Die Nachrichtenagentur Reuters - Geschichte, Strukturen und Funktionsprinzipien


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

35 Seiten, Note: sehr gut (1)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Geschichte der Nachrichtenagentur Reuters
2.1 Gründung der Agentur
2.2 Reuters unter Roderick Jones (1915 bis 1941)
2.3 Reuters im Nationalsozialismus
2.3.1 Presselenkung im Dritten Reich
2.3.2 Presseberichterstattung von Reuters
2.4 Der Reuters Trust (1941 bis 1984)
2.5 Die Aktiengesellschaft Reuters (ab 1984)

3 Das Unternehmen Reuters
3.1 Reuters Holding PLC
3.2 Deutsche Reuters AG
3.3 Einfluss des Staates und der Privatwirtschaft auf Reuters

4 Der Reuters Deutsche Dienst
4.1 Grundlagen - Nachrichtenagentur
4.2 Definition - Nachrichtenagentur
4.3 Arbeitsweise
4.4 Rahmenbedingungen
4.5 Die Arbeitsbereiche
4.5.1 Die Auslandredaktion
4.5.2 Die Inlandsredaktion
4.6 Die Nachrichtenauswahl

5 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Nachrichtenagentur Reuters kann heute auf eine über 150-jährige Geschichte zurückblicken. In dieser Arbeit sollen die wechselhafte Geschichte der Agentur seit ihrer Gründung sowie ihre aktuelle Situation dargestellt werden, unter besonderer Berücksichtigung der Stellung von Reuters im Markt der Nachrichtenagenturen.

Ziel dieser Arbeit ist eine Annäherung an die Nachrichtenagentur Reuters durch die Darstellung ihrer Geschichte und Entwicklung, ihrer Struktur, ihrer Abhängigkeiten und ihrer Funktionsprinzipien.

Zunächst erfolgt in Kapitel 2 ein Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Agentur, wobei besonders auf die Situation von Reuters im Nationalsozialismus eingegangen wird. Daran schließt in Kapitel 3 eine Darstellung des Unternehmen Reuters in der heutigen Zeit an. Den regionalen Schwerpunkt dieser Arbeit bildet der Deutsche Dienst von Reuters, der in Kapitel 4 eingehend vorgestellt wird.

2 Die Geschichte der Nachrichtenagentur Reuters

2.1 Gründung der Agentur

Der Gründer der Nachrichtenagentur Reuters wurde am 21. Juli 1816 als Israel Beer, Sohn eines Rabbiners, in Kassel geboren. Drei Jahrzehnte später tritt er zum christlichen Glauben über und wird als Paul Julius Reuter im Taufregister eingetragen.

1848 zieht Reuter nach Paris und arbeitet dort als Übersetzer für Charles Havas, den Gründer von „Agence Havas“, der ersten Nachrichtenagentur in Europa. Bei Havas lernt Reuter die Idee und Funktionsweise einer Nachrichtenagentur kennen und kommt erstmals mit dem Journalismus in Berührung. Bereits im folgenden Jahr macht sich Reuter selbständig und betreibt eine kleine Pressekorrespondenz in Paris.

Seine große Chance sieht Reuter jedoch in Deutschland: Dort gibt Preußen am 1. Oktober 1849 seine Telegraphenlinie von Berlin nach Aachen für das Publikum frei. Reuter zieht nach Aachen und richtet dort in der Pontstraße 117 sein „Institut“ ein, das vorwiegend Aachener Kaufleute und Bankiers mit Wirtschaftsinformationen versorgt. 1850 wird die Telegraphenlinie Paris-Brüssel in Betrieb genommen. Daraufhin setzt Reuter Brieftauben ein, um die Lücke in der Übermittlung zwischen Brüssel und Aachen zu schließen. Die Tauben benötigen für die rund 150 Kilometer lange Strecke sechs Stunden weniger als der Postzug, wodurch Reuter seine Börseninformationen mit deutlichem Zeitvorsprung erhält. An Weihnachten 1850 wird die Lücke in der Telegraphenleitung jedoch geschlossen und macht die Verbindung mit Brieftauben überflüssig.[1]

Reuter geht nach London, wo er im Oktober 1851 in der City ein Büro für Wirtschaftsnachrichten eröffnet und damit den Grundstein für die Nachrichtenagentur Reuters legt. Anscheinend folgt Reuters damit dem Rat des deutschen Ingenieurs Werner von Siemens, der in seinen Erinnerungen schreibt:

Während des Baues dieser Linie [von Köln über Aachen nach Verviers] lernte ich den Unternehmer der Taubenpost zwischen Köln und Brüssel kennen, einen Herrn Reuter, dessen nützliches und einträgliches Geschäft durch die Anlage des elektrischen Telegraphen schonungslos zerstört wurde. Als Frau Reuter, die ihren Gatten auf der Reise begleitete, sich bei mir über die Zerstörung ihres Geschäftes beklagte, gab ich dem Ehepaar den Rat, nach London zu gehen und dort ein ebensolches Depeschen-Vermittlungsbureau anzulegen, wie es gerade in Berlin ... durch einen Herrn Wolff begründet war. Reuter befolgte meinen Rat mit ausgezeichnetem Erfolg.[2]

1856 schließt Reuter mit der Agence Havas und dem Wolff'schen Telegraphischen Bureau in Berlin einen Vertrag über den Austausch von Nachrichten; zwei Jahre später folgen erste Probeverträge mit Londoner Zeitungen. Im Jahre 1859 entsteht Reuters „Allgemeiner Nachrichtendienst“. Erstmals werden auch Korrespondenten in andere Länder entsandt. Selbst die „Times“ druckt nun Nachrichten von Reuters.[3]

Bereits ab Mitte der 1860er Jahre soll Reuter versucht haben, die anderen europäischen Nachrichtenagenturen aufzukaufen oder sie unter seine Kontrolle zu bringen.[4]

Den Plan, in seiner alten Heimat Deutschland eine Nachrichtenorganisation aufzubauen, hatte Reuter aber nicht aufgegeben. 1865 erhält er von König Georg V. von Hannover die Erlaubnis, ein Telegraphenkabel von England zur Insel Norderney zu verlegen. Zur Finanzierung der Verlegung des Kabels wandelt Reuter seinen Nachrichtendienst in die Aktiengesellschaft Reuter’s Telegram Company Ltd. um. Reuter selbst bleibt bis zu seiner Pensionierung im Mai 1878 Vorsitzender der Company.[5]

Ein Gesuch Reuters, mehrere Zweigstellen eröffnen zu dürfen, lehnt die preußische Regierung 1867 mit der Begründung ab, dass Reuters als „englisches Unternehmen keine Garantie für eine den preußischen Interessen entsprechende Behandlung des telegraphischen Zeitungsstoffes bieten könne“[6]. Daraufhin versucht Reuter, durch Strohmänner Büros gründen zu lassen und so den Einstieg in den deutschen Nachrichtenmarkt zu erreichen. Diese Gründungen haben allerdings nur kurzen Bestand.[7] Insgesamt kann Reuter sich nicht gegen den von der preußischen Regierung unterstützten Wolff’schen Dienst durchsetzen und gibt – unter erheblichen finanziellen Verlusten - 1870 in Deutschland auf.[8]

Am 1. Februar 1870 kommt es zur Unterzeichnung des ersten einer Reihe von Kartellverträgen zwischen den oben genannten drei großen europäischen Gründeragenturen, der mehr als ein halbes Jahrhundert lang erhebliche Folgen für den internationalen Nachrichtenfluss haben sollte. In diesem Vertrag erklärt sich Reuter bereit, alle seine deutschen Verbindungen an Wolff zu übergeben. Bedeutender ist jedoch, dass darin die Agenturen die Welt unter sich aufteilen und ihre Interessensphären festlegen, in denen sie ausschließlich oder auch gemeinsam Nachrichten sammeln und verbreiten dürfen. Drei Jahre später schließt sich die amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press (AP) ebenfalls diesem Kartellvertrag an. Reuter schneidet darin relativ gut ab: Neben dem Vereinigten Königreich und dem gesamten Britischen Empire gehören Holland und Ostasien zu seinem Interessenbereich, dazu kommen – gemeinsam mit der Agence Havas – Belgien, Teile des Balkans und des Nahen Ostens. Der Grundstein für die künftige Weltgeltung der Agentur ist damit gelegt.

Paul Julius Reuter stirbt 1899 im Alter von 83 Jahren in Nizza. Sein Sohn Herbert de Reuter übernimmt das Unternehmen und leitet es bis zu seinem Selbstmord 1915.[9] Er weitet die Aktivitäten von Reuters nach Indien, Australien, Neuseeland und in den Fernen Osten aus.[10]

2.2 Reuters unter Roderick Jones (1915 bis 1941)

Die Entwicklung von Reuters zwischen 1915 und 1941 prägt in besonderem Maße Roderick Jones, der in diesem Zeitraum das Unternehmen leitet.[11]

1916 wird die Nachrichtenagentur reorganisiert und in die Private Company Reuter’s Ltd. umgewandelt. Während des Krieges gerät die Agentur in den Sog der propagandistischen Auseinandersetzungen. In Deutschland werden schwere Vorwürfe gegen Reuters erhoben.[12]

Nach dem Ersten Weltkrieg gerät die Zusammenarbeit der Gründeragenturen durch neugegründete nationale Nachrichtenagenturen, die nicht dem Kartell angehören, ins Wanken. Reuters und Havas, die Agenturen der Siegermächte, entschädigen sich zum Teil durch die Aufteilung des Gebietes von Wolff beziehungsweise erklären dessen Gebiete zu monopolfreien Sphären, in denen nun jeder Nachrichten sammeln und verbreiten darf.[13]

Im Jahr 1925 bietet Roderick Jones den britischen Zeitungen die Aktien von Reuters an. Seinem Willen nach sollen die Provinzzeitungen (Press Association) und die Londoner Zeitungen (Newspaper Association) je eine Hälfte der Aktien von Reuters übernehmen. Nur die Press Association akzeptiert das Angebot und wird damit Hauptanteilseigener des Unternehmens.[14] Damit befindet sich Reuters erstmals nicht mehr in privater Hand.[15] 1929 gehört der Press Association – abgesehen von einem Minderheitsanteil von Jones – das Unternehmen ganz.[16]

Insbesondere die AP versucht nach dem Ersten Weltkrieg, die durch die Kartellverträge gesetzten Schranken aufzuheben. 1933 kommt es zwischen der AP und Reuters zu einem Konflikt über die Nachrichtenversorgung von und nach Japan, in dessen Folge Reuters verärgert seine Beziehungen zur AP abbricht. Am 1. Juli 1934 treten neue Nachrichtenverträge in Kraft, die allen Agenturen das Recht zusichern, in jedem Land der Welt Nachrichten zu sammeln und zu verbreiten. Damit endet nach über 60 Jahren das traditionelle System der Nachrichtenaustauschverträge.

Bis 1939 bleibt das Welt-Nachrichtenwesen aber fest in der Hand von Reuters, Havas und AP, sowie der 1925 neu hinzugekommenen sowjetamtlichen Nachrichtenagentur TASS.[17]

2.3 Reuters im Nationalsozialismus

2.3.1 Presselenkung im Dritten Reich

Wie funktioniert überhaupt die nationalsozialistische Presselenkung in bezug auf ausländische Nachrichtenagenturen?

In den ersten Jahren der Machtergreifung konzentriert sich die neue Regierung hauptsächlich auf die Umformung und Gleichschaltung der deutschen Presse.

Erst durch außenpolitische Aktivitäten und die so entstandenen Konflikte wird der ausländischen Presse mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht.[18]

Die deutsche Einflussnahme auf die ausländische Presse erfolgt im wesentlichen gegenüber in Deutschland akkreditierten Journalisten.

Diese Einflussnahme wird vor allem durch folgende Maßnahmen erreicht:

- Information
- Betreuung
- Kontrolle und Zensur[19]

Für die Durchsetzung dieser Politik sind verschiedene Institutionen zuständig. Die Anzahl dieser Institutionen steigt mit der zunehmenden Kontrolle der Presse und anderer Bereiche im Dritten Reich.

Das komplexe und weitverzweigte System der Presselenkung im Dritten Reich werden wir an seinen wichtigsten Institutionen nur kurz anreißen, da dieses Thema eine eigene Hausarbeit erfordert. Es besteht also hier nicht der Anspruch darauf, diese Seite der Presslenkung vollständig abzuhandeln.

Das wichtigste Ministerium ist das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP), an dessen Spitze der Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels steht. Seine Aufgaben und die Aufgaben des Ministeriums sind:

- die ideelle Einwirkung auf die Nation
- Werbung für Staat, Kultur und Wirtschaft
- Unterrichtung der in- und ausländischen Öffentlichkeit[20]

Die Zuständigkeit für ausländische Presse, welche vormals beim Ausländischen Amt lag, wird dem am 13. März 1933 gegründeten RMVP übertragen.

Im ersten Jahr ignoriert Goebbels noch die ausländischen Pressevertreter. Erst der Einmarsch in Österreich leitet einen Wendepunkt in der Pressepolitik ein. Die Notwendigkeit zum Kontakt mit der ausländischen Presse kann nicht mehr ignoriert werden, weshalb Goebbels im April 1938 eine „Abteilung für ausländische Presse“ einrichtetet.

Im ganzen gibt es nunmehr drei Stellen, die sich mit ausländischen Pressevertretern beschäftigten:

(1) Die von Goebbels eingerichtete „Abteilung für ausländische Presse“ im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda.
(2) Die Pressestelle des Auswärtigen Amtes, die vor allem beauftragt ist, Informationen über die Berichterstattung der in- und ausländischen Presse zusammenzutragen.
(3) Die Pressestelle der NSDAP, welche die Pressepolitik in Deutschland lenken soll, die ab 1933 über ein Auslandspresse-archiv verfügt, in dem alle Informationen über ausländische Journalisten auf Karteikarten katalogisiert werden.[21]

Hierbei wollen wir es belassen und fügen nur erklärend zu, dass nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten schnell ein Presseapparat der Zensur und Kontrolle im Sinne des Staates aufgebaut wird, welcher bis ins kleinste Detail durchdacht und organisiert ist.

[...]


[1] vgl. Bauer/Wilke 1993, S. 15

[2] Bauer/Wilke 1993, S. 16, zit. nach Werner von Siemens: Lebenserinnerungen, München 1956, S. 77

[3] vgl. Bauer/Wilke 1993, S. 16

[4] vgl. Wunderlich 1991, S. 35

[5] vgl. Bauer/Wilke 1993, S. 16

[6] Bauer/Wilke 1993, S. 17, zit. nach Otto Groth: Die Zeitung. Ein System der Zeitungskunde (Journalistik). 1. Band. Mannheim/Berlin/Leipzig 1928, S. 491

[7] vgl. Bauer/Wilke 1993, S. 17

[8] vgl. Wunderlich 1991,

[9] vgl. Bauer/Wilke 1993,

[10] vgl. He 1996, S. 283

[11] vgl. Weischenberg 1985, S. 489

[12] vgl. Bauer/Wilke 1993, S. 18

[13] vgl. Schenk 1985, S. 56

[14] vgl. He 1996, S: 284

[15] vgl. Kloth 1992, S. 90

[16] vgl. Weischenberg 1985, S. 489

[17] vgl. Schenk 1985,

[18] vgl. Schumacher 1998, S. 27

[19] Longerich 1987, S. 279 , zit. nach Schumacher 1998, S. 27

[20] vgl. Schumacher 1998,

[21] vgl. Schumacher 1998,

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Die Nachrichtenagentur Reuters - Geschichte, Strukturen und Funktionsprinzipien
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Publizistik und Kommunikationswissenschaft)
Veranstaltung
Das internationale Nachrichtenwesen
Note
sehr gut (1)
Autoren
Jahr
2003
Seiten
35
Katalognummer
V10794
ISBN (eBook)
9783638171304
ISBN (Buch)
9783638757409
Dateigröße
594 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nachrichtenagenturen, Reuters, Nachrichtenwesen, Nachricht
Arbeit zitieren
Ida Krenzlin (Autor:in)Kornelia Nespital (Autor:in)Anja Stielow (Autor:in), 2003, Die Nachrichtenagentur Reuters - Geschichte, Strukturen und Funktionsprinzipien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10794

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