Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Thematik und Aussage des Romans
3. Auslassungen
4. Veränderungen
5. Hinzufügungen
6. Konsequenzen für Inhalt und Aussage
Bibliographie
1. Einleitung
Der Film1The Color Purple von Steven Spielberg basiert auf dem gleichnamigen Roman von Alice Walker. Bei der Verfilmung wurden Szenen und Handlungsteile abgeändert, hinzugefügt oder ausgelassen. Die vorliegende Arbeit untersucht, wie sich aufgrund dieser Veränderungen Inhalt und Aussage des Films vom Roman unterscheiden.
Abweichungen der Filmhandlung von der literarischen Vorlage können vielfältige Ursachen haben. Zunächst ist zu hinterfragen, ob der Regisseur bzw. der Produzent eine eher werktreue oder eine freie Adaption anstrebt. Es liegt in der Natur der Sache, daß bei einem freien Ansatz die für Inhalt und Handlungsabläufe der Verfilmung verantwortlichen Personen die Vorlage nach ihren eigenen Vorstellungen mehr oder weniger stark verändern. Doch auch bei einem eher werktreuen Ansatz, wie er bei SpielbergsThe Color Purplevorliegt, müssen aus verschiedenen Gründen Veränderungen vorgenommen werden.
Grundsätzlich handelt es sich bei Roman und Film um sehr unterschiedliche Medien mit jeweils eigenen Charakteristika. Diese Medienspezifik bedingt eine erste Gruppe von notwendigen Veränderungen bei der Verfilmung von Romanen. Beim Film müssen alle Handlungsabläufe und Zusammenhänge visuell deutlich gemacht werden. Dies kann u.a. Veränderungen in der Reihenfolge von Handlungsteilen erfordern. Im FilmThe Color Purplesind Alberts Versuch, Nettie zu vergewaltigen, und ihr Rauswurf aus seinem Haus2zeitlich und kausal eng miteinander verknüpft. Der Leser des Romans hingegen erlangt erst aus Netties erstem Brief, den Celie mit einem Abstand von vielen Jahren erhält, Gewißheit über dieses Ereignis, das zur Trennung der Schwestern führte3, wenn er auch durch Alberts vorheriges Verhalten Nettie gegenüber und durch die Aussage „Stead of being mad, she glad to go. Say she hate to leave me is all.“4bereits ahnen kann, daß etwas vorgefallen ist. Weiterhin sind filmtechnische Gründe zu nennen, zu denen z.B. die fast immer notwendige Kürzung gehört, da der Film konventionell eine bestimmte Dauer nicht übersteigen sollte. Dazu werden Nebenhandlungen gerafft oder ganz ausgelassen, mehrere Szenen, die einen bestimmten Sachverhalt oder eine Information verdeutlichen sollen, durch eine einzige kompensiert, die Zahl der Charaktere verringert, usw., da der Zuschauer nicht mit einer Fülle von Informationen überhäuft werden soll, die er in der Kürze der Zeit nicht erfassen kann und die ihn nur verwirren würden.
Im Gegensatz zu einem literarischen Werk ist der Spielfilm ein Massenmedium. Er muß daher den Wünschen und Erwartungen eines großen Publikums gerecht werden, um die meist sehr hohen Produktionskosten einspielen zu können.5Dies kann beispielsweise dazu führen, daß publikumswirksame Elemente eingefügt, kontrovers diskutierte Themen ausgelassen und die Darstellung von Tabus vermieden werden, oder daß der Film ein Happy End bekommt, das in der Vorlage nicht vorgesehen war.
Desweiteren ist zu beachten, daß der Film viele Einzelheiten visuell darstellen muß, die im Roman vage und damit der Vorstellungskraft des Lesers überlassen bleiben. Ist in der literarischen Vorlage beispielsweise von einer Frau die Rede, hat diese Frau im Film notwendigerweise ein bestimmtes Aussehen, trägt bestimmte Kleidung, befindet sich in einer bestimmten Umgebung, usw. Dieses Visualisierungsbedürfnis hat den Nachteil, daß die Phantasie des Zuschauers eingeschränkt wird, ermöglicht jedoch auch z.B. die Charakterisierung einer Figur durch ihr Äußeres und das Milieu, in dem sie sich befindet. Der visuelle Charakter des Films kann also bisweilen Abweichungen von der Vorlage erfordern.
2. Thematik und Aussage des Romans
Alice WalkersThe ColorPurple behandelt die Situation der schwarzen Frauen im Süden der USA. Im Roman selbst findet sich keine Zeitangabe, doch der Film siedelt die Handlung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an. Zu Beginn sind die weiblichen Hauptfiguren Celie, Sofia und zum Teil auch Shug Opfer einer doppelten Unterdrückung. Zum einen wird die gesamte schwarze Gesellschaft von den rassistischen Weißen als minderwertig eingestuft und behandelt.6Daß diese Benachteiligung nicht durch die Armut der Schwarzen bedingt ist, zeigt die Szene, in der Celie in einem Geschäft Corrine trifft.7Celie schreibt in einem ihrer Briefe an Gott, daß Corrine die einzige Frau ist, die sie jemals mit Geld gesehen hat.8Dennoch wird sie beim Kauf von Stoffen vom Verkäufer, der sie mit „girl“ anspricht und die Ware nicht abmißt, sondern nach Augenmaß zuschneidet, unfreundlich und ungerecht behandelt.9
Zu dem Rassismus kommt die Unterdrückung durch die schwarzen Männer,10die die durch ihre eigene Diskriminierung entstehenden Komplexe an den Frauen als schwächstem Glied der Kette auslassen. Da die Frauen in der Regel kein eigenes Einkommen haben, sind sie völlig der Gewalt und der Willkür ihrer Männer ausgeliefert. Beispiel hierfür sind die wiederholten Vergewaltigungen Celies durch ihren Stiefvater, die Schläge von Albert und Celies Trennung von Nettie, dadurch, daß Albert ihr die Briefe der Schwester vorenthält.11Sofia kann sich zwar anfangs diesem Schicksal widersetzen, doch ihr Selbstbewußtsein wird durch die Arroganz des weißen Bürgermeisterehepaars gebrochen, das sie zuerst ins Gefängnis bringt und dann zur Dienstmagd macht.
Der Roman zeigt jedoch auch, daß man die eigene Situation durch Solidarität verbessern kann, und daß es sich lohnt, für ein besseres Leben zu kämpfen.12Durch ihre Liebe zu Shug findet Celie aus ihrer Passivität heraus und beginnt, sich gegen ihren Mann zu wehren. Später hat sie sogar die Kraft, ihn zu verlassen und sich mit Shugs anfänglicher Hilfe eine eigene Existenz aufzubauen.13
Alice WalkersThe Color Purpleklagt also nicht nur die Strukturen der afroamerikanischen und der weißen Gesellschaft an, sondern stellt auch eine Ermutigung an die schwarzen Frauen dar, sich nicht mit ihrem Schicksal abzufinden, sondern sich zu solidarisieren und gemeinsam für ein besseres Leben und gegen Gewalt und Unterdrückung zu kämpfen.
3. Auslassungen
Spielbergs Film gibt keine Informationen über Celies Verhältnis zu ihrer Mutter, das in den ersten Briefen des Romans beschrieben wird. Aufgrund der Krankheit der Mutter muß Celie den Haushalt führen und sich um die kleineren Geschwister kümmern. Als Celie von ihrem Stiefvater schwanger wird, antwortet sie auf die Frage der Mutter, von wem das Kind ist, nur „God’s“14und erzählt nicht von der Vergewaltigung. Dies ist das erste Beispiel dafür, daß Celie stillschweigend alles erträgt, was ihr angetan wird. Diese Charaktereigenschaft Celies wird jedoch im weiteren Verlauf des Films deutlich, so daß mit der Auslassung der Szene keine wesentliche Information oder Aussage verloren geht.
Die sexuelle Beziehung zwischen Celie und Shug wird im Film aus Rücksichtnahme auf ein breites Publikum nur durch einen Kuß angedeutet, während sie im Roman ausführlicher geschildert wird.15Auch im Film wird jedoch deutlich, daß die beiden Frauen eine sehr enge Bindung haben, die vor allem Celie Geborgenheit und Selbstwertgefühl gibt. Diese Beziehung ist die Grundlage für die Weiterentwicklung der beiden Charaktere.
Aus Zeitgründen und um zu viele Nebenhandlungen zu vermeiden geht die Verfilmung auch nicht darauf ein, daß Celie in Memphis mit Shug zusammenlebt, daß deren Ehemann Grady mit Mary Agnes nach Panama geht, und daß Shug Celie wegen eines jungen Mannes verläßt.16Denn dafür würde die logische Verknüpfung, die Liebesbeziehung zwischen Celie und Shug, fehlen. Durch diese Auslassungen geht allerdings die Information verloren, wie Celie ihre eigene Existenz aufbaut. Im Roman beginnt sie in Memphis gewissermaßen aus Langeweile, Hosen zu nähen, die sie zuerst für ihre Bekannten anfertigt und später verkauft.17 Im Film dagegen kommt Celies Erfolg mit den Hosen etwas unvermittelt, da der Zuschauer lediglich erfährt, daß Celie nach dem Tod ihres Stiefvaters ihr Elternhaus und ein Ladenlokal bekommt, die ihr und ihrer Schwester schon seit dem Tod der Mutter zugestanden hatten.18
Die Vergewaltigung von Mary Agnes durch ihren weißen Onkel, zu dem sie geschickt wird, um die Freilassung von Sofia aus dem Gefängnis zu bewirken19, wird im Film ausgelassen, da sie keine neue, wesentliche Aussage bringt. Der Film verdeutlicht das Ausgeliefertsein der Frauen gegenüber ihren Männern in verschiedenen Szenen vor allem am Beispiel von Celie, die körperlicher20, sexueller21, psychischer22und verbaler23Gewalt zuerst durch ihren Stiefvater, dann durch ihren Mann ausgesetzt ist. Die zweite Komponente, die Unterdrückung der Afro-Amerikaner durch die Weißen, wird am Beispiel von Sofia dargestellt, die jahrelang von ihren Kindern getrennt wird und als Kindermädchen des weißen Bürgermeisterehepaars arbeiten muß. Die Willkür und die Arroganz der Weißen wird besonders in der Szene deutlich, als Sofia nach Jahren an Weihnachten für einen Tag zu ihrer Familie fahren darf, dann aber doch nicht bleiben darf, weil die Frau des Bürgermeisters nicht in der Lage ist, das Auto zu wenden.24Mary Agnes hat im ganzen Film lediglich eine unbedeutende Rolle mit der Funktion, durch die Ohrfeige an Sofia25zu verdeutlichen, daß diese sich von niemandem „ungestraft“ schlagen oder demütigen läßt.
Die Handlungsteile des Romans, in denen Sofia vorkommt, wurden bei der Verfilmung stark verkürzt. Für das Verständnis notwendige Informationen werden jedoch durch Erklärungen in Celies Gebeten ergänzt, so daß die Aussagen, die Alice Walker mit Hilfe der Figur der Sofia macht, weitgehend erhalten bleiben. Weggefallen ist lediglich die Problematik von Sofias kranker Tochter und damit auch der Persönlichkeitswandel von einem verwöhnten, ein wenig egozentrischen Mädchen zu einer hilfsbereiten jungen Frau, den Eleanor Jane, die (weiße) Tochter des Bürgermeisters, gegen Ende des Romans durchmacht.26
Ebenfalls verzichtet Spielberg auf die Darstellung von Harpos Versuch, durch übermäßiges Essen zuzunehmen und so einer sehr kräftigen Frau Sofia körperlich ebenbürtig zu werden.27 Obwohl er sie liebt, kann er es nicht akzeptieren, daß sie einen eigenen Willen hat und eigene Entscheidungen treffen möchte. Sein Ziel ist daher, „to make her mind“28. Zuerst hatte Harpo es mit Schlägen versucht, mußte jedoch feststellen, daß Sofia sich wehrte und er ihr an Kraft unterlegen war.29Die unter den Männern vorherrschende Meinung, Frauen müßten unter allen Umständen gehorchen und seien lediglich Objekte zur Befriedigung männlicher Wünsche und Bedürfnisse, wird im Film allgemein durch das Verhalten der Männer ihren Frauen gegenüber deutlich, so daß die Thematisierung von Harpos Eßphase zur Übermittlung der Aussage nicht erforderlich ist.
Aus den Briefen von Nettie an Celie über die Reise nach Afrika und das Leben dort sind nur die wesentlichsten Informationen im Film verarbeitet. Ausgelassen wurden Details über die Reise, den Aufenthalt in England, die Eingewöhnung im Dorf, die Sitten und Bräuche der Olinka und ihre Probleme, sowie über das Verhältnis zwischen Missionaren und Einheimischen mit Ausnahme der Beziehung von Olivia und Adam zu Tashi. Diese Fülle an Einzelheiten im Roman, die für das Verständnis der Handlung nicht zwingend erforderlich sind, hätten den Zuschauer vermutlich überfordert und den Film deutlich verlängert.
Die in Afrika spielenden Szenen sind eng mit Bildern aus Celies Umgebung verknüpft, so daß die Ortswechsel fast fließend erscheinen. Die Szene, in der Celie Albert rasieren soll und ihn dabei töten will, wird in schneller Folge abwechselnd gezeigt mit Shug, die zum Haus läuft, um den Mord zu verhindern, und Adam und Tashi, die bei einem Stammesritual am Boden knien. Durch die schnellen Schnitte und die Trommelmusik im Hintergrund wird dabei eine hohe Spannung aufgebaut.30Dem Zuschauer, der die literarische Vorlage nicht kennt, wird jedoch nicht klar, was mit Adam und Tashi passiert und welche Bedeutung die Male haben, die ihnen im Gesicht zugefügt werden. Notwendige Erklärungen fehlen, und so entsteht der Eindruck, als sei diese Szene nur wegen ihrer Dramatik und des Spannungseffekts im Film verarbeitet worden.
4. Veränderungen
Bei Alice WalkersThe Color Purplehandelt es sich um einen Briefroman. Da die Briefform im Film schlecht darstellbar ist, hat Spielberg Celies Briefe an Gott in Gespräche mit Gott umgewandelt. Dies ist zum einen erkennbar an Celies Lippenbewegung bei der Beerdigung ihrer Mutter, als der Zuschauer ihre Worte „Dear God, ...“ hört31, und zum anderen daran, daß Nettie ihre Schwester erst Lesen und Schreiben lehrt, als diese bereits im Haus ihres Mannes lebt.32Die Erzählperspektive bleibt jedoch weitgehend erhalten, da Celie fast immer im Bild anwesend ist. Ausnahmen bilden u.a. der Konflikt zwischen Sofia und dem Bürgermeister und die Szenen als Albert versucht, Nettie zu vergewaltigen, und als er die Formalitäten für die Rückkehr von Nettie und Celies Kindern erledigt.33
Im Roman ist häufig die Rede davon, daß die Charaktere auf dem Feld oder im Haus arbeiten.34Im Film dagegen sind nur selten solche Szenen zu sehen.35Überhaupt entsteht bei Spielberg der Eindruck, daß Celie viel Freizeit hat, da sie beispielsweise mit Nettie spielen oder lesen kann36, während der Roman eher ständige harte Arbeit beschreibt. Aussehen und Zustand der Häuser und die Kleidung der Personen lassen entgegen der Darstellung bei Alice Walker nicht auf Armut schließen, so daß die gesamte Lebenssituation der Charaktere weniger schwierig geschildert wird.
Die Veränderung des Schlusses wird bereits eingeleitet durch die Nichtdarstellung der Zeit, die Celie in Memphis verbringt. In diesem Zeitraum wird Albert bewußt, wie schlecht er Celie behandelt hat, da auch Shug sich von ihm abwendet, und er beginnt, sein Leben zu ändern, indem er Celie die restlichen Briefe von Nettie zuschickt.37Im Roman versöhnt sich Celie gegen Ende mit ihrem Mann, und sie verbringen viel Zeit miteinander. Spielberg dagegen läßt Albert zur Besinnung kommen, als er Harpos und Sofias neues Glück sieht. Albert kümmert sich im Stillen um die Rückkehr von Celies Kindern und Nettie, ohne daß es jedoch am Ende zu einer Versöhnung mit Celie kommt.38Bei der Ankunft von Nettie, Olivia, Adam, Tashi und Samuel sitzen im Roman Celie, Shug und Albert zusammen, während im Film Albert fehlt.39Bei Alice Walker heißt es, daß Adam und Olivia in Afrika ihre Muttersprache gelernt haben, während sie im Film eine afrikanische Sprache sprechen. Dies symbolisiert, wie fremd sich Mutter und Kinder sind.40Das Roman-Happy End wirkt fast unglaubwürdig, da kaum nachvollziehbar ist, daß Celie und Nettie sich nach so vielen Jahren wiedersehen und daß Celie Albert nach allem, was er ihr angetan hat, verzeihen kann. Der Schluß des Films erscheint dagegen realistischer, obwohl er durch die wehenden Gewänder der Ankömmlinge aus Afrika, ihre fremde Sprache, Celies Sprachlosigkeit und die Umarmungen wesentlich emotionaler dargestellt ist.41
5. Hinzufügungen
Spielberg fügt in den Film eine Szene ein, in der Albert versucht, Shug etwas zu essen zu machen. Einerseits dient diese Szene der Auflockerung, denn sie bringt den Zuschauer zum Lachen, da Albert offensichtlich keine Ahnung vom Kochen oder der Haushaltsführung im allgemeinen hat, wie die Tatsache zeigt, daß er Kerosin ins Feuer schüttet, damit der Ofen heißer wird. Daher ist das Essen schließlich verbrannt, und Shug wirft es an die Wand.42Dennoch zeigt die Szene, daß Albert Shug verwöhnen will, weil er sie liebt. Doch sie ist enttäuscht und etwas verbittert, weil er sich nicht gegen seinen Vater durchgesetzt, zu ihr gestanden und sie geheiratet hat.43
Die Verfilmung bekommt an weiteren Stellen eine Heiterkeit, von der im Roman nichts zu spüren ist. Die Szenen, in denen Harpo durch das Dach seines Hauses einbricht bzw. von einem Dachbalken in seiner Bar herunterfällt44, rufen beim Zuschauer unwillkürlich zumindest ein Schmunzeln hervor. Desweiteren zählen dazu die Schlägerei im Harpo’s, Celies Verlegenheit, als sie vor dem Spiegel Shugs Kleid anzieht, sowie Celies Spiele mit Nettie.45
Im Film gibt es eine Person, die in der Vorlage nicht vorkommt: Shugs Vater, der Prediger, der den Lebenswandel seiner Tochter nicht billigt und daher den Kontakt zu ihr abgebrochen hat. Shug leidet jedoch unter der Trennung und strebt eine Versöhnung an.46Auch die scheinbar so selbstsichere und unabhängige Frau hat also einen inneren Konflikt auszutragen, der sich gegen Ende des Films in einer großen Versöhungsszene auflöst.47 Spielberg nutzt die Figur des Predigers, um die im Roman enthaltene Kirchenkritik wenigstens in Ansätzen zu kompensieren, die er nicht explizit thematisieren darf, wenn er ein breites Publikum ansprechen will, da dies in den USA ein Tabu berühren würde. Walkers Kritik richtet sich gegen Missionierung und die Propagierung einer Moral, die mit Ethik nichts zu tun hat. Diese Kirchenkritik wird zum einen durch Shugs pantheistisches Gottesbild transportiert, das auch im Film erwähnt wird.48Zum anderen schreibt Nettie an Celie, daß „perhaps Samuel and I will found a new church in our community that has no idols in it whatsoever“49, da sich in Afrika ihr Glaube an einen personifizierten Gott in eine eher pneumatische Gottvorstellung gewandelt hat.50Der Film dagegen stellt diese Problematik nur auf privater Ebene zwischen Shug und ihrem Vater dar.
6. Konsequenzen für Inhalt und Aussage
Trotz der aufgezeigten inhaltlichen Veränderungen bleiben die Hauptaussagen des Romans in der Verfilmung in abgeschwächter Form erhalten. Walker stellt die Gewalt gegenüber den Frauen anhand verschiedener Beispiele wiederholt und dadurch eindringlicher, zum Teil aber auch schockierender dar als Spielberg,51 der, wie bereits angemerkt, die Vorlage kürzen und gewisse Rücksichten auf das Publikum nehmen mußte. Im gesamten Film gibt es immer wieder heitere bis komische Szenen, während die verschiedenen Formen von Gewalt oft nur angedeutet werden. Insgesamt wirkt er daher im ersten Teil etwas verharmlosend und beschönigend. Die Tragik der dargestellten Schicksale wird im Roman wesentlich deutlicher.
In der zweiten Hälfte von „The Color Purple“ weicht der Film vor allem durch den veränderten Schluß und die Hinzufügung der Szene in der Kirche, die als kollektive Vergebung gedeutet werden kann, sehr stark von der Vorlage ab. Celies Entwicklung zu einer selbstbewußten, eigenständigen Frau vollzieht sich zwar auch im Film, doch wird nicht immer deutlich, in welchen Schritten und aus welchen Gründen sie diesen Prozeß durchmacht.52 Sofias wiederentdeckter Lebenswille und ihr neues Glück mit Harpo sowie Shugs Versöhnung mit ihrem Vater und mit sich selbst werden jedoch sowohl im Roman als auch im Film klar veranschaulicht. Dadurch wird die Stärke der Frauen deutlich, mit der sie sich gegenseitig unterstützen, um aus der Situation doppelter Unterdrückung auszubrechen. Bisweilen erscheint die Verfilmung allerdings etwas holprig, da dem Zuschauer Informationen zur Erläuterung der Gründe für bestimmte Entwicklungen fehlen. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Spielberg dem Zuschauer die Hauptproblematik auf weniger schockierende Weise nahe bringt als Alice Walker. Die Kernaussage wird beibehalten, während Nebenthemen des Romans weniger stark herausgearbeitet werden. Insgesamt konzentriert sich der Film mehr auf die Handlung als auf die Darstellung der inneren Entwicklung der Charaktere.53Dennoch ist er in der Lage, dem Zuschauer die Probleme der Afro- Amerikaner und besonders der schwarzen Frauen in den USA nach der Sklaverei aufzuzeigen.
Bibliographie
Quellen
WALKER, ALICE:The Color Purple. New York: Pocket Books, 1982
SPIELBERG, STEVEN (REGISSEUR):The Color Purple. Warner Bros., 1985
Sekundärliteratur
BUDDECKE, WOLFRAM und JÖRG HIENGER: „Verfilmte Literatur.“Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. 36 (1979), 12-30.
EBERT, ROGER: „The Color Purple.“ 20.12.1985. Online:
http://www.suntimes.com/ebert/ebert_reviews/1985/12/33300.html.
10.04.2002
EICHENBAUM, PETRA: „Alice Walker:The Color Purple: Die Darstellung der Frauengestalten in Buch und gleichnamiger Verfilmung.“ Diplomarbeit Johannes Gutenberg-Universität Mainz/ FASK Germersheim, 1986.
SAUDER, DIANE: „Themes“. Online:
http://www.pinkmonkey.com/booknotes/monkeynotes/pmColor Purple01.asp. 10.04.2002.
[...]
1Auf Filmszenen wird mit Hilfe des Timecodes am Videogerät Bezug genommen, da kein Drehbuch oder Dialogskript vorlag.
2vgl. Spielberg, 0:22 - 0:27
3vgl. Walker, Briefe 52 (Seite 131) und 11 (Seiten 17 - 19)
4 Walker, Brief 11 (Seite 18)
5 vgl. Buddecke / Hienger, Seite 13
6vgl. Sauder
7vgl. Walker, Brief 10 (Seiten 14-15)
8vgl. Walker, Brief 11 (Seite 19)
9vgl. Walker, Brief 10 (Seite 15)
10vgl. Sauder
11vgl. Walker, Briefe 1 (Seiten 1-2), 7 (Seite 8), 13 (Seite 23) und 50 (Seiten 124-125)
12vgl. Sauder
13 vgl. Walker, Briefe 76 (Seiten 218-221) und 77 (Seiten 222-223)
14Walker, Brief 2 (Seite 3)
15vgl. Ebert; Spielberg, 1:13-1:15; Walker Brief 47 (Seiten 117-118)
16vgl. Walker, Brief 83 (254-258)
17vgl. Walker, Brief 76 (Seiten 218-221)
18 vgl. Spielberg, 2:08-2:11
19vgl. Walker, Briefe 40-41 (Seiten 98-101)
20vgl. Spielberg, 0:13 (Schläge)
21vgl. Spielberg, 0:10 (Vergewaltigung)
22vgl. Spielberg, 0:25-0:27 (Trennung von ihrer Schwester Nettie)
23vgl. Spielberg, 2:00-2:01 (Beleidigungen)
24vgl. Spielberg, 1:22-1:25
25vgl. Spielberg, 1:07-1:08
26vgl. Walker, Briefe 84 (Seite 259), 87 (Seiten 268-274) und 89 (Seite 288)
27 vgl. Walker, Briefe 28 und 29 (Seiten 61-67)
28Walker, Brief 19 (Seite 38)
29vgl. Walker, Briefe 19 und 20 (Seiten 37-40)
30 vgl. Spielberg, 1:49-1:53
31vgl. Spielberg, 0:05-0:06
32vgl. Spielberg, 0:20-0:21
33vgl. Spielberg, 1:20-1:22; 0:22-0:25; 2:16-2:17
34vgl. Walker, z.B. Briefe 15 und 16 (Seiten 27-29)
35vgl. Spielberg, z.B. 0:40-0:42; 0:11-0:12
36vgl. Spielberg, 0:20-0:22; 0:31-0:31
37vgl. Walker, Brief 79 (Seiten 229-231)
38 vgl. Spielberg, 2:16-2:17
39vgl. Walker, Brief 90 (Seiten 293-294); Spielberg, 2:17-2:22
40vgl. Walker, Brief 62 (Seite 161); Spielberg, 2:19-2:22
41vgl. Spielberg, 2:17-2:22
42vgl. Spielberg, 0:48-0:51
43vgl. Walker, Brief 23 (Seite 49)
44vgl. Spielberg, 0:39-0:40, 1:05-1:07
45 vgl. Spielberg, 1:08-1:12; 0:01-0:03; 0:21-022
46vgl. Spielberg, 1:34-1:35; 1:15-1:17
47vgl. Spielberg, 2:12-2:16
48vgl. Spielberg, 2:11-2:12, Walker, Brief 73 (Seiten 199-204)
49Walker, Brief 86 (Seite 264)
50vgl. Walker, Brief 86 (Seite 264)
51 vgl. Ebert
52vgl. Eichenbaum, Seite 66
53 vgl. Eichenbaum, Seite 66
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- Daniela Rollmann (Autor:in), 2001, Auslassungen und Veränderungen der Handlung in Steven Spielbergs Film The Color Purple und deren Konsequenzen für Inhalt und Aussage, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107340