Regelgebundene oder diskretionäre Geldpolitik?


Seminararbeit, 2002

27 Seiten


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1 Einleitung

2 Überblick

3 Beschränkung des diskretionären Handelns der Zentralbank
3.1 Annahmen der traditionellen Sichtweise
3.2 Kritik Bofingers
3.3 Das principal-agent Problem der Geldpolitik

4 Das Problem der Zeitinkonsistenz

5 Grundlagen des Barro-Gordon-Modells
5.1 Annahmen
5.1.1 Zeitinkonsistenz
5.1.2 Wohlfahrt
5.1.3 Perfekte Information
5.2 Beschränkungen des Modells und Kritik
5.2.1 Das Problem der Zielfunktion
5.2.2 Das Problem der Zeitdimension
5.2.3 Das Problem der Information

6 Wirtschaftspolitische Implikationen

ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS

Tabelle 3.1: Governing bodies of central banks

Abbildung 5.1: Die soziale Verlustfunktion im Barro-Gordon-Modell

Abbildung 5.2: Unterschiedliche Lösungen im Barro-Gordon-Modell

1 Einleitung

Im Rahmen der Geldpolitik entscheidet im Gebiet der europäischen Währungsunion die Europäische Zentralbank (EZB) innerhalb der Konjunkturpolitik über den Einsatz ihrer geldpolitischen Instrumente. Durch ihre Unabhängigkeit von Parlament und Wähler ist sie in der Lage, bereits frühzeitig auf Abweichungen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage vom anvisierten Ziel zu reagieren. Die EZB steuert dazu die insgesamt vorhandene Geldmenge bzw. den Zinssatz in ihrem Zuständigkeitsbereich mit

Hilfe von Offenmarktpolitik, ständigen Fazilitäten und Mindestreservepolitik.1

Problematisch wird es, wenn die Verantwortlichen entweder andere Ziele als die soziale Wohlfahrt verfolgen oder schlicht zu wenig über ökonomische Prozesse wissen. Im Folgenden wird daher die Fragestellung betrachtet, ob Regeln zur Beschränkung des Handlungsspielraums der Zentralbank sinnvoll sind, die wichtige politische Variablen wie mittelund kurzfristige Ziele oder den Einsatz bestimmter Instrumente kodifizieren. In jüngeren Debatten wird zudem diskutiert, dass Regeln selbst dann nötig sind, wenn die Verantwortlichen sehr kompetent sind und ausschließlich die soziale Wohlfahrt im Blick haben. Konkret wird eine Regel angeregt welche fordert, dass die Inflationsrate zu jeder Zeit gleich Null beträgt. Basis dieser Restriktion sind allerdings recht künstliche und unrealistische Annahmen, unter anderem diejenige, dass die Zentralbank eine Arbeitslosenquote unterhalb der natürlichen Arbeitslosenquote zum Ziel hat.

Die vorliegende Arbeit wird anhand des von R.J. BARRO und D.B. GORDON im Jahr 1983 vorgestellten und hier in Kapitel 5 behandelten Barro-Gordon-Modells darstellen, dass eine gut entworfene Satzung der Zentralbank strengen Regeln in der Geldpolitik vorzuziehen ist. Basis dazu ist Kapitel 9 aus BOFINGER 2001.

2 Überblick

Damit eine Zentralbank ihre mikround makroökonomischen Ziele erfüllen kann, benötigt sie angemessene Rahmenbedingungen, festgehalten in ihrer Satzung. Fraglich ist jedoch, wie diese Satzung optimalerweise aussehen sollte.

Einen guten Ausgangspunkt hierzu bildet die als „traditionell“ bezeichnete Diskussion um die Frage, ob eher feste Regeln oder Handeln nach eigenem Ermessen im Vordergrund stehen sollten. Es geht im Wesentlichen darum, ob die Zentralbanken entweder ausschließlich kontrolliert durch sich selbst entscheiden und handeln sollen oder durch hinterlegte Richtlinien bzw. Vorschriften für Handlungen mehr oder weniger zu Automatismen degradiert werden.

Die Wurzeln dieser Debatte reichen zurück bis in das frühe 19. Jahrhundert, wo die Anhänger der Banking School der Meinung waren, dass die Ausgabe von Papiergeld eng an die Goldreserven der Zentralbank gekoppelt sein müsste, während die Currency School konterte, dass auch ohne eine solche strikte Regel die Versorgung mit Papiergeld in einer mit makroökonomischer Stabilität vereinbaren Weise ansteigen würde.

Im Folgenden soll der Begriff „Regel“ als eine Vorschrift definiert werden, die von au- ßen unter der Berücksichtigung der Gesetze auf die Zentralbank einwirkt und welche die Entscheidungsfreiheit der Verantwortlichen in Fragen der Geldpolitik einschränkt. Diese Regeln werden üblicherweise im Zentralbankgesetz festgeschrieben.

3 Beschränkung des diskretionären Handelns der Zentralbank

Feste Regeln werden seit jeher hartnäckig diskutiert. Es ist dabei jedoch zu unterscheiden zwischen der traditionellen Debatte, die davon ausgeht, dass die Verantwortlichen für Geldpolitik entweder nicht ausreichend qualifiziert sind oder kein Interesse an der Maximierung der sozialen Wohlfahrt haben, und der aktuelleren Diskus- sion, welche mit Hilfe der Spieltheorie zeigen will, dass selbst mit perfekten Entscheidern Regeln unbedingt notwendig sind2.

3.1 Annahmen der traditionellen Sichtweise

1) Die Zentralbank könnte nicht in der Lage sein, ihren Handlungsspielraum so zu nutzen, dass das angestrebte makroökonomische Ziel in zufriedenstellender Weise erreicht wird.
2) Selbst wenn eine Zentralbank alles perfekt unter Kontrolle hat, kann von ihr nicht erwartet werden, dass sie ihre Entscheidungen ausschließlich vor dem Hintergrund ökonomischer Wohlfahrt trifft. Deshalb ist es falsch, eine Zentralbank für einen „wohlwollenden Diktator“ zu halten, der nur an das Wohlergehen seines Volkes denkt. Vielmehr wird der Inhalt ihrer Entscheidungen stark beeinflusst sein von Interessengruppen, die in einer besseren Position als andere sind und so den politischen Prozess beeinflussen können.

Dies ist die politisch-ökonomische Rechtfertigung für Regeln.

3.2 Kritik Bofingers

BOFINGER kritisiert daran, dass eine institutionelle Steuerung sehr unterschiedliche Anforderungen zu erfüllen hat:

1. Eine Regel muss einfach sein. Weil sie über ein Gesetz eingeführt wird, muss sie wenigstens so verständlich sein, dass der Gesetzgeber sie versteht und – im Fall eines Prozesses – auch die Richter.
2. Eine Regel muss stabil sein. Damit ist gemeint, dass sie bereits vom Entwurf her für eine lange Lebensdauer konzipiert sein sollte. Ständige Nachbesserungen würden den Gesetzgeber intensiv belasten, und die geänderte Gesetzgebung käme nicht immer zur rechten Zeit.
3. Eine Regel muss aber gleichzeitig flexibel sein, so dass sie auch mit diversen plötzlichen Ereignissen in einer Ökonomie (den sog. Shocks) zurecht kommt.

Ferner bemängelt er, dass der Einwirkungsgrad der Zentralbank auf ökonomische Prozesse nur schwer einzuschätzen sei. Das beschränkte theoretische Wissen über diese Mechanismen ist nach Meinung BOFINGERS kein treffendes Argument für explizite Regeln, sondern eher für im Wesentlichen allgemein gehaltene externe Beschränkungen der Handlungsfreiheit einer Zentralbank. Ebenso ist wenig über den Übertragungsprozess auf die Wirtschaft bekannt3 und die beabsichtigten Auswirkungen können unterschiedlich verzögert eintreten, so dass es recht kompliziert wäre, geeignete Regeln für die Geldpolitik zu finden und zu formulieren, die in jedem Fall strikt eingehalten werden können. Wenn es eine effiziente Regel gäbe, würden die Zentralbanken sie freiwillig als „einfache Regel“4 übernehmen. Im Gegensatz zu einer gesetzlichen Regelung würde dieser Ansatz ein Aussetzen der Regel erlauben, sobald eine Wirtschaft mit unvorhergesehenen Ereignissen konfrontiert wird. Das in der traditionellen Diskussion immer wieder genannte Risiko nicht qualifizierter Entscheidungsträger bei den Zentralbanken wird nach Aussage BOFINGERS dadurch berücksichtigt, dass sie i.d.R. mit großen Entscheidungsträgergruppen ausgestattet sind (siehe Tabelle 3.1). Dieser Umstand streut die Entscheidungen auf viele Personen und reduziert so den Einfluss nicht qualifizierter Personen auf ein Minimum.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3.1: Governing bodies of central banks5

3.3 Das principal-agent Problem der Geldpolitik

Selbst wenn die Zentralbanken hoch qualifiziert sind kann man nicht von vornherein davon ausgehen, dass sie auch wirklich ausschließlich die ihnen gesetzten Ziele verfolgen. Beispielsweise ist es durchaus vorstellbar, dass eine Zentralbank kurz vor Ende einer Legislaturperiode eine stark expansive Geldpolitik betreibt, dadurch kurzfristig die Wirtschaft ankurbelt und so die Chancen der amtierenden Regierung auf Wiederwahl erheblich steigert. Dies würde unausweichlich zu wachsenden Inflationserwartungen führen und das Ziel der Preisstabilität torpedieren.

Unter diesen Umständen hat eine Delegation der Geldpolitik an strikte Regeln den Vorteil, dass die Zentralbank nicht mehr für Druck von Außen anfällig ist. Auf der anderen Seite ist es laut BOFINGER fraglich, ob die für geldpolitische Entscheidungen Verantwortlichen wirklich all ihrer Machtbefugnisse beraubt werden müssen, vor allem da jederzeit die Gefahr gegeben ist, dass eine beliebige Regel sie davon abhalten könnte mit ausreichender Flexibilität zu reagieren, wenn unvorhergesehene Ereignisse auftreten. Diese Situation kann logisch mit Hilfe eines typischen principalagent Problems analysiert werden6.

Grundsätzlich besteht solch ein Problem immer dann, wenn zwei oder mehrere Personen oder Unternehmungen in einem (regelmäßig, jedoch nicht notwendigerweise) vertraglichen Verhältnis zueinander stehen. Die abhängige Partei ist der Agent, der im Interesse des Prinzipals handeln soll. Durch den Umstand, dass der Agent in den meisten Fällen mehr Informationen besitzt als der Prinzipal (asymmetrische Informationsverteilung), kann nicht immer gewährleistet werden, dass der Agent wirklich im Interesse des Prinzipals handelt.

Aus unternehmerischer Sicht wäre es jedoch von Beginn an ein hoffnungsloses Unterfangen, für jede wichtige Entscheidung Regeln entwerfen zu wollen. Was normalerweise stattdessen passiert ist, dass vertragliche Vereinbarungen getroffen werden, die Anreize für das Partner-Unternehmen schaffen, die ihm gegebenen Handlungsfreiheiten so weit wie möglich im Interesse des Prinzipals auszuschöpfen. Wenn solche Mechanismen gefunden werden können, sind sie jeglichen starren Regeln bei weitem vorzuziehen, denn sie erlauben dem Agenten, bei unvorhergesehenen Ereignissen flexibel zu reagieren. In der Beziehung zwischen Gesellschaft und Zentralbank kann solch ein Anreizsystem sowohl durch die Statuten der Zentralbank als auch durch „Performance Verträge“ geschaffen werden7. Zusammenfassend ist die traditionelle Begründung für eine Limitierung des Handlungsspielraumes der Zentralbanken aus Sicht BOFINGERS durch strikte Regeln nicht sehr überzeugend.

Bofinger untermauert seine ablehnende Haltung gegenüber strikten Regeln mit der Aussage, dass es in der Realität kaum Beispiele dafür gibt:

„In vielen Ländern gilt Preisstabilität als das langfristige Hauptziel der Geldpolitik. Als Folge davon findet man dieses Ziel in den Zentralbankstatuten fest verankert und zum generellen Leitbild erhoben. Dennoch gibt es dort keine explizite Aussage über einen einzuhaltenden bzw. anzusteuernden Preisindex oder eine konkrete Zielperiode. Solch eine Regel wäre ohnehin nicht besonders ratsam8. Die in einer Zentralbanksatzung enthaltenen Regeln zur Preisstabilität schränken ihre Handlungsfreiheit also nicht in besonderem Maße ein“ (BOFINGER 2001, S. 169).

Im Hinblick auf mittelfristige Ziele diskutiert er das Problem der Wechselkurse, kommt aber hier zu dem Schluss, dass es sowohl Beispiele für gut funktionierende Regelsysteme (Goldstandard, Bretton Woods, europäisches Währungssystem I, Leitwährungssystem) als auch für nicht funktionierende (Währungskrisen aufgrund zu streng gefasster Wechselkursziele9) gibt.

Für externe Regeln bezogen auf kurzfristige, operative Ziele wie z.B. Geldbasis oder Geldmarktrate findet BOFINGER hingegen keine historischen Beispiele. Obwohl die sog. Taylor-Regel10 als Daumenregel sehr gut funktioniert, würde es sehr schwierig sein, sie durch Aufnahme in die Zentralbanksatzung absolut bindend zu machen.

[...]


1 Vgl. ausführlich TEICHMANN 2001, S. 233 ff.

2 Vgl. BOFINGER 2001, S. 166

3 Vgl. BOFINGER 2001, Kapitel 4.2

4 Erläuterungen dazu siehe BOFINGER 2001, Kapitel 8

5 Entnommen aus BOFINGER 2001, S. 216

6 Vgl. Bofinger 2001, S. 168 f., zur Erläuterung des theoretischen Hintergrundes am Beispiel des Strategischen Managements siehe WELGE / AL-LAHAM 2001, S. 45 ff.

7 Vgl. ausführlich BOFINGER 2001, Kapitel 7

8 Vgl. BOFINGER 2001, Kapitel 5

9 Vgl. BOFINGER 2001, Kapitel 12 und 13

10 Vgl. BOFINGER 2001, Kapitel 8.5

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Regelgebundene oder diskretionäre Geldpolitik?
Autor
Jahr
2002
Seiten
27
Katalognummer
V107591
ISBN (eBook)
9783640058464
ISBN (Buch)
9783656694182
Dateigröße
552 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Regelgebundene, Geldpolitik
Arbeit zitieren
Jochen Schneider (Autor:in), 2002, Regelgebundene oder diskretionäre Geldpolitik?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107591

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Regelgebundene oder diskretionäre Geldpolitik?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden