Legasthenie. Ursachen, Formen und Merkmale


Ausarbeitung, 2002

6 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

I. Modelle des Erinnerns
I.I. These Zuckermann
I.II. These Bodemann
I.III. These Novick

II. Rezeption
II. I. Die Rezeption des Holocaust in Israel
II. II. Die Rezeption des Holocaust in Deutschland
II. III. Die Rezeption des Holocaust in den USA

III. Globalisierung der Erinnerung

Einleitung

An historischen Plätzen, an Gedenkstellen und auch in der Holocaustausstellung1 - immer wieder geht es um den Versuch, nach den Intentionen öffentlichen Gedenkens zu fragen. Öffentliches Gedenken scheint durchdrungen von einem Zweck, einem Sinn und einer Richtung. „Wer gedenkt hier wessen wie?“ - ist die Frage, die sich mir in Bezug auf öffentliches „Gedenken“ aufdrängt. Kann öffentliches, also kollektives oder auch staatliches Gedenken überhaupt funktionieren, ohne einen Einfluss auf den Gegenstand des Erinnerns auszuüben?

Wie stark ist die Vereinnahmung des Gedenkens durch die Gesellschaft oder die Gedenkenden, wie ist sie zu bewerten?

Oft wird davon ausgegangen, die sogenannte: „Oral History“ orientiere sich besonders nah an der erlebten Vergangenheit, in der Familie lebt die Erinnerung weiter und wird möglichst authentisch bewahrt.

Das Brecht Zitat: „ Von den alten Antennen kommen die alten Dummheiten. Die Wahrheiten aber werden von Mund zu Mund weitergegeben. “ 2 belegt deutlich, wie vor allem in der Linken der „Oral History“ des „kleinen“ Mannes im Gegensatz zu der „offiziellen“ Geschichtsschreibung ein hoher Wahrheitsgehalt zugestanden wird.

Eine neue Studie des Essener Historikers Harald Welzer3 kommt zu ganz anderen Schlüssen: gerade die sogenannte „Geschichte von unten“ ist ein Tummelplatz von Heuchelei und Halbwahrheiten.

Welzer nennt die familiäre Erinnerung „Familienalbum“, in dem mit Bildern des Holocaust und Erzählungssträngen der Überlebenden des Holocaust ein Bild von der „guten Familie“ gestrickt wird.

Dabei werden: „Merkmale aus Geschichten von Holocaust- Opfern für deutsche Leidensgeschichte in Anspruch genommen“4 - deutsche Soldaten werden „wie

Kühe“ „in Viehwagen“ von russischen Soldaten zu „Selektion“ transportiert- die Nachfahren der Täter verwenden hier zu Läuterung der eigenen Familiengeschichte laut Welzer „Ikonen der Vernichtung“5

Der funktionale, nicht bewusste Umgang mit Geschichtsbildern und Erinnerung der sich im Familiengedächtnis sollte in der Gesellschaft anders stattfinden, nimmt man an- schließlich wird die Geschichtsschreibung von wissenschaftlichen Diskursen gelenkt.

Es scheinen Zweifel geboten, ob die verschiedenen Gesellschaften in Teilaspekten nicht durchaus auch eine funktionale Beziehung zur Erinnerung des Kollektives haben.

Gedenken, so nimmt man gemeinhin an, sollte an die Opfer mahnen, sollte dazu führen, dass die Umstände unter denen sie zu litten, sich nicht wiederholen.

Was aber wenn - wie im Fall der neuen Wache in Berlin geschehen - sich Opfer des Holocaust gegen die Zusammenlegung ihres Gedenkens mit dem Gedenken an ihre Henker verwehren? An der zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft wird deutlich, dass Gedenken weit mehr Intentionen haben kann, als das bloße Erinnern an die Opfer.

Nach dem zweiten Weltkrieg waren jüdische Intellektuelle der Meinung, es könne keine historische Auseinandersetzung mit dem Holocaust stattfinden. Elie Wiesel, Schriftsteller und Holocaustüberlebender sagte, der Holocaust sei ein :"Mysterium, das niemals verstanden, das niemals dargestellt werden kann"6. Adorno stellte die Weiterführung des gewohnten Kulturellen Lebens mit seinem Satz: „ Nach Auschwitz kann man keine Gedichte mehr schreiben “ 7 in Frage Heute ist der Holocaust Thema zahlreicher Gedenkstätten, Ausstellungen und Museen auf der ganzen Welt, vor allem aber in Deutschland, Israel und den USA.

Gerade das Gedenken an den Holocaust ist aber in den verschiedenen Kulturen höchst unterschiedlich, selbst in den sogenannten „westlichen“, „zivilisierten“. Das Gedenken der Gesellschaft der Opfer kann nie dem Gedenken der Gesellschaft der Täter gleichen. Trotzdem spricht man heute von „der Erinnerung an den Holocaust“, und meint damit so unterschiedliches Gedenken wie in Deutschland und Israel.

Im Folgenden möchte ich darstellen, wo die Unterschiede in den Gedenkkulturen der israelischen, deutschen und amerikanischen Gesellschaften liegen, und welche Auswirkungen sie auf das Geschichtsbild der einzelnen Länder haben. Dafür wird die Frage zu klären sein, wie kollektives Gedenken funktioniert, da es die Grundlage der Gedenkpolitik und unserer Sicht auf die Vergangenheit ist.

Israel und Deutschland müssen gegenübergestellt werden, da sich die Frage nach den Unterschieden des Gedenkens der Gesellschaft der Täter und der Opfer stellt, die USA sind ein weiteres interessantes Beispiel, weil hier eine starke Gedenkkultur an den Holocaust entstanden ist, die von einer gesellschaftlichen Minderheit forciert wurde: die Gruppe der amerikanischen Juden, soweit man sie als „Gruppe“ überhaupt bezeichnen kann..

Meiner Arbeit liegen vor allem die Ausführungen der Historiker Peter Novick, Michael Y. Bodemann und Moshe Zuckermann zu Grunde. In Teil I. „Modelle des Erinnerns“ meiner Arbeit werden die unterschiedlichen Auffassungen der Autoren zum Thema „Entstehung von Erinnerung und kollektivem Gedächtnis“ in den Gesellschaften beleuchtet.

In Teil II. Rezeption werde ich die unterschiedlichen Erinnerungskulturen in den USA, Deutschland und Israel darstellen, um deutlich zu machen, wie stark Erinnerung an das kollektive Gedächtnis einer einzelnen Gesellschaft geknüpft ist. Des weiteren werde ich auf die Fragestellung eines globalen Diskurses eingehen.

I. Modelle des Erinnerns

Moshe Zuckermann widmet sich in seinem 1998 erschienenen Buch: „Zweierlei Holocaust“ den Gedenkkulturen Deutschlands und Israels. Beide Länder instrumentalisieren den Holocaust auf gegensätzliche Art und Weise für eigene Belange, so seine These.

Y. Michael Bodemann hat sich in seinem Buch: „Gedächtnistheater“ mit dem deutsch- jüdischen Umgang nach 1945 beschäftigt und beschreibt das Gedenken an die Kristallnacht in Deutschland. Er ist der Meinung, das die Manifestierung der Reichspogromnacht als Tag des Gedenkens vor allem deutsche Identität reflektiert.

Die ungewöhnlich starke Beschäftigung der amerikanischen Öffentlichkeit mit dem Holocaust ist Thema des 2001 erschienenen Buches: „Nach dem Holocaust“ von Peter Novick. Dabei bereitet das Erinnern an den Holocaust den Amerikanern im Kontrast zu den Deutschen kein Unbehagen, da er kein zentraler Punkt ihrer eigenen Geschichte war, so Novicks These. Er geht davon aus, dass es sich bei kollektiver Erinnerung nicht nur um eine Sammlung von Erinnerungen an die Vergangenheit handelt, sondern um die Bestimmung oder Neubestimmung eines Verhältnisses zu ihr.8

Im Folgenden werden die von den Autoren verfolgten verschiedenen Modelle des Erinnerns und kollektiven Gedächtnisses vorgestellt.

I.I. These Zuckermann

Zuckermann geht in seinem 1999 erschienenen Buch: „Zweierlei Holocaust“ von der These aus, das Geschichte immer von der Gegenwart instrumentalisiert wird. Das Gedächtnis des Kollektivs wird durch seine Geschichtsschreibung geprägt, die „ notwendig partiellen Charakter “ trägt. Der einseitige Charakter erklärt sich aus dem Streben nach einem geschlossenen Geschichtsbild innerhalb einer

Gesellschaft. Daraus folgert Zuckermann, das Geschichtsschreibung immer ideologischer Natur ist. Handelt es sich um ein weniger umstrittenes Thema der Geschichte, ist dies nicht besonders auffällig. Sobald es aber um ein kontroverseres Verständnis von Vergangenheit geht, wird die Diskussion darum polemisch und ideologisch. Goldhagens Veröffentlichung „Hitler willige Vollstrecker“ von 1996 löste beispielsweise in Deutschland eine Debatte aus, die in der Öffentlichkeit nicht wissenschaftlich geführt werden konnte, da sich viele Menschen von seinen Thesen direkt angegriffen fühlten.

Laut Zuckerman wirken sich historische Uneinigkeiten über die gemeinsame Geschichte beunruhigend auf das Kollektiv aus, denn alle, vom Historiker bis zum Publikum, wünschen sich letztendlich eine klare Deutung ihrer gemeinsamen Geschichte. So schreibt er:

„ Im Gegensatz zu seinem fundamentalen Streben nach klarer Entscheidung sieht sich also das gequ ä lte Ged ä chtnis des Kollektivs dem Bann der Ambivalenz ausgesetzt. “ 9

Diesem Zustand des Widerspruchs halte das kollektive Gedächtnis nicht stand, durch Hervorhebung und Auslöschung bestimmter Erinnerungsteile versuche es ein geschlossenes Bild zu erzeugen, Zuckermann nennt dies: „ einen langen Prozess der vereinfachenden Kodifizierung “ .

„ Es besteht ( ) immer ein notwendige Diskrepanz zwischen der eigentlichen Vergangenheit des Kollektivs und deren bestimmter Gestaltung im Kollektivged ä chtnis. “ 10

Das eigentlich Geschehene wird in komfortablere Motive, sogenannte Kodes, verwandelt.

„ Erinnerte Vergangenheit wird ( ) immer vom gegenw ä rtigen Bewusstsein notwendig instrumentalisiert. “ 11

Die Möglichkeit eines staatlichen Gedenkens lehnt Zuckermann völlig ab, denn sie:

„ (...) kodifiziert stets die Erinnerung im interessengeleiteten, affirmativen Sinn.

Das ist ihre Natur, und sie kann keine andere haben. Denn ihr Zweck ist einzig auf die Erhaltung des Staates mit all seinen Gewalt- und Herrschaftsmechanismen ausgerichtet. “ 12

Gegen dieses negative Bild einer staatlichen Gedenkkultur stellt Zuckermann eine emanzipatorische Perspektive der Erinnerung:

„ Ich will erst einmal dem Gedenkverst ä ndnis eines Walter Benjamin das Wort reden, also die Vergangenheit als katastrophische Vergangenheit begreifen und die Gr ü nde f ü r diese Katastrophe reflektieren sowie an die in dieser Vergangenheit untergegangenen Menschen erinnern. Aber nur wenn diese Erinnerung sich politisch in die emanzipative Richtung eines » Nie mehr wieder soll dies passieren! « wendet, wenn sie sich f ü r die Schaffung gesellschaftlicher, politischer, kultureller und ö konomischer Strukturen stark macht, die das Opfersein ü berfl ü ssig machen - nur dann gedenkt man der Katastrophe im Stande ihres Katastrophischen. F ü r mich bedeutet Erinnerung also auch immer eine Ausrichtung auf Gegenwart und Zukunft. Erinnerung nur um der Erinnerung willen hat immer schon den affirmativen Charakter des Regressiven und des Reaktion ä ren. “ 13

In einer staatlich dominierten Erinnerungspolitik ist also kein Platz für eine von Interessen freigemachte Gedächtniskultur. Zuckermann sieht Instrumentalisierung von Erinnerung als negative Begleiterscheinung einer Gesellschaftsform, die erst überwunden werden muss. Erinnerung an sich, ohne positiven Nutzen für die Zukunft, reduziert er auf das Bewahrende.

I.II. These Bodemann

Bodemanns Zugang zum Thema des Erinnerns ist weniger ideologisch geprägt als Zuckermanns. Er stützt sich in seinem 1996 erschienenen Buch: „Gedächtnistheater“ auf Platos Vergleich des Gedächtnis mit einer Wachstafel:

„ ...Wir machen Eindr ü cke darauf von allem, dessen wir uns zu erinnern

w ü nschen, zusammen mit den Dingen, die wir gesehen oder selbst erdacht haben. “ 14

Auch in diesem Modell ist das Gedächtnis form- und veränderbar, kein Speichermedium von Daten, sondern ein Ort der Erinnerung als kreativer Prozess. Erinnern und Vorstellen bilden eine Einheit nach den Vorstellungen der Gedächtnisforschung. Erinnern wird als Produkt von Wünschen, Aufmerksamkeit, Einsicht und Bewusstsein verstanden.

Bodemann kommt zu dem Schluss, dass Gedenken und Erinnern durchaus eine gewisse Dramatik zukommen, er vergleicht kollektives Gedächtnis mit einer Bühne, einem Theater. Es handelt sich bei der Erinnerung im Kollektiv um einen Darstellung der Vergangenheit, die einer Inszenierung vor einem Publikum bedarf, und damit nicht fixiert sein kann- zum umkämpften Terrain wird, sich immer wieder verändert.

Dadurch ist Erinnerung gesellschaftlichen Prozessen ausgesetzt, negativ betrachtet durchaus auch dem Meinungskanon oder dem dominanten Diskurs verpflichtet.

I.III. These Novick

Während es in den 20er Jahren in den Vereinigten Staaten noch mehrere Deutungen zu geschichtlichen Ereignissen, wie unter anderem zum amerikanischen Bürgerkrieg, gab - hier den Nordstaaten- oder die Südstaatenversion - haben sich die Geschichtsbilder in der heutigen Zeit angenährt. Ähnliche Beispiele gibt es auch in der deutschen Geschichte: Man denke nur an die Dolchstoßlegende, die bis nach dem zweiten Weltkrieg von der deutschen Rechten vertreten wurde, heute aber als Legende klar eingeordnet ist.

Ähnliches Phänomen stellt die Holocaustforschung und ihre Deutung dar. Es gibt sicher immer noch verschiedene Deutungen und Debatten über den Holocaust, diese finden aber auf nationaler Ebene statt, international gibt es nicht so große Differenzen.

Es gibt keine deutsche, amerikanische oder israelische „Schule“ innerhalb der Deutung des Holocaust. Diese Tatsache begrüßt Novick, hält der Forschung zum Holocaust aber die kollektive Erinnerung der einzelnen Nationen und ihre zwingende Unterschiedlichkeit entgegen. Novick kritisiert, das von dem „Erinnern“ an den Holocaust gesprochen wird, ohne aufzuzeigen, dass es nur das deutsche, israelische, polnische oder amerikanische Erinnern geben kann, zu unterschiedlich seien die kollektiven Bilder.

Die unterschiedlichen Erfahrungen der Gedenkenden, seien es Nachfahren der Opfer, Täter und gegebenenfalls der Zuschauer, macht ein homogenes Bild unmöglich.

In Bezug auf die Wählbarkeit der Erinnerungen macht Novick folgende Aussage:

„ Man w ä hlt, gestaltet, marginalisiert oder zentriert kollektive Erinnerungen auf der Grundlage von Entscheidungen dar ü ber, welche Zwecke die Erinnerungen f ü r das Kollektiv im gegenw ä rtigen Zeitpunkt erf ü llen k ö nnen. “ 15

Novick äußert Unverständnis über den negativen Begriff der Instrumentalisierung, wenn dieser als Bezeichnung der Bezugname auf den Holocaust zu irgendeinem Zweck verwand wird.

„ Auf kollektive Erinnerungen nimmt man immer f ü r gegenw ä rtige moralische oder politische Zwecke Bezug- im Dienste einer Vision der Zukunft. W ä re das nicht der Fall, w ü rde es sich nicht um bedeutsame kollektive Erinnerungen handeln. ( ) In der Praxis wird die Bezugname auf den Holocaust als „ Missbrauch “ oder „ Instrumentalisierung “ bezeichnet, wenn man den Zweck ablehnt, zu dem das geschieht. “ 16

Im Gegensatz zu Zuckermann hat Novick nichts an einer Instrumentalisierung von Gedenken auszusetzen. Er sieht Gedenken als Handlung des Alltags, die einen Zweck erfüllt.

II. Rezeption

Die Rezeption des Holocaust kann in den USA, Deutschland und Israel aufgrund der geschichtlichen Vorgaben nur verschieden sein- für die israelische Gesellschaft war die Bewältigung des Schreckens sicher von genauso großer Bedeutung wie für die deutsche die Anerkennung der eigenen Schuld- die Vergangenheitsbewältigung der Täter kann der der Opfer nicht gleichen. Unabhängig von der Geschichtsschreibung, die sich heute über das Thema Holocaust weitgehend angepasst hat- wird es in diesem Teil meiner Arbeit um die Art und Weise gehen, wie der Holocaust in die Erinnerungskultur der einzelnen Länder eingeflossen ist, und welche Umstände dazu führten.

II. I. Die Rezeption des Holocaust in Israel

Israel wird heute immer noch als ein Ergebnis des Holocaust betrachtet. Dabei wird übersehen, dass die zionistische Bewegung zwar nach und während des Massenmordes an den europäischen Juden einen starken Zulauf erhalten hat und aus den Camps der „Displaced Persons“ viele Menschen nach Palästina kamen. Einwanderung fand aber auch vorher schon statt. Allein in den Jahren von 1936 bis 1939 gab es aus Europa eine Einwanderungswelle von circa 180.000 Menschen, 1938 lag der jüdische Bevölkerungsanteil Palästinas schon bei 29 %.17

Der Holocaust ist in Israel heute in die Gesellschaftskultur eingebunden. Yad Vashem als zentrale Gedenkstätte ist das Ziel eines jeden einreisenden Staatsgastes und jeder israelische Staatsbürger war schon einmal in seinem Leben dort. Das war laut Zuckermann allerdings nicht immer so:

„ Es gab in den 50er Jahren nicht nur in Deutschland, sondern auch in Israel ein Verschweigen des Holocaust. Und dieses Schweigen hing damit zusammen, dass man genau solche Leute wie meinen Vater und andere Geschundene aus den Vernichtungslagern als solche nicht haben und ihre Ohnmacht nicht sehen wollte, denn sie waren eben nicht » der neue Jude « . “ 18

Weiterhin beschreibt Zuckermann wie im ersten Golfkrieg in der israelischen Presse ein Horrorszenario eines zweiten Holocaust heraufbeschworen wurde, das den Holocaust trivialisierte und banalisierte:

„ Der damalige Holocaust-Diskurs war eine Konstellation von deutschem Gas, Bunkern, Gasmasken und aus dem Nichts kommenden Langstreckenraketen. Diese l ö sten in der israelischen Gesellschaft eine verst ä ndliche Panik aus. “ 19

Da der Holocaust in Israel als Gründungsmythos für einen wehrhaften Staat, den man den Palästinensern abtrotzen musste, fungierte, passten die Überlebenden, die aus den Camps für „Displaced Persons“ kamen nicht in das Menschenbild der neuen israelischen Gesellschaft.

Zuckermann beschreibt die Gradwanderung folgendermaßen:

„ Israel war nie f ä hig, der Opfer im Stande ihres Opferseins zu gedenken. Der Grund liegt darin, dass der Zionismus, also die israelische Staatsideologie, mit zweierlei operierte: F ü r den Zionismus galt es, das diasporische Dasein, das Exilleben der Juden zu negieren. Das bedeutete, dass - um den Staat ü berhaupt gr ü nden zu k ö nnen - das Diasporische ins Land kommen musste, die ,importierten' Exiljuden aber zugleich negiert wurden. “ 20

Durch die Verankerung des Vorrechts auf den Holocaust, seine Interpretation und Deutung schaffe sich die israelische Gesellschaft ein dauerhaftes Argument für einen wehrhaften Staat, mit dem auch die Siedlungspolitik in den „Sicherheitszonen“, also den palästinensischen Gebieten, gerechtfertigt wird.

Während in Deutschland Tendenzen festzustellen sind, die den Holocaust universalisieren wollen, dass heißt, ihm das „typisch deutsche“ absprechen und den Holocaust damit auf eine totalitäre Katastrophe, die überall stattfinden könnte zu reduzieren, wird der Holocaust in Israel partikularisiert. Er dient eben auch als Fixpunkt des Zionismus - die nach dem Holocaust stattfindende Staatsgründung sei die „Erlösung“ und „Wiedererrichtung des jüdischen Volkes“.

„ Der Zionismus wiederum hat den Holocaust in ein Narrativ eingebunden. Hier kulminieren zweitausend Jahre Verfolgungs- und Opfergeschichte im Holocaust,

was durch den Zionismus mit der Gr ü ndung des israelischen Staates beantwortet wird. “ 21

Da die israelische Gesellschaft in kleinste religiöse und ethnische Gruppen aufgespaltet ist, besteht kein einheitlicher Holocaust Diskurs, es gibt mehrere Parallel -Diskurse. Als Beispiel wären die ultraorthodoxe Bevölkerung zu nennen. Für sie ist der Holocaust die Bestrafung Gottes für die jüdische Aufklärung und die Staatsgründung vor Ankunft des Messias. Der Zionismus ist sozusagen der Grund für den Holocaust.22

II. II. Die Rezeption des Holocaust in Deutschland

Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus und des Holocaust war und ist ein schwieriger und langwieriger Prozess in beiden deutschen Staaten. Michael Y. Bodemann nennt das dritte Kapitel seines Buches: „Gedächtnistheater - Jüdische Erinnerung und verstaatlichtes Gedenken in Deutschland“.23 Damit macht er auf ein Hauptproblem der Gedenkkultur in Deutschland aufmerksam. Sie richte sich oftmals nicht nach den Vorstellungen der Opfern. Jüdische Erinnerung wird separiert von verstaatlichtem Gedenken dargestellt. In seiner detaillierten Untersuchung zu der Entstehung des wichtigsten westdeutschen Gedenktages an die jüdischen Opfer des Faschismus, dem 9. November, kommt Bodemann zu erstaunlichen Ergebnissen.

Während in der Nachkriegszeit das Gedenken an den Holocaust vor allem den Opfern vorbehalten war und die westdeutsche Gesellschaft kaum Notiz von den Veranstaltungen nahm, nimmt Bodemann ab 1978 einen ständigen „Boom“ an Gedenkveranstaltungen war.24

Dies gipfelte laut Bodemann in eine „ Epidemie von Gedenken “ 25, die ihren Höhepunkt 1988 fand, wo überall im Land über 10.000 Gedenkakte und Veranstaltungen zu jüdischen Themen stattfanden.

Ein Gedenktag, der für die Opfer durchaus nicht der einzige oder der bedeutendste war und Jahre lang von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wurde, wird plötzlich zum zentralen Gedenktag der Gesellschaft. Wie kommt es zu dieser Entwicklung, was lässt sich an ihr ablesen? Bestätigen sich hier die Thesen zur kollektiven Gedenkkultur?

Schon die Festlegung auf den 9. November scheint mehr mit deutscher Erinnerung als mit der der jüdischen Opfer zu tun zu haben. Der 9. November ist in Deutschland ein geschichtsträchtiges Datum, der 9. November 1918 war der Tag der Ausrufung der Republik, am 9. November 1923 marschierte Hitler auf die Feldherrnhalle in München, ab 1928 wurde der Putschversuch jährlich rituell wiederholt.

Über die Pogrome im November 1938 lässt sich nach historischer Forschung Bodemanns vor allem eines sagen: sie fanden nicht am 9. November statt.26

1935 und 1937 gab es bereits verstärkte Übergriffe gegen jüdische Geschäfte und Synagogen. 1938 fanden die ersten spontanen Pogrome schon ab dem 7. November statt, die meisten jedoch am 10. November. Während die jüdische Zeitung „Der Aufbau“ 1938 noch von „ den Tagen im November “ 27 sprach, veränderte sich in der Nachkriegszeit die Datierung zugunsten des 9. Novembers. Die Festlegung auf diesen Tag dürfte seit dem massiven öffentlichen Gedenken des Jahres 1988 endgültig festgeschrieben sein.

In der frühen Nachkriegszeit gab es ein gemeinsames Gedenken aller Opfergruppen. Gedenktage waren der 1. September (Beginn des zweiten Weltkrieges) und der zweite Sonntag im September, der Tag der Opfer des Faschismus. Der OdF- Tag bezog sich bewusst auf kein Ereignis und war so für alle Opfergruppen zugänglich. Weiterhin war der 8. Mai, der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, ein Feiertag.

Gerade am OdF- Tag fand ein privates Gedenken statt, das jüdische Gemeinden und antifaschistische Opfergruppen miteinander vereinte.

Die Entwicklung von einem von der Öffentlichkeit kaum beachteten privaten Gedenken hin zu den bekannten Staatsakten bewertet Bodemann letztendlich kritisch:

„ ...die gesamte Gedenkkultur rund um die Kristallnacht sehr wenig mit dem real existierenden Judentum zu tun hat, dass dieses Gedenken vielmehr als wichtiges Element in der neuen deutschen Identit ä tspolitik fungiert. Nationales Gedenken bildet nationale Identit ä t. “ 28

II. III. Die Rezeption des Holocaust in den USA

Im Vorwort seines Buches „Nach dem Holocaust“, dass Novick explizit an die deutschen Leser richtet, stellt er die These auf, das Gedenken an den Holocaust in den USA „ m ü he und kostenlos “ sei, kein Unbehagen bereite. Es gibt keine SS- Veteranenverbände oder Vertriebenen- Organisationen, keine Tatbeteiligten und nur wenige Opfer.

Novick stellt die provokante Frage an die deutschen Leser, was die Amerikaner davon halten würden, wenn in Berlin anstelle eines Denkmals für die ermordeten Juden ein Denkmal für die amerikanischen Sklaven gebaut würde, mit der Begründung des Grauens dieses Kapitels der Weltgeschichte und der größeren geschichtlichen Wichtigkeit des Gedenkens.

Zwei Ursprünge beschreibt Novick für seine Studie: seine Neugier als Historiker, die ihn in den 90er Jahren tausende Kilometer vom Ort und 50 Jahre nach dem Holocaust in der amerikanische Gesellschaft so eine starke Bedeutung desselben entstehen kann. Die Skepsis, die er als amerikanischer Jude verspürt, ob es richtig sein kann, dass der Holocaust so eine wichtige Rolle für die amerikanischen Juden und die Amerikaner hat.

Die Frage „ Warum jetzt? “ stellt sich aufgrund der Tatsache, dass historische Ereignisse meistens kurz nachdem sie geschehen sind diskutiert werden. Die Frage „ Warum hier? “ stellt sich aus den oben genannten Gründen des fehlenden Bezugs. Als mögliche und oft genutzte Antwort bietet sich die These des „ Traumas “ an, die die erst späte Bedeutung des Holocaust mit der „ Wiederkehr des Verdr ä ngten “ begründet. Bei Opfern des Holocaust lässt sich dieses traumatische Vergessen wirklich häufig beobachten: das Erlebte war so schrecklich und von solcher Intensität, das damit nicht sofort umgegangen werden kann, es erst verdrängt wird, dann aber zwangsläufig wiederkehren muss.

Nach dieser Deutung wäre der Holocaust ein traumatisches Erlebnis für die amerikanischen Juden und in geringerem Maße für die Amerikaner gewesen und so erst verdrängt worden. Tatsächlich sprach in den ersten 20 Jahren nach dem Holocaust niemand in den USA über ihn. Die späte Diskussion wäre nach dieser Deutung die „ Wiederkehr des Verdr ä ngten “.

Zieht man aber die oben genannten Feststellungen über das kollektive Gedächtnis heran, öffnen sich andere Deutungsmöglichkeiten.

Das kollektive Gedächtnis funktioniert nach dem französischen Philosophen Maurice Halbwachs umgekehrt zu der üblichen Erwartung, die man an Erinnerung stellt. Nicht die Vergangenheit zwingt sich der Gegenwart auf, sondern die Belange der Gegenwart wählen aus, was uns aus der Vergangenheit wichtig erscheint. Halbwachs nennt in diesem Zusammenhang das kollektive Gedächtnis ahistorisch, da einer Gruppe zu ihrer eigenen Geschichte immer der genügende Abstand fehle, um diese historisch genau zu deuten.

Das kollektive Gedächtnis vereinfache, sähe Ereignis nur aus einer Perspektive, reduziere Ereignisse auf mythische Archetypen.

„ Es scheint, dass das kollektive Ged ä chtnis, zumindest ein bedeutsames kollektives Ged ä chtnis, eine ewige oder innere Wahrheit ü ber die Gruppe ausdr ü ckt- meist eine tragische. Sobald sich ein Ged ä chtnis herausgebildet hat, definiert es diese ewige Wahrheit und damit eine ewige Identit ä t f ü r die Mitglieder der Gruppe “ . 29

Wenn man nun den Ansatz des Traumas mit dem des Kollektiven Gedächtnisses vergleicht, könnte sich der Eindruck einstellen, Halbwachs behandele Inhalt des Gedenkens als getroffene Auswahl der Gesellschaft. Diese Auswahl wird vor allem durch die Öffentlichkeit, ihre Institutionen, eine starke jüdische Minderheit in den USA, die politischen Interessen der Regierung und nicht zuletzt der „Profis“, die Geld mit der Erinnerung verdienen, bestimmt.

„ Eine Akkumulation fr ü herer- un ü berlegter und ü berlegter- Entscheidungen hat eine Reihen von Institutionen geschaffen, die der Erinnerung an den Holocaust gewidmet sind, somit eine betr ä chtliche Anzahl von Profis hervorgebracht, deren Beruf die Erinnerung an den Holocaust ist. Zusammen erzeugen sie eine Triebkraft, die ausreicht, dem Holocaust auch ohne weitere Entscheidung eine zentrale Bedeutung zu verschaffen. “ 30

Für Novick ist die Geschichte der Erinnerung an den Holocaust in den USA eine Geschichte der Entscheidungen über dessen Bedeutsamkeit in der öffentlichen Diskussion.

Er formuliert dazu die Fragen:

Wenn die amerikanischen Juden heute vor allem ü ber den Holocaust definiert werden, und sich selber ü ber ihn definieren, kann das gut f ü r sie sein? Wie kam es dazu? “

Diese Fragen lassen sich nach Novick nur mit dem Wissen über bestimmte Vorgänge in der amerikanischen Gesellschaft verbinden. Hatten amerikanische Juden vorher immer versucht, sich als Amerikaner und nicht als Juden darzustellen, wurde jetzt bedeutsam, sich als Jude zu definieren. Die Gruppe der amerikanischen Juden ist keine homogene, zu unterschiedlich ist die Religiosität, die meisten amerikanischen Juden waren nie in Israel und teilen sich auf in Befürworter und Kritiker der israelischen Politik. Einzige Gemeinsamkeit ist das Wissen, dass es ihnen wie den europäischen Juden ergangen wäre, wenn ihre Großeltern nicht ausgewandert wären.

Durch die Hervorhebung der Erinnerung an den Holocaust wurde es den amerikanischen Juden möglich zu einer gemeinsamen Identität zu finden.

„ Als Symbol war er gut geeignet, der wachsenden Sorge um „ j ü dische

Kontinuit ä t “ angesichts sinkender Religiosit ä t, verst ä rkter Assimilation und einer stark wachsenden Anzahl von Gemischtehen zu begegnen, die zusammen eine demographische Katastrophe herbeizuf ü hren drohten. “ 31

Novick vergleicht diesen Prozess mit der trotzigen Haltung der deutschen Juden in der Nachkriegszeit, die nur in Deutschland blieben, um Hitler nicht im nachhinein Recht zu geben.

Für das Funktionieren des Hervorheben des Holocaust zur Identitätsfindung gibt Novick folgende Beispiele:

„ Heranwachsende amerikanische Juden, die organisierte Reisen nach Auschwitz und Treblinka unternahmen, haben berichtet, sie seien „ nie so stolz “ gewesen, ein Jude zu sein, wie bei der Nachempfindung des Holocaust an diesen Orten. J ü dische Studenten besuchen scharenweise Kurse ü ber den Holocaust und heften sich zu Yom Hashoah, dem Tag zur Erinnerung an den Holocaust, bereitwillig gelbe Sterne an die Brust. “ 32

Als weiteren Grund für die amerikanischen Juden, den Holocaust zum zentralen kollektiven Gedächtnispunkt zu machen, sieht Novick die Entwicklung in der amerikanischen Gesellschaft an, die die Rolle des Opfers neu bewertet hat. So sollte der schweigsame Held im öffentlichen Ansehen gegenüber dem verletzlichen „Antihelden“ an Bedeutung und Ansehen gewinnen. Der Historiker Charles Maier beschreib dieses Phänomen überspitzt so:

„ (...)jede Gruppe erhebt Anspruch auf ihren Anteil an ö ffentlicher Ehre und ö ffentlichen Mitteln, indem sie Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten ins Feld f ü hrt. Das ö ffentliche Leben wird zur Verhandlung einer Kunstfehlehrklage, in der alle B ü rger zugleich Patienten und Ä rzte sind. “ 33

Die amerikanischen Juden waren und sind nach Novick allerdings noch nie eine benachteiligte Gruppe in der amerikanischen Gesellschaft, sie wurden nicht diskriminiert und passten deshalb nicht wirklich in die „Gemeinschaft der Opfer“. Durch die Verknüpfung der jüdischen Identität mit den Leiden der europäischen Juden wurde ein Opferstatus möglich.

Durch den Terminus von der „ Einzigartigkeit des Holocaust “ wurde erst eine

Abgrenzung zu anderen Opfer, Diskriminierten oder Minderheiten gezogen, die Novick folgendermaßen interpretiert:

„ Eure Katastrophe ist im Gegensatz zu unserer gew ö hnlich, fassbar und darstellbar “ . 34

Den Begriff der Einzigartigkeit des Holocaust bezeichnet er als leer, denn:

„ jedes historische Ereignis, einschlie ß lich des Holocaust, ä hnelt in verschiedener Hinsicht anderen Ereignissen, mit denen es verglichen werden kann, und unterscheidet sich in mehrlei Hinsicht von ihnen. ( ) Nur die Aspekte des Holocaust zu ber ü cksichtigen, die einzigartig waren, und die Aspekte zu ignorieren, die er mit anderen Greueltaten gemeinsam hatte, und ihn auf der Grundlage dieser Manipulation f ü r unvergleichbar zu erkl ä ren, ist hingegen ein intellektueller Taschenspielertrick “ . 35

Als Beispiele führt er an, das die schwarze Bevölkerung der USA heute, verwendet sie den Begriff „Ghetto“ in Bezug auf ihre Geschichte, von jüdischer Seite dem Vorwurf ausgesetzt ist, sich des Holocaust aneignen zu wollen. Angestellte des U.S. Memorial Holocaust Museum erzählten die Geschichte, das schwarze Jugendliche, die vom Holocaust erfahren, mit dem Satz „ Gott, wir dachten, uns ginge es schlecht “ reagierten .

Wenn weiterhin das U.S. Holocaust Museum als der zentrale „Erstwohnsitz“ des amerikanischen Judentums bleiben würde und durch die Lehrpläne an den Schulen der Holocaust und die Gleichung „Jude gleich Opfer“ zum einzig möglichen Bild von amerikanischen Juden wird, so stellt sich Novick die Frage

„ Ist das gut f ü r die Juden? “ .

III. Globalisierung der Erinnerung

So unterschiedlich das Gedenken an den Holocaust in Israel, Deutschland und den USA auch ist, in allen drei Kulturen lassen sich Wesenszüge der Gedenkkultur ausmachen, die auf Ambitionen hinter dem Gedenken hindeuten.

Während jedoch Bodemann von einem „Gedächtnistheater“ spricht, Zuckermann von der Unmöglichkeit eines unvoreingenommenen Gedenkens von staatlicher Seite ausgeht, hält Novick den Zweck von Gedenke für normal und gegeben. Instrumentalisierung als Naturzustand sozusagen.

Novick wehrt sich gegen die Singularitätsbehauptung des Holocaust, weil damit entweder andere Großverbrechen - wie etwa der Genozid in Ruanda - in ihrer Bedeutung herabgesetzt oder im Falle einer Gleichsetzung - wie im Beispiel Bosnien - unkontrollierbare Handlungslegitimationen ausgestellt würden - wie der Bombenkrieg der NATO gegen Jugoslawien, der Tausenden Unschuldigen das Leben kostete.

Den Vorwurf der politischen Instrumentalisierung des Gedenkens hingegen will er nicht erheben, da dies ohnehin unvermeidlich sei - der Gedanke eines zweckfreien, von politischer Vernutzung freien Gedenkens ist dem Historiker nicht vorstellbar. Aus beidem, der Ablehnung der Einstufbarkeit der Schwere von Großverbrechen hier und der Toleranz gegenüber der politischen Nutzung von Opfern dort - Novick findet nichts Anstößiges daran, dass „Lebensschützer" abgetriebene Föten mit den Opfern der Shoah gleichsetzen - resultiert eine generelle Skepsis gegenüber den Einsichtseffekten weltgeschichtlicher Erinnerung.

Sinn und Zweck historischer Forschung besteht dann nur noch in sich selbst, Lehren für einen anderen Umgang von Menschen bzw. für eine tiefere Einsicht in das Wesen der menschlichen Würde anhand ihrer Verletzbarkeit sind damit ausgeschlossen.

Dem fundamental entgegen steht das Prinzip Moshe Zuckermanns, der Erinnerung an den Holocaust grundsätzlich nur befürwortet, wenn sie einem emanzipativen Zweck dient, soll heißen zu einer Gesellschaftsform führt, die das Opfersein überflüssig macht.

Novicks Weigerung, sich der Singularitätsbehauptung des Holocaust zu unterwerfen, scheint zu sich zu sehr auf die Künstlichkeit des amerikanischen Holocaust- Gedenkens zu beziehen- der Holocaust ist aber einmalig in der Geschichte der Menschheit.

Der noch auf die letzte jüdische Person drängenden Mordwille, die bisher nicht bekannte Kombination von körperlicher Ausbeutung, namenloser Erniedrigung, schmählichstem Tod und industrieller Vernutzung der sterblichen Überreste der Opfer machen die Shoa in dem, was die Weltgeschichte bislang an Beispielen für die Verletzung der menschlichen Würde hervorgetrieben hat, unübertroffen.

Diese Erkenntnis führte in den verschiedenen Kulturen zu unterschiedlichen Schlüssen- in Israel dominiert die Erinnerung die Kritik an der Untätigkeit der Diaspora- die Konsequenz ist ein starker und wehrhafter jüdischer Staat, der eine Wiederholung der Geschichte unmöglich macht.

In den USA wurde die Passivität trotz Wissen um den Holocaust zu Beginn des zweiten Weltkrieges nach dem Krieg zur Legitimation von weltweiter Intervention in Konflikte genutzt.

Das wiedervereinigte Deutschland wollte ein zweites Auschwitz im ehemaligen Jugoslawien verhinder- und setzte damit die Opfer des dortigen Konfliktes mit den Opfer des Holocaust gleich- ein gefährlicher Vergleich. Er negiert, dass die Juden, die in der Shoa umgekommen und sind oder unter ihr gelitten haben, unschuldige Menschen waren, die nur aufgrund einer aufkonstruierten „Rasse“ unverschuldet in die Maschinerie der Vernichtung gerieten.

Die scheinbare Vergleichbarkeit und Weltweite Einsetzbarkeit machen den Holocaust zu einer globalen Erinnerung- und verwischen zusehends seine Wirklichkeit und Einzigartigkeit.

Bibliographie

Peter Novick; Nach dem Holocaust; 2001

Michael Y. Bodemann; Gedächtnistheater; 1996

Moshe Zuckermann; Zweierlei Holocaust; 1999

Harald Welzer/ Sabine Moeller/ Karoline Tschuggnall; „Opa war kein Nazi“. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis; 2002

Theodor W. Adorno; Kulturkritik und Gesellschaft; 1951

Ralf Balke; Israel; 2000

R. Rürup; Umkämpfte Erinnerung; Die Zeit; 07/2001

Magnus Klaue; „Man hat ja nichts gewusst“; Zeitschrift Konkret; Ausgabe 11/2002

Moshe Zuckermann; Vielerlei Holocaust; iz3w - Blätter des

Informationszentrums 3. Welt; Nr. 262

[...]


1 Holocaust; Der nationalsozialistische Völkermord und die Motive seiner Erinnerung, eine Ausstellung des

Deutschen Historischen Museums anlässlich des 60. Jahrestages der Wannseekonferenz, 16. Januar bis 9. April 2002 im Kronprinzenpalais Berlin

2 Magnus Klaue; „Man hat ja nichts gewusst“; Zeitschrift Konkret; Ausgabe 11/2002; Seite 52

3 Harald Welzer/ Sabine Moeller/ Karoline Tschuggnall; „Opa war kein Nazi“. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis; 2002

4 Magnus Klaue; „Man hat ja nichts gewusst“; Zeitschrift Konkret; Ausgabe 11/2002; Seite 52

5 Magnus Klaue; „Man hat ja nichts gewusst“; Zeitschrift Konkret; Ausgabe 11/2002; Seite 52

6 R. Rürup; Umkämpfte Erinnerung; Die Zeit; 07/2001

7 Theodor W. Adorno; Kulturkritik und Gesellschaft; 1951 4

8 Peter Novick; Nach dem Holocaust; DVA; 2001

9 Moshe Zuckermann; Zweierlei Holocaust; Einleitung

10 Moshe Zuckermann; Zweierlei Holocaust; Einleitung

11 Moshe Zuckermann; Zweierlei Holocaust; Einleitung 7

12 Moshe Zuckermann; Zweierlei Holocaust; Einleitung

13 Moshe Zuckermann; Vielerlei Holocaust; iz3w - Blätter des Informationszentrums 3. Welt; Nr. 262 8

14 Michael Y. Bodemann; Gedächtnistheater; S. 83

15 Peter Novick; Nach dem Holocaust; Einleitung

16 Peter Novick; Nach dem Holocaust; Einleitung

17 Ralf Balke; Israel; Seite 51

18 Moshe Zuckermann; Vielerlei Holocaust; iz3w - Blätter des Informationszentrums 3. Welt; Nr. 262 11

19 Moshe Zuckermann; Vielerlei Holocaust; iz3w - Blätter des Informationszentrums 3. Welt; Nr. 262

20 Moshe Zuckermann; Vielerlei Holocaust; iz3w - Blätter des Informationszentrums 3. Welt; Nr. 262 12

21 Moshe Zuckermann; Vielerlei Holocaust; iz3w - Blätter des Informationszentrums 3. Welt; Nr. 262

22 Moshe Zuckermann; Vielerlei Holocaust; iz3w - Blätter des Informationszentrums 3. Welt; Nr. 262

23 Michael Y. Bodemann; Gedächtnistheater; S. 80

24 Michael Y. Bodemann; Gedächtnistheater; S. 86

25 Michael Y. Bodemann; Gedächtnistheater; S. 85

26 Michael Y. Bodemann; Gedächtnistheater; S.88- 91

27 Michael Y. Bodemann; Gedächtnistheater; S.90

28 Michael Y. Bodemann; Gedächtnistheater; S.99

29 Peter Novick; Nach dem Holocaust; Einleitung

30 Peter Novick; Nach dem Holocaust; Einleitung

31 Peter Novick; Nach dem Holocaust; Einleitung

32 Peter Novick; Nach dem Holocaust; Einleitung

33 Peter Novick; Nach dem Holocaust; Einleitung

34 Peter Novick; Nach dem Holocaust; Einleitung

35 Peter Novick; Nach dem Holocaust; Einleitung

Ende der Leseprobe aus 6 Seiten

Details

Titel
Legasthenie. Ursachen, Formen und Merkmale
Hochschule
Universität Wien
Veranstaltung
Proseminar
Autor
Jahr
2002
Seiten
6
Katalognummer
V107404
ISBN (eBook)
9783640056774
Dateigröße
421 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Legasthenie
Arbeit zitieren
Kathrin Klingebiel (Autor:in), 2002, Legasthenie. Ursachen, Formen und Merkmale, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107404

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