Inhaltsverzeichnis
1. Kontrastive Grammatik
1.1. Definition und Geschichte
1.2. Ziele der kontrastiven Grammatik
2. Der Infinitiv
2.1. Definition und Gebrauch
2.2. Konkurrierende Formen
2.2.1. Gerundium
2.2.2. Partizip
2.2.3. „That-clause“
3. Komplementsätze
3.1. Definition
3.2. Syntaktische Funktionen
3.2.1. Subjektfunktion
3.2.2. Objekt- und Prädikatfunktion
4. Prädikatoren
4.1. Prädikator bedingt Komplement
4.2. Entsprechungen von Infinitivkomplementen im Deutschen
5. Empirische Untersuchung von Paralleltexten
5.1. Beispiele
5.2. Auswertung
6. Resümee
7. Bibliographie
1. Kontrastive Grammatik
I am waiting to hear your explanationwird im Deutschen mitIch warte auf deine Erklärung[1]übersetzt. An der Übersetzung des englischen Infinitivsto hearmit der Präpositionaufim Deutschen wird deutlich, dass es nicht möglich ist, Sätze Wort für Wort vom Englischen ins Deutsche zu übertragen. Es gibt im Deutschen zahlreiche unterschiedliche Konstruktionen, um den englischen Infinitiv zu übersetzen. Der Gebrauch dieser Konstruktionen ist nicht willkürlich, sondern unterliegt gewissen Regelmäßigkeiten, die ich in dieser Arbeit näher zu beleuchten gedenke.
Die Untersuchung solcher Phänomene wird von der kontrastiven Linguistik geleistet, in der der Gebrauch des Infinitivs und seiner Entsprechungen in anderen Sprachen jedoch nur einen sehr kleinen Teil ausmacht, was verständlich wird, wenn man sich die Komplexität der meisten Sprachen vor Augen führt.
1.1. Definition und Geschichte
Die kontrastive Grammatik (KG) beschäftigt sich mit der synchronischen Untersuchung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen zwei (selten mehr) Sprachen. Die Wurzeln dieser relativ neuen linguistischen Disziplin liegen in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts und lassen sich an zwei Publikationen festmachen. Diese sindLanguages in Contactvon Uriel Weinreich aus dem Jahre 1953 undLinguistics across Culturesvon Robert Lado aus dem Jahre 1957.[2]
Am Anfang war die KG praktisch ausgerichtet und hatte zum Ziel, das Fremdsprachenlehren und –lernen durch die Vorhersage bestimmter Problemfelder, die sich aus besonders großen Unterschieden zwischen L1 und L2 ergaben, zu vereinfachen, indem Wert auf eben diese Unterschiede gelegt wurde, wohingegen Gemeinsamkeiten in beiden Sprachen eher nachlässig behandelt wurden, da man davon ausging, dass diese Gemeinsamkeiten aufgrund ihres Vorhandenseins in L1 und L2 keine Probleme beim Lernen von L2 darstellen sollten.
In den sechziger und siebziger Jahren verschob sich der Hauptaspekt der KG in Richtung grammatischer und phonologischer Vergleich von Sprachen. Der Grund hierfür ist sicherlich in den klareren Vergleichsmöglichkeiten zu suchen, die Grammatik und Phonologie mit ihrem geschlossenen System gegenüber den nicht klar definierten lexikalischen und kulturellen Unterschieden in verschiedenen Sprachen bieten.
Die KG kann als eine Sonderform der Sprachtypologie (ST) angesehen werden, lässt sich jedoch ihr und der komparativen Sprachwissenschaft (KS), die ebenfalls den Vergleich von Sprachen zum Thema hat, gegenüber deutlich abgrenzen. So ist die KS diachronisch orientiert und versucht, Verwandtschaftsverhältnisse zwischen möglichst allen Sprachen herzustellen. Sie untersucht sprachliche Veränderungen, fasst diese wenn möglich als Gesetzmäßigkeiten zusammen und rekonstruiert unter anderem frühere, nicht mehr existente Sprachstufen.
Die ST hingegen ist ebenso wie die KG synchronisch orientiert, vergleicht jedoch im Gegensatz zur KG auch genetisch und kulturell weit auseinanderliegende Sprachen mit dem Ziel der Einordnung von Sprachen in verschiedene Kategorien vor dem Hintergrund von Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Sie ist außerdem nicht anwendungsorientiert.
Probleme beim Vergleich zweier Sprachen in der KG bestehen größtenteils darin, dass es schwierig ist einen Tertium Comparationis, eine Vergleichsgrundlage, zu schaffen, die allen Facetten von Sprache gerecht wird. Die einfachste Vergleichsgrundlage stellt sicherlich die Phonetik dar, da sich hier der objektive Bezugsrahmen auf die Gestalt des Artikulationsapparates bzw. –raumes eingrenzen lässt, obwohl dann wiederum entschieden werden muß, welchen Bezugsrahmen man innerhalb der Phonetik benutzt, um einen Vergleich zu ermöglichen. Es ist ebenso möglich, Sprachen vor dem Hintergrund morphologischer, phonologischer, syntaktischer und semantischer Phänomene zu untersuchen, wobei nicht die Aufzählung von Unterschieden wichtig ist, sondern dass diese in Beziehung zueinander gesetzt werden.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die kontrastive Grammatik eine vergleichende Sprachwissenschaft mit dem Ziel einer typologischen Beschreibung von Identität und Kontrast zwischen zwei Sprachen ist.
1.2. Ziele der kontrastiven Grammatik
Die Ziele der kontrastiven Grammatik bestehen, wie bereits erwähnt, in der Deskription der Unterschiede zwischen zwei Sprachen, wobei diese Deskription aber über ein rein theoretisches Interesse hinausgeht. So arbeitet die KG der bereits erwähnten Sprachtypologie insofern zu, als Besonderheiten von einzelnen Sprachen häufig nur aufgedeckt werden können, wenn man sie mit anderen Sprachen vergleicht. Es ergeben sich also aus den bei kontrastiven Vergleichen gewonnen Ergebnissen Erkenntnisse, die bei der Einordnung von Sprachen in verschiedene Kategorien von Nutzen sind, da sie vorher aufgrund von ungenaueren Untersuchungen in der Sprachtypologie nicht vorhanden waren. Darüber hinaus lassen sich durch den genauen Vergleich von Sprachpaaren deskriptive Grammatiken von L1 und L2 vervollständigen
Ein weiteres Beispiel für den Nutzen der KG lässt sich im Bereich der psycholinguistischen Disziplin des Zweitsprachenerwerbs, sowie der Didaktik des Fremdsprachenlernens finden. Die Psycholinguistik profitiert von der KG, da durch sie Identitäten und Kontraste zwischen L1 und L2 aufgedeckt werden können, die bei der Untersuchung von bestimmten Problemen des Zweitsprachenerwerbs bisher keine Berücksichtigung finden. Zwischen der KG und der Didaktik des Fremdsprachenlernens besteht eine wechselseitige Beziehung. Zum einen stützt sich die Didaktik auf Theorien des Zweitsprachenerwerbs in der Psycholinguistik, die von der KG beeinflusst wird, zum anderen dienen ihre Probleme aber auch als Stimulus für die KG, da ihr durch die vorhandenen Probleme eine Richtung gegeben wird, um diese möglicherweise zu lösen.
Das wichtigste Feld jedoch, in dem sich die Erkenntnisse der KG niederschlagen, ist der Bereich der Übersetzungswissenschaften. Ohne die Erkenntnisse der KG wäre es schwierig, genaue Übersetzungen anzufertigen, da sie die theoretischen Grundlagen für diese angewandte Wissenschaft liefert, was im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch deutlicher zum Ausdruck kommen wird.
Abschließend kann man also sagen, dass der wahre Wert der KG sich erst aus dem Zusammenspiel mit anderen linguistischen Disziplinen erschließt, da sie ohne dieses Zusammenspiel eine rein deskriptive Sonderform der Sprachtypologie wäre.[3]
2. Der Infinitiv
2.1. Definition und Gebrauch
Der Infinitiv gehört sowohl im Englischen als auch im Deutschen zu den infiniten Verbformen, die im Gegensatz zu den finiten Verbformen kein direktes Subjekt haben und deswegen in ihrer Form gleich bleiben. Syntaktisch kann der Infinitiv als Subjekt (To geta taxi wasn´t easy), als Objekt (We can´t affordto goon Holiday), als Objekt mit Fragewort (I do not knowwhat to do), als Attribut (We could think of nothingto say) oder als adverbielle Ergänzung (She weptto seehim go away).[4]
Ich werde in dieser Definition die Formen der Infinitive in beiden Sprachen berücksichtigen, da es sich im empirischen Teil ebenfalls um eine Gegenüberstellung beider Sprachen handelt.
(1)Du/Ihr musst/müsst arbeiten
Ich/Er werde/wird gehen[5]
You/You must work
I/He will go
Anhand dieser Beispiele wird die Unveränderlichkeit der Form des Infinitivs deutlich. In allen Sätzen ändert sich das Subjekt des Satzes, was bei den hier verwendeten finiten Verbformenmusst, müsst, werde und wirddazu führt, dass sie sich an die Form des Subjekts anpassen. Der Infinitiv am Ende jeden Satzes bleibt jedoch unabhängig von Person- und Numerusänderungen des Subjekts unverändert.
Das gleiche gilt für die englischen Übersetzungen, wobei bereits ein Unterschied zwischen beiden Sprachen deutlich wird, nämlich der geringere Hang zur Flexion. Während es im Deutschen vier verschiedene Verbformen gibt, die sich an unterschiedliche Subjekte anpassen (Ichgehe, dugehst, er/ihrgeht, wir/siegehen), gibt es im Englischen lediglich zwei, den Infinitiv mit angehängtem –s und den normalen Infinitiv in allen anderen Fällen (I/you/we/you/theygo, hegoes).
Die verschiedenen Formen, in denen der Infinitiv im Deutschen auftritt, richten sich genau wie im Englischen nach den verschiedenen Zeiten. So gibt es:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Infinitiv Perfekt (Zustands)passiv (geöffnet gewesen sein)[6]
Ähnlich wie Eisenberg für das Deutsche unterscheidet Friederich folgende unterschiedliche englische Infinitivformen nach Gegenwart und Vergangenheit und nach Aktiv und Passiv:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Perfect Infinitive Passive Continuous (to have been being written)[7]
Wenn man die bestehenden Infinitivformen beider Sprachen vergleicht, fällt auf, dass der deutsche sowie der englische Infinitiv in der Lage ist, Vorzeitigkeit, Gleichzeitigkeit und Nachzeitigkeit auszudrücken, wobei das Deutsche jedoch stärker differenziert als das Englische, da hier mit dem Infinitiv Futur I und dem Infinitiv Futur II zwei Formen existieren, die es im Englischen nicht gibt. Dafür hat das Englische Continuousformen, die es im Deutschen nicht gibt.
Eisenberg unterscheidet darüber hinaus zwischen reinem Infinitiv, Infinitiven mitzuund dem erweiterten Infinitiv:
(4) Nichterweiterter Infinitiv Erweiterter Infinitiv
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Er kommt,um zu arbeiten[8]
Während im Deutschen also lediglich vier verschiedene Vorkommensformen des Infinitivs existieren, gibt es im Englischen derer mindestens sieben.
(5) Infinitiv ohneto: I would rathergohome
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der “gespaltene” Infinitiv : No one claimstocompletelyunderstandit[9]
Die hier deutlich werdende größere Variabilität im Gebrauch von Infinitivkonstruktionen im Englischen trotz der in (3) erkennbaren höheren zeitlichen Eingeschränktheit (kein Infinitiv im Futur, dafür aber Continuous-Formen) lässt sich dadurch erklären, dass infinite Verbformen wie Gerundium, Partizip und eben auch der Infinitiv hier eine größere Rolle spielen als im Deutschen, wo zum Beispiel der Gebrauch des Partizips als schlechter Stil angesehen wird. Im Deutschen werden Konstruktionen mit diesen infiniten Verbformen oft durch einen Nebensatz ausgedrückt. Im Englischen hingegen verlangen viele Verbformen den Infinitiv, wo das Deutsche einen Nebensatz vorziehen würde. Daraus lässt sich schließen, dass Nebensätze im Deutschen einen ähnlichen Stellenwert einnehmen wie die infiniten Verbformen im Englischen.
2.2. Konkurrierende Formen
Die mit dem Infinitiv konkurrierenden Verbformen sind hauptsächlich die bereits erwähnten ebenfalls infiniten Formen des Partizips und des Gerundiums, wobei der Begriff des Gerundiums nicht mehr aktuell scheint, da sich in Lexika und Grammatiken die Tendenz feststellen lässt, nur noch von der –ing Form und nicht mehr vom Gerundium zu sprechen.
2.2.1. Gerundium
Das Gerundium hat wie der Infinitiv nominale aber auch verbale Eigenschaften. So kann es wie der Infinitiv ebenfalls als Subjekt (Smokingin bed is dangerous), als Objekt (She lovesdancingwaltz), darüber hinaus aber auch als Prädikatsnomen (Seeing isbelieving) und nach Präpositionen (The sun is nearsinking)[10]stehen.
Wenn man die in 2.1. genannten syntaktischen Funktionen des Infinitivs mit den syntaktischen Funktionen des Gerundiums vergleicht, wird deutlich inwiefern diese beiden infiniten Formen miteinander konkurrieren. Häufig hat man nämlich die Möglichkeit, entweder ein Gerundium oder einen Infinitiv zu verwenden, ohne dass sich die Bedeutung eines Infinitivsatzes semantisch wesentlich von der Bedeutung eines Gerundiumsatzes unterscheidet. Dennoch gibt es kleine Bedeutungsunterschiede:
(6)Infinitiv:
Ms. Thatcher has a good chance to win.
Gerundium:
Ms. Thatcher has a good chance of winning.[11]
Der Infinitiv wird hier vorgezogen, wenn von einem ungewisses Ereignis die Rede ist, das Gerundium wird benutzt, wenn es sich um ein festgelegtes oder planbares Ereignnis handelt. So hat der erste Satz eine eher hypothetische Bedeutung, während sich der zweite Satz eher, etwa aufgrund einer Wahlkampagne, auf ein vorhersehbares Ereignis bezieht.
Die genaue Abgrenzung von Infinitiv und Gerundium ist nicht eindeutig festlegbar, da beide Formen aufgrund ihres hauptsächlich nominalen Charakters viele Berührungs- und Überschneidungspunkte haben. Unterscheidungen in den Fällen, in denen das Gerundium bzw. der Infinitiv Objektcharakter haben, sind nur anhand des Prädikatverbs möglich, aber auch hier nicht eindeutig.
Werden beide als Subjekt oder Prädikat verwendet, so lässt sich ein allgemeiner Unterschied feststellen. Das Gerundium wird vorgezogen, wenn von allgemeinen, nicht auf einen bestimmten Einzelfall gehenden, Dingen die Rede ist, wohingegen meist der Infinitiv benutzt wird, wenn es sich um einen Einzelfall handelt, der gegenüber dem Allgemeinen deutlich herausgehoben werden soll.
(7)I likedancing vs I do not liketo dancetonight[12]
Die möglichen Entsprechungen des englischen Gerundiums im Deutschen machen erneut die Nähe zum Infinitiv deutlich. So können beide mit a) einem erweiterten Infinitiv mitzu, b) einem substantivierten Infinitiv, c) einem Substantiv oder d) mit einem Objektsatz übersetzt werden.
2.2.2. Partizip
Das Partizip hat normalerweise zwei Formen. Zum einen gibt es das Partizip Präsens, zum anderen das Partizip Perfekt, das auch Partizip Passiv genannt wird. Die erste Form wird mit dem Suffix –ing gebildet, das an den Verbstamm angehängt wird (going, singing, dancing), die zweite bei regelmäßigen Verben mit dem Suffix –ed, bei unregelmäßigen Verben mit den Endungen –t, -n, -en oder anderen.
Das Partizip hat wie das Gerundium einen Doppelcharakter. So fließen in ihm adjektivische und verbale Eigenschaften zusammen, was es aufgrund seines fehlenden nominalen Charakters nicht unbedingt zu einem Gegenspieler des Infinitivs, sondern eher zum Gegenspieler des Gerundiums macht, da diese beiden infiniten Verbformen verbale Eigenschaften besitzen. Es verhält sich hier also ähnlich wie bei der Beziehung von Infinitiv und Gerundium aufgrund ihres nominalen Charakters, so dass das Partizip in der Folge von geringerer Bedeutung sein wird.
2.2.3. „that-clause“
Der konsekutive „that-clause“, der streng genommen nichts mit den infiniten Verbformen des Infinivs, des Gerundiums oder des Partizips zu tun hat, wird hier als konkurrierende Form des Infinitivs aufgenommen, da Dirven und Radden ihn zusammen mit dem Gerundium als Gegenspieler des Infinitivs benutzen, obwohl er finiten Charakter hat.[13]
Deutlich wird diese Konkurrenzsituation mit Infinitiv und Gerundium beispielsweise beim Vergleich von Komplementsätzen mit Subjektcharakter.
(8)That John got marriedsurprised everyone
To reada time-table is not easy
Parkinga car is a problem[14]
Anhand dieser Beispiele wird wiederum der gemeinsame nominale Charakter von Infinitiv und Gerundium deutlich. Ich denke, dass diese drei möglichen Realisierungen von Komplementsätzen mit Subjektcharakter die vorhandene Konkurrenz deutlich aufzeigen.
Ein weiterer Grund, den „that-clause“ hier mit aufzunehmen ,liegt darin, dass ich mich in der Folge ausschließlich auf Komplementsätze beziehen werde, um die unterschiedlichen deutschen Entsprechungen des englischen Infinitivs aufzuzeigen, da dieses Vorhaben ohne diese Einschränkung im Rahmen einer Hausarbeit nicht zu leisten wäre.
3. Komplementsätze
3.1. Definition
Ich denke, dass es sinnvoll ist zunächst einmal klarzustellen, was ein Komplementsatz eigentlich ist, bevor ich mich danach mit seinen möglichen Realisierungen beschäftige.
Dirven und Radden definieren ihn als einen „Nebensatz, der als Komplement eines Prädikators auftritt. Der Satz, von dessen Prädikator der Komplementsatz abhängt, wird als Matrixsatz bezeichnet.“[15]Komplementsätze haben eine eigene Proposition, deren Prädikator immer noch als freie Form erhalten ist. Semantisch haben sie meist die Rolle eines Objektivs, syntaktisch die eines in die Verbalphrase eines anderen Satzes eingebetteten Satzes.[16]Beispiele für diese Definition sind:
(9)She believes Derrick to be here.
She believes that Derrick is here.[17]
Als Matrixsatz fungiert hierShe believes, wobeibelievesden Prädikator verkörpert, von dem die KomplementsätzeDerrick to be hereundthat Derrick is hereabhängen. Wenn man beide Komplementsätze vergleicht wird deutlich, dass sie sowohl finit als auch infinit sein können, was dadurch zum Ausdruck kommt, dass es im ersten Satz nicht möglich ist, das Komplementsatzprädikat zu konjugieren, da es sich um einen Infinitiv handelt, das Prädikat des zweiten jedoch schon.
Semantisch besteht der Unterschied zwischen beiden Sätzen darin, dass der zweite Satz mitthatim Deutschen zwei Bedeutungen hat, nämlich erstens die von „glauben“ und zweitens die von „annehmen“, wohingegen der erste Satz mit dem Infinitiv lediglich die Bedeutung von „annehmen“ hat.
Wie bereits erwähnt hängen die Realisierungen der Komplementsätze von den Prädikatoren des Matrixsatzes ab, die in verschiedene Klassen eingeteilt werden können. Je nachdem, in welcher Klasse sich ein Prädikator befindet, lassen sich Vorhersagen darüber treffen, mit welcher spezifischen Partikel ein Komplementsatz eingeleitet wird. Mögliche Komplementsatztypen sind a)that-Sätze, b)for...to-Infinitive, c)to-Infinitive, d) reine Infinitive, e) Partizipien, f) Gerundien, g) Nominalisierungen sowie h) die sogenanntenwh-Sätze, die im Zusammenhang mit Matrixsatzprädikatoren wieask, wonderodernot knowauftreten und einen Wunsch nach Information ausdrücken.
(10) Matrixsatz Komplementsatz
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[18]
3.2. Syntaktische Funktionen
Komplementsätze sind in all den syntaktischen Funktionen zu erwarten, in denen auch sonst der Objektiv auftreten kann. Dies gilt besonders für Subjekt und direktes Objekt. Darüber hinaus aber lassen sich die meisten Komplementsätze auch in Subjektfunktion, direkter Objektfunktion, sowie prädikativer Funktion finden.
3.2.1. Subjektfunktion
Subjektfunktion heißt, dass der Komplementsatz die syntaktische Funktion eines Subjekts eines Satzes einnimmt. Da ich mich in der Folge auf die häufigsten Komplementsatztypen (Realisierungen durch Infinitiv, Gerundium undthat-Sätze) konzentrieren werde, beschränken sich die folgenden Beispiele auf eben diese drei Typen:
(11)ThatJohn got married surprised everyone.
To reada timetable is not easy,
Parkinga car is a problem.[19]
Anhand dieser drei Sätze wird deutlich, wie ganze Komplementsätze zum Subjekt eines Satzes werden können, da jeder der drei vorangehenden Sätze ohne Komplementsatz lediglich aus einer bedeutungsleeren Verbalphrase bestünde, der ein Subjekt fehlt. Aus stilistischen Gründen stehen Nebensätze jedoch häufig am Ende eines Satzes, so dass, aufgrund des Subjekt-Verb-Objektcharakters der englischen Sprache, ein bedeutungsleeres expletivesitan den Anfang des Satzes tritt, wobei der Komplementsatz hinter die Verbalphrase verschoben wird.
(12)Itis not easy to read a timetable.
Itsurprised everyone that John got married.
Dieses Verfahren wird Extraposition gennant, läßt sich aber nur auf Infinitiv- undthat-Satzkomplemente anwenden. Das Gerundium bleibt außen vor. Einige Matrixsatzprädikatoren wieseem, appearusw. verlangen die Extraposition.
Ein weiteres Merkmal von Komplementsätzen mit Subjektfunktion ist die Subjekt- bzw. Objektanhebung, die aber, genau wie die Extraposition, nicht bei allen Prädikatoren anwendbar ist. Anhebung bedeutet, dass eine Konstituente des Komplementsatzes in den Matrixsatz angehoben wird, um dort das expletiveitzu ersetzen. Möglich ist diese Anhebung sowohl mit dem Subjekt als auch mit dem Objekt des Komplementsatzes. Dieses Phänomen existiert im Deutschen und im Englischen, lässt sich aber nur bei wenigen Prädikatoren anwenden:
(13) Subjektsatz:Einen Fahrplan zu lesen, ist nicht leicht.
That you will lose your patience is unlikely.
Extraposition:Es ist nicht leicht, einen Fahrplan zu lesen.
It is unlikely that you will lose your patience.
Anhebung:Ein Fahrplan ist nicht leicht zu lesen.
You are unlikely to lose your patience.[20]
Zusammenfassend kann man sagen, dass es drei verschiedene Konstruktionsmöglichkeiten gibt, deren Realisierung jedoch von den jeweiligen Prädikatoren abhängt. Sie sind zum ersten der normale Subjektsatz, zum zweiten die Extraposition und zum dritten die Anhebung.
3.2.2. Objekt- und Prädikatfunktion
Die Objektfunktion entscheidet sich von der zuvor definierten Subjektfunktion lediglich syntaktisch und nicht semantisch, so dass deren syntaktische Form lediglich durch die Wortklassenzughörigkeit bestimmt wird. Prädikatsätze unterscheiden sich von beiden auch nicht deutlich, obwohl sie die syntaktische Funktion eines Prädikats haben. So besteht der Unterschied zu Subjektsätzen mitbelediglich in der Informationsgewichtung, da auch sie die Subjektposition einnehmen können.
4. Prädikatoren
4.1. Prädikator bedingt Komplement
Wie zuvor bereits angedeutet sind die Prädikatoren des Matrixsatzes ausschlaggebend dafür, welcher Komplementsatztyp folgt. Ich werde nun versuchen, die beiden Theorien von Dixon und Dirven-Radden zur Vorhersage von möglichen Komplementsätzen nach bestimmten semantisch unterschiedlichen Matrixsatzverben[21]kurz zu skizzieren, um das bereits angesprochene Problem destertium comparationisin der kontrastiven Sprachwissenschaft zu verdeutlichen und eine Vergleichsgrundlage für den empirischen Teil zu schaffen.
Beide Theorien gehen von der semantischen Bedeutung der Matrixsatzverben aus, von der die Wahl der Komplementsatzpartikel abhängt, wobei jedoch die Unterteilung dieser in verschiedene Klassen teilweise unterschiedlich ausfällt. Beide haben das Ziel eine Vorhersage darüber zu treffen, welche Komplementsatzpartikeln semantisch unterschiedlichen Prädikatoren folgen, wobei unterschiedliche Komplemente semantische Unterschiede ausdrücken.
Probleme, kontrastive Analysen auf diese Weise vorzunehmen, besteht darin, dass die semantische Einteilung von Prädikatoren in Gruppen in verschiedenen Sprachen unterschiedlich ist. So ist beispielsweiselikeund ähnliche in dieser Klasse zusammengefasste Wörter wiehateundloveim Englischen den Verben zuzurechnen, im Japanischen aber den Adjektiven.[22]
Dirven und Radden unterscheiden fünf verschiedene Prädikatorenklassen. Diese sind volitive Prädikatoren, implikative Prädikatoren, faktive Prädikatoren, kognitive Prädikatoren, sowie lokutive Prädikatoren.[23]Dixon hat diese Klassen nach den Verben, die in ihr vorkommen benannt. So heißen die Klassen hierTELL-type, MAKE-type, WANT-typeundBEGIN-type. Das Problem hierbei ist jedoch noch immer, dass es nicht möglich ist, eindeutige Aussagen für eine bestimmte Klasse von Prädikatoren hinsichtlich des folgenden Komplementsatzes zu treffen, da selbst die Klassen an sich in ihrer Wahl von Infinitiv, Gerundium bzw.that-Satz nicht homogen sind. Das Verbrememberhat beispielsweise alle drei Komplementvarietäten, wobei nur ein semantischer Unterschied besteht.
(14)I remembered that I saw the student.
I remembered seeing the student.
I remembered to see the student.[24]
Der erste Satz sagt aus, dass ich den Studenten zwar gesehen habe, mich aber nicht an Details des Gespräches erinnern kann, der zweite, dass ich mich an jedes Wort erinnern kann und der dritte, dass ich mich daran erinnert habe, dass ich den Studenten treffen wollte.
Anhand dieses Beispiels wird deutlich, wie schwierig es ist, bestimmte Verbklassen zu definieren, die Regelmäßigkeiten beim Umgang mit der Realisierung von Komplementsätzen deutlich machen sollen. Dennoch gibt es diesen Versuch , und in der Folge werde ich diesen zur Vergleichsgrundlage meiner empirischen Arbeit machen, um zu sehen, wie Infinitivkomplemente des Englischen im Deutschen realisiert werden. Wie an Beispiel (14) deutlich wird, ist es nur möglich Tendenzen aufzuzeigen, eine allgemeingültige Regel gibt es nicht.
Aufgrund der Fülle des Materials werde ich mich auf Die Matrixsatzverben beschränken, die am häufigsten Infinitivkomplemente folgen lassen. Diese sind zum einen volitive Prädikatoren (want, desire, request, demand)oder derWANT-type (want, desire, wish, hope need ...), zum anderen implikative Prädikatoren, die eine positive Implikation beinhalten (begin, start, continue, proceed), nicht aber die negativ implikativen. Des weiteren tauchen vereinzelt immer wieder Komplementrealisierungen mit dem Infinitiv auf, ohne dass ihr Gebrauch den Gebrauch der konkurrierenden Komplemente übersteigt.
4.2. Entsprechungen von Infinitivkomplementen im Deutschen
Das Problem beim Vergleich der englischen mit der deutschen Sprache vor dem Hintergrund der Komplementsätze wird bereits deutlich, wenn man sich die Anzahl der möglichen Realisierungen in beiden Sprachen ansieht. So existieren im Englischen sechs Komplementsatzpartikeln, nämlichthat-Satz,to+Infinitiv, reiner Infinitiv,for ... to-Infinitiv, Gerundium und Partizip, im Deutschen jedoch nurdass-Satz,zu+Infinitiv und reiner Infinitiv. Diese Diskrepanz macht deutlich, wie schwierig es sein muss, korrekte Übersetzungen anzufertigen, da man über die fehlenden drei Formen im Deutschen hinaus auch noch berücksichtigen muß, dass beispielsweise ein englischer Infinitiv nicht immer einem deutschen Infinitiv entspricht.
Wie bereits erwähnt, gehen volitive Prädikatoren meist einer Infinitivkonstruktion voran, wobei diese im Deutschen aber, besonders bei unterschiedlichen Subjekten des Matrix- und Komplementsatzes, mit einemdass-Satz übersetzt werden (I want you to laeave vs. Ich möchte, dass du gehst[25]).
Anders ist es bei implikativen Prädikatoren, die im Englischen bei positiver Implikation den Infinitiv und bei negativer das Gerundium benötigen. Die deutsche Entsprechung ist hier in allen Fällen der Infinitiv. Bei den anderen Prädikatoren verhält es sich teilweise umgekehrt, so dass aus englischenthat-Sätzen oder Gerundien im Deutschen Infinitive werden. Dies ist jedoch nicht weiter von Belang, da ich mich auf den englischen Infinitiv konzentriere.
5. Empirische Untersuchung von Paralleltexten
5.1. Beispiele
Ich werde mich bei dieser empirischen Untersuchung des englischen Infinitivs und seiner Entsprechungen im Deutschen auf den Roman „High Fidelity“ von Nick Hornby aus dem Jahre 1995 konzentrieren, da es mir aufgrund der Synchronität der kontrastiven Sprachwissenschaft sinnvoll erscheint, Beispiele zu untersuchen, die in letzter Zeit entstanden sind und nicht in den letzten Jahrhunderten, in denen Infinitivkomplemente erst allmählich die Bedeutung erlangten, die sie heute gegenüber finiten Komplementsätzen haben.[26]
If you really wanted to mess me up[27]wird in der deutschen Fassung mitWenn du mich wirklich fertigmachen[28]wolltestübersetzt, wobei bereits deutlich wird, dass es problematisch ist, sich genau an die vorher besprochenen Theorien der Komplementsätze nach bestimmten Matrixsatzprädikatoren zu halten, da Übersetzungen häufig freier sind als die Mustersätze in linguistischen Publikationen. Denn dort heißt es wie bereits erwähnt, dass volitive Prädikatoren wiewantbesonders bei nicht identischen Subjekten des Matrix- und Komplementsatzes im Deutschen einendass-Satz nach sich ziehen[29], was hier aber offensichtlich nicht der Fall ist.
Anders verhält es sich beim nächsten Beispiel:
(15)We only allowed ourselves to play on the swing vs.
Wir gestatteten uns nur, auf der Schaukel zu spielen.
Hierbei handelt es sich um eine fast wörtliche Übersetzung, in der der englischeto+Infinitiv bei der Übersetzung mit einem deutschenzu-Infinitiv wiedergegeben wird. Identisch geht es bei der Übersetzung vonThey had the potential to dash your brains outinSie boten die Möglichkeit, sich die Rübe aufzuschlagenundThere was no time to develop itinUns fehlte die Zeit, sie zu entwickelnzu.
Der englische SatzYou wanted to clonk them on the headwird mitMan hatte ihnen eine Kopfnuß verpassen wollensehr frei übersetzt, wobei er sich in der gleichen Kategorie wie der erste Satz befindet und aufgrund seines volitiven Prädikators normalerweise mit einemdass-Satz übersetzt wird. Der Grund für die Übersetzung des englischen Infinitivsto clonkmitverpassen, also einem reinen Infinitiv im Deutschen gegenüber einemto-Infinitiv im Englischen könnte hier mit der Past Tense des Prädikators, aber auch mit dem Kontext der Umgebung zu tun haben, in der sich dieser Satz befindet.
Ein Beispiel für die Richtigkeit der Voraussage von Komplementen nach Prädikatoren und von Übersetzungen nach diesen Komplementen lässt sich in dem BeispielWe had begun to sniff each other´s bottomfinden, dass in der deutschen Übersetzung dem SatzWir hatten begonnen, an unseren Hinterteilen zu schnüffelnentspricht. Das Verbbegingehört nach Dirven und Radden zur Gruppe der (positiv)-implikativen Prädikatoren, die im Englischen einento-Infinitiv nach sich ziehen, der im Deutschen einemzu-Infinitiv entspricht. Genau dieser Fall liegt hier vor, obwohl Dixon einen eigenenBEGIN-typedefiniert, der mit einigen Ausnahmen vorwiegend Gerundiumkomplemente nach sich zieht.Beginist so eine Ausnahme.
Die nächsten drei Textstellen handeln erneut vom volitiven Prädikatorwant, der hier wie zu erwarten erneut dreimal einento-Infinitiv folgen lässt, welcher erneut nicht mit einemdass-Satz sondern mit einem reinen Infinitiv übersetzt wird, was wahrscheinlich daran liegt, dass Matrixsatz und Komplementsatz das gleiche Subjekt haben.
(16)I did´t want to fight. - Ich wollte mich nicht prügeln.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
I don´t know what I was attempting to convey or who I was trying to kidim Vergleich zuIch konnte nicht sagen, was ich damit ausdrücken wollteoder wem ich etwas vorzumachen hofftehat im Englischen erneut zweito-Infinitive, von denen der erste im Deutschen mit einem reinen Infinitiv, der zweite mit dem identischenzu-Infinitiv übersetzt wird.
Der nächste Satz stellt eine interessante Alternative zu den bis jetzt behandelten Sätzen dar, da in der deutschen Übersetzung das Partizip Präsens benutzt wird um den englischento-Infinitiv auszudrücken, das, wie bereits erwähnt, im Deutschen eigentlich als schlechter Stil angesehen wird.[30]
(17) What sort of time, after all, could make a thirteen-year-old boy spin away from a girl and towards a playground, palms sweating, heart racing,trying desperately not to cry?
vs.
Wieviel Uhr mußte es sein, damit ein dreizehnjähriger Junge ein Mädchen stehenläßt und sich mit schwitzenden Handflächen, rasendem Herz,verzweifelt mit den Tränen kämpfend, auf den Spielplatz verzieht?
Der Grund für diese Art der Übersetzung könnte darin liegen, dass der Übersetzung die Betonung auf das englische Adverbdesperatelylenken wollte, indem er im Deutschen die Partizipialkonstruktionmit den Tränenkämpfendbenutzt, die meiner Meinung nach hier weniger Aufmerksamkeit auf sich lenkt als das eigentlich logische Verbweinen, so dass sich der Leser ohne Ablenkung auf die Übersetzung des Adverbsdesperatelymitverzweifeltkonzentrieren kann. Es liegen also hier pragmatische Gründe für das Setzen eines Bedeutungsschwerpunktes vor. Es wäre nun interessant zu beobachten, ob sich hier eine Regelmäßigkeit erkennen lässt, den Infinitiv nach Adverbialkonstruktionen im Englischen mit einer Partizipialkonstruktion im Deutschen zu übersetzen.
Das nun folgende BeispielI had allowed things to fester, das in der deutschen Übersetzung mitIch hatte die Dinge schleifen lassenausgedrückt wird, macht deutlich, dass es schwierig ist Redewendungen wieto allow someone to do something, die sich im Englischen häufiger anwenden lassen als im Deutschen, jedes Mal mit dem identischen Ausdruckjemandem erlauben, etwas zu tunzu übersetzen, da es im Deutschen mehr auf den Kontext ankommt. So war es in Beispiel (15) noch möglich, das Verballowmit der entsprechenden deutschen Formulierung zu übersetzen, was hier nicht mehr der Fall ist, daallowhier mitlassenausgedrückt wird.
Allowgehört zum einen der Gruppe der positiv- kausativen nicht implikativen Prädikatoren an, die aufgrund ihrer Positivität genau wie die positiv-implikativen Verben einento-Infinitiv nach sich ziehen. Zum anderen ist es auch ein Vertreter desMAKE-type, dessen Verben alle drei möglichen Komplementsatztypen nach sich ziehen können, wobeiallowjedoch nur dento-Infinitiv akzeptiert. Als Übersetzungsregel für die einem solchen Prädikator folgenden Komplementsätze wird für das Deutsche derzu-Infinitiv genannt, was hier wiederum nicht der Fall ist.
Dies hängt meiner Meinung nach mit dem bereits erwähnten Problem zusammen, dass man nicht davon ausgehen kann, dass feststehende Konstruktionen in einer Sprache wie dieallow-Konstruktion einfach auf eine andere Sprache übertragen werden können, so dass es für diese Fälle eigentlich nicht möglich ist, Vorhersagen zu treffen.
Das folgende Beispiel untermauert die These Friederichs, nach der „für das Deutsche [...] der Nebensatz weitgehend bestimmend ist, [während] der englische Satz [...] von den infiniten Formen beherrscht [wird].“[31]
(18)It would be nice to think that times have changed
vs.
Es wäre schön, wenn man glauben könnte, die Zeiten hätten sich geändert
Derzu-Infinitiv wird hier mit einem deutschen Konditionalsatz übersetzt, wobei es von Interesse ist zu untersuchen, ob dies nur dann der Fall ist, wenn der Infinitiv nicht von einem Verb im Matrixsatz sondern von einer Adjektivkonstruktion wieIt would beniceabhängt. Diese Behauptung ließe sich möglicherweise mit vergleichbaren Sätzen belegen, in denen der Infinitiv, genau wie hier, nur als syntaktisches Bindeglied zwischen Matrixsatz undthat-Komplementsatz dient.[32]
There still seems to be an element of that evening in everythingwird zuAber in allem scheint immer noch dieser Abend nachzuwirken. Das semantisch schwache Verbseemzieht hier einento-Infinitiv nach sich, ohne dass eine Extraposition vorgenommen wird, wie es bei einemthat-Komplement der Fall wäre, daseemzur Klasse der Prädikatoren gehört, die eine zu schwache semantische Aussage beinhalten, als dass sie als Rhema eines Satzes dienen können.
Übersetzt wird derto-Infinitiv mit einemzu-Infinitiv, auch wenn der Rest des Satzes freier übersetzt wird.
Der SatzShe made me feel badmit der deutschen EntsprechungSie machte mir Schuldgefühlemacht die Möglichkeit deutlich, einen reinen Infinitiv im Englischen mit einem Substantiv ins Deutsche zu übersetzen, was wiederum damit zusammenhängt, dass es die spezifisch englische Konstruktionto make someone do somethingim Deutschen nicht für alle nachmakefolgenden Verben gibt. Man könnte sie in den meisten Fällen mitjemanden zwingen, etwas zu tunübersetzen, jedoch ist dies bei Verben des Fühlens offensichtlich nicht möglich wie das hier vorliegende Beispiel zeigt.
She made me go homehat im Englischen auch eine andere semantische Bedeutung alsShe made me feel bad, da der erste Satz mitSie zwang mich, nach Hause zu gehenübersetzt werden kann, der zweite jedoch nicht mitSie zwang mich, mich schlecht zu fühlen. Dieser Unterschied macht deutlich, dass diemake-Konstruktion im Englischen offensichtlich mindestens zwei semantisch unterschiedliche Bedeutungen in sich vereint, von denen im Deutschen nur eine ebenfalls mit einem Infinitiv ausdrückbar ist, die andere jedoch nur mit Ersatzkonstruktionen.
Das BeispielShe wouldn´t let me put my hand underneath her braverglichen mitSie erlaubte mir nicht, meine Hand unter ihren BH zu legenmacht erneut deutlich, dass es nicht möglich ist nach den VerbenmakeundletdesMAKE-typeseinento-Infinitiv, sondern lediglich einen reinen Infinitiv zu verwenden, was im Deutschen jedoch nicht der Fall ist, da hier derzu-Infinitiv benutzt wird. Dies hängt jedoch damit zusammen, dass es sich mitletähnlich verhält wie bei dem zuvor geschilderten Beispiel vonmake, das im Deutschen nicht genau übersetzt werden konnte.
Die nächsten vier Infinitivkomplemente zeigen erneut, dass es auch möglich istto-Infinitive mitzu-Infinitiven zu übersetzen, wobei die Prädikatoren hier einmal das volitiveaskund dreimaltryist, wobei nicht eindeutig geklärt werden kann, welcher Gruppe dieser Prädikator angehört.
(19) I got bored of trying to touch her breasts so that I would try to touch her between her legs
vs.
Ich hatte die vergeblichen Versuche, ihren Busen zu berühren, so über, dass ich versuchte, sie zwischen den Beinen zu berühren
(20)It was like trying to borrow a fiver, getting turned down, and asking to borrow fifty quid instead
vs.
Es war, als würde man versuchen, sich einen Fünfer zu leihen, eine abschlägige Antwort zu bekommen, und dann versuchen, sich statt dessen fünfzig Eier zu leihen.
Anhand dieser Beispiele wird erneut die bereits angesprochene Tendenz des Deutschen, Nebensätze zu bevorzugen deutlich. Wenn man sich die Übersetzung der Gerundiumkonstruktion mit einem Nebensatz am Anfang von Satz (20) ansieht, wird deutlich, warum deutsche Sätze in der Regel länger sind als englische. Die Infinitive sind hiervon in diesem Fall jedoch nicht betroffen, so dass eine Übersetzung von Infinitiv zu Infinitiv möglich ist.
Das Beispiel...girlfriends who would let them do anythingist eine weitere Variante des Infinitivs ohnetonach Prädikatoren wieletundmake, wobei die Übersetzung hier jedoch anders ausfällt als bisher, was aber wiederum auf das Problem der fehlenden Prädikatorentsprechung im Deutschen zurückzuführen ist. Die Übersetzung lautet hier:Freundinnen, die ihnen alles erlaubten.
Eine weitere sehr freie Übersetzung mit einem temporalen Nebensatz für ein englisches Infinitivkomplement liegt mit dem SatzEs dauerte fast ein Jahr, bis mir die Tragweite dieses Manövers klar wurdefürIt took me nearly a year to work out the importance of this manoeuvrevor. Deutlich zu sehen ist hier die Extraposition mit dem expletivenitam Anfang des Satzes, das aufgrund der schwachen semantischen Aussage vontakeals Subjektersatz in den Matrixsatz rückt. Hier steht normalerweise das Rhema eines Satzes. Hier jedoch macht das verwendeteitdeutlich, dass das Rhema erst im Komplementsatz folgt. Das Mittel der Extraposition lässt sich auch im Deutschen finden, wird hier bei der Übersetzung aber nicht berücksichtigt.
A part of me still wants to meet herwird zuEin Teil von mir möchte sie immer noch kennenlernen, wobei hier erneut die Tendenz deutlich wird, dass nach volitiven Verben im Englischen derto-Infinitiv benutzt wird und im Deutschen, besonders bei identischen Subjekten von Matrix- und Komplementsatz der reine Infinitiv.
Anders verhält es sich beim nächsten Beispiel, bei dem die Definition des Prädikators nicht eindeutig ist, da er aus mehr als nur einem Verb besteht.They have no desire to stimulate the erogenous zonesmitSie verspüren kein Verlangen, die erogenen Zonen zu stimulierenzu übersetzen, wirft keine Fragen auf, da die Übersetzung im wesentlichen mit dem Original übereinstimmt.
Der nächste Beispielsatz wird mit dem volitiven Prädikatortellaus dem Bereich der Verben, die ein Versprechen, einen Befehl oder eine Bitte ausdrücken, eingeleitet, wobei er in einer Passivkonstruktion steht. Dieser Prädikator lässt entweder einthat- oder einto-Komplement folgen, wobei es sich in dem nun folgenden Fall offensichtlich um einto-Komplement handelt, da es um Infinitive geht.We were told not to think about itentspricht in der deutschen ÜbersetzungUns wurde eingehämmert, an so etwas nicht einmal zu denken. Hier zeigt sich erneut, dass es in den meisten Fällen möglich ist, Infinitive mit Infinitiven zu übersetzen.
In der Folge lassen sich erneut zwei Beispiele fürwant + to-Infinitive finden, die wiederum reinen Infinitiven im Deutschen entsprechen, bevor ein weiteres Beispiel einer Realisierung eines reinen Infinitivs im Englischen durch einen modalen Nebensatz im Deutschen auftaucht.
(21)I felt the room spin round
vs.
Ich fühlte, wie sich der Raum um mich drehte
Dies könnte als weiteres Beispiel für die Tendenz des Deutschen, infinite Formen mit Nebensätzen auszudrücken, gedeutet werden.
Der letzte für das Thema interessante, Satz, den ich hier behandeln möchte, heißt:It´s easy enough to imagine him knobbing the wife, der in der deutschen ÜbersetzungDaß er die Ehefrau flachlegt, ist hingegen durchaus denkbarist ein interessantes Beispiel für ein Gerundium, in diesem Fallknobbing, das mit einemdass-Satz übersetzt wird, wobei ich eigentlich der Annahme war, dass ich auch mehrere Infinitive finden würde, die in der gleichen Weise übersetzt wurden, was aber nicht der Fall war. Auch hier wird der Infinitiv in einer anderen Art und Weise übersetzt, nämlich mit dem Adjektivdenkbar.
5.2. Auswertung
Da es aufgrund der Fülle der Infinitive in „High Fidelity“, sowie wahrscheinlich jedem anderen Buch auch, unmöglich ist, in einer auf 25 Seiten begrenzten Hausarbeit den gesamten Roman in dieser Weise zu bearbeiten, können die gefundenen Ergebnisse nur vorläufiger Natur sein. Trotzdem werde ich nun versuchen, die besprochenen Beispiele zu ordnen, um anhand der vorliegenden Übersetzungen von verschiedenen Arten von Infinitiven nach verschiedenen Prädikatoren möglicherweise Tendenzen aufzeigen zu können, die sich vielleicht auf das gesamte Buch übertragen lassen.
Von insgesamt 40 Beispielen, von denen ich allerdings aufgrund teilweiser starker Ähnlichkeiten verzichtet habe, alle zu nennen, lassen sich insgesamt neunmal (23%) Sätze mit dem volitiven Prädikatorwantfinden, der jedes Mal einento-Infinitiv bedingt, wobei die Entsprechungen im Deutschen ebenfalls nicht besonders vielfältig sind. Siebenmal wird der Prädikatorwantauch mitwollenübersetzt, und in jedem dieser Fälle zieht der deutsche Prädikatorwolleneinen reinen Infinitiv nach sich.
In den beiden anderen Fällen wird der englische Prädikator nicht genau oder überhaupt nicht übersetzt, so dass der Infinitiv im ersten Fall mit einer finiten Form des entsprechenden deutschen Verbs übersetzt wird. Der zweite Fall stellt sich ähnlich dar. Auch hier wird dem vorgegebenen Prädikator nicht entsprochen, sondern er wird mit einer Redewendung übersetzt, die im Deutschen einen erweiterten Infinitiv zur Folge hat, so dass die deutsche Entsprechung des englischento-Infinitivs hier in einemzu-Infinitiv besteht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es lag mir nichts daran, meine Hand unter Pennys BH zu kriegen
Am zweithäufigsten, nämlich siebenmal (18%), lassen sich Infinitivkomplemente nach Prädikatorensätzen wieit´s easy enough to imagine ...finden, die alle alsto-Infinitiv realisiert werden. Übersetzt wird hier dreimal mit einem Nebensatz und ebenfalls dreimal mit einem erweiterten Infinitiv mitzu. Einmal wird die infinite Form im Englischen im Deutschen mit einem Adjektiv übersetzt (letztes Beispiel in 5.1.)
Gleichauf liegen die Infinitivkomplemente nachtry(siebenmal; 18%), die ohne Ausnahme mit einemto-Infinitivkomplement gebildet werden und mit einer Ausnahme alle mit einem erweitertenzu-Infinitiv übersetzt werden. Die Ausnahme bildet hierbei das in 5.1. erwähnteverzweifelt mit den Tränen kämpfend. Hier entspricht der englische Infinitiv im Deutschen einem Partizip.
Der vierthäufigste Prädikator der in 5.1. angesprochenen Textstellen ist das bei Dixon im sogenanntenMAKE-typevertretene Verbmake. Ich werde es hier mit dem Prädikatorletzusammen behandeln, da beide die Eigenschaft haben reine Infinitivkomplemente ohnetonach sich zu ziehen. Diese beiden Prädikatoren findet man insgesamt sechsmal (15%), wobei sich viermalmakeund zweimalletzählen lässt.
Die Realisierung der Komplementsätze nach Prädikatoren dieses Typs erfolgt, wie bereits erwähnt, ausschließlich mit reinen Infinitiven, wobei diese Homogenität bei ihren Entsprechungen im Deutschen so nicht zum Ausdruck kommt. Hier findet sich nämlich zweimal die gleiche Substantivierung (make me feel guilty – Schuldgefühle machen), sowie zweimal ein erweiterterzu-Infinitiv, einmal nachmakeund einmal nachlet.
(23) a)She wouldn´t let me put my hand underneath her bra – Sie erlaubte mir nicht,meine Hand unter ihren BH zu legen
b) She made me finish with her – Sie hatte mich dazu getrieben, mit ihr Schluß zu machen
Der Grund könnte in den bereits in 5.1. angesprochenen fehlenden Translationsoptionen der englischen Prädikatorenmakeundletzu suchen sein. In den beiden übrigen Fällen wird der Infinitiv mit einem Nebensatz übersetzt.
Zweimal kommen jeweils Komplemente nach dem kausativen Prädikatorallow(5%) und nach dem semantisch schwachenseem(5%) vor, die im Englischen alle mit einemto-Infinitivkomplement realisiert werden, jedoch sehr unterschiedlich übersetzt werden, so dass hier, auch aufgrund der wenigen Beispiele, keine klare Tendenz zu erkennen ist.
Die fehlenden 16% sind Infinitivkomplemente nach vereinzelt auftauchenden Matrixsatzprädikatoren, die sich keiner der genannten Gruppen zuordnen lassen. Sie werden hier nicht berücksichtigt.
6. Resümee
Nachdem ich mit der Sekundärliteratur vertraut war, war ich der Meinung, dass man die in ihr gegebenen Beispiele sicherlich auf den empirischen Teil der Arbeit übertragen kann. Dies war vom theoretischen Standpunkt aus durchaus möglich.
Was aber den praktischen Teil der Untersuchung von deutschen Entsprechungen englischer Infinitive angeht, so war ich erstaunt, nicht einen einzigendass-Satz vorzufinden, um welches Infinitivkomplement auch immer im Deutschen zu realisieren. Immerhin schien mir diese Realisierung die häufigste aller Möglichkeiten zu sein, wenn man die Beispielsätze der Sekundärliteratur beachtet.
Beim Untersuchen von Textstellen aus dem Roman „High Fidelity“ von Nick Hornby lässt sich die Tendenz erkennen, dass die meisten Infinitive im Deutschen entweder Infinitive bleiben oder durch einen Nebensatz ausgedrückt werden. Meiner Meinung nach liegt diese Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis jedoch in der Arbeitsweise des Übersetzers begründet.
Dem Kontext folgend übersetzt dieser meist zu frei, als dass die theoretischen linguistischen Grundlagen auf den Paralleltext angewendet werden können. Man könnte alles nach den Vorgaben insbesondere Dirvens, Raddens und Dixons realisieren, würde aber so beim Lesen vielleicht ins Stocken geraten, da bei zu genauer Übersetzung möglicherweise der Erzählfluss gehemmt würde.
Aufgrund dieser Erkenntnisse habe ich im empirischen Teil versucht, anhand der vorliegenden Klassen von Matrixsatzprädikatoren Tendenzen aufzuzeigen, die so vielleicht auf den gesamten Roman anwendbar sind. Interessant zu beobachten war es, dass es durchaus Tendenzen gibt, Infinitivkomplemente nach bestimmten Prädikatoren in der gleichen Weise zu übersetzen.
7. Bibliographie
- Asher, R.E. (Hrsg.), 1994: The Encyclopaedia of Language and Linguistics. Oxford.
- Dixon, R.M.W., 1984: “The Semantic Basis of Syntactic Properties” . In: Proceedings in the 10th annual meeting of the Berkeley Linguistic Society pp. 583-595. Berkeley.
- Eisenberg, Peter, 1986: Grundriß der Deutschen Grammatik. Stuttgart: Metzler.
- Friederich, Wolf, 1970: Die Infiniten Formen des Englischen. München: UNI-Druck.
- Friederich, Wolf, 1972: Technik des Übersetzens. Englisch und Deutsch. München: Max Hueber Verlag.
- Fries, Norbert, 1983: Syntaktische und Semantische Studien zum frei verwendeten Infinitiv und zu verwandten Erscheinungen im Deutschen. Tübingen: Gunter Narr Verlag.
- Givòn, Talmy, 1993: English Grammar. A Function-Based Introduction II. Amsterdam, Philadelphia: John Benjamin.
- Greenbaum, Sydney, 1991: An Introduction to English Grammar. London: Longman.
- Hellinger, Marlis, 1977: “Kontrastive Grammatik Deutsch Englisch”. In: Anglistische Arbeitshefte 14, pp. 1-59.
- Hornby, Nick 1995: High Fidelity. London: Orion Books Ltd.
- Hornby, Nick 1996: High Fidelity. Köln: Kiepenheuer und Witsch.
- Joos, Martin, 1964: The English Verb. Form and Meanings. Madison: University of Wisconsin Press.
- Mair, Christian, 1990: Infinitival Complement Clauses in English. Cambridge: University Press.
- Rohdenburg, Günter, 1995: “On the Replacement of Finite Complement Clauses by Infinitives in English”. In: English Studies. A Journal of English Language and Literature 67: 367-387
- Rohdenburg, Günter, 1998: „Subordinate Clauses Introduced by Interpretative Verbs in English and their less explicit Counterparts in German“. In: Börner, Wolfgang – Vogel, Klaus (Hrsg.): Kontrast und Äquivalenz. Beiträge zu Sprachvergleich und Übersetzung. Tübingen. pp. 233-249.
- Rohdenburg, Günter und Legenhausen, Lienhard, 1995: „Kontrastivierung ausgewählter Strukturen im Englischen und Deutschen“. In: Ahrens, Rüdiger (Hrsg.): Handbuch: Englisch als Fremdsprache. Berlin.
Zusatz zur Hausarbeit: „Der englische Infinitiv und seine Entsprechungen im Deutschen“
1. Dixons Theorie zum Gebrauch des Infinitivs nach bestimmten Matrixsatzverben
1.1. Einleitung
Dixon geht in seinem AufsatzThe Semantic Basis Of Syntactic Propertiesdavon aus, daß es möglich ist, alle Wörter einer Sprache in unterschiedliche semantische Gruppen einzuteilen, wobei er behauptet, dass diese Einteilung universal, also in jeder Sprache anwendbar ist. Beispiele für diese semantische Einteilung sind Bewegungswörter (z.B. come, run, take ...), Farbausdrücke (z.B. black, white, red ...) oder Verwandtschaftswörter (z.B. mother, uncle, father ...), die es in beinahe allen Sprachen gibt.[33]
Aufgrund dieses Ansatzes, der die Semantik in den Vordergrund rückt, ist es möglich Wortklassen wie Nomen oder Verben in verschiedenen Sprachen zu vergleichen, da beispielsweise die Wortklasse der Verben in fast allen Sprachen die gleichen semantischen Typen hat.
Die Klasse der Verben beinhaltet in allen Sprachen Verben aus demMOVE/STAY-typemit den englischen Verbensit, stand, lieundput down, demHIT-typemit den Beispielverbenhit, cutundburn, demTELL-type, der den Oberbegriff für Verben wiespeak, tell, askundcommandbildet und schließlich demLIKE-typemit Verben wielike, hateundlove, der allerdings in manchen Sprachen durch die Wortklasse der Adjektive repräsentiert wird.
1.2. Die Bedeutung der Matrixsatzverben
Nicht alle, sondern nur einige semantischen Typen von Verben, ziehen in jeder Sprache Komplementsätze nach sich. Im Englischen sind die drei häufigste Realisierungen von Komplementsatzkonstruktionen die mit einemthat-clause, einem Gerundium oder einem Infinitiv.
Dixon geht davon aus, dass es möglich ist vorherzusagen, welchen Komplementsatz ein Verb nach sich zieht, wenn man die Komplementsätze kennt, mit denen in einer bestimmten Sprache gearbeitet wird, wenn man den semantischen Typ des jeweiligen Verbs kennt, wenn man weiß, welche Komplementsätze die Verben dieses Typs nach sich ziehen und relevante Fakten über die syntaktische Organisation der jeweiligen Sprache hat.
Interessant hierbei ist die Tatsache, dass bei weitem nicht alle Verben eines semantischen Typs den Komplementsatz gleich realisieren. Deutlich wird dies bereits an Beispielen aus dem ersten semantischen Typ, demDECIDE-type, der unter anderem dieWörter decide, determine, resolveundchoosebeinhaltet, denen einthat-clauseoder ein Infinitivkomplement folgen kann. Die Verbenselectundpick outaus dem gleichen Typ leiten überhaupt keinen Komplementsatz ein.
Anders verhält es sich mit den Verben desWANT-types, die fast alle mit einemthat-clauseund einem Infinitivkomplement stehen können. Die beiden einzigen Ausnahmen bilden hierbei die Verbenwantundneed, die nie mit einemthat-clausestehen. Der Grund hierfür könnte in der stärkeren Bedeutung der beiden Verben im Vergleich zu den semantisch schwächeren Gegenspielern (wantim Vergleich mitwishunddesire,needim Vergleich zurequire) zu suchen sein.
Der Grund für die Verbindung dieser beiden Verben mit einem Infinitivkomplement, nicht aber mit einemthat-clauseliegt in der pragmatisch ebenfalls größeren Stärke des Infinitivkomplements gegenüber demthat-clause. Man könnte also sagen, dass sich die stärksten Verben diese Typs mit der stärksten Komplementrealisation verbinden.
Vergleicht man hier das Englische mit dem Deutschen so wird deutlich, dass die unterschiedlichen Verben dieses Typs im Englischen unterschiedliche Bedeutungen haben, die es im Deutschen so nicht gibt, so dass in einem bestimmten Kontext beinahe alle Verben mit einer Form vonwollenübersetzt werden können. Das Verbwollenaber hat im Hinblick auf ihm folgende Komplementsätze im Deutschen einfache Regeln (mit einem dass-Satz , wenn das Subjekt von Haupt- und Komplementsatz unterschiedlich ist, mit einem Infinitiv, wenn es identisch ist[34]), so dass Dixons Theorie im Deutschen hier nicht greift, da es eine geringere Variation von Ausdrücken gibt als im Englischen. Das Englische hat hier eindeutig mehr Nuancen als das Deutsche.
Die Verben desBEGIN-typehingegen können alle mit einem Gerundium stehen, aber nur einige wenige auch mit einem Infinitiv. Es sind die Verbenbegin, start, continueundcease, die alle subjektorientiert sind, wohingegen die anderen Verben dieses Typs, die nur mit einem Gerundium verwendet werden, objektorientiert sind.
Englisch Deutsch
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anhand dieser Tabelle wird zunächst deutlich, dass es wie bereits erwähnt im Englischen aus sprachhistorischen Gründen mehr Ausdrücke für denselben Sachverhalt gibt als im Deutschen, da die lateinischen und französischen Einflüsse hier größer waren als in Deutschland. Außerdem lässt sich erkennen, dass die Möglichkeiten einer Auswahl aus verschiedenen Komplementsatzrealisierungen beimBEGIN-typesehr beschränkt sind. Während man im Englischen aufgrund von semantischen und syntaktischen Faktoren bei vier der sieben Verben entscheiden muss, ob man einen Infinitiv oder ein Gerundium benutzen kann, werden im Deutschen sechs von sieben Komplementsätzen durch einen Infinitiv realisiert und keiner mit einemdqss-Satz oder einem Gerundium.
Anders verhält es sich bei den Verben desWANT-types, deren Komplemente im Englischen klar strukturierbar sind, im Deutschen hingegen nicht. So ist es möglich, bei vier von sechs Verben ein Infinitivkomplement und bei dreien einendass-Satz folgen zu lassen. Bei zwei Verben ist es überhaupt nicht möglich, einen Komplementsatz anzuschließen.
Die möglichen Komplementrealisierungen desMAKE-typessind ebenfalls interessant, da jedes Verb dieses Typs nur eine Realisierung zulässt, obwohl alle drei vorkommen. Die Erklärung dafür, warum beispielsweisemakeundletmit einem Infinitiv stehen, ist erneut semantischer Natur. So steht beispielsweiseensuremit einemthat-clause,causeoderallowmit einem Infinitivkomplement undhinderoderstopmit einem Gerundium, da diese Verben unterschiedlichen semantische Absichten ausdrücken, die sich im Gebrauch unterschiedlicher Komplementrealisierungen niederschlagen.
So drückt laut Dixon ein Komplementsatz, der mit einemthat-clauseeingeleitet wird und beispielsweise nachensuresteht, eine allgemeine Aktion aus, die keine besondere Aktivität der handelnden Personen ausdrückt. Anders verhält es sich mit dem Infinitivkomplement, das etwas Gewolltes ausdrückt, wohingegen das Gerundium eher einen Komplementsatz einleitet, in dem etwas Ungewolltes geschieht. Deutlich wird dies bereits an der Gegensätzlichkeit der oben genannten Matrixsatzverben wieallowundhinder.
1.3. Die Bedeutung der Komplemente
Die drei möglichen Komplementsatzrealisierungen haben unterschiedliche Funktionen, was bereits bei der näheren Betrachtung desMAKE-typesdeutlich wurde.
Syntaktische Unterschiede bestehen darin, dassthat-clausesdie gleichen syntaktischen Merkmale haben, wie normale Sätze, was bei Infinitivkomplementen und Gerundien nicht der Fall ist. Semantische Unterschiede werden an Beispielen deutlich.
(1)I observed that Mary struck John
(2)I observed Mary striking John[35]
In (2) wird durch das Gerundium ausgedrückt, dass das Subjekt des Satzes wirklich gesehen hat, wie Mary John geschlagen hat, wohingegen in dies in (1) nicht der Fall sein muss. Hier würde als Beweis bereits der Ausdruck auf den Gesichtern der Beteiligten oder ein blutiger Stock als Beweis für die Aussage reichen.
Während es hier jeweils nur eine Möglichkeit der Realisierung der Komplemente gibt, verhält es sich bei Infinitivkomplementen insofern anders, als sie zwei Realisierungen haben. Zum einen in Form des Bezugs auf einen noch nicht realisierten Wunsch wie es ähnlich auch beithat-clausesvorkommt, die aber noch ein englisches Modalverb benötigen, um den Komplementsatz zu vervollständigen,
(3)I wish that John would govsI wish John to go[36]
zum anderen in der semantische unterschiedlichen Form eines Urteils über das Subjekt des Komplementsatzes.
(4)I know that Mary is clevervsI know Mary to be clever[37]
Der Unterschied zwischen dem Gebrauch von Infinitiv und Gerundium als Einleitung eines Komplementsatzes wird an folgendem Beispiel deutlich.
(5)John tried balancing the ball on his head
(6)John tried to balance the ball on his head[38]
(5) sagt aus, dass John den Ball wirklich auf seinem Kopf gehabt haben muss, (6) dagegen, dass es ihm nicht möglich war, den Ball auf seinem Kopf zu balancieren.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass Dixons Theorie darin besteht Verben in bestimmte Kategorien zusammenzufassen, die aufgrund von unterschiedlichen und gemeinsamen semantischen Eigenschaften dieser aufgestellt werden. Aufgrund des Verknüpfens dieser semantisch unterschiedlichen Verbklassen mit dem syntaktischen Phänomen der möglichen Komplementsatzrealisationen lassen sich Regeln für den Gebrauch von bestimmten Komplementen nach bestimmten Matrixsatzverben aufstellen.
1.4. Rohdenburg
Der Vergleich von Infinitiven mitthat-clausesals mögliche Komplementrealisierungen ist außerdem vor dem Hintergrund eines Aufsatzes Rohdenburgs[39] interessant. Dieser stellt nämlich zwei Prinzipien für den Gebrauch von Komplementsätzen auf, wobei das erste Prinzip der Satzintegration semantisch begründet wird. Es besagt, dass ein Komplementsatz, der beispielsweise durch den Gebrauch einesthat-clausessyntaktisch unabhängiger ist als bei Gebrauch eines Infinitivkomplements, darüber hinaus wahrscheinlich auch semantisch unabhängiger vom Matrixsatz ist. Verdeutlichen lässt sich diese Aussage anhand der folgenden Beispiele.
(7)John persuaded Susan that she should go
(8)John persuaded Susan to go[40]
Satz (7) repräsentiert die syntaktisch unabhängigere Variante desthat-clauses, der sich hier insofern auch semantisch weiter entfernt vom Matrixsatz befindet, als Susan wahrscheinlich nicht die Absicht hatte, zu gehen, der Gebrauch des Infinitivs in (8) hingegen verdeutlicht, dass Susan wahrscheinlich sowieso den Wunsch hatte, bald zu gehen. Vereinfacht könnte man also sagen, dass John in (7) Susan gegen ihren Willen loswerden möchte, in (8) aber nur auf etwas eingeht, das Susan auch möchte.
Das zweite Prinzip ist das Komplexitätsprinzip, das besagt, dass der Komplementsatz einen explizierteren Satzstatus bevorzugt je komplexer er ist oder je weniger direkt er semantisch mit dem Matrixsatz verbunden ist.
Der Beweis hierfür lässt sich im heutigen Englisch finden, in dem finite Sätze nur noch in bestimmten Kontexten vorkommen, nachdem sie im 17. und 18. Jahrhundert weitgehend vom Infinitiv verdrängt worden waren. Beispiele sind verneinte Komplemente oder die Abneigung zwei Infinitive hintereinander zu verwenden, um nur einige zu nennen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im heutigen Englisch - im Gegensatz zu anderen europäischen Sprachen - die Wahl der syntaktischen Konstruktionen, um Komplemente zu realisieren, sehr begrenzt ist. So stehen So werden repräsentative Verben ausschließlich mit finiten Komplementen gebildet, positiv beeinflussende Verben mit Infinitiven, und expressive Verben stehen vor präpositionalen Gerundivkonstruktionen.
2. Stichwortartige Antworten auf die Fragen am Rand
a) Worin besteht der semantische Unterschied zwischen glauben und annehmen im Deutschen vor dem Hintergrund der Beispielsätze unter (9)?
Der semantische Unterschied besteht hier darin, dassglaubeneinen unsicheren Sachverhalt ausdrückt alsannehmen. Wenn ichannehme, dass jemand hier ist, tue ich dies vor dem Hintergrund eines Beweises, beispielsweise eines Geräusches, das ich gehört habe.Glaubenhingegen benutze ich lediglich, wenn ich weiß, dass Derrick vielleicht um 18 Uhr kommen wollte und es jetzt 18 Uhr ist.
Hier drückt die Wahl des Infinitivs im Englischen also eine größere Bestimmtheit aus als die Wahl desthat-clause.
b)Ist der Unterschied zwischenwollenundhoffenbezüglichzuzufällig?
Nein. Der Unterschied zwischenwollenundhoffenbezüglich des Gebrauchs des Infinitivs ist nicht zufällig, dahoffenaus syntaktischen Gründen nie mit einem reinen Infinitiv stehen kann,wollenhingegen nie mit einemzu-Infinitiv.
c) Was entsprichtdenkbarim Englischen?
Denkbarentspricht in diesem speziellen Fall dem Infinitivto imagine. Normalerweise würdedenkbardem Adjektivthinkableentsprechen.
[...]
[1]Friederich (1969:92)
[2]vgl. Asher (1994:738)
[3]Hellinger (1977:1)
[4]Alle Beispiele aus: Friederich (1970)
[5]Eisenberg (1998:188)
[6]Eisenberg (1998:189)
[7]Friederich (1970:5)
[8]Eisenberg (1998:190)
[9]vgl. Friederich (1970:2ff)
[10]Alle Beispiele aus: Friederich (1970)
[11]Dirven, Radden (1977:271)
[12]Friederich (1970:157)
[13]vgl. Dirven, Radden (1977)
[14]Dirven, Radden (1977:262)
[15]Dirven und Radden (1977:22)
[16]vgl. Givòn (1993:1)
[17]Dirven und Radden (1977:22)
[18]Dirven und Radden (1977:24)
[19]Dirven und Radden (1977:262)
[20]Dirven und Radden (1977:266 f.)
[21]Dixon (1984:583 ff.), Dirven und Radden (1977:285 ff.)
[22]vgl. Dixon (1984:584 ff.)
[23]vgl. Dirven und Radden (1977:285 ff.)
[24] Dixon (1984:591)
[25]Dirven und Radden (1977:304)
[26]vgl. Rohdenburg, Günter (1995:367ff.)
[27]alle englischen Beispiele aus Hornby (1995:chronologisch)
[28]alle deutschen Beispiele aus Hornby (1996:chronologisch)
[29]Dirven und Radden (1977:304)
[30]Friederich (1970:Vorbemerkung)
[31]Friederich (1970:Vorbemerkung)
[32]vgl. Friederich (1969:91ff.)
[33]vgl. Dixon (1984:583)
[34]vgl. Dirven-Radden (1977:305)
[35]Dixon (1984:589)
[36]Dixon (1984:589)
[37]Dixon (1984:590)
[38]Dixon (1984:590)
[39]Rohdenburg (1995:367ff)
[40]Rohdenburg (1995:367)
- Arbeit zitieren
- Oliver Buchholz (Autor:in), 2001, Der englische Infinitiv und seine Entsprechungen im Deutschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107598