Caesar und die Rheingrenze


Hausarbeit (Hauptseminar), 1997

34 Seiten, Note: 2


Leseprobe


1. Einleitung

Im Frühjahr 59 v. Chr. erhält der junge römische Politiker Julius Caesar die Statthalterschaft über Gallia Cisalpina und Illyricum, für fünf Jahre. Unter dem Druck des Pompejus fügt der Senat bald darauf noch die benachbarte Provinz Gallia Narbonnensis für ein Jahr hinzu.[1] In der Zeit von 58 bis 51 v. Chr. erobert Caesar ganz Gallien bis zum Rhein, etabliert diesen als Grenze und unterbindet alle germanischen Vorstöße auf gallisches Gebiet.

Ziel dieser Arbeit ist es, die folgenden Fragen zu beantworten:

1. Welche Rolle spielt der Rhein für Caesar?
2. War der Rhein überhaupt eine Grenze?
3. Wie verhält sich Caesar den Germanen gegenüber?
4. Wie legitimiert Caesar seine Aktionen?
5. War das was Caesar in Gallien getan hat, von der staatsrechtlichen Warte aus betrachtet, überhaupt legal und vertretbar?

Die Beantwortung dieser Fragen soll auf der Basis von Caesars eigenen Berichten erfolgen, sowie unter Zuhilfenahme ausgewählter Werke der Sekundärliteratur.

Die Literaturlage selber ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits wird man vom Umfang von Caesars eigenen Berichten förmlich erschlagen, andererseits haken die meisten Autoren, die sich mit dem Themenkomplex „Römer und Germanen“ befassen, Caesars Zeit meist schon in der Einleitung ab und beginnen gleich mit der augustäischen Zeit. Daher bleiben für Caesars Zeit nur die Werke über den Gallischen Krieg. Die Germanen spielen dort nur eine untergeordnete Rolle und werden nur dann behandelt, wenn sie den Rhein überschreiten und in Gallien aktiv werden.

2. Der Rhein als Grenze?

Es gilt mittlerweile als sicher, daß Caesars rigorose Unterscheidung zwischen Germanen und Galliern nicht den Tatsachen entsprach. Bis Mitte dieses Jahrhunderts ist man davon ausgegangen, daß Caesars Darstellung korrekt war[2], und erst durch seitdem neu gewonnene archäologische Erkenntnisse geriet das durch Caesar geprägte Bild ins Wanken. Es folgte eine Debatte darüber, ob er die Tatsachen absichtlich verdreht hat, um seine Aktionen in Gallien, und vor allem gegenüber den Germanen, zu legitimieren, oder ob sich vor Caesars Augen etwas wirklich neues abspielte. Man wird mit dem zur Verfügung stehenden Quellenmaterial keinen der beiden Ansätze wirklich einwandfrei nachweisen können.

War der Rhein für Caesar wirklich eine Völkergrenze? Vielleicht dachte Caesar wirklich, daß der Rhein eine Grenze war, ja sogar sein mußte. Da war ein Fluß, sehr breit, sehr tief und vor allem sehr schnell, der erst einmal mit Mühen überquert werden wollte und auch heute, 2000 Jahre später, noch Respekt einflößt – vor allem wenn sich die alljährlichen Hochwasser wieder ankündigen. Schon allein aus taktischen Erwägungen, war der Rhein daher für eine Rolle als natürliche Grenze wie geschaffen und Caesar wäre ein sehr schlechter Militär gewesen, wenn ihm diese offensichtliche Tatsache entgangen wäre. Ein so großer Fluß wäre also auch für eine Völkergrenze wie geschaffen gewesen. „Für [Caesar] trennte der Rheinstrom Kelten und Germanen als verschiedene, in ihrer materiellen Kultur jedoch verwandte Völkergruppen, die oftmals nur schwer von einander zu unterscheiden sind.“[3] So stellt Caesar die Situation, die sich ihm bietet, zumindest dar – aber war dem wirklich so?

Ethnisch lassen sich die Germanen nicht eindeutig fassen und es ist zweifelhaft, ob alle Stämme, die die Römer für Germanen hielten, wirklich Germanen waren. Dies liegt unter anderem auch daran, daß die Quellenlage recht einseitig ist: es gibt keine schriftlichen Selbstzeugnisse der Germanen und die erhaltenen Schriftquellen spiegeln nur die subjektive Sicht der Römer und Griechen wieder[4]. Sicherlich hat Caesar die Unterschiede zwischen Germanen und Galliern übertrieben, aber es schießt wahrscheinlich auch übers Ziel hinaus, zu behaupten, Caesar habe für seine Eroberungspläne in Gallien den Rhein als Grenze benötigt und durch Hervorhebung der Unterschiede zwischen Germanen und und Galliern legitimieren wollen. Es war in der Antike einfach üblich Grenzen nach Wasserstraßen zu ziehen, da sie sich mit geringerem Aufwand verteidigen ließen[5]. Die Unterschiede zwischen Germanen und Kelten, die Caesar anführt, beruhen auf damals verbreiteten Vorstellungen über die Völker in Nordeuropa. „Demnach sind seine Kenntnisse beschränkt, denn er war nicht weit in germanisches Land vorgedrungen [...]. Caesar schöpfte sein Wissen nicht so sehr aus persönlicher Erkundung, sondern nahm vielfach Berichte gallischer Kaufleute und germanischer Gefangener als Grundlage.“[6]

Aber wie sah sie aus, die Bevölkerung an beiden Ufern des Rheins? Für die folgende Übersicht beziehe ich mich im wesentlichen auf Ament[7].

1. Im Süden befindet sich die Latènekultur (keltisch) zu dieser Zeit auf ihrem Höhepunkt (Spätlatènezeit ab 125 v. Chr.). Prägende Merkmale sind vor allem stadtartige Gebilde, die Caesar „oppida“ nennt und die in Lebens- und Wirtschaftsform, Münzprägung und Geldverkehr einer antiken Stadt entsprechen. Ein alle gesellschaftliche Schichten umfassender Totenkult ist nicht nachweisbar – dafür sind zuwenig Gräber gefunden worden. Alles in allem kann man von einer frühgeschichtlichen Gesellschaft ausgehen, die sich an der Schwelle zur Hochkultur befand. Das Verbreitungsfeld der spätkeltischen Oppida-Zivilisation erstreckte sich vom zentralen Gallien, über das Voralpenland und das Donaugebiet bis hin nach Böhmen.
2. Im Mittelgebirgsraum gab es eine Art Mischkultur mit befestigten Großsiedlungen, Münzprägung, aber auch einer speziellen Bestattungsart: Brandbestattung und Grabbeigaben in Form von Waffen und anderen Gegenständen.
3. Im Norden gab es zwar auch eine brandbestattende Bevölkerung, jedoch fehlten die latèneüblichen Großsiedlungen und die damit verbundenen höher entwickelten Produktions- und Wirtschaftsformen. Anstelle dessen gab es eine kleinräumig organisierte, bäuerlich wirtschaftende, letztendlich in bronzezeitlicher Tradition lebende Bevölkerung. Man nennt sie Jastorfkultur und sie erstreckte sich im Norden bis Jütland und Südskandinavien, im Osten bis nach Mecklenburg und ins Prignitzgebiet und im Süden bis in den Elster-Mulde-Saale-Raum. Zwischen Niederrhein/Ems und Weser/Aller schloß sich die verwandte Harpstedt-Nienburger Kultur an.

In allen drei Fällen macht es keinen Unterschied, ob man sich links oder rechts vom Rhein bewegt. Auch die archäologischen Befunde widersprechen Caesars Darstellung[8]. Man kann nur für die Jastorfkultur gesichert sagen, daß sie „germanisch“ ist und hat in ihr die Wiege der Germanen gesehen. „Da nun in diesen Gebieten in den vorchristlichen Jahrhunderten und über die Zeitenwende hinweg eine grundsätzliche Kulturkontinuität zu beobachten ist und die schriftlichen Quellen nunmehr eine genauere Einordnung erlauben, sieht man heute die Jastorfkultur bereits als germanisch und sogar als Keimzelle der Germanen an, während man früher von einer Einwanderung germanischer Stämme ausging. Anscheinend haben sich die Germanen trotz erkennbarer Siedlungsbewegungen, ohne nennenswerte Fremdeinflüsse aus dieser Kultur entwickelt. Die in den Schriften bezeugten Wanderbewegungen haben vielleicht zu einem Verschmelzungsprozeß, nicht aber zu einem Wandel der bodenständigen Kultur geführt. Eine Heimat der Germanen wäre demnach in Südskandinavien, Dänemark, an der deutschen Nord- und Ostseeküste und im Elbgebiet zu suchen. Wie weit aber die Randgebiete, vor allem in Nordwestdeutschland, in augustäischer Zeit bereits als germanisch besiedelt anzusehen sind, bleibt strittig, scheint aber durchaus möglich, da man heute kaum mehr von einem einheitlichen Ursprung aller Germanen ausgeht, und auch von sprachgeschichtlicher Seite sind zuletzt Bedenken gegen eine klare Abgrenzung des Germanischen geäußert worden.“[9] H. Ament fügt außerdem an, daß die ältesten germanischen Sprachdenkmäler nicht über das erste vorchristliche Jahrhundert hinausgehen und folgert daraus, daß Caesar vielleicht sogar Zeitzeuge der germanischen Ethnogenese gewesen ist und man schon deswegen nicht von ihm erwarten kann, das Neue, was sich zu der Zeit abspielt, richtig einzuordnen[10]. In die gleiche Zeit fiel schließlich auch das Ende der Kelten. In diesem Sinne wären die Germanen nicht die Erbfeinde, sondern die Erben der Kelten und die Begegnung mit den Römern könnte bei diesem Prozeß die Rolle eines Katalysators bei der Ethnogenese der Germanen gespielt haben. „Die keltische Welt hat zu Beginn des 1. Jahrhunderts vor Christus einen bis dahin unbekannten Wohlstand erreicht [...] aber sie scheint von einer unsichtbaren wuchernden Krankheit befallen zu sein, die sie in zunehmender Weise ihrer Verteidigungsfähigkeit beraubt. [...] Es ist vielleicht bezeichnend, daß die Völker, die scheinbar zuerst betroffen sind, – besonders die Häduer und die Bojer – auch jene sind, deren Wirtschaft und Handelsgeschäfte sich besonders hoch entwickelt hatten. Es wäre daher einleuchtend, daß eine der Hauptursachen für diese Lage der Dinge das wachsende Ungleichgewicht zwischen der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die sich infolge dieses Aufschwungs entwickelt hatte, und den vorgegebenen [politischen und gesellschaftlichen Strukturen], gewesen sein könnte, zu deren Anpassung das oligarchische System – das ja gerade zur Aufrechterhaltung des Status Quo eingesetzt war – nicht fähig war.“[11] Es wäre nicht das nicht das erste und auch nicht das letzte Mal in der Geschichte gewesen, daß sich ein vergleichbarer Prozeß abgespielt hätte.

Entweder sind die Kelten besiegt worden, oder, mehr oder minder freiwillig, durch welche Sachzwänge auch immer, in den germanischen Stämmen aufgegangen. Denn es würde der typischen germanischen Stammesbildung entsprechen. Einer der Stammesführer sammelt einen Teil seines Volkes um sich und wandert aus. Andernorts ansässige Stämme werden vertrieben oder überlagert und einverleibt. Dies macht eine Unterscheidung nach archäologischen Gesichtspunkten so gut wie unmöglich.[12] „Unfähig ihre Gegensätze zu überwinden und dem Übel entgegenzutreten, erleben die keltischen Völker, die durch den unerbittlichen Vormarsch der römischen Armeen und die ungestümen Vorstöße der neuen Barbaren in die Enge getrieben sind, in kaum einem halben Jahrhundert den völligen Zusammenbruch ihrer Macht vom Ozean bis zu den Karpaten.“[13] Von nun an galt es sich an neue Verhältnisse anzupassen: „Sie wissen sich derart zu bereichern und anzupassen, daß sie Grundlage einer neuen Blüte sind.“[14]

Folglich kann man sagen: „[Caesar übertreibt] [...] den Gegensatz zwischen den vergleichsweise kultivierten Galliern und der ungebändigten Wildheit der Germanen. Der Rhein war noch nicht die dramatische Grenze, wie man nach seinem Buch glauben möchte; auf jeder Seite gab es noch Kelten und keltische Völker, und es war noch nicht lange her, daß man eingesehen hatte, man müsse die Germanen ebenso als Nation ansehen wie die Gallier. In dieser Auffassung folgte Caesar dem griechischen Gelehrten Poseidonios [...].“[15] Für Poseidonios waren die Germanen den Kelten sehr ähnlich und unterschieden sich beträchtlich von den Kimbern und Teutonen[16] und gerade diese Aussage ist recht pikant, wenn man bedenkt, daß Caesar seinen Angriff auf den Germanen Ariovist u.a. dadurch legitimiert, indem er auf den Einfall der Kimbern und Teutonen hinweist. „Poseidonios benutzte den Namen Germanen für die Grenznachbarn der Kelten auf dem rechten Ufer des Oberrheins. Inwiefern er Germanen, Kelten und Skythen wirklich zu [unter]scheiden wußte, entzieht sich unserer Kenntnis. Wie weit die geographisch-ethnographischen Erkenntnisse des Poseidonios nach Norden und Osten reichen, ist unbekannt.“[17]

3. Wie verhält sich Caesar den Germanen gegenüber?

3. 1. Caesar und Ariovist

Caesar beginnt seine Darstellung Ariovists sehr geschickt. Er läßt den Häduer Diviciacus erzählen und erweckt so den Eindruck, selber nur ein objektiver Beobachter mit Distanz zum Geschehenen zu sein. Diviciacus ist dabei an sich schon eine interessante Figur. Es gab bei den Häduern zwei Fraktionen: eine pro-römische unter Diviciacus und eine „nationalistische“ unter seinem Bruder Dumnorix. Diviacus selber war in Rom und hatte bei dieser Gelegenheit auch Cicero kennengelernt und sich mit ihm angefreundet[18]. „Als Freund Roms und unermüdlicher Vermittler scheint er an der Spitze der gemäßigten Partei zu stehen, während sein Bruder Dumnorix die antirömischen Kräfte auf seiner Seite vereinigt. Diviciacus übernimmt im Jahr 60 oder 59 v. Chr. das jährlich zu vergebene Amt des „Vergobreten“ und wird mehrmals Botschafter oder Unterhändler des Ältestenrates von Bibracte. Das Priesteramt, daß mit der Funktion der Druiden verbunden ist, scheint keine besondere Lebensweise aufzuerlegen, denn Diviciacus unterscheidet in nichts von jedem anderen einflußreichen Mitglied des Adels der Häduer, und man wüßte gar nicht daß er Druide war, wenn Cicero, der ihn kennengelernt hatte, dies nicht ausdrücklich erwähnt hätte.“[19] Diviciacus hatte die Führung zugunsten seines Bruder verloren. Caesar zitiert ihn folgendermaßen: „Er sei der einzige im ganzen Stamm der Häduer, den man nicht habe dazu bringen können, zu schwören oder seine Kinder als Geiseln zu stellen. Deshalb sei er aus dem Stammesgebiet nach Rom geflohen, um Hilfe zu fordern, weil er allein weder durch einen Eid noch durch Geiseln gebunden sei.“[20] Wahrscheinlich war er von seinem Stamm verjagt worden und hoffte nun, mit Cäsars Hilfe, seine Macht wieder zurückzuerhalten.[21] Das macht ihn jedoch nicht unbedingt zu einem objektiven Berichterstatter... Der Streit zwischen den beiden Häduerfraktionen hat noch jahrelang weitergeschwelt. Trotzdem blieben die Häduer die verläßlichsten Verbündeten Caesars in Gallien – wohl auch wegen Diviciacus. Dumnorix wurde auf Caesars Befehl erschlagen, als er sich weigerte, an Caesars zweitem Übergang nach Britannien, im Rahmen einer Delegation loyaler gallischer Stämme, teilzunehmen.[22]

„Seit Ariovist aber einmal die Truppen der Gallier in einer Schlacht, die bei Magetobriga stattfand, geschlagen habe, herrsche er stolz und grausam, fordere die Kinder eines jeden Hochadligen als Geiseln und spreche gegen sie alle möglichen Strafen aus, wenn irgendetwas nicht nach seinem Wunsche geschehen sei. Er sei ein barbarischer, jähzorniger und unbesonnener Mensch; man könne seine Befehle nicht länger ertragen. Wenn man nicht bei Caesar und dem römischen Volk Hilfe finde, so müßten alle Gallier dasselbe tun, was die Helvetier taten, nämlich ihre Heimat verlassen, eine andere Bleibe und andere Wohnsitze fernab von den Germanen suchen und das Schicksal versuchen, was immer auch geschehe. Falls das dem Ariovist verraten würde, würde er mit Sicherheit alle Geiseln, die bei ihm seien, auf die härteste Weise umbringen lassen. (Doch) Caesar könne mit seinem persönlichen Ansehen und dem seines Heeres oder aufgrund seines eben errungenen Sieges oder im Namen des römischen Volkes verhindern, daß eine noch größere Menge Germanen über den Rhein geführt würde, und er könne ganz Gallien vor dem Unrecht des Ariovist verteidigen.“[23]

Caesar betont diese angebliche Gefahr noch, indem er schreibt, daß die Sequaner, in seinem Lager, unter seinem Schutz, ja sogar in seiner Gegenwart, eine so große Angst vor Ariovist haben, daß sie nur mit gesenktem Kopf da sitzen und zittern wie Espenlaub.[24] Die Gallier bitten ihn, „unter heftigem Schluchzen [...] flehend um Hilfe“[25], da nur er, gemäß den Ausführungen des Häduers Diviciacus, ganz Gallien vor einer drohenden Schreckensherrschaft des Ariovist bewahren könne. „Als Caesar das erfahren hatte, sprach er den Galliern Mut zu und versprach der Sache künftig Beachtung zu schenken; er hege große Hoffnung, dank seiner Auszeichnung und seines Ansehens Ariovist dazu zu bringen, dem Unrecht ein Ende zu setzen. Nach dieser Rede löste er die Versammlung auf. Daneben ermutigten ihn viele Umstände zu dem Glauben, die Sache überdenken und in die Hand nehmen zu müssen, vor allem, weil er sah, wie die Häduer, die vom Senat häufig Brüder und Blutsverwandte genannt worden waren, nun in der Knechtschaft und Gewalt der Germanen gehalten wurden, und weil er wußte, daß ihre Geiseln bei Ariovist und den Sequanern waren; das hielt er angesichts einer solchen Herrschaft für eine besondere Schande für sich und den Staat.“[26] Caesar schreibt, er fühle sich von den Umständen in die Pflicht genommen, da die Häduer „Freunde des römischen Volkes“ seien. Außerdem stellt Caesar die Lage so dar, als würden die Germanen „sich allmählig daran gewöhnen, den Rhein zu überschreiten und in großer Zahl nach Gallien zu kommen“[27], und so zwangsläufig eine Gefahr für die Sicherheit Roms darzustellen, da „nur die Rhône die Sequaner von unserer Provinz trenne“[28]. Daher wollte Caesar Gesandte zu Ariovist schicken, um mit ihm einen Termin für ein Gespräch zu verabreden.

„Ariovist antwortete dieser Gesandschaft: Wenn er selber etwas von Caesar wollte, so wäre er zu ihm gekommen; wenn jener aber etwas von ihm wolle, so müsse er schon zu ihm kommen. [...] Auch wundere es ihn, was Caesar oder überhaupt das römische Volk in seinem Gallien, das er im Kriege besiegt habe, zu suchen habe.“[29] Wenn dem wirklich so war, muß Ariovists barsche Ablehnung, auch nur mit Caesar zu sprechen, sehr beleidigend gewesen sein. Caesar bewahrt jedoch die Ruhe und bezeichnet Ariovist lediglich als undankbar, da er die Einladung zu einer Unterredung als lästig und unnötig ablehne, „trotz der [ihm] zuteilgewordenen Auszeichnung Auszeichnung durch ihn und das römische Volk, als er unter seinem Konsulat[30] vom Senat „König und Freund“ genannt worden sei“[31]. Außerdem verlangt er von Ariovist, daß dieser:

- keine „Menschenmassen“ mehr über den Rhein führe,
- den Häduern die von ihnen gestellten Geiseln zurückgebe,
- den Sequanern gestattet, die Geiseln, die ihnen von den Häduern gestellt worden sind, zurückzugeben,
- er solle die Häduer nicht mehr durch ihnen zugefügtes Unrecht reizen,
- er solle alle Feindseligkeiten gegenüber den Häduern und ihren Verbündeten einstellen.[32]

Wenn Ariovist sich hierzu bereit erkläre, würden Caesar und das gesamte römische Volk in Frieden mit ihm leben. „Andernfalls werde er das Unrecht an den Häduern nicht hinnehmen“[33]. Caesar betont, daß dieser Krieg ein gerechter wäre, da es einen Senatsbeschluß[34] gebe, der besagt, daß der jeweilige Statthalter der Provinz Gallien die Häduer und die übrigen „Freunde des römischen Volkes“ verteidigen solle. So weit so gut, aber bemerkenswerterweise nur „soweit dies im Interesse des Staates machbar sei“[35]. Das bedeutet zum einen, wenn Ariovist Krieg will, kann er ihn bekommen – zudem wäre er gerecht. Zum anderen sind die „Interessen des Staates“ ein sehr dehnbarer Begriff, der es Caesar theoretisch auch erlaubt, Ariovist zu verjagen, weil er in Gallien keine „Götter“ neben sich duldet. Außerdem erlaubt dieser Senatsbeschluß auch, später einen Krieg gegen die Häduer zu führen, falls sie unter Roms Schutz allzusehr prosperieren sollten, getreu dem altbekannten „Teile-und-herrsche“-Prinzip: man erobert ein Gebiet, teilt es auf, spielt die Parteien gegeneinander aus und greift ggf. selber ein. Wie auch immer, Caesar stellt die Situation jedenfalls so dar, als wenn er selber nur „gerechte Gründe“ vorbringt, ohne sich gleichzeitig von Ariovist provozieren oder einschüchtern zu lassen.

Ariovist antwortet, „es sei Kriegsrecht, daß die Sieger den Besiegten befehlen könnten, was sie wollten; auch das römische Volk pflege den Besiegten nicht nach den Vorschriften eines anderen, sondern nach eigenem Gutdünken zu befehlen. Wenn er dem römischen Volk nicht vorschreibe, wie es mit seinem Recht verfahren solle, so habe er es auch nicht nötig, sich vom römischen Volk in seinem Recht behindern zu lassen. Da die Häduer das Kriegsglück versucht, sich auf eine Schlacht eingelassen hätten und besiegt worden seien, seien sie ihm tributpflichtig geworden. Caesar begehe großes Unrecht, da er ihm durch seine Ankunft die Abgaben schmälere. Er (Ariovist), werde den Häduern die Geiseln nicht zurückgeben und weder gegen sie noch ihre Bundesgenossen ungerechterweise Krieg führen, solange sie bei den Vereinbahrungen verharrten und jährlich Tribut zahlten. Täten sie dies nicht, so werde ihnen der Titel eines „Bruders des römischen Volkes“ wenig nützen. Wenn Caesar ihm ankündige, er werde das Unrecht an den Häduern nicht hinnehmen, so habe sich noch niemand ohne sein eigens Verderben mit ihm eingelassen.“[36] Caesar präsentiert Ariovist als arrogant und ehrlos. So sehr Caesar auch auf die angebliche Rechtmäßigkeit der von ihm vorgebrachten Gründe pocht, Ariovist ist nicht zum Einlenken zu bewegen. Er bleibt, scheinbar, passiv und schiebt Ariovist auf diese Weise geschickt den Schwarzen Peter zu.

Kurz darauf beweist Caesar einmal mehr Sinn für erzählerisches Tempo und fügt seiner Mär einer Bedrohung Galliens durch die Germanen eine weitere Ebene hinzu. Er erfährt von den Häduern, daß „die Haruden, die kürzlich nach Gallien herübergebracht worden seien, ihr Gebiet verwüsten; sie hätten nicht einmal von Ariovist Frieden erkaufen können, indem sie Geiseln stellten; die Treverer aber (klagten), es hätten sich hundert Gaue der Sweben an den Rheinufer niedergelassen und versuchten nun, den Rhein zu überschreiten; an ihrer Spitze die Brüder Nasua und Cimberius. Das beunruhigte Casesar heftig, und er glaubte, sich beeilen zu müssen, damit es nicht schwerer würde, Widerstand zu leisten, wenn sich der neue Swebenhaufen (erst) mit den alten Truppen des Ariovist vereinigt hätte. Er ließ daher so schnell wie möglich Proviant beschaffen und zog in Eilmärschen gegen Ariovist.“[37] Waren die von Caesar als bedrohlich geschilderten Wanderbewegungen wirklich eine Bedrohung für Rom, die ihn als Statthalter zum Eingreifen gezwungen hätte? Wohl kaum, da sich diese Wanderungen im gleichen Kulturkreis bewegten und etwas völlig Normales waren. Auch das Söldnerwesen war ebenso normal, auch – oder vielleicht gerade – für die Kelten. „Zu Tausenden nehmen die Kelten an den Schlachten teil, die [...] [um 300 v. Chr.[38] ] das Mittelmeer mit Blut rot färben. Man findet sie in Griechenland, in Ägypten, in Kathargo. Dennoch droht diese scheinbar unerschöpfliche Einnahmequelle in dem Maß zu versiegen, wie sich die römische Vorherrschaft durchsetzt. Der Fall Kathargos setzt der großen Zeit keltischen Söldnertums ein Ende.“[39] Auf regionaler Ebene scheint es aber auch noch zu Caesars Lebzeiten gang und gäbe zu sein, Söldner für innerkeltische Streitigkeiten anzuheuern. Auch Ariovist war schließlich als Söldner angeheuert worden, weil sich Häduer und Sequaner nicht über Zollfragen im Saône-Tal einigen konnten[40]. „Die Lokalaffäre einiger gallischer Stämme mit einem Germanenfürsten wurde [...] in den direkten Zusammenhang einer großen Gefährdung Roms gerückt.“[41]

Ob die beiden von Caesar erwähnten Anführer der Sweben, Nasua und Cimberius, wirklich so hießen, sei dahingestellt und wird sich wohl nicht mehr einwandfrei überprüfen lassen. Der zweite Name, Cimberius, erscheint nicht sonderlich glaubwürdig, da die Parallele zum Einfall der Kimbern und Teutonen einfach zu offensichtlich ist, und der Name vielleicht gerade deswegen von Caesar so gewählt wurde – vielleicht, oder gerade weil das Trauma, das die Invasion dieser beiden Stämme in Rom verursacht hatte, immer noch lebendig war. Caesar spricht von „Widerstand leisten“ und wollte auf diese Weise wahrscheinlich auch dem letzten Zweifler und Kritiker verdeutlichen, daß er sich zum Handeln gezwungen sah und deswegen die Initiative ergriffen hat. Das bedeutet, nach Caesars eigener Darstellung hat er nur auf eine konkrete Bedrohung hin REAGIERT. Gallien und inbesondere die Gebiete rechts des Rheins waren für die Mehrheit in Rom sprichwörtlich Neuland. Es wundert daher nicht, daß nur sehr wenige der Zeitgenossen Caesars in Rom die Ereignisse in und um Gallien richtig einzuordnen wußten.[42] Man darf aber auch nicht vergessen, daß Caesars Berichte über den Gallischen Krieg auch heute noch die wichtigste Quelle darstellen, obwohl man über die betreffenden Gebiete und die damalige Situation weit mehr weiß, als man damals wußte, oder gar wissen konnte. Es ist demzufolge ungerecht, den Senatoren in Rom, die sich von Caesars Darstellung blenden ließen, dies vorzuwerfen. Generationen von Historikern sind Caesars Darstellung schließlich sklavisch gefolgt und haben sie mehr oder weniger kommentiert nacherzählt.

Caesar setzt seine Truppen in Marsch und führt sie nach Vesontio, der größten Stadt der Sequaner, um sie mit Proviant und Getreide zu versorgen und weil Ariovist „mit allen seinen Truppen aufgebrochen sei, [um die Stadt] zu besetzen“[43]. Während dieses Aufenthalts in der Stadt, verbreiten sich unter seinen Untergebenen Gerüchte über die Germanen: ihre Körpergröße, ihre Tapferkeit und wie gut sie mit Waffen umgehen können. Die Gallier, die ihnen schon einmal auf dem Schlachtfeld begegnet seien, betonten außerdem, daß sie noch nicht einmal ihren Blicken, geschweige denn ihren Waffen hätten standhalten konnten.[44] „[Die Unruhe] ging zunächst von den Kriegstribunen, Präfekten und den übrigen aus, die Caesar aus Freundschaft aus der Stadt (Rom) gefolgt waren und nicht viel Übung in Militärischen Dingen besaßen. Von ihnen brachte jeder einen anderen Grund vor, der seine Abreise notwendig machte, und bat, mit (Caesars) Einwilligung abziehen zu dürfen; nur wenige blieben aus Scham zurück, um sich nicht dem Verdacht der Furcht auszusetzen. Doch sie konnten weder ihren Blick verstellen, noch zuweilen die Tränen zurückhalten; sie verzogen sich in ihre Zelte und beklagten ihr Schicksal. Oder bejammerten mit ihren Freunden die gemeinsame Gefahr. Überall im Lager wurden Testamente besiegelt. Durch ihre Furcht und ihr Gerede wurden mit der Zeit auch diejenigen beunruhigt, die große Kriegserfahrung besaßen, die Soldaten und Zenturionen und die Führer der Reiterei.“[45] Laut Caesar waren bald darauf alle Offiziere so verängstigt, daß sie einen Befehl zum Abmarsch womöglich nicht befolgt hätten. Hans-Werner Goetz und Karl-Wilhelm Welwei mutmaßen in einer diesbezüglichen Fußnote, daß der Widerstand der höheren Offiziersränge von staatsrechtlichen Bedenken geleitet war, da Caesar dabei war, gegen einen „Freund“ Roms zu Felde zu ziehen. In diesem Sinne wäre ihre von Caesar geschilderte Unerfahrenheit und Angst schlicht und einfach darin begründet, daß sie ihm widersprechen und berechtigte Bedenken vorbringen. Cassius Dios Version von Caesars Rede in Vesontio wirft ein etwas anderes Licht auf Caesars Version[46]. Sie beweist, daß Caesar, auch in Rom, längst nicht alle von seiner Version überzeugen konnte. Er „begründet die Meuterei [...] mit nicht mit der Angst der Soldaten vor den Germanen, die ihm nicht unbekannt ist, sondern mit juristischen Bedenken gegen den Krieg mit Ariovist“[47].

So wie Caesar die Situation jedenfalls darstellt ist er der einzige, der einen klaren Kopf behält. Er beruft eine Versammlung seiner Zenturionen ein und wäscht ihnen gehörig den Kopf:[48]

1. Ariovist habe sich lange um den Titel „Freund des römischen Volkes“ bemüht. Warum also sollte er diese Gunst leichtfertig aufs Spiel setzen, oder auch die damit verbundenen Pflichten vergessen? Daher sei er zuversichtlich, daß Ariovist sowohl die ihm erwiesene Gunst einer Einladung als auch die Großzügigkeit seiner Bedingungen anerkennen werde. Schließlich wäre es Dummheit dies nicht zu tun.
2. Selbst wenn Ariovist aus „Wahnsinn und Kampfesmut“ einen Krieg riskieren sollte, was hätten seine Leute zu befürchten? Vertrauten sie etwa seiner Umsicht und ihrer eigenen Tapferkeit nicht?
3. Man sei schließlich schon einmal mit ihnen fertiggeworden (Kimbern und Teutonen).
4. Dies seien schließlich die gleichen Germanen, gegen die sich schon die Helvetier erfolgreich zur Wehr gesetzt hätten – und die habe man jüngst ja selbst deutlich geschlagen.
5. Ariovist habe gegen die Gallier nur lang genug gewartet und sie geschlagen, als sie ihr Heil in einem Überraschungsangriff gesucht hätten. Dies mag vielleicht gegen unerfahrene Barbaren eine brauchbare Taktik gewesen sein, es würde jedoch nicht gegen das kampferprobte römische Heer funtionieren. [Plötzlich sind die verbündeten Gallier die Barbaren und Ariovist ein Anführer mit Erfolg durch Umsicht[49].]
6. Wer als Grund für seine Angst die Getreideversorgung und die engen Wege anführe, sei anmaßend, da er entweder am Pflichtgefühl des Feldherrn zweifle, oder ihm gar Vorschriften machen wolle.
7. Wenn es heiße, daß die Soldaten, ihm vielleicht nicht gehorchen oder weitermarschieren würden, dann beeindrucke ihn dies nicht. Schließlich wisse er, daß alljenen, deren Befehle ein Heer verweigert habe, entweder nach einem schlechten Schlachtausgang das Glück gefehlt habe, oder daß man sie nach einer Schandtat der Habgier überführt habe. Caesars Lebenswandel und sein Glück im kurz zuvor gewonnenen Helvetierfeldzug sei genug, um solche Befürchtungen auf das nachhaltigste zu entkräften. Daher werde er, anders als geplant, schon in der kommenden Nacht den Befehl zum Aufbruch geben, um selbst zu sehen, ob bei seinen Leuten Scham oder Furcht den Ausschlag gäben. Notfalls würde er allein mit seiner 10. Legion[50] losziehen.

Caesar, braucht nur diese eine Rede, um die Stimmung unter seinen Offizieren von lähmender Angst in Optimismus und Kampfeslust umschlagen zu lassen und gibt in der darauffolgenden Nacht den Befehl zum Aufbruch, „nachdem Diviciacus, dem er von den Galliern am meisten vertraute, einen Weg erkundet hatte“[51].

„Als Ariovist von der Ankunft Caesars erfuhr, schickte er Gesandte zu ihm: (Caesars) früherer Forderung nach einer Unterredung könne er nun stattgeben, da jener näher herangekommen sei und er selber es, wie er glaube, ohne Gefahr ausführen könne. Caesar wie den Vorschlag nicht zurück und glaubte schon, jener sei wieder zur Vernunft gekommen, da er jetzt freiwillig anbot, was er zuvor dem Bittenden abgeschlagen hatte, und er hegte große Hoffnung, jener werde wegen der ihm von ihm und dem römischen Volk erwiesenen, großen Begünstigungen seinen Starrsinn aufgeben, wenn er seine Forderungen kennenlerne.“[52] Caesar zeigt sich weiterhin großzügig und verhandlungsbereit. Er schreibt, er glaube, Ariovist sei wieder zur Vernunft gekommen und biete nun selbst an, was er dem bittenden Caesar ausgeschlagen habe. So wie Caesar die Lage darstellt, scheint er immer noch eine friedliche Lösung des Konflikts für möglich und wünschenswert zu halten. Die sechs Legionen plus Hilfstruppen[53], die er mitgenommen hat, erscheinen jedoch als Eskorte reichlich übertrieben und sprechen eine deutlich andere Sprache! „Einen Auftrag zur Eroberung [Galliens] hatte er nicht; er hatte noch nicht einmal die Vollmacht dazu. Denn es gab Gesetze – und sein eigenes Repetundengesetz von 59 [v. Chr.] gehört dazu –, die es einem Statthalter verboten, aus eigenem Antrieb Krieg zu führen.“[54] Aber schon vor dem Feldzug gegen Ariovist hatte Caesar Nägel mit Köpfen gemacht und gleich zwei neue Legionen ausgehoben und dies war erst der Anfang:

Wie war dies ehrgeizige Truppenaushebungsprogramm überhaupt möglich? Vor allem eins der Gebiete, über die Caesar die Statthalterschaft vom Senat zuerkannt worden war, erwies sich in diesem Zusammenhang als überaus praktisch. „[...] Gallia Cisalpina, blühender und volkreicher Landstrich in einiger Nähe Roms war ein unvergleichliches Gebiet für Truppenaushebungen – ein enormer Vorteil für Caesar.“[55] Ein weiterer Vorteil für Caesar war die besondere politische Stellung seiner neuen „Untertanen“. „Genaugenommen [...] hatte[n] fast alle Städte jenseits des Po nur den Latinischen Status, nach welchem nur Ratsmitglieder römische Bürger wurden. Caesar jedoch behandelte alle Einwohner als römische Bürger [...]. Stillschweigend gewahrte er [...] [auch den Städten der Transalpina] den gleichen Status.“[56] Caesar hatte mit diesem Geniestreich gleich drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: erstens hatte er dankbare Vasallen, die sich mit einer Revolte nur ins eigene Fleisch geschnitten hätten, zweitens eine reichlich sprudelnde Quelle für weitere Truppenaushebungen, da es nur römischen Bürgern erlaubt war, in der Legion zu dienen und drittens konnte er seine innenpolitische Position festigen, da seine neuen römischen „Bürger“ in Rom wahlberechtigt waren. Seine Zeit in Gallien und die damit verbundene Abwesenheit von Rom war das beste, was Caesar in innenpolitischer Hinsicht passieren konnte: während andere für Chaos, Gewalt und Korruption verantwortlich gemacht wurden, wurde er reich und konnte sich zugleich die Loyalität der bestausgebildeten und und erfahrensten Teile der römischen Armee sichern. Durch seine Berichte war Caesar, trotz seiner Abwesenheit, in Rom politisch präsent und konnte durch seine Kriegserfolge in Gallien seine Führungskompetenzen untermauern.

In den folgenden fünf Tagen erfolgt ein reger Austausch Gesandter, um die Rahmenbedingungen für diese Verhandlungen zu klären. Ariovist fordert, Caesar fügt sich – so jedenfalls schildert Caesar den Ablauf. Er stellt es so dar, als ob er bei seinen Zugeständnissen gegenüber Ariovist bis zur Schmerzgrenze und darüber hinaus geht. Ariovist forderte, „Caesar dürfe zu dieser Unterredung keine Fußsoldaten mitbringen: Er fürchtete, von ihm hinterlistig umzingelt zu werden; beide sollten mit ihrer Reiterei kommen; nur unter dieser Bedingung würde er kommen.“[57] Obwohl dies für Caesar ein taktischer Nachteil ist, da die germanische Reiterei seiner eigenen überlegen ist, willigt er ein, sich nur von Reiterei begleiten zu lassen. Er muß als kampferprobter Militär noch nicht einmal offen sagen, daß er diesen Sachverhalt auch erkannt hat. „Roman cavalry had never been outstanding, and here again non-Romans proved more useful. It is noteworthy that Caesar used exclusively equites from Gaul, Spain and Germany, and this practice continued in the imperial army.“[58] Es ist jedoch auch möglich, daß Ariovist wirklich darauf bestand, einerseits weil er um seinen taktischen Vorteil wußte, und andererseits weil Caesar wahrscheinlich mehr Fußsoldaten unter Waffen hatte als Ariovist und dieser dadurch berechtigte Angst hatte, einfach von Caesars Fußsoldaten umzingelt zu werden.

Ein französischer Offizier hat zu den damaligen Vorgängen konkrete Truppenstärkungen genannt. Leider sagt er aber nicht, woher er diese Zahlen hat. „L’armée de César comprenait six légions [...] [7. bis 12.], 4000 cheveaux et des troupes auxiliaires.

[...]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[59]

Wie gesagt, Caesar akzeptiert Ariovists Bedingungen, ist jedoch nicht bereit, sein Leben seiner gallischen Reiterei anzuvertrauen. Daher läßt er sie absitzen, und an ihre Stelle Soldaten seiner 10. Legion setzen.[60]

Die Unterredung zwischen Caesar und Ariovist findet schließlich auf einem Hügel, inmitten einer weiten Ebene, statt.[61] „Sobald man dort ankam, erinnerte Caesar zu Beginn seiner Rede an die Gunsterweise durch ihn und den Senat jenem gegenüber, daß dieser vom Senat als König und als Freund tituliert worden sei und man ihm reichlich Geschenke übersandt habe; er machte ihm klar, daß dies nur wenigen zuteil geworden sei und gewöhnlich nur für große Dienste der Menschen vergeben werde; (Ariovist) aber habe diese Auszeichnung dank der Begünstigung durch den Senat erhalten, obwohl er weder eine Veranlassung noch einen gerechten Grund hatte, sie zu fordern. Er erklärte ihm auch, welche alten und gerechten Gründe für ein enges Verhältnis zwischen (Römern) und Häduern beständen, welch häufige und ehrenvolle Senatsbeschlüsse über diese gefaßt worden seien, daß die Häduer zu allen Zeiten die Vorherrschaft in ganz Gallien bekleidet hätten, noch bevor sie um unsere Freundschaft gebeten hätten. Es sei ein Brauch des römischen Volkes, daß seine Bundesgenossen und Freunde nicht nur nichts einbüßten, sondern man wünsche, daß sie an Gunst, Würde und Ehre noch wüchsen; wer könne aber dulden, daß sie das, was sie zur Freundschaft des römischen Volkes beigetragen hätten, ihnen entrissen werde?“[62] An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, warum dieses Prinzip nicht auch für Ariovist gilt. Es war seit jeher ein Grundprinzip römischer Außenpolitik, sich mit einem Netzwerk von Verbündeten zu umgeben. „[Es muß] der in Rom regierenden Klasse sehr früh klar geworden sein, daß sich ein übermäßig gewachsenes Territorium nicht ohne weiteres mit den Mitteln der bestehenden Gemeindeverfassung verwalten ließ. Lieber als diese zu ändern – was unvorstellbar war [...] –, hat man die Annexion im Allgemeinen zugunsten eines Systems vertraglich festgelegter Ordnung aufgegeben. Mit der Machtausdehnung über Italien hinaus wurde selbst dies zu mühselig, da sich hieraus bestimmte und oftmals lästige Verpflichtungen ergaben. Der nächste Schritt war die Form des freien „Verbündeten“, Stadtstaat oder König, den man ohne besonderen Vertrag kontrollieren konnte. [Die] römische Republik [hat] niemals ein eigentliches System zur Verwaltung überseeischer Gebiete entwickelt.“[63] „Mit Massilia zusammen hatten sich die [H]Aeduer an Rom gewandt, und seitdem war dieses Volk der wichtigste Verbündete Roms, das immer gern einen „cordon sanitaire“ aus solchen abhängigen Staaten jenseits der formalen Grenzen zog, eine Art von Klientelschaft [...]“[64] Falls diese Verbündeten in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt wurde, hatte man einen Vorwand um ggf. selbst einzugreifen. Schließlich galt es, einem Verbündeten zu helfen. Es gab natürlich auch die Möglichkeit, seine Verbündeten so geschickt zu wählen, daß ein Krieg – auch zwischen ihnen – unausweichlich und für Rom von Nutzen war: „Über dies hatte man den siegreichen Ariovist in Caesars Konsulat als „König und Freund“ anerkannt. Wenn, wie anzunehmen, Caesar dabei Caesar dabei entschieden mitgewirkt hatte, so wollte er dadurch möglicherweise schon einen Konflikt zwischen den Haeduern und Ariovist vorbereiten, der sich später nutzen ließ.“[65] „Wie das Beispiel Ariovists und der Haeduer zeigt, erwartete Rom von dem amicus in erster Linie bedingungslose Loyalität und die volle Respektierung der römischen Interessen. In der Praxis ist diese Verteidigung oft genug nicht zustande gekommen, aber die angebliche oder tatsächliche Verteidigung bot Rom immer wieder die Möglichkeit, im Vorfeld des eigenen seines eigenen Machtbereiches, der römischen provinciae im engeren Sinne aktiv zu werden.“[66] Das heißt, so ließ sich jederzeit ein gerechter Krieg legitimieren. Caesars Auffassung von Recht sah Rom in der Rolle einer „Police of the World“: Schutz und Ordnung auf der Welt, unter der Führung des römischen Senats. „Von altrömischer Zurückhaltung und Begrenzung ist in alledem nichts zu spüren, wohl aber entspricht Caesars Haltung ganz dem unbegrenzten Weltherrschaftsanspruch, der in spätrepublikanischer Zeit die römische Politik und Herrschaftsideologie durchdrang.“[67] Das heißt, im Zuge imperialer Ambitionen werden aus Partnern Untertanen. „Der Senat kümmert sich nicht um seine Verbündeten, sondern er macht Ariovist sogar zum „Freund des römischen Volkes“.“[68] Außerdem war der römische Freiheitsbegriff ohnehin negativ besetzt: „frei ist demnach, wer keinen dominus über sich hat; frei sind die Staaten, die nach eigenem Recht leben, weil nach römischem Recht kein Herrenrecht anderer über sie besteht.“[69] Somit ist das Amicus-Verhältnis aus römischer Sicht ein Vasallenverhältnis und Ariovist würde sich durch seine Tributpflicht an die Haeduer und Sequaner in innere Angelegenheiten Roms einmischen. Caesar beendet schließlich seine Ausführungen mit dem, was er schon durch seine Gesandten ausrichten ließ (keine Germanen über den Rhein holen, Geiseln freilassen etc.).

Caesar argumentiert sehr „römisch“. Wenn man davon ausgeht, daß sein Bericht über den Gallischen Krieg eine Rechtfertigungsschrift ist, dann wird auch ersichtlich warum. Seine Betonung der alten und gerechten Gründe für die Freundschaft zwischen Römern und Häduern wird vornehmlich für seine Leserschaft in Rom gedacht gewesen sein, und dort wohl auch, in den meisten Fällen, in dem von Caesar gewünschten Kontext interpretiert und akzeptiert worden sein. Außerdem betont Caesar auch die Tradition der führenden Rolle, die die Häduer seit jeher in Gallien gespielt haben (sollen). In Rom hielt man Tradition und Althergebrachtes allgemein in hohen Ehren. Die Passage, es sei Brauch des römischen Volkes etc., demonstriert das römische Gefühl für Würde und Ehre, die man nötigenfalls auch mit der Waffe verteidigen müsse. Das heißt, Caesar betont zum wiederholten Male, daß ein Krieg gegen Ariovist gerecht ist. Obwohl Caesar sich durch den drohenden Rheinübertritt der Sweben zur Eile genötigt sieht, nimmt er sich die Zeit und Geduld, um positiv auf Ariovist einzuwirken. Er will unter keinen Umständen am Ende selber als Kriegstreiber dastehen.

Ariovist erwidert, er habe den Rhein nicht aus eigenem Antrieb überschritten, sondern er sei von den Galliern als Söldner angeworben worden. Nicht er habe einen Krieg gegen die Gallier geführt, sondern sie gegen ihn. Sein Gebiet in Gallien sei ihm freiwillig abgetreten worden. Der Tribut, den er einfordere, sei Kriegsrecht, und damit rechtens. Sollten sie wieder ihr Glück versuchen, sei er auch wieder bereit zu kämpfen. Wollten sie jedoch Frieden, so sei es ungerecht, den Tribut zu verweigern, den sie bis dahin freiwillig gezahlt hätten. Die „Freundschaft“ mit Rom müsse für ihn von Vorteil sein, ansonsten könne er gut darauf verzichten. Außerdem sei er vor den Römern gekommen und sein Anspruch damit älter und größer, als der römische.[70] Caesar stellt Ariovist in dieser Passage auf den ersten Blick sehr fair dar, aber spätestens mit der Bemerkung, die Freundschaft mit Rom müsse für ihn von Vorteil sein, hat Caesar ihn mit einem Schlag wieder so, wie er ihn ohnehin hinstellen will: undankbar, anmaßend und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Vielleicht hat Caesar seinen Lesern ein eventuell vorhandenes „auch für ihn“ einfach unterschlagen, denn es wäre ja nicht zuviel verlangt gewesen, daß beide Seiten aus einem bilaterateralen Vertrag Vorteile ziehen.

Ariovist fährt fort und fragt Caesar: „Wenn (Caesar) behaupte, die Häduer Freunde genannt zu haben, so sei er selber nicht so barbarisch oder so unerfahren in solchen Dingen, um nicht zu wissen, daß weder die Häduer den Römern im letzten Allobrogerkrieg geholfen noch ihrerseits in ihren Streitigkeiten mit ihm und den Sequanern die Hilfe des römischen Volkes genossen hätten. Er müsse daher annehmen, daß Caesar Freundschaft nur vortäusche und das Heer, das er in Gallien habe, nur halte, um ihn zu vernichten. Wenn er nicht abziehe und das Heer aus diesen Gegenden abziehen lasse, werde er ihn (Ariovist) nicht zum Freund sondern zum Feind haben. Wenn er (Ariovist) ihn (Caesar) töte, so würde er vielen Edlen und Fürsten des römischen Volkes einen Gefallen erweisen – das habe er von ihnen selbst durch Boten erfahren –, ihrer aller Gunst und Freundschaft könne er sich durch seinen Tod erkaufen. Zöge er jedoch ab und überließe ihm Gallien zu freiem Besitz, so werde er ihm das mit reichem Lohn vergelten und alle Kriege, die jener führen wolle, ohne Mühe und Gefahr für (Caesar) selbst zu Ende führen.“[71] Spätestens diese Passage muß für römische Leser, Ehrlosigkeit und Anmaßung im Quadrat sein, da Caesar die Angelegenheit so hinstellt, als habe Ariovist sogar versucht, ihn zu kaufen. Auf diese Weise offenbahrt Ariovist, für einen römischen Leser, endgültig Ehrlosigkeit, Anmaßung, und seinen fehlenden Respekt für Caesar und den römischen Staat (insbesondere natürlich für die Art und Weise, wie die Römer sich gerne selber sahen). Aber diese Passage ist wohl auch ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Rom: sich mit Feinden des römischen Volkes zu verbünden, um innenpolitische Rivalen auszuschalten gehört schließlich auch nicht zum guten Ton. Plötzlich ist Ariovist nicht mehr der primitive Barbar, sondern ein umsichtiger Staatsmann, der sich auf glattem diplomatischen Parkett zu bewegen weiß. Caesar stellt das Geschehen so dar, als ob er nicht locker läßt und auch weiterhin alles tut um jede einzelne Überheblichkeit Ariovists durch Argumente zu entkräften. Er betont, daß Rom keine Bundesgenossen im Stich lassen könne – eine Frage der Ehre. Außerdem sei der römische Anspruch auf Gallien älter als der des Ariovist, da bereits im Jahre 121 v. Chr., somit vor Ariovists Rheinübertritt, Rom die Averner und Rutener besiegt habe. Daraufhin habe es einen Senatsbeschluß gegeben, der besagte, daß Gallien „frei“ bleiben sollte, obwohl es besiegt war. Ariovist kam halt später und müsse daher auch diesen Senatsbeschluß respektieren und sich aus römischen Angelegenheiten, in diesem Falle Gallien, heraushalten.

An dieser Stelle bricht Caesar die Unterredung ab, als er erfährt, daß seine Begleiter unter Beschuß genommen werden. Sofort eilt er zu seinen Leuten und beschwört sie, unter keinen Umständen das Feuer zu erwidern, um nicht auch nur einen Schatten auf die – von ihm selber konstruierte – Makellosigkeit seines Verhaltens fallenzulassen. Er will unter allen Umständen verhindern, daß man hinterher sagen könne, er habe Ariovists Vertrauen mißbraucht und selber angegriffen[72].

Zwei Tage später schickt Ariovist Gesandte zu Caesar, mit der Bitte, die unterbrochene Unterredung wiederaufzunehmen. Caesar solle daher einen Tag wählen und ggf. Gesandte schicken – falls er sich nicht traue selber zu kommen. Obwohl Caesar keinen Grund sieht, die Unterredung nach Ariovists Vertrauensbruch fortzusetzen, wählt er zwei Vertraute, die dieser sogar persönlich kennt. Caesars abermalige „Good-Will“-Aktion scheitert, als Ariovist die beiden einfach festnehmen läßt, ohne sich auch nur anzuhören, was sie zu sagen haben. Er tut dies, obwohl er sie, wie schon gesagt, persönlich kennt, und obwohl einer von beiden schon einmal Gast bei ihm gewesen ist.[73] Nach Ariovists Niederlage werden sie befreit und einer der beiden erzählt, daß er, nur durch Losglück, dreimal dem Feuertod entgangen sei.[74] Spätestens jetzt, nach diesem Vertrauensbruch seitens des Ariovist, ist der Krieg zwischen Caesar und Ariovist besiegelt, aber laut Caesar ist es wieder Ariovist, der den ersten Schritt macht, indem er seine Armee, noch am gleichen Tag, zwischen Caesar und dessen Nachschub setzt. Die Umsicht eines Untergebenen entscheidet die Schlacht schließlich zu Caesars Gunsten und er läßt die fliehenden Germanen bis zum Rhein verfolgen und diejenigen erschlagen, derer man habhaft werden kann. Ariovist gelingt es, auf das andere Ufer zu fliehen und sich in Sicherheit zu bringen.[75] „Als Berichte über diese Schlacht das das rechte Rheinufer erreichten, begannen die Sweben, die zum Rheinufer gekommen waren, in ihre Heimat zurückzukehren. Sobald diejenigen, die unmittelbar am Rhein wohnten, merkten, wie verschreckt sie waren, verfolgten sie sie und töteten eine beträchtliche Zahl von ihnen.“[76] Sie können also auch für Caesar keine wirkliche Bedrohung gewesen sein, jedenfalls keine, die seinen Eilmarsch gegen Ariovist erfordert hätte. Wenn es wirklich viele gewesen wären, hätten sich die rechtsrheinischen Stämme gehütet, die Sweben anzugreifen, insbesondere angesichts der Reputation der Sweben, insbesondere was den Kampf betrifft. Die Stämme am rechten Rheinufer, die sie angegriffen haben, müssen also deutlich in der Überzahl gewesen sein.

Wenn man Caesars Bericht folgt, war sein Verhalten gegenüber Ariovist geprägt von Rechtschaffenheit und Makellosigkeit, fast bis zur Selbstverleugnung. Er betont unablässig seine Passivität und die Kette von Sachzwängen, die ihn schließlich zum Eingreifen zwang. Caesar stellt die Lage so dar, als seien die nachrückenden Stämme am Rhein das auslösende Moment für ihn, gegenüber Ariovist die Initiative zu ergreifen. Er bewahrt stoisch seine Ruhe und nimmt sämtliche Beleidigungen würdevoll hin, so wie sich ein Römer in der Öffentlichkeit zu präsentieren pflegte. Egal was auch passiert, er läßt sich durch nichts provozieren, weder von Ariovist noch von seinen eigenen Leuten. Natürlich ist es Caesar, der in Vesontio die Stimmung unter seinen Leuten mit einer einzigen flamboyanten Rede kippt – von tiefer Angst hin zu überschäumender Euphorie. Während der Verhandlungen mit Ariovist betont Caesar, geradezu penetrant, seine Passivität. Er läßt sich von keiner Beleidigung Ariovists provozieren, sondern zeigt sich ständig bemüht, auch die kleinste „Anmaßung“ Ariovists argumentativ zu entkräften. Warum er allerdings sechs Legionen plus Hilfstruppen mitnimmt, ist eine entscheidende Frage. Zwar demonstriert Caesar andauernd Hoffnung auf eine friedlichen Lösung, wenn man jedoch an das alte Ritual denkt, daß einer römischen Kriegserklärung traditionell vorausging, erscheint es wahrscheinlicher, daß Caesar von Anfang an auf Krieg aus war und nur auf eine Unterredung mit Ariovist drängte, um die Form zu wahren.

3.2. Tenkterer und Usipeter

Die beidseitig des Rheins lebenden Menapier werden von den Germanen („Germanen“ in diesem Kapitel stellvertretend für beide Stämme) mit einer List überrascht und vernichtet[77]. Caesar ist darüber besorgt und begibt sich „früher als gewöhnlich“ zu seiner Armee, „um einem noch schwereren Krieg vorzubeugen“[78].

Einige Stämme haben bereits Gesandte zu den Germanen geschickt, um sie als Söldner anzuheuern. Wozu? Als erstes kommen natürlich innergallische Zwistigkeiten in Frage, aber es ist auch nicht unwahrscheinlich, daß Caesar befürchtet, daß man in Gallien immer noch nach einem probaten Mittel sucht, um ihn selber loszuwerden. Für diese Annahme spricht Caesars Bemerkung, er habe sich, früher als sonst zu seiner Armee begeben, um einem noch schwereren Krieg vorzubeugen und die Bemerkung die Gallier seien „meist auf Umsturz sinnen[d]“[79].

Caesar ruft die gallischen Fürsten zusammen, „beruhigte und stärkte ihre Gemüter“, und beschließt, „Krieg gegen die Germanen zu führen“[80]. Nachdem er sich gallische Reitertruppen requiriert und die Versorgung mit Proviant geregelt hat, begibt er sich mit seinen Truppen in das Gebiet, in dem er die Germanen vermutet. Sie lassen nicht lange auf sich warten: wenige Tagesmärsche vom germanischen Lager entfernt, erreichen ihn germanische Gesandte. Sie teilen ihm folgendes mit: „Die Germanen würden nicht als erste den Krieg gegen das römische Volk beginnen, jedoch, falls man sie provoziere, sich auch nicht sträuben, sich auf eine bewaffnete Auseinandersetzung einzulassen, da es eine von den Vorfahren überkommene Sitte der Germanen sei, jedem, der sie angreife, Widerstand zu leisten, statt um Gnade zu flehen. [...] Sie seien unfreiwillig gekommen, als Heimatvertriebene; wenn die Römer ihre Gunst wollten, so könnten sie ihnen nützliche Freunde sein; sie sollten ihnen entweder Land zuweisen oder sie behalten lassen, was sie selbst mit Waffen in Besitz genommen hätten; sie räumten einzig vor den Sweben das Feld, denen noch nicht einmal die unsterblichen Götter gewachsen sein könnten; ansonsten gäbe es niemanden auf Erden, den sie nicht überwinden könnten.“[81] Caesar erwidert, „es könne keine Freundschaft zwischen ihnen und ihm herrschen, wenn sie in Gallien blieben.“[82] Er sagt ihnen – und seinen Lesern – frei heraus, daß er sie nicht in Gallien dulden werde. Er hat sich seinen Claim längst abgesteckt und das heißt für ihn alles links vom Rhein. Außerdem steht für Caesar der Krieg mit den Tenkterern und Usipetern ohnehin längst fest.

Stattdessen bietet Caesar ihnen das rechtsrheinische Land der Ubier[83] an, die ebenfalls vor den Sweben geflohen sind, wobei er der Tatsache, daß die Ubier, die dort leben, eigentlich Verbündete Roms sind, erstaunlich wenig Beachtung schenkt[84]. Was es außerdem für einen Sinn haben soll, wenn Caesar den Germanen Land anbietet, wo sie wieder den Sweben ausgesetzt sind, vor denen sie ursprünglich über den Rhein geflohen sind, sei dahingestellt. Jedenfalls ist Caesar fein raus: er hat den Germanen ein Angebot für eine friedliche Lösung des Konflikts gemacht, und betont, bei den Ubiern ein gutes Wort für sie einlegen zu wollen. Die Tatsache, daß es für die Germanen wohl ein indiskutables Angebot war, fällt für Caesar nicht weiter ins Gewicht. Wenn es also doch zum (von Caesar gewollten) Krieg kommt, ist er wieder einmal „gerecht“.

Die germanischen Gesandten erbitten sich drei Tage Bedenkzeit, um ihre Leute von Caesars Angebot in Kenntnis zu setzen. Ihre Bitte, während dieser Frist nicht weiter vorzurücken, wird von Caesar ausgeschlagen. Caesar begründet dies im Text damit, daß ein Teil ihrer Reiter zuvor zu den Ambivaren geritten sei, um zu plündern und um Getreide zu beschaffen. Daher befürchte er, daß die Germanen nur um die drei Tage gebeten hätten, weil sie ihre Reiterei zurückerwarten.[85] Das bedeutet, Caesar unterstellt ihnen Hinterhältigkeit. Auf diese Weise kann er sie so in ein schlechtes Licht setzen und hat nebenbei noch einen Grund mehr, um weiter vorzurücken.

Als Caesars Armee nur noch 12 Meilen vom Lager der Germanen entfernt ist, kehren die Germanen, wie vereinbart, zurück. Sie „trafen ihn auf dem Vormarsch an, und baten dringend, er möge nicht weiter vorrücken. Als sie das nicht hatten durchsetzen können, baten sie, er möge jemanden zu den Reitern, die voran geritten waren, vorausschicken und sie vom Kampf abhalten und ihnen selbst die Vollmacht geben, Gesandte zu den Ubiern zu schicken. Wenn deren Fürsten und Rat, [...] ihnen eine eidliche Zusage gegeben hätten, wollten sie von Caesars Angebot Gebrauch machen: Zur Erledigung dieser Dinge möge er ihnen (noch) drei Tage Zeit lassen. Das alles zielte wie Caesar glaubte, allein darauf ab, daß innerhalb eines Aufschubs von drei Tagen ihre abwesenden Reiter zurückkehren würden; dennoch sagte er zu, an jenem Tag nur noch vier Meilen der Wasserversorgung wegen vorzurücken; dort sollten sie sich am folgenden Tag möglicht zahlreich einfinden, damit er ihre Forderungen kennenlerne. In der Zwischenzeit ließ er den Präfekten, die mit der ganzen Reiterei vorausgeritten waren, melden, sie sollten die Feinde nicht durch eine Schlacht provozieren und sich, wenn sie selbst herausgefordert würden, zurückhalten, bis er selbst mit dem Heer herangerückt sei.“[86] Man darf aber nicht vergessen, daß Caesar zu diesem Zeitpunkt 12 (und am Ende dieses Tages nur noch acht!) Meilen vor dem germanischen Lager steht. Was also, wenn er dieses Spiel am nächsten Morgen wiederholen wollte (3x4=12)? Er mußte sie nur geschickt genug provozieren. Dann hätte Caesar ungestört weiter vorrücken können, am übernächsten Morgen das germanische Lager erreicht und, wie ohnehin geplant, angreifen können. Er tut großzügig: er ist bereit, sich am nächsten Morgen ihre Forderungen anzuhören. Wenn man davon ausgeht, daß Caesar eine stattliche Armee mit sich führt und die Germanen nach der langen Flucht vor den Sweben wohl des Kampfes müde sind, erscheint es zweifelhaft, ob die Germanen noch in einer Position sind, wo sie Forderungen stellen können – mal abgesehen davon, daß der Krieg mit ihnen für Caesar schon feststeht und er nur noch auf eine Möglichkeit der Rechtfertigung für seinen geplanten Angriff wartet. Die Anführer der Germanen zeigten sich wahrscheinlich kooperativer, als es Caesar lieb sein konnte und brachten ihn dadurch in Beweisnot. Am nächsten Tag, zur gleichen Zeit waren die Würfel längst gefallen. Daher kann man im Nachhinein über ein „was wäre wenn“ nur noch spekulieren.

Caesar behauptet außerdem, dem Anführer seiner Reiterei ausdrücklich den Befehl gegeben zu haben, sich nicht in Kampfhandlungen verwickeln zu lassen. Falls sich dies nicht vermeiden lasse, solle er sich solange zurückhalten, bis Caesar mit seinen Fußtruppen herangekommen sei. Aber, es kommt wie es kommen muß: zum „hinterhältigen“ Angriff der germanischen Reiterei auf seine eigene. Angeblich lassen sie sich arglos überrumpeln, weil sie sich innerhalb einer Waffenstillstandsfrist glauben.[87] Aber, der Anführer von Caesars Reiterei ist ein Präfekt, d.h. womöglich nicht sonderlich kriegserfahren[88]. Die Aufgabe von Reiterei war von jeher das Kundschaften. Was also, wenn der Anführer von Caesars Reiterei sich aus Unachtsamkeit oder Übermut zu weit vorgewagt hat und in unmittelbare Nähe des germanischen Lagers kam. In diesem Fall wäre ein germanischer Angriff sogar legitim gewesen, sei es als Verzweiflungstat, weil man Caesars Absichten durchschaut hatte oder als Warnung. Caesar hat sich durch seine geschickte Darstellung selbst einen Persilschein ausgestellt, und den unglücklichen Schlachtausgang auf die Umstände, in diesem Fall Überrumplung, Heimtücke und Unerfahrenheit, abgewälzt.

Wie auch immer, Caesars 5000 Reiter werden von 800 germanischen überrumpelt. 74 römische Reiter kommen ums Leben und der Rest hört erst auf zu fliehen, als man in Sichtweite des römischen Heeres ist. Caesar hatte wahrscheinlich recht mit seinen Befürchtungen vor der Rückkehr der germanischen Reiterei. Wie wäre der Kampf wohl ausgegangen, wenn die Germanen ihre komplette Reiterei zur Verfügung gehabt hätten? Caesar zieht die Konsequenzen: „Nach dieser Schlacht glaubte Caesar, keine Gesandten mehr empfangen und auch keine Bedingungen mehr von denen annehmen zu dürfen, die aus List und Tücke erst um Frieden gebeten und dann wieder Erwarten den Krieg begonnen hätten; er hielt es aber für hellen Wahnsinn, abzuwarten, bis die Truppen der Feinde anwüchsen und die Reiterei zurückkehrte, und da er den Wankelmut der Gallier kannte, war ihm klar, wie sehr bei diesen das Ansehen der Feinde bereits durch die eine Schlacht gestiegen war. Er glaubte, daher, ihnen keine Zeit zur Überlegung geben zu dürfen.“[89] Somit hatte Caesar endlich den von ihm, von vornherein, gewünschten „gerechten“ Krieg.

Am nächsten Morgen bietet sich ihm eine günstige Gelegenheit: die Anführer der Germanen kommen zu ihm, um sich für den Angriff auf Caesars Reiter zu rechtfertigen. Caesar stellt es so dar, als ob sie es nur aus Heimtücke täten und läßt sie festnehmen – „unter Bruch des Völkerrechts“[90]. Daraufhin führt er seine Truppen zum Lager der Germanen und greift an.[91] Diesen für ihn glücklichen Umstand muß er einfach ausnutzen: ein Feind ohne militärische Führung. Die Germanen sind nicht mehr in der Lage eine geordnete Verteidigung aufzubauen. Nur wenige leisten Widerstand und der Rest flüchtet zum Rhein. Eine Flucht auf das rettende rechte Rheinufer gelingt nur wenigen. Der Rest wird entweder von Caesars Soldaten getötet, oder ertrinkt auf der Flucht. Angeblich habe die Zahl der Germanen bei 430.000 gelegen. Es ist auch in diesem Fall anzunehmen, daß die von Caesar genannte Zahl maßlos übertrieben ist. Die germanischen Häuptlinge, die er hat gefangennehmen lassen, bitten ihn, nach dem Gemetzel, bei ihm bleiben zu dürfen, da sie Repressalien seitens der Gallier befürchten. Sie hatten wohl auch keine andere Wahl, da Caesar ihnen wohl kaum gestattet hätte, auch über den Rhein zu gehen.

Caesars Verhaftung der germanischen Anführer vor seinem Angriff sollte noch ein Nachspiel haben. Im Senat plädierte Cato dafür, Caesar den Germanen auszuliefern. Sein Hauptgrund hierfür ist für Grant religiös motiviert: „Cato erklärte, der Treuebruch, von dem er glaubte, Caesar habe ihn begangen, ziehe einen Fluch nach sich – und der dürfe nicht Rom, sondern müsse den Schuldigen treffen. [...] Caesar schrieb [daraufhin] wütend an den Senat und beklagte sich über Catos Rede, wobei er argumentierte, daß man, ohne ein Exempel an diesen Horden germanischer Eindringlinge zu statuieren, weder den Hilferufen der Gallier entsprechen, noch die römischen Eroberungen stabilisieren könnte.“[92] Es blieb bei Catos Antrag – stattdessen gab es Dankfeste.[93]

Die Germanen (in diesem Falle alle!) sind für Caesar eine lästige Unbekannte in seiner Gallien-Gleichung. Er hat schon genug Probleme mit den gallischen Stämmen und will erst einmal seine Position in Gallien konsolidieren, bevor er ernsthaft an eine Eroberung rechtsrheinischer Gebiete denken kann. Die Germanen, die über den Rhein kommen – in diesem Fall die Tenkterer und Usipeter –, sind für ihn daher in vielerlei Hinsicht eine Gefahrenquelle:

Erstens, wenn sie von den Galliern als Söldner über den Rhein geholt werden, um innergallische Zwistigkeiten zu „regeln.“

Zweitens, wenn gallische Stämme sich verbünden und auf den Gedanken kommen, um Germanen anzuwerben, weil sie Caesar ein für alle Mal loswerden wollen.

Drittens, wenn Germanen über den Rhein kommen, um selber gallische Gebiete zu erobern und ihm dadurch in die Quere kommen.

In diesem Zusammenhang wären Caesars Massaker an den Germanen Kalkül, um sie von einem Rheinübertritt absehen zu lassen und sich auch nicht von gallischen Stämmen herüberlocken zu lassen.

4. Caesars Rheinübergänge

4.1. Erster Rheinübergang

Caesar glaubte, den Rhein überqueren zu müssen,[94] um seinen Anspruch auf Gallien zu untermauern. Einen willkommenen Vorwand lieferte ihm hierfür die Tatsache, daß die Überlebenden der Tenkterer und Usipeter bei den rechtsrheinischen Sugambrern Zuflucht gefunden hatten. Caesar schickte Gesandte zu den Sugambrern, um sie dazu aufzufordern, die Tenkterer und Usipeter an ihn auszuliefern, obwohl er sich dessen bewußt war, daß sie dies wohl nicht tun würden. Natülich lehnen sie ab und verweisen darauf, daß Caesars Macht am Rhein aufhöre und er rechts vom Rhein nichts verloren habe. Als auch noch die mit Rom „befreundeten“ rechtsrheinischen Ubier um Hilfe gegen die Sweben bitten, hat Caesar seinen zweiten Vorwand. „Sollten ihn Staatsgeschfäte daran hindern, [selber zu kommen,] so möge er doch wenigstens sein Heer über den Rhein übersetzen lassen; das würde ihnen als (augenblickliche) Hilfe und Hoffnung für die Zukunft genügen. Das römische Heer genieße nach der Vertreibung Ariovists und nach dieser jünsten Schlacht bei ihnen, und selbst bei den hintersten Germanenvölkern, ein solches Ansehen, daß sie schon durch den Ruf und die Freundschaft des römischen Volkes in Sicherheit leben könnten.“[95] Sie wollten daher eine entsprechende Anzahl Schiffe zur Verfügung stellen.

Auf Schiffen überzusetzen erschien Caesar inakzeptabel und weder mit seiner Würde, noch der des römischen Volkes zu vereinbaren. Daher entschließt er sich zum Bau einer Brücke, obwohl, oder vielleicht gerade weil dieses Unterfangen so schwierig ist (Strömug, Breite, Tiefe, Treibgut etc.). Ein Indiz hierfür wäre die sehr ausführlich Beschreibung des Bauvorganges. Zehn Tage später ist das Werk vollendet und Caesars Heer auf dem anderen Rheinufer. Nachdem er beide Seiten der Brücke mit Wachposten versehen hat, begibt er sich in das Gebiet der Sugambrer. Diese haben in der Zwischenzeit von seinem Brückenbau erfahren und sich in ihr Hinterland zurückgezogen. Caesar findet ihr Gebiet verlassen vor und läßt ihre Dörfer, Höfe und ihr Getreide vernichten. Daraufhin zieht Caesar wieder ab und begibt sich in das Gebiet der Ubier, um diesen gegen die Sweben helfen. Die Sweben haben sich in der Zwischenzeit jedoch ebenfalls zurückgezogen und ihre Truppen gesammelt. Als Caesar davon erfährt, glaubt er, genug zum Wohl des römischen Volkes getan zu haben und zieht sich, 18 Tage nachdem er den Rhein überquert hat, wieder auf das linke Rheinufer zurück und läßt die Brücke wieder abreißen.

4.2. Zweiter Rheinübergang

Als Caesar 54 v. Chr. in Britannien war, nutzte[96] man in Gallien die Gelegenheit zu einer Reihe von Aufständen. Sowohl die Eburonen unter Ambriorix, als auch die Treverer unter Indutiomarus hatten Kontakt zu rechtsrheinischen Stämmen aufgenommen, um diese als Söldner zu rekrutieren. Die Treverer hatten damit zunächst keinen Erfolg und ihr Aufstand brach zusammen. Obwohl ihr Anführer, Indutiomarus getötet wurde, versuchten sie weiterhin, an germanische Söldner zu kommen und wurden schließlich etwas weiter rechts vom Rhein fündig. Daraufhin verbündeten sie sich mit den Eburonen unter Ambriorix.

Dies veranlaßte Caesar schließlich zum zweiten Rheinübergang. Nach dem schon bekannten Prozedere (Brückenbau, Sicherung, Rheinüberquerung etc.) erreichen ihn Gesandte der Ubier, die betonen, daß sie nach wievor loyal zu Rom stehen, und daß sie die Treverer nicht mit Truppen unterstützt haben. Caesar überprüft ihre Angaben und kommt zu dem Schluß, daß es statt dessen Sweben waren, die die Söldner gestellt haben. Er erkundigt sich daraufhin nach einem Weg ins Land der Sweben, doch diese ziehen sich wieder ins Landesinnere zurück und Caesar läßt, wie schon beim letzten Mal, von einer Verfolgung ab und begibt sich mit seinen Truppen wieder auf das rechte Ufer. Er reißt die Brücke wieder ab, läßt jedoch diesmal den rechtsrheinischen Teil stehen und befestigt – sozusagen als Wink mit dem Brückenpfahl.

Im Vergleich zum Aufwand hat Caesar bei beiden Rheinübergängen unverhältnismäßig wenig erreicht. Es stellt sich naturgemäß die Frage, warum er sie überhaupt unternommen hat. Man hat ihm unterstellt, sie nur zur Befriedigung seiner eigenen Ambitionen unternommen zu haben – um der erste römische Feldherr zu sein, der seinen Fuß auf das rechte Rheinufer setzt. Aber er war wohl nicht so dumm, sich schon rechtsrheinischen Eroberungen zuzuwenden, bevor Gallien wirklich konsolidiert war – und wenn doch, dann haben ihn spätestens die gallischen Aufstände nach seinem ersten Übergang zurück auf den Boden der Tatsachen geholt. „Er hatte nie die Absicht, die Grenze über den Strom zu verschieben, sondern wollte nur den fremden Kriegsschauplatz erkunden. Auch der zweite Rheinübergang (53 v. Chr.), diente nur dem Gedanken, den Feind abzuschrecken, sich in gallische Zwistigkeiten einzumischen. Er verlief ohne Zwischenfall, wie der erste, und blieb ohne militärischen Erfolg.“[97]

Daraufhin rechnet Caesar mit den Eburonen ab und ruft die umliegenden Stämme dazu auf, das zu plündern was er übriggelassen hat. Auch die rechtsrheinischen Sugambrer folgen dem Aufruf und diesmal sind sie Caesar ausdrücklich willkommen. Die Folge dessen ist jedoch eine etwas komische Episode frei nach dem Motto „Die Geister die ich rief“, die hier nur aufgeführt wird, um das Problem mit Caesars Glaubwürdigkeit an einem besonders krassen Beispiel zu zeigen[98].

Die Sugambrer nehmen Caesars Einladung dankbar an und erfahren von einem gallischen Gefangenen, daß sie sehr viel mehr Beute machen könnten, wenn sie den Kleinkram links liegenlassen und stattdessen das in der der Nähe befindliche Lager Aduatuca angreifen – „[...] dort hat das römische Heer sein gesamtes Vermögen zusammengetragen; die Besatzung ist so schwach, daß man nicht einmal eine Mauer ringsrum besetzen kann und niemand es wagt, die Verschanzung zu verlassen.“[99] Die Sugambrer lassen sich nicht zweimal bitten, verstecken ihre bislang gemachte Beute und lassen sich von ihrem Gefangenen den Weg zeigen. Dort ist man durch Cesars Abwesenheit sehr nervös und besonders vorsichtig, sofern man sich außerhalb des Lagers bewegt – trotz neun Legionen plus Hilfstruppen! Als die 2.000 Sugambrer kommen, sind kurz zuvor fünf Kohorten zum Getreideholen zu den naheliegenden Feldern geschickt worden. Die Sugambrer greifen an und versuchen durch das offene Tor ins Lager einzudringen. Sie werden nur mit Mühe gestoppt. Die Germanen umschwärmen das Lager auf der Suche nach einem Weg hinein, während im Lager selber völlige Konfusion herrscht. Die Germanen bemerken dies und schließen aus dieser Konfusion und Furcht, daß dort keine Besatzung sei – trotz der angeblich 9 Legionen! Ein ausgehungerter, kriegserfahrener Veteran erkennt den „Ernst“ der Lage und und greift sich ein Schwert. Während des nun folgenden Kampfes wird er verletzt und bewußtlos geborgen. Während dieser Zeit hatten sich die anderen dazu durchgerungen, auf den Schanzen in Stellung zu gehen und „den Anblick von Verteidigern [zu bieten]“. Inzwischen hatten die fünf Kohorten das Getreide beschafft und kehren zurück. Nachdem die Germanen begriffen haben, daß sie nur Verpflegung holen und nicht Caesars Nachschub sind, greifen sie an und fügen den unerfahrenen Soldaten schwere Verluste zu. Als sie jedoch einsehen, daß sie das Lager nicht erstürmen können, ziehen die Sugambrer wieder ab, holen ihre zuvor versteckte Beute und gehen wieder zurück über den Rhein. Währenddessen saß im römischen Lager der Schreck so tief, daß man der ankommenden Kavallerie nicht glauben wollte, daß Caesar wirklich kommen würde und man sich erst beruhigte, als Caesar mit einer (!) frischen Legion schließlich doch noch kam.

An dieser Stelle muß die Frage erlaubt sein, in welchem Zustand sich Caesars neun Legionen befanden. Normalerweise hätten sich neun Legionen (9 x 6.000 = 54.000 Mann, nach der Heeresreform des Marius – jedoch weiß man nicht wie stark die von Caesar rekrutierten Legionen wirklich waren.) nicht von 2.000 Germanen beeindrucken lassen – so tapfer diese auch gewesen sein mögen. War der vorausgegangene Feldzug gegen die Eburonen vielleicht doch verlustreicher, als Caesar zugeben wollte? Schließlich hatte er ein ganzes Volk ausgerottet und es in seinem Bericht bestenfalls als Fußnote erwähnt. Außerdem sprechen auch die Informationen, die die Sugambrer erst auf die Idee gebracht haben, das römische Lager in Aduatuca anzugreifen, für diese Annahme. Wie auch immer, es wirft doch einen tiefschwarzen Schatten auf Caesars Glaubwürdigkeit. Da mögen die versammelten Damen und Herren Sekundärliteraturautoren noch so sehr betonen, daß Caesar durch die Vielzahl anderer Berichte nicht sonderlich viel Wahrheitsspielraum hatte.

5. Resümee

Der Rhein wurde von Caesar – durch das Schwert und die Schrift – als eine Grenze etabliert, die vorher nicht in dieser Form bestand. Caesars Darstellung steht dabei im krassen Gegensatz zum archäologischen Befund, denn der Rhein ist in keinem der drei aufgeführten Fälle eine Grenze zwischen Völkern. Caesar kann, im Grunde genommen, schreiben, was er will, da er, – aus Roms Sicht –, sprichwörtlich Neuland betreten hatte und seine Darstellung schon allein deswegen nur schwer überprüfbar war. Caesars Darstellung der Ereignisse in „Bellum Gallicum“ erscheint wie ein engmaschiges kausales Konstrukt, ein komplexes Gebilde konkreter Sachzwänge, die ihn zum Handeln zwangen. Er stellt es so dar, als sei er von einem Sachzwang in den nächsten gestolpert, und am Ende hatte er ganz Gallien erobert. Der Gallische Krieg spielt sich darüber hinaus außerhalb der römischen Provinzgrenzen ab und und ist, schon allein deswegen, staatsrechtlich fragwürdig – von den Mitteln, die Caesar anwendet, ganz zu schweigen.

Literaturverzeichnis

Quellen:

- Goetz, Hans-Werner und Welwei, Karl-Wilhelm: Altes Germanien. Auszüge aus den antiken Quellen über die Germanen und ihre Beziehungen zum Römischen Reich. Bd. 1. Darmstadt 1995. S. 275-361. (zitiert nach der allgemein üblichen Zitierweise, die auch Goetz und Welwei in dieser Quellensammlung verwenden).

Sekundärliteratur:

- Ament, H.: Der Rhein und die Ethnogenese der Germanen. in: Prähistorische Zeitschrift 59 (1984). S. 37-47. (zitiert als: Ament)
- Badian, E.: Römischer Imperialismus. Stuttgart 1980. S. 21-33. (zitiert als: Badian).
- Christ, Karl: Caesar und Ariovist. in: Chiron 4 (1974). S. 251-292. (zitiert als: Christ).
- Dahm, Felix: Die Völkerwanderung. Berlin 1960. S. 220-230. (zitiert als: Dahm).
- Drumann, W.: Geschichte Roms. Bd. 3. Königsberg 1837. S. 234-236. (zitiert als: Drumann)
- Goetz, Hans-Werner und Welwei, Karl-Wilhelm: Altes Germanien. Auszüge aus den antiken Quellen über die - Germanen und ihre Beziehungen zum Römischen Reich. Bd. 1. Darmstadt 1995. S. 1-25. (zitiert als: Goetz/Welwei).
- Grant, Michael : Caesar. 1968. S. 83-153.
- Günther, Rigobert, Köpstein, Helga u.a.: Die Römer an Rhein und Donau. Berlin (Ost). S. 32-52. (zitiert als: Günther/Köpstein).
- Kroll, Wilhelm und Witte, Kurt (Hg.): Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaften. Eintrag zum Stichwort ”Legion“. S-1206-1207.
- Krüger, Bruno (u.a.): Die Germanen. Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa. Bd. 1. Berlin (Ost) 1976. S. 37-60. (zitiert als: Krüger).
- Lessing, Erich (u.a.): Die Kelten. Freiburg i. B. 1979. (zitiert als: Lessing).
- Meier, Christian: Caesar. Berlin 1982. S. 288-300. (zitiert als: Meier).
- Nack, Erich: Die Germanen. Wien 1977. (zitiert als: Nack).
- Stoffel, Colonel: Guerre de César et d’Arioviste. 1890.
- Ternes, Charles-Marie: Die Römer an Rhein und Mosel. Stuttgart 1975. (zitiert als: Ternes)
- Timpe, Dieter: Caesars Gallischer Krieg und das Problem des römischen Imperialismus. in: Historia 14 (1965). S. 189-214. (zitiert als: Timpe).
- Trzaska-Richter, Christine: Furor Teutonicus. Das römische Germanenbild in Politik und Propaganda von den Anfängen bis zum 2. Jahrhundert n. Chr.. Trier 1990. S. 80- 128. (zitiert als: Trzaska-Richter).
- Wachter, John (Hg.): The Roman World. London 1987. (zitiert als: Wachter).

[...]


[1] Timpe. S. 192.

[2] Vgl. Christ S. 252-253.

[3] Günther/Köpstein S. 33.

[4] Goetz/Welwei S. 12.

[5] Vgl. Trzaska-Richter S. 88 und Ternes S. 8.

[6] Nack S. 59.

[7] Vgl. Ament S. 40-42.

[8] Ament S. 39-41 und Goetz/Welwei S. 5-7.

[9] Goetz/Welwei S. 7-8.

[10] Ament S. 41-44.

[11] Lessing S. 100.

[12] Goetz/Welwei S. 10.

[13] Lessing S. 100-101.

[14] Lessing S. 101.

[15] Grant S. 101.

[16] Goetz/Welwei S. 4-5.

[17] Krüger S. 41.

[18] Ternes S. 270.

[19] Lessing S. 88.

[20] Bellum Gallicum 1. 31. 8-9.

[21] Vgl. die diesbezügliche Fußnote bei Goetz/Welwei. S. 279.

[22] Grant S. 125.

[23] Bellum Gallicum 1. 31. 12-31.

[24] Bellum Gallicum 1. 32. 2-5.

[25] Bellum Gallicum 1. 32. 1.

[26] Bellum Gallicum 1. 33. 1-2.

[27] Bellum Gallicum 1. 33. 3.

[28] Bellum Gallicum 1. 33. 4.

[29] Bellum Gallicum 1. 34. 2 & 4.

[30] 59 v. Chr.

[31] Bellum Gallicum 1. 35. 2.

[32] Bellum Gallicum 1. 35. 3.

[33] Bellum Gallicum 1. 35. 4.

[34] 61 v. Chr.

[35] Bellum Gallicum 1. 35. 4.

[36] Bellum Gallicum 1. 36. 1-6.

[37] Bellum Gallicum 1. 37. 2-5.

[38] Zugegeben, ist etwas, das 200 Jahre vorher passiert ist, nicht unbedingt relevant. Caesar erwähnt das Söldnerwesen jedoch so häufig, daß es immer noch eine Selbstverständlichkeit gewesen zu sein scheint.

[39] Lessing S. 82.

[40] Nack S. 130.

[41] Meier S. 297.

[42] Timpe S. 200.

[43] Bellum Gallicum 1. 38. 1.

[44] Bellum Gallicum 1. 38. 1.

[45] Bellum Gallicum 1. 39. 2-5.

[46] Vgl. Cassius Dio 38, 45, 1 - 38, 45, 2.

[47] Trzaska-Richter S. 106.

[48] Bellum Gallicum 1. 40. 1-15.

[49] Christ S. 264.

[50] Eine Caesar besonders verbundene Legion.

[51] Bellum Gallicum 1. 41. 4.

[52] Bellum Gallicum 1. 42. 1-3.

[53] Zum Vergleich: Varus verlor 9 n. Chr. im Teutoburger Wald die Hälfte und schon das war eine Katastrophe.

[54] Meier S. 288.

[55] Grant S. 85.

[56] Grant S. 85.

[57] Bellum Gallicum 1. 42. 4.

[58] Wachter S. 87.

[59] Stoffel S. 83-84.

[60] Bellum Gallicum 1. 42. 5.

[61] Vgl. Bellum Gallicum 1. 43. 1-3.

[62] Bellum Gallicum 1. 43. 4-8.

[63] Badian S. 23.

[64] Grant S. 99.

[65] Meier S. 293.

[66] Christ S. 267.

[67] Timpe S. 208.

[68] Dahm S. 226.

[69] Timpe S. 209.

[70] Bellum Gallicum 1. 44. 1-5.

[71] Bellum Gallicum 1. 44. 9-13.

[72] Bellum Gallicum 1. 46. 1-3.

[73] Bellum Gallicum 1. 47. 1-5.

[74] Bellum Gallicum 1. 53. 5-8.

[75] Vgl. Bellum Gallicum 1. 48.1 - 1.53. 5.

[76] Bellum Gallicum 1. 54. 1-2.

[77] Bellum Gallicum 4. 4. 1-7.

[78] Bellum Gallicum 4. 6. 1.

[79] Bellum Gallicum 4. 5. 1.

[80] Bellum Gallicum 4. 6. 5.

[81] Bellum Gallicum 4. 7. 3-5.

[82] Bellum Gallicum 4. 8. 1.

[83] Bellum Gallicum 4. 8. 3.

[84] Grant S. 114.

[85] Bellum Gallicum 4. 9. 1-3.

[86] Bellum Gallicum 4. 11. 1-6.

[87] Bellum Gallicum 4. 12. 1-6.

[88] Vgl. Caesars Anmerkungen zu Erfahrung in Vesontio.

[89] Bellum Gallicum 4. 13. 1-3.

[90] Nack S. 131.

[91] Bellum Gallicum 4. 13. 4-6.

[92] Grant S. 115.

[93] Vgl. auch Plutarch Cato minor 51, 1-6.

[94] Vgl. Bellum Gallicum 4. 17-19.

[95] Bellum Gallicum 4.16.6-7.

[96] Bellum Gallicum 6. 9-10. und 6. 29. 1-3.

[97] Nack S. 131.

[98] Bellum Gallicum 6. 35-42.

[99] Bellum Gallicum 6. 35. 9.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Caesar und die Rheingrenze
Hochschule
Universität Münster
Veranstaltung
HS Rom und die Germanen
Note
2
Autor
Jahr
1997
Seiten
34
Katalognummer
V107824
ISBN (eBook)
9783640060474
Dateigröße
534 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Caesar, Rheingrenze, Germanen
Arbeit zitieren
Patrick Libuda (Autor:in), 1997, Caesar und die Rheingrenze, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107824

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