Beobachtung von Begrüssungsritualen: Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist das Thema dieser Arbeit?
Diese Arbeit beobachtet und analysiert Begrüssungsrituale kurdischer Männer im Alter zwischen 40 und 55 Jahren aus der Region Konya, Cihanbeyci und Gölyazi, die sich in einem Café in Basel treffen. Der Fokus liegt auf nonverbalen Aspekten mit und ohne Körperkontakt und deren Bedeutung im kulturellen Kontext.
Welche Methode wurde verwendet?
Es wurde eine offene, strukturierte und nicht-teilnehmende Beobachtung eingesetzt. Zusätzlich wurden Gespräche mit Mitgliedern der Zielgruppe geführt, um die Beobachtungen zu ergänzen und zu interpretieren.
Welche Definition von "Begrüssung" wurde verwendet?
Die Arbeit bezieht sich auf verschiedene Definitionen aus dem Duden, Goffman und Geissler. Schliesslich wird eine eigene Definition formuliert, welche die Aspekte von Ritualen und positiven sowie negativen Gefühlen beinhaltet.
Warum ist dieses Thema für die Soziale Arbeit relevant?
Die Begrüssung ist ein wichtiger Moment in jeder sozialen Interaktion und prägt den weiteren Verlauf. Im Kontext interkultureller Begegnungen, wie im Fall der kurdischen Männer, gewinnt die Begrüssung besondere Bedeutung für den Aufbau von Vertrauen und Nähe. Die Arbeit betont die Notwendigkeit, kulturspezifische Begrüssungsformen zu kennen und zu verstehen, um professionelle Beziehungen aufzubauen.
Welche Kategorien und Ausprägungen der nonverbalen Begrüssung wurden beobachtet?
Die Beobachtung konzentrierte sich auf nonverbale Begrüssungen mit und ohne Körperkontakt. Ohne Körperkontakt wurden Nicken und Lächeln beobachtet, mit Körperkontakt Küssen, Umarmen, Schulterklopfen und Händeschütteln. Die Interpretation der Bedeutung dieser Handlungen wird im Text erläutert.
Wie wird Beobachtung als sozialwissenschaftliche Methode beschrieben?
Die Arbeit unterscheidet zwischen Alltagsbeobachtung und sozialwissenschaftlicher Beobachtung, wobei letztere zielgerichtet, methodisch kontrolliert und systematisch ist. Die Herausforderungen der Subjektivität und Interpretation werden angesprochen, und die gewählte Methode der offenen, strukturierten und nicht-teilnehmenden Beobachtung wird begründet.
Welche Relevanz hat die Beobachtung für das eigene Berufsfeld der Sozialen Arbeit?
Die Arbeit betont die Bedeutung der bewussten Wahrnehmung kultureller Unterschiede im Umgang mit Klienten. Die systematische Beobachtung fördert die Sensibilität für die Vielfalt menschlichen Verhaltens und die Herausforderungen der objektiven Beobachtung. Das Verständnis von kulturellen Nuancen ist zentral für eine erfolgreiche soziale Arbeit.
Welche geschichtlichen und soziologischen Hintergründe der Kurden werden beleuchtet?
Der Text beschreibt die Geschichte und die soziokulturellen Aspekte der kurdischen Bevölkerung, unter anderem die fehlende Anerkennung eines kurdischen Staates, die wirtschaftlichen Bedingungen, die sprachliche Vielfalt und die traditionelle Stammesstruktur der Gesellschaft. Die Migration und die damit verbundenen Herausforderungen werden ebenfalls behandelt.
Wie werden kurdische Migranten in der Arbeit beschrieben?
Die Arbeit beleuchtet die Herausforderungen der Migration, insbesondere den Kulturwandel, die Anpassungsschwierigkeiten und die oft schwierige Situation auf dem Arbeitsmarkt. Die Bedeutung der Familie und das Bestreben nach einer besseren Zukunft für die Kinder werden hervorgehoben.
Welche entwicklungspsychologischen Aspekte werden berücksichtigt?
Die Bedeutung der beruflichen Situation und der sozialen Anerkennung für die psychosoziale Entwicklung der Migranten wird behandelt. Der Text berücksichtig die Herausforderungen der Integration und die Suche nach Anerkennung innerhalb der eigenen Gruppe.
Wie werden die Begrüssungsrituale unter Kurden beschrieben?
Der Text beschreibt verschiedene kurdische Begrüssungsformen, je nach Verwandtschaftsverhältnis und Alter der beteiligten Personen. Diese reichen von Händeschütteln und Küssen auf die Wangen bis hin zum Küssen der Hand älterer Personen.
Wie wurde das Beobachtungsprotokoll durchgeführt und ausgewertet?
Das Protokoll umfasst Zeitangaben, die Anzahl der anwesenden Personen und eine Tabelle zur Dokumentation der beobachteten Begrüssungsformen. Die Auswertung konzentriert sich auf die Beschreibung des häufigsten Verhaltens und dessen Interpretation im Kontext der kulturellen Gepflogenheiten.
Welche Hypothesen wurden formuliert und wie wurden sie interpretiert?
Die Arbeit formuliert Hypothesen zum sozialen Kontakt der Männer im Café und zur Bedeutung der beobachteten Verhaltensweisen. Die Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt die beobachteten Handlungen und die Ergebnisse der Gespräche mit den Teilnehmern.
Wie wurden die Gespräche mit der Zielgruppe durchgeführt und ausgewertet?
Drei Männer der Zielgruppe wurden befragt, um die Beobachtungen zu ergänzen und zu interpretieren. Die Antworten zu Fragen nach dem Verhalten beim Betreten des Cafés, den Begrüssungsritualen und der Tischwahl werden dokumentiert und analysiert.
Was ist das Fazit und die Schlussfolgerung der Arbeit?
Die Arbeit fasst die Erfahrungen und Erkenntnisse der Beobachtung zusammen. Es wird betont, dass die Ergebnisse spezifisch für die beobachtete Gruppe und den Kontext gelten und nicht verallgemeinert werden können. Die Bedeutung der bewussten, unvoreingenommenen Beobachtung für die soziale Arbeit wird unterstrichen.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Definition von Begrüssung
2. Begründung der Auswahl der Definition
3. Relevanz des Themas und der Methode für die Soziale Arbeit
4. Kategorien und Ausprägungen der Methode und deren Begründung
5. Beobachten als Sozialwissenschaftliche Methode
6. Relevanz der Beobachtung für das eigene Berufsfeld
7. Kurden: Geschichtlicher und soziologischer Hintergrund
8. Kurdische Migranten
9. Entwicklungspsychologische Aspekte
10. Begrüssungsverhalten unter Kurden
11. Beobachtungsprotokoll
a) Zeitangaben und Anzahl der anwesenden Personen
b) Tabelle
12. Auswertung
13. Hypothese
a) Allgemein
b) Interpretieren des häufigsten Verhaltens
14. Gespräch mit der Zielgruppe
15. Fazit
16. Schlussfolgerung
Beobachtung von Begrüssungsritualen
Zielgruppe:
Kurdische Männer aus der Gegend von Konya, Cihanbeyci, und Gölyazi zwischen 40 und 55 Jahren im Café Klybeck in Basel.
1. Definition von Begrüssung
A) Definition aus dem NSB Universal Wörterbuch, 5. Auflage 1967:
„Begrüssen ZW (-sste, -sst) willkommen heissen (jmdn.); bejahen (etw.).“
B) Goffman 1974, S. 111/112) schreibt:
„Zwei Personen, die sich einander nähern, nehmen eine frontale gegenseitige Orientierung vor. Ihre Blicke treffen sich einen Augenblick, die Augen leuchten auf, durch ein Lächeln wird soziale Anerkennung zum Ausdruck gebracht, es werden Zeichen der Freude geäussert. (...) Eine verbale Begrüssung ist wahrscheinlich mit einer Form der Anrede verknüpft. Wo die Möglichkeit dazu besteht kommt es unter Umständen zu Umarmungen, Händeschütteln oder anderen Formen des körperlichen Kontaktes. (...)
In unserer Gesellschaft finden Begrüssungen zwischen Individuen dann statt, wenn für diese eine Periode des erhöhten Zugangs zueinander beginnt.“
C) Karlheinz A. Geissler definiert Begrüssung in seinem Buch ´Lernprozesse steuern` so:
„Der Gruss ist ein zentraler Symbolträger zur Entwicklung einer interpersonalen Vertrauensgrundlage. Er ist eine Verhaltensgrundlage.“
D) Eigene Definition:
Begrüssung ist der Moment einer Begegnung, in dem man den oder die Anderen bewusst wahrnimmt, dies auf irgendeine Weise, oder verknüpft mit Ritualen, kund tut und beim Gegenüber auf Resonanz stösst. Dabei können sowohl positive, wie auch negative Gefühle im Spiel sein, z.B. in der Sozialen Arbeit, wenn Klientel nicht freiwillig in den Beratungsprozess einsteigt.
2. Begründung der Auswahl der Definition
Der Duden ist ein anerkanntes und gebräuchliches Nachschlagewerk. Der Inhalt gilt als Allgemeinwissen. Allerdings ist für unser Verständnis von Begrüssung die Definition zu einseitig. Uns fehlt der Aspekt der Rituale und der negativen Gefühle, die auch bei einer Begrüssung vorhanden sein können.
Goffman beschreibt die verschiedenen Ausdrucksformen und Rituale, doch auch hier fehlt der Aspekt der eventuell negativen Gefühle.
Geissler nennt Begrüssung eine Verhaltensgrundlage. Wir finden diesen Aspekt gerade für die Berufsausübung der Sozialen Arbeit sehr wichtig, aber da auch der dritte Autor, den wir gewählt haben den Aspekt der negativen Gefühle ausser Acht lässt, haben wir dies in einer eigenen Definition noch hinzugefügt.
3. Relevanz des Themas und der Methode für die Soziale Arbeit
Die Begrüssung steht am Anfang eines jeden Klientengespräches. Sie kann den ganzen Gesprächsverlauf prägen und kann Formen von Nähe und Distanz, Vertrauen und Misstrauen festlegen. Die Begrüssung ist verknüpft mit dem ersten Eindruck und es kann der Moment für Übertragungen und Gegenübertragungen sein. Darum ist die Begrüssung ein sehr wichtiger Moment und es ist nötig, sich in der Ausbildung als Sozialarbeitende damit zu befassen.
Bei unserer Beobachtung kommt noch der Aspekt einer anderen Kultur ins Spiel. Gerade hier ist die Auseinandersetzung mit dem Thema der Begrüssung sehr wichtig. Je nach Stelle werden wir kurdische Klienten haben und die Begrüssung bekommt noch einen ganz anderen Stellenwert.
4. Kategorien und Ausprägungen der Methode und deren Begründung
Als Kategorie haben wir die nonverbalen Aspekte der Begrüssung mit und ohne Körperkontakt gewählt, da wir kein Kurdisch sprechen und annehmen müssen, dass unsere Zielgruppe sich auf kurdisch begrüsst. Wir nehmen an, dass es in dieser Kultur üblich ist, bei der Begrüssung Körperkontakt zu haben.
Als Ausprägungen haben wir uns auf folgende Punkte geeinigt:
Wir beobachten vor allem die Person, die neu ins Café herein kommt und nicht diejenigen, die den Ankömmling begrüssen. Wir haben uns die Bedeutungen der Begrüssungsformen überlegt, sie stehen jeweils in Klammer hinter dem Wort.
Nonverbales Begrüssen ohne Körperkontakt:
- Nicken mit dem Kopf ohne zu lachen (als Zeichen der Distanz)
- Anlachen (als Ausdruck von Freude)
Nonverbales Begrüssen mit Körperkontakt:
- Küssen (Ausdruck einer engen Beziehung)
- Umarmen (Ausdruck einer engeren Freundschaft)
- Schulterklopfen (Ausdruck von Freundschaft)
- Handschütteln (eine formelle Form, die Distanz beinhaltet und doch den guten Willen ausdrückt)
Wir lassen auch noch eine Option offen für Spezielles.
Begründung der Auswahl:
Wir haben uns zuerst überlegt, wie sich Schweizer Männer in dem Alter zwischen 40 und 55 Jahren begrüssen und haben dies übernommen, um später einen Vergleich machen zu können.
Nur den Punkt Küssen haben wir zusätzlich mit in die Beobachtung genommen, da wir meinten, dies gehöre zu Begrüssungsritualen der Kurden. Wir haben dies in unserem Bekanntenkreis, zu dem auch Kurden gehören, schon gesehen.
5 Beobachten als Sozialwissenschaftliche Methode
Die Beobachtung als Sozialwissenschaftliche Methode unterscheidet sich von der Alltagsbeobachtung darin, dass sie zielgerichtet und methodisch kontrolliert ist. Beobachtung ist eine Tätigkeit, die jeder empirischen Methode vorgelagert ist.
Allerdings tauchen mehrere Probleme auf. Zuerst ist die Beobachtung vom Beobachter selbst abhängig. Wie er etwas wahrnimmt ist sehr subjektiv und interpretiert, darum ist es nötig systematisch vorzugehen. Das bedeutet, das der Beobachter von vorneherein festlegt, was genau beobachtet werden soll. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten der Beobachtung. Man kann offen oder verdeckt beobachten, teilnehmend oder nichtteilnehmend und strukturiert oder unstrukturiert. Wir haben uns entschlossen, offen, strukturiert und nichtteilnehmend zu beobachten.
Die Beobachtung als Sozialwissenschaftliche Methode hilft uns, die Grenzen unseres Wahrnehmungsvermögens auszudehnen und uns nicht zu sehr von unserer subjektiven, interpretierten Wahrnehmung beeinflussen zu lassen.
Zusammengefasst aus dem Buch: Psychologie lernen von Hans – Peter Nolting und den Unterlagen von Matthias Drilling, FHS – BB, 2001 zum Thema Beobachtung.
6. Relevanz der Beobachtungsaufgabe für das eigene Berufsfeld
Wenn wir uns als Sozialtätige bewusst werden, dass jeder Mensch verschieden ist, so ist schon eine gute Grundvoraussetzung geschaffen um in einen gemeinsamen Prozess mit anderen Menschen zu gehen. Durch die Aufgabe der Beobachtung wurde uns dies wieder deutlich bewusst. Nicht nur, dass wir Vieles als selbstverständlich voraussetzen, was dann gar nicht so stattfindet, wie z.B. Kurden küssen sich bei der Begrüssung, sondern uns wurde deutlich, dass eine objektive Beobachtung sehr schwer ist. Doch gerade der Sozialarbeiter muss sich bewusst sein, dass Klientel anders denkt, anders lebt und anders handelt, als wir es gewohnt sind. So ist es ja auch nicht das Ziel unser Klientel in unsere Formen des Alltags zu pressen, sondern er soll sein Leben besser bewerkstelligen können, aber es bleibt sein Leben. Durch die systematische Methode der Beobachtung wurde uns erst die Vielfalt der Begrüssung bewusst, mussten wir uns doch auf sechs Ausprägungen beschränken. Was ist aber mit dem Rest? Sind wir überhaupt fähig alles zu beobachten? Gilt es da nicht auf so viele Dinge zu achten, die auch noch dazugehören? Was ist, wenn wir etwas sehr wichtiges übersehen?
Wir kommen zum Schluss. Beobachtung ist schwerer als bisher angenommen , doch durch das bewusste Erleben des Beobachtens hat sich unser Blickwinkel bereits erweitert. Das ist an sich schon ein Erfolg. Wir hoffen, dass wir das im Auge behalten, wenn wir einst dem Klientel gegenüberstehen.
7. Kurden: Geschichtlicher und soziologischer Hintergrund
Da kein rechtmässiger souveräner Staat Kurdistan existiert, ist es nicht einfach, seine Landkarte zu beschreiben . Geht man von dem Gebiet aus, in dem die Kurden zweifellos die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung seit frühester Zeit bilden, ergibt sich folgende Landkarte:
Dieses Gebiet ist 2 mal so gross wie die Bundesrepublik Deutschland, doch eben auch ein Territorium, das allein 30% der Türkei einnimmt und kleinere Anteile von Iran, Irak, Syrien und Armenien.
Kurdistan ist ein bergiges und immer noch weitgehend agrarisches, ökonomisch schwaches Land. Der überwiegende Teil der Bevölkerung ist mit Ackerbau und Viehzucht beschäftigt.
Die kurdische Sprache wird als kirmancî bezeichnet. Diese teilt sich in zwei grosse Hauptdialekte, in kirmancî, welches in Iran, der Türkei und Armenien gesprochen wird, und soranî, die in Irak verbreitete Sprache ein. Daneben existieren noch einige lokal begrenzte Dialekte und eine Vielzahl von Mundarten. Auch sind verschiedene Religionsrichtungen vertreten.
Traditionell ist die Gesellschaft der Kurden in Stämmen strukturiert mit einer eigenen Rangordnung, wobei das Alter eine wichtige Rolle spielt. Die Geschlechterrollen sind klar verteilt. Unter den aktuellen kulturellen und politischen Bedingungen ist diese traditionelle Organisation der Gesellschaft vielen Einflüssen und starken Veränderungen ausgesetzt.
Die kurdische Identität ist nicht anerkannt, was in der Geschichte immer wieder zu Auf-ständen führte, die blutig unterdrückt wurden. In den 80er-Jahren hat der Wiederstand wieder begonnen. Aus diesem Zusammenspiel von Geschichte, Wirtschaft, Politik und der sozialen Situation sind viele Kurden ins Exil geflüchtet. Sie gelten auch hier als Türken, Iraner, Iraker, Armenier oder Syrer.
Zusammengefasst aus dem Buch: Die Kurden, Geschichte, Kultur und Überlebenskampf von Dr. phil Zuhdi Al-Dahoodi, Kurde mit entsprechender akademischer Ausbildung und ergänzt mit Informationen von Frau M. Yazar, Psychologin, ebenfalls Kurdin.
8. Kurdische Migranten
Migration: „die Ausführung einer räumlichen Bewegung, die einen vorübergehenden oder permanenten Wechsel des Wohnsitzes bedingt, eine Veränderung der Position also im physischen und im sozialen Raum“ (Albrecht, 1972).
Zu einer psychisch schwer verkraftbaren Situation kommt es beim Kulturwechsel, der eine weitgehende Anpassung an die Kultur des Aufnahmelandes und eine Ablösung von der Herkunftskultur beinhaltet, Er erfordert eine teilweise Umstrukturierung der Persönlichkeit und einen Identitätswandel und führt häufig zu sozialer Orientierungslosigkeit (Binder und Simon, 1980).
Die Entwurzelungsreaktionen werden als Folge teilweise unüberwindlicher Anpassungs- und Bewältigungsschwierigkeiten interpretiert.
Die im kurdischen Café beobachteten Männer bezeichneten diesen Ort als „ein Stück Heimat in der Fremde“. Wir wagen es aber, diese Aussage in Frage zu stellen, obwohl diese Cafés in Kurdistan zum Alltag gehören. Es ist trotzdem zu bedenken, dass bei diesen Spielen oft Geld über den Tisch geschoben wird und auch eine Spielsucht entstehen kann. Oder ist dieser Rückzug ins Café vielleicht doch ein Zeichen dafür, dass die sozialen Kompetenzen für eine Integration in die Gesellschaft nicht (mehr) ausreichen?
Immigranten befinden sich oftmals über Jahre in einer aufenthaltsrechtlichen Übergangs-situation. Flüchtlinge warten jahrelang auf einen Entscheid, Inhaber der B-Bewilligung befinden sich in einer schwierigen Situation auf dem Arbeitsmarkt.
Gewöhnlich ziehen erst die Männer ins Ausland, sei es aus politischen Gründen oder um etwas Geld zu verdienen. Falls das Letztere zutrifft, meist mit der Absicht, in wenigen Jahren ein finanzielles Ziel zu erreichen und anschliessen in die Heimat zurückzukehren. Doch oftmals überzeugen sie mehrere Dinge zum Bleiben. Die wirtschaftliche Situation in der Heimat bleibt schwierig, für Ihre Kinder sehen sie bessere Bildungsmöglichkeiten in der Schweiz. So entschliessen sie sich oft nach mehreren Jahren, einen Familiennachzug zu beantragen. Nach der Pensionierung wollen viele wieder in die Heimat, doch es fällt ihnen schwer, das die Kinder dann so gut in der Schweiz integriert sind, dass sie hier bleiben wollen. Überhaupt sind die Kinder sehr wichtig. Dass sie eine gute Schule besuchen und einen Beruf erlernen können, damit sie es später gut haben, das ist, so scheint uns, das höchste Ziel.
Es ist leicht nachvollziehbar, dass Menschen in einer solchen Übergangssituationen nicht unbedingt zur Integration motiviert sind.
Zusammengefasst aus dem Buch: Belastungen und Bewältigungsstrategien bei Jugendlichen aus der Türkei – eine theoretische und empirische Studie, aus dem Kapitel über Migration, auch hier ergänzt mit Informationen von Frau Melahat Yazar, Psychologin, ebenfalls Kurdin.
9. Entwicklungsspsychologische Aspekte
Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist die Sicherung und Verbesserung der beruflichen Position von grosser Wichtigkeit. Diese bringen Anerkennung, Selbstsicherheit und Zufriedenheit. Doch wie sieht die berufliche Realität der Kurden in der Schweiz aus? Oftmals haben sie sich in ihrer neuen Heimat eine berufliche Existenz aufgebaut, doch sind nicht gerade sie von Arbeitslosigkeit besonders bedroht? Auch eine Verbesserung ihrer Arbeit ist wohl oft eine Utopie, stammen sie doch meistens aus eher ländlichen Umgebungen und einer unteren sozialen Schicht, was oftmals nur eine geringe Schulbildung erlaubt. Sind sie im jungen Erwachsenenalter in die Schweiz eingewandert, galt es, bald einen Arbeitsplatz zu finden und die finanzielle Existenz zu sichern.
Ein weiterer Punkt ist die Anerkennung im öffentlichen Leben. Als Resultat der fehlenden Integration und dem alltäglichen Rassismus finden wir aber nur selten kurdische Migranten in Politik und Vereinen. Wir vermuten daher, dass sie sich diese Anerkennung innerhalb der Gruppe, d.h. bei Migranten mit dem selben kulturellen Hintergrund, suchen.
In Anlehnung auf: Psychologie von Hobmair et al.
10. Die Begrüssungsrituale unter Kurden
Wenn das Familienoberhaupt oder Besuch den Raum betritt, wird dieses von sämtlichen Anwesenden mit Respekt wahrgenommen, indem man z.B. Gespräche unterbricht, einen Platz anbietet etc.
Gleichaltrige Männer oder gleichaltrige Frauen untereinander geben sich die Hand und küssen sich zweimal auf die Wange.
Zur Begrüssung einer älteren Person küsst die jüngere Person die Hand der älteren und bringt seine Hand an die Stirn der älteren. Die ältere Person antwortet mit einem Glückwunsch.
Ehepartner wahren in der Öffentlichkeit körperliche Distanz.
Informationen von Frau Melahat Yazar, Psychologin, Kurdin.
11. Beobachtungsprotokoll
a) Zeitangaben und Anzahl der anwesenden Personen
Donnerstag, 6.6.02, 20 Uhr-20.30 Uhr
Wir können kein Begrüssungsverhalten beobachten, da schon einige Gäste anwesend sind, und keine neuen eintreten.
Dafür haben wir Gelegenheit, mit dem Besitzer des Lokals und dessen Sohnes ein Gespräch zu führen
Freitag, 7.6.02, 18.30 Uhr-19.45 Uhr
b) Tabelle
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
12. Auswertung
Beschreibung des häufigsten Verhaltens bei der Begrüssung
Der Gast betritt das Lokal durch die offen stehende Tür. Er stellt sich dann für einen Augenblick in die Mitte des Lokals, nahe des Eingangs. Seine Haltung ist gerade, die Arme hängend. Von da aus blickt der Neuankömmling ruhig und mit relativ ernstem Blick in die Runde der Tische, an denen jeweils schon 5-6 Männer im Spiel vertieft sind. Nun geht er zielstrebig auf einen der Tische zu und schüttelt da ca. zwei, der bereits spielenden Männern die Hand. Zum Händeschütteln kommt Augenkontakt und Zunicken. Jetzt sucht sich der neue Gast einen Stuhl, platziert diesen neben einem der Männer, die er gerade begrüsst hat und beginnt, das Spiel zu beobachten.
13. Hypothese
a) Allgemein
Anhand der konzentrierten Stimmung die im Raum vorherrscht, nehmen wir an, dass sich der soziale Kontakt der Männer vor allem über das Spiel abwickelt, und dass sich die wenigen Worte, die auf kurdisch gewechselt werden, vor allem auf das Spiel beziehen. Wir vermuten, dass sich die Männer unter sich gut kennen und auch die sozialen Regeln untereinander allen bekannt sind: „Das Gemeinschaftsleben des dörflichen Milieus setzt sich in der Stadt kaum verändert fort. Soziale Beziehungen im Ausland zeigen ähnliche Tendenzen.“(Zitat aus: die Kurden, M. Strohmeier, Verlag C.H. Beck, München 2000)
b) Interpretieren des häufigsten Verhaltens
Wir nehmen an, dass das Umherschauen im Raum einer ersten Orientierung dient, damit sich der Eintretende ein Bild machen kann, wer sich alles schon im Raum befindet und wo er sich dazusetzen möchte. Wir fragen uns, wovon die schlussendliche Wahl des Tisches abhängt: wählt der Neuankömmling einen Tisch, weil da noch ein Platz frei ist, weil er die Leute an diesem Tisch besonders gut kennt, weil da seine Verwandten sitzen, oder ist die Tischwahl reinem Zufall überlassen? Wir vermuten, dass es sich bei den Leuten, die der Eintretende mit Handschlag begrüsst, um seine Verwandten handeln könnte. Wir sind erstaunt, dass die neu eintretenden Männer sich ernsthaft und ruhig verhalten. Es hätte eher zu unserem Bild gepasst, das wir von Kurden haben, dass die Leute lachend und plaudernd eingetreten wären und einigen auf die Schultern geklopft hätten. Wir führen das ernsthafte Verhalten auf gegenseitigen Respekt zurück. Wir nehmen an, dass sich die Männer nicht küssen, da sie sich oft in diesem Lokal treffen.
14. Gespräch mit der Zielgruppe
Insgesamt haben wir drei Männer der Zielgruppe befragt.
Auf die Frage, warum sich die Männer bei der Begrüssung eher ernsthaft und ruhig verhalten antwortete einer der Befragten:“ Wir müssen uns sehr zurückhaltend verhalten, wenn wir eintreten, um das Spiel nicht zu stören. Würde ich lachend herein kommen, jeden Spieler begrüssen und dabei noch Witze machen, wären einige von diesen verärgert. Es sei schon ein paar Mal vorgekommen, dass ein solcher Ankömmling Prügel geerntet habe.“ Die andern zwei der Befragten meinten, wir Schweizer würden ja schliesslich auch nicht lachen. Auf die Frage warum sie sich bei der Begrüssung nicht küssen, meinten zwei, der Befragten: “Wir küssen uns erst, wenn wir uns länger, als einen Monat nicht gesehen haben. “Der dritte meinte dazu, er würde auch dann nur auf die Schulter klopfen. Die Frage betreffend der Platzwahl, beantwortete der eine: „er sitze neben seinen besten Freund“.
15. Fazit
Die Beobachtungsaufgabe gab uns die Möglichkeit, einen Einblick in eine uns völlig fremde Lebenswelt zu gewinnen. Durch die Strukturiertheit der Aufgabe konnten wir uns von Vorurteilen klar distanzieren. Die Befragung hat uns den Dialog mit verschiedenen Personen der Zielgruppe ermöglicht.
Wir gingen ohne Vorinformationen über Kurden an unsere Beobachtung heran. Dies haben wir als Vorteil erlebt, da wir dadurch nicht voreingenommen waren. Trotz unserer Offenheit wurde die Nachfrage unserer Hypothesen im ersten Moment als Angriff empfunden.
Als einzige Schweizer, dazu noch Frauen, in einem typischen Männercafé, empfanden wir die Situation als künstlich. Die Offenheit des Lokalbesitzers und dessen Sohnes haben uns die Situation sehr erleichtert.
16. Schlussfolgerung
Wir möchten klar festhalten, dass sich unsere Resultate auf diese Zielgruppe in diesem spezifischen Café beschränken. Die Verallgemeinerung unserer Aussagen wäre nicht angepasst, weil wir die dazu nötigen Vergleichsmöglichkeiten nicht haben. Auch bei anderen Arbeiten würden wir darauf achten, dass Resultate nicht generalisiert werden.
- Arbeit zitieren
- Marion Fabry (Autor:in), Ursula Borer (Autor:in), Brigitte Laager (Autor:in), 2002, Begrüssungsrituale kurdischer Männer im Café Klybeck in Basel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108142