Martin Luther als Übersetzer
Um die Wende zum XVI Jahrhundert kam es zu Ereignissen, die auf das heutige Bild der Welt bedeutend eingewirkt haben. Der genuesische Segler Christoph Kolumbus widerspricht mit seinen Entdeckungen, die den Durchbruch zu einer neuen Zeit bildeten, dem Weltbild, das die Heilige Schrift prägte. Diese Schrift wird vom holländischem gelehrten Erasmus von Rotterdam der gleichen Kritik wie heidnische Schriften unterzogen und ebenso behandelt. Und auch der italienische Prediger und Reformator Girolamo Savanarola, der in seinen Predigten zur christlichen Umkehr aufrief, die Verderbtheit der Gesellschaft anprangerte und das Strafgericht Gottes prophezeite, werden zu den wichtigen und mutigen Gestalten gezählt, die an der Grenze zu einer neuen Zeit stehen. Viele von ihnen mussten ihren Mut und Tapferkeit mit dem eigenem Leben bezahlen. Auch die bahnbrechende Erfindung des Buchdrucks durch den straßburgischen Goldschmied Johannes Gutenberg ist ein Symptom der neuen Ära. Das Auftreten von John Wyclif in England und des tschechischen Reformatoren Jan Hus geben den Anstoß zur reformatorischen Bewegung. Im gleichen Jahr, in dem Savanarola auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, lebte in Mansfeld der 15-jährige Martin Luther, der das Werk des italienischen Mönches aufgegriffen und beendet hat.
Als im Herbst 1517 Martin Luther seine 95 Thesen, in denen er Theorie und Praxis des Ablasshandels kritisierte, veröffentlichte, hatte er den ersten Schritt über die theologischen Fundamentalfragen hinaus in den Bereich der kirchlichen Praxis unternommen. Damit war der Weg zu einer weiterführenden Kirchenkritik geebnet.
Das führte dazu, dass die päpstlichen Behörden Luther befahlen, sich der kirchlichen Gewalt zu unterwerfen. Er ließ sich jedoch nicht einschüchtern und fuhr fort mit dem Einführen seiner Reformen. Luther übte Kritik an der Papstkirche, dem System der Sakramente und hielt daran fest, dass der Glaube des Einzelnen auf der Bibel basieren müsse. 1518 wurde der Prozess wegen Verbreitung neuer Lehren und Verdachts der Ketzerei eröffnet. Nach einem ersten Verhör in Augsburg folgte im Juni 1520 die Bannandrohungsbulle. Luther verbrannte sie nach ihrem Eintreffen vor seinen Studenten in Wittenberg. Dieser Akt war ein Symbol des endgültigen Bruches mit der Papstkirche. Mit der Übergabe der Bannbulle wurde Luther endgültig aus der christlichen Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen. Nachdem Luther vom Papst gebannt, auf dem Reichstag zu Worms 1521 von Kaiser Karl V geächtet wurde und die Verbrennung aller seiner Schriften angeordnet wurde, wurde Luther vor, der drohenden persönlichen Gefahr von Friedrich dem Weisen gerettet, indem er ihn auf einer Reise entführen ließ, in Schutzhaft nahm und auf die Wartburg bei Eisenach in Sicherheit brachte. Luther blieb dort etwa zehn Monate lang getarnt als Junker Jörg. Dort begann er die nächste Ketzerei. Er nimmt sich vor die Bibel, die für ihn eine zentrale Bedeutung hat und die einzige Autorität in Glaubensfragen war und höher als der Papst stand, zu übersetzen. Martin Luther nutzte seinen nicht ganz freiwilligen Aufenthalt auf der Wartburg um in nur zehn Wochen das Neue Testament ins Deutsche zu übersetzen und dadurch dem Volk in verständlicher Form näher zu bringen. Er legte sehr großen Wert auf einen lebendigen Stil, der den Sinn bildhaft wiedergibt. Die Suche nach einem passenden Wort hat auch mal bis zu vier Wochen gedauert. Um den Inhalt des Originals möglichst genau zu erschließen, wurden fast poetische Bilder aufgebaut und - was nicht auf Anhieb klar war - wurde mit Vor- oder Nachworten am Rand erklärt. Auch vor Neologismen wie z.B. Götzenknecht, Lückenbüßer, das Machtwort, die Herzenslust, gastfrei, deuteln und wetterwendisch[1], scheute Luther nicht zurück. Einige sprachliche Elemente, wie die Signale die eine biblische Erzählung angekündigt haben, wurden von ihm aus der lateinischen Übersetzungstradition übernommen. Auf diese Weise entstand: „Es begab sich (aber)...“. Auch das häufig auftretende „und“, das oft Hauptsätze zu langen Satzgefügen erweitert, beruht auf dem Vorbild der hebräischen Syntax. Viele von den neuen Wortschöpfungen, die meistens auf Zusammensetzungen beruhten, und den Erneuerungen sind in die deutsche Sprache eingegangen und werden auch heute noch benutzt.
Als Grundlage der Übersetzung diente der von Erasmus von Rotterdam herausgegebene griechische Text, dem eine lateinische Übersetzung beigegeben war, der ursprüngliche griechische Text, also die Septuaginta, die lateinische Vulgata und eine damals schon existierende deutsche Übersetzung der Bibel[2]. Den Unterschied zwischen der Lutherbibel und einer älteren Übersetzung kann man an dem nachfolgendem Beispiel sehr gut sehen. „Anruf mich am Tage des Trübsals und ich erlös dich und du ehrst mich.“. Bei Luther wird dieser Gedanke weitgehend besser aufgefasst: „Rufe mich in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen“[3]. Die Zugänglichkeit und erfrischende Direktheit dieser Worte ist bemerkenswert. Er übersetzte zuerst das Neue Testament, denn seine Kenntnis der hebräischen Sprache war zu dieser Zeit noch lückenhaft. Das Alte Testament wurde später mit Hilfe von Freunden in Wittenberg in jahrelanger Zusammenarbeit umgelegt.
Bemerkenswert ist die Zeit, die Luther für die Umlegung benötigte. In den zehn Wochen, von Dezember 1521 bis März 1522, saß Junker Jörg Tag für Tag sechs Stunden lang, über den griechischen und hebräischen Originaltexten gebeugt, und übersetzte täglich ca. 10 Seiten. Allein das Kopieren des Textes in dieser kurzen Zeit wäre für einen erfahrenen Kopisten eine große Herausforderung. Das Ziel das sich Martin Luther gesetzt hatte, also die Verständlichkeit der Bibel für jedermann, fällt ihm oft genug schwer, denn „wer dolmetschen will, muss großen Vorrat an Worten haben, dass er die Wahl haben kann, wo eins an allen Orten nicht lauten will (...) Man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll deutsch reden (...) Sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt darum fragen und denselben aufs Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen, so verstehen sie es und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.“[4]. Luther hat sich in seiner Arbeit überwiegend auf die sächsische Amtsprache gestützt, denn in seinen Tischreden sagt er: „Ich habe keine gewisse, sonderliche, eigene Sprache im Deutschen, sondern brauche der Gemeinen deutsche Sprache, dass mich beide, Ober- und Niederländer, verstehen mögen. Ich rede nach der Sächsischen Canzeley (..)“.
Nachdem Luther sein Werk im März 1522 vorerst beendete, nahm er das fertige Manuskript im Mai nach Wittenberg, wo er den Text mit seinen sprach- und sachkundigen Freunden und Helfern gewissenhaft überarbeite. Dabei half ihm auch Philipp Melanchthon, der Professor für die griechische Sprache und guter Kenner des Hebräischen war. Infolge dieser Zusammenarbeit erscheint in der Druckerei von Melchior Lotter im September „Das Newe Testament Deutzsch, Vuittemberg“. Der Druck war von erstklassiger Qualität, und im Druckfehlerverzeichnis befanden sich nur acht Auflistungen. Es ist in die Geschichte als „Septembertestament“ oder seltener auch als „Septemberbibel“ eingegangen. Dieser Ausgabe wurden insgesamt 21 Holzschnitte aus der Werkstatt Lucas Cranachs beigegeben. Bereits im Dezember musste wegen der großen Nachfrage die zweite Auflage gedruckt werden. In Augsburg, Nürnberg und Frankfurt musste sogar das „Septembertestament“ nachgedruckt werden. Ab diesem Moment wurde jedem, der lesen konnte, der Zugang zu einem verständlichen Wort Gottes ermöglicht. Über dieses Ereignis äußern sich u.a.: Wolf: „Der einzigartige Erfolg der Luther-Bibel beruht besonders auf der Verständlichkeit, Anschaulichkeit und Schönheit ihrer Sprache.“[5], H. O. Burger: “Ereignis der Literaturgeschichte“[6] und Friederich Engels, der so urteilt: „Luther hatte der plebejischen Bewegung ein mächtiges Werkzeug in die Hand gegeben durch die Übersetzung der Bibel. In der Bibel hatte er dem feudalisierten Christentum der Zeit das bescheidene Christentum der ersten Jahrhunderte, der zerfallenden feudalen Gesellschaft das Abbild einer Gesellschaft entgegengehalten, die nichts von der weitschichtigen, kunstmäßigen Feudalhierarchie wusste.“[7]
Wegen der Popularität der Übersetzung des Neuen Testaments wächst allmählich auch die Nachfrage nach einer durch Martin Luther ins Deutsche Umlegung des Alten Testament. In rascher Folge machen sich Luther und seine Helfer an die Haupteile des hebräischen Textes. Jeder der Engagierten verwandte seine Spezialkenntnisse. Melanchton widmete sich dem Griechischen, Doktor Caspar Cruciger dem Chaldäischen und Johann Bugenhagen machte sich an dem Lateinischen verdient. Die Übersetzung der Bibel war längst nicht mehr die Arbeit eines Einzelnen und wurde zu einer Zusammenarbeit von vielen bekannten und geschätzten Spezialisten, von denen jeder seinen großen und wichtigen Beitrag leistete. Natürlich konnte die Zusammenarbeit nicht ohne Ringen über die treffendsten Formulierungen sein. Sie wurde ständig überarbeitet und verbessert. In Luthers „Sendbrief vom Dolmetschen“ berichtet er von Schwierigkeiten und Erfolgen der Übersetzungsarbeit, denn sein Ziel, also die allgemeine Verständlichkeit, Bildhaftigkeit und Direktheit, wurde unterschiedlich von den Mitarbeitern verstanden.
1523 und 1524 sind die ersten drei Teile erschienen, in welchen das Buch Hiob, der Psalter und die Sprüche Salomons enthalten war. Wegen unterschiedlichen Auffassungen stockte die Weiterführung. 1534 , nach 12 Jahren, lag endlich die vollständige Übersetzung mit all ihren Büchern vor. In diesem Jahr erschien in Wittenberg in der Offizin von Hans Lufft die erste deutschsprachige Gesamtausgabe der Bibel. Auch diese Ausgabe war mit zahlreichen Illustrationen aus der Werkstatt Lucas Cranachs versehen, deren Motive nicht selten von Luther vorgeschlagen oder vorgegeben waren.
Die heilige Schrift, die von der katholischen Kirche dem Laien vorenthalten wurde, ist nun zur Waffe in der Hand des „gemeinen Mannes“ geworden. Während vorher die Herrschenden und Besitzenden dem gemeinem Volk die Bibel auf Grundlage der Lateinischen Fassung vermittelten, konnten nun die Ausgebeuteten und Entrechteten das Wort Gottes mit eigenen Augen sehen und verstehen. Mit der Auslegung der Bibel haben sie nämlich ihre Vorstellungen, Wünsche und Träume verbunden und haben somit ihre Aufgaben bei der Reformation neu definieren können. Die Wirkung, die diese Bibel ausübte und die unerwartet schnelle Verbreitung von verschieden Ausgaben führte dazu, dass Herzog Georg von Sachsen seinen Untertanen verbot, diese Bücher zu lesen oder gar zu besitzen.
Martin Luther hatte an der weiteren Entwicklung der deutschen Gemeinsprache einen entscheidenden Anteil. Seine Arbeit wird als nicht nur theologische und philosophische Leistung, sondern auch als eine gewaltige sprachschöpferische angesehen. Die Lutherbibel hat eine noch nie vorher gesehene Verbreitung erfahren. Allein zwischen 1522 und 1546 sind mehr als vierhundert Drucke und Nachdrucke erschienen.
Mit seiner 1534 vollendeten Bibelübersetzung schuf Martin Luther ein wichtiges Dokument der deutschen Sprachgeschichte, das einen bedeutenden Faktor für die Entfaltung des Neuhochdeutschen darstellte. Die deutsche Sprache wurde damit gleichberechtigt neben das Lateinische, Griechische und Hebräische gestellt.
Bibliographie:
- Arndt Erwin, Brandt Gisela, Luther und die deutsche Sprache, Leipzig 1987
- Fläschendräger Werner, Martin Luther, Leipzig 1982.
- Floryn Wladyslaw, Dzieje Literatur Europejskich - Tom 2, Warszawa 1982.
- Friedenthal Richard, Luther - Sein Leben und seine Zeit, München 1982.
- Grzybowski Stanislaw, Marcin Luter, Warszawa 1966.
- Landgraf Wolfgang, Martin Luther, Berlin 1981
- Microsoft Encarta Enzyklopädie 2001 PLUS.
- Volz H., Martin Luthers deutsche Bibel. Entstehung und Geschichte der Lutherbibel, eing. v. F.W. Kantzenbach, hrsg. von H. Wendland, Berlin 1981.
- Wolf H., Martin Luther: eine Einführung in germanistische Lutherstudien, Berlin 1983, S. 140.
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[1] Martin Luther, Die gantze Heilige Schrifft Deudsch, Wittenberg 1545. Herausgegeben von Hans Volz unter Mitarbeit von Heinz Blanke, Textredaktion Friedrich Kur. München 1972, S. 25f, Quellentext in Microsoft Encarta Enzyklopädie 2001 PLUS.
[2] Vgl: R. Friedenthal, Luther - Sein Leben und seine Zeit, München 1982, S.315.
[3] Vgl: W. Landgraf, Martin Luther, Berlin 1981, S.196.
[4] Zitiert nach Martin Luther , Sendbrief vom Dolmetschen, in W. Landgraf, Martin Luther, Berlin 1981, S.196.
[5] Vgl: H. Wolf, Martin Luther: eine Einführung in germanistische Lutherstudien, Berlin 1983, S. 140.
[6] Vgl: H. Volz, Martin Luthers deutsche Bibel. Entstehung und Geschichte der Lutherbibel, eing. v. F.W. Kantzenbach, hrsg. von H. Wendland, Berlin 1981, S.10.
[7] Zitiert nach Friedrich Engels, Der deutsche Bauernkrieg, in W. Landgraf , Martin Luther, Berlin 1981, S.199.
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- Philipp Gmuer (Autor:in), 2001, Martin Luther als Übersetzer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107919