Rogier van der Weyden: Kreuzabnahme Christs


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

16 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1) Biographie des Künstlers

2) Die Kreuzabnahme

3) Bildbeschreibung

4) Interpretation
4.1) Komposition und Bildgrund
4.2) Figuren und Trauer
4.3) Farbgebung
4.4) Licht
4.5) Das Kreuz

5) Bedeutung

5) Literaturverzeichnis

Rogier van der Weyden: Kreuzabnahme Christi

1) Biographie des Künstlers

Rogier van der Weyden wurde 1399 oder 1400 als Sohn des Messerschmiedes Henri de la Pasture und der Agnès de Qatrelos in Tournai geboren.

Im Jahre 1426 verstarb sein Vater an der Pest und Rogier verheirate sich im selben Jahr mit Elisabeth Goffaert aus Brüssel, die Tochter eines Schuhmachers.

Sein erstes Kind, ein Sohn namens Corneille, wurde im Jahr 1427 geboren.

Erst am 15. März 1427, im Alter von bereits 27 Jahren, begann er seine Lehrzeit in der Werkstatt des Robert Campin, wo er vermutlich zuerst als Bildhauer und dann als Maler ausgebildet wurde. Ob er vorher einen anderen Beruf ausübte, ist nicht bekannt.

Am 1. August 1432 wurde er als Freimeister entlassen.

Wohin er unmittelbar nach seinem „Abschluss“ ging ist nicht bekannt, jedoch ließ er sich spätestens 1435 mit seiner Familie in Brüssel, der Heimatstadt seiner Frau, nieder.

Er verfügte bereits damals über ein ansehnliches Einkommen, so dass er 1435 eine stattliche Summe in Tournaiser Sicherheiten investieren konnte. Dieses Geld rührte vermutlich von den Aufträgen her, die ihm die Stadt Brüssel für seine „Gerechtigkeitsbilder“ (zwischen 1439 und 1441) für den Gerichtssaal des Rathauses gegeben hatte.

„...am 20. Mai 1436 fassten die Stadtväter von Brüssel den Beschluss, den Posten des Stadtmalers nach Rogiers Tod nicht wieder zu besetzen, woraus hervorgeht, dass Rogier diese Position damals innehatte...“ (Seite 243 in Erwin Panofsky, „Die altniederländische Malerei I“, Köln 2001).

Im Jahre 1450 unternahm er eine längere Italienreise (Religiöse Fahrt zum Anlass des heiligen Jahres), deren genaue Reiseroute nicht bekannt ist, vermutet wird jedoch, dass sie ihn unter anderem nach Rom und Florenz führte.

Die italienische Renaissance scheint seine eigene Arbeit jedoch kaum beeinflusst zu haben.

Er galt um 1450/55 als der beste Maler im Norden neben Jan van Eyck.

Van der Weyden wurde im Laufe der Zeit in Brüssel ein wohlhabender Mann.

Er war international anerkannt und berühmt, womit er einen neues Typus des bürgerlichen Genies verkörperte.

„Denn obwohl er geehrt und hochgelobt war, lebte er das würdige und ereignislose Leben eines guten Bürgers, der barmherzig zu den Armen, großzügig gegenüber religiösen Einrichtungen, am Wohlergehen des Gemeinwesens interessiert und auf die Versorgung seiner Frau und seiner Kinder bedacht war“ (Panofsky, 2001).

Am 16 oder 18. Juli 1464 verstarb er in Brüssel, wo er in der St. Gudulakirche am Altar der hl. Katharina beigesetzt wurde.

Keines der von van der Weyden erhaltenen oder durch zeitgenössische Quellen gesicherten Werken ist signiert.

Durch Zeugnisse spätere Zeit aber, kann man den Kern des unverhältnismäßig großen Werks Rogiers erfassen.

Seine „Vorgänger“ Hubert und Jan van Eyck, sowie der Meister von Flémalle waren auf die Darstellung des Raumes in der Malerei aus, wohingegen er dieses Ziel verleugnete, aber dennoch die realistische Wiedergabe der Dinge beibehielt.

Er vereinfacht diese leicht und betont somit ihre Linearität. Er führt auf diesem Wege die mittelalterliche Linienkunst fort, die unter seinen Vorgängern verloren zu gehen drohte, nur auf eine viel feinere, empfindsamere und sensiblere Art und Weise.

Er widmete sich vor allem dem Motiv der Passion. In seiner Werkstatt arbeiteten neben nicht bekannten Gehilfen auch später berühmte Künstler wie Vrancke van der Stockt und vielleicht auch Hans Memling.

Weyden hatte Auftraggeber aus den verschiedensten Schichten. Neben kirchlichen Aufträge waren es vor allem der burgundische Hof und die geistlichen und weltlichen Repräsentanten, die ihm Aufträge erteilten.

2) Die Kreuzabnahme

Aus der Bibel: Johannes 19; 38-40

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eichenholz, 262 x 220 cm, Madrid, Museo del Prado

Rogier van der Weyden malte vor 1443 seine „Kreuzabnahme Christi“ im Auftrag von der örtlichen Bogenschützengilde für die Liebfrauenkirche in Löwen (Ostnordöstlich von Brüssel). Später gelangte das Werk durch Königin Maria von Ungarn, die Schwester Karls V. und Regentin der Niederlande, nach Spanien, wo es sich bis 1939 im Escorial, im Kloster Philipp des II. befand. Bevor Maria ihrem Bruder die „Kreuzabnahme schickte, schmückte diese die Kapelle ihres Schlosses von Binche.

Heute kann man den Altar im Prado in Madrid sehen. Das Gemälde wurde ursprünglich von zwei Flügeln flankiert, die jedoch verloren gegangen sind.

3) Bildbeschreibung

Auf die querformatige Kreuzabnahme ist in der Mitte auf der oberen Bildkante ein Quadrat aufgesetzt, das in Länge und Höhe etwa einem Fünftel der Bildbreite entspricht. Dieses Quadrat gehört zur Bildfläche dazu, in es ragt das Kreuz hinein.

Das Geschehen spielt sich in einem goldenen Schrein ab.

Es sind 10 Figuren auf dem Bild zu sehen.

In der Mitte des Bildes steht Jesus Kreuz, das bis knapp an die Oberkante der Tafel reicht, von dem er von zwei Männern, hinter ihm Joseph, rechts von ihm Nikodemus, abgenommen und zum rechten Bildrand getragen wird. An das Kreuz ist eine Leiter gelehnt, auf der ein jüngerer Mann steht, der Jesus linken Arm stützt. Am rechten Bildrand, rechts von Nikodemus, steht die trauernde Maria Magdalena, hinter den beiden erkennt man den Kopf eines weiteren bärtigen Mannes.

Links neben Jesus sinkt Maria ohnmächtig zu Boden, aufgefangen von einer jungen Frau hinter und Johannes links neben ihr. Am linken Bildrand, hinter Johannes, steht eine weinende Frau mit weißer Haube.

Die Szene findet in einem Schrein mit goldenen Wänden statt, auf denen ein goldenes Gesims quer durch den gesamten Bildraum hinweg verläuft. Der Boden ist mit Gras, Pflanzen und Steinen in naturalistischer Art und Weise bedeckt. Zwischen Johannes und Maria erkennt man einen Totenschädel ohne Unterkieferknochen, weiter rechts ein Knochen. In den vier oberen Ecken des Schreins ist etwas ebenfalls goldenes Maßwerk dargestellt.

Christus sinkt ziemlich in der Mitte des Bildes, in einer bogenförmigen Bewegung, schräg vom Kreuz herab, wobei seine Füße nach rechts unten abfallen. Sein linker Arm wird in der Armbeuge von dem Mann auf der Leiter gestützt, während ihn Joseph, der hinter Jesus steht, unter den Achseln fasst und Nikodemus, der sein rechtes Bein an Oberschenkel und Schienbein trägt. Jesus rechter Arm baumelt in einer Senkrechten hinunter, sein Kopf ruht leblos auf der rechten Schulter, so dass der Hals sehr gestreckt wird. Auf dem Kopf sitzt die Dornenkrone, um die schmalen Hüften ist ein weißes Lendentuch gewunden und auch die Wundmale an Händen, Füßen und unter der rechten Brust, sind zu sehen. Aus ihnen, sowie aus den Wunden der Dornenkrone, ist noch am Kreuz Blut gelaufen, das besonders vom Torso bis fast zum Knie Spuren hinterlassen hat. Die Augen sind geschlossen, während der Mund leicht geöffnet ist, so dass man die obere Zahnreihe etwas sehen kann.

„Die vollkommene Form seines Körpers wird ohne anatomische Verdrehungen oder perspektivische Verkürzungen präsentiert.“ (Seite 245 in E. Panofsky, 2001)

Getragen wird Jesus von Joseph von Arimathäa, der ihn mit einem weißen Leinentuch, welches seine Hände verdeckt („etwas Heiliges darf nur mit verhüllten Händen angefasst werden“), unter den Armen fasst. Joseph ist ein betagter Mann, der einen weißen Bart trägt. Sein Kopf wird von einer dunkelroten Mütze bedeckt. Ihn kleidet ein leuchtend rotes, etwa knielanges Gewand, das am Saum und den Armabschlüssen mit einer Goldborte, auf die Edelsteine genäht sind, bestickt ist. Über diesem Gewand trägt er einen schwarzen ärmellosen Pelz-Überwurf, dessen Saum, Kragen und Ärmel mit beigefarbenem Pelz gesäumt sind. Er trägt schwarze Schuhe mit einem schmalen Riemen und rote Strumpfhosen. Joseph schlägt die Augen nieder und zieht die Augenbrauen in seiner Trauer über der Nasenwurzel zusammen. Sein Mund ist ganz leicht geöffnet. Er macht einen großen Schritt nach rechts, so dass sein linkes Bein vom Knie bis zum Fuß komplett zu sehen ist, während das rechte teilweise von Jesus Hand und Maria verdeckt wird.

Christus Beine, die sich an den Knöcheln kreuzen, fasst Nikodemus mit der rechten Hand von unten am Oberschenkel und mit seiner linken von oben am Schienbein. Auch er benutzt wie Joseph das weiße Leinentuch, das hinter Jesus Rücken verläuft.

Nikodemus trägt ein dunkelgrünes Tuch auf dem Kopf, das sein linkes Ohr freigibt und mit dem rechtes Ende über seine rechte Schulter fällt. Bekleidet ist er mit einem kostbaren dunkelrot-gold-gemusterten Brokatmantel, dessen Saumabschlüsse mit hellem Pelzbesatz abgeschlossen werden. Unter dem Mantel schaut ein dunkelblaues, bis zum Knöchel reichendes Untergewand heraus, welches unten mit einem Goldsaum gefasst ist. Ein spitzer beigefarbener Schuh mit schwarzer Schleife blitzt an seinem linken Fuß hervor.

Nikodemus blickt nach schräg links unten, genau auf Christus Leichnam, wobei ihm in tiefer Trauer Tränen über das Gesicht rollen.

Links unter Jesus sinkt Maria ohnmächtig zu Boden, wobei sie genau die gleiche Körperhaltung einnimmt wie er. Sie trägt ein leuchtendblaues Gewand, das in aufwändigen Faltenwürfen bis nach hinten zum Kreuz und vorne bis zu Nikodemus rechtem Fuss hin vom Künstler drapiert wurde, so dass Joseph einen großen Ausfallschritt über sie hinweg machen muss. Knapp oberhalb der Handgelenke erkennt man ein ebenso blaues Untergewand. Nur durch eine sehr schmale Goldborte am unteren Saum und ebenso schmale Fellabschlüsse an den Armen ist das Gewand verziert Um ihren Hals und auch um ihren Kopf ist eine weiße Haube mit gekräuseltem Saum gewunden. Nur vereinzelte blonde Strähnen umrahmen ihr Gesicht dezent.

Marias Kopf befindet sich etwa auf der Höhe von Jesus Hüfte, so dass sich seine Körperhaltung genau parallel in der ihrigen wiederspiegelt. Ihr Kopf wird von einer Frau, die hinter ihr steht gestützt, so dass er nicht auf ihre Schulter sinkt und auch ihr linker Arm ist nicht ganz so hoch wie der von Christus, so dass die Hand mit den Fingerspitzen auf ihrer linken Hüfte aufliegt.

Das Inkarnat Marias Gesicht, das Rogier en face gemalt hat, ist sehr hell im Vergleich zu ihren Händen. Ihre Augen sind beinahe ganz geschlossen, der Mund mit den blassen Lippen ist wie bei Jesus leicht geöffnet, so dass man ein paar Zähne sieht, und über ihre Wangen laufen Tränen.

Links neben Maria steht Johannes in einem wallenden roten Gewand mit einem Mantel in der selben Farbe, der sie auffängt, indem er sie mit der linken Hand von unten unter der rechten Achsel und mit der linken von oben am Schultergelenk festhält. Johannes Gewand ist außer einem schmalen braunen Gürtel, der vorne verknotet ist, und einem kleinen roten Knopf am Handgelenk sowie zweien an der Brust nicht verziert. Über diesem Gewand trägt er einen kragenlosen Umhang, der nur mit zwei kleinen roten Knöpfchen am Hals geschlossen ist, so dass er Richtung linken Bildrand weht und seinen rechten Arm fast gänzlich frei gibt. Seine Kleidung schlägt großzügige Falten, es wirkt am Bildrand, durch den es „abgeschnitten“ wird, kunstvoll drapiert.

Johannes trägt keine Schuhe und keine Kopfbedeckung, so dass man seine hellbraunen gelockten Haare in voller Pracht anschauen kann. Sein Gesicht, welches er in Richtung Maria wendet, sieht man im Halbprofil, sein linker Arm ist von der Frau, die rechts hinter ihm steht fast komplett verdeckt, erkennen kann man die Fingerspitzen und Andeutungen des Ärmels. Er steht gebeugt, um Marias Bewegung leichter abfangen zu können. Johannes linker Fuß steht auf Marias Gewand, sein rechter, der nur mit Zehen und Fußballen den Boden berührt, ist durch den Bildrand nur zur Hälfte zu sehen. Auch über sein Gesicht laufen Tränen.

Zwischen Joseph und Johannes steht eine junge Frau, die Maria unter den Armen stützt. Sie trägt ein dunkelgrünes Gewand mit weißem Untergewand, das am Kragen herausschaut, ihre Taille umschlingt ein schmales goldenes Band, das vorne zu einer Schleife gebunden ist und auf dem Kopf sitzt eine weiße Haube, über die ein ebenfalls dunkelgrüner Turban gewunden ist. Sie blickt zu Maria herab, über ihr Gesicht laufen Tränen.

Im linken hinteren Eck steht eine weinende ältere Frau, die sich mit der rechten Hand ein Taschentuch vor die Augen hält. Ihr Kopf und ihre Schultern sind gänzlich von einem weißen Schleier bedeckt. Ihren Körper sieht man nur bis zur Brust, der Rest wird von Johannes verdeckt.

Am rechten Bildrand steht Maria Magdalena, die ihre Hände gefaltet hat, sich in ihrem Schmerz Richtung Jesus krümmt, indem sie auch ihren Kopf beinahe bis auf die Brust presst und sich vorbeugt. Ihr rechter Arm ist relativ hoch erhoben, so dass ihre Hände in Brusthöhe sind.

Sie trägt einen sehr langen dunkelgrauen Rock, der ebenfalls viele Falten wirft, eine beigefarbene Korsage, die am Kragen mit feiner weißer Spitze besetzt ist, und an deren Schultern lange rote gemusterte Ärmel genäht sind. Auf dem Kopf sitzt eine weiße Haube, die über die rechte Schulter bis zur Taille herunterfällt, unter der ein um den Kopf gewundener brauner Zopf und das linke Ohr hervorschauen. Um den Leib schmückt sie ein schmaler Metallgürtel mit zwei Médaillions, auf denen eine Aufschrift zu erkennen ist.

Über Maria Magdalenas Gesicht rollen zwei Tränen, ihr Mund ist wie zur Klage geöffnet und ihre Augenpartie ist schmerzvoll verzerrt.

Auf der Leiter, die an das Kreuz gelehnt ist, steht ein Diener, der Jesus losgelöst hat. Mit der rechten Hand, in der er zugleich eine Zange hält, stützt er sich am oberen Balken des Kreuzes ab, um Christus mit der linken noch ein wenig festzuhalten. Der Mann trägt ein weißes Übergewand unter dem ein rötliches Untergewand hervorblitzt, seine Beine stecken in hautfarbenen Strumpfhosen. Sein längeres Haar ist dunkel und gelockt, er hält es mit einem hellen Band am Haaransatz zusammen. Sein Blick ist wehmütig.

Hinter Nikodemus und Maria Magdalena erkennt man den Kopf und die Hände eines älteren Mannes, der ein weißes Gefäß in seiner rechten hält, mit der linken eine Geste macht, die aussieht, als wolle er Jesus salben (ich vermute, dass das das Salbungsöl ist, von dem im Bibelzitat die Rede ist).

4) Interpretation

4.1) Komposition und Bildgrund:

Durch die stehenden Figuren (annähernd in Lebensgröße), das Kreuz und die Leiter gibt es hier viele Senkrechte, wobei das quer durch das Bild verlaufende Gesims eine Horizontale darstellt und die einzelnen Figuren auch in der Wagrechten miteinander verbindet. Jedoch zergliedert man es nicht nur horizontal und vertikal, man kann auch beobachten, dass Johannes und Maria Magdalena jeweils eine Art Bogen („Parenthése“) bilden, und da sie beide am rechten, bzw. linken, Bildrand stehen, bilden sie einen symmetrischen Rahmen um die Gruppe, sie halten das Geschehen zusammen.

Auffällig ist in erster Linie aber die gleiche Körperhaltung von Jesus und Maria. Hierin wird die „Compassio“ Marias zur „Passio“ Christi explizit zum Ausdruck gebracht. Beide bilden parallel zueinander verschobene Bögen, welche, dadurch, dass sie sich in der Schräge befinden, die Senk- und Wagrechten Aspekte des Bildes auflockern und ebenfalls zusammenfügen.

Das ganze Geschehen spielt sich in einem sehr beengten Schrein ab, der die Figuren teilweise sogar beschneidet, so dass diese enger zusammenrücken müssen. Betont wird dieses Zusammenrücken zusätzlich durch das Hinwenden der Körper und Gesichter der acht Menschen zu Jesus und Maria, sowie die kollektive Trauer, die oftmals sogar durch Tränen wiedergegeben ist.

Durch das aufgesetzte Quadrat wirkt das Ganze auf mich noch einengender und beklemmender, denn über den Figuren fehlt somit Freiraum, nur das Kreuz bekam noch einen eigenen Raum eingeräumt.

Der goldene Schrein, der das Interieur der Darstellung bildet, wirkt, als sei er aus Mosaik, er erscheint annähernd glatt. Seine Seitenwände treten stark zurück und sind flach, nur in den oberen Ecken ist etwas Maßwerk, was als einziges Mittel zur Darstellung von Räumlichkeit und Schmuck dient. Der Boden ist, wie oben bereits erwähnt, mit Gras, Pflanzen und Steinen bedeckt. Diese Darstellung eines Innenraumes ist untypisch für die flämische Kunst, denn man setzte Szenen entweder in die freie Natur oder in einen „echten“ Innenraum. Durch den Goldgrund, der im Mittelalter bevorzugt wurde, erscheint dieses Bildnis wie eine Kunstszene, bzw. wie ein Kunstgebilde. Betont hat Rogier dadurch eine Strenge und Klarheit in der Durchführung seines Werks. Das Geschehen rückt damit gänzlich in die Fläche, was bei seinen Zeitgenossen ebenso untypisch war, da der Künstler dieser Zeit bestrebt war, Tiefe und Räumlichkeit darzustellen. Rogiers Bestreben liegt somit einzig auf der Betonung des menschlichen Leides, er lenkt durch nichts anderes auf dem Bild den Betrachter ab von dem Geschehen.

4.2) Figuren und Trauer:

Alle Figuren trauern, teilweise mit, teilweise ohne Tränen (Joseph, der ältere Mann und der Diener).

Rogier van der Weyden hat den Moment festgehalten, in dem die Gemütsbewegungen für die Szene am bezeichnendsten sind. Seine Figuren trauern tief, jedoch hat er sie in ihrem größten Schmerz nicht pathetisch oder heftig wiedergegeben wie es bei den Italienern oder Franzosen häufig der Fall ist, sondern sehr zurückhaltend. „Rogiers Absicht richtete sich nicht auf Handlung oder gar „Drama“, sondern auf das grundlegende Problem, ein Höchstmaß an Leidenschaft in einer Form zu verdichten, die so streng diszipliniert ist wie ein Sonett von Shakespeare.“ (Seite 245, E. Panofsky, 2001)

„...Würde inmitten eines Stroms von Tränen gewahrt.“ (nach Fazio: Seite 244 in E. Panofsky, 2001). In Josephs Gesicht spiegelt sich die stille Trauer wieder, er erscheint beherrscht wie auch Johannes.

Nach Panofsky konfrontiert uns Rogier mit einem fingierten Schnitzaltar, in dem eine Szene aus geschnitzten und polychromierten Figuren aufgeführt wird. Er unterwirft damit menschliche Wesen einem Prinzip abstrakter Stilisierung.

4.3) Farbgebung:

Rogier benutzt die Farbe nicht, um seine Personengruppe zu gliedern oder zu ordnen, sondern sie dient ihm zur Kolorierung. Maria und Johannes sind beispielsweise ganz einfarbig gestaltet, alle Figuren sind hell und farbenfroh gekleidet.

Er erreicht damit eine außerordentliche Harmonie, das Ganze fügt sich zu einem großen Ganzen zusammen, und obwohl Johannes mit seinem roten Gewand herausleuchtet, harmoniert er mit den Übrigen, da sein Rotton bei Magdalena und Joseph wiederholt wird.

4.4) Licht:

Eine eindeutige Lichtquelle ist für mich nicht auszumachen, auf mich wirkt das Licht recht gestreut. Dennoch kommt es eher von rechts oben, was man an Marias „en face - Portrait“ sehr deutlich erkennen kann. Auch Maria Magdalenas Nacken ist sehr schön erleuchtet, wohingegen das Gesicht des älteren Mannes wie auch das des Dieners im Schatten zu liegen scheinen. Selbst Josephs Gesicht ist mehr im Schatten. Daher kann ich es mir nicht vorstellen, dass er durch das Licht die Figuren in ihren Bedeutungen gliedern wollte, sondern dass es ihm dazu dient, in dem recht beengten Interieur etwas mehr Räumlichkeit zu erzeugen.

4.5) Das Kreuz:

Das Kreuz setzt sich über den Naturalismus hinweg, seine „Arme“ sind verstümmelt und es ist daher nur noch ein Fragment. Es ist nur noch ein Symbol für ein Kreuz, obwohl es realistisch (mit Maserung) abgebildet wurde. Im Bild erfüllt es nur seinen Zweck, Jesus wurde abgenommen, daher steht es jetzt nicht mehr im Vordergrund des Interesses.

5) Bedeutung:

In der Bibel ist die Kreuzabnahme ein „mechanischer Vorgang des Abnehmens“. Auch die Beweinung findet nicht statt. Daher tut sich ein Spalt zwischen Bild und Text auf: Rogiers Werk ist eine emotionale Interpretation. Er betont das rein Menschliche, lässt das Göttliche außen vor.

Jesus als Opfer wird hier präsentiert, wodurch das ganze Bild zeitlos wird (bereits im 12.Jahrhundert stellte man emotional ausgeprägte Bilder der Kreuzabnahme her, da man sich auf das menschliche Leid konzentrierte).

Der Vorgang der Kreuzabnahme ist wie gesagt zeitlos, dies wird durch den Goldgrund (hier in einem „modernen illusionistischen Gehäuse“ abstrahiert) betont. Da das Gold als ewiges Licht, das jegliches irdisches Licht, und damit auch Licht und Schatten, ausblendet, als Hintergrund dient, wird jede Zeitlichkeit ausgeblendet.

Christus wird auf Rogiers Bild präsentiert. Hier kann man an die Eucharistiefeier anknüpfen, in der die Hostie als Leib und der Kelch als Blut Christi stehen. Die Eucharistie ist die unblutige Opferung Jesu, und da diese Zeremonie in jeder Messe wiederholt wird, entsteht ein Ewigkeitscharakter. Somit kann man sagen, dass dieses Werk die eucharistische Messe erläutert, bzw. dokumentiert.

Vorrangig ist also hier die Präsentation Jesu („Ostentatio“). Er wird nicht überschnitten und wirkt schwerelos, er scheint zu schweben. Das Licht muss von rechts oben kommen, um ihn angemessenes zu erleuchten.

Die Kreuzabnahme erhält durch all dies einen „Kultbildcharakter“.

Der Totenschädel und der Knochen auf dem Boden symbolisieren Adams Grab. Da die Kreuzigung im Garten Eden, an der gleichen Stelle wie der Sündenfall und auf dem Grab Adams stattgefunden hat, kann man an dieser Stelle die Parallele von Jesus zu Adam ziehen. Durch Adam kam die Sünde in die Welt, durch die Passio Christi wurde sie wieder aus ihr genommen. Jesus wird damit zum neuen Adam (so wie Maria die neue Eva ist).

5) Literaturverzeichnis

1) Erwin Panofsky, „Die altniederländische Malerei I“, Köln 2001
2) Dirk DeVos, „Rogier van der Weyden - das Gesamtwerk“, München, 1999
3) Deutsche Bibelgesellschaft, „LutherBibel; mit Bildern von Paul Gauguin“, Stuttgart, 1999
4) Stephan Kemperdick, „Der Meister von Flémalle: Die Werkstatt Robert Campins und Rogier van der Weyden“, Turnhout 1997
5) Europäische Hochschulschriften, Kunstgeschichte, Antje Maria Neuner, „Das Triptychon der altniederländischen Malerei“, Frankfurt/Main 1995
6) Otto Pächt, „Altniederländische Malerei: von Rogier van der Weyden bis Gerard David“, München, 1994
7) Odile Delenda, „Rogier van der Weyden; Das Gesamtwerk des Malers“, Stuttgart 1988
8) Martin Davis, „Rogier van der Weyden“, München 1972
9) Kindler, Künstlerlexikon, Band V, Zürich 1968
10) THB, Hrsg. Hans Vollmer, Band XXXV

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Rogier van der Weyden: Kreuzabnahme Christs
Hochschule
Universität Koblenz-Landau
Veranstaltung
Altniederländische Malerei
Note
1,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
16
Katalognummer
V107854
ISBN (eBook)
9783640060757
Dateigröße
616 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Rogier, Weyden, Kreuzabnahme, Christs, Altniederländische, Malerei
Arbeit zitieren
Natalie Werner (Autor:in), 2002, Rogier van der Weyden: Kreuzabnahme Christs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107854

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