die nationale Emanzipation waren. Der ostmitteleuropäische Raum, der durch seine unterschiedlichen Traditionen, Rechtstiteln und sozialökonomischen Gegebenheiten, mit seiner schwierigen konfessionellen und ethnischen Lage kennzeichnend war, ließ diese Gegend zu einer außerordentlich uneinheitlichen Aufstandslandschaft werden und synchron zu einem Paradebeispiel für die wiederum in ganz Europa wirksam werdende Ungleichartigkeit der mannigfaltigsten Zielstrebungen.
Ähnlich, verhielt sich auch dem sich bildende ,,Geschichtskult" um die 48er Revolution in den einzelnen Ländern, ihm ist der zweite Teil meiner Arbeit gewidmet. Gedenktage und nationale Feiertage bilden einen wichtigen Bestandteil des ,,kulturellen Gedächtnisses"1einer Gesellschaft. Die Inhalte Organisationsformen, Medien und Institutionen des kulturellen Gedächtnisses können von Kultur zu Kultur, von Epoche zu Epoche variieren. Doch stets ist deren Sinn, eine emotionale Identifikation der Gesellschaftsmitglieder zu erlangen. Durch Gedenktage, die entweder jährlich oder aber in Form von Jubiläen gefeiert werden, versucht man auch eine solch einheitsstiftende Funktion zu gewinnen. Wiederkehrende Jahrestage und Jubiläen thematisieren dabei die Schlüsselereignisse der Vergangenheit, durch welche die Ursprünge der gesellschaftlichen Ordnung erst ins Gedächtnis gerufen werden. Ihre historischen Werte, haben das Ziel sich auf die Gegenwart auszurichten sowie das kollektive Selbstwertgefühl der Adressaten positiv zu bestimmen. Der 15. März, einer der bedeutensten nationalen Gedenktage Ungarns wird zum Schluss meiner Arbeit thematisiert.
2. Ein gesamteuropäischer Überblick der Jahre 1848/49
Im ersten Vierteljahr 1848 folgten die revolutionären Erhebungen so dicht aufeinander, dass der Begriff des ,,Völkerfrühlings"2schnell die Runde machte und eine erste Zusammenfassung der einzelnen Ergebnisketten darstellte. In dieser Thematisierung tauchten immer wieder zwei Begriffe auf, die Nation und die nationale Frage. Sie standen von Paris bis Wien, von Berlin bis Bukarest auf der Tagesordnung. Die 48/49er Revolution dehnte sich in ihren ersten Ausbrüchen im Frühjahr 1848 von Dänemark bis Sizilien aus, so dass sie nicht national erläutert werden kann. Aber sie ist gewiss eine liberale Revolution gewesen und das beinhaltet, dass sie hauptsächlich eine Revolution der bürgerlichen Trägerschicht war. Bei der Revolution vom Jahre 1848/49 handelt es sich um einen Aufstand, für deren Endzwecke sich der bürgerliche Mittelstand allenfalls für einige Wochen mobilisieren ließ, deren Freiheitsideale aber nicht recht akzeptabel gewesen sind, im Kontrast zu konfessionellen Argumenten der vorangehenden Zeit. Auch der Schwung des marxistischen Sozialismus beflügelte die Revolution von 1848, allerdings nur die Personen ganz links, die eine Republik forderten. Die ungarischen Revolutionäre zielte auf die Erreichung der staatlichen Unabhängigkeit, während die Italiener die Errichtung eines Nationalstaates einforderten. Die einzige soziale Frage, die wahrhaftig in den revolutionären Ausschüssen diskutiert wurde, betraf die Bauernbefreiung, wie sie im Nachhinein genannt wurde. Dass die Revolution sich aber nicht tiefer in den Köpfen der damaligen Zeitgenossen einprägte, lag daran, dass sie nicht mehr großen Anhang fand und dass sie nur für kurze Zeit und nur an wenigen Orten konzentriert jene bewegende Grundelemente entwickelte. Das hing wohl an den beiden miteinander konkurrierenden Elementen zusammen, die zu ihrer Legitimation dienten, am Liberalismus und am Nationalismus.
Die ,,48er Revolution" ging mit einer Jahreszahl in die Geschichte ein. Es handelte sich hierbei aber nicht nur um die Revolution von 1848, das zweite Revolutionsjahr, das Jahr 1849 ist von derselben Wichtigkeit und Tragweite. Aufständische Missstimmung begann allerdings schon im Jahre 1847, nicht nur in Italien, wie in der Literatur oft hervorgehoben wird, sondern auch bei den böhmischen Ständen. Und wie seinerseits in Amerika und in Frankreich, waren Steuerprobleme der Anlass. Im Januar des Jahres 1848 kursierten handschriftliche Aufforderungen zur Auflehnung in Prag, und zwei Monate später, am 13. März gab der Aufstand in Wien das Signal zum offenen Wiederstand auch in Böhmen. Währenddessen revoltierte man im Monat Februar in Paris, und kurz zuvor auch in München. Dort allerdings ging es um den Lola- Montez- Skandal, der Studenten und Bürger im Demonstrieren vereinte, im Grunde genommen ging es aber auch um den ständischen Widerstand gegen den partialische Befehlsgewalt des bayrischen Königs. Eine badische Volksversammlung forderte am 27. Februar Pressefreiheit, Schwurgerichte und eine deutsches Parlament, dazu kam auch noch die Forderung nach einer Volksbewaffnung; diese Parolen liefen fortan rings um. Diese Parolen blieben allerdings nicht ohne Folgen: ,,In Delitzsch bei Leipzig forderten seinerzeit die versammelten Kleinstädter, wie die Chronisten berichten, Pressefreiheit und Zensur! Aber bald schon, am 18.März, sind in Berlin die ersten Toten gefallen."3Vom 31. März bis zum 3. April versammelte sich das Frankfurter Vorparlament, einen Monat später am 15. Mai forcierte ein zweiter Aufstand in Wien die Versammlung eines gesamtösterreichischen Reichstags und drei darauffolgende Tage, am 18. Mai wurde die deutsche Nationalversammlung eröffnet. Dies geschah mit einer für die derzeitigen Kommunikationsverhältnisse bemerkenswerten Geschwindigkeit, bereits vom 2. bis zum 12. Juni begann in Prag der Slawenkongress, dessen Zielsetzung es war, den österreichischen Kaiserstaat in einen Bund von gleichberechtigten Völkern umzuformen. Dadurch wurde der nationale Beweggrund zum Streitpunkt, und General Windisch-Graetz bekam Danksagungen von deutschböhmischen Liberalen, als er den tschechischen Pfingstaufstand kurze Zeit später, am 16.Juni gewaltsam beendete. Am 29.Juni wurde der österreichischen Erzherzog Johann zum Reichsverweser durch die deutsche Nationalversammlung in Frankfurt gewählt, auch diese Entscheidung betraf die böhmische Länder. Das Reichsministerium, wurde kurze Zeit später eingesetzt, blieb aber rechtlos und konnte nur für einige Monate parlamentarisch regieren. Fast parallel dazu wurde die revolutionäre Durchführung von unten versucht, die sich ebenso wie die Nationalversammlung meist Frankfurt zum Organisationszentrum auswählte, aber unter den Traditionen des alten Versammlungssitzes des Deutsches Bundes zu leiden hatte. Zu den dort abgehalten Kongressen zählten der Demokratenkongress, der am 13. Juni stattfand, der Gesellenkongress der eine Woche später abgehalten wurde, der Arbeitskongress vom 23. August in Berlin und der Katholikentag vom 3. bis 6.Oktober in Mainz. Ausschlaggebendes geschah in der Zwischenzeit in den Bundesstaaten. Am 7. September beschloss der österreichische Reichstag in Wien, die Aufhebung aller bäuerlichen Untertänigkeitsverhältnisse. Derweil forderte vom 21. bis zum 25.
September ein erfolgloser Aufstand in Baden die deutsche Republik. Ein allseitiger Aufstand annektierte am 6. Oktober die Stadt Wien, wurde aber schließlich am 31. Oktober blutig niedergeschlagen. Am 22. November wurde der österreichische Reichstag von Wien nach Kremsier verlegt und dort neu eröffnet. Durch die Reichstagsverlegung schien die Macht des Aufstandes in der Bundeshauptstadt wie auch in den Einzelstaaten gebrochen zu sein. Bereits am 10. November hatte General Wrangler Berlin in Beschlag genommen. Im darauffolgenden Monat, am 2. Dezember dankte Kaiser Ferdinand von Österreich ab und sein Neffen, Franz Joseph nahm seinen Posten ein. Kurz darauf, am 7. Dezember löste Friedrich Wilhelm IV. die preußische Nationalversammlung auf und erlies eine Verfassung. Es schien als ginge alles Schlag auf Schlag, am 15. Dezember trat in Frankfurt Ministerpräsident Schmerling zurück; am 4. März 1849 wurde der Reichstag von Kremsier aufgelöst und eine neue deutsche Reichsverfassung wurde am 28. März zu guter Letzt verkündet, Friedrich Wilhelm IV. wurde vergeblich die deutsche Kaiserkrone angeboten. Als schließlich Friedrich Wilhelm IV. endgültig seine Kaiserwahl am 28.April 1849 abgelehnt hatte, versuchte die Mai-Revolution trotz allem die Anerkennung der Frankfurter Verfassung durchzusetzen, die bereits von den kleineren Fürstenstaaten anerkennt wurde, aber die großen Königreiche Preußen, Bayern, Württemberg, Hannover und Sachsen lehnten sie ab. Dadurch kam es im linksrheinischen Bayern, in Dresden und in Berlin noch einmal zu Gewalt und Gegengewalt. Im Großherzogtum Baden gab es auch einen Aufruhr, und in Folge dessen schritt eine deutsche Legion zur Verteidigung des Rumpfparlaments4ein. In allen Regionen, in denen von unten, gewaltsam versucht worden war das Frankfurter Verfassungswerk durchzusetzen wurde militärische Gewalt angewandt. Vor allem in Stuttgart gab es auch fanatischer Kräfte zugunsten einer künftigen deutschen Republik. Der Aufstand hatte sich also, bei schwindenden Erfolgsaussichten, radikalisiert und sich durch neue Idee gestärkt. Damit versuchte sie sich nun in einem aussichtslosen Machtkampf. Geraume Zeit hielt sich dabei noch der Legitimationsanspruch der ,,Großdeutsch- Gemäßigten". Erst im Dezember 1849 legte Erzherzog Johann sein Amt als Reichsverweser nieder.
2.1. Was bedeutet der Begriff Revolution?
Revolutionen sind kurzfristige Ereignisse, die meist nur einige Monate andauern. Der Grundgedanke eines Aufstandes beinhaltet einen gewaltsame Umschwung innerhalb kürzester Zeit. Die Stabilisierung eines Landes nach einem Bürgeraufstand und die Realisierung der neuen Forderungen, die sich daraus ergeben dauern um ein Vieles länger an, wenn sie nicht, wie 1849 durch die siegreiche Aufhebung unterbrochen werden. Revolutionen wachsen erst durch ihre eigene Auflehnung, in der anfänglichen Phase sind sie ,,gemäßigt" erst zu einem späteren Zeitpunkt werden sie ,,radikal", diese beide Begriffe sind aber nicht für alle Revolutionsereignisse inhaltsdeckend. Obwohl eine jede ,,gemäßigte" Phase noch Rechtsgrundsätze aus der vorrevolutionären Gesellschaft auf ihrer Seite in Anspruch nimmt, wird in der zweiten Phase die Legitimation aus den unterschiedlich geforderten ,,Grundrechten" hergeleitet. Erst in der zweiten Phase kommt es zum totalen Bruch mit den vorrevolutionären Hierarchieordnungen und ihren Grundsätzen.
Gemeinsamkeit einer jeden Revolutionen ist es, dass zunächst einmal zur gewaltsamen Veränderung und zum Bruch mit der Rechtsgültigkeit in der gegebenen Herrschafts- und Gesellschaftsordnung aufgerufen wird. Der Einfluss und die Konzentration einer Revolution ergeben sich dann jeweils aus dem sozialen Entwicklungsstand und aus der Krise, aus der die Aufstandsbewegung erwuchs, hinzu kommt das besondere politische Schicksal, welches sie formte und teilte. Aufstände entsehen immer durch die Auflehnung Minderberechtigter, damit sind alle Personenkreise gemeint, die sich unterhalb des Königthrons befinden. Die Minderberechtigtengruppe erfasst also den Adel, genauso wie das Bürgertum, und innerhalb beider ständischen Kollektive wiederum den Gegensatz von hoch und niedrig, wenn auch der revolutionäre Aufruf nach unten für herkömmlich bis zu den Recht- und Besitzlosen dringt. Jede Revolution wächst aus förderten Rechtsansprüchen. Es gibt keine Aufstand ohne Legitimationsansprüche, nur wechseln die Argumentationen.
Objektiviert sind Aufstände im religiösen und geistlichen Legitimationszeitraum der europäischen Gesellschaft, ungestört bis ins 17. Jahrhundert, konfessionell beglaubigt.
Durch diese Befangenheit war die Revolution des Jahres 1848 von analoger Zwittergestalt wie in ihre ursprünglichen Ambivalenz als europaweite Aufstandsbewegung mit bald deutlicher nationaler Individuation. Die Revolution von 1848/49 in Europa resultierte, wie alle Aufstände aus gesellschaftlichen Autoritäts-, Sozial- und Mentalitätskrisen, aus Problemen in umfangreicher sozialer Hinsicht, die ausschlaggebend waren für die Entstehung alternativer Legitimierungen politischer Gewalt und damit für die maßgebliche Vorbereitung revolutionärer Opposition. ,,Alles das trifft für die Revolution von 1848 zu, und nur im Überblick lässt sich daran erinnern, dass die mitteleuropäische Entwicklung jedenfalls ihre Autoritätskrise seit der Demagogenverfolgung im Deutschen Bund bezog, dass es durch Überbevölkerung und Missernten mehr als durch die mehrfach gesuchten frühkapitalistischen Entwicklungen- in diesem Raum Sozialkrisen gab, und für die Mentalitätskrisen, also für Alternative im unfassenden gesellschaftlichen Ordnungssystem, steht das ganze 19. Jahrhundert gut, das mit seinem Janusgesicht, sowohl den Abschied von der alteuropäischen, der Ständegesellschaft forcierte, als auch die Bildung neuer gesellschaftlicher Formen unter bekannten Geburtswehen voran trieb."5
Abschließend ist ins Gedächtnis zu rufen, dass sich alle Revolutionen, von der hussitischen bis zur bolschewistischen, gegen eine ständische geordnete Gesellschaft richteten.
2.2. Ursachen der osteuropäischen Aufstände von 1848
In der osteuropäischen Revolutionsgeschichte hat die Unzufriedenheit der Bauern des öfteren eine ansehnliche Rolle gespielt. Bauernaufstände begeleiteten die osteuropäische Geschichte vom Spätmittelalter bis ins 18. und 19. Jahrhundert, der ungarische Dozsa- Aufstand von 1514, der kroatisch- slowenische Bauernkrieg von 1573, der böhmische Robotaufstand von 1680, und die großen russischen Aufstände des 17. und 18. Jahrhunderts. Alle diese bäuerlichen Revolten sind im erheblichen auf vier Ursachen zurückzuführen. Als erstes wären da die zu hohen Forderungen der Herren an ihre Bediensten zu nennen. Als zweiter Ursachenkomplex kann man den religiösen, mentalen Hintergrund hervorheben. wenn reformatorische Ideen die Möglichkeit bieten, soziale Probleme auf religiöses Gebiet umzugestalten. Das dritte Motiv liegt in den wachsenden Zumutungen der sich bildenden Staatlichkeit. Nahezu in allen Gegenden Europas wurden seit dem 16. Jahrhundert überproportional anwachsende Staatsausgaben auf die Bauern beladen. Der letzte Beweggrund für Unruhen in der ländlichen Bevölkerung waren zudem auch Eingriffe in die traditionelle Agrarverfassung, wie zum Beispiel die Aufteilung der Gemeindeweiden und Wälder oder die Beseitigung von Weide- oder Holzungsrechten durch Großgrundbesitzer.
2.3. Die Rolle Russlands 1848
Der größte Staat mit einer noch unfreien Bauernschaft in Ostmitteleuropa war Russland, Kongress- Polen mit einbezogen. Hier unterlag die ganze ländliche Bevölkerung noch der Leibeigenschaft, die erst Jahre später, 1861 durch die russische Bauernbefreiung aufgehoben wurde. Was die 1848er Revolution anging, so schott sich Russland von der europäischen Revolution gut ab und konnte sich gut ,,...vor der Infektion mit dem Revolutionsbazillus schützen..."6 Anders verlief es beim Russland unterlegenen Polen, mit seiner gewissen inneren Selbstständigkeit und seiner stets revolutionsbereiten Schicht des Kleinadels, der aber wurde bereits im Jahre 1846 als er von Krakau aus aufflackerte, unter dem Zaren Nikolaus und selbst durch die russischen Bauern blutig niedergeschlagen. ,,Die ,,polnische Nation" das war der Adel, das waren die Ausbeuter, die Unterdrücker-..."7Im Ausland hatte sich Nikolaus durch die Niederschlagung des polnischen Aufstandes von 1830/31 und der Besetzung Krakaus den Spitzenamen ,,Gendarm Europas"8 erstanden. Russland wird im Zusammenhang mit den Revolutionen von 1848 zumeist am Rande erwähnt, stärkere Beachtung findet Russland allerdings bei der Intervention in Ungarn, auf die ich im Kapitel 2.5. eingehen werde. Das Russland bezüglich des 48er Aufstandes in der Literatur kaum Anklang findet, ist nicht weiter verwunderlich, da das Zarenreich Russland, wie anfangs schon erwähnt, neben England die einzige europäische Großmacht war, die nicht von der Revolutionswelle erfasst worden ist. Trotz allem spielt die Großmacht, in der Geschichte der Revolution eine beachtliche Rolle, da sie von Anfang an in vielseitiger Art und Weise Einfluss auf den Verlauf des Aufstandes genommen hatte. Die 48er Revolution in Mittel- und Osteuropa misslang in erster Linie durch die Widerstandfähigkeit der Beharrungskräfte und den Unterschieden der politischen, sozialen und nationalen Bewegungen. Aber auch wegen der russischen Politik und dem Interesse einer Einhaltung des internationalen Systems der Pentarchie9der Großmächte. Allerdings konnte auch das Zarenreich nicht ungefangen von innenpolitischen Ereignissen agieren. Russland war zwar nicht in den Strudel der Revolutionen hineingerissen
worden, gleichwohl fehlte es dem Reich nicht an Spannungen im Inneren. Eine Choleraepidemie forderte fast 750.000 Todesopfer, eine schlimme Missernte hatte in zahlreichen Gouvernements Hungersnöte zur Folge, eine extreme Trockenheit suchte das Land heim und legte zahlreiche Dörfer und Städte in Schutt und Asche. Industrie, Handwerk und Handel gerieten durch diese Schicksalsschläge in eine schwere Krise, rissen den Staatshaushalt mit und Gefährdeten die erst 1843 gelungen Stabilisierung des Silberrubels. Infolgedessen kam es auch in Russland zu Bauernunruhen, eine ernste Gefahr stellten sie indes nicht dar, da sie lokal begrenzt blieben und durch Einsatz von Militär im Keime erstickt worden sind. In den Städten sorgte eine rasche Verschärfung von Zensur und Überwachung für Ordnung und Ruhe. Erste Anzeichen für ein Übergreifen der Revolution auf Polen, die Ukraine und die baltischen Provinzen, konnte durch Stationierung starker Truppenverbände in den westlichen Grenzbezirken abgewehrt werden. Auch die Versuche polnischer Revolutionäre, die Truppen aufzuhetzen, scheiterten. So gravierend die inneren Probleme auch waren, sie bedrohten zu keinem Zeitpunkt die polizeilich, bürokratische Herrschaftsordnung der Autokratie des Zaren Nikolaus.
2.4. Ursache und Abfolge der ungarischen Revolution
Wie in andren europäischen Ländern hatte die 48er Revolution, die auch auf dem Gebiet des ungarischen Königreichs (als nicht- souveränem Teil des Habsburgerreiches) ausbrach, ihre Ursachen in einer komplexen Verschmelzung sozialer, politischer und kultureller Konflikte. Das feudale System, dass zum Leiden der ländlichen Bevölkerung führte, die Beschränkung wirtschaftlicher Spielräume und die damit verbundene Unzufriedenheit von Unternehmern, die sozialen Probleme der Handwerker und der städtischen Unterschichten, aber auch der Drang des Kleinadels und des gebildeten Bürgertums sich aktiv am politischen Leben zu beteiligen waren Nährboden für die Revolution.
Um die Revolutionsjahre und die Bedeutung der Revolution für die ungarische Geschichte zu verstehen, muss man einen Blick auf die Vorgeschichte und auf das politische und soziale Umfeld der Ereignisse werfen. Seit 1820 versuchte ein Teil der Aristokratie und des Adelsstands, aber auch die Poeten und Schriftsteller, das unbeständige feudale Gesellschaftssystem in Ungarn innerhalb des Habsburger Reiches durch Reformen zu modernisieren. Das beinhaltete zur damaligen Zeit, vor allem die Forderungen nach nationaler Unabhängigkeit und die Schaffung einer ungarischen Nationalkultur. Das frühe 19. Jahrhundert kann insbesondere durch die Bildung und Erfindung der ungarischen Nationalkultur charakterisiert werden, und durch die ursprüngliche kulturelle Bewegung, die jedoch zwischen 1820 und 1840 immer politischer und synchron immer radikaler geworden ist. Zur Durchführung dieser Forderungen, musste der damaligen Gesellschaft klar gemacht werden, dass es ohne eigene Kultur und vor allem ohne die Möglichkeit, diese eigene Kultur Anderen darstellten zu können, keine politische und staatliche Unabhängigkeit und somit keine eigene und unabhängige Nation geben konnte. Diese Auffassung hat sich, durch politische Akzentsetzung der Reformbewegung in den späteren dreißiger und vierziger Jahren allmählich verändert. Die neuen Akzente beinhalteten die Forderung nach nationaler Unabhängigkeit, Modernisierung in Form von Kapitalisierung, Industrialisierung, Urbanisierung und vor allem die Schaffung eines ,,nationalen" Bürgertums. Dieser Verlauf lässt sich in drei Abschnitte untergliedern. Der erste Abschnitt beginnt während des Landtags von 1839/40. Hier wurde der Grundstein für das Gelingen von Industrie und Handel gelegt und auch die bis dahin rechtlosen Juden erhielten das Recht, sich frei in den Städten anzusiedeln und Handel und Gewerbe zu treiben.
Mitte der vierziger Jahre begann der zweite Abschnitt, hier entdeckte die politische Opposition ein neues Terrain für sich, das der Wirtschaftspolitik. Vereine zum Schutz der ungarischen Industrie entstanden ebenso wie eine Gesellschaft zur Gründung von Fabriken sowie eine Handelsgesellschaft, die gleichzeitig zum Boykott ausländischer vor allem österreichischer Waren aufriefen.
1847, in der dritten Phase, organisierte sich die Opposition als politische Partei, deren Programme sich auf allgemeine Steuerpflicht, auf soziale Gleichheit, Pressefreiheit, auf die Einführung einer parlamentarischen Regierung, aber auch auf die Union Siebenbürgens mit Ungarn bezogen. Diese immer radikaler werdenden Forderungen, haben die politische Opposition in Ungarn am Vorabend der 48er Revolution gespalten, vor allem was die Strategie und die Philosophie des politischen Widerstandes anbelangte. Trotz allem gab es keine unüberbrückbare Kluft zwischen den Parteien, die Ziele nach nationaler Unabhängigkeit, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Modernisierung, die Schaffung eines national gesinnten Bürgertums, waren ja dieselben. Auf welchem Forderungsgrund aber die größte Betonung liegen sollten, und wie diese Ziele zu erreichen wären, darüber gab es von Anfang an Differenzen. Ein Personenkreis wollte die politische und gesellschaftliche Veränderungen durch allmähliche und vorsichtige Reformen und durch die Herausbildung der ungarischen Nationalkultur bzw. nationaler Identität erreichen. Ein Anderer verfolgte radikalere politische Ziele, wie zum Beispiel grundsätzliche Veränderung des politischen und gesellschaftlichen Systems und die ,,Verwestlichung" Ungarn durch Modernisierungs-prozesse. Dieser Modernisierungsansatz bedeutete jedoch nicht nur die Förderung der heimischen Industrie und des Handels, sowie des nationalen Bürgertums, sondern hat auch die neue Sondersozialphilosophie des Liberalismus eingeführt.
Am Vorabend der ungarischen Revolution gab es natürlich nicht nur die politische Opposition, sondern auch politische Kräfte und soziale Gruppen, die sich zusammen mit dem Wiener Hof um die weitere Stabilisierung des schwankenden Feudalismus und dessen politischen Systemen bemühten.
Seit dem frühen 18. Jahrhundert hatte es auf dem Lande, in den kleinen Städten und Dörfern Ungarns keinen Aufstand mehr gegen die Habsburger gegeben. In Bezug auf Ungarn stellte sich die politische Lage des Habsburger Reiches in den Wintermonaten des Jahres 1848 als unentschiedenes Spiel dar, in der weder die Machthaber noch die Opposition die nötige Kraft hatten, eine Entscheidung zu ihren Gunsten herbeizuführen. Hának bemerkte diesbezüglich, ,,Bereits vor der Revolution von 1848 waren in Ungarn alle drei wesentlichen Voraussetzungen für eine gesellschaftliche Umgestaltung weitgehend vorhanden, nämlich die Transformation des Adels, das Aufkommen des Bürgertums und die Lockerung des Feudalsystems und der Leibeigenschaft."10
Diese Ausgangssituation hat sich aber durch die Ereignisse vom 15. März dramatisch verändert. Die Nachrichten aus Paris und der dortigen Revolution, die auch zum Sturz des Königs führte, erreicht Wien und Budapest Anfang März. Im ungarischen Landtag, der seit November 1847 in Pressburg tagte, wurden die Forderungen der politischen Opposition daraufhin immer radikaler. Schon am 3. November hatte Lajos Kossuth, der Anführer der Opposition, eine eigene Konstitution und Regierung für Ungarn verlangt. Diese Forderungen wurden vom Landtag auch angenommen und nach Wien weitergeleitet. Am 15.März entsandte der Landtag eine Delegation nach Wien, am 17. März kam diese mit der Ernennungsurkunde des ersten ungarischen Ministerpräsidenten, Lajos Batthyany, und dem königlichen Versprechen zurück, der Monarch sei willens alle Gesetze zu sanktionieren, die ihm in den nächsten Wochen vom Landtag vorgelegt würden. In der Zwischenzeit fand eine unblutige verlaufende eintägige Revolution in Pest statt, die neue politische Ansprüche forderte. Der Dichter Sándor Petőfi, Anführer dieser Bewegung, hatte die neuen zwölf Forderungen schriftlich zusammengefasst. Diese zwölf Punkte verlangten unter anderem Pressefreiheit, eine eigene Regierung, einen eigenen Landtag, eigene Konstitutionen, bürgerliche und religiöse Gleichheit, eine nationale Armee, eine ungarische Nationalbank, die Freilassung politischer Gefangen, die Abschaffung der feudalen Verhältnisse und die Union mit Siebenbürgern. Petőfis zwölf Forderungen und sein Nationallied wurden ohne Genehmigung des Zensors gedruckt und veranlasste letztendlich die oberste Behörde der Landesverwaltung zur Annahme dieser.
Der 15.März, der Anfang der Revolution war, war gleichzeitig auch deren Höhepunkt. Menschenmassen zogen mit revolutionärem Fahnen und Liedern durch Buda und Pest und schienen das habsburgerische feudale System gestürzt zu haben. Was danach im Landtag geschah, kann als politischer Alltag beschrieben werden. Der Landtag der immer noch in Pressburg tagte, leitete eine Reihe schnell entworfener Gesetze ein, die das Ziel hatten, den Systemwechsel zu erzwingen. Beispielsweise entwarf er Gesetzte über die parlamentarische Volksvertretung, die vollständige innere Selbstständigkeit der Regierung, über die Gleichheit von Adligen und Nichtadligen vor dem Gesetzt und eine allgemeine Steuerpflicht. In der praktischen Umsetzung stieß die Regierung aber auf unerwartete und letztendlich unlösbare Schwierigkeiten, dies hing vor allem mit den Bauern zusammen. Die Bauern verlangten immer heftiger, dass man sie auch von jenem im eigentlichen Sinne nicht urbarialen Diensten und Leistungen entbinden solle. Durch die sich dadurch ergebende erhebliche Zusatzbelastung der Staatskasse, konnte die Regierung den Bauern aber keine weitern Zugeständnisse mehr machen. Die Bauern taten ihren Unmut immer öfter kund, indem sie den Dienst verweigerten und eine Landbesetzungen versuchten.
Das zweite große Problem, mit dem Ungarn zu kämpfen hatte war die Nationalitätenfrage. Die auf ungarischen Territorium lebenden Nationalitäten drängten seit Beginn der Revolution darauf, dass alle Nationalitäten des Lands die volle nationale Gleichberechtigung erhalten sollten. Da die ungarische Regierung dem nicht zustimmen wollte, führte es in kürzester Zeit dazu, dass sich die politischen Führer der verschiedenen Nationalitäten gegen die Revolution wandten. Nachdem sich die Position der Monarchie im Laufe des Sommers allmählich stabilisiert hatte, ergab sich im August 1848 für den Wiener Hof die Möglichkeit, mit Waffengewalt gegen die ungarischen Revolutionäre vorzugehen. Der ungarische Freiheitskampf von 1848/49 lässt sich in drei Abschnitte aufteilen. In der ersten Etappe, die vom September 1848 bis Januar 1849 anhielt häuften sich die habsburgerischen territorialen Erfolge. Am 5. Januar eroberten sie sogar Buda. Im Frühjahr 1849 begann der zweite Abschnitt, die ungarische Gegenoffensive. Die ungarische Armee konnte im Mai sogar Buda zurückerobern und drängte die habsburgerische Armee bis Ende April an die Grenzen Westungarns zurück. Die weitern Auswirkungen dieser Gegenoffensive waren aber verheerend und vernichtend. Das Haus Habsburg verbündete sich mit dem russischen Zaren.
2.5. Die Intervention Russlands
Anfänglich waren es nicht die Konflikte mit den nationalen Minderheiten, die den ungarische Aufstand zu Fall brachten. Der neuentstandene ungarische Staat bildete die letzte Festung des Aufstandes in Europa. Seit Kossuth die Habsburger für abgesetzt erklärt hatte, organisierte er als ,,Reichsverweser" den militärischen Widerstand gegen die gegenrevolutionären Kräfte der Hofburg, die die Revolution in Österreich blutig niedergeschlagen hatten. Den österreichischen Armeen gelang es nicht, die Ungarn folgenschwer zu schlagen. Hierbei hatte die starke Unterstützung der Revolutionsregierung in großen Teilen der ungarischen Gesellschaft eine wichtige Rolle spielte. Der junge Kaiser Franz Joseph sah sich gezwungen, mit einer offiziellen Aufforderungen am 6. April 1848, den Zaren um militärischen Beistand zu bitten und im Geiste der ,,Heiligen Allianz" die Dienste des europäischen ,,Gendarmen" Russland anzunehmen. Mit dieser offiziellen Bittstellung war das Schicksal der ungarischen Revolution besiegelt. Nach langer Gegenwehr mussten die Ungarn vor dem übermächtigen russischen Interventionsheer, das aus knapp 200.000 Mann bestand, am 13.August 1849 kapitulieren. Damit endete die ungarische Revolution. Der russische Zar Nikolaus ließ sich aus zweierlei Gründen auf diese Intervention ein. Der erste Grund, war die paranoide Angst des Zaren vor den polnischen Revolutionären und der Wiedererstehung eines polnischen Reiches. Das zweite Motiv, war die Verpflichtung, die der Zar 1833 in Münchengrätz11eingegangen war.
Das Faktum, dass die nationale Revolution und der Freiheitskampf in Ungarn erst mit Hilfe russischer Einmischung beendet wurde, ist sicher einer der bedeutungsvollsten Faktoren dafür, dass 1848 einen so viel größeren Stellenwert in der ungarisch- politischen Kultur bekommen hat, als in anderen europäischen Ländern. Die Niederlage der Revolution in Ungarn, konnte wegen dieser Tatsache aus einer anderen Sichtweise gesehen werden und die ungarischen Fehler der Revolutionäre konnten den äußeren, fremden Kräften angelastet werden.
3. Der Begriff ,,Kult"
Das Wort ,,Kult" kann auf eine lange historische Bedeutung zurück blicken, die Wortbedeutungen dieses Begriffs variierten aber immer wieder und wurden zweckentfremdet. Im nun folgenden Kapitel soll die Wortgeschichte des Begriffs ,,Kult" kurz skizziert werden. ,,Geschichtskulte sind entfernte Nachkommen der kirchlichen Heiligenkulte des früheren Mittelalters und nähere Verwandte der absolutistischen Herrscherkulte".12Diese Beschreibung relegiert auf verschiedene Faktoren von Kulten, sie wurden zur Kontingenzbewältigung benutzt, genauso wie für Herrschaftslegitimationen, aber auch für die Relativierung der institutionalisierten Religion seit der Reformation.
,,Kulte" bedienen sich häufig der Mythen, um ihre Botschaft in eine feste, geschichtliche Form einzubinden. ,,Von den Staatskulten des Mittelalters, etwa des Markuskultes in Venedig, die zur Festung ständischer Systeme geschaffen worden waren, unterschieden sich die nationalen Geschichtskulte auch durch ihre emanzipatorische Implikationen und durch ethnische Exklusion."13Die neuentstandenen ,,Kulte" richteten sich aber nicht zwingend gegen die Monarchie und die herrschende Staatsreligion, verdrängten die alten ,,Kulte" aber zunehmend. Aber auch moderne monarchische ,,Kulte" bezogen sich hautsächlich auf den Nationalstaat und nur noch in entfernter Weise auf die Monarchie und religiöse Herkunft. Die enge Beziehung zwischen den Erneuerungen der Relation: Religion und Staat und der Schaffung eines neuen geschichtlichen Nationsbegriffs wird besonders im Zusammenhang mit dem Bedeutungswandel des Wortes ,,Kult", der in Frankreich seinen Ausgangspunkt nahm und sich von dort aus nach Deutschland und Mitteleuropa verbreitete deutlich. In Frankreich wurde das Wort ,,culte" im 18. Jahrhundert als eine sprachliche Waffe im Kampf der Aufklärung gegen den Machtanspruch der katholischen Kirche benutzt. 1699 wurde die Bedeutung ,,culte" auch erstmals zur Bezeichnung einer allgemeinen Verehrung von Personen, die sich jenseits des religiösen Sektors befinden verwendet.
Als dann auch noch die Protestanten ihren ,,wortbetonten" Gottesdienst gegenüber dem katholisch ,,opferbetonten" Kultus abgrenzten, wurde der Begriff von nun an auch im konfessionellen Zusammenhang gebraucht. Kant löste diese Tradition aus ihrem konfessionellen Kontext, als er ins seiner Schrift ,,Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" 1793 unterschied zwischen ,,rein moralischen Religion" der Aufklärung, die keines Kultes bedürfe, und der ,,gottesdienstlichen Religion (cultus) der christlichen Kirchen"14
Hegel und Schleiermacher nahmen eine positive Neubewertung des Kultes als ,,Teilnahme am Absoluten" vor, indem sie den Kult in die Nähe der Kunst rückten. Das Phänomen ,,Kult" war seit dem 19. Jahrhundert jedenfalls nicht mehr ausschließlich der religiösen Welt angehörig, sondern wurde auch in der Kunst und Politik heimisch. Dabei haftete dem Wort weiterhin auch eine negative Konnotation an, was besonders bei politischen Auseinandersetzungen genutzt wurde. Die Demagogie dieser Zeit verwendete zur Verunglimpfung politischer Gegner in ihrem Sprachgebrauch ,,Kulte" um damit inhaltliche Defizite und das ungehemmte Machtstreben der Anderen hervorzutun.
Im deutschen brauchte das Wort ,,Kult" wegen der protestantischen kulturellen Hegemonie., vermutlich länger um sich in der Sprache von Kunst und Politik zu etablieren, als das französische ,,culte", Noch im Jahre 1913 ist in Deutschland die Rede, dass ,,Kult und Kultus [..] neuerdings auch von übertriebener Verehrung großer Dichter usw. gebraucht Würde.15
3.1. Der Kulturbegriff im Ungarischen
Besonderheiten der ungarischen Geschichtskultur können am Wortegebrauch ,,kultusz"16 beobachtet werden. Auch im Ungarischen bedeute das aus dem lateinisch stammende Lehnwort ,,kultusz" zunächst nur ,,Gottesdienst, Religionsausübung" und bezog sich hauptsächlich auf die katholische Kirche, da die protestantischen Kirchen den ungarischen Ausdruck für Gottesdienst ,,istentisztelet" bevorzugten.
Erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Wortbedeutung ,,kultusz" erstmals erweitert und auch für ,,abgöttische Verehrung" verwendet. Zum Ausdruck kommt dies, wenn man sich das Pallas- Lexikon, das zwischen 1893 und 1897 in 16 Bänden erschien betrachtet. Hier etablierte sich der Begriff ,,kultusz" auch in Bedeutungssektoren, die außerhalb des engeren kirchlichen Bereichs lagen. Der Begriff ,,kultusz" wird im Lexikon, dass aus über 110.000 Artikeln bestand, 285 mal verwendet. Nur in sechzehn Artikeln wird das Wort in seiner ursprünglichen Bedeutung zur Bezeichnung des Gottesdienstes in den christlichen Kirchen gebraucht. In 222 Artikeln beschäftigt man sich mit den religiösen Phänomen alter, vorchristlicher oder außereuropäischer Kulturen, die hauptsächlich auf die Rezeption der Altertums- und Kulturwissenschaften zurückzuführen sind. Hier zeigte sich deutlich die Relativierung und Historisierung religiöser Phänomene durch die Aufklärung. Kultusministerien, eine Art Verwaltungsbehörde, die erstmals in Frankreich unter Napoleon entstanden worden war, werden in zwanzig weitern Artikeln erwähnt. Fast ein Zehntel der Artikel, thematisieren kultische Phänomene in Kunst, Literatur und Politik. Das kurze Zurückgreifen auf die Artikel des Pallas- Lexikons zeigt, dass Ende des 19. Jahrhunderts Vertreter der ungarischen Eliten, einen positiven Kunstbegriff verwendeten, um damit Verehrung für die eigene nationale Geschichte auszudrücken. In anderen Ländern, besonders in Frankreich und den USA wurde das Wort ,,Kult" auch negativ belegt. Je nach Zusammenhang wurde der Begriff auf die positive oder negative Weise ausgelegt.
3.2. Der ungarische Dichter Petőfi
Am 2. Juli 1989 entdeckte eine Expedition, die aus US- amerikanischen, ungarischen und sowjetischen Ausgrabungsexperten bestand und von einem ungarischen Unternehmer und Politiker in Auftrag gegeben wurde, im sibirischen Bargusingebirge nahe des Baikalsees die Knochen einer Leiche. Kurz darauf ging an das Zeitungswesen die Mitteilung, es handle sich um die Überreste des 1849 im Verlaufe der ungarischen Freiheitskämpfe verschollen Dichters Sándor Petőfi17. Die Fachwelt reagierte reserviert und wie sich später auch herausstellte zu Recht, bei den menschlichen Überresten handelte es sich nicht um den Dichter Petőfi. Dieser merkwürdig erscheinende Vorgang zeigt, dass die ungarische Revolution von 1848/49 und ihre Helden, im Unterschied zu den meisten europäischen Ländern, auch heutzutage noch in Ungarn einen herausragenden Stellenwert in der Politik und Kultur einnehmen. Weshalb aber wurde diese Ausgrabung veranlasst? Petőfis Leichnam ist nicht das Skelett irgendeines Menschen, sondern eines der bedeutsamsten Helden der Nationalgeschichte, eines Heiligenbildes der ungarischen Nationalkultur. Durch Petőfi verbanden sich politische und soziale Hoffnungen, Illusionen und Vorstellungen eines großen Teils der ungarischen Gesellschaft. Schon kurz nach Petőfis Verschwinden machten Gerüchte in Ungarn die Runde, wonach der Dichter nicht tot sein solle, sondern lediglich nach Sibirien verschleppt worden sei, von wo er eines Tages zurückkehren würde um sein Volk zu befreien. ,,Zugleich verweist das Beispiel darauf, dass die modernen politischen Kulte Elemente und Funktionen früherer, hauptsächlich religiöser Kulte fortsetzen."18Die angebliche Umbettung Petőfis, die von König Friedrichs II. von Preußen oder die von Romanows im Sommer 1998, sind moderne Beispiele für Reliquienkulte. Im Mittelpunkt der kultischen Handlungen, bezüglich der Reliquienkulte, steht die Verehrung einer Person, die aufgrund von bewundernswerten Taten, die sich von der Allgemeinheit abhebt und deren Verehrung durch die Gemeinschaft als notwendige Aufgabe gesehen wird. Sinngemäß zur Heiligenverehrung beginnt die kultische Verehrung nationaler Helden meist erst nach ihrem Ableben. Die Ergebenheit vor dieser Person bezieht sich nicht bloß auf ihre Wohltaten, sondern auch auf ihren Körper. Árpád von Klimó vergleicht die Nationalhelden mit einem Heiligen, da auch ihnen eine Vermittlerfunktion zugesprochen wird. ,,Beim Heiligen geht es um die Vermittlung zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Menschen; bei den Nationalhelden der modernen Zeit um die Vermittlung zwischen Nation und Bürger, zwischen Gemeinschaft und Individuum.19 Die Verehrung des Helden durch das Kollektiv soll ihren einzelnen Mitgliedern Kraft geben, die gemeinsamen Aufgaben zu lösen.
3.3. Besondere Merkmale des ungarischen Aufstandes 1848
Die relativ langandauernde ungarischen Revolution ist sicher einer der wichtigsten Gründe für ihre spätere Bedeutung. In den Ländern Deutschland und Österreich, in denen sich die Niederlage der Revolution schon im Sommer 1848 abzuzeichnen begann, konnten die Geschehnisse der 48er Revolution daher auch niemals denselben Stellenwert im politischen Gedächtnis der Nationen bekommen. Im Zusammenhang mit dieser Erfolgsgeschichte der ungarisch revolutionären Regierung stand die Schaffung einer modernen nationalen Kultur, die die Ausgestaltung des neuen Staatswesens begeleitete. So wurde der alten Symbolik der Stephanskrone20 beispielsweise durch die Revolutionäre eine neue Bedeutung zugewiesen. Vor dem Jahre 1848 symbolisierte die Krone des ersten ungarischen Königs (Stephan I ca. 970-1038) noch die Einheit der ungarischen Stände, die ungarische ,,Adelsnation". Durch die Revolutionäre wurde sie zum Symbol der Einheit des nationalen Territoriums. In ähnlicher Weise verhielt es sich mit der Nationalhymne und mit einigen patriotischen Gedichten, die bereits vor dem Revolutionsjahr verfasst worden waren und im veränderten Zusammenhang als nationalen Symbole einverleibt wurden. Ähnlich wie vor siebzig Jahren, bei der Französischen Revolution lief in Ungarn 1848 ein Programm zur Nationalisierung älterer Traditionen ab, welches der Sakralisierung der modernen Nation diente. Die politische Rechtsordnung der neuen Institutionen, die anstelle des Monarchen auftraten, der seine Herrschaftslegitimation noch allein von Gott ableitete, bezog sich nun auf die nationale Gemeinschaft. Außer durch die bereits erwähnten Konversionen älterer Traditionen und Symbole in nationalen Sinn, wurde es auch durch die Schaffung zahlreicher, zumeist spontan entwickelter Kulte begleitet. Bei den kultischen Vorgängen ging es darum, eine emotionale Bindung, die meist von Intellektuellen voran getrieben wurde, eine nationale Gemeinschaft zu erzeugen und diese im sozialen Alltag zu verankern. Dazu gehörte auch die Entstehung nationaler Trachten, Speisen, Feste und Sitten.
3.4. Die Bedeutung der ungarischen Sprache für die Nationalbewegung
Eine wichtigerer Rolle, als bei den deutschen oder slawischen Nationalbewegungen spielte in Ungarn die Sprache. Denn die ungarische Sprache hat ihre Wurzeln nicht im indogermanischen Sprachraum, sie ist ein Glied der finnisch- ugrischen Sprachgruppe. Nur das grammatische Grundgerüst und die allergrundlegendsten Begriffe sind finnisch- ugrischen Ursprungs, jene Begriffe dagegen, die einer höheren Stufe des wirtschaftlichen und geistigen Lebens zugehören, entstammen dem Sprachgut der Turkvölker.
Ein immer wiederkehrender und bereits 1848 häufig auftretender Topos aus der Anzahl dieser Anhaltspunkte war die Behauptung, die Ungarn seien aufgrund ihrer außereuropäischen Wurzeln und ihrer Sprache ein in Europa isoliertes Volk, dessen Existenz durch die Übermacht der sie umgebenden slawischen und germanischen Nachbarn ständig bedroht sei. In extremem politischen und sozialen Lagen, wie im Jahre 1848 wurden solche Vorstellungen immer wieder aufgegriffen und Zeitgenossen ins Gedächtnis geführt. Tatsächlich ist Sprache Ausdruck von Macht, und fast jeder europäische Nationalstaat, versuchte die nationalen Minderheitssprachen auszulöschen. Am Beispiel der Sprache lässt sich der bipolare Charakter des nationalen Programms veranschaulichen. Einerseits vereinfachte die ungarische Sprache den Eintritt Einzelner in die Nation, andererseits verstärkte er die Empfindung der Bedrohung bei anderssprachigen Gruppen. Die Familie Petrovics beispielsweise, slawischer Abstammung war, konnte einfach die ungarische Sprache annehmen, den Familiennamen entsprechend zu Petőfi verändern und sich zur ungarischen Kultur bekennen, um zu ihrer Gemeinschaft zu gehören. Die protestantische Konfession der Familie Petrovics erleichterte ihre Assimilation in den protestantischen Teil der ständischen ungarischen Eliten.
Als einzige Gruppe ,,magyarisierten" sich die Juden, da sie sich keiner Nation außerhalb Ungarns anschließen konnten. Die Offenheit des ungarischen Kulturnationalismus erleichterte jedenfalls die Assimilation zahlreicher Familien aus den 1848 noch die Mehrheit im ungarischen Königreich stellenden nichtungarischen ethnischen Gruppen, eine Tatsache, die sich auch in der Häufigkeit von Familiennamen mit ethnischer Konnotation zeigt.21
3.5. Der ungarische Nationalfeiertag
Der 15. März wurde kurz nach der Revolution zum nationalen Gedenktag erkoren und die Erinnerung an 1848 wurde zu einem wichtigen Bestandteil der politischen Kultur Ungarns. Die Versuchsunterdrückungen des Wiener Innenministeriums, das Gedenken der Ungarn an 1848 zu bezwingen, führten eigentlich erst zu dessen Durchbruch. Kaiser Franz Joseph versuchte dem entgegen zu wirken, indem er gelegentlich in ungarischer Tracht auftrat, diese Versuche waren aber nicht von Erfolg gekrönt. In der Folgezeit waren es in hautsächlich Veteranenvereine, die zur wachsenden Popularität dieses inoffiziellen Feiertags auch über den Ausgleich von 1867 hinaus, wesentlich beitrugen. Nach dem Ausgleich mit Österreich im Jahre 1867 versammelte sich, Opposition die sogenannte ,,Unabhängigkeitspartei" jedes Jahr am 15. März, um ihre Zusammengehörigkeit mit den Ideen und Helden der Revolution zu unterstreichen. Seit 1890 bedienten sich auch die Arbeiterbewegung der Erinnerung an 1848, um ihre politischen und sozialen Anliegen in die nationale Tradition einzubinden. Daher kam es auch dazu, dass die Radikalen und Sozialisten gelegentlich gemeinsam für die nationale Emanzipation im Sinne der Freiheitskämpfe von 1848/49 kämpften. Das Geschehen des 15. März veranschaulicht, wie wenig es trotz aller Zugeständnisse gelungen war, in der ungarischen Gesellschaft ein tiefes Gefühl für die Einheit des Habsburgerreiches zu verankern. Obwohl sich eine zunehmende Liberalisierung der Gesellschaft vollzog, verstärkte sich die Mythologisierung der Ereignisse und Forderungen von 1848, die zu einen festen Bestandteil des ungarischen Selbstverständnisses wurden Im Vorfeld der 50-Jahr-Jubiläums strebte die Opposition um Lajos Kossuth, diese Strömung für ihre eigenen politischen Ziele zu nutzen. So kam es auch dazu, dass Kossuth, den 15.März zum Nationalfeiertag zu erheben beantragte. Die Regierung aber wählte 1898 den 11. April, das Datum, an dem, die königliche Sanktionierung der Gesetze von 1848 stattfand. Der 11. April sollte des weitern das Gedenken an die 1848 Revolution mit der Huldigung von König Franz Joseph verbinden.
Die sozialistisch- demokratische Regierung kam nach dem Zusammenbruch der Doppelmonarchie Ende 1918 für kurze Zeit an die macht und schrieb sich die Verwirklichung der 48er- Forderungen sinngemäß auf die Fahnen. Die nun regierende Unabhängigkeitspartei ergänzte offiziell ihren Namen als ,,48er- Partei". Nach dem als nationale Katastrophe erlebten Friedensvertrag von Trianon (1920), der zwei Drittel des ungarischen Territoriums den Nachbarstaaten zusprach, ließ den 48er Kult in Ungarn für kurze Zeit in den Hintergrund treten.
Politisches Kalkül bestimmte 1927, zum 80.Jahrestag der Revolution, die Erhebung des 15. März an Stelle des 11.April zum nationalen Feiertag. 1928 wurde der Tag auch zum offiziellen Feiertag erklärt, doch blieb die ambivalente Haltung des damaligen Regimes bestehen, da eine Vereinnahmung des 48er Gedenkens für die konservative Politik nicht recht gelingen wollte.
Auch die Ungarische Kommunistische Partei war stets mit mehr oder weniger großem Erfolg bemüht, das Gedächtnis an 1848 für ihre eigenen politischen Ziele zu nutzen. Nach dem 2.Weltkrieg erklärte sich die Kommunistische Partei zur einzig legitimen Erbin der Revolution und stattete die 48er Revolution mit neuen Mythen und Leitfiguren aus. Der öffentliche Gedenktag, versank aber zwischen den Jahren 1945 und 1951 in der Bedeutungslosigkeit, abgesehen von einer Wiederbelebung revolutionärer Ideale im Jahre 1956. Daran konnten auch Versuche nichts ändern, hervorstechende historische Ereignisse, wie zum Beispiel der 1848 Revolution, die Proklamation der Räterepublik im Jahre 1919 und das Ende des 2.Weltkrieges in eine historische und ideologische Kontinuitätslinie zu stellen. 1988 wurde der 15. März, wieder zum offizieller Nationalfeiertag ernannt und diente fortan zur demonstrativen Akzentsetzung, wie der Forderungen nach Freiheit, nationaler Unabhängigkeit und Demokratie.
In der neue Republik wurde zwar der 20. August, der Tag des Heiligen Stephan, Im Jahre 1990 zum neuen nationalen Hauptgedenktag ernannt. Somit hatte der 15. März einen gewissen Prestigeverlust, hat aber nach politischen Einschätzungen im öffentlichen Bewusstsein kaum etwas von seinem revolutionären und nonkonformistischen Charakter eingebüßt.
4. Schlussfolgerungen
Ziel meiner Arbeit war es zu veranschaulichen, dass Revolutionen eine spezifische Form der Antwort auf ein kollektiv empfundenes Bedürfnis nach Wandel sind. Dieses Bedürfnis hat sich wohl in keinem Jahr der neuern Geschichte Europas in so allgemeiner und elementarer Weise kundgetan wie 1848, als in der Mehrzahl der europäischen Länder die seit Jahren herbeigesehnte, erhoffte oder bekämpfte Revolution ausbrach und binnen weniger Monate fast den ganzen Kontinent zu erobern schien. Etwas idealtypisch verkürzt, handelt es sich um drei Bereiche, in denen die herrschende Ordnung erschüttert und in denen um wesentlichen Wandel gekämpft wurde. Es ging erstens um politische Partizipation des neu etablierten europäischen Bürgertums, um soziale Emanzipation der unterdrückten Bevölkerung und um nationale Separation bzw. Integration der ethnischen Volksgruppen. Dementsprechend gab es 1848 gleichzeitig politische, soziale und nationale Revolutionen, die in höchst unterschiedlichen Konfigurationen und Gewichtungen gemeinsam auftraten, einander begleiteten oder gar bedingten, sich aber auch nicht selten gegenseitig neutralisierten oder gar bekämpften.
Das Jahr 1848 steht aber nicht nur für die revolutionäre Welle, die Europa überschwappte, sondern auch für die damit verbundenen Erinnerungen. Die Erinnerungen, und der damit entstehende Geschichtskult von 1848/49 wurden trotz aller gewaltsamer Versuche der herrschenden und nachfolgenden Doktrinen, vor allem in Ungarn niemals begraben. Dies hängt mit den oben erläuterten Punkten zusammen, aber auch mit der inneren Verbindung, die zwischen 1848 und dem antistalinistischen Aufstand von 1956 hergestellt wurde. Dadurch wurde der Märzrevolution eine neue Bedeutung gegeben, die diese bis heute konserviert. Die Parallelisierung beider Ereignisse gelang nicht nur wegen einiger oberflächlicher Ähnlichkeiten, sondern weil sich der 15. März als historisches Datum dazu eignete, gegen die Unterdrückung der Erinnerungen von 1956 anzugehen. So wurde die Jahreszahl 1848 zu einem nationalen Symbol für den gesellschaftlichen Widerstand gegen die politische Repression. Aber auch die Geschichte der Einführung der ungarischen Variante ,,kultsz" in die Sprache von Kunst und Politik, wie sie sich seit Mitte des 19.Jahrhunderts vollzog, öffnet schließlich den Blick auf die intellektuellen Wege, über die sich Vorstellungen der organisierten Begeisterung für die jeweilige national Vergangenheit in Europa verbreiteten. Die für die ungarische Nationalbewegung tätigen Literaren, Gelehrte und Kleriker beschäftigten sich, angeregt durch französische, englische, deutsche und polnische Vorbilder, mit der Frage, wie die breiten Massen zur Begeisterung für die nationale Geschichte erzogen werden könne. Bei diesen Überlegungen spielte das Wort ,,kultusz" und die damit verbundenen Phänomene eine besondere Bedeutung. So kam es auch dazu, dass der 15. März, der Beginn der Revolution in Ungran zum Nationalfeiertag erklärt wurde, während ein solcher Geschichtskult in den Nachbarstaaten Deutschland, Österreich und Polen durch die Bevölkerung nicht verinnerlicht wurde.
Meine Betrachtung der revolutionären Aufstände im Jahre 1848 und das damit verbunden aufkommende Geschichtskulte in den genannten europäischen Gebieten lässt sich hervorragend mit dem Zitat von Urban beenden: ,,Das Jahr 1848 war ein Schaltjahr, nicht nur im Kalender"
5. Literatur
Brix, Emil Der Kampf um das Gedächtnis.
Öffentliche Gedenktage in Mitteleuropa
Wien, 1997
Deák, István Die rechtmässige Revolution
Lajos Kossuth und die Ungarn 1848-1849 Böhlau Verlag
Wien, Köln, Graz, Böhlau 1989
Fröhlich, Helgard, 1848 im europäischen Kontext Grander, Margarete und TURIA + KANT Weinzierl, Michael Wien 1999
Hardtwig, Wolfgang Geschichtskultur und Wissenschaft
Deutscher Taschenbuch Verlag
München 1990
Hardtwig, Wolfgang Revolutionen in Deutschland und Europa 1848/49
Vadenhoeck und Ruprecht
Göttingen 1998
Helfert, Joseph Alexander Revolutionen und Reaktionen im Spätjahre 1848
Temsky
Prag 1870
Jaworski, Rudolf und 1848/49 Revolutionen in Ostmitteleuropa Luft, Robert R. Oldenbourg
München 1996
Langewiesche, Dieter Die Revolutionen von 1848 in der europäischen Geschichte
Ergebnisse und Nachwirkungen
R. Oldenbourg
München 2000
Timmermann, Heiner 1848 - Revolution in Europa
Duncker & Humbolt Berlin 1999
Urban, Otto Die tschechische Gesellschaft 1848- 1919.
Anton Gindely Reihe zur Geschichte der Donaumonarchie und Mitteleuropas Bd.2, Hg. Gerald Strouzh.
Böhlau
Wien/ Köln/ Weimer: 1994
von Klimó, Árpád Nation, Konfession, Geschichte
Habilitation, Berlin [im Druck]
6. Anhang
[...]
1 Vgl. Brix, Der Kampf um das Gedächtnis S. 91
2 Aus: 1848 im europäischen Kontext ; Matthias Middel:Europäische Revolution der Revolutionen in Europa S.16
3 Aus: 1848/49 Revolutionen in Ostmitteleuropa S.17
4 englisch ,,rump": 19. Jahrhundert die nach Abberufung der preußischen und österreichischen Deputierten dezimierte Frankfurter Nationalversammlung, die vom 6.-18. 6. 1849 in Stuttgart tagte.
5 Aus: 1848/49 Revolutionen in Ostmitteleuropa S.21
6 Aus: Helfert, Joseph Alexander Frh.:Revolutionen und Reaktionen im Spätjahre 1848S.19
7 Aus: 1848 im europäischen Kontext ; Matthias Middel:Europäische Revolution der Revolutionen in EuropaS.45
8 Aus: 1848/49 Revolutionen in Ostmitteleuropa, Aufsatz von Liszkowski, Uwe:Russland und die Revolutionen von 1848/49S. 344
9 griechisch: Herrschaft von fünf Großmächten- gemeint ist hier die Herrschaft von Russland, England, Frankreich, Österreich und Preußen in der Zeit von 1815-1860
10 Vgl. 1848/49 Revolutionen in Ostmitteleuropa; Péter Hanák:,,Die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Revolution in Ungarn"S. 243
11 Russland und Österreich hatten bereits 1833 das Bündnis von Münchengrätz geschlossen, dem später auch Preußen beitrat. Es sah unter anderem den Austausch von Polizeiinformationen und gemeinsam abgestimmte politische Maßnahmen gegen die polnische Unabhängigkeitsbewegung vor.
12 von Klimó: Nation, Konfession, Geschichte S. 10
13 von Klimó , S.13
14 Kant´s gesammelte Schriften
15 Vgl. Deutsches Fremdwörterbuch, 1. Band, S 409
16 Vgl. Anhang
17 Ungarischer Dichter geb.1823 wahrscheinlich 1949 gestorben Abb. S. Anhang
18 aus: 1848 im europäischen Kontext: von Klimó: ,,Die Bedeutung von 1848/49 für die politische Kultur UngarnsS. 206
19 aus: 1848 im europäischen Kontext: von Klimó: ,,Die Bedeutung von 1848/49 für die politische Kultur UngarnsS. 206
20 s. Abb. Anhang
21 Horváth= Kroate; Tóth= Slowake; Németh= Deutscher
- Arbeit zitieren
- Zaklina Nikolic (Autor:in), 2002, Die Revolutionen von 1848 in Ostmitteleuropa und der damit verbundene Geschichtskult, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107181