Inhalt
1. Einleitung
2. Politische Ausgangslage für die Gründung der Commission on Global Governance (CGG)
3. Geschichte der Kommission und Veröffentlichungen
4. Das Konzept der CGG: „Our global neighbourhood“
5. Institutionen und Akteure
6. Hindernisse und Probleme
7. Umsetzung des Konzepts
8. Ausblick
8.1. Die Bedeutung der Zivilgesellschaft
8.2. Das Konzept der Entschleunigung
8.3. Beschleunigte Wirtschaft
8.4. Arbeit und Globalisierung
9. Zusammenfassung und Appell
10. Bibliographie
1. Einleitung
Ich möchte in meiner Hausarbeit - an mein Seminarthema gebunden - zunächst die Commission on Global Governance (CGG) vorstellen, anschließend stichpunktartig ihr Konzept einer “neuen Weltordnungspolitik“, dann zur Umsetzung bzw. den damit verbundenen Hemmnissen schreiben und schließlich zum eigentlichen Teil der Arbeit kommen: zu meinen eigenen Überlegungen zum Phänomen Globalisierung; wobei ich natürlich nur einen Mikro-Ausschnitt dieses großen Themas bearbeiten kann. Ich habe mich für eine kleine Kapitalismuskritik entschieden - bzw. für ein Nachdenken über Alternativen zur kapitalistisch organisierten Arbeitswelt - und möchte für eine Politik der Entschleunigung plädieren, weil ich denke, dass diese Globalisierungsbefürworter als auch -gegner mit ihren scheinbar so konträren Zielen zumindest doch an einen Tisch bringen könnte.
2. Politische Ausgangslage für die Gründung der Commission on Global Governance (CGG)
Die Diskussion zum Thema Globalisierung gibt es nun schon seit Mitte der 70er Jahre.
Verstärkt geführt wird sie ab dem Ende des Kalten Krieges und konkretisiert sich ab dann in Fragen zur Schaffung einer „neuen Weltordnung bzw. Weltinnenpolitik“ oder „Global Governance“.
Der Ursprung zur Idee der sogenannten Globalisierung liegt begündet in den weltweiten Transformationsprozessen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges begonnen hatten: die Verbreitung der Kluft zwischen armen und reichen Menschen und Staaten, das Ende der Ost-West-Spannungen aufgrund der Blockkonfrontation, die Verdichtung des Weltmarktes, das Entstehen neuer Unruhe- und Konfliktherde - v.a. innerstaatliche und ethnische Konflikte - und - damit zusammenhängend - eine verstärkte Migration sowie die Verbreitung neuer Technologien.
Aus diesen Entwicklungen resultierte zunehmend die Erkenntnis, dass die Probleme, die diese Realitäten nach sich zogen, grenzüberschreitend wirken und dass zu deren Lösung neue Bündnisse der internationalen Zusammenarbeit notwendig sind.
Die Commission on Global Governance (Kommission für Weltordnungspolitik) wurde dann auch in eben diesem Bewusstsein gegründet, federführend von Willy Brandt. Schon im Vorfeld hatte dessen offensive Ostpolitik, sein Engagement für die Dritte Welt und sein Interesse an globalen Zusammenhängen mit zur Beendigung des Kalten Krieges geführt und damit zu der Hoffnung auf mehr Frieden und Gerechtigkeit in der Welt.
3. Geschichte der Kommission und Veröffentlichungen
Die ersten Schritte zur Gründung der CGG hatte Brandt im Jahre 1990 getan, indem er namhafte Politiker verschiedener Kommissionen an einen Tisch brachte; das tat er mit dem Ziel der Erarbeitung einer Vision, die der Regierbarkeit der veränderten Welt - oder im Sinne der GG gesprochen - der „Einen Welt“ dienen sollte. Die Teilnehmer dieses Kreises setzten sich zusammen aus der Unabhängigen Kommission für internationale Entwicklungsfragen, deren Vorsitzender er war, der Unabhängigen Kommission für Abrüstung und Sicherheit (Palme-Kommission), der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Kommission) und der Süd-Kommission.
Das Fazit des Brainstormings der Teilnehmenden war ein Bericht über die Möglichkeiten globaler Zusammenarbeit in Fragen multilateralen Vorgehens. Das wichtigst Thema sollte dabei die Internationalisierung von Außenpolitik - eigentlich aller Politikfelder - werden.
In der „Stockholmer Initiative zu globaler Sicherheit und Weltordnung“ 1991 folgte dann - unter Berücksichtigung des o.g. Berichtes - der Vorschlag zur Gründung der CGG. Die Arbeitsgruppe sprach sich dafür aus „eine internationale Kommission einzusetzen, die die
Möglichkeiten der Ausgestaltung eines effektiveren Systems der Weltsicherheit und Weltordnung (Governance) ... genauer beleuchten sollte“ (CGG-Konzept 1995, Übersetzung der SEF, Anhang, 1).
1992 kam es schließlich zur Gründung der Commission on Global Governance mit 28 Mitgliedern aus allen Teilen der Welt und mit Kurt Biedenkopf, Sachsens Ministerpräsidenten, als deutschen Vertreter. Die Kommission arbeitet ohne Anweisungen von Regierungen oder Organisationen. Den Vorsitz übernahmen Ingvar Carlsson (schwedischer Premierminister 1986-91 und erneut ab 1994) und Shridath Ramphal (afrikanischer Außen- und Justizminister 1972-75, Generalsekretär des Commonwealth 1975-90). Der damalige UN-Generalsekretär B. Boutros-Ghali begrüßte die Initiative und sicherte Unterstützung zu.
Im selben Jahr gründete sich auch die Stiftung für Entwicklung und Frieden (SEF) mit Brandt als Vorsitzenden. Das Institut arbeitet in Kooperation mit dem INEF (Institut für Entwicklung und Frieden) vor allem in Fragen der GG.
Auf den ersten beiden Sitzungen der CGG im September und Dezember 1992 wurden das Mandat und die Aufgabenbereiche der Kommission - die Mobilisierung des politischen Willens für multilaterales Handeln und die Ausgestaltung einer neuen Weltordnung - festgelegt.
Beim dritten Treffen im Mai 1993 wurden vier Arbeitsgruppen zu folgenden Themen gebildet: Globale Werte, Globale Sicherheit, Weltentwicklung und Weltordnungspolitik. Dabei ging es um die Erarbeitung gemeinsamer Rechte und Verantwortlichkeiten mit dem Ziel, für alle Menschen mehr Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand zu erreichen.
Insgesamt gab es elf Sitzungen der Commission on Global Governance, die hauptsächlich von der Arbeit in den Arbeitsgruppen, Diskussionen und der Konsensbildung gefüllt wurden, bevor 1995 das eigentliche Konzept - „Our global neighbourhood“ („Nachbarn in Einer Welt“ - Übersetzung der SEF; das Konzept wurde vom INEF nachträglich noch konkretisiert, vor allem bzgl. der Handlungsempfehlungen) - an die Öffentlichkeit kam. Anlässlich zum Jahrtausendwechsel erstellte die Kommission den Bericht „The millenium year and the reform process“.
4. Das Konzept der CGG: „Our global neighbourhood“
„Die Entwicklung einer Weltordnungspolitik ist Teil der Evolution menschlichen Bemühens, das Leben auf diesem Planeten zu organisieren. Es ist ein nie endender Prozess. Unsere Arbeit ist lediglich ein Zwischenhalt auf dieser Reise“ (CGG 1995).
Grundlagen des Konzepts:
-Nord-Süd-Kooperation
-Schaffung gemeinsamer Normen und Werte im Sinne einer “global neighbourhood”
-Verzahnung staatlicher und nicht-staatlicher Akteure bzw. institutionelle Reformen
-Stärkung des Multilaterismus
Das Konzept der Commision on Global Governance hat ausdrücklich nicht die Schaffung einer Weltregierung zum Ziel. Vielmehr geht es der Kommission um die Entwicklung einer neuen Weltordnungspolitik oder aber um das Finden eines Gleichgewichts, das dem Interesse aller Menschen an einer auf Nachhaltigkeit angelegten Zukunft entspricht, das von menschlichen Grundwerten geleitet wird und welches die weltweite Organisation mit der bestehenden globalen Vielfalt in Einklang bringt.
„Der Bericht (...) ist weder eine akademische Forschungsarbeit noch ein Handbuch für internationale Angelegenheiten. Er ist in erster Linie ein Aufruf zum Handeln, der auf der Beurteilung der Weltlage durch die Kommission basiert (...). Wir (die CGG) geben viele, zum Teil ziemlich radikale Empfehlungen zur Förderung der Sicherheit des Menschen und des Planeten“ (CGG 1995).
Die vier Bereiche der Ordnungspolitik, die für die CGG für das neue Weltzeitalter der Einen Welt am wesentlichsten sind:
1. Förderung der Sicherheit
2. Management wirtschaftlicher Interdependenzen
3. Reform der Vereinten Nationen (UN)
4. Stärkung weltweiter Rechtsstaatlichkeit
Das CGG-Konzept zur Förderung der Sicherheit (1):
- Sicherheit f ü r ein neues Zeitalter: Der Sicherheitsbegriff soll im Sinne der Globalität für Menschen, Erde und Staaten gleichermaßen gelten. Die UN-Charta sollte dahingehend geändert werden, dem Sicherheitsrat in extremen Gefährdungssituationen ein gezielteres Eingreifen zu ermöglichen.
- Fr ü hzeitiges Erkennen von Krisen: Stärkung des präventiven Sicherheitsansatzes. Sammlung von Informationen über Trends und Situationen, die zu Gewaltkonflikten oder humanitären Tragödien führen können.
- Reaktion auf Krisen: Stärkere Nutzung des Art. 33 der UN-Charta zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten. Integrität des UN-Oberbefehls unter Einsatz von Beratungsauschüssen. Aktivierung des Generalstabsauschusses, um dem Sicherheitsrat militärische Informationen und Beratung zur Verfügung zu stellen. Bildung einer UN- Freiwilligentruppe von maximal 10.000 Mann. Bereitstellung höherer Mittel zur Friedenssicherung.
- Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen: Bekräftigung der internationalen Gemeinschaft zur Abschaffung von Kernwaffen innerhalb von zehn bis fünfzehn Jahren. Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages. Teststoppvertrag. Breitere Konvention über Bio- und Chemiewaffen.
- Entmilitarisierung: Verringerung globaler Militärausgaben und des Waffenhandels. Aufbau eines Entmilitarisierungsfonds. Einführung eines weltweiten Verbots der Herstellung und des Exports von Landminen.
Das CGG-Konzept zum Management der wirtschaftlichen Interdependenz (2):
- Rat f ü r Wirtschaftliche Sicherheit: Schaffung eines Rates für Wirtschaftliche Sicherheit (RWS) im Rahmen der UN zur Übernahme einer politischen Führungsrolle und um den Konsens in weltwirtschaftlichen Fragen sowie in Fragen einer ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung zu fördern. Der Rat sollte sich ebenso um Fragen und Probleme multinationaler Wirtschaftsinstitutionen kümmern.
-Handel: Erlass von Gesetzen zur Umsetzung der Vereinbarungen der Uruguay-Runde, des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens und zur Gründung der Welthandelsorganisation. Förderung eines offenen Handelsregionalismus. Einrichtung eines Amtes für Globalen Wettbewerb als Aufsichtsbehörde. WTO und UN sollten deutlichere Regeln für internationale Investitionen aufstellen, durch welche Direktinvestitionen erleichtert werden sowie einen Verhaltenskodex und ein System zur Akkreditierung und Registrierung transnationaler Unternehmen schaffen. Aufstellung globaler Regeln für eine liberalere und ausgewogenere Ordnung im Telekommunikations- und Multimediawesen.
-IWF und Stabilit ä t der Weltwirtschaft: Stärkung des IWF, indem er die Möglichkeit erhält, bei Zahlungsbilanzproblemen stärkere Unterstützung zu gewähren, die Politik in den großen Volkswirtschaften zu überwachen, eine Neuauflage von Sonderziehungsrechten durchzuführen (1970 im Verkehr der IWF-Länder eingeführte Kredite - bereitgestellt für eine definierte Zeit zu günstigen Konditionen oder auch zinslos - , um bei z.B. Zahlungsbilanzengpässen Zusammenbrüche von Finanzmärkten zu verhindern) und die Stützung nominaler Wechselkurse zu verbessern. Demokratischere Ausgestaltung der Bretton Woods-Institutionen.
-Entwicklungshilfe: Erreichen der Zielvorgabe von 0,7% des BIP. Stärkung von Weltbank und IDA (International Development Agency). Mobilisierung von Hilfsgeldern und Nachweis erzielter Leistungen durch eine größere Entkoppelung der öffentlichen Hilfe von Zweckbindungen, damit die Empfängerstaaten die Gelder für den günstigsten Anbieter verwenden können, sowie eine stärkere gemeinsame Finanzierung durch Regierungen und NGO´s. Radikalere Schuldenreduktion für einkommensschwache Länder.
-Migration: Stärkere Koordinierung bzgl. Migrationsfragen.
-Umwelt: Förderung der Richtlinien der Agenda 21. Betreiben einer Umweltpolitik, die marktwirtschaftliche Instrumente wie Umweltsteuern und handelbare Zertifikate einsetzt und sich zur Anwendung des Verursacherprinzips verpflichtet.
-Finanzierung: Prüfung einer internationalen Steuer auf Devisentransaktionen (Tobin- Steuer) und Schaffung einer Besteuerungsgrundlage für multinationale Unternehmen. Gebührenerhebung für die Nutzung globaler Gemeingüter wie Flugkorridore, Schifffahrtswege, ozeanische Fischereigebiete und Strom. Rückführung der Erlöse in globale Zwecke.
Das CGG-Konzept zur Reform der Vereinten Nationen (3):
-Sicherheitsrat: Erweiterung des Sicherheitsrates - um ihn repräsentativer zu machen - durch Änderung der ständigen Mitgliederstaaten (je zwei Mitglieder aus Industrienationen und je eines aus Afrika, Asien und Lateinamerika; ursprüngliche Verteilung: China, Frankreich, GB, Russland und USA), durch Verzicht auf deren Vetorecht und durch Anhebeung der nicht-ständigen - rotierenden - Mitglieder (außer in Ausnahmesituationen); im Jahre 2005 vollständige Überprüfung der Zusammensetzung des Sicherheitsrates und endgültige Abschaffung des Vetos.
-Generalversammlung: Neubelebung als „Forum der Völker der Welt“ und Vereinfachung und Rationalisierung der Tagesordnung.
-Treuhandrat und Zivilgesellschaft: Neues Mandat für den Treuhandrat: Treuhandschaft und globale Gemeingüter. Einberufung eines Forums der Zivilgesellschaft mit Einbeziehung eines breiten Spektrums akkreditierter Organisationen im Vorfeld der alljährlichen Sitzung der Generalversammlung. Einräumen eines neuen „Petitionsrechts“ für die internationale Zivilgesellschaft, damit sie die UN auf sicherheitsgefährdende Situationen aufmerksam machen kann sowie die ergänzende Einrichtung eines Petitionsrates.
-Wirtschaftlicher und sozialer Sektor: Mehr Effektivität und Effizienz. Abwicklung des ECOSOC (Economic and Social Council). Straffung der Generalversammlung. Auflösung von UNCTAD (UN Conference on Trade and Development) und UNIDO (UN Industrial Development Organisation); siehe (2): Schaffung eines Rates für Wirtschaftliche Sicherheit. Stärkung von Frauenrechten und Einsatz von hochrangigen Beraterinnen im UN-Entscheidungs-System.
-Regionalismus: Prüfung, ob regionale Wirtschaftskommissionen noch Sinn machen. Stärkung der Organisationen für regionale Zusammenarbeit.
- Sekretariat und Finanzierung: Begrenzung der Amtszeit des Generalsekretärs auf einmalig sieben Jahre. Konsequente Aberkennung des Stimmrechtes - gemäß UN-Charta
- für die Länder, die ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen. Der UN- Haushalt sollte nicht mehr auf zu große Beiträge eines einzelnen Landes angewiesen sein.
Das CGG-Konzept und die Stärkung der weltweiten Rechtsstaatlichkeit (4):
-St ä rkung des V ö lkerrechts: Anerkennung der verbindlichen Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes durch alle UN-Mitglieder. Richter sollten für eine einmalige Amtszeit von zehn Jahren ernannt und regelmäßig überprüft werden. Ermutigung der Staaten, in Vereinbarungen und Verträgen Bestimmungen über die Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten aufzunehmen. Die UN sollte sich bereits im Frühstadium von Streitigkeiten beim Internationalen Gerichtshof Rat holen dürfen.
-Sicherheitsrat: Ernennung eines angesehenen Juristen als unabhängigen Berater bei völkerrechtlichen Entscheidungen. Hinzuziehung von Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes in Völkerrechtsfragen.
-Durchsetzung des V ö lkerrechts: Schaffung eines Internationalen Strafgerichts mit unabhängigen Strafverfolgern. Unterstützung finanzschwacher Staaten zur Erfüllung des Völkerrechts. Durchsetzen von nicht freiwillig eingehaltenen Urteilen mittels des Sicherheitsrates.
Das Konzept der Commission on Global Governance ist insgesamt ein visionäres Werk. Es beinhaltet ein hohes Potenzial an Möglichkeiten, vor allem was Veränderungen hin zu mehr Demokratie und Multilaterismus betrifft. Allerdings ist das Potenzial auch stärker als das, was der Inhalt dann übrig lässt, denn zwangsläufig sind die Vorschläge eben nur Vorschläge. Was bleibt, ist die Bereitschaft oder auch Nicht-Bereitschaft zur Umsetzung durch die angesprochenen Institutionen bzw. Akteure. Viele Vorschläge sind nicht neu und hängen nach wie vor vom politischen Willen - und dem der dazugehörenden Interessengruppen - ab. Neben diesem muss auch der Faktor Zeit mit berücksichtigt werden. Der planerische Aufwand für die Durchsetzung notwendiger Kommunikation bzw. die Organisation von „Entscheidungsträger“-Treffen setzt einen enormen Geduldsvorrat voraus.
Das Konzept lässt sich idealistisch lesen und kann in diesem Fall begeistern und motivieren, mit den harten Fakten der globalen Realität im Hinterkopf allerdings - vor allem dem der bestimmenden Macht der Wirtschaft - folgt die Ernüchterung auf dem Fuße. Wie soll ein solch hochkomplexes System wie die „ganze Welt“ mit all ihren Bereichen - um nur einige zu nennen: Kultur, Religion, Politik, Sprache, Wirtschaft - eine Ordnung finden?
5. Institutionen und Akteure
„Die Welt braucht Führer, die durch Visionen gestärkt sind, die von Ethos getragen sind und die den politischen Mut haben, auch über die nächste Wahl hinaus zu denken.“ (CGG 1995, Kap. 7, 9)
Hauptakteure:
-UN und Staaten
-Wirtschaft
-Zivilgesellschaft
Die Hauptakteure im Konzept der CGG sollen neben der UN nach wie vor die Staaten bleiben, allerdings in verstärkter Kooperation mit anderen Institutionen und Organisationen wie NGO`s und Politiknetzwerken.
Wichtig für die Kommission ist die Notwendigkeit einer politischen Führung, denn sie beklagt einen Mangel an Führung in weiten Teilen der Gesellschaft. Dies kann jedoch „keine auf die eigenen vier Wände beschränkte Führung sein. Sie muss über Länder, Rassen, Religionen, Kulturen, Sprachen und Lebensstile hinwegreichen. Sie muss von einem tiefen Gefühl der Menschlichkeit getragen und von Hilfsbereitschaft für andere durchdrungen sein, sie bedarf eines Gespürs der Verantwortung gegenüber der Einen Welt.“ (CGG 1995, Kap. 7, 10).
Wie dies konkret aussehen soll, bleibt allerdings unbeantwortet.
Diese gottähnlich anmutende Führung - was ihr immenses Aufgabenspektrum betrifft - meint nicht allein die höchste nationale und internationale, sondern eine aufgeklärte Führung auf jeder gesellschaftlichen Ebene: von Bürgerbewegungen über transnationale Gruppierungen bis hin zu den Medien. Jeder Lebensbereich gehört organisiert und angeleitet, damit ein Umdenken zustande kommen kann.
Die Aufgabe der Führer besteht ideellerweise darin, die innenpolitischen Forderungen nach nationalen Maßnahmen und die zwingenden Erfordernisse der internationalen Zusammenarbeit miteinander in Einklang zu bringen bzw. es müssen die Prinzipien der Souveränität und der Nichteinmischung so angepasst werden, dass ein Gleichgewicht zwischen den Rechten der Staaten und denen der Menschen, zwischen den Interessen von Nationen und denen der Welt entsteht. Dabei sollen die einzelnen Bürger von diesen Führern warhafte Informationen - Aufklärung - verlangen, anstatt, „als Alternative die Menschheit im Krieg mit sich selbst zu akzeptieren“ (CGG 1995, Kap. 7, 11).
Die Kommission schreibt weiter: „Die Notwendigleit von Führung wird heute in ganz besonderem Maße empfunden, und das Gefühl, ihrer beraubt zu sein, ist Ursache von Unsicherheit und Instabilität“ (CGG 1995, Kap. 7, 10). Meiner Meinung nach trifft das den Kern nicht. Vielmehr könnte hier der Begriff der „Führung“ mit dem der „Sicherheit“ bzw. „Gerechtigkeit“ ausgetauscht werden, um die Ängste vieler Menschen vor allzu zahlreichen und einschneidenden Veränderungen zu beschreiben.
6. Hindernisse und Probleme
Eigenlogik von Nationalstaaten bzw. asymetrische Machtinteressen:
-größeres Interesse an kurzfristigen strategischen Gewinnen statt an längerfristigen ergebnisorientierten Kooperationen
-Besitzstandswahrung, Hegemonialpolitik, Blockierung von Reformen durch Hinhaltetaktik bzw. Trägheit
-mangelnde Umsetzung der Klimakonventionen
-mangelnde finanzielle Ressourcenmobilisierung
Eigendynamik von Nationalstaaten bzw. Steuerbarkeits- und Steuerungsprobleme:
-uneinheitliche Gesetzgebung
-mangelnde Kenntnis bzw. Fetischisierung des Finanzwesens
-Instabilität der Weltfinanzmärkte
Kulturelle Unterschiede:
-Fehlen gemeinsamer Normen, Werte und Prinzipien
-uneinheitliches Demokratieverständnis
-unterschiedliche Gewichtung und Umsetzung von Menschenrechten
-(kriegerische) Konflikte
Organisationsprobleme in den Institutionen:
-unzureichende Vernetzungskultur
-langsam fortschreitende Verzahnung innen- mit außenpolitischen Institutionen
Die Vielzahl von Unstimmigkeiten, Hindernissen und ungleichen Rahmenbedingungen machen eine Konsensbildung der verschiedenen Institutionen und Entscheidungsebenen - abgesehen von den nationalen Unterschieden und Interessen - schwierig und es besteht die Gefahr, dass mögliche Ergebnisse lediglich Kompromisse und allgemeingültige Empfehlungen bleiben.
7. Umsetzung des Konzepts
Für die ganze Welt gesprochen steht der Prozess der Gestaltung der Globalisierung noch ziemlich am Anfang, „aber es entwickeln sich Elemente einer „Global Governance- Architektur“ (Messner/Nuscheler 1997)1, die zur Veränderung der Politik, der Rolle der Nationalstaaten, der Zivilgesellschaft, der intra- und supranationalen Organisationen und Regime sowie der Demokratieformen führen“ (Globale Trends 2000, 476) können. Neben Diskussionsveranstaltungen und (Welt-)Konferenzen gab und gibt es zahlreiche Kooperationen und Organisationen zum Thema GG und ihren Möglichkeiten (siehe z.B. www.globalpublicpolicy.net) sowie sich andererseits inzwischen auch eine breite Bewegung gegen eine zu einseitige Orientierung „der Globalisierung“ auf wirtschaftliche Interessen bzw. imperialistische Bestrebungen formiert hat (siehe z.B. www.attac.org / www.attac-netzwerk.de)2
Meiner Meinung nach haben die Idee und der Diskurs der Inhalte von Global Governance die Köpfe und Institutionen erreicht. Den Nutzen aus den Inhalten von Global Governance hat bisher allerdings nur die (Geld)Wirtschaft gezogen, für die eine in Eigeninteressen geschaffene neue Weltordnungspolitik zur Folge hat, ihren Macht- und Einflussbereich zu erweitern, einen breiteren Markt beackern und mehr Menschen als billige Arbeitskräfte dafür einspannen zu können.
„Globalisierung und weltweite Ungleichheit hängen zusammen“ (Financial Times Deutschland, 25.2.2000) - an diesen „Grundsatz“ oder diese Tatsache sollten sich die Entscheidungsträger, Vorantreiber und Befürworter von GG nicht gewöhnen.
Laut des im November 1999 veröffentlichten Berichts der CGG „The millenium year and the reform process“ ist seit der Publikation des 1995er-Konzeptes „Our global neighbourhood“ - gemessen an den weltweiten Entwicklungen - nicht sehr viel passiert.
Folgendes ist in Gang gekommen:
-breiterer Diskurs zum Thema Global Governance
-Konsens, dass Mangel und Armut ebenso als humanitäre Sicherheitsgefährdungen angesehen werden müssen wie Gewalt und Krieg
-Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes
-Internationales Abkommen gegen Landminen
-Verbesserungen in Management und Koordination
-Schuldenerlasse
Im Großen und Ganzen haben sich die UN-Mitgliedstaaten jedoch weniger kooperativ gezeigt als von der CGG erwartet. In den von der Generalversammlung organisierten - oft hinausgezögerten - Diskussionen kamen nur dürftige Vereinbarungen zustande; jedoch nichts bindendes.
Folgendes muss noch in Gang kommen:
-Schaffung einer Weltwirtschaftsordnung: Die Globalisierung hat die Möglichkeiten für Handel und Investitionen zwar gestärkt, von denen auch viele profitierten, doch ohne adäquate Regelungen drohe Instabilität, z.B. durch juristische Schlupflöcher. Staaten würden anfälliger für Schocks und viele würden an den Rand gedrängt, die Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter wachsen.
-Entwicklungshilfe: reiche Staaten fahren Hilfe immer mehr zurück, während die Zahl der sehr armen Menschen - die mit einem US-Dollar oder weniger am Tag auskommen müssen - weiter ansteigt.
-UN-Finanzierung: Haushalt reicht nicht mehr aus.
-UN-Reform: Erweiterung des Sicherheitsrates um „Entwicklungsländer“ und Abschaffung des blockierenden Vetorechts der fünf ständigen Mitgliedsländer
-Militär: Stärkung der UN-Autorität und Verbesserung der Arbeit des Sicherheitsrates.
Interessanterweise liegt der Akteurs-Fokus nicht mehr wie noch im Konzept von 1995 bei den UN und den Nationalstaaten, sondern inzwischen bei der Zivilgesellschaft und der Weltwirtschaft.
Zur Zivilgesellschaft:
Freiwillige arbeiten in NGO´s und anderen Organisationen in Krisengebieten, setzen sich für Menschenrechte ein, leisten Entwicklungshilfe und engagieren sich in Bereichen der Vorsorge, wie Gesundheit und Ausbildung. Laut der CGG profitieren nationale Regierungen und internationale Organisationen nur dann von der Zusammenarbeit mit diesen Gruppen, wenn sichergestellt wird, dass auch Menschen aus Entwicklungs -und Schwellenländern Mitspracherecht haben. Auch sollten Regierungen, Organisationen und NGO`s in gemeinsamer Verantwortung und in größtmöglicher (öffentlicher) Transparenz arbeiten.
Zur Weltwirtschaft:
Seit dem 1995er-Bericht der CGG findet ein steter ökonomischer Aufschwung statt, jedoch begleitet vom Deutlichwerden der Kehrseite: Asienkrise, Zusammenbruch der Wirtschaft Russlands, Rezession in Lateinamerika, große Armut in breiten Teilen der Bevölkerung Chinas und Indiens (wenngleich es diesen Staaten insgesamt besser geht), „Dauertragödie“ Afrika etc.
Eine globale Aufgabe wäre die Entwicklung einer weltweiten ökonomischen Wissenskultur auf Basis moderner Informations- und Kommunikationstechnologien. Das Problem liegt hier wiederum in den eingeschränkten Zugriffsmöglichkeiten der ärmeren und ärmsten Länder, so dass eine erneute Verbreiterung der Wohlstandskluft zu befürchten ist.
Korruption gilt als ein weiterer tragender Faktor für die Aufrechterhaltung von Armut.
Insgesamt seien die Chancen für Refomen verblasst.
Vorschläge der CGG:
-Beachtung von Nachhaltigkeit in allen Entscheidungen
-Bildung eines Wirtschaftssicherheitrates
-Regulierung der Finanzmärkte
-Verstärkte Gespräche zwischen den G8-Ländern und einer wachsenden Anzahl von
Entwicklungsländern (G8+ meetings) sowie schnellere Schuldenbereinigung für HIPCLänder (High Indebted Poor Countries).
Der Millenium-Gipfel der UN im September 2000 befasst sich mit dem im März desselben Jahres vorgelegten Bericht „We the peoples. The role of the UN in the 21st Century“.
In dem umfassendsten Report seit Gründung der Vereinten Nationen weist Generalsekretär Kofi Annan auf drängende Herausforderungen hin und schlägt neue - auf Direkthilfe ausgerichtete - Initiativen vor:
-Volunteer corps: UN Information Technology Service (UNITS): Unterstützung von Entwicklungsländern bzgl. Internet- und Technologienutzung.
-Health InterNetwork: Bereitstellung aktueller medizinischer Information über die Einrichtung von Web-Seiten in Krankenhäusern und Kliniken in Dritte-Welt-Ländern.
-Disaster response initiative “First on the ground”: Lieferung von Handys und Mikrowellen in Krisen- und Katastrophengebiete.
-Global policy network: Untersuchung und konstruktives Angehen des Problems Jugendarbeitslosigkeit.
Weiterhin gibt der Bericht Empfehlungen und Zielvorschläge an Regierungsoberhäupter und Staaten - zum Teil mit sehr konkreten Inhalten und Zeitvorstellungen - zu folgenden Themen:
-Freedom from want - the Development Agenda: Armutsbekämpfung: gerechtere Wasseraufteilung, Ausbildung, AIDS-Prävention, Schuldenerlasse etc.
-Freedom from fear - the Security Agenda: Förderung der Sicherheit: Schwergewicht auf Friedensoperationen, „Verschlankung“ der Armeen etc.
-A sustainable future - The environmental Agenda: Durchsetzen der Klimakonventionen.
-Renewing the UN: mehr Effektivität!
Im Akteurs-Fokus der Initiativen und Empfehlungen stehen die Global Public Policy Networks (GPPN), also die Zusammenarbeit des
-öffentlichen Sektors (lokale, nationale und staatliche Regierungen sowie internationale Gruppierungen aus Regierungsorganisationskreisen - sogenannte intergovernmental groups),
-privaten Sektors (Handel und Industrie) und der
-Zivilgesellschaft (insbesondere NGO´s).
Es besteht also erneut Konsens darüber, dass den Staaten und Regierungsinstitutionen alleine die Reichweite, Geschwindigkeit und notwendige breite Wissensbasis fehlt, um angemessene und effektive Entscheidungen treffen zu können. Die detaillierte(re)n Ausführungen in dem Bericht lassen eine drängendere Ungeduld - oder aber Hilflosigkeit - bzgl. der Umsetzung der „Vision Global Governance“ erkennen.
Hier dreht es sich dann auch fast ausschließlich um die konkrete praktische Unterstützung von ärmeren oder krisengebeutelten Ländern sowie um längerfristige prophylaktische Hilfe (medizinischer Bereich, Ausbildung).
8. Ausblick
Bei dem Versuch eines möglichen politischen Ausblicks in die Zukunft einer globalisierten Welt möchte ich zwei für mich zentrale Themen herausstellen: zum ersten wiederholt die Notwendigkeit der Einbeziehung zivilen Engagements bzw. der Zivilgesellschaft als Hauptakteur für an der Realität orientierte Veränderungen im Sinne der GG und zweitens die Idee bzw. Vision der „Entschleunigung“ als Lösungsansatz für globale Probleme. Damit zusammenhängend werde ich am Schluss Alternativen zur gegenwärtigen Form des Kapitalismus vorstellen, die die Entschleunigungsidee in unterschiedlichen Ausprägungen aufgreifen. Dabei möchte ich mich hauptsächlich dem Faktor Arbeit - ein tragendes Subsystem im kapitalistischen Gesellschaftssystem - widmen und mögliche Veränderungen dieses Systems im Sinne des Gerechtigkeits- und Nachhaltigkeitsanspruchs andeuten.
8.1. Die Bedeutung der Zivilgesellschaft
Die Erkenntnis, dass die Schieflagen und Probleme unserer Welt grenzüberschreitend sind und das zu deren Lösung neue Bündnisse der Zusammenarbeit vonnöten sind, ist zehn Jahre nach Gründung der Commission on Global Governance noch genauso aktuell. Die konkrete Ausgestaltung eines effektiveren Systems der Weltsicherheit und -ordnung und vor allem ihre Umsetzung lässt auf sich warten und ich denke, auch in Zukunft. Veränderungen in solchen Größenordnungen brauchen Zeit.
Das Beispiel der neuen Informationstechnologien mag das illustrieren. Die Computerindustrie verspricht die tollsten Möglichkeiten - eine bessere und schnellere Kommunikation, totale Informationsfreiheit, Kreativität, Zeitersparnis etc. - doch viele können mit den Neuerungen nicht mithalten - wenden sich ab oder geraten in Stress - und vieles ist schlichtweg illusorisch. Der Mensch braucht Zeit und Muße, um den Nutzen und die Anwendungschancen für sich selbst zu erkennen; oder aber um zu erkennen, was er nicht braucht.
So auch und gerade - geht es doch alle Menschen an - bei der so genannten Globalisierung. Vor- und Nachteile müssen bedacht und öffentlich diskutiert werden, bevor es darum gehen kann, konkrete Maßnahmen zu ergreifen und gesamtgesellschaftliche Veränderungen zu zementieren.
Die UN tun gut daran - auch die Staaten, Regierungen und Großorganisationen - sich an die Zusammenarbeit und den Austausch mit NGO´s und anderen kleineren und größeren Gruppierungen der zivilen Gesellschaft zu halten und diese Kontakte auszubauen, denn diese sitzen und arbeiten an der Basis und haben direkten Kontakt zu den Menschen, ihrem unmittebaren Lebensumfeld und den akuten Problemen. Dadurch können diese Gruppen konkrete Lösungsansätze erarbeiten, Selbsthilfe anbieten und gleichzeitig die Vorreiterrolle für Entscheidungen im globalen Maßstab besetzen. Vorausgesetzt natürlich, Entwicklungsländer und Allerärmste werden beteiligt.
Ein Beispiel: Die Vereinigung der Kleinbauernkooperativen (UGC) in Mosambik hat sich 1981 aus 24 Kooperativen gegründet um die Eigenversorgung zu sichern und zur Bekämpfung des Hungers in der Hauptstadt beizutragen und gilt heute als eines der wenigen gut funktionierenden Selbsthilfe-Entwicklungsprojekte in Afrika. Die Vereinigung hat einen eigenen Vertrieb, ein Ausbildungszentrum, Grundschulen, Kitas und einige Gesundheitsstellen. Die UGC arbeitet mit Gewinn und versorgt rund 6000 Familien. 95 Prozent der Mitglieder sind Frauen.
Wie so oft in sich entwickelnden Ländern spürt das Gros der Bevölkerung so gut wie nichts vom wirtschaftlichen Aufschwung (Gelder versickern, Korruption), so dass Projekte wie diese Foren darstellen, an der Basis der Gesellschaft Einkommen und Direkthilfe zu sichern.
8.2. Das Konzept der Entschleunigung
Der Vision von Global Governance als ein effektiveres Weltsicherungs und - ordnungssystem möchte ich nun die Vision einer entschleunigten Welt hinzufügen. Ich denke, die folgenden Überlegungen und Ansätze zur Umkehr der weltweiten Beschleunigung aller Lebensbereiche könnte der Global Governance-Bewegung positive Denkansätze bieten, denn letztendlich geht es ja darum tragfähige Perspektiven zu entwickeln, um die Handlungsdefizite der Staaten und die Mängel der reinen Marktsteuerung zu überwinden. Beide Schwierigkeiten bestehen auch deshalb, weil den einzelnen Subsystemen die Fülle der Entwicklungen, Neuerungen und zu fällenden Entscheidungen in ihrer Schnelligkeit über den Kopf wachsen.
Die Idee der weltweiten „Entschleunigung“ als Lösungsansatz für globale Probleme entspringt der Überlegung bzw. Erkenntnis, dass der Mensch als Reaktion auf sein oft maßloses Streben nach Zerstreuung, Macht und (Geld-)Gier, auf Neid und auf seine Angst vor der eigenen Begrenztheit und Endlichkeit sich selbst, andere, Gesellschaften und die Natur schädigt. Nachhaltig. Das alles tut er aus dem Zwang heraus, weiterhin bestehen und überleben zu wollen, was ihm in einer Welt, die sich mehr und mehr „beschleunigt“ - in fast allen Lebensbereichen - und damit klassische identitäts- und sinnstiftende Werte wie z.B. Familienzusammenhalt, Freundschaften und Traditionen langsam zum aufweichen bringt, immer schwieriger erscheint und faktisch auch ist.
Das betrifft die Menschen in den Industrieländern genauso wie die in den Schwellen- und Enwicklungsländern; wenn auch die Motivation und Bedrohung der Ärmsten eine fundamentalere und realere ist. Den Norden beherrscht die existentielle Angst, im wirtschaftlichen Wettrennen nicht mithalten zu können und Marktanteile zu verlieren, während im Süden die lebensbedrohliche Angst besteht, sich bei Krankheit und im Alter nicht ausreichend versorgt zu wissen. Beides treibt die Menschen in ähnlicher Weise immer tiefer in (ökologische) selbstzerstörerische Handlungsmuster hinein. Der Norden ignoriert die Grenzen und überschreitet die Kapazitäten der Erde durch eine Überproduktion von Materiellem - also von Gütern samt der dazugehörenden Produktions-, Vertriebs- und Verkehrseinrichtungen, der Süden tut dasselbe durch die „Produktion“ von Menschen - mit der Folge der Überbevölkerung. Psychologisch betrachtet sind das nachvollziehbare (Angst)Reaktionen, aus ökologischem oder evolutionärem Blickwinkel jedoch nicht, wenn man sich ihre Auswirkungen anschaut.
Hinzu kommt, dass aus subjektiv empfundener Existenzbedrohung Unsicherheit erwächst und der Mensch mehr und mehr unter Stress und Zeitnot steht, denn er gönnt sich keine Ruhepausen mehr. Das ist das Lebensgefühl in hochindustrialisierten Staaten und wird es zunehmend auf der ganzen Welt.
Die Folgen für das Gesamtsystem Mensch, Gesellschaft/Kultur und Natur sind vielfältig (Beispiele)3:
Menschen: Zunahme so genannten Zivilisationskrankheiten (Stress, Herz-Kreislauf- Erkrankungen, Allergien, Krebs, Unfruchtbarkeit), psychischer Auffälligkeiten (Ängste, Depressionen, emotionale und geistige Verarmung, Konsumsucht, Spaß- und Gewaltkult) und sozialer Defizite (Risikofamilien, Mobbing, Egozentrismus, Rechtsextremismus) Gesellschaften/Kulturen: Zunahme von sozialer Ausgrenzung (innerhalb und zwischen industrialisierten Gesellschaften sowie zwischen diesen und der Dritten Welt), Gewalt (Kriminalität, Fundamentalismus, Terror, Krieg) und Spannungen zwischen und innerhalb Generationen (kippender Generationenvertrag, Zukunftsangst bei Kindern, Jugendwahn)
Natur: Schwinden der „Ressourcen“ (Aussterben von Tieren und Pflanzen; Knappheit von Wasser, fossilen Brennstoffen und Metallen; Mangel an menschlicher Einsicht und Vernunft) und Vergiftung des Planeten (Radioaktivität, Schwund der Ozonschicht, Treibhauseffekt, Verkehr).
In Anbetracht dieser beschriebenen Auswirkungen unseres schnellen Lebens bleibt nur, das Tempo zurück zu fahren. Reheis nennt das „Zeitpolitik“ betreiben: „Zeitpolitik muß die künstliche Beschleunigung evolutionär entstandener Prozesse durch abgestufte Eingriffe stoppen bzw. die Entschleunigung einleiten. Bezogen auf die drei Ebenen Mensch, Natur und Kultur/Gesellschaft heißt das: Die Eigenzeiten des Menschen werden geschützt, indem das Handeln auf das Ziel der Gesundheit hin orientiert wird. Die Eigenzeiten der Natur werden ernst genommen, indem das Handeln auf das Ziel der Nachhaltigkeit hin orientiert wird. Und die Eigenzeiten der Kultur/Gesellschaft verlangt die Orientierung des Handelns auf das Ziel der Gerechtigkeit.“ (Reheis 1998, 215)
8.3. Beschleunigte Wirtschaft
Zurückkehrend und bezogen auf unser Thema „Global Governance“ - das Thema Globalisierung überhaupt - sind letztendlich die Industriestaaten, aber insbesondere die Wirtschaft gefragt, ihr aggressives Markt-, Produktions- und Finanzverhalten grundlegend zu verändern. Mit dem ökonomischen Vorgaben steht und fällt die Zukunft der Einen Welt. Die Wirtschaft scheint zudem der Bereich zu sein, aus dem die größten Widerstände kommen, wenn es um soziale Gerechtigkeit und Mäßigung, z.B. in der Einhaltung von (Sicherheits-)Standards für Arbeitnehmer oder im Ressourcenverbrauch, geht. Was soll eine neue Weltordnung bringen, die die Welt in Unordnung lässt, weil weiterhin Ungerechtigkeit, Armut und Ausbeutung vorherrschen? Schon zu viele
Entwicklungsländer eifern den Idealen der Industriestaaten - grenzenlose Mobilität und schneller Konsum - nach und setzen damit auf das falsche Pferd. Zumal auch „bei uns“ immer mehr Menschen aus dem Wohlstandsraster fallen bzw. längst gefallen sind. Stichwort Nachhaltigkeit. Die Industrie sollte sich die/der Frage stellen, wer all die unzähligen überflüssigen Produkte braucht (deren Notwendigkeit oder Bedürfnis danach den Menschen erst durch die Werbeindustrie suggeriert werden muss - mittels Images, Klischees, Halbwahrheiten und Lügen), wer sie von was kaufen soll und vor allem, wo der Müll anschließend bleibt? Ganz zu schweigen von den Rohstoffen, die für deren Herstellung benötigt werden.
Was ist Sinn dieser Massenproduktion? Aus einer Mark zwei machen, wahrscheinlich ist es dieses banale Prinzip, immer mehr produzieren mit immer größerem Gewinn; und dann schnell an die Börse; spielen.
Doch ein verändertes globales Verhalten setzt ein verändertes globales Denken voraus; Denken überhaupt einamal. Dabei ist, betrachtet man die (Bevölkerungs)Masse und die Macht der global players, Skepsis angebracht. Die Gesetze der marktwirtschaftlich- kapitalistischen Welt und ihre Wegwerfmentalität scheinen sich durchgesetzt zu haben.
Mit Entwicklungshilfe darf nicht gemeint sein, dass die Reichen den Armen den Kapitalismus einfach drüberstülpen oder dass diese Länder ihrerseits dieses System als das alleingültige und selig machende akzeptieren - obwohl ihnen bzgl. der Gewährung von Unterstützung momentan ja nichts anderes übrig bleibt. Vielmehr sollten die führenden Hilfsorganisationen genau hinschauen, was wo, wozu und zukünftig gebraucht wird. Auch ist es eine Illusion zu glauben, der westliche Produktionsstand sei für die armen Regionen auch nur annähernd zu erreichen; und wenn auch nur etwas annähernd, dann auf Kosten der kulturellen und gesellschaftlichen Identität und auf Kosten der Natur.
8.4. Arbeit und Globalisierung
Am Schluss meiner Hausarbeit möchte ich - gemäß der im Seminar besprochenen Aufgabenstellung - ein Politikfeld beleuchten, es mit unserem übergeordneten Thema in Zusammenhang bringen und den daraus resultierenden „Appell“ an die betreffende Institution adressieren.
Mich interessiert speziell das Thema Arbeit und dessen Organisation sowie die Organisation des „allgemeinen Lebens“ und - damit zusammenhängend - natürlich auch das Gesellschaftssystem, in dem Arbeit und Leben stattfindet. Ich meine dass viele - auch globale - Probleme zumindest zum Teil abwendbar wären, wenn unser - das der industrialisierten Länder und Staaten (die Arbeitsbedingungen in den armen Ländern mit zu beleuchten würde hier den Rahmen sprengen) - (Arbeits)Leben anders organisiert wäre.
Einen interessanten Ansatz hin zu mehr (Verteilungs)Gerechtigkeit und im Sinne einer Politik der Entschleunigung ist das Modell der staatlichen Grundsicherung f ü r alle. Ich wundere mich, dass kein breiterer Diskurs darüber stattfindet, obwohl das Thema Arbeitslosigkeit und damit verbunden die Zukunft oder Nicht-Zukunft des Sozialstaates doch auf der täglichen Politik-Agenda ganz oben steht. Was spricht dagegen, jedem Bürger ein geregeltes bedürftigkeits- und leistungsunabhängiges Einkommen zu garantieren?
Dieses Modell könnte zu einer Steigerung der Motivation führen, auf einen Erwerbsarbeitsplatz ganz, teil- oder zeitweise zu verzichten. Das würde zu einer freieren Lebensgestaltung ohne existenzielle Zwänge führen und trüge der Tatsache Rechnung, dass es Arbeit für alle - jedenfalls profitable und klassenspezifisch hochwertige(re) - heute nicht mehr geben kann („Mythos Vollbeschäftigung“ als Gründungsmythos des Kapitalismus schlechthin); zumal auch nicht jeder erwerbsarbeiten möchte und muss, um sein Dasein als ausgefüllt und sinnvoll zu erleben bzw. zu gestalten. Die Eigenzeiten der Kultur/Gesellschaft würden geschützt, denn es fände eine Entschärfung des Wettbewerbs um Arbeitsplätze statt und damit evtl. die Förderung einer humanaren Arbeitswelt, da es bei diesem Modell ab einem bestimmten Punkt zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt käme. Daraus würde sich die Chance ergeben, dass Arbeitnehmer mehr Einfluss nehmen könnten, z.B. auf die Gestaltung von eigenen Arbeitsplätzen.
Weitere Vorteile wären:
-Gleichgewicht der Märkte
-Schutz der Eigenzeiten der Natur: weniger Konsum durch Selbstbeschränkung → geringerer Verbrauch von Naturressourcen
-mehr Zeit und Muße für Reflexion sowie für (politisches und soziales) Engagement.
Interessannt in diesem Zusammenhang sind auch die Instrumente Arbeitsplatzsplitting - was besonders gestressten Managern mit ihren 14, 15,16-Stunden Tagen gut tun könnte - und ein verstärkter Einsatz des so genannten Sabbthjahr es - eine bezahlte Auszeit aus dem Beruf, um Kraft und Kreativität zu tanken, den durch den Arbeitsrhythmus in sämtlichen Lebensbereichen eingeschränkten Horizont zu erweitern oder um einfach „nur“ zu entspannen und Zeit für Freunde, Partner und/oder Kinder zu haben.
Nach der an sich schon relativ populären Idee der staatlichen Grundsicherung für alle möchte ich nun einige in der Wissenschaft diskutierte Alternativen zum System Kapitalismus vorstellen, denn wer sagt, dass unser System mit seinen - weiter oben beschriebenen - destruktiven Folgen und Auswüchsen für die „Eine Welt“ global die alleinige Möglichkeit gesellschaftlicher Organisation bleiben muss?
Die Dualwirtschaft4 strebt die Zusammenführung von Fremd- und Eigenarbeit an. Die Tätigkeiten, die nicht unbedingt in Fabriken oder Büros erledigt werden müssen, sollen aus dem Bereich der Lohnarbeit wieder herausgenommen und in Eigenarbeit rückverwandelt werden; dies träfe vor allem den Dienstleistungssektor und das Handwerk. Entscheidend für dieses Konzept ist die Selbstverantwortlichkeit bezüglich der Ableistung von Eigen- und Fremdarbeit. Ziel der Arbeit ist die Selbstversorgung und gleichzeitig die Befriedigung nicht nur materieller, sondern auch ideeller Bedürfnisse. Das Modell setzt sozusagen auf Lernen durch Sozialerfahrung.
Als Modell oder Vorstufe dieser Idee kann der gesamte nichtprofitorientierte Wirtschaftssektor - v.a. also der freie Wohlfahrtssektor - gezählt werden. Der Non- Profit-Sektor macht dementsprechend inzwischen auch schon einen recht großen Anteil an den Gesamtwirtschaften vieler Länder aus. Im gewerblichen Bereich dürfte die sogenannte Netzwerkkultur in Sinne des angesprochenen Prinzips noch ausbaufähig sein. Andere Beispiele sind Tauschbörsen oder die in den USA ins Leben gerufene „NewWork“5 -Bewegung, welche - oft zeitlich begrenzte - neue berufliche Perspektiven nach (Massen)Entlassungen aufzeigt und organisiert.
Die Dualwirtschaft böte eine Möglichkeit die momentan praktizierte Produktions- und Beschleunigungslogik zu bremsen. Sie lagert aus dem „schnellen“ Lohnarbeitssektor einen „langsameren“ Eigenarbeitssektor aus.
Angewiesen wäre ein solches eigenwirtschaftliches System jedoch - vor allem anfangs - auf monetäre Hilfe, die am besten die Industrie leisten könnte. Daraus resultierte jedoch die Schwierigkeit, dass sich die Dualwirtschaft in eine gewisse Abhängigkeit begäbe, in der Konsequenz also auch erpressbar wäre, denn warum sollte die kommerzielle Wirtschaft ein zweites funktionierendes Wirtschaftssystem auf Dauer neben sich dulden? Denkbar wäre aber auch eine Koppelung an die schon besprochene staatliche Grundsicherung für alle bzw. an staatliche Beihilfen und/oder einen staatlichen Rechtsschutz.
Die gerechte Marktwirtschaft erhebt in seiner Gesamtheit den Aspruch, an dem Prinzip der Tauschgerechtigkeit festzuhalten - jenem Gerechtigkeitsbegriff also, der die Marktidee von Beginn an zugrunde liegt: Leistung und Gegenleistung haben in einem gleichwertigen Verhältnis zueinander zu stehen. Dafür bedient sich dieses Modell verschiedenster Ansätze:
Einkommen ohne Ausbeutung (Veränderungen bei den Einkommenshöhen)6: Der Ausgangsgedanke ist, dass der Ausgleich hin zu mehr Tausch- bzw.
Leistungsgerechtigkeit nur über den Eingriff in die bestehende Wirtschaftsordnung gehen könne. Die Steuerpolitik böte da die größten Möglichkeiten. Denkbar wäre ein massiverer Eingriff in die Erbschaftssteuer (Erben als leistungsunabhängiger Glücksfall), eine Einführung einer Steuer für große und schnelle Unternehmen (je mehr Kapital vorhanden ist desto mehr davon kann wiederum erzeugt werden und umgekehrt) sowie eine Konstituierung von Natur- und Ökosteuern - welche auch im Konzept der CGG schon angesprochen wurden und die es ja inzwischen auch schon gibt. Hier bestünde jedoch die Gefahr, dass Unternehmen ihr „Arbeitsgebiet“ in Regionen verlagern, in denen solche Beschränkungen nicht existieren.
Geld ohne Zinsen (Veränderungen bei der Funktion des Geldes)7: Die vor allem in anthroposophischen Kreisen verfolgte Idee fußt auf der Überlegung, dass Geld eine öffentliche Einrichtung ist und damit Allgemeingut sei, wie auch Straßen oder Telefonnetze. Geld stelle also ein universelles Transportmittel für Waren und
Dienstleistungen dar und dürfe in diesem Sinne dann auch nur zu diesem Zwecke benutzt werden. Zinsabwurf müsse in diesem Sinne tabu werden, denn dieses blockiere den Geldfluß. Der Geldtheoretiker Helmut Creutz stellte die Rechnung auf, dass nur diejenigen Haushalte von Zinsen profitierten, deren Zinseinkommen höher als ein Drittel ihrer Ausgaben zum Lebensunterhalt seien; in Deutschland wären das lediglich 10 bis 15 Prozent (1993, S. 273-286).
Als Vorkehrung, um den Geldumlauf zu sichern, böte sich eine Art „Geldreform“ an: die Zahlung einer „Standgebühr“ für zurückgehaltenes Geld in etwa. In Umkehrung zum jetzigen System würde ruhendes Geld dann Kosten verursachen und nicht mehr Erträge. Zur Folge hätte diese Spielart auch, dass das Leben insgesamt günstiger würde, denn eigentlich sachfremde Aufschläge fielen damit weg.
Positiver Effekt dieser Variante könnte auch sein, dass sich durch den Wegfall von Zinsen für das Gros der Bevölkerung eine zusätzliche Kaufkraft ergäbe und damit immerhin die Möglichkeit bzw. Freiheit wüchse - neben der „Alternative“ des Rückschrittes hin zu erhöhtem Konsum - weniger arbeiten gehen zu müssen.
Markt ohne Kapital (die Frage nach dem Eigentum an den Produktionsmitteln)8: Der in den 20er und 30er Jahren in der Sowjetunion und nach dem Zweiten Weltkrieg in Osteuropa entwickelte Systemgedanke, der in den 70er Jahren auch im Westen weiter gesponnen wurde, setzt an der Kernfrage der traditionellen Arbeiterbewegung an: der Frage des Eigentums an den Produktionsmitteln. Dabei ging es den osteuropäischen Ökonomen vornehmlich um eine Effektivitätssteigerung in der etwas lax gehandhabten Planwirtschaft, den westeuropäischen mehr um die Durchsetztung einer liberalen Selbstbestimmungsidee im Gegensatz zur kapitalistischen Fremdbestimmung. Die gemeinsame Überzeugung war: Nur wenn Arbeitnehmer Miteigentümer ihrer Produktionsmittel sind, werden sie sich an ihrem Arbeitssplatz vollständig einbringen und sich - natürlich je nach Arbeitsfeld - in ihrer „Menschwerdung“ auch eher entfalten können. Arbeitnehmerinteressen statt Kapitalverwertungsinteressen stehen hier im Zentrum, so dass dieses Modell in Anlehnung an das lateinische „labora“ für Arbeit auch „Laborismus“ genannt wird.
Auf dem (globalen) Markt dürften so arbeitende Unternehmen nicht die besten Chancen haben und es besteht die Gefahr einer relativ langen Abhängigkeit vom Staat - z.B. durch Steuerermäßigungen oder durch eine Art „Ordnungsrahmen“, der, mit Augenmerk auf Versorgungssicherheit und Abwendung eines Verdrängungswettbewerbes, das Zahlenverhältnis laboristische zu nicht-laboristischen Betriebe festlegen müsste. Ähnlich wie beim Geld ohne Zinsen müsste überlegt werden, ob der Leistungs- und Wachstumszwang gänzlich entfallen (falls das überhaupt möglich ist) oder nur gemildert werden soll.
Zusammenfassend zielen die drei oben vorgestellten Varianten der gerechten Marktwirtschaft auf die Aufweichung der kapitalistischen Marktwirtschaft ab. Sie wenden sich gegen die Gesetzmäßigkeit der (positiven) Rückkoppelung zwischen Gewinn und Investition, führen die gesellschaftliche Kräfte vermehrt auf die Reproduktion des „Systems Menschen, Kultur/Gesellschaft und Natur“ zurück und tragen zum Erhalt von Ressourcen und zur Wiedergewinnung von Eigenzeiten bei.
Die Idee der demokratische Planwirtschaft9 krankt an den Fakten der (jüngsten) Geschichte. Nach dem Scheitern des „realen Sozialismus“ ist die Planwirtschaft wohl ein absolutes Totmodell; der Privatisierung gehört die Zukunft. Dabei ist nicht unbedingt die Idee der Planung falsch, sondern die bisher größtenteils undemokratische Durchführung dieser und - damit einhergehend - die Behandlung, Gängelung und Überwachung der Menschen.
Ziel und Zweck der Planwirtschaft ist die unmittelbare Versorgung von Menschen mit Gebrauchswerten, was zunächst einmal die Erfassung der Bedürfnisse der Menschen nötig machte. Die Grundlage dieses Systemkonstrukts wäre erstens die Räteverantwortlichkeit und zweitens die Versorgung der Öffentlichkeit mit Informationen über den jeweiligen aktuellen „Stand der Dinge“. Praktisch würde eine öffentliche Behörde die unmittelbare Versorgung der Menschen planen und sich dem politische Gremium „Rat“ („Verein freier Menschen“, Marx 1867) sowie der „Öffentlichkeit“ - also den Menschen - indem sie Informationen zur Versorgung transparent macht (keine Informationsmonopole) zu verantworten haben und zusätzlich einen breiten Diskurs fördern und fordern („Diskursive Erweiterung“; siehe auch Habermas „Theorie des kommunikativen Handelns“ 1981 oder - in dessen sozialer Konkretisierung - P. Ulrich 1987). Das könnte z.B. über einen Verbraucherverband mit örtlichen Niederlassungen geregelt werden.
Im System einer demokratischen Planwirtschaft gäbe es weder eine automatische (Selbst)Ausbeutung der Individuen, noch eine - im kapitalistischen System sonst übliche, weil immanente - Tendenz zur Spaltung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer bzw. Arme und Reiche und erst recht kein ungezügeltes und somit jegliche Ressouren verschwendendes Wachstum.
Dieses Modell dürfte jedoch (wie eigentlich alle vorgestellten Modelle) kaum Chancen auf - wenn auch nur versuchsweise - Durchsetztung haben, denn noch ist das System Kapitalismus nicht an seine Grenzen gestoßen; der „Leidensdruck“ - Voraussetzung für eine solch tief gehende Veränderung - ist noch nicht stark und drängend genug ist. Fraglich ist, ob er das je sein wird und ob speziell letzteres Konzept mit seiner doch sehr unindividualistischen Note die Lösung wäre.
Vielleicht sollten wir uns unser aller Zukunft - jedenfalls was die (Waren)Produktion anbelangt - doch auch eher so vorstellen:
„Eines Tages bestimmt der Konsument den Produktionsprozess in den Unternehmen. Gefertigt wird nach individuellen Wünschen, die in den eigenen vier Wänden an einem Computer gestaltet wurden. Folgt man den Visionen von Science-fiction-Autoren, könnte am Ende eine Maschinenregierung stehen: die Administration - ein Rechner mit dem Grundgesetz als Software.“ (Izumi Aizu, japanischer Medienwissenschaftler, 1993)
9. Zusammenfassung und Appell
Die hehren Ziele der Commission on Global Governance wurden nicht erreicht.
Die Förderung der Sicherheit, das Management wirtschaftlicher Interdependenz, die Reform der Veinten Nationen und die Stärkung weltweiter Rechtsstaatlichkeit; aus diesen vier großen Blöcken der angestrebten neuen Weltordnungspolitik gab es zwar einige Erfolge bzw. Veränderungen (UN-Freiwilligentruppe, Abkommen gegen Landminen, Schuldenerlasse für ärmste Länder, Umweltsteuern, Gründung eines Internationalen Strafgerichtshofes), aber gemessen an den gesetzten Zielen benötigt dieser Prozess wohl noch einige Zeit und - vor allem - politisches und wirtschaftliches Wollen. Vonnöten wäre wahrscheinlich auch eine erneute Dikussion zu der Frage, wohin genau die bereits eingeschlagene Globalisierung die Welt praktisch führen soll und ob das Diktat der Wirtschaft bzw. der Konzerne unentgegnet bleiben soll. Globalisierung bedeutet einerseits Vereinheitlichung und Angleichung, andererseits werden aber neue Spaltungen sichtbar; auch und gerade auf den Arbeitsmärkten. Die Begriffe „Flexibilität“ und „Mobilität“ suggerieren neue Möglichkeiten und Chancen auf Arbeit - vorausgesetzt, der einzelne kümmert sich, lernt lebenslang etc. - beschränken den Menschen jedoch total auf seine Verwertbarkeit. Arbeit wird zur Ware, so wie der Mensch, der arbeiten will, auch.
Mein Appell geht an alle. Ich fordere ein individuelles und globales Nachdenken über Machbarkeit und Grenzen einer annäherungsweise gerechten Zukunft im Sinne der „Einen Welt“. Folgen könnte beim einzelnen eine „Umstellung“ von Vorstellungen, Gewohnheiten und Zielen und im Großen eine Politik der kleinen Schritte in jene Richtung, die auch das eigentliche Fundament von Global Governance anzeigt: Das Ziel ist die Lösung grenzüberschreitender Probleme, die nicht mehr einzelstaatlich oder durch den Markt geregelt werden können und das unter Wahrung und Einbeziehung kultureller Grundwerte und zivilisatorischer Grundlagen; nämlich die Achtung und Bewahrung von Menschenwürde und kultureller Vielfalt, der interkulturelle Dialog und der Maßstab „Weltethos“ (SEF 1998).
10. Bibliographie
Berliner Zeitung
brand eins, Heft 5, 6/2001
Brand, Ulrich / Brunnengräber, Achim / Schrader, Lutz / Stock, Christian / Wahl, Peter, 2000: Global Governance - Alternative zur neoliberalen Globalisierung?, Münster
Die ZEIT
Hauchler, Ingomar / Messner, Dirk / Nuschler, Franz (Hrsg.), 1999: Globale Trends 2000, Stiftung Entwicklung und Frieden, Frankfurt am Main
Opitz, Peter J. (Hrsg.), 1997: Grundprobleme der Entwicklungsregionen - Der Süden an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, München
Reheis, Fritz, 1998: Die Kreativität der Langsamkeit - Neuer Wohlstand durch Entschleunigung, 2. Aufl., Darmstadt
Schmidt, Manfred G., 1995: Wörterbuch zur Politik, Stuttgart
Süddeutsche Zeitung
The Commission on Global Governance:
„Our Global Neighbourhood”, 1995 („Nachbarn in einer Welt” - dt. Übersetzung der SEF)
„The MilleniumYear and the Reform Process“, 1999
United Nations:
“We the Peoples. The Role of the UN in the 21st Century”
www.attac-netzwerk.de / www.attac.org
www.globalpublicpolicy.net
www.inef.de
www.bicc.de/sef
www.un.org
[...]
1 in: „Global Governance. Herausforderungen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert“, in: Senghaas, D. (Hrsg.): „Frieden machen“, Frankfurt am Main, 337-361.
2 Attac: Association pour une Taxation des Transactions financiers pour l´Aide aux Citoyens/Vereinigung zur Besteuerung der Finanztransaktionen zur Hilfe der Bürgerinnen und Bürger. Dies weist auf eine der Hauptforderungen der Bewegung hin, die sog. Tobin-Stuerer. Der amerikanische Wirtschafts- Nobelpreisträger James Tobin hatte bereits 1972 vorgeschlagen, eine geringe Abgabe auf alle Transaktionen auf den Devisenmärkten zu erheben. Kurzfristige Spekukationen, die die Finanzmärkte in Unordnung bringen und Kurse ständig schwanken lassen, sollten dadurch unattraktiv werden. Attac plädiert für eine 0,1-prozentige Devisenumsatzsteuer. 100 Milliarden Dollar jährlich sollen damit zusammenkommen, die dann zur Entwicklung der armen Länder eingesetzt werden könnten.
3 siehe: F. Reheis „Die Kreativität der Langsamkeit“, 1998, 1-33.
4 siehe u.a.: E. F. Schumacher „Die Rückkehr zum menschlichen Maß. Alternativen für Wirtschaft und Technik“, Reinbek 1973; J. Huber „Anders arbeiten - anders wirtschaften“, Frankfurt a.M. 1979 und „Die zwei Gesichter der Arbeit. Ungenutzte Möglichkeiten der Dualwirtschaft“, Frankfurt a.M. 1984; J. Rifkin „Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft“, Frankfurt a.M./New York 1995.
5 Begründer dieses (Selbsthilfe)Modells ist der amerikanische Philosophieprofessor Frithjof Bergmann; Ableger dieses Projekts gibt es in Kanada und in Ostdeutschland.
6 siehe u.a.: P. Kafka „Gegen den Untergang. Schöpfungsprinzip und globale Beschleunigungskrise“, München 1994.
7 siehe u.a.: S. Gesell „Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“, Lütjenburg 1916; M. Kennedy „Geld ohne Zinsen und Inflation. Ein Tauschmittel das jedem dient“, München 1989; H. Creutz „Das Geldsyndrom. Wege zu einer krisenfreien Marktwirtschaft“, München 1993.
8 siehe u.a.: W. Brus „Funktionsprobleme der sozialistischen Wirtschaft“, Frankfurt a.M. 1971; O. Sik „Ein Wirtschaftssystem der Zukunft“, Berlin/Heidelberg/New York/Tokyo 1985 und „Begründung eines Mitarbeitergesellschaftssystems. In: Arne Heise (Hrsg.) „Arbeiterselbstverwaltung“ (Reihe Selbstverwaltung der AG SPAK, Nr. 95), München 1989; W. Vogt „Theorie der kapitalistischen und einer laboristischen Ökonomie“, Frankfurt a.M. 1986.
9 siehe u.a.: K. Marx „Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1: Der Produktionsprozeß des Kapitals“ (Marx-Engels-Werke, Bd. 23), Berlin 1867 ;E. Mandel „Marxistische Wirtschaftstheorie“, Frankfurt a.M. 1962 und „In Defense of Socialist Planning“, In: „NEW LEFT REVIEW 159“, 1986,; P. Ulrich „Transformation der ökonomischen Vernunft. Fortschrittsperspektiven der modernen Industriegesellschaft“, Bern/Stuttgart 1987; D. Elson „Markt-Sozialismus oder Sozialisierung des Marktes?“, In: PROKLA 78 (Auf der Suche nach dem verlorenen Sozialismus), 1990.
- Arbeit zitieren
- Susanne Wastl (Autor:in), 2001, Das Konzept der Commission on Global Governance, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107296