Lichtensteins Darstellung der Liebe: Drowning Girl


Hausarbeit, 2002

5 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zum Maler

3. Bildbeschreibung

4. Bildbetrachtung
4.1. Auseinandersetzung mit dem Feminismus / Sexismus
4.2. Verspottung der modernen Kultur
4.3. Darstellung der Liebe

5. Schluss

1. Einleitung

Das Werk, das hier einer näheren Betrachtung unterliegen soll, heißt ,,Drowning girl" von Roy Lichtenstein, und ist 1963 entstanden. Es ist kategorisierbar zur Pop-art, welche in Lichtenstein und Andy Warhol ihre Hauptvertreter hatte.

Das Werk lässt mehrere Betrachtungsweisen zu. Ich werde versuchen, anhand von drei Lesarten, einen Einblick in die Betrachtungswelten dieses Werkes darzustellen, und dabei mein Hauptaugenmerk auf die Lesart ,,Darstellung der Liebe" legen.

2. Der Maler Roy Lichtenstein

Roy Lichtenstein war einer der Hauptvertreter der Pop-Art in den USA. Lichtenstein wurde am 27. Oktober 1923 in New York geboren. Seit Beginn der sechziger Jahre griff Lichtenstein fast ausschließlich Motive der Massenkultur in den Zeitschriften und des Comicstrip in seinen Gemälden und Collagen auf. Seine Comicstrip-Gemälde sind oft Vergrößerungen oder Ausschnittvergrößerungen der Vorlagen. Typisch für Lichtenstein ist deren Aufbau aus unmodellierten Rasterpunkten, Farbflächen und Linien. Die Beschränkung auf die Primärfarben, das Flächige der Darstellung und eine schematisierte Linienführung erhöhen die Plakativität seiner Arbeiten. Mit demselben Verfahren übernimmt er die Werke anderer Künstler wie Monet, Matisse und Picasso und bestimmte Stilrichtungen wie Kubismus, Art deco und Actionpainting. Lichtenstein entwarf zudem riesige Wandbilder in New York (Wandbild mit blauem Pinselstrich). Lichtenstein starb am 29. September 1997 in New York.

3. Bildbeschreibung

Das Bild "Drowning girl" von Roy Lichtenstein zeigt das Gesicht einer jungen Frau, die scheinbar am ertrinken ist. Die linke Hand von ihr ragt aus dem Wasser, sowie ihre Schulter. Sie hat einen halb geöffneten Mund und Tränen in den Augen. In der oberen linken Ecke des Bildes befindet sich ein Textelement: ,,I DON´T CARE! I´D RATHER SINK -- THAN CALL BRAD FOR HELP" (übersetzt: Es interessiert mich nicht! Ich ertrinke lieber, als Brad zur Hilfe zu holen). Die Farbgebung ist vorwiegend in schwarz, grau, blau, weiß, (Wellen, Wasser) und orange-rosa (Hautfarbe des Mädchens).

4. Bildbetrachtung

Bei der Erstbetrachtung des Bildes stellen sich schnell Assoziationen wie Verzweiflung, Suizid, Melancholie und Depression ein. Des weiteren formulieren sich gedanklich Fragestellungen wie: ,,Was ist passiert?", Wie konnte das Mädchen in diese Situation geraten?", ,,Wer ist Brad?", ,,Scheint die Lage wirklich so ausweglos?", etc.

Man kann das Bild aus mehreren Winkeln betrachten und daraus verschiedenste Lesarten produzieren. Erstens kann das Werk eine Auseinandersetzung mit dem Feminismus/ Sexismus darstellen, zweitens eine Verspottung der modernen Welt und ihre Gesellschaft darstellen und drittens Lichtensteins Darstellung von Liebe bedeuten. Diese hermeneutische Polysemie impliziert sicherlich eine Anzahl von Lesarten. Ich möchte mich im folgenden aber lediglich der drei genannten Lesarten1 annehmen und versuchen sie eruieren.

4.1. Auseinandersetzung mit dem Feminismus / Sexismus

Lichtenstein unterstellt vorsätzlich, oder eher wahrscheinlich unbeabsichtigt, dass die Frau auf dem Bild sich nicht selbst retten kann. Sie benötigt dafür einen ,,Mann", nämlich ,,Brad". Möglicherweise war diese Art von Sexismus Norm in den sechziger Jahren. Sexismus deshalb, weil auch der Titel des Werkes von einem ,,Girl" ausgeht. Die dargestellte Person gleicht aber eher mehr einer ausgewachsenen Frau, als einem Mädchen..

Die zeitgenössische Gesellschaft hat die schlechte Angewohnheit, vollkommen sozialisierte Frauen unter anderem auch als ,,Mädchen" zu bezeichnen, wohingegen dies bei dem männlichen Geschlecht nicht die Regel ist. Es ist eher unüblich, Männer im Erwachsenenalter als ,,Jungen" zu bezeichnen. Es ist kein Mann dargestellt, der ,,hysterisch rumschreit", sondern ein ,,Mädchen". Dies ist ein Aspekt der Gesellschaft, den der Feminismus in den sechziger Jahren und auch heute noch zu bekämpfen versucht. Wollte Lichtenstein womöglich mit diesem gesellschaftlichen Frauenbild brechen, und das ,,Mädchen" ertrinken lassen? Die Frage, ob Lichtenstein den Feminismus glorifizieren oder diesen herabsetzen wollte, bleibt unbeantwortet im Raum stehen.

4.2. Verspottung der modernen Kultur

Wir leben heute in einer von Pluralismus und Individualismus geprägten Gesellschaft. Die Haltlosigkeit der Menschen nimmt stetig zu.

Emile Durkheim hat sich mit dem Begriff des ,,Individualismus" näher auseinandergesetzt, und festgestellt, dass mit der Zunahme des Individualismus der Egoismus in den modernen Gesellschaften der Tendenz nach zunimmt. Er hat erfolgreich versucht aufzuzeigen, dass Egoismus-Indikatoren in einem statistischen Zusammenhang mit den Selbstmordraten stehen. Seine Hauptannahme lautet, dass das Anwachsen des Individualismus oberhalb einer bestimmten Schwelle unvereinbar mit einer harmonischen Entwicklung des Individuums und der Gesellschaft ist (Durkheim 1973). D.h., dass die Isolierung des Menschen somit stetig zunimmt, sowie deren seelischen Störungen.

Die Zunahme des Egoismus zieht außerdem eine nachteilige Entwicklung interpersoneller Beziehungen nach sich. Die interpersonellen Beziehungen zwischen Menschen sind gefühlsmäßig neutral und in ihrer Reichweite begrenzt.

Dieser Tatsachen war Lichtenstein sich sicherlich bewusst, und hat somit mit seinem Werk versucht, auf diese Strukturen aufmerksam zu machen. Die dargestellte Person scheint an den Strukturen der Gesellschaft zu zerbrechen. In diesem Fall nimmt ,,Brad" erneut den Part der Gesellschaft ein. Die Frau scheint keine Perspektiven mehr zu sehen. Diese These wird gefestigt durch das Fehlen von Land und Himmel, welche assoziativ für Hoffnung sind.

4.3. Darstellung der Liebe

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Lichtenstein versuchen wollte, mit diesem Bild seine Ansicht von Liebe darzustellen.

Das Mädchen weint. Eine Kullerträne rollt aus jedem Auge. Sie hält eine Hand aus dem Wasser. Wollte sie wirklich ertrinken? Das Wasser lief schon über ihre blauen Haare!

Bedeutete die Hand, die aus dem Wasser ragt, dass sie insgeheim um Hilfe bittet? Oben links im Bild sagt sie in einer Sprechblase: ,,I don't care! I'd rather sink - - than call Brad for help." Klar, das Mädchen wollte lieber untergehen, als ,,Brad" um Hilfe bitten. Aber wer war ,,Brad"? Ihr Freund? Warum wollte das ertrinkende Mädchen ihn nicht um Hilfe bitten? Hatten sie sich gestritten? Sprang das Mädchen nach dem Streit verzweifelt ins Wasser? Oder war sie aus Versehen ins Wasser gefallen und merkte jetzt, in der Stunde des Todes, wie unzureichend ihre Beziehung zu ,,Brad" war?

Bei der Produktion dieser Lesart soll ,,Brad", der in vielen Lichtensteinschen Werken die Gemüter der dargestellten Frauen erregt, die Rolle ihres (Ex-) Partners übernehmen. Sie möchte eher sterben, als diesen zur Hilfe zu holen.

Welche Symbolik haben aber die Wellen bei dieser Lesart? Diese könnten die Tränen darstellen, in der die Frau zu ertrinken scheint. Sie versinkt in ihren Emotionen und lässt sich von deren destruktiven Kräften fortreißen, d.h. sie ertrinkt in ihren Sorgen.

Die Tränen sehen aus wie die Wellen, die sie versuchen einzunehmen. Die Wellen wirken wie eine elegante, kopfkissenartige Woge, die über ihrem Kopf zusammenschlägt. Diese Woge wirkt keineswegs so groß, als dass sie der Frau gefährlich werden könnte, und so drängt sich der Verdacht auf, dass ihre melodramatischen Todesgedanken doch etwas übereilt zu sein scheinen.

Daran zeigt sich der von Lichtenstein ganz bewusst inszenierte Kontrast von gefühlsüberladenen Szenen einerseits, und seinem reduzierten, ,,industriellen" Stil andererseits. Folglich erscheint das Gefühl nicht mehr echt, bzw. es erscheint entschieden zu trivial. Andy Warhol, ein Mitbegründer der Pop-Art hat einmal gesagt, dass die sechziger Jahre eine Zeit gewesen sind, in der Gefühle immer mehr in den Hintergrund gerückt sind.

Die Ausdrucksfähigkeit sollte unter Kontrolle gehalten werden, ohne jegliche Emotion. Dies wurde mit dem Begriff ,,cool" assoziiert. Gefühlsäußerungen wurden/ werden als Schwäche angesehen. Lichtenstein versuchte auch diese Gefühle in Schach zu halten, jedoch sollte der Betrachter seiner Werke nie vergessen, dass es sie früher nicht gab. Ein wichtiger Aspekt bei der Produzierung dieser Lesart ist die enorme Größe der Werke Lichtensteins, die sicherlich einen Teil seines Bekanntheitsgrads ausmacht. Das Bild ,,Drowning girl" hat in etwa die Größe einer ausgewachsenen Frau. Der Kopf der Frau nimmt dabei geradezu monumentale Dimensionen an. Die Übergröße kann darauf schließen, dass die Lie be immer größer als das Leben ist, oder dass der Herzschmerz immer größer zu sein scheint, als die Realität anzugeben vermag.

Beabsichtigt er, die Leiden und Prüfungen der Liebe zu feiern, oder kündigt er sie, indem er das Portrait einer offensichtlich unglücklich wirkenden Frau gefangen nimmt?

Wir leben heute in einem Zeitalter, indem nahezu alles kommerzialisiert scheint. Unter anderem auch die ,,Liebe". Die Filmwelt produziert einen Film nach dem anderen, welche versuchen Emotionen wach zu rütteln, Borde lls und ähnliche Etablisments bieten die ,,käufliche Liebe" an, die Werbung versucht über Emotionen Käufer an sich zu binden, etc.

Vielleicht hat Lichtenstein versucht mit diesem Werk diese Kommerzialisierung der Liebe, die wir heute als legitimiert ansehen, zu dramatisieren. Vielleicht hat er versucht sein Verlangen nach Echtheit der Liebe zu stillen und versucht beizutragen, dass diese Echtheit wiederhergesellt wird. Als festzuhalten gilt, dass Lichtenstein offensichtlich kein fröhliches, positives Bild der Liebe darstellte, sondern ein Bild, dass sich auf individueller als auch auf universeller Art und Weise mit den Leiden und Prüfungen der Liebe beschäftigt. Welche Ansichten Lichtenstein diesbezüglich hatte liegt wahrscheinlich im Verborgenen.

5. Schluss

Bei der Bearbeitung dieser Arbeit hab ich versucht, drei Betrachtungsweisen aufzuzeigen.

Diese drei Lesarten schließen sich gegenseitig aber nicht aus, sondern ergänzen sich teilweise. Sie haben alle Gültigkeitsanspruch. Welche man annimmt liegt letztendlich beim Betrachter selbst.

6. Literaturverzeichnis

Durkheim, Emile: ,,Der Selbstmord". Neuwied und Berlin 1973

Durkheim, Emile: ,,Erziehung, Moral und Gesellschaft" Vorlesung an der Sorbonne 1902/1903. Mit einer Einleitung von Paul Fauconnet. Übersetzt von Ludwig Schmidts. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1984.

Hendrickson, Janis: ,,Roy Lichtenstein", 1993

Mollenhauer, Klaus: ,,Methoden erziehungswissenschaftlicher Bildinterpretation" In: Barbara Friebertshäuser/ Annedore Prengel (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Weinheim und München 1997, S. 247-264.

[...]


1 Da zu diesem Werk nur sehr wenig Literatur vorhanden ist, war ich gezwungen, die Lesarten selbst zu produzieren. Ich weiß nicht, welche davon bereits Anwendung gefunden haben.

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Details

Titel
Lichtensteins Darstellung der Liebe: Drowning Girl
Autor
Jahr
2002
Seiten
5
Katalognummer
V107435
ISBN (eBook)
9783640057085
Dateigröße
418 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lichtensteins, Darstellung, Liebe, Drowning, Girl
Arbeit zitieren
Manuel Kappernagel (Autor:in), 2002, Lichtensteins Darstellung der Liebe: Drowning Girl, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107435

Kommentare

  • Gast am 22.6.2003

    gute arbeit.

    gute arbeit

Blick ins Buch
Titel: Lichtensteins Darstellung der Liebe: Drowning Girl



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