Der niederländische Einfluss auf die Nordhorner Textilindustrie


Term Paper, 2002

15 Pages, Grade: 1,5


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Vorgeschichte der Textilindustrie
2.1. Nordhorn als Verkehrs- und Handelszentrum
2. 2. Die Leinenweberei
2. 3. Der Untergang der Leinenweberei

3. Die Mechanisierung der Textilindustrie
3. 1. Die Gründungsphase bis
3. 2. Die ersten Rückschläge
3. 3. Der Aufstieg zur Großindustrie

4. Die Arbeiterschaft
4. 1. Der Arbeitskräftemangel auf deutscher Seite
4. 2. Der Wanderungsstrom der Niederländer

5. Die Auswirkungen in Krisenzeiten

6. Zusammenfassende Schlussbetrachtung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Mit dem Aufstieg der Textilindustrie beginnt in Deutschland das Zeitalter der Industrialisierung. In der von England ausgehenden Entwicklung der sogenannten „Industriellen Revolution“ war sie einer der bedeutungsvollsten Wirtschaftszweige, in denen sich technische Fortschritte und neue Produktionsweisen durchsetzten und die traditionelle Wirtschaft von Grund auf änderte.

In meiner Arbeit möchte ich eben diesen Aufstieg der Textilindustrie am Beispiel meiner Heimatstadt Nordhorn darstellen. Diese Entwicklung ist untrennbar mit dem holländischen Textilgebiet der Twente verbunden. Deshalb habe ich mich mit dem Einfluss der niederländischen Unternehmer und Arbeiter auf die Nordhorner Textilindustrie beschäftigt.

Die Wurzeln dieser Verflechtung reichen zum Teil sehr tief, so dass ich mit den Handelsbeziehungen im Leinengewerbe beginnen musste, da dieses als Vorläufer der Textilindustrie angesehen wird.

Anschließend habe ich versucht aufzuzeigen inwiefern die Niederländer bei der Gründung der ersten Betriebe sowie deren Aufstieg zur Großindustrie beteiligt waren.

Des Weiteren habe ich mich mit der Arbeiterschaft auseinandergesetzt; wie es überhaupt zu einem Arbeitskräftemangel auf deutscher Seite kommen konnte und warum gerade so viele Niederländer in der Industrie tätig waren.

Am Ende meiner Arbeit gehe ich noch kurz auf die Reaktionen der Betriebe und die Situation der Arbeiter in Krisenzeiten ein.

2. Die Vorgeschichte der Textilindustrie

2.1. Nordhorn als Verkehrs- und Handelszentrum

Die Staatsgrenze zwischen der Grafschaft Bentheim und den Nieder-landen, die seit dem westfälischen Frieden 1648 in ihrem Verlauf existiert, hat keine naturräumlichen Vorrausetzungen. Sie durchzieht in vielen Bereichen eine gleichgeartete Region. Enge sozial-kulturelle und wirtschaftliche Verflechtungen waren und sind noch immer die Folge[1].

Auf Grund seiner günstigen Lage entwickelte sich Nordhorn zu einem bedeutenden Handels- und Umschlagplatz. An der alten „Flämischen Handelsstraße“, die von Flandern nach Bremen und Hamburg führte, nahm Nordhorn eine Schlüsselstellung ein[2].

Diese Handelsstraße verzweigte sich in Lingen in einen nördlichen Ast in Richtung Ijsselmeer und einen südlichen Ast, der zum Wirtschaftsraum Flandern führte. Von Lingen verlief sie bis zur Vechte bei Nordhorn und dann weiter in Richtung Denekamp.

Die Nordhorner Sandebene begünstige, durch seine Lage südlich des Bourtanger Moores, den Landverkehr von Nordost nach Südwest[3].

Gleichzeitig war für die Stadt die Lage an der Vechte von Bedeutung. Da diese ab Nordhorn schiffbar war, bot sie die Möglichkeit Transporte bis zum Ijsselmeer durchzuführen. Die Stadt wurde Ausgangspunkt einer belebten Wasserstraße[4].

In der Grafschaft Bentheim bestanden bis 1816 weder Gesetze noch Verordnungen, die den Handel in irgendeiner Weise behindert hätten. Der Zoll war so minimal, 1 Groschen pro Schiffspfund, dass ihn die Schiffer und Fuhrleute angeblich selbst bezahlten.

Dies änderte sich schlagartig, als Nordhorn durch politisch-territoriale Veränderungen anlässlich des Wiener Kongresses endgültig dem Königreich Hannover unterstellt wurde. Die wesentlichen Bestimmungen der alten Zollverordnung wurden erneuert und man achtete streng auf deren Einhaltung. Daraufhin verließen viele Händler den Bereich um Nordhorn. Um die hohen Zölle zu umgehen, exportierten sie ihre Waren außerhalb der Grafschaft in die Niederlande. Neu errichtete Steinstraßen begünstigten diese Entwicklung[5].

Mitte des 19. Jahrhunderts kam der Frachtverkehr auf der Vechte völlig zum Erliegen und der Grafschafter Handel geriet immer weiter ins Abseits, zumal die neuen Verkehrswege den Nordhorner Raum nicht mehr berührten[6].

2. 2. Die Leinenweberei

Ein bedeutender Teil des Nordhorner Handels bestand zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus dem Leinen- und Garnhandel. Als Vorgänger der Textilindustrie kann eben diese Leinenweberei angesehen werden.

Begünstigt wurde diese Entwicklung mit der Verbreitung bäuerlicher Kleinbetriebe, sowie dem Heuerlingswesen. Auf den meist kleinen und mageren Äckern der Kleinbauern gediehen Flachs und Hanf besser als Weizen oder Roggen. Für die Erzeugung von Garnen und Geweben aus Flachs war nur eine verhältnismäßig kleine Nutzfläche notwendig. Die Pflanze stellte nur geringe Ansprüche an die Bodenqualität und konnte in den Wintermonaten versponnen und zu Leinwand verwebt werden[7].

Diese minderbemittelte Bevölkerung der Heuerleute, Knechte und Kleinbauern sicherten sich mit der Leinenherstellung ihre Existenz. „Die Hausweberei bestand einerseits in der Eigenproduktion, die überwiegend während der arbeitsschwachen Wintermonate als bäuerliche Nebenbeschäftigung zur Deckung des eigenen Bedarfs betrieben wurde und andererseits in der ländlichen Produktion, die regelmäßig über den eigenen Bedarf hinaus für den Verkauf arbeitete[8].“

Während die Produktion mehr auf deutscher Seite zu finden war, lag der Handel bei den Niederländern, die mit ihren Häfen den unmittelbaren Anschluss an den Weltmarkt besaßen.

Zu einem großen Teil lag der Leinenhandel in Nordhorn zugleich in der Hand der meist holländischen Spediteure, deren gute oft verwandtschaftliche Beziehungen zu den Abnehmern in den Niederlanden der Stadt zugute kamen[9].

Über Nordhorn wurden in erster Linie Leingarne ausgeführt. Diese kamen nicht nur aus dem Bentheimer, sondern ebenso aus dem hannoverschen wie auch münsterländischen Gebiet, die dann in Holland weiterverarbeitet wurden.

2. 3. Der Untergang der Leinenweberei

Wie schon in Kapitel 2.1. beschrieben, trafen die neuen Zollverordnungen 1816 den Leinenhandel hart und nahmen ihm schließlich fast jede Bedeutung.

Den entscheidenden Schlag erlitt das Leinengewerbe durch das Aufkommen der Baumwolle. Im 18. Jahrhundert waren in England mit der Erfindung der Spinnmaschine und des mechanischen Webstuhls die notwendigen Vorrausetzungen für eine Industrialisierung der Textilerzeugung gegeben. Aufgrund von Materialeigenschaften vollzog sich die Mechanisierung am frühesten und erfolgreichsten in der Baumwollverarbeitung[10].

In der Zeit der über die britischen Inseln verhängten Kontinentalsperre war es England gelungen mit diesen Erfindungen eine neue Textilindustrie aufzubauen, deren Produktion weit größer war als der Inlandsbedarf. Die großen englischen Lagerbestände von Baumwollgeweben und Garnen, die sich in der Zeit der Isolierung angesammelt hatten, wurden nach 1815, der Aufhebung der Kontinentalsperre, zu Schleuderpreisen nach Europa verkauft[11].

Von dieser Entwicklung war das Grafschafter Leinengewerbe ebenso wie die übrigen Leinengebiete hart getroffen. Hinzu kam noch, dass Holland zum Schutz seiner eigenen Textilindustrie den Import von Garnen und Geweben mit einem Einfuhrzoll von 25-40 % belegte.

Das Königreich Hannover dagegen gewährte freie Einfuhr und führte in gesteigertem Maße englische Gewebe ein, wodurch das schon verkleinerte Grafschafter Leinengewerbe noch weiter geschwächt wurde[12]. Verminderte Nachfrage aufgrund mangelnder Konkurrenzfähigkeit machte die Leinenproduktion gegenüber der Baumwolle schließlich völlig unrentabel. Die sogenannte „Hollandgängerei“ nahm erheblich zu. Viele Arbeiter gingen saisonweise nach Holland um dort als Grasmäher oder Torfstecher Geld für ihre Familien zu verdienen.

3. Die Mechanisierung der Textilindustrie

3. 1. Die Gründungsphase bis 1857

Den entscheidenden Anstoß zum Aufbau einer fabrikmäßig betriebenen Textilindustrie in der Grafschaft Bentheim lieferte nicht unmittelbar England, sondern das benachbarte niederländische Textilgebiet der Twente. Bei der Teilung Belgiens und der Niederlande im Jahre 1831 war der größte Teil des traditionellen Textilgewerbes an Belgien abgetreten worden. Als Ersatz dafür wurde die Twente mit erheblicher Unterstützung unter der Leitung der staatlichen Außenhandelsgesellschaft (Nederlandse Handelsmaatschappij) planmäßig zum neuen Zentrum der holländischen Textilindustrie entwickelt[13].

Der Engländer Thomas Ainsworth führte im Auftrag der Regierung die neuen Methoden der mechanischen Produktion in der Twente ein. In der Spinnerei ging man unmittelbar zur fabrikmäßig betriebenen Herstellung über. Das Weben mit den Schnellschützen wurde in speziell dafür errichteten Webschulen gelehrt; die Herstellung selbst erfolgte vorerst weiterhin in den Häusern der Weber, bis auch hier die technische Entwicklung zum Fabrikbetrieb führte[14].

Der Einfluss der Twente führte in der zweiten Hälfte der 1830er Jahre im westlichen Münsterland und in der Grafschaft Bentheim zu einem kleinen „Gründungsrausch“ von Schnellwebereien[15].

Eine Ansiedelung schien hier sehr günstig zu sein, denn in einem Gebiet von ehemaliger Heimweberei waren die wichtigsten Grundkenntnisse vorhanden. Ebenso war das Lohnniveau in dieser Gegend durch den Untergang der Vechteschifffahrt und der Leinenweberei derart gesunken, dass sich die Arbeiter mit einer sehr niedrigen Bezahlung zufrieden gaben.

Den Ansatz für die Textilindustrie in Nordhorn legte der aus Enschede stammende Kaufmann Willem Stroink im Jahre 1839. Nach holländischem Vorbild gründete er die erste Schnellweberei in Nordhorn. Er warb 20 erfahrene Weber mit Schnellwebstühlen aus seiner Heimatstadt an, die die Nordhorner Arbeiter anlernten. Sobald sie selbständig arbeiten konnten, lieferte ihnen Stroink einen Webstuhl ins Haus und versorgt die Arbeiter mit Garn und Anweisungen für die Produktion[16].

Die fertigen Waren wurden dann von Stroink als Verleger in den Niederlanden oder Deutschland abgesetzt.

1845 beschäftigte Willem Stroink bereits ca. 90 Hausweber. Somit sicherte er sich einen ausgebildeten Arbeiterstamm und schaffte den ersten Schritt auf dem Weg zum Fabrikbetrieb. Nach seinem Vorbild gründeten in den nächsten Jahren einige andere Unternehmer in Nordhorn und der gesamten Grafschaft Bentheim weitere Schnellwebereien und Baumwollspinnereien.

Handwebstühle in den Fabriken und in Heimarbeit waren noch für ein bis zwei Jahrzehnte nebeneinander tätig. Das langsame Hinübergleiten von der vorindustriellen zur industriellen Produktionsweise bot große Vorteile: Es minderte das Risiko, das in der Einführung neuer Technologien lag; Es erleichterte die Finanzierung des neu anzuschaffenden Maschinenparks aus den Einnahmen des Verlagswesens, außerdem konnten die herkömmlichen Beschaffungs- und Absatzwege weiter genutzt und mussten nicht erst neu entwickelt zu werden[17].

3. 2. Die ersten Rückschläge

Viele kleinere Betriebe gingen in den ersten Jahren wegen unternehmerischer Unerfahrenheit und ungenügender Kapitalbasis Bankrott.

Dieser Schrumpfungsprozess wurde in den fünfziger und sechziger Jahren durch zwei Ereignisse noch angetrieben. Die Weltwirtschaftskrise von 1857 bis 1862 traf auch die entstehende Baumwollindustrie. 1861 waren an den 415 Webstühlen im Amt Bentheim nur noch 265 Arbeiter beschäftigt. Noch schwerwiegender waren aber die Folgen des amerikanischen Bürgerkrieges (1861 – 1865), der Europa zeitweise von der Einfuhr amerikanischer Baumwolle abschnitt. Baumwollmangel und steil ansteigende Rohstoffpreise führten vielerorts zum Stillstand der Unternehmen.

Den Nordhorner Betrieben gelang es aber, diese Krisen zu überdauern, und in den nachfolgenden Jahren entwickelte sich die Kleinstadt zum nördlichsten Zentrum des rheinisch-westfälischen Textilgebietes[18].

3. 3. Der Aufstieg zur Großindustrie

Nach und nach vollzog sich auch in der Grafschaft Bentheim die völlige Mechanisierung der gesamten Baumwollproduktion mit der Einführung der Dampfmaschine in den Produktionsprozess. Dies erfolgte analog der Entwicklung der Twente, allerdings mit einer zeitlichen Phasenverschiebung von ca. 20 Jahren. Der Mechanisierungs- und Industrialisierungsvorgang des Textilgewerbes war alles in allem in Deutschland ein sehr langwieriger Prozess, der sich über das gesamte 19. Jahrhundert erstreckte[19].

Trotz der erfolgten Umstellung war in den nächsten zwei Jahrzehnten nur ein sehr bescheidenes Wachstum zu registrieren. Immer stärker fielen die Standortnachteile Nordhorns im Vergleich zu den angrenzenden Konkurrenzstädten der Obergrafschaft und des Münsterlandes ins Gewicht. Da die Mechanisierung die Kraftstoffe als neuen Standortfaktor in die Textilindustrie einführte, entwickelten sich hauptsächlich die Textilgebiete die günstig zu den Kohlerevieren lagen. Mit dem Ende der Vechteschifffahrt war Nordhorn verkehrsmäßig in eine Randlage geraten[20].

1896 erhielt die Stadt einen Anschluss an das Bahnnetz. Die sogenannte Bentheimer Kreisbahn verkehrte zwischen Bentheim, Nordhorn, Neuenhaus, Emlichheim und Coevorden. Als dann 1899 der Dortmund-Ems-Kanal fertiggestellt wurde, der über den Ems-Vechte-Kanal eine Verbindung zum Ruhrgebiet herstellte, war Nordhorn innerhalb weniger Jahre verkehrsmäßig äußerst günstig erschlossen[21].

Die Nordhorner Textilindustrie trat in eine neue Gründerperiode ein, die sie bis zum Ersten Weltkrieg zu einem der leistungsstärksten deutschen Textilzentren heranwachsen ließ.

Die ausschlaggebende Initiative zur Neuorientierung der Textilproduktion ging 1889 von Ludwig Povel aus. Er brachte ein völlig neues Produkt auf den Markt, die bald in ganz Deutschland bekannten „Waterschürzen“.

Diese Schürzenstoffe wurden durch ihre schöne Färbung und Sorgfältigkeit wie auch einen konkurrenzlos günstigen Preis zum durchschlagenden Erfolg. Povel stieg somit innerhalb weniger Jahren zur führenden Firma in Schürzenstoffen auf. Die Belegschaft des Betriebes wuchs bis 1913 um das Zwanzigfache an[22].

Es blieb nicht aus, dass das Povelsche Erfolgsrezept nachgeahmt wurde. Nordhorn wurde zu einer Stadt der Buntweber. Neue, moderne Textilbetriebe wurden durch junge, z. T. auswärtige Unternehmer gegründet. Die zugezogenen Kaufleute Bernhard Rawe aus Münster, Bernhard Niehues aus Münster, Walter Fastenrath aus Halver und Kurt Schlieper aus Elberfeld besaßen neben fortschrittlichen Ideen und Methoden auch ein hohes Investitionskapital[23].

Weiterhin wiesen diese Unternehmer etwas auf, was im eher provinziellen Nordhorn gefehlt hatte: eine ausgezeichnete fachliche Ausbildung zum „Textilunternehmer“. Diese hatten sie keineswegs nur am Ort selber oder als Nachfolger des väterlichen Unternehmens erworben, sondern in Ausbildungsjahren in den damaligen Zentren der deutschen Textilindustrie[24].

Die jungen Unternehmer waren äußerst aufgeschlossen gegenüber den neuesten technischen Innovationen. Mit ihnen vollzog sich, vornehmlich in den Jahren der Jahrhundertwende, der schnelle Aufstieg der Nordhorner Betriebe zur Großindustrie. Von 1900 bis 1913 vervierfachte sich die Zahl der Beschäftigten und der Webstühle und verzwölffachte sich die Zahl der Spindeln. 1913 arbeitete bei einer Einwohnerzahl von 12390 knapp ein Drittel der Bevölkerung in den Textilfirmen[25].

4. Die Arbeiterschaft

4. 1. Der Arbeitskräftemangel auf deutscher Seite

Es ist anzunehmen, dass durch den Niedergang der Vechteschifffahrt sowie den Verfall der Leinenweberei genügend arbeitswillige Kräfte für die neue Industrie vorhanden waren, doch in Wirklichkeit standen den Nordhorner Betrieben in der Stadt und in ihrem Umland nie in ausreichendem Maße fachlich qualifizierte Arbeiter zur Verfügung.

Einer der wichtigsten Standortfaktoren in der Baumwollindustrie war eine qualifizierte Arbeiterschaft. In der Grafschaft Bentheim geschah die Ansiedlung in einem Bereich ehemaliger Heimproduktion, was das Arbeitskräfteproblem ein wenig erleichterte.

Allerdings sollte man nicht übersehen, dass von Seiten der handwerklichen und heimgewerblichen Weber und Spinner zumindest in der ersten Zeit der Industrialisierung eine starke Abneigung gegenüber der Aufgabe ihrer Selbständigkeit bestand. Im Kopf vieler vollzog sich eine scharfe Trennung zwischen einem Fabrikarbeiter und einem Heimarbeiter, der oft noch sein eigenes Land besaß[26].

4. 2. Der Wanderungsstrom der Niederländer

Folglich waren die Unternehmer gezwungen Arbeiter von außerhalb anzuwerben. Wie schon bei der Fabrikgründung Willem Stroinks deutlich wurde, war Nordhorn in der glücklichen Lage, die benötigten Facharbeiter aus der bereits weiter fortgeschrittenen Textilindustrie der Twente abzuwerben.

Die Niederländer bildeten besonders in der ersten Phase der Industrialisierung (1847 - 1861) den eigentlichen Stamm der Arbeiter-schaft[27].

Mit dem raschen Aufstieg der Baumwollbetriebe zur Großindustrie im späten 19. Jahrhundert herrschte bald ein empfindlicher Mangel an ausgebildeten Facharbeitern. Nun setzte aus den benachbarten niederländischen Grenzgebieten verstärkt eine Pendelarbeiterbewegung in die deutschen Textilbetriebe ein[28].

Der Zustrom niederländischer Arbeiter nahm neue Dimensionen an: hatte ihre Zahl noch in den achtziger Jahren bei 50 bis 60 gelegen, so waren es 1900 bereits etwa 500, 1914 insgesamt 800, fast ein Viertel der Gesamtbeschäftigtenzahl[29].

Ebenso wie bei den deutschen Hollandgängern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts handelte es sich hierbei um eine Wanderung aus einem Arbeiterüberschussgebiet in ein Vakuum. Dagegen waren diese holländischen Grenzgänger Tagespendler im Unterschied zu den deutschen Saisonarbeitern der vorhergehenden Periode[30].

Nahezu 80 % stammten aus der benachbarten Provinz Overijssel, zu der auch die Twente gehörte. Viele von ihnen ließen sich in den Grenzgemeinden auf niederländischer Seite nieder, einige wenige zogen direkt nach Nordhorn. Die Neuankömmlinge, unter denen so gut wie keine Frauen zu finden waren, waren noch in den 80er und 90er Jahren zu fast 60 % bei ihrem Zuzug verheiratet und brachten häufig ihre Familien mit. In den Jahren um die Jahrhundertwende überwog hingegen der Anteil lediger Arbeiter mit nun über 60 %.

Abbildung 1:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie aus der Tabelle ersichtlich [31]stellten 1883-85 die 26-30jährigen die stärkste Gruppe dar. Dieselbe Gruppe stand zehn Jahre später nun zusammen mit den 36-40jährigen an der Spitze. In dieser Zeit hatte sich die Zahl der Arbeiter kaum erhöht, aber eine Reihe der Zuwanderer war nun sesshaft geworden.

Betrachtet man nun noch den Zeitraum von 1900-1905, wird das beschriebene Anschwellen der Beschäftigtenzahlen auch in der Altersstruktur erkennbar: 46 % der Arbeiter waren jünger als 25. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit dem industriellen Aufstieg jüngere Arbeitskräfte von den ebenfalls noch sehr jungen Unternehmern bevorzugt wurden[32].

Mit der Zunahme niederländischer Arbeiter in der Nordhorner Textilindustrie entfaltete sich 4 km hinter der Grenzlinie der Ort Denekamp als ein beliebter Wohnsitz der „Fremdarbeiter“. 1914 wohnten 300, 1928 600 dort, gefördert durch Ansiedelungsmaßnahmen der Betriebe[33].

Einige Firmen, wie Niehues & Dütting und W. Stroink & Co. errichteten ihren niederländischen Arbeitnehmern jenseits der Grenze auf holländischem Boden neue Wohnungen, denn die Stadt Nordhorn war mit der stetig und rasch wachsenden Bevölkerung, was Unterkünfte anging, überfordert.

Die meisten niederländischen Arbeiter wohnten daher in den holländischen Grenzgemeinden und fuhren täglich mit dem Fahrrad in die Textilbetriebe.

Ein Heer von Radfahrern prägte zu dieser Zeit das Bild der Textilstadt.

Die Pendelwanderung wurde dadurch begünstigt, dass Holland ein Freihandelsland war. Die Lebenshaltungskosten waren demzufolge wesentlich geringer als in Deutschland. Hinzu kam ein günstiger Umrechnungskurs für den Gulden, so dass die Holländer einen Reallohn erhielten, der etwa 25 % über dem der deutschen Arbeiter lag[34].

Die Niederländer arbeiteten gerne in der Nordhorner Textilindustrie, wohnten aber lieber auf holländischem Boden.

Die Währung stellte auch kein Problem dar, denn deutsches Geld war mittlerweile öffentliches Zahlungsmittel in den holländischen Grenzgemeinden.

Sprachbarrieren waren ebenfalls kaum vorhanden, zumal noch bis ins 20. Jahrhunderts hinein in Nordhorn hauptsächlich Niederländisch gesprochen wurde[35].

Von den Fabrikanten, die ja oft ebenfalls Niederländer waren, wurden die Holländer wegen ihrer guten Arbeitsleistung sehr geschätzt. Bei den deutschen Arbeitern hingegen waren sie nie sonderlich beliebt, da sie einen gewissen Druck auf das Lohnniveau ausüben konnten[36].

5. Die Auswirkungen in Krisenzeiten

In Nordhorn und Umgebung führte der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu einschneidenden Beschränkungen in der Textilwirtschaft. Dennoch mussten die Betriebe ihre Produktion zunächst nur in geringem Umfang drosseln, da in erster Linie über Holland weiterhin Baumwolle nach Deutschland gelangte. Erst als England 1916 die Baumwolle zur Bannware erklärte, verschlechterte sich die Situation schlagartig. Es bestand keine Möglichkeit den Ausfall der Baumwollimporte zu kompensieren und so griff der Staat zur Zwangsbewirtschaftung aller Textilrohstoffe und legte einen Teil der Betriebe still. In Nordhorn sank die Produktion der Webereien auf ein Zwanzigstel, die der Spinnereien auf ein Sechstel[37].

Die unausbleiblichen Entlassungen konnten im Allgemeinen durch die Einberufungen kompensiert werden. Härter traf es die in der Grafschaft arbeitenden Holländer, sowohl die dort lebenden, als auch die Grenzgänger. Sie wurden von den Einberufungen nicht betroffen und somit zum großen Teil arbeitslos. Viele von ihnen kehrten nach Holland zurück oder mussten von den Niederlanden unterstützt werden. In den holländischen Grenzgemeinden herrschte große Arbeitslosigkeit und Not[38].

Abbildung 2:

Arbeitsmarkt der Nordhorner Textilindustrie in der Weltwirtschaftskrise[39]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Abbildung verdeutlicht, dass mit dem Anstieg der Arbeitslosen die Zahl der niederländischen Arbeitnehmer abnimmt. So waren Krisenzeiten für die Nordhorner Arbeiterschaft nicht in vollem Maße fühlbar. Erst als dieses Mittel fast ausgeschöpft war, stieg die Zahl der arbeitslosen Textilarbeiter im Zusammenhang mit der Aufgabe der kleineren Betriebe kurzfristig steil an[40].

Bezeichnenderweise führte die Weltwirtschaftskrise in Nordhorn erst zu Arbeitskämpfen, als nach der Entlassung von fast eintausend Holländern auch die Arbeitslosenziffer der heimischen Textilarbeiter 1929/30 rapide in die Höhe schnellte, obwohl viele Betriebe kurzarbeiten ließen.

Aus diesen Reaktionen wird erkennbar, dass die niederländischen „Gastarbeiter“ in Krisenzeiten gerne als eine Art „Puffer“ benutzt wurden, um die heimischen Arbeitnehmer so gut wie möglich vor Arbeitslosigkeit und Armut zu schützen.

6. Zusammenfassende Schlussbetrachtung

Von Anfang an war die grenznahe Lage der Grafschaft Bentheim für die Textilindustrie sehr entscheidend. Schon vor Beginn der Industrialisierung wurde der Leinenhandel zum größten Teil über die Niederlande abgewickelt.

Die Initiative für die industrielle Entwicklung der Stadt kam nicht unmittelbar von den alten, eingesessenen Kaufmanns- und Spediteurfamilien, die vielfach nach dem Niedergang des Nordhorner Handels in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts abwanderten.

Den entscheidenden Anstoß zum Aufbau der Textilindustrie lieferte ein Zuwanderer: Der Niederländer Willem Stroink. Auch die weitere, rasend schnelle Entwicklung wäre ohne die zahlreichen niederländischen Arbeiter kaum möglich gewesen.

Zwar waren diese „Gastarbeiter“ bei den heimischen Arbeitern nicht sehr gerne gesehen, da sie in der Lage waren die Löhne zu drücken, doch hatte das auch einen entscheidenden Vorteil: In den für die Nordhorner Textilindustrie zum Teil sehr schwierigen Krisenzeiten hatten die Betriebe vielfach nur deshalb überleben können, weil ihnen in diesem nördlichsten Zipfel des rheinisch-westfälischen Textilgebietes immer Arbeiter zur Verfügung standen, die aus Mangel an Erwerbsmöglichkeiten auch niedrigste Löhne akzeptierten.

7. Literaturverzeichnis

Kersting, A.: Das Textilindustriegebiet des westfälisch-niederländischen Grenzbezirks, ohne Orts- und Jahresangabe.

Kötter, H.: Die Textilindustrie des deutsch-niederländischen Grenzgebietes in ihrer wirtschaftsgeographischen Verflechtung, Arbeiten zur Rheinischen Landeskunde, Heft 2, Bonn 1952.

Kruse,M.:Textilindustrie im Raum Nordhorn – Schriftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt an der Grund- und Hauptschule, Münster 1977.

Nitz, J.:Die Textilindustrie in Nordhorn im Zeitalter der Industrialisierung – Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der ersten Staatsexamensprüfung für das Lehramt der Sekundarstufe II, Münster 1989.

Rohr,W.:Ökonomische Determinanten einer Geschichte der Arbeiterbewegung in Nordhorn 1929-1935 – Schriftliche Hausarbeit zum ersten Staatsexamen für das Lehramt an Berufsbildenden Schulen, Bremen 1979.

Schomakers, H.: Zum Verhältnis von Angebot und Nachfrage der „Ware Arbeitskraft“ am Beispiel des Landkreises Grafschaft Bentheim – Schriftliche Hausarbeit zum ersten Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien, ohne Ortsangabe, 1978.

Schweizer, W.F.: Zur Geschichte der Textilindustrie im Euregio-Gebiet, 2.Auflage, Enschede 1984.

Specht, H.:Nordhorn – Geschichte einer Grenzstadt, 2.Auflage, Nordhorn 1979.

Vogel, U.:Entwicklung und Bedeutung grenzüberschreitender Raumbeziehungen für die Stadt Nordhorn, Osnabrück 1982.

Wischermann, C.:Vom Heimgewerbe zur Fabrik – Industrialisierung und Aufstieg der Nordhorner Textilindustrie im 19. und 20 Jahrhundert, in: Nordhorn – Beiträge zur 600jährigen Stadtgeschichte, hrsg. Von C. von Looz-Corswarem und M. Schmitt, Nordhorn 1979, S. 190 – 228.

[...]


[1]Vogel, U.:Entwicklung und Bedeutung grenzüberschreitender Raumbeziehungen für die Stadt Nordhorn, Osnabrück 1982, S. 16.

[2]Kruse,M.:Textilindustrie im Raum Nordhorn – Schriftliche Hausarbeit zur ersten

Staatsprüfung für das Lehramt an der Grund- und Hauptschule, Münster 1977, S. 3.

[3]Vogel, U.:Grenzüberschreitende Raumbeziehungen, S. 16.

[4]Nitz, J.:Die Textilindustrie in Nordhorn im Zeitalter der Industrialisierung – Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der ersten Staatsexamensprüfung für das Lehramt der Sekundarstufe II, Münster 1989, S. 30.

[5]Nitz, J.:Die Textilindustrie in Nordhorn im Zeitalter der Industrialisierung, S. 39.

[6]Vogel, U.:Grenzüberschreitende Raumbeziehungen, S. 17.

[7]Wischermann, C.:Vom Heimgewerbe zur Fabrik – Industrialisierung und Aufstieg

der Nordhorner Textilindustrie im 19. und 20 Jahrhundert, in: Nordhorn – Beiträge zur

600jährigen Stadtgeschichte, hrsg. Von C. von Looz-Corswarem und M. Schmitt, Nordhorn 1979, S. 190 – 228, S. 192.

[8]Kruse,M.:Textilindustrie im Raum Nordhorn, S. 6-7.

[9]Wischermann, C.:Vom Heimgewerbe zur Fabrik, S. 191.

[10]Wischermann, C.:Vom Heimgewerbe zur Fabrik, S. 192.

[11]Kruse,M.:Textilindustrie im Raum Nordhorn, S. 12.

[12]Kruse,M.:Textilindustrie im Raum Nordhorn, S. 13.

[13]Wischermann, C.:Vom Heimgewerbe zur Fabrik, S. 194.

[14]Wischermann, C.:Vom Heimgewerbe zur Fabrik, S. 195.

[15]Nitz, J.:Die Textilindustrie in Nordhorn im Zeitalter der Industrialisierung, S. 51.

[16]Nitz, J.:Die Textilindustrie in Nordhorn im Zeitalter der Industrialisierung, S. 52.

[17]Wischermann, C.:Vom Heimgewerbe zur Fabrik, S. 196.

[18]Wischermann, C.:Vom Heimgewerbe zur Fabrik, S. 197.

[19] Ebd.

[20]Nitz, J.:Die Textilindustrie in Nordhorn im Zeitalter der Industrialisierung, S. 58/59.

[21]Nitz, J.:Die Textilindustrie in Nordhorn im Zeitalter der Industrialisierung, S. 59/60.

[22]Wischermann, C.:Vom Heimgewerbe zur Fabrik, S. 203.

[23]Kruse,M.:Textilindustrie im Raum Nordhorn, S. 24.

[24]Wischermann, C.:Vom Heimgewerbe zur Fabrik, S. 209/210.

[25]Nitz, J.:Die Textilindustrie in Nordhorn im Zeitalter der Industrialisierung – Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der ersten Staatsexamensprüfung für das Lehramt der Sekundarstufe II, Münster 1989, S. 67.

[26]Wischermann, C.:Vom Heimgewerbe zur Fabrik, S. 211.

[27] Ebd., S. 212.

[28]Kötter, H.: Die Textilindustrie des deutsch-niederländischen Grenzgebietes in ihrer wirtschaftsgeographischen Verflechtung, Arbeiten zur Rheinischen Landeskunde, Heft 2, Bonn 1952, S. 30.

[29]Wischermann, C.:Vom Heimgewerbe zur Fabrik, S. 212.

[30]Kötter, H.: Die Textilindustrie in ihrer wirtschaftsgeographischen Verflechtung, S. 30.

[31]Wischermann, C.:Vom Heimgewerbe zur Fabrik, S. 213, Quelle aus: Stadtarchiv Nordhorn C I i 23, Verzeichnis der im Bezirke Amt Neuenhaus lebenden Holländer vom 10. März 1883, fortgeführt bis 1885; Ausländerliste (Holländer) vom 10. März 1892; C I i 24, Acta betr. Verzeichnis der Ausländer 1900-1905.

[32]Vogel, U.:Entwicklung und Bedeutung grenzüberschreitender Raumbeziehungen für die Stadt Nordhorn, Osnabrück 1982, S. 21.

[33]Vogel, U.:Grenzüberschreitende Raumbeziehungen, S. 22.

[34]Kötter, H.: Die Textilindustrie in ihrer wirtschaftsgeographischen Verflechtung, S. 30.

[35]Vogel, U.:Grenzüberschreitende Raumbeziehungen, S. 19.

[36]Kötter, H.: Die Textilindustrie in ihrer wirtschaftsgeographischen Verflechtung, S. 30.

[37]Wischermann, C.:Vom Heimgewerbe zur Fabrik, S. 220.

[38]Kötter, H.: Die Textilindustrie in ihrer wirtschaftsgeographischen Verflechtung, S. 38.

[39]Wischermann, C.:Vom Heimgewerbe zur Fabrik, S. 220, Quelle aus: Specht, H.,

Stadt- und Wirtschaftsgeschichte von Nordhorn, Oldenburg 1941, S. 301, 368.

[40]Vogel, U.:Grenzüberschreitende Raumbeziehungen, S. 23/24.

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Details

Title
Der niederländische Einfluss auf die Nordhorner Textilindustrie
College
University of Osnabrück
Course
Region und Migration: Räumliche Mobilität in Osnabrück und im Osnabrücker Land vom 18. Jahrhundert
Grade
1,5
Author
Year
2002
Pages
15
Catalog Number
V107574
ISBN (eBook)
9783640058310
File size
503 KB
Language
German
Keywords
Einfluss, Nordhorner, Textilindustrie, Region, Migration, Räumliche, Mobilität, Osnabrück, Osnabrücker, Land, Jahrhundert
Quote paper
Stephanie Kohsiek (Author), 2002, Der niederländische Einfluss auf die Nordhorner Textilindustrie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107574

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