Die Bevölkerungsgeografie der Türkei


Referat (Ausarbeitung), 2002

31 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Räumliche Strukturen
Bevölkerungszahl und -dichte
Bevölkerungsverteilung über das Land
Die Anziehungskraft der Städte
Ursachen des raschen Städtewachstums
Gründe der Binnenmigration
Regionale Unterschiede

3. Demographische Strukturen
Alterstruktur
Geburtenrate und Sterblichkeitsrate
Haushalts- und Familienstruktur
Die Haushaltsgröße
3.4.2 Haushaltseinkommen
3.4.3 Wohnverhältnisse

4. Wertvorstellungen
4.1Werte der Gesellschaft und ihr Einfluss auf das Familienleben
4.2 Familienstruktur im ländlichen und städtischen Lebensraum
4.3Heiratsverhalten und Scheidung

5. Freizeitverhalten

6. Schluss

7. Anhang

8. Literatur

1. Einleitung

Zu Beginn möchte ich einige kurze allgemeine Angaben über die Türkei machen, damit der Zusammenhang deutlicher wird, wenn ich auf bevölkerungsspezifischen Fakten eingehe. Die türkische Republik erstreckt sich über zwei Kontinente, Europa und Asien. Die Fläche der Türkei beläuft sich auf 779 452 km² (vgl. Spiegel Almanach, 2002, S. 402) und ist damit gut zweimal so groß wie Deutschland. Etwa 3% der Fläche liegen auf europäischer Seite. Die restlichen 97% liegen in Asien. Der europäische und der asiatische Teil werden von den Meerengen des Bosporus und den Dardanellen sowie dem Marmarameer getrennt (vgl. Ekin, 1997, S. 102). Die Türkei ist in Acht Regionen gegliedert (siehe dazu Anhang, Abbildung 1).

Die Bevölkerung setzt sich aus verschiedenen ethnischen Gruppen zusammen, über 80% der Bevölkerung sind Türken, 15-20% Kurden, und 1-2% Araber. Darüber hinaus gibt es zahlreiche nichttürkische ethnische Gruppen und viele Glaubensgemeinschaften (Vgl. Hoff, Korst, 2002, S.45).

2. Räumliche Strukturen

2. 1 Die Bevölkerungszahl und die Bevölkerungsdichte

Aktuell leben in der Türkei 67800 000 Menschen, also knapp 68 Millionen (vgl.Fischer Weltalmanach, 2003, S. 707). Die Türkei ist ein Land mit einem auffallend rapiden Bevölkerungswachstum, so betrug die Gesamtbevölkerung 1927 13,6 Millionen Menschen, was bei der ersten Volkszählung nach der Staatsgründung 1923 herauskam. Im Jahre 1965 waren es dann schon 31 Millionen Menschen, die in der Türkei lebten. 1990 war die Bevölkerung auf 56,4 Millionen Menschen gestiegen und Ende 1997 waren es bereits 62,6 Millionen Menschen, die am Anfang genannte Zahl von 68 Millionen Menschen ist die aktuellste Bevölkerungszahl der Türkei aus dem Jahr 2002 (vgl. Ekin, 1997, S.105). Zur Bevölkerungsentwicklung in der Türkei siehe Anhang, Abbildung 2.

Die Türkei steht mit dieser Bevölkerungszahl an 17. Stelle der bevölkerungsreichsten Länder der Welt.

Der durchschnittliche Bevölkerungswachstum beträgt zur Zeit im Durchschnitt (1980-2002) 1,9% (Vgl. Fischer Weltalmanach, 2003, S.707) . Zum Vergleich hat Irland, das Land mit der höchsten Wachstumsrate in der EU nur ein jährliches Bevölkerungswachstum von 0,5 Prozent. Das bedeutet, dass die Bevölkerung in der Türkei sehr jung ist, darauf werde ich aber im Punkt Drei näher zu sprechen kommen.

Die landesweite Bevölkerungsdichte der Türkei beläuft sich auf 81 Einwohner / km² (vgl. www.travel.yahoo.com/travel/de/europa/Laender/Tuerkei/breifly.html). Natürlich ist die Bevölkerungsdichte mit der steigenden Bevölkerungszahl gewachsen, zum Vergleich: im Jahre 1927 lag die Bevölkerungsdichte im Durchschnitt bei 18 Einwohnern pro km2. (vgl. Ekin, 1997, S.105).

81 Einwohner pro km² ist zwar keine sehr dichte Besiedelung, doch konzentrieren sich die Einwohner auf wenige Ballungszentren, die Zahl Einwohner in den einzelnen Provinzen ist sehr unterschiedlich. Grundsätzlich besteht ein Ost-West-Gefälle. Das heißt, dass die westlichen Provinzen, mit Ausnahme der Provinzen Gaziantep und Hatay stärker besiedelt sind als die östlichen.

Verteilung der Bevölkerung über das Land

Ich möchte nun anhand der acht Regionen der Türkei vorstellen, wie unterschiedlich die Verteilung der Bevölkerung über das Land aussieht.

Schauen wir uns zunächst die Marmara – Region an, die im Nordwesten der Türkei liegt und eine Fläche von 72.578 km² hat. Die Region liegt sowohl im europäischen als auch im asiatischen Teil. Hier leben pro km² 216 Personen (vgl. Ekin, 1997, S.115), insgesamt leben in dieser Region 23 % der Bevölkerung. Diese Region ist die am dichtesten besiedelste (im Verhältnis zur Größe) der Türkei. Für die Wirtschaft des Landes spielt die Marmara – Region eine große Rolle, was vor allem auf die Lage zurückzuführen ist (vgl. Ekin, 1997, S.116).

Es gibt hier alleine 5.989 Industriebetriebe, alle anderen Regionen haben zusammen nur 5127 Unternehmen. Istanbul ist dabei das größte wirtschaftliche Zentrum der Türkei.

Die Stellung der Region wird auch durch die Zahl der Ärzte und Krankenhäuser deutlich, hier befindet sich die absolut größte Zahl. Auch fast ein Drittel in der Türkei angemeldeten Kraftfahrzeuge sind hier gemeldet und die Analphabetenrate ist mit 12,2% die niedrigste im ganzen Land.

Die Ägäisregion erstreckt sich vom Golf von Edremit im Norden bis nach Marmaris im Süden. Mit einer Fläche von 90442 km km² ist sie die viertgrößte Region der Türkei. Die Bevölkerungsdichte beträgt pro km² 84 Personen und ist damit etwas höher als der Gesamtdurchschnitt der Türkei, sie gehört aber zu den dicht besiedelten Regionen der Türkei mit 7,6 Millionen Menschen, das macht 13,5% der Türkischen Gesamtbevölkerung aus. (vgl. Ekin, 1997, S. 118). Industriell ist die Region sehr stark entwickelt, neben der Investitionsgüteindustrie ist hier vor allem auch die Lebensmittelindustrie angesiedelt. Bei der Zahl der Ärzte liegt die Ägäisregion allerdings nur auf Rang drei, hinter Mittelanatolien. (vgl. Ekin, S. 119). Mit 16% Analphabeten liegt die Region 6% unter dem Landesdurchschnitt, insgesamt sind 22% der Menschen in der Türkei Analphabeten. (vgl. Ekin, 1997, S.102).

Die Mittelmeerregion ist vor allem durch die Touristengebiete Antalya und Alanya bekannt, die Region erstreckt sich nur etwa 180 km ins Landesinnere, an der Küste entlang dehnt sie sich auf etwa 1500 km aus (vgl. Ekin, 1997, S. 121). Das Gebiet ist von langen, schmalen Küstenstreifen gekennzeichnet, dahinter erheben sich die Berge des Taurusgebirges. Dieses Gebirge übt eine schützende Funktion aus, so dass entlang der Küste eine üppige Vegetation vorzufinden ist. Die 7 Millionen Einwohner stellen 12,4 % der Bevölkerung der Türkei dar. Sie leben auf 11,5% der Gesamtfläche der Türkei, genau auf 89247 km². Wichtige wirtschaftliche Faktoren sind der Tourismus und die Landwirtschaft, beides aufgrund des günstigen Klimas. Ansonsten bewegt sich die Region im Mittelfeld, statistisch gesehen gibt es hier wenig auffälliges, die Analphabetenrate liegt bei 19%.

Die Schwarzmeerregion erstreckt sich im Norden der Türkei entlang der Küste, der Pontus trennt die Küste vom Hinterland Anatoliens. Das Gebiet hat eine Breite zwischen 100 und 200 km. In der Schwarzmeerregion leben 8,1 Millionen Menschen, 14,3 % der türkischen Einwohner. Mit einer Fläche von 115730 km² ist das Gebiet das drittgrößte der Türkei (vgl. Ekin, 1997, S. 124). Ein wichtiger Wirtschaftszweig in der Schwarzmeerregion ist der Fischfang (vgl. Ekin, 1997, S. 125). Vor allem der hamsi, ein sardellenartiger Fisch spielt eine wichtige Rolle, ihn gibt es nur im Schwarzen Meer (vgl. Ekin, 1997, S. 125). Die Zahlen dieser Region befinden sich, ebenso wie die der Mittelmeerregion im Mittelfeld. Die Analphabetenrate liegt mit 21,3 % knapp unter türkischem Durchschnitt, auch die gesundheitliche Versorgung liegt im Mittelfeld (vgl. Ekin, 1997, S. 124). Wirtschaftlich gesehen hat die Schwarzmeerregion den wichtigsten Hafen bei Samsun, ein wichtiger Ort als Absatzmarkt von Produkten aus der Schwarzmeerregion. Bedeutend ist Samsun auch in der Tabakindustrie, die wichtigste Zigarettenmarke der Türkei heißt Samsun.

Zentralanatolien ist die Region, die im Herzen der Türkei liegt. Im Norden wird sie vom Pontischen Gebirge, im Süden vom Taurus und im Westen von den Bergen der Ägäis eingeschlossen. Es handelt sich um eine Hochebene, die in drei unterschiedliche Höhenstufen eingeteilt werden kann (vgl. Ekin, 1997, S. 127). Auf der ersten Höhenstufe, von 800 – 1500 Meter liegt ein Plateau auf dem die meisten bedeutenden Städte der Region liegen, z.B. Ankara, die Hauptstadt der Türkei. Flächenmäßig ist die Region die größte der Türkei mit 186100 km², dafür ist sie allerdings nur recht dünn besiedelt, hier leben 9,9 Millionen Menschen, das der Anteil der Gesamtbevölkerung trotzdem 17,5 % ausmacht, hängt mit der starken Besiedelung der Städte zusammen, ansonsten ist das Gebiet recht dünn besiedelt (vgl.Ekin, 1997, S. 127). Die Durchschnittliche Bevölkerungsdichte von Ankara (zweitgrößte Stadt der Türkei mit 3,2 Millionen Einwohnern) beträgt 126 Einwohner pro km², Rest-Anatolien hat nur 51 Einwohner pro km². Industrie gibt es hauptsächlich in Zentren, vor allem Automobilindustrie und Nahrungsmittelindustrie. Mittelanatolien hat nach der Marmararegion die geringste Analphabetenrate, hier können nur 15,5% der Bevölkerung nicht Lesen und Schreiben (vgl. Ekin, 1997, S. 128). Auch bei der Zahl der Ärzte belegt die Region Platz zwei.

Die ostanatolische Region wird durch das Zusammentreffen der beiden türkischen Gebirgsketten geprägt (Pontus und Taurisches Gebirge). Die Region grenzt im Osten an Georgien, Armenien, den Irak und den Iran. Die Fläche von Ostanatolien beträgt 145360 km², das sind 18,7% der türkischen Gesamtfläche (vgl.Ekin, 1997, S. 132). Sie ist damit die zweitgrößte Region der Türkei. Mit 37 Einwohner pro km² weist der anatolische Raum die geringste Bevölkerungsdichte aller Regionen auf. Die 5,3 Millionen Einwohner stellen nur 9,4 % der Gesamtbevölkerung dar (vgl. Ekin, 1997, S.132). Hauptsächlich leben die Menschen in den Städten. Die Zahl der Bevölkerung in diesem Gebiet sinkt immer mehr ab, was bedeutet, dass es sich um ein Gebiet handelt aus dem die Menschen wegziehen. Die Industrie ist nicht sehr weit entwickelt, hauptsächlich werden landwirtschaftliche Produkte weiterverarbeitet.

Als letzte Region der Türkei sei Südostanatolien genannt. Die Region ist die Verlängerung der Mittelmeerregion in östliche Richtung (vgl. Ekin, 1997, S.134). Im Norden grenzt die Region an das ostanatolische Gebiet, auch der Taurus verläuft am östlichen Rand. Im Süden befinden sich die Ländergrenzen des Irak und Syriens. Der Großteil des Gebiets ist sehr flach. Im Südostanatolischen Gebiet wohnen 5,2 Millionen Menschen und damit ist diese Region das Gebiet in der Türkei in dem am wenigsten Menschen leben, mit einer Größe von 75358 km². Die 9,2% der Gesamtbevölkerung verteilen sich auf 9,7 % der Gesamtfläche des Landes. Nach dem Marmaragebiet ist es das zweitkleinste Gebiet der Türkei. Die Bevölkerungsdichte liegt etwas unter dem türkischen Gesamtdurchschnitt, sie liegt bei 70 Einwohnern pro km². Die Analphabetenrate beträgt in dieser Region 39,5%.

Südanatolien ist das Hauptsiedlungsgebiet der Kurden.

Siehe zur Bevölkerungsverteilung der Türkei Anhang, Abbildung 3.

Die Anziehungskraft der Städte

Der Bevölkerungswachstum der Türkei ist in erster Linie ein Wachstum der Städte. Die städtische Bevölkerung hat in den achtziger Jahren um jährlich durchschnittlich 4,5% zugelegt (vgl. Akkaya, 1998, S.210) während die ländliche fast stagnierte.1927 lebten in der Türkei 75,8% der Gesamtbevölkerung auf dem Land bis 1997 waren es nur noch 34,9%. Seit 1950 ist der Zuwachs in den Städten immer mehr gewachsen, der ländliche dagegen immer mehr gesunken. Vergleiche hierzu im Anhang Abbildung 4 und 4a.

Die Menschen zieht es in die Ballungsräume, da sie sich dort bessere Lebensbedingungen erhoffen. (vgl. Ekin, 1997, S. 111). Allerdings hat die Landflucht nicht in erster Linie ihre Ursache in der Attraktivität der Städte sondern mehr in den erdrückenden Existenzbedingungen im ländlichen Raum (vgl. Akkaya, 1998, S.210). Hohes Bevölkerungswachstum, starke heranwachsende Jahrgänge im arbeitsfähigen Alter, die Realteilung der Ackerflächen und die daraus resultierende fortschreitende Verkleinerung führen im ländlichen Raum zu dauerhafter Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit. Außerhalb der Landwirtschaft finden sich wenig alternative Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Land, so dass Arbeitslose gezwungen sind, in die Städte abzuwandern. Als klassisches Auswanderungsregion ist Ostanatolien zu nennen, da hier selbst die landwirtschaftlichen Möglichkeiten sehr begrenzt sind.

Im Wachstum und auch in der strukturellen Veränderung der Städte spiegelt sich die tiefgreifende geistige, soziale und wirtschaftliche Umbruchsituation in der sich die Türkei gegenwärtig befindet (vgl. Akkaya, 1998, S. 210). Vor allem die Industrialisierung hat die Struktur der Türkischen Städte maßgeblich beeinflusst. Zudem hat zum Strukturwandel auch der Ausbau des motorisierten Verkehrs, und damit die bessere Erreichbarkeit der Städte beigetragen. Die sich mit der Industrialisierung verstärkten regionalen Disparitäten innerhalb des Landes haben enorme Binnenwanderungen ausgelöst. Dadurch wird der Urbanisierungsprozess stetig vorangetrieben.

Die größte Stadt und das größte wirtschaftliche Zentrum der Türkei ist Istanbul. Hier lebten 1990 6,7 Millionen Menschen (vgl. Ekin, 1997, S. 111), heute leben in Istanbul 9.500.000 Menschen, also fast 10 Millionen Menschen.(vgl. Hoff, Korst, 2002, S.161). Pro Jahr kommen etwa 400000 Zuwanderer nach Istanbul (vgl. Akkaya, 1998, S.213). (Siehe auch Anhang, Abbildung 5).

Zweitgrößte Stadt ist Ankara, die Hauptstadt der Türkei. Die Zuwanderung betrug hier in den Jahren 1985-1990 mit 324500 14,5%, die aktuelle Einwohnerzahl von Ankara sind ca. 3,2 Millionen.

In Izmir und Adena war der Bevölkerungswachstum noch höher, er lag hier in den letzten Jahren bei rund 18%.

Spitzenreiter unter den Städten ist Bursa, hier stieg die Bevölkerung um 36,3%. (vgl. Ekin, 1997, S.111).

Dies sind allerdings alles nur offizielle Zahlen, die tatsächlichen Einwohnerzahlen dürften noch höher liegen. So hat Istanbul nach inoffiziellen Schätzungen die Zehnmillionengrenze bereits überschritten und die Einwohnerzahl wird auf 11 bis 13 Millionen geschätzt.

Insgesamt lebten in den Städten im Jahre 2002 75% der türkischen Bevölkerung (Vgl. Fischer Weltalmanach, 2003, S. 797).

Ursachen des raschen Städtewachstums

Die Verstädterung hat die Türkei in wenigen Jahren sehr stark verändert. Der rapide Städtewachstum setzte in den fünfziger Jahren ein, wie in vielen Ländern im Nahen Osten (vgl. Akkaya, 1998, S.211). Zu diesem Zeitpunkt sorgte zum einen die Liberalisierung der Wirtschaft für grundlegende Veränderungen. Die Wirtschaft öffnete sich unter amerikanischem Einfluss gegenüber dem Freien Markt, weg von der auf Eigenproduktion und Importsubstitutionen ausgerichtete etatistische Wirtschaft. Dadurch verstärkte Investitionen im privaten Wirtschaftssektor schufen Beschäftigungsmöglichkeiten in den aufblühenden Städten. (vgl. Akkaya, 1998, S.211).

Zum anderen war der Anschluss der Dörfer an das wachsende Fernverkehrsnetz ein Grund für die einsetzende Binnenwanderung bzw. für die Abwanderung aus dem Land. Der Straßenbau hatte den Dorfbewohnern eigentlich eine bessere Versorgung gewährleisten sollen, statt dessen wanderten sie auf diesen Wegen in die Städte ab.

Gründe der Binnenmigration

Die rasante Entwicklung der Verstädterung in der Türkei lässt sich durch einige Push- und Pull Faktoren erklären.

Veränderungen in der Landwirtschaft treiben die Landjugend in die Stadt, in der sie sich einen höheren Lebensstandard und Beschäftigungsmöglichkeiten erhoffen (vgl. Akkaya, 1998, S. 213). Als wichtigste auslösende Faktoren der Binnenmigrationbewegung sind die starken regionalen Unterschiede zu nennen. Anders als in flächendeckend relativ gleichmäßig entwickelten Staaten, wie z.B. Deutschland, gibt es in der Türkei große Entwicklungsunterschiede zwischen den Regionen. In den ländlichen Gebieten verlassen viele Menschen aufgrund wirtschaftlicher oder existenzgefährdende Bedingungen ihre Dörfer und suchen Schutz in den Städten. Sie ziehen entweder in die nächstgrößeren Städte oder in den Westen der Türkei, da dort, wie bereits erwähnt, die Industrie schwerpunktmäßig angesiedelt ist und somit die Chancen auf Arbeit und somit einem besseren Lebensstandard höher sind. Die Betrachtung der folgenden Tabelle über die Anteile der Regionen am Bruttosozialprodukt des Landes verdeutlicht die schlechte wirtschaftliche Situation im Osten und Südosten, siehe dazu Anhang, Abbildung 6 (Vgl. Akkaya, 1998, S. 214).

Fast die Hälfte des gesamten Bruttosozialprodukts wird in den sieben größten Städten des Landes erwirtschaftet. Hier leben mehr als ein Drittel der Bevölkerung. Diese Konzentration auf die westlichen Gebiete führt zu einer stetigen Fortsetzung der ohnehin vorhandenen regionalen Unterschiede, die die Binnenmigration in den 60er Jahren auslöste und die bis heute andauert. (Vgl. Akkaya, 1998, S. 215).

Regionale Unterschiede

Die regionalen Unterschiede beruhen zum einen auf einseitiger Industrialisierung und infrastrukturellen Erschließungen, zum anderen auch auf klimatischen und geografischen Gegebenheiten. Die im Landesdurchschnitt als entwickelt geltenden Regionen verfügen über viele Vorteile, die sie von den anderen Regionen abheben und begünstigen. So finden sich in der Marmara-Region modern ausgestattete Industriestandorte, die sowohl einen bevölkerungsstarken einheimischen als auch einen gut erreichbaren europäischen Absatzmarkt für ihre Produkte haben. Die Ägäisregion kann von Exporthäfen und von gut erschlossenen Agrarräumen im Hinterland profitieren. In der Mittelmeerregion ist zum einen der Tourismus andererseits der landwirtschaftliche Reichtum von Vorteil.

Eine durchschnittliche Entwicklung weisen Zentralanatolien und das mittlere und östliche Schwarzmeergebiet auf. Die östlichen Provinzen des Schwarzmeergebiets weisen dagegen eher einen unterdurchschnittlichen Entwicklungsstand auf, als besonders rückständig gelten die ostanatolischen Gebiete (Vgl. Akkaya, 1998, S.216).

3. Demographische Struktur

3.1 Altersstruktur

Betrachtet man sich die Bevölkerungspyramide (Anhang, Abbildung 7) der Türkei, wird deutlich, dass die Bevölkerung ausgesprochen jung ist. 1997 war jeder dritte unter 15 Jahren alt, vergleicht man diese Zahlen mit dem Bevölkerungswachstum ist dies nicht verwunderlich und die Türkei weißt typische Merkmale einer expandierenden Bevölkerung auf. In der jüngsten Bevölkerungsgruppe lässt sich ein abnehmender Trend erkennen, was langfristig zu einer Stabilisierung der Bevölkerungszahl führen könnte (vgl.Akkaya, 1998, S.205).

Im regionalen Vergleich der einzelnen Regionen ist auch in der Altersstruktur ein deutliches West-Ost Gefälle zu erkennen: In den östlichen Regionen ist die Hälfte der Bevölkerung unter 17 Jahre alt. Im Osten ist die Geburtenrate konstant geblieben, während sie im Westen zurückgeht und sich europäischen Verhältnissen angleicht.

Die natürliche Bevölkerungszunahme hat sich also mehr und mehr von West nach Ost verlagert, was umso bedenklicher ist, als gerade die östlichen Landesteile besonders unterentwickelt sind (vgl. Akkaya, 1998, S. 206). Im Anhang verdeutlicht Abbildung 8 die Altersstruktur, auch im Vergleich zu Deutschland.

Die Türkei ist also ein Land mit einem hohen Anteil an Jugendlichen. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung lag 1990 bei 22,21 Jahren (vgl. Ekin, 1997, S.105). In der Türkei sind 20 Millionen Menschen unter 14 Jahre alt, zum Vergleich waren in Deutschland 1993 bei einer Gesamtbevölkerung von 81 Millionen Menschen weniger als 13 Millionen unter 14 Jahre alt.

Der relativ hohe Bevölkerungswachstum ist für die Türkei ein gesellschaftspolitisches Problem, da die Wirtschaft nicht in gleichem Maße mitwachsen kenn. Dies führt zu einem hohen Anteil an Arbeitslosigkeit und Armut, vor allem unter der jüngeren Bevölkerung.

Jedes Jahr drängt also eine weitaus größere Zahl von arbeitssuchenden auf den Arbeitsmarkt als aus Altersgründen ausscheidet. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung steigen.

3.2 Geburtenrate und Sterblichkeit

Die allgemeine Sterberate, die Anzahl der jährlichen Sterberate wird durch die Anzahl der Bevölkerung geteilt, ist in der Türkei deutlich fallend. In den Jahren 1960 – 1965 betrug sie noch 1,64% bis 1997 fiel sie auf 0,6%.

Im allgemeinen ist die Lebenserwartung gestiegen. Sie betrug im Jahre 1997 für Frauen 70,8 Jahre, für Männer 66,2 Jahre (vgl. Akkaya, 1998, S.207).

Vor allem auch die Säuglingssterblichkeit ist in den letzten Jahren enorm zurückgegangen und weist einen positiven Trend auf. Dies macht den verbesserten sozioökonomischen Entwicklungsstand des Landes deutlich. So starben z.B. 1965 166 von Tausend Säuglingen während des ersten Lebensjahres, 1997 waren es etwa nur noch 40 (vgl. Akkaya, 1998, S. 207). Allerdings liegt die Quote, trotz dieser enormen Verbesserung immer noch viel höher als in anderen westeuropäischen Ländern. Zum Vergleich: Dort liegt das Niveau bei 10 bis 15 pro Tausend Säuglingen. Logischerweise ist die Säuglingssterblichkeit in ländlichen Gebieten viel höher als in städtischen. Interessant ist zudem, dass Schwangerschaftsvoruntersuchungen und Klinikgeburten im Osten viel weniger verbreitet sind als im Westen, im Osten entbinden nur 30% der Schwangeren in einer klinischen Einrichtung, im Westen sind es dagegen 80%.

Eine der größten demographischen Änderungen in der Türkei ist der drastische Rückgang der Geburtenrate (vgl. Akkaya, 1998, S. 208). Dies wird besonders deutlich, wenn man sich anschaut, wie viele Kinder eine Frau im Durchschnitt bekommt. 1960 bekam eine türkische Frau im Durchschnitt 6,2 Kinder, 1968 nur noch 5,6. Bis 1978 fiel die durchschnittliche Kinderzahl weiter auf 4,3 und 1993 lag sie bei nur noch 2,7 (vgl. Akkaya, 1998, S. 209). Verglichen mit europäischen Ländern ist die Kinderzahl auch heute immer noch sehr hoch, in Deutschland betrug die Quote 1993 beispielsweise nur 1,28, im EU- Durchschnitt 1,46. (vgl. Akkaya, 1998, S.209).

Im Bereich der Fertilität weist die Türkei große regionale Unterschiede auf. So haben Familien im Osten und Südosten des Landes rund doppelt so viele Kinder wie Familien in den übrigen Landesteilen. 1993 ermittelte das Institut für Bevölkerungsstudien durchschnittlich 2,0 Geburten im Westen und 4,4 Geburten im Osten (gl. Akkaya, 1998, S. 209). Ebenfalls unterscheiden sich ländliche und städtische Geburtenraten: 3,1 versus 2,4.

3.3 Haushalts- und Familienstruktur

Besonders im Familienleben manifestiert sich die Heterogenität der kulturellen Traditionen und der materiellen Lebensbedingungen in der Türkei (vgl. Akkaya, 1998, S.217). Von einer typischen, charakteristischen türkischen Familie kann also sehr schwer die Rede sein.

3.3.1Die Haushaltsgröße

1993 lag die durchschnittliche Haushaltsgröße in der Türkei bei 4,5 Personen (vgl. Attaya, 1998, S. 217). Natürlich weist auch die Haushaltszusammensetzung wieder große Unterschiede innerhalb der Regionen und zwischen Stadt und Land auf (Siehe hierzu im Anhang Abbildung 9 und 9a). So finden sich in der Stadt zahlenmäßig kleinere Familien während auf dem Land 1993 beispielsweise Familien mit 9 oder mehr Mitgliedern 11% der befragten Haushalte ausmachten (vgl. Attaya, 1998, S.217). In der Stadt dagegen waren es nur 3,2%. Folgende Tabelle verdeutlicht die Zusammensetzung der Haushaltsgröße, deutlich wird, dass die Familien im ländlichen Raum eindeutig größer sind.

Die Gründe für die regionalen Unterschiede liegen an der erster Stelle an dem Entwicklungsgefälle zwischen Ost und West. So ist hier vor allem zu nennen, dass durch eine mangelnde infrastrukturelle Versorgung und dem Bildungsniveau der ländlichen Bevölkerung – vor allem in Südostanatolien – die medizinische Aufklärung und Geburtenregelung hier schwierig ist und auch unzureichend stattfindet. Zudem leisten gerade hier Kinder die soziale Sicherheit der Eltern im Alter. Die Kinder sind der Familie Arbeitskräfte in der Landwirtschaft und sorgen auch für den Fortbestand des Familiennamens. Hauptsächlich sind es also funktionale Ursachen für die Aufrechterhaltung der Großfamilie in Südostanatolien.

Die traditionelle türkische Großfamilie hat sich allerdings weitestgehend durch den Wandel der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen aufgelöst. So ziehen aufgrund der Landverknappung pro Familie und der Unterbeschäftigung auf dem Land Teile der Großfamilie in die Stadt. Dort leben sie in Kleinfamilien, die einzelnen Mitglieder der ehemaligen Großfamilie stehen aber in engem Kontakt zueinander und unterstützen sich gegenseitig.

Heute ist die Kleinfamilie, die in der Regel aus Eltern und unverheirateten Kindern besteht die am weitesten verbreitete Familienform in der Türkei. Vom staatlichen Planungsamt wurde 1992 ein Bericht veröffentlicht, nach dem 33,56% der Haushalte aus Kleinfamilien bestehen.

Diese Veränderungen in der Familiengröße wurden vor allem durch den Industrialisierungsprozess herbeigeführten ökonomischen Strukturwandel ausgelöst, der auch das Familienleben nicht unberührt lies. „Ein anschauliches Beispiel liefert das Dorf Cerciler. Als 1939 in der nahen Ortschaft Karabük im Zuge der Industrialisierung eine Fabrik für die Bearbeitung von Stahl und Eisen gebaut wurde, konnte der Bedarf an Arbeitskräften weitestgehend durch die Bevölkerung aus den Dörfern im der Umgebung gedeckt werden . Während eine Teil der Arbeitnehmer mit ihren Familien nach Karabük zog, blieb der andere Teil in den Dörfern. Eine 1977 in dem Dorf Cerciler vorgenommene Untersuchung verdeutlicht, dass sich dort bereits 38 Jahre nach der Gründung der Fabrik die Kleinfamilienform verstärkt etablierte. Die Verbesserung der finanziellen Situation und des Lebensstandards führten besonders bei frischvermählten Paaren zu dem verstärkten Wunsch, sich einen eigenen Hausstand ohne ihre Eltern einzurichten.“ (Akkaya, 1998, S. 218). Im genannten Beispiel gab die Mehrheit der jüngeren Befragten die optimale Kinderzahl mit zwei an, 28% sagten drei, 14% ein und 14% vier als ideale Kinderzahl an.

3.3.2 Haushaltseinkommen

Einkommensverhältnisse eines Haushalts und die beruflichen Tätigkeiten, welche die einzelnen Familienmitglieder nachgehen, bestimmen die sozialen Rahmenbedingungen einer Familie.

In der Türkei zählten 1994 mehr als zwei Drittel der Familien auf dem Lande zu den unteren Einkommensgruppen.

Fast die Hälfte der Familien (47,79% von 5854293 Familien auf dem Land) verfügte 1994 über ein Nettoeinkommen von bis zu 338 DM und gehörten somit zur untersten Einkommensgruppe. In der Stadt ist ein viel niedriger Prozentsatz in diese Kategorie einzuteilen (29,44% von 7478765 Familien). Dieser finanzschwachen Schicht stehen auf dem Land 5292 (0,09%) und in der Stadt 20119 (0.26%) Familien der obersten Einkommensgruppe mit einem Nettomonatseinkommen zwischen 6634 bis 30878 DM gegenüber (vgl. Akkaya, 1998, S.219).

Besonders aus dem oberen Einkommensbereich kommen viel mehr Menschen aus der Stadt, festhalten lässt sich also, dass die Armut auf dem Land viel verbreiteter ist als in der Stadt, obwohl ein großer Teil der Landbevölkerung erwerbstätig ist. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass 57% der auf dem Land tätigen Arbeiter als helfende Familienmitglieder keinen Lohn erhalten. Sie arbeiten zur Sicherung der Existenz der Familie (vgl.Attaya, 1998, S. 219).

Sowohl in der Stadt als auch auf dem Land wird der Hauptteil des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben. Der Anteil der Ausgaben ist auf dem Land zwar höher, allerdings sind die Familien dort auch größer, so dass mehr Nahrungsmittel benötigt werden. Wenig Geld wird für Bildung, Gesundheitsdienste und Freizeit ausgegeben, was darauf zurückzuführen ist, dass für die meisten Familien in der Türkei nach Befriedigung der Primärbedürfnisse nur noch ein sehr geringer Teil des Einkommens für anderes zur Verfügung steht (Vergleiche hierzu im Anhang Abbildung 10).

3.3.3 Wohnverhältnisse

In der Türkei leben 70,5% der Familien in Eigenheimen, auf dem Land 86,4% und in der Stadt 58,2%. Diese Zahlen erscheinen nur dann sehr hoch, wenn man nicht berücksichtigt, dass es sich vielfach um einfach gebaute Häuser oder Gecekondus handelt, deren Erwerb oder Bau nicht sehr kostenintensiv ist. Gecekondus bedeutet wörtlich „über Nacht gebaut“ (vgl. Akkaya, 1998, S.221). Es handelt sich hierbei um illegal errichtete Häuser, die möglichst schnell errichtet wurden, da nach altem Gewohnheitsrecht sie dann in der Türkei nicht mehr abgerissen werden dürfen, sobald sie ein provisorisches Dach haben. Gecekondus haben daher in der Anfangsphase einen provisorischen Charakter, mit der Zeit jedoch werden von den Besitzern große Energien darauf verwendet, das Haus wohnlicher zu machen.

Der Anteil der Familien, die in einer Mietswohnung leben, ist sehr gering, vor allem auf dem Land, dort ist er nochmals um ein Vierfaches geringer als in der Stadt.

Für den Erwerb von Wohnstätten wird in der Stadt viel öfter auf ein Kredit oder auf die Hilfe von Verwandten zurückgegriffen als auf dem Land. Dort erbauen sich die Menschen ihren Wohnraum oft selber oder bekommen ihn durch eine Erbschaft (vgl. Akkaya, 1998, S. 223).

Der Bau und die Benutzung kleiner Wohnstätten oder Wohnräume ist in der Türkei nicht üblich. Obwohl von der Wohnungsbaupolitik der Bau kleinerer Wohnungen gefördert wird, leben nur 9% der Familien in Wohnungen mit einer Fläche von weniger als 60 qm, während 68,41% Der Familien in Wohnungen über 80 qm Gesamtfläche leben (vgl. Akkaya, 1998, S. 223).

Neben der Größe ist auch die Ausstattung der Wohnung für Türken von großer Bedeutung. Vor allem spielen Haushaltsgeräte eine große Rolle. In den meisten Haushalten sind Kühlschrank (89,5%), Fernseher (75,1%) und Waschmaschine (59%9) vorhanden (vgl.Akkaya, 1998, S.224). Auf dem Land sind Haushaltsgeräte in viel geringerem Umfang vorhanden als in der Stadt.

Im allgemeinen kann man sagen, dass die Wohnsituation im Moment vor allem dadurch gekennzeichnet ist, dass das Wohnungsangebot in den Städten nicht mit der starken Zuwanderung landflüchtiger Schritt halten kann. Diese Engpässe werden immer deutlicher. Die staatliche Wohnungsbaupolitik ist nicht in der Lage, genügend Wohnraum zur Verfügung zu stellen, was dazu führt, dass die Zahl illegal errichteter Wohnungen (Gecekondus) steigt, da sich große Bevölkerungskreise dazu gezwungen sehen. Am Rande der Städte werden im Rahmen von Selbsthilfeaktionen auf weiten Flächen solche Wohnungen erbaut. Man schätzt, dass in Istanbul 60% der Zuwanderer in solchen Gecekondu – Siedlungen wohnen. Diese Siedlungen, bei denen es sich zwar um einfache Behausungen handelt, dürfen nicht mit Slums verwechselt werden. Gecekondus sind im Unterschied meist aus Natursteinen oder Lehmziegeln erbaut. Die Sozialstruktur der Bewohner weißt zudem keine typischen Slum-Kriterien auf.

4. Wertvorstellungen

4.1 Werte der Gesellschaft und ihr Einfluss auf das Familienleben

Die Familie spielt, wie auch die Religion im türkischen Alltag eine besondere Rolle. Auffallend sind die Unterschiede zwischen dem Leben auf dem Land und dem Leben in der Stadt (vgl. Ekin, 1997, S. 144).

Die in der Gesellschaft vorherrschenden Werte bestimmen das Familienleben und die Beziehung der Familienmitglieder untereinander. Jedes Familienmitglied hat innerhalb der Familie einen festen Platz, der ihm von anderen Familienmitgliedern nicht strittig gemacht wird. Das absolute Familienoberhaupt ist der Vater (baba), und es wird zwischen Männerarbeiten und Frauenarbeiten unterschieden.

Als die drei wichtigsten Wertvorstellungen sind namus (Ehre), seref (Ansehen, Würde, Prestige) und saygi (Respekt, Achtung) zu nennen, die das soziale Handeln bestimmen und regulieren (vgl. Akkaya, 1998, S. 225). Nach diesen Werten und Normen wird eine erwachsenen Person bzw. ihr Verhalten beurteilt. Im Zusammenhang mit der Familie sind Ehre und Ansehen für die Integration und Anerkennung in der sozialen Gemeinschaft notwendig und wichtig und gestalten die Beziehungen zu anderen Familien. Respekt ist vor allem wichtig im Zusammenhang mit anderen Familienmitgliedern, gehört aber auch zum sozialen Umfeld.

Zur Ehre schreibt Ekin: „Das Zentralwort Ehre ist ein abstraktes Gut, welches nicht erworben, sondern nur verteidigt oder verloren werden kann. In der Solidargemeinschaft Familie wird die Ehre als gemeinsamer Besitz angesehen und bestimmt auch das geschlechtspezifische Rollenverhalten zwischen Mann und Frau“ ( 1997, S.225). Der Mann ist der Verantwortliche für die Ehre seiner Familie. Er muss die sexuelle Integrität der weiblichen Familienmitglieder garantieren, ausreichend für alle Familienmitglieder sorgen und sie gegen tätliche Angriffe und sexuelle Belästigungen schützen.

Ein Mann kann seine Ehre nicht nur durch einen Angriff verlieren sondern auch durch eine unerwiderte Herausforderung. Signalisiert der Mann nach außen hin unverständlich seine Bereitschaft den Angriff auf seine Ehre unverzüglich zu erwidern desto eher kann er sich und seine Familie vor die Ehre betreffenden Beleidigungen schützen.

Die Ehre der weiblichen Familienmitglieder bezieht sich vorrangig auf die sexuelle Integrität. Vor allem ist dies auf die in allen patriarchalischen Gesellschaften vorherrschende Sexualmoral zurückzuführen. Die Sexualität des Mannes wird als „physiologische Notwendigkeit“ angesehen, weibliche Sexualität existiert nur in einem vom Gesetz und der Gesellschaft legitimierten Verhältnis. Enthaltsamkeit vor der Ehe und monogame Lebensführung in der Ehe gewährleisten die Ehrbarkeit der Frauen. Von den weiblichen Familienmitgliedern wird verlangt, dass sie sich in der Gesellschaft auch so verhalten, dass über ihre Keuschheit kein Zweifel aufkommen kann.

Da die Ehre des Mannes auch an der sexuellen Integrität der weiblichen Familienmitglieder liegt, kommt dem Mann die Aufgabe zu, die Keuschheit der weiblichen Familienmitglieder zu gewährleisten. Der Familienvater maßregelt deshalb die weiblichen Familienmitglieder hinsichtlich Kleidung, ihres Umgangs und Verhaltens in der Öffentlichkeit.

Der Wert der Ehre wird hauptsächlich über das Verhalten der Familienmitglieder im Bezug auf die häusliche Gemeinschaft definiert, dagegen ist der Wert seref auf die Öffentlichkeit gerichtet. „Dieser Wert steht in engem Zusammenhang mit dem sozialen Status, mit dem von der jeweiligen Gesellschaft als tugendhaft bezeichneten Eigenschaften und mit der persönlichen Würde einer Person. Reichtum, Macht, Einfluss, Großzugigkeit, Wissen, Ehrlichkeit tragen ebenso zum Ansehen bei wie Stolz und Empfindsamkeit gegenüber Beleidigungen“ (Ekin, 1997, S. 226).

Eine Übertretung des mehr oder weniger strengen Sittenkodex durch eine Frau verletzt deren namus und gleichzeitig die gesellschaftliche Ehre, also seref, des für sie verantwortlichen Mannes (Vater, Bruder, Ehemann).

Zur Wiederherstellung der Ehre nach Beleidigungen oder Anschuldigungen wird häufig Satisfaktion gefordert. Das bedeutet, dass der Beleidiger zur Rede gesellt wird, sich entschuldigen muss; in Extremfällen kann die Wiederherstellung der Ehre auch zur Tötung des Beleidigers durch den Beleidigten führen.

Verletzt eine Person durch eine unrühmliche Tat die eigene Ehre ist es sehr schwierig davon wieder loszukommen, unter Umständen ist Suizid die einzige Möglichkeit, die verlorenen Ehre wieder herzustellen.

In Gegenden, in denen der soziale Druck sehr ausgeprägt ist, schränkt die Anforderung des seref sowohl das Verhalten der Männer als auch das der Frauen ein.

„Bei der Achtung und dem Respekt (saygi) handelt es sich um die Ehrerbietung, die ein Mensch einem anderen entgegenbringt“(Akkaya, 1998, S. 229).Dieser Wert ist bestimmend für das Verhalten zwischen Personen, die sich aufgrund ihres Alters oder Sozialstatus voneinander unterscheiden. In der Familie wird so dem Vater in seiner Stellung als Haushaltsvorstand und Ernährer von Frau und Kindern Achtung entgegengebracht. Außerdem schulden die jüngeren Kinder den älteren Respekt, die Kinder den Eltern.

Saygi drückt sich z.B. durch die Anrede einer Person aus, der ältere Bruder wird als agabey angesprochen, was wörtlich älterer Bruder heißt. Bei der älteren Schwester ist es dasselbe usw.

Zudem kommt saygi durch die Einhaltung formalisierter Verhaltensweisen und durch Handlungen zum Ausdruck, die unabhängig sind, was die eine Person über die andere denkt. So äußern Kinder ihre Meinung nicht, wenn sie die des Familienvaters abweichend ist.

Weiterhin dürfen Frauen und Kinder nichts tun, was als ungehörig bezeichnet werden könnte, u.a. beinhaltet dies, dass Frauen in Anwesenheit von Männern nicht über Frauenthemen sprechen und dass jüngere Paare den Körperkontakt vermeiden.

Eine Verletzung der Regeln gilt als Respektlosigkeit und Ungezogenheit. Die gesellschaftliche Ächtung trifft denjenigen, der die Regeln verletzt hat, eine mündliche Entschuldigung wird vom Verletzten erwartet.

Der Ältere hat Anspruch auf saygi, vom Älteren wird sevgi (Zuneigung) zum Jüngeren erwartet. Beide Begriffe sind eng miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig. Zeigt der Jüngere keinen Respekt, verliert er den Anspruch auf Zuneigung (vgl. Akkaya, 1998, S. 230).

Diese beschriebenen Zentralwerte stehen in einem engen Zusammenhang.

Die Werte werden durch die Familie aufrechterhalten und übermittelt, die als Sozialisationsinstanz die Generationen religiös und kulturell beeinflusst. Gerade in einer Großfamilie können sie ihre volle Wirkung entfalten, da sie das Autoritätsgefüge regulieren und die Rollen sowie Aufgaben der einzelnen Familienmitglieder festlegen.

Das beschrieben Wertgefüge hat nicht überall in der Türkei uneingeschränkte und gleiche Gültigkeit. Sowohl der Umgang mit den Werten als auch die Verbundenheit der Familie zu den Traditionen ist unterschiedlich. Zudem unterliegt dieses Wertemuster aufgrund der Industrialisierung einem Prozess der Aufweichung und Auflösung. Dies liegt daran, dass sich in einer Industriegesellschaft die Mitglieder weniger über die Mitgliedschaft in einer Solidargemeinschaft definieren als in einer Agrargesellschaft. (vgl. Akkaya, 1998, S.231). Auch die Veränderung der Lebensumstände infolge der Landflucht und die durch die verstärkte Teilnahme der Frau am öffentlichen Leben führen ebenfalls zur Auflockerung der geltenden Verhaltensregeln.

4.2 Familienstruktur im ländlichen und städtischen Lebensraum

Das Familienleben auf dem Land unterscheidet sich enorm vom Familienleben in der Stadt.

Die Lebensgrundlage der Familie im ländlichen Raum ist die Landwirtschaft. Jede Familie ist eine wirtschaftliche Einheit, d.h. es wird gemeinsam produziert und konsumiert. Sowohl Männer als auch Frauen helfen bei der Feldarbeit mit, allerdings hat die Frau weitaus weniger zu sagen als der Mann. Dies hängt damit zusammen, dass in der Agrargesellschaft die patriarchalen Strukturen und traditionellen Werte noch ihre volle Gültigkeit haben. Diese Vorstellungen bestimmen auch die Aufgaben und Rollenverteilung innerhalb der Familie.

Der Vater verwaltet das erwirtschaftete Geld, er ist für das Ansehen seiner Familie und für den Verkauf produzierter Güter verantwortlich (vgl. Akkaya, 1998, S. 232).

Nach verrichteter Arbeit können sich die Männer ausruhen, die Frauen sind durch die zusätzliche Hausarbeit einer Doppelbelastung ausgesetzt. Zudem fällt die Erziehung der Kinder in das Aufgabenfeld der Frau. Mädchen werden sehr früh auf ihre Rolle als Mutter und Hausfrau vorbereitet. Dies ist wichtig, da Heirat und Gründung einer Familie, die im ländlichen Lebensraum die einzige Möglichkeit darstellen ihren sozialen Status innerhalb der Familie zu verändern. Mit einer Heirat erhält eine Frau Sicherheit und nach der Geburt ihrer Kinder auch ein größeres Ansehen innerhalb der Dorfgemeinschaft.

Die Söhne werden mit 5-6 Jahren in den Geltungsbereich der Männer miteinbezogen. Der Sohn begleitet den Vater, soweit möglich, bei der Arbeit und in öffentlichen Bereichen. Den Eintritt der Jungen in die Sphäre der Männer markiert die Zeremonie der Beschneidung.

Der Übergang von der Jugendzeit zur Männerzeit erfolgt durch den Militärdienst, den jeder ab dem 18. Lebensjahr ableisten muss. Danach wird im ländlichen Bereich die Eheschließung erwartet. Nach dem Militärdienst genießt der Mann höheres Ansehen, von Mutter und Geschwistern wird ihm größerer Respekt entgegengebracht.

In der Stadt wird dagegen das Familienleben weitestgehend von den Ansprüchen einer Industriegesellschaft bestimmt (vgl. Akkaya, 1998, S. 233). Die Familien leben hier isolierter von ihren Verwandten, das bedeutet, dass eine Interaktion im Hinblick auf Austausch von Waren etc. aufgrund der besseren infrastrukturellen Versorgung nur gering ist. Aufgrund sozialer Unabhängigkeit können sich die Familien von sozialer Kontrolle emanzipieren, was letztlich dazu führt, dass die Einhaltung des Wertesystems nicht mehr mit der Strenge befolgt wird, wie dies in einer Agrargesellschaft der Fall ist.

Die weiblichen Familienmitglieder genießen in der Stadt einen höheren Status in der Gesellschaft, obwohl die Familien auch in der Stadt durchaus ihren patriarchalischen Charakter bewahren. In der Stadt ist es mittlerweile so, dass die Frau, bedingt durch eine ökonomische Notwendigkeit, zum Haushaltseinkommen beiträgt. Heirat und finanzielle Versorgung ist nicht mehr die einzige Möglichkeit der Frau ihren sozialen Status zu verbessern. Eine gute Schul –und Weiterbildung sichern der Frau ebenso ihre Unabhängigkeit und führen zu gesellschaftlichen Ansehen. So streben in der Stadt Eltern nicht mehr nur für ihre Söhne eine gute Schulbildung an.

Die hierarchische Beziehung der Geschlechter weicht in den Städten zunehmend einem egalitären Verhältnis, der entgegengebrachte Respekt und Gehorsam verlieren kaum an Bedeutung (vgl. Akkaya, 1998, S. 235).

In der Stadt sind gemischtgeschlechtliche Kontakte üblich.

Das Einkommen wird meist von beiden Eheleuten gemeinsam verwaltet. Auch die anfallenden Hausarbeiten werden aufgrund der zunehmenden Emanzipierung nicht mehr allein der Frau übertragen. Im Jahre 1992 wurde bei einer Umfrage festgestellt, dass 82,3% der befragten Männer zustimmten die Hausarbeiten im Falle der Erwerbstätigkeit der Frau gemeinsam zu erledigen. Allerdings ergab gleiche Umfrage, dass nur 34% der Männer sich tatsächlich an der Hausarbeit beteiligen (vgl. Akkaya, 1998, S. 234-235). So sind auch Frauen im städtischen Lebensbereich durch Erwerbstätigkeit und Hausarbeit einer Doppelbelastung ausgesetzt.

4.3 Heiratsverhalten und Scheidung

Heirat und Ehe haben in der türkischen Gesellschaft eine große Bedeutung. Zum einen dient Ehe für den Fortbestand der Familie, zum anderen gewährt sie soziale und finanzielle Sicherheit. Für Mädchen markiert die Eheschließung den Übergang zu Frausein und vor allem in ländlichen Gebieten steigt mit der Heirat das Ansehen und der Status innerhalb der Familie.

Das durchschnittliche Heiratsalter liegt in der Türkei bei Männern bei 26,3 Jahren, bei Frauen bei 22,2 Jahren (vgl. Akkaya, 1998, S. 240). Hier muss allerdings berücksichtigt werden, dass nur die vom Gesetz vollzogenen Heiraten registriert werden. In der Regel werden im ländlichen Lebensraum Ehen früher geschlossen, da viele Eltern das Heiratsverbot durch eine nicht Standesamtliche Trauung durch einen „Iman“ (Vorbeter einer Moschee) umgehen. Das vorgegebene Mindestalter für Eheschließungen liegt in der Türkei bei Mädchen bei 15 Jahre, bei Jungen bei 17 Jahren. Die standesamtliche Trauung erfolgt dann erst später, wenn das offizielle Heiratsalter erreicht ist. Mit einer Heirat gilt eine Frau als gebunden, die Gefahr, dass die Frau von anderen Männern, eventl. Von der Familie als unpassend empfunden, umworben wird besteht dann nicht mehr. Für ihren Sohn wünschen sich die Eltern eine frühzeitige Hochzeit, damit die Frau Ordnung in das Alltagsleben des Sohnes bringt und einen unsteten Lebenswandel verhindert.

Im städtischen Lebensraum ist das Heiratsalter höher als auf dem Land, hier absolvieren die Jugendlichen erst einen höheren Schulabschluss um ihre Existenz zu sichern. Eheschließung und Gründung einer Familie spielen in der Stadt nur noch eine sekundäre Rolle (vgl. Akkaya, 1998, S. 241). Die sogenannte Ehe ohne Trauschein existiert nur in den großen Städten sehr vereinzelt und findet in der Gesellschaft wenig Akzeptanz.

Zwar haben in der Türkei nur gesetzlich geschlossene Ehen eine Gültigkeit, allerdings ist die religiöse Eheschließung traditionell verankert. Die Ehe wird dann, wie schon erwähnt, durch einen Imam geschlossen, 1993 wurden 7,5% nur durch solch einen Imam geschlossen (vgl. Akkaya, 1998, S. 242). Nur standesamtlich geschlossene Ehen betrugen 3,2%. Meist findet beides statt.

In den ländlichen Gebieten wird die Partnerwahl noch vielfach von Eltern und Verwandten bestimmt. Jedoch entscheiden die zu verheiratenden Personen darüber, ob sie die Heirat akzeptieren oder nicht. Gelegentlich finden noch Zwangsverheiratungen statt, wenn die Familie aus materiellen oder ideellen Gründen einen Partner für das Kind bevorzugt. In diesem Falle kann die Frau gegen diese Zwangsheirat rechtlich klagen. Allerdings wird gerade in ländlichen Gebieten selten Gebrauch davon gemacht.

Die Möglichkeit, den Partner näher kennen zu lernen und sich selbständig für eine Heirat zu entscheiden, ist durch die soziale Kontrolle vor allem auf dem Land sehr eingeschränkt.

In den städtischen Gebieten findet die Partnerwahl in Absprache mit den Eltern statt, dem Wunsch der Kinder kommt eine große Bedeutung zu.

In der Nacht vor der Eheschließung feiern die Frauen im Hause der Braut, die Männer im Haus des Bräutigams. Früher diente die Nacht zur Vorbereitung der Braut auf die Hochzeit, sie wurde gereinigt, geschmückt und in ein Bad geführt. Die Nacht wird Henna-Nacht genannt, da der Höhepunkt der Feierlichkeiten die rituelle Färbung der Handflächen mit Henna ist.

Am Hochzeitstag wird die Braut vom Bräutigam und seiner Familie aus ihrem Elternhaus abgeholt (vgl. Akkaya, 1998, S. 246). Die Angehörigen versuchen die Übergabe durch regional unterschiedliche Bräuche zu verzögern. Den Abschluss der Zusammenführung bildet ein großes Fest, das vor allem finanzielle Stärke demonstrieren soll.

Natürlich lassen sich Heiratsverhalten und die Hochzeitsriten nicht verallgemeinern, sowohl durch die kulturelle Heterogenität als auch durch regionale Disparitäten werden sie beeinflusst.

Eine Scheidung wird in der Türkei sehr negativ bewertet. Insbesondere im ländlichen Raum ist eine Scheidung eine Störung der Solidargemeinschaft, zumindest wird dies von der Bevölkerung so empfunden. Unstimmigkeiten in der Ehe werden so meist nicht durch Scheidung gelöst, sondern ältere Familienmitglieder versuchen zwischen den Ehepartnern zu vermitteln, meist wird dann an die Geduld und Vernunft der Frau appelliert. Die Ehefrau akzeptiert Widrigkeiten ihrer Ehe auch meist, da die Verantwortung für den Zusammenhalt der Familie der Frau übertragen wird, sie finanziell vom Mann abhängig ist und das soziale Umfeld Druck auf sie ausübt. Auf dem Land kommt nach der Scheidung zudem die Schwierigkeit dazu einen neue Ehe eingehen zu können, da sie ihre Jungfräulichkeit bereits bei einem anderen Mann verloren hat (vgl. Akkaya, 1998, S. 247).

Natürlich wirkt sich der durch die Industrialisierung bedingte Modernisierungsprozess in den Städten auch auf die Haltung zur Scheidung aus. Hier gilt eine Trennung vom Partner als akzeptabel, zumal in den Städten eine soziale Kontrolle nicht so herrscht wie in ländlichen Bereichen des Landes und die Frau zudem ökonomisch unabhängiger vom Mann ist. Im Jahre 1994 lag die Zahl der Scheidungen in Istanbul bei 6028, dagegen in der südöstlichen Provinz Bitlis bei zwei. 1994 wurden 47% der Scheidungen von Paaren vorgenommen die noch nicht mehr als 5 Jahre verheiratet waren. Bei Ehepaaren die länger als 16 Jahre miteinander verheiratet waren, lag die Rate bei 18,9%. Auch kinderlose Ehen wurden 1994 eher geschieden als Paare mit Kindern, von Ehepaaren mit 4 Kindern ließen sich nur 2,9% scheiden.

5. Freizeitverhalten

Im Zusammenhang mit den bevölkerungsgeografischen Strukturen ist es auch wichtig und interessant sich das Freizeitverhalten einer Bevölkerung anzuschauen, da die Punkte, auf die ich bisher eingegangen bin wie Bevölkerungsdichte, Bevölkerungsverteilung im Land, Alterstruktur, Haushalts- und Familienstruktur, die Wohnverhältnisse etc. alle auf das Freizeitverhalten einwirken und es beeinflussen.

Das Freizeitverhalten der türkischen Bevölkerung kann nur sehr schwer auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Wie wohl in meinen bisherigen Ausführungen zur Bevölkerungsgeografie der Türkei deutlich geworden ist, ist die Gesellschaft von tiefen Trennlinien durchzogen, Unterschiede sind in der Tradition und Lebensgewohnheiten, finanziellen Mitteln, sowie infrastrukturellen Entwicklungen zu finden, die das Freizeitverhalten der Türken beeinflussen und prägen.

Einen großen Teil ihrer Freizeit verbringen die Türken zuhause, dies ist sowohl in der Stadt so als auch auf dem Land. Eine zentrale Rolle spielt der Fernseher, was darauf zurückzuführen ist, dass für kostspielige Freizeitaktivitäten oft kein Geld vorhanden ist.

Im ländlichen Raum sind die Freizeitaktivitäten noch weitgehend von der engen Beziehung zur Familie und Dorfgemeinschaft geprägt, das Zusammenkommen mit Verwandten und Freunden spielt auch insofern eine größere Rolle als in der Stadt da auf dem Land viel weniger kulturelle Angebote bestehen.

Frauen bleiben zudem meist sowieso zuhause bzw. lassen sich in der Öffentlichkeit nicht alleine sehen um dem guten Ruf nicht zu schaden. Die Männer treffen sich dagegen oft in den dörflichen Teestuben, zu denen Frauen keinen Zutritt haben.

Eine Abwechslung zum Dorfalltag sind Feste, religiöse oder familiäre. Diese Feste werden lange vorbereitet und genauestens geplant.

Im Gegensatz zum Land sind in der Stadt Arbeit und Freizeit klar voneinander zu trennen. Die in der Regel männlichen Erwerbstätigen verlassen am Morgen das Haus und kommen erst abends wieder heim. Die Frauen verrichten die Hausarbeit und treffen sich dann gegenseitig.

Allgemein kann man sagen, dass in den letzten Jahren die Frauen stärker am öffentlichen Leben teilhaben und so auch im Freizeitbereich gemeinsame Aktivitäten ausgeübt werden können. In den großen Städten gibt es mittlerweile auch Teestuben, die für Frauen zugelassen sind.

Staatliche Maßnahmen zur Förderung der Freizeitaktivitäten beziehen sich vorrangig auf die Förderung kultureller und sportlicher Aktivitäten. So werden z.B. Ferienlager für Kinder und Jugendliche veranstaltet (vgl. Akkaya, 1998, S.254).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die türkische Gesellschaft auch im Hinblick auf die Freizeit in einem Transformationsprozess befindet. Einerseits besteht das Freizeitverhalten aus Merkmalen einer typischen Agrargesellschaft, kaum erkennbare Trennung von Arbeit und Freizeit, das vorrangig Familien- und Dorfgemeinschaft zentrierte Freizeitverhalten und auch die Aufrechterhaltung der traditionellen Wertorientierung. Andererseits sind auch die Freizeitmerkmale einer typischen Industriegesellschaft zu sehen. Insbesondere im Westen der Türkei sind Arbeit und Freizeit klar zu trennen.

Auf diese Weise wächst die Bedeutung der Freizeit immer mehr und erhält einen wachsenden Stellenwert. Staatliche Institutionen widmen sich daher der Frage der Freizeitgestaltung: Die elektronischen Kommunikationsmedien nehmen zu und spielen eine verstärkte Rolle bei der Freizeitgestaltung. Traditionelle Wertorientierungen werden sukzessiv modifiziert, was insbesondere an der Zunahme der gemischtgeschlechtlichen Freizeitgestaltung in den Städten erkennbar ist (vgl. Akkaya, 1998, S.254).

6. Schluss

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die Türkei in allen genannten Punkten in einem Transformationsprozess befindet. Man kann sagen, dass sich die Türkei in einem Wandel von einer Agrar- in eine Industriegesellschaft befindet. Dieser Umwandlungsprozess ist in manchen Teilen des Landes schon weit voran geschritten, in anderen nicht. Daher lässt sich in großem Ausmaß, wie auch in meiner Seminararbeit des öfteren angedeutet wurde ein West- Ost Gefälle entdecken. Die westlichen Gebiete sind die hochentwickelten, modernen Gebiete, die östlichen Gebiete sind in vielen Punkten – aus westlicher Sicht- rückständig und weniger gut entwickelt.

7. Anhang

Abbildung 1: Die Regionen der Türkei

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Nachbar Türkei, 1997, S.104

Abbildung 2: Bevölkerungsentwicklung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Nachbar Türkei, 1997, S. 105

Abbildung 3: Bevölkerungsdichte nach der letzten Volkszählung 1990

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Nachbar Türkei, 1997, S. 108

Abbildung 4: Bevölkerungsverteilung in der Türkei nach Stadt und Land

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Nachbar Türkei, 1997, S. 111

Abbildung 4a: Bevölkerungsentwicklung nach Stadt und Land

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Länderbericht Türkei, 1998

Abbildung 5: Einwohnerentwicklung Istanbul

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Nachbar Türkei, 1998, S. 112

Abbildung 6: Anteile der Regionen am Bruttoinlandsprodukt der Türkei (1996, in %)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Nachbar Türkei, 1997, S. 118

Abbildung 7: Altersaufbau der Bevölkerung der Türkei

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Nachbar Türkei, 1997, S.110

Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland

Quelle: www.destatis.de/jahrbuch/jahrtab.1.htm, vom 11.12.2002

Abbildung 8: Altersstruktur in der Türkei und Deutschland

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: www.Wiwi.uni-rankfurt.de/professoren/ritter/veranstalt/ws9697/projekt/Projektg.htm, vom 30.11.02

Abbildung 9: Verteilung der durchschnittlichen Haushaltsgröße nach städtischem und ländlichem Lebensraum

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Länderbericht Türkei, 1998

Abbildung 9a: Verteilung der Haushaltsgrößen der Türkei

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Länderbericht Türkei, 1998, S.109

Abbildung 10: Verteilung der Ausgaben in den Privathaushalten 1994 (in %)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Länderbericht Türkei, 1998

8. Literatur:

- Spiegel Almanach 2002, Spiegel Buchverlag, Hamburg, 2002
- Fischer Weltalmanach 2003, S. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt 2002
- Aktuell 2003- Fakten, Rankings, Analysen, Harenberg Lexikon Verlag, Dortmund, 2002
- Ekin, Akif: Nachbar Türkei, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1997
- Akkaya, Cigdem, Özbek, Yasemin, Sen, Faruk: Länderbericht Türkei, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1998
- Hoff, Edgar, Korst, Marita: Türkei Handbuch, Reise Know –How Edgar Hoff Verlag, Fernwald, 2002
- www. Lpb.bwue.de/aktuell/bis/1_00/tuerkei02.htm, vom 01.12.02
- www.Wiwi.uni-rankfurt.de/professoren/ritter/veranstalt/ws9697/projekt/Projektg.htm, vom 30.11.02
- www.travel.yahoo.com/travel/de/europa/Laender/Tuerkei/breifly.html, vom 01.12.02
- www.destatis.de/jahrbuch/jahrtab.1.htm vom 11.12.2002
- www.istanbulpost.net/02/08/05/vz.htm vom 11.12.2002

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Die Bevölkerungsgeografie der Türkei
Autor
Jahr
2002
Seiten
31
Katalognummer
V107556
ISBN (eBook)
9783640058143
Dateigröße
457 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ohne Abbildungen!
Schlagworte
Bevölkerungsgeografie, Türkei
Arbeit zitieren
Katharina Waiz (Autor:in), 2002, Die Bevölkerungsgeografie der Türkei, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107556

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