Der Glaube des Herzogs in Dürrenmatts "Der Blinde"


Seminararbeit, 2002

22 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zum Verstehen des Glaubens des Herzogs
2. 1. Der Glaube in seinen Erscheinungsformen/Definition des Glaubens
2. 2. Über Dürrenmatt
2. 2. 1. Kurzbiographie Dürrenmatts
2. 2. 2. Der Glaube Dürrenmatts
2. 2. 2. 1. In seiner Jugend
2. 2. 2. 2. Das Labyrinth
2. 2. 2. 3. Glaube der Eltern/Dissertation
2. 2. 2. 4. Auseinandersetzung mit dem Katholizismus und dem Glauben

3. Betrachtungen über den Glauben des blinden Herzogs
3. 1. Die Blindheit
3. 2. Der Herzog
3. 3. Der Glaube der Umwelt
3. 3. 1. Negro da Ponte
3. 3. 2. Palamedes
3. 3. 3. Octavia
3. 3. 4. Gnadenbrot Suppe/Die restlichen Handelnden

4. Über den Glauben des Herzogs
4. 1. Konfession des Herzogs
4. 2. Der Glaube des Herzogs
4. 3. Indirekte Zweifel des Herzogs im Glauben

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Glaube des Herzogs muß in verschiedenen Punkten gedeutet und behandelt werden. Der Glaube kann also hier nicht isoliert gesehen werden. Das Zusammenspiel mit dem Glauben Dürrenmatts, der Person und der Umwelt des Herzogs, dem Verlauf des Stücks und der Blindheit, ergeben den Glauben des Blinden. Der Glaube kann also schon z. T. anhand dieser Punkte erörtert und bewertet werden.

Dürrenmatt setzt sich in dem Stück „Der Blinde“ mit dem Glauben in seinen Grundfesten, in seinem Fundament auseinander. Die Handlung spielt gegen Ende des 30-jährigen Krieges (1618-1648), der unter dem Mantel eines Glaubenskrieges Katholizismus gegen Protestantismus geführt wurde. Auch dreihundert Jahre später, zu Zeiten des 2. Weltkrieges wurden Angehörige des jüdischen Glaubens systematisch verfolgt. Die vielen Opfer, der Tod und die Rede von einem guten Gott, der solches Leid zuläßt, haben Dürrenmatt wohl u.a. dazu bewegt dieses Drama im Winter 1947/48 zu schreiben.

2. Zum Verstehen des Glaubens des Herzogs

2. 1. Der Glaube in seinen Erscheinungsformen/Definitionen des Glaubens

Um einen Glauben zu verstehen, muß man ihn zuerst definieren. Eine Definition für bestimmte Glaubensrichtungen (Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus usw. oder Monotheismus - Polytheismus) legen verschiedene Glaubensaussagen der jeweiligen „Kirchen“ als Dogma fest. Diese zu erörtern würde den Rahmen sprengen. Die Frage, die uns hier beschäftigt ist nur: Was ist „Glaube“ und wie erfährt/vollzieht man ihn? Glaube ist das, an was man glaubt. Leichter kann man dies nicht mehr definieren. Der Glaube vollzieht sich im täglichen Leben. Nicht nur in der Religion (Rel. Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an die heilige katholische Kirche“), auch im täglichen Zusammensein mit den Mitmenschen („Ich glaube dir“) und sachlichen Dingen und Situationen („Ich glaube an meinen Glücksbringer“,„Ich glaube die Herdplatte ist ausgeschaltet.“). Trotz allem können wir eine Definition aus der Bibel entnehmen, die da sagt: „Glaube ist Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.“(Hebr. 11,1).

Es gibt verschiedene Arten und Weisen zu glauben:

Die erste Art ist sich Kenntnisnahme von den Dingen zu verschaffen und daraus Schlüsse zu ziehen. Dieser Glaube ist ein Mangel an Wissen. Als Beispiel: „ Der FCK wird Meister.“ Diese Aussage beruht darauf, daß die Möglichkeit besteht, Meister zu werden. Allerdings kann man die Aussage nicht begründen. Sie gründet auf Hoffnung und Vermutung.

Die zweite Art ist, nach der Kenntnisnahme der Dinge, nun vom Desinteresse gelenkt, an die Dinge zu glauben, z. B. man hört eine Wettervorhersage im Radio. Weder interessiert man sich für die Wettervorhersage, noch für das zustande kommen dieser Aussage, die i.d.R. auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht und/oder aus dem Resultat einer Analyse von Experten oder Menschen, die sich damit beschäftigen. Vom Desinteresse dieser Aussage oder der Situation gelenkt glaubt man ihr.

Die dritte Art ist, sich wieder Erkenntnisse von den Dingen zu verschaffen. Diese dann aber auch kennen und wissen. Dieser Glaube ist Hochform an Wissen. Als Beispiel hierfür wäre zu nennen, wenn eine Person bezichtigt wird eine Gewalttat begangen zu haben. Man selbst kennt diese Person sehr gut und vertraut ihr. Die Person beteuert ihre Unschuld. Man selbst erwidert: „Ich glaube dir“ oder „Ich glaube an dich“. Es ist ein Zeichen von Vertrauen. Aber nicht von Vertrauen, weil man selbst es nicht weiß, sondern weil man es selbst genau weiß und der Person dadurch vertraut. Dieser Glaube und das Vertrauen ist eine Hochform, weil es das Wissen und die Fakten übersteigt und in eine Ich-Du-Ebene eingeht. Dieses wird mit dem ganzen menschlichen Wesen gesprochen. Auf dieser Ebene und in dieser Beziehung geschieht nicht nur menschliches (die Liebe, Freundschaft und Vertrauen zwischen den beiden Menschen), sondern es geschieht auch göttliches (die Liebe und das Vertrauen zu Gott)1. In diesem Glauben offenbart sich Gott den Menschen, wie der Mensch sich auch seinem Mitmenschen offenbart.

Genau mit dieser Form des Glaubens soll der Mensch an Gott glauben, aber auch an sich selbst und seine Mitmenschen.

2. 2. Über Dürrenmatt

2. 2. 1. Kurzbiographie Dürrenmatts

Friedrich Dürrenmatt wurde als Sohn eines protestantischen Pfarrers am 5. Januar 1921 in Konolfingen im Kanton Bern geboren. In der Stadt Bern absolvierte er seine Maturität (ähnlich dem deutschen Abitur) und studierte dann Philosophie, Literatur und Naturwissenschaften in Bern (1941 bis 1946), sowie in Zürich (1942/43). Das Studium schloß er nach 10 Semestern ohne akademischen Abschluß ab. Er beschäftigte sich mit der Malerei und dem Schreiben, wobei er sich schon früh auf das Schreiben konzentrierte, die Malerei aber nie aufgab. Von 1946 bis 1948 lebte er in Basel, danach von 1948 bis 1952 am Bieler See und anschließend bis zu seinem Tod 1990 in Neuchatel. Seit 1946 bis zu deren Tod 1983 war er mit der Schauspielerin Lotti Geißler verheiratet. Mit ihr hatte Dürrenmatt drei Kinder. Eines davon, sein Sohn, wurde ebenfalls Pfarrer. Seit 1984 war er mit Charlotte Kerr verheiratet. Am 14. Dezember 1990 starb Dürrenmatt an einem Herzinfarkt.

2. 2. 2. Der Glaube Dürrenmatts

2. 2. 2. 1. In seiner Jugend

Um den Glauben des blinden Herzogs zu verstehen oder zumindest versuchen zu verstehen, sollte man zuerst Dürrenmatts eigenen Glauben untersuchen. Genau diese Herangehensweise fordert Dürrenmatt selbst: „...denn in meinen Stoffen drückt sich, da ich Schriftsteller bin, mein Denken aus,...“2. Dürrenmatt, obwohl er der Sohn eines protestantischen Priesters und einer gläubigen Mutter ist, setzt sich im Elternhaus kaum mit dem Glauben auseinander. Er hat wohl eine distanzierte Betrachtungsweise: Als Kind spielte er auf dem Friedhof Verstecken und versteckte sich dabei einmal in einem Grab als die Beerdigungsgesellschaft kam.

Der Vater erzählte ihm viel von den Griechen, wobei er sich schon hier mit dem Bild von Minotaurus´ Labyrinth auseinandersetzte. In der Sonntagsschule, die die Mutter leitete, wurde oftmals von der Sintflut erzählt. Auch dies war für Dürrenmatt, der sich in seinen Bildern oftmals mit der Apokalypse, dem Gottesgericht und dem Versagen der Menschheit auseinandersetzte Inspiration. Zum Vater hatte er ein distanziertes Verhältnis. Obwohl er viel mit ihm unternahm „dachte (er, Dürrenmatt - P.C.) wenig an und noch weniger über ihn nach.“3. Die Gnade Gottes beschäftigte ihn erstmals in Bezug auf die Missetaten der Bauern. Obwohl diese Inzest und Sodomie betrieben, wurden sie doch nicht alle durch Gott bestraft (Gott strafte diese vor allem durch Blitzeinschläge)4. Auf ein Labyrinth trifft Dürrenmatt erstmals als die Familie nach Bern, weg vom Land hinein in die Stadt zog. Es war für den jungen Dürrenmatt eine Ausweglosigkeit sich in der großen Stadt zurecht zu finden.

Der Student Friedrich Dürrenmatt ruft sich in seiner Bude als „nihilistischer Dichter“, so sein Türschild, aus. Aber auch dies zeigt eine gewisse Religiosität wenn Dürrenmatt die russische Revolution „religiös durch ihren Atheismus“5 bezeichnet.

2. 2. 2. 2. Das Labyrinth

Das Labyrinth hat für Dürrenmatt eine zentrale Bedeutung inne. Sie beginnt mit der antiken Sage der Griechen von Minotaurus, der in einem Labyrinth eingesperrt wurde. Minotaurus hat den Kopf eines Stieres, sein Leib ist der eines Menschen. Seine Mutter war Pasiphae, sein Vater ein Opferstier und sein Stiefvater Minos. Minos ließ ihm von Dädalus ein Labyrinth bauen und alle neun Jahre zu dessen Fütterung sieben Jungfrauen und sieben junge Männer bringen, die wie Minotaurus nie aus dem Labyrinth herauskamen. Theseus ein „Schwager“ Minotaurus´ tötete ihn dann schlußendlich. Hierbei stellt sich Dürrenmatt die Frage, ob Minotaurus in seinem Labyrinth nicht wunschlos glücklich war, weil er nicht wie die Götter, die „oft unermeßliches Leid über die Sterblichen ausschütteten, um an deren Leid ihr göttliches Glück zu fühlen, und sei es für Momente nur.“6 Minotaurus war sein eigener Gott, weil er sein eigenes Universum hatte - das Labyrinth. Er brauchte so nicht wie die anderen Götter zu leiden. Dadurch das Minotaurus getötet und eingesperrt wurde, wurde er bestraft. Dürrenmatt sieht die Bestrafung Minotaurus, was klar nachzuvollziehen ist darin, daß dieser ohne selbst schuldig geworden zu sein geboren wurde. Dürrenmatt kann sich in der Sage erkennen als Minotaurus: „...denn die Welt, in die ich hineingeboren wurde, war mein Labyrinth.“, aber auch als Dädalus, der das Labyrinth erschuf: „denn jeder Versuch, die Welt, in der man lebt, in den Griff zu bekommen, sie zu gestalten, stellt einen Versuch dar, eine Gegenwelt zu erschaffen, in der sich die Welt, die man gestalten will, verfängt wie der Minotaurus im Labyrinth“7. Die Sage des Minotaurus sieht Dürrenmatt als Gleichnis, mit mehreren tertia comparationis.

Das Labyrinth ist aber keineswegs Dürrenmatts Glaube, sondern eine Haltung und Einstellung zum Leben, ein Lebensweg. Dies wird deutlich, wenn er auf den Winterkrieg bezug nimmt: „Wir können dem Labyrinth nicht entgehen.“8

2. 2. 2. 3. Glaube der Eltern/Dissertation

Probleme hatte Dürrenmatt vielleicht auch mit der Gnade Gottes, weil seine Mutter diese immer auf seine Erfolge bezog und er zu seiner Mutter eine geistige Blockade aufgebaut hatte.

Mit dem Vater gab es hier andere Probleme. Nach der Maturität wollte dieser, daß Dürrenmatt ebenfalls Pfarrer würde. Dürrenmatt lehnte dies allerdings ab. Sein Vater unterstützte ihn aber trotzdem weiter. Durch ihn kam er zu Karl Barths Römerbrief und Nietzsches Also sprach Zarathustra. Dürrenmatts Vater sah im Christentum keinen fundamentalen Glauben, er sah allerdings in jedem Vorgang und in jedem „Sein“ eine Spur des Christentums. Er setzte seinen Sohn nicht unter Druck und ließ ihm so seine Freiheiten.

Mit dem Protestantismus und damit indirekt mit seinem Vater als protestantischer Pfarrer setzte sich Dürrenmatt auseinander wenn er sagt: „Ich bin Protestant. Ich protestiere.“ oder auch direkter: „Der Protestantismus war schwankend, die Ehrfurcht vor der Obrigkeit eingewurzelt, Gott selbst hatte die Ordnung gesetzt, zwischen der Obrigkeit und den Untertanen gab es keine Instanz, der Protestantismus mußte sich gleichsam ´katholisieren´.“9

Dürrenmatts Beschäftigung mit Kierkegaard und das Tragische (Thema seiner Dissertation):

„Der religiöse Mensch ist durch sein Verhältnis zu Gott bestimmt Gott offenbart sich nur im Glauben.“ so Kierkegaard, der Gott „nur denken, aber nicht mehr glauben“10 konnte. Dürrenmatt folgert für sich daraus, daß Gott für ihn nicht mehr denkbar ist und er somit auch an ihn nicht glauben kann.

2. 2. 2. 4. Auseinandersetzung mit dem Katholizismus und dem Glauben

Paulus, von Dürrenmatt als der erste „religiöse Atheist“ bezeichnet, sieht Gott (und so sieht es Dürrenmatt auch) als etwas Transzendentes, etwas Subjektives. Gott läßt sich nicht einfach verobjektivieren. Dürrenmatt kritisiert Paulus dahingehend, daß dieser vom Sohn Gottes spricht und so Jesus als echten (wohl auch biologischen) Sohn Gottes sieht. Dies mißversteht Dürrenmatt allerdings: Paulus, der in der Diaspora die Menschen zum Christentum bekehrte, benötigte Vergleiche zum Messias. Dieser Messias ist in der jüdischen Kultur verankert, nicht aber in der hellenistischen und römischen. Als Vergleich benutzte Paulus so den Sohn, der in den Götterglauben der Griechen und Römern beheimatet ist und somit für die gläubigen Christen dieser Kultur verständlicher ist. Durch die „Sohn - Gottes - Lehre“ und die Lehre der Trinität, sowie deren Beziehung zu Maria stellt sich im Gegenzug auch die Frage nach dem Bösen. Dieses beantwortet Karl Barth so: „´Das Nichtige ist das, was Gott nicht will. Nur davon lebt es, daß es das ist, was Gott nicht will. Aber davon lebt es: weil und indem nicht nur Gottes Wollen, sondern auch Gottes Nichtwollen kräftig ist und also nicht ohne reale Entsprechung sein kann. Die reale Entsprechung des göttlichen Nichtwollens ist das Nichtige.´“11 Die Frage, die sich Dürrenmatt nun stellt ist, ob Gott und Teufel in gleicher Position stehen, also der Teufel neben Gott gleichwertig als dessen Gegenpart existiert, oder ob der Teufel Gott untergeordnet und von diesem nur geduldet wird, damit der Mensch selbst zwischen diesen beiden in Freiheit wählen kann. Dürrenmatt ist der Meinung, daß Gott „eine ganz andere Schöpfung“ wollte, ein ewiges Paradies. Dies spricht aber gegen die Freiheit des Menschen, der aus diesem Paradies nie ausbrechen könnte, genauso wie wenn Dürrenmatt schreibt, dass Gott Mensch wurde und unschuldig starb. Jesus starb nicht unschuldig, sondern „für die Menschen (und deren Sünden) und zu unserem Heil“ (Worte bei der Wandlung). Dürrenmatts Kritik an der katholischen Kirche entzündet sich daran, daß alle die nicht an Gott glauben (z. B. auch die Juden in den Kzs) in die Hölle fahren, dagegen deren Mörder, die Christen sind und später Buße tun gerettet werden. Dies widerspricht dem Glaubensbekenntnis der katholischen Kirche „...von dort wird er (Gott) kommen, zu richten die Lebenden und die Toten...“, sowie Jesus am Kreuz, wenn er zu einem mitgekreuzigten Räuber sagt: „Noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“

Dürrenmatt behält absolut Recht mit seiner Aussage: „In der Theologie vollzieht der Glaube Selbstmord: Er glaubt zu wissen.“12 Diese dogmatische Aussage „Der Glaube glaubt zu wissen“ war und ist für die katholische Kirche ein alleiniger Herrschaftsanspruch und übergeht die anderen Religionen, sowie seine Wurzeln im Judentum. Genau diese Aussage macht die Kirche von heute fundamentalistisch. Aber gerade dadurch, dass der Glaube glaubt zu wissen, fordert er von den Gläubigen die Hingabe: die oben beschriebene Hochform des Glaubens.

„Ohne Glauben kommt niemand aus, doch der Glaube ist nicht darzustellen,... Bekennen kann einer nur seinen Unglauben an etwas, seinen Zweifel.“13 und so bekennt Dürrenmatt oftmals seinen Unglauben an das Christentum (protestantisch wie katholisch), indem er anzweifelt: „Das Christentum lebt vom Gegensatz, den es zwischen dem Jenseits und dem Diesseits, dem Schöpfer und der Schöpfung, zwischen Gott und Mensch, ja zwischen Mensch und Mensch und zwischen Mann und Frau setzt.“14

Allerdings bekennt er auch nicht, daß er Atheist ist. Denn dann würde er ja an nichts glauben und dies wäre letztendlich auch ein Glaubensbekenntnis.

Um auf Jesus wieder zurückzukommen, beschäftigen wir uns mit den Aussagen Dürrenmatts über Jesus: Er glaubt weder an die Wunder, noch an die Auferstehung und Himmelfahrt, noch daran, daß Jesus der Sohn Gottes ist und auf übernatürliche Weise von der Jungfrau Maria empfangen wurde. Dies begründet er damit, daß „wer ist, keinen Schein braucht, um sein Sein zu beweisen.“ Womit er, wie ich selbst zugebe, vollkommen recht hat, allerdings sind die Wunder, die Auferstehung und Himmelfahrt kein Schein, sondern Glaubensgrundsätze. Sehr beeindruckt ist Dürrenmatt zumindest von der Bergpredigt Jesu, die auch für Nichtchristen einen Lebensvollzug bietet und für die Christen zugleich ein Glaubensvollzug ist.

Seine Zweifel am Glauben begründet er damit, daß „es doch nichts Zweifelhafteres als einen Glauben gibt, der den Zweifel unterdrückt. Gibt es einen Gott, über dessen Existenz kein Mensch zu entscheiden vermag, so ist der Zweifel an seiner Existenz nichts als der von Gott gewählte Schleier, den er vor sein Antlitz senkt, seine Existenz zu verbergen; gibt es ihn nicht, so sind die Worte, mit denen wir über ihn spekulieren, in den Wind gesprochen, der sie davonträgt wie alle menschlichen Worte.“15

Schlußendlich schreibt Dürrenmatt dann selbst, wie er konkret seinen Glauben sieht: „Nun bin ich selber Christ, genauer, Protestant, noch genauer, ein sehr merkwürdiger Protestant, einer, der jede sichtbare Kirche ablehnt, einer, der seinen Glauben für etwas Subjektives hält, für einen Glauben, der durch jeden Versuch, ihn zu objektivieren verfälscht wird, einer, dem das subjektive Denken wichtiger ist als das objektive Denken.“16

3. Betrachtungen über den Glauben des blinden Herzogs

3. 1. Die Blindheit

Die Blindheit des Herzogs vollzieht sich nicht nur physisch, sondern und vor allem auch psychisch. Der Herzog will nicht sehen, was um ihn herum geschieht. Es wäre auch durchaus möglich, daß der Herzog seine Umwelt erkennt, sie aber nicht sehen (wahr haben) will. Eine Verhaltensweise, die im Dritten Reich und auch heute, durchaus üblich war und ist. Der Herzog ist so blind, wie viele Menschen, Priester und Bischöfe auch waren, die das Leid des Krieges und des Holocaust nicht sahen.

Durch seine Blindheit könnte sich der Herzog der Wirklichkeit bewußt entziehen wollen. Dies wird dadurch noch verdeutlicht, als der Herzog seinen Hofdichter, der ihm „die Augen öffnen will“ tötet („Du wolltest mir die Wahrheit eines Sehenden geben und hast die Wahrheit eines Blinden bekommen.“17 ). Der Blinde sieht in seiner Blindheit die Gnade Gottes.

In den antiken Theatern der Griechen waren es Blinde, die sahen. Blinde, die die Zukunft voraussahen und die Menschen warnten. Der Herzog sieht nur die Vergangenheit, aber vielleicht auch nur deshalb, weil er die Gegenwart und die Zukunft kennt. Er hält sich an der Vergangenheit als letzten Strohalm fest, da diese ihm noch die Sicherheit, Geborgenheit, Freude, Liebe und Glück (Herzog: „Ich bin glücklich.“18 ) bieten, die er sich wünscht.

So wie der Herzog zu blind ist, um sein Umfeld wahrzunehmen, so ist er auch zu blind, um seinen Glauben wahrzunehmen. Die Frage, die sich hier stellt ist: Ist der Herzog blind im Glauben oder vor dem Glauben? Dürrenmatt selbst war blind vor dem Glauben. Er sah für sich keinen Glauben und konnte sich nicht auf einen festlegen. (s.o.) Der Herzog ist aber nicht vor dem Glauben blind. Er sieht und erkennt ihn und so ist der Blinde blind im Glauben.

Im Neuen Testament findet man in jedem der vier Evangelien die Heilung von Blindheit, so z. B. bei Lk 18,35-43. Ein Blinder bittet hier Jesus ihm wieder das Augenlicht zu geben. „Da sagte Jesus zu ihm: Du sollst wieder sehen. Dein Glaube hat dir geholfen.“ Der Unterschied zwischen diesem Blinden und dem Herzog ist, daß der Glaube des Herzogs die Blindheit akzeptiert und nicht gegen sie aufbegehrt. Genau dies verlangt aber auch Jesus, wenn er dem ungläubigen Thomas seine Wunden offenbart, damit dieser glaubt. Jesus entgegnet ihm: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Joh 20,29 Eine weitere Erkenntnis erhalten wir bei dem Johannesevangelium. Dort begegnet Jesus einem Mann, der seit seiner Geburt blind ist. „Da fragten ihn seine Jünger: Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst? Oder haben seine Eltern gesündigt, so daß er blind geboren wurde? Jesus antwortete: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden. Wir müssen, solange es Tag ist, die Werke dessen vollbringen, der mich gesandt hat; es kommt die Nacht, in der niemand mehr etwas tun kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. Joh 9,1-5. Die Blindheit des Herzog ist also mit seinem Glauben eng verbunden, allerdings ist sie auch die Folge einer Krankheit, auf die nicht eingegangen wird und die im Dunkeln verbleibt („Ich bin blind. Die Krankheit, von der ich genesen bin, hat mich blind gemacht.“19 ) Die Krankheit könnte seine vorher ruhelose Seele gewesen sein. („Die Krankheit verläßt den Leib... Ich streife ab, was mich bedrückt.“20 ), die durch die Blindheit oder Dank der Blindheit Ruhe findet, weil die Sorgen, die durch die „Lügenschlösser“ aufgebaut werden, schwinden. Gerade die Blindheit des Herzogs könnte auch dessen Gnade Gottes sein, um sein Leid dadurch, daß er es nicht sieht, zu lindern. („Der Himmel hat ihm die Augen zugehalten.“21 ) An der Gnade Gottes, an der Blindheit, geht so der Versucher Negro da Ponte zu Grunde, sowie all jene, die an der Gnade Gottes und an sich selbst verzweifeln, wie Palamedes und Octavia.

3. 2. Der Herzog

Für wen oder was der Herzog steht ist nicht so einfach zu beantworten. Hier spielen verschiedene Punkte eine Rolle: Der Herzog ist blind und im Glauben tief verwurzelt. Der Herzog könnte in Bezug auf den 30-jährigen Krieg, für den weltlichen Herrscher, der durch Gottes Gnade regiert und eingesetzt ist, stehen. Der aber, da er von der Welt nicht eingesetzt ist, diese nicht sehen darf und so als Herrscher ohne Macht nur noch agieren kann, da ihm durch seine Blindheit, weder Macht über die Welt gegeben ist, noch Macht über Religion. Da Dürrenmatt aber die Auseinandersetzung mit dem 30- jährigen Krieg und deren Auseinandersetzungen mit Kirche und Staat, sowie Protestantismus und Katholizismus kaum in dem Stück aufgreift, ist dies wohl eher zu vernachlässigen.

Der Herzog steht wohl in erster Linie für Dürrenmatt selbst. Im Gegensatz zu Dürrenmatt ist sich der Blinde in seinem Glauben sicher. Er hält fest an der Gnade Gottes und seinem Glauben. Alles um ihn herum zerbricht und geht zugrunde, außer er selbst. Die Blindheit seines Glaubens hat seine Umwelt zerstört, was letztendlich aber auch den Blinden zerstören könnte. Genau dieser Gegensatz könnte aufzeigen, daß Dürrenmatt sich als die Umwelt des Blinden sieht, als Negro da Ponte, den Versucher, und als die Kinder des Herzogs. Sie alle zerbrechen an dem Glauben (des Blinden), weil sie nicht glauben.

Daraus kann man auch die Schlüsse ziehen, daß der blinde Herzog der Vater Dürrenmatts sein könnte. Dürrrenmatt bewundert die Glaubensblindheit seines Vaters. Der Vater steht fest im Glauben. Er fordert ihn aber auch nicht von seinen Mitmenschen und seinem Sohn (s.o.). Der Herzog könnte auch einfach für einen religiösen Menschen stehen, vorzugsweise einen Katholiken, der die Gnade Gottes erfährt oder erfahren will und in seinem Glauben daher so tief verwurzelt ist. Er glaubt an ein Leben nach dem Tod und weiß sich somit zu helfen, daß es ihm im Jenseits, im ewigen Leben, besser ergeht als auf Erden (Herzog: „Wer glaubt überwindet den Tod.“22 und „Wer nicht das Leben hat, muß umkommen, und wer nicht durch den Tod geht, wird nicht das Leben haben.“23 ). Allerdings könnte der Herzog so sehr glauben, daß er den Glauben an sich darstellt. Er stellt die Kirche und hierzu seinen obersten Vertreter den Papst dar. Beide haben in den christlichen Glaubenskriegen (Kreuzzüge, 30-jähriger Krieg, aber auch 2. Weltkrieg), entweder geschwiegen oder nicht dagegen gekämpft (2. Weltkrieg) oder sogar diese unterstützt (Kreuzzüge). Eine Kirche, die die heutige Umwelt nicht mehr wahr nimmt, die nur in ihrem Glauben lebt und blind ist auf die Sorgen und Nöte der Umwelt. Was zur Zeit der Aufführung des Blinden durchaus der Fall war und erst mit dem 2. Vatikanischen Konzil (Reform an Leib und Gliedern) reformiert wurde. Im Bezug auf die vielen Kriege und die Zerstörung auch der eigenen Bevölkerung wäre in dem Herzog auch ein vollkommener Staat zu sehen, wie das 3. Reich, aber auch andere Kriegsstaaten, die ihre Bevölkerung in den Tod trieb und das Elend des Krieges und der Zerstörung nicht sehen wollte.

Wenn aber Dürrenmatt schreibt „Daher Glauben wir nicht abstrakt, sondern an eine bestimmte Person. Man glaubt an Jesus, an Moses, an Mohammed, an Buddha; man vertraut ihnen.“24 So könnte der Herzog genau diese Personen und auch andere Vorbilder wie Mahatma Gandhi darstellen, damit dem Leser einen Lebens- und Glaubensweg aufgezeigt wird. Oftmals entlehnt Dürrenmatt die Worte des Herzogs aus der Bibel (insbesondere vom NT von Jesus), so z. B. bei seinem Monolog, bevor er die Klagen seiner Untertanen hört25, wo Bergpredigt und Passion, sowie weitere Worte Jesu zwar nicht zitiert aber in ihrem Sinngehalt entlehnt werden, aber auch im kompletten Verlauf des Stückes, wenn von der Gnade Gottes und dem Glauben geredet wird („Was mir gehört, gehöre euch. Schenkt Eure Liebe denen, die Euch hier umgeben.“26 ). Am Ende wird dies noch deutlicher „Wer nicht das Leben hat, muß umkommen, und wer nicht durch den Tod geht, wird nicht das Leben haben.“27 Hier begegnen sich die Worte des Herzogs mit den Worten Jesu, wenn dieser sagt: „Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“(Mt 10,39)28. Wollte so Dürrenmatt also einen Jesus darstellen, der ebenfalls eine unendliche Demut besaß und auf Gott(vater) vertraute, daß er sogar durch den Tod ging? Eine gewisse sprachliche Nähe ist zwar klar zu erkennen, aber der Unterschied zeigt sich in der Blindheit. Jesus sah seine Umwelt und erkannte die Zeichen der Zeit. Er war seiner Zeit voraus, während der Herzog in der Vergangenheit lebt. Der Herzog ist auch kein Prophet und auch kein Friedensstifter, wie die anderen oben genannten Personen. Er besitzt seinen persönlichen Frieden, der ihn glücklich macht und der durch seinen Glauben getragen wird.

Eine Nähe zu Hiob dagegen ist unbestreitbar und diese Nähe zeigt sich in seinem Glauben.

3. 3. Der Glaube der Umwelt

Der Glaube des Herzogs ist ohne den Glauben seiner Umgebenden nicht zu verstehen. Zwar drückt sich auch der Glaube Dürrenmatts in dem Stück aus, wenn man das Stück aber intern analysiert, wirkt der Glaube der Umgebung auf den Glaube des Herzogs direkt ein, was auch zwangsläufig nötig ist, da der Herzog blind ist und so den Glauben der Umwelt und deren Worte aufnehmen und ihnen Glauben schenken muß.

3. 3. 1. Negro da Ponte

Es wäre davon auszugehen, daß Negro da Ponte als Italiener dem katholischen Glauben angehört. Negro da Ponte kämpft aber auf Seiten Wallensteins und/oder der Schweden und stellt als Verführer, den Herzog auf die Probe. Somit darf man also in Negro da Ponte keinesfalls den gläubigen, katholischen Italiener sehen, da wenn dies der Fall wäre, Negro da Pontes Verhalten völlig fehl wäre und er somit seinen eigenen Glauben in Frage stellen muß. Der Italiener ist im Theaterstück also ausschließlich aus der Sicht als Verführer des Herzogs zu sehen und hier gerade noch als Verführer aus den eigenen Reihen mit großem Vertrauen (als ernannter Statthalter eines Blinden). Als auftretender Satan, der den Hiob (hier den Herzog) verführt kann er nicht an Gott glauben. Dies versucht er auch dem Herzog beizubringen und durch seine Taten zu zeigen. Doch wie bei Hiob so scheitert auch Negro da Ponte kläglich an den Glauben, da der Glaube des Herzogs alles erduldet.

3. 3. 2. Palamedes

Palamedes, der Sohn des Herzogs, tritt auch in Homers „Ilias“ auf. Dort entlarvt er Odysseus. Genau hier verhält sich die Person zum Gegenteil. Palamedes täuscht seinem Vater eine heile Welt vor, um diesen den Seelenfrieden zu garantieren. Als Palamedes dann entscheiden muß, entweder die Wahrheit zu verkünden (und sich somit selbst der Lüge und Täuschung des Vaters zu bezichtigen) oder weiterhin an dem Glauben, den sein Vater umfängt festzuhalten, entschließt er sich für das letztere. Egal, wie er sich entschieden hätte, so oder so, wäre er verzweifelt. Er hält an seiner Täuschung fest und muß somit als Verräter sterben.

Palamedes ist, wie alle anderen an dem Glauben des Herzogs und an dem eigenen Unglauben („Mein Vater ist ein Narr, weil er an Gott glaubt, und ich denke mir einen Gott, weil ich ein Narr bin.“29 ) zerbrochen. Der Glaube Palamedes beschränkt sich auf einen gerechten, strafenden Gott („Gerecht (ist Gott -P.C.), Hofdichter: Sonst wäre die Welt keine Hölle.“30. Wie Palamedes an Gott zweifelt, so auch an dem Menschen31. Der Glaube allein aber schützt vor der Verzweiflung, treibt aber den Menschen in den Wahn („Durch mein Urteil werdet ihr sehen, was der Glaube des Menschen ist; ein Wahn, den sich dieses Geschöpf machen muß, um nicht zu verzweifeln.“32 )

3. 3. 3. Octavia

Octavia tritt in der Geschichte als Schwester des Kaiser Octavian und Frau Marcus Antonius auf. Sie zeichnete sich durch ihre Treue aus. Auch hier ist wieder ein Gegensatz zu erkennen. Octavia ist treulos ihrem Vater und Bruder gegenüber. Sie entscheidet sich für Negro da Ponte und somit gegen ihre Familie. Diese Entscheidung, und somit der Glaube an diesen und ihre neue Stellung an der Seite des Verführers bringen auch sie zu Tode. Dadurch, daß sie sich gegen den Glauben ihres Vaters stellt („Der Liebe meines Vaters setzte ich meinen Haß entgegen wie ein Schild.“33, „Wie bin ich ganz ohne Gnade, ohne Hoffnung, ohne Glaube!“34 ) zerbricht sie, wie ihr Bruder an ihm und, so könnte man deuten, sieht keinen anderen Ausweg mehr als ihre Selbsttötung.

3. 3. 4. Gnadenbrot Suppe/die Restlichen Handelnden

Des Hofdichters Glaube wird in dem Stück nicht dargelegt und kann somit nicht bewertet werden. Aber auch er stirbt und zwar direkt an dem Glauben des Herzogs. Suppe will als Trägödienschreiber, der an der Einheit des Theaters und dessen Ordnung strikt festhält dem Herzog auch die Ordnung der Welt aufzeigen, die sich als Sehender in eine Unordnung verwandelt hat. Durch den Versuch den Glauben des Blinden zu zerstören, muß zwangsläufig auch der Hofdichter, wie alle anderen, die dies versuchen zu Grunde gehen. Dies geschieht durch den Mord, den der Herzog tätigt.

Die restlichen Handelnden zeichnen sich durch ihre Gegensätzlichkeit aus: Ein Neger spielt Wallenstein, eine Dirne spielt eine Äbtissin und Gräfin, ein Schauspieler ein französischer Chevalier. Durch diese Gegensätzlichkeit wird für den Zuschauer aber der Glaube des Herzogs noch gestärkt. Er wird mehr erfahrbar und tiefgründiger.

4. Über den Glauben des Herzogs

4. 1. Konfession des Herzogs

Welche Konfession der Herzog hat, ist keineswegs einfach zu beantworten. Dürrenmatt selbst scheint ihm, nach dessen Aussagen im Anhang, den katholischen Glauben überzustülpen. In dem Theaterstück selbst, äußert sich der Herzog nie zu seiner Konfession. Eindeutig ist nur der monotheistische Glaube. Also kommen die drei großen Religionen Christentum, Judentum und Islam in Betracht. Aufgrund der historischen Situation 30-jähriger Krieg auf deutschem Gebiet und den Bekenntnissen des Herzogs kann man den Islam und auch das Judentum ausschließen. Trotzdem wäre das Judentum durchaus noch in Betracht zu ziehen. Die Verweise auf das Buch Hiob und die Darstellung Hiobs in dem Schloß können diese These nur bestätigen. Die Verweise zu Hiob mildern den Glauben in Richtung Protestantismus. Das zentrale Thema im Blinden ist die Gnade Gottes. Der Herzog deutet in unzähligen Passagen darauf hin. Genau dieses Thema ist auch ein zentrales Thema des katholischen Glaubens und dies war auch ein tragender Grund zur Reformation: Ablaß und in erster Linie der Streit um die Rechtfertigungslehre, der jetzt erst kürzlich beendet wurde, waren Probleme mit denen sich Luther grundsätzlich befaßte.

Durch die Aussagen des Herzogs und sein Glaubensbekenntnis, sowie seine tiefe Vertrautheit auf die Gnade Gottes und seine Aussagen, die vom Sinn her Jesus zuzuordnen sind, ist der Herzog eher dem katholischen Glauben zuzuordnen. Auch der Adelstitel „Herzog“ bzw. die verschiedenen Herzogtümer gehörten dem katholischen Glauben an. Dagegen spricht allerdings Negro da Ponte, der sich in Diensten der Schweden vorstellt. Die Schweden waren auf Seiten der Protestanten und wären so die Feinde des Blinden gewesen, der sich allerdings nur wenig (anders als seine Tochter Octavia) darum stört. Die Konfession klärt aber dann Dürrenmatt selbst auf: Im Anhang des Stückes35 beschreibt er die Situation, wie es zu dem Stück gekommen ist: „Wie ich mich in Bern mit dem Glauben meines Vaters auseinandersetzen hatte, so in Basel mit dem Katholizismus.“ Gerade die Worte des Anhangs verraten sehr viel über die Intension, die Dürrenmatt in das Stück gelegt hat. Nach der Uraufführung kam es zu einer Diskussion mit Karl Barth, einem sehr berühmten und bekannten evangelischen Theologen, und dem Katholiken Hans Urs von Balthasar. Der damalige Schauspieler und spätere Direktor des Basler Schauspiels Kurt Horwitz und Ernst Ginsberg, der im Blinden Regie führte, waren gläubige Katholiken und versuchten auch Dürrenmatt dahin zu bekehren. Dies macht es sicher, daß der Herzog erstens ein Christ ist und zweitens, zwar nicht mit Sicherheit aber man kann davon ausgehen, ein gläubiger Katholik.

4. 2. Der Glaube des Herzogs

Der Glaube des Blinden läßt sich in verschiedene Kategorien einteilen. Der Blinde glaubt, bzw. muß zuerst an das Wort glauben, das andere sprechen. Ebenso muß er auch an das Schweigen glauben (Negro da Ponte „Ihr habt eurem Vater viele Dinge eingeredet.“ Palamedes „Ich habe ihm nichts ausgeredet.“36 ).

Andere Kategorien vom Glauben des Blinden sind z. B. der Glaube zuerst an seine Umgebung, Situation und seiner physischen wie psychischen Umwelt (also sein unverwüstetes Schloß, seine treuen, vom Krieg verschonten Landsleuten und sein Vertrauen zu seinen Kindern und Untergebenen), sowie andererseits der Glaube des Herzogs an Gott, Gottes Gerechtigkeit und seine eigene Leiderfahrung. Diese beiden Kategorien schließen sich aber keineswegs aus, sondern gehen so sehr ineinander über, daß sie nahezu eigentlich in sich identisch sind.

Dürrenmatt selbst beschreibt den Glauben des Blinden37 so: „Glauben verlangt Vertrauen Glauben heißt auch heute noch: jemandem glauben. Der Herzog in Der Blinde befindet sich in einer existentiellen Position, wo er zwischen dem Glauben an die Sehenden und dem Zweifel an den Sehenden zu wählen hat. Indem er den Glauben an die Sehenden wählt, wird er für diese schrecklich und auf eine gespenstische Art unmenschlich: er nimmt sie beim Wort.“38, sowie „Der Glaube hat seinen Grund in der Blindheit. Durch die Blindheit muß der Herzog dem Menschen Glauben, er hat notgedrungen keine andere Wahl.“39 Dadurch, daß allerdings die Umwelt des Herzogs ihn belügt, steht das Wort gegen das Bild. Das Wort wird Wahrheit, obwohl es lügt. Dies kann oder will allerdings der Herzog nicht „wahrhaben“ (s.o.). Gerade, daß die Worte soviel bedeuten, zeigt sich in dem Stück auch daran, daß Gegensatzpaare nahe beieinander stehen (Beten - Töten, Leben - Tod, Nacht - Tag). Gegen Ende, als Wort und Bild übereinstimmen und die Lügen entlarvt sind, steht nicht mehr das Wort gegen das Bild, sondern der Glaube gegen den Unglauben im Vordergrund.

Der Auftritt Negro da Pontes, der versucht den Glauben des Herzogs an die Gnade Gottes und die Ordnung der Welt („Vor meinem Schlosse sitzend, will ich die Gnade Gottes genießen: den Frieden meines Landes und den Frieden meiner Seele.“40 ) zu zerstören, zerstört aber dieser nur den „Frieden des Landes“. Der „Friede der Seele“, der Glaube und die Gnade, werden dadurch nur verstärkt.

Der Bezug zu Hiob ist gegeben, wenn gleich zu Beginn Negro da Ponte an dem Herzog vorübergeht, wie Satan an Hiob vorübergeht. Die Geschichte Hiobs ist zudem im Schloßportal eingemeißelt. Die Geschichte des Herzogs ist also nahezu identisch mit der Hiobs. Allerdings ergeben sich unüberbrückbare Unterschiede:

Hiob war reich und glücklich, wird aber dann von Gott auf die Probe gestellt. Die Frömmigkeit Hiobs machte diesen auch zugleich reich. Der Satan nimmt ihn nun seinen ganzen Reichtum und seine Familie hinweg. Hiob wird noch zusätzlich von einer Krankheit geplagt. Er resigniert. Seine Freunde (Elifas, Bildad und Zofar) halten zu dieser Situation Streitreden und sind der Meinung, daß was geschieht rechtens ist, weil Hiob irgendein Fehlverhalten begangen haben muß. Hiob verliert langsam die Hoffnung, aber ist der Meinung, daß ihm seine Klugheit und Weisheit nicht zu nehmen ist. Er steht vor einem Rätsel und beteuert seine Unschuld. Hiob wendet sich nun an Gott. Gott begründet sein Verhalten mit seinem Machtanspruch. Hiob ist von seinem Leid getroffen und klagt Gott an (Ij 40,1). Erst nachdem sich Hiob wieder Gott unterwirft (Ij 42, 1-6), wird ihm wieder sein Glück und sein Reichtum zuteil.

Der Unterschied zum Herzog liegt darin, daß dieser eine noch größere Demut als Hiob zu Tage legt. Er resigniert nicht und wendet sich nicht an Gott, klagt diesen somit auch nicht an, sondern lebt weiterhin in der Gnade Gottes. Durch das Nichtanrufen Gottes stellt sich beim Herzog auch nicht die Frage nach einem, wie auch immer richtenden Gott. Ob die Demut des Blinden allerdings, wie bei Hiob belohnt wird, erfährt man nicht. Der Herzog ist der Meinung, daß seine Entlohnung nach seinem Tod stattfindet oder daß die Entlohnung bereits durch die Blindheit begonnen hat stattzufinden.

Wie Dürrenmatt und Minotaurus erkennt auch der Herzog die Welt als Labyrinth an. Er lebt in seinem eigenen Labyrinth, aus dem er nicht herauskommen kann. Das Labyrinth ist sein Glaube gepaart mit der Blindheit. Er selbst findet sich darin zurecht, seine Umwelt allerdings nicht. Der blinde Herzog glaubt an eine Welt, die in Ordnung ist. Selbst als diese aber zerstört wurde nimmt er sie an. Das Wort und die Wahrheit, sowie der Glaube und die Blindheit gehen beide eine Beziehung ein, die sich im Labyrinth verfängt. Wie Minotaurus in seinem Labyrinth so könnte auch der Herzog in seinem ein eigener Gott sein, der seine Göttlichkeit erkannt hat.

4. 3. Indirekte Zweifel des Herzogs im Glauben

Der Herzog steht fest im Glauben. Zweimal im Stück zweifelt er aber daran: Das erste mal als der Herzog sagt: „Mich macht die große Gnade glücklich, die mich umspannt. Der Friede meines Landes und der Friede meiner Seele.“ Kurze Zeit später aber gibt der Herzog seinen ganzen Besitz Negro da Ponte und so auch „Die Gnade des Himmels, die mir gegeben worden ist.“41, sowie „Empfangt die Gnade von dem, der Gnade um Gnade vom Himmel empfangen hat,...“ Durch die sinnbildliche Übergabe, bzw. das Abtreten der Gnade an Negro da Ponte, zweifelt der Herzog diese an oder hält sie für nicht mehr erstrebenswert. Das zweite mal zweifelt der Herzog, als er aus seinem Schloß flieht: Der Herzog bevor er im Hintergrund verschwindet, mit riesenhafter Verzweiflung „Ich bin nicht blind.“42. Diese Zweifel sind allerdings nur indirekte Zweifel: Sie sprechen nie den Glauben direkt an, aber sehr wohl indirekt. Nach jedem Zweifel steigt aber sein Glaube wieder ungemein an, so daß dies auch nur als Verschärfung gelten könnte.

5. Fazit

Der Glaube des Herzogs läßt sich nicht einfach darstellen. Die vorangegangen Versuche haben dies verdeutlicht. Eine kleine Geschichte soll nun versuchen diesen Glauben darzustellen:

„Ein Schüler Rabbi Baruchs hatte, ohne seinem Lehrer davon zu sagen, der Wesenheit Gottes nachgeforscht und war im Gedanken immer weiter vorgedrungen, bis er in ein Wirrsal von Zweifeln geriet und das bisher Gewisseste ihm unsicher wurde. Als Rabbi Baruch merkte, daß der Jüngling nicht mehr wie gewohnt zu ihm kam, fuhr er nach dessen Stadt, trat unversehens in seine Stube und sprach ihn an: „Ich weiß, was in deinem Herzen verborgen ist. Du bist durch die fünfzig Pforten der Vernunft gegangen. Man beginnt mit einer Frage, man grübelt, ergrübelt ihr die Antwort, die erste Pforte öffnet sich: in eine neue Frage. Und wieder ergründest du sie, findest ihre Lösung, stößest die zweite Pforte auf - und schaust in eine neue Frage. So fort und fort, so tiefer und tiefer hinein. Bis du die fünfzigste Pforte aufgesprengt hast. Da starrst du die Frage an, die kein Mensch erreicht; denn kennte sie einer, dann gäbe es nicht mehr die Wahl. Vermissest du dich aber, weiter vorzudringen, stürzest du in den Abgrund.“ „So müßte ich also den Weg zurück an den Anfang?“ rief der Schüler. „Nicht zurück kehrst du“, sprach Rabbi Baruch, „wenn du umkehrst; jenseits der letzten Pforte stehst du dann, und stehst im Glauben.“43

So wie in dieser Geschichte scheint auch der Herzog im Glauben zu stehen.

6. Literaturverzeichnis

Buber, Martin: Das dialogische Prinzip - Ich und Du, Heidelberg 1973

Dürrenmatt, Friedrich: Gesammelte Werke. Band 6. Stoffe I-IX/Zusammenhänge, Zürich 1991

Dürrenmatt, Friedrich: Gesammelte Werke. Band 27. Es steht geschrieben/Der Blinde, Zürich 1998

Die Bibel

[...]


1 vgl. Buber, Martin: Das dialogische Prinzip - Ich und Du, Heidelberg 1973, S. 7

2 Dürrenmatt, Friedrich: Gesammelte Werke. Band 6. Stoffe I-IX/Zusammenhänge, Zürich 1991, S. 11

3 Dürrenmatt, Friedrich: Gesammelte Werke. Band 6. a. a. O., S. 21f

4 vgl. ebd. S. 46

5 ebd. S. 57

6 ebd. S. 77

7 Dürrenmatt, Friedrich: Gesammelte Werke. Band 6. a. a. O., S. 79

8 ebd. S.166

9 Dürrenmatt Friedrich: Gesammelte Werke. Band 6. a. a. O., S. 191

10 ebd. S. 433

11 Dürrenmatt Friedrich: Gesammelte Werke. Band 6. a. a. O., S. 502

12 ebd. S. 511

13 ebd. S. 531f

14 ebd. S. 748

15 Dürrenmatt Friedrich: Gesammelte Werke. Band 6. a. a. O., S. 573

16 ebd. S. 585

17 Dürrenmatt, Friedrich: Gesammelte Werke. Band 27. Es steht geschrieben/Der Blinde, Zürich 1998, S.230

18 Dürrenmatt, Friedrich: Gesammelte Werke. Band 27, a. a. O., S. 153

19 ebd. S. 152

20 ebd. S. 151

21 Dürrenmatt, Friedrich: Gesammelte Werke. Band 27, a. a. O., S. 160

22 ebd. S. 241

23 Dürrenmatt, Friedrich: Gesammelte Werke. Band 27, a. a. O., S. 242

24 ebd. S. 256

25 vgl. ebd. S. 179f

26 ebd. S. 181

27 ebd. S. 242

28 vgl. hierzu auch: Lk 17,33; Joh 12,25 und Mk 8, 35

29 Dürrenmatt, Friedrich: Gesammelte Werke. Band 27, a. a. O., S. 188

30 ebd. S. 188

31 vgl. ebd. S. 210

32 ebd. S. 212

33 ebd. S. 217

34 ebd. S. 234

35 Dürrenmatt, Friedrich: Gesammelte Werke. Band 27, a. a. O., S. 25

36 ebd. S. 160

37 vgl. auch ebd. S. 338: „Der Blinde stellt den Glauben an sich als eine elementare Kraft dar, unabhängig von seinem ‘Inhalt’. Die Handlung spielt im Dreißigjährigen Krieg und ist erfunden - wenn auch beeinflußt vom biblischen Hiob. In der Ruine seines Palastes wird ein blinder Herzog im Glauben gelassen, er besitze noch die Macht, die er verloren hat, und sein Land sei verschont geblieben. Der Herzog wagt den Glauben in der Erkenntnis, daß es für einen Blinden keine andere Möglichkeit gibt als blind zu glauben. An seiner Blindheit zerbricht schließlich die Realität der Sehenden, und die geglaubte Realität des Blinden wird wirklich.“

38 ebd. S. 256

39 Dürrenmatt Friedrich: Gesammelte Werke. Band 6. a. a. O., S. 498

40 Dürrenmatt, Friedrich: Gesammelte Werke. Band 27, a. a. O., S. 151

41 ebd. S. 155

42 Dürrenmatt, Friedrich: Gesammelte Werke. Band 27, a. a. O., S. 184

43 Kafka, Franz: Die fünfzigste Pforte (aus Materialien zu einer Vorlesung aus kath. Theologie)

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Der Glaube des Herzogs in Dürrenmatts "Der Blinde"
Hochschule
Universität Koblenz-Landau
Veranstaltung
Seminar: Das Komische
Note
2,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
22
Katalognummer
V108061
ISBN (eBook)
9783640062652
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Glaube, Herzogs, Dürrenmatts, Blinde, Seminar, Komische
Arbeit zitieren
Patrick Christmann (Autor:in), 2002, Der Glaube des Herzogs in Dürrenmatts "Der Blinde", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108061

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Der Glaube des Herzogs in Dürrenmatts "Der Blinde"



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden