Die Entwicklungshilfe der Europäischen Union für die Balkanländer-Ziele, Umsetzungsprobleme


Diplomarbeit, 2002

100 Seiten, Note: 2,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
1.2 Begriffserklärung
1.2.1 Entwicklungshilfe
1.2.2 Balkan

2 Der Balkan: ein komplexes Puzzle
2.1 Das „Pulverfass Europas“- ein historischer Rückblick
2.1.1 Der Einfluss der Geschichte
2.1.2 Zeiten des Kommunismus
2.1.3 Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens und Krieg
2.1.4 BR Jugoslawien unter Milosevic, Wirtschaftssanktionen und NATO
2.1.5 Europa in dem Balkankrieg: 1991 – 1999
2.2 Die aktuelle Lage auf dem Balkan
2.2.1 Die politische Lage der Balkanstaaten
2.2.2 Die wirtschaftliche Lage der Balkanstaaten

3 Ziele und Umsetzung der Entwicklungshilfe der EU für die Balkanländer
3.1 Ziele
3.2 Umsetzung
3.2.1 Umsetzung der Entwicklungshilfe im Rahmen des Stabilitätspaktes
3.2.2 Umsetzung der Entwicklungshilfe im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses
3.3 Zusammenfassung und Verdeutlichung

4 Umsetzung der EU-Entwicklungshilfe am Beispiel BR Jugoslawien/ Serbien
4.1 Ursprünge der EU-Hilfe für Serbien
4.2 EU-Hilfsprogramm CARDS
4.2.1 Strategie des CARDS-Programms
4.2.2 CARDS: Kanäle der Umsetzung
4.2.2.1 Europäische Agentur für Wiederaufbau (EAR)
4.2.2.2 Die wichtigsten Projekte der EAR im Rahmen des CARDS- Programms
4.2.2.2.1 Energie
4.2.2.2.2 Unternehmensentwicklung
4.2.2.2.3 Landwirtschaft
4.2.2.2.4 Gesundheitswesen
4.2.2.2.5 Wiederaufbau der „Sloboda“ Brücke
4.2.2.2.6 Andere Projekte im Überblick
4.2.2.3 Europäische Investitionsbank (EIB)
4.2.2.4 Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD)
4.2.2.4.1 Überblick der EBRD-Investitionen
4.2.2.4.2 Rolle der Mikrofinanzbank (MFB)
4.2.2.5 Die Weltbank-Gruppe

5 Allgemeine Umsetzungsprobleme bei der EU-Entwicklungshilfe
5.1 Problem: Aufbau funktionierender demokratischer Staaten
5.2 Problem: Bereitschaft dazu, „Grenzen zu überwinden“
5.3 Versuch einer Bilanz

6 Ausblick
Anhangsverzeichnis
Anhang
Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis:

Abbildung 1: Zusagen an der Geberkonferenz am 29.06.2001 in Brüssel

Abbildung 2: Serbien, geographische Lage

Abbildung 3: Aufteilung CARDS-Programm 2001 nach Projektbereichen in Serbien

Abbildung 4: Kreditprogramm der Weltbank

Abbildung 5: Vertrauen in die Medien

Abbildung 6: Die westlichen Balkanländer

Abbildung 7: "Das heutige Europa"

Abbildung 8: Organisationsstruktur des Stabilitätspaktes

Abbildung 9: Zusagen der Geberkonferenz für das Jahr 2001 für Serbien nach Sektor.

Tabellenverzeichnis:

Tabelle 1: Makroökonomische Indikatoren der Balkanstaaten

Tabelle 2: EG-Hilfe für die westlichen Balkanländer 1991-2002

Tabelle 3: EAR, wesentliche Zahlen: Serbien

Tabelle 4: Einschätzung des Stabilitätspaktes in der Bevölkerung

Abkürzungsverzeichnis:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

Entwicklungshilfe für die Balkanländer nimmt einen hohen Rang auf der aktuellen politischen Agenda der Europäischen Union ein. Hohe Relevanz und Aktualität können folglich dem Thema nicht abgesprochen werden. Mit der hohen Aktualität verbindet sich jedoch das Problem, dass sich bisher nur wenige Autoren der unbestreitbar komplexen Materie angenommen haben. Mit dieser Arbeit möchte ich eine eingängige Struktur in die teilweise noch ungeordneten Forschungsergebnisse bringen, die dem Leser relevante Informationen gebündelt und kritisch durchdacht nahe bringt. Ziel dieser Diplomarbeit ist dabei eine umfassende Erörterung von Zielen und Umsetzungsproblemen der Entwicklungshilfe der EU für die Balkanländer.

Als erste Herausforderung bei der Bearbeitung dieses Themas erweist sich eine genaue Abgrenzung des Begriffes „Balkan“, der bisher in der Literatur noch nicht eindeutig definiert wurde. Dieser Frage widmet sich das Kapitel 1.2.

Eine zweite Herausforderung stellt eine kompakte Darstellung der Situation auf dem Balkan dar. Um die aktuelle politische und wirtschaftliche Lage in den Balkanländern zu beleuchten (Kapitel 2.2), bedarf es zunächst einer genauen Analyse der historischen Entwicklung der Region. Aus diesem Grund wird in Kapitel 2.1 zunächst die Genese der aktuellen Situation seit dem 19. Jahrhundert (Kapitel 2.1.1) über die Zeiten des Kommunismus (Kapitel 2.1.2), den Zerfall von Jugoslawien (Kapitel 2.1.3), die Balkankriege den Kosovo-Krieg und Wirtschaftssanktionen (Kapitel 2.1.4) verfolgt.

Auf die Analyse der aktuellen Lage auf dem Balkan stützt sich die Untersuchung der Ziele und der Umsetzung der Entwicklungshilfe der EU für die Balkanländer. Die große Anzahl an existierenden Initiativen und Programmen, die darüber hinaus auf die Bedürfnisse und die Lage jedes einzelnen Landes der Region zugeschnitten sind, offenbarte

dabei die Notwendigkeit einer Systematisierung, die entlang der verschiedenen Programme in Kapitel 3 vorgenommen wurde. Kapitel 3.2.1 analysiert folglich die Umsetzung der Entwicklungshilfe im Rahmen des Stabilitätspaktes (SP). In Kapitel 3.2.2 wird eine Beschreibung der Umsetzung der Entwicklungshilfe im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses (SAp), einer neuen Strategie der EU für die Heranführung der potenziellen Betrittskandidaten an die europäischen Strukturen und Normen, vorgenommen.

Um dem Leser einen tieferen Einblick in die Komplexität der in der Arbeit behandelten Frage zu geben, wird die Umsetzung der EU-Entwicklungshilfe am Beispiel der BR Jugoslawien in Kapitel 4 erörtert. Dabei wird als erstes im Abschnitt 4.1 auf die Ursprünge der EU-Hilfe für die BR Jugoslawien eingegangen. Anschließend wird im Abschnitt 4.2 das EU-Hilfsprogramm CARDS mit seinen Bestandteilen ins Detail gehend dargestellt.

Auf die zahlreichen Probleme, die mit der Umsetzung der EU-Entwicklungshilfe für die Balkanländer verbunden sind, macht das Kapitel 5 aufmerksam. Zwei Problemschwerpunkte konnten dabei identifiziert werden, die die Absorptionsfähigkeit der Balkanländer für die EU- Entwicklungshilfe wesentlich beeinträchtigen: die politische Instabilität der jungen demokratischen Systeme (Kapitel 5.1) und fehlende Bereitschaft zum Ausbau der regionalen Zusammenarbeit (Kapitel 5.2). In Kapitel 5.3 wird ein Versuch unternommen, die bisherige EU-Entwicklungshilfe kritisch zu beleuchten, um eine Bilanz für die bisherigen Bemühungen zu ziehen.

Die Arbeit schließt mit einem Ausblick in Kapitel 6, in dem die künftigen Ziele der Entwicklungshilfe angezeigt werden. An diesem Punkt wird über das weitere Engagement der EU auf dem Balkan nachzudenken sein.

1.2 Begriffserklärung

1.2.1 Entwicklungshilfe

Da sich die vorliegende Arbeit mit der EU-Entwicklungshilfe für die Balkanländer beschäftigt, gilt es zunächst den Begriff „Entwicklungshilfe“ zu definieren.

Unter diesem Begriff werden Leistungen verstanden, die von und in Entwicklungsländern in Anspruch genommen werden. Entwicklungshilfe kann materieller (z.B. Kapital, Kredit, Direktinvestition) oder nicht materieller (z.B. Entsendung von ExpertInnen) Art sein. Sie kann von öffentlichen oder privaten Stellen geleistet werden. Die Verteilung kann auf bilateralem oder multilateralem Weg stattfinden.[1]Wesentliche Bereiche der Entwicklungshilfe sind Landwirtschaft, Nahrungsmittelhilfe, Wasserversorgung, Bildung, Gesundheitswesen, Bevölkerungspolitik, Familienplanung sowie Umwelt- und Ressourcenschutz.

Üblicherweise wird der Begriff „Entwicklungshilfe“ mit der Hilfe für die Entwicklungsländer Afrika und Asien verbunden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob man die Balkanländer als Entwicklungsländer bezeichnen kann. Eine einheitliche Definition des Begriffs "Entwicklungsland" gibt es nicht. Dies liegt an der Vielzahl der Faktoren, die zur Unterentwicklung eines Landes beitragen, die hier kurz benannt werden sollen: Ökonomische Merkmale sind ein geringes Bruttosozialprodukt pro Einwohner, eine sehr ungleiche Verteilung des BSP, eine niedrige Spar- und Investitionstätigkeit, eine unzureichende Infrastruktur, eine unzureichende Schul- und Ausbildung, hohe Arbeitslosigkeit, die bedeutende Rolle des primären Sektors, unzureichende Ernährung und Gesundheitsmängel sowie dazugehörend unzureichende medizinische Versorgung. Außenwirtschaftliche ökonomische Merkmale sind unterdessen die Ausrichtung auf die Industrieländer, eine einseitige Exportpalette, Verschlechterung der Terms of Trade und eine hohe Auslandsverschuldung. Wenn man anhand der hier aufgestellten Kriterien die aktuelle wirtschaftliche Lage auf dem Balkan beurteilt, stellt man fest, dass die einst hoch entwickelten Ländern durch den sinnlosen Krieg auf das Niveau der Entwicklungsländer zurückgeworfen wurden. Um die ganze Tragik der Situation zu verdeutlichen, wird in der vorliegenden Arbeit durchgehend der Begriff „Entwicklungshilfe“ angewendet.

1.2.2 Balkan

In den westeuropäischen Ländern ist die Geschichte der Balkanvölker meistens nicht bekannt. Was genau versteht man unter dem „Balkan“? Ist dies ein ausschließlich geographischer, ein politischer oder ein kultureller Begriff? Soll man ganz Südosteuropa dazu zählen oder nur die Länder südlich der Donau? Der Begriff „Balkan“ bedeutet übersetztGebirgeund stammt von dentürkischen(osmanischen) Eroberern, die den Balkanraum zwischen dem 14. und dem 17. Jahrhundert schrittweise unter ihre Kontrolle brachten und bis ins 20. Jahrhundert hinein dort vorherrschten. Mit o.g. Begriff haben die Türken aber nur die Bergkette „Stara Planina“ („das alte Gebirge“) bezeichnet, die sich quer durch Bulgarien zog.[2]

Offiziell werden heute als BalkanstaatenBulgarien,Albaniensowie die Republiken des ehemaligen Jugoslawiens,Serbien,Bosnien und Herzegowina,MontenegroundMazedonienverstanden. Die einen, die durch ihre geografische Lage dem Balkan zuzuordnen sind, sich jedoch nicht dieser Region zugehörig fühlen oder fühlen wollen, bevorzugen den Ausdruck „Südosteuropa“, der mit weniger negativen Konnotationen behaftet ist; einige andere, wie zum Beispiel die Griechen, legen großen Wert auf ihre mediterrane Lage, die sie mit dem ganzen Süden Europas, Afrika und dem Nahen Osten verbindet. Andere wiederum (Slowenen, Kroaten und immer öfter auch die Rumänen) sehen sich als Mitteleuropäer, die sich mit Interessenverbindungen zum Balkan darzustellen versuchen.[3]

DerWestbalkanist ein von der EU geprägter Begriff für die Nachfolgestaaten Jugoslawiens und Albanien. Zu den Nachfolgestaaten Jugoslawiens zählen Bosnien und Herzegowina (BiH), Kroatien, die Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien (EJR Mazedonien) und die Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ)[4]. Slowenien hingegen hat bereits ein Europaabkommen mit der EU abgeschlossen und gilt seit 1998 als offizieller EU – Beitrittskandidat.

Obwohl die Wissenschaftler heute noch über die regionale Abgrenzung des Balkans innerhalb von Südosteuropa (SOE) diskutieren, bezieht sich der Kern der Thematik dieser Arbeit auf die folgenden fünf Staaten:Albanien,Bosnien und Herzegowina,Kroatien, ehemaligeEJRMazedonienund insbesondere auf dieBR Jugoslawien(Serbien, Montenegro und Kosovo). Staaten wie Bulgarien oder Rumänien gehören zwar auch zu den SOE-Ländern, werden jedoch von einer genaueren Betrachtung im folgenden ausgeschlossen. Der Grund dafür ist, dass die o.g. fünf Länder durch eine besondere Strategie der EU-Entwicklungshilfe gefördert werden.[5]

Wenn also von Begriffen wie „Balkan“, „Westbalkan“, „Balkanregion“ und „SOE-Ländern“ die Rede ist, beziehen sich die dazu gehörigen Aussagen hauptsächlich auf die fünf oben genannten Staaten.

2 Der Balkan: ein komplexes Puzzle

2.1 Das „Pulverfass Europas“- ein historischer Rückblick

Will man sich heute mit den Balkan näher auseinandersetzen, bedarf es einer gewissen Grundkenntnis – sowohl hinsichtlich des geschichtlichen Hintergrundes, als auch bezüglich der Bedeutung des Begriffes „Balkan“, Aspekte, ohne die man die derzeitige Situation nicht ausreichend verdeutlichen kann.

Der vor kurzem beendete Krieg zwischenSerbenundKroaten, die Tragödie derMuslimein Bosnien-Herzegowina, diealbanischeUnabhängigkeitsbewegung in Kosovo, die ungelöste Problematik derungarischenMinderheit in Rumänien und dertürkischenMinorität in Bulgarien sowie die wieder aufflammendeMazedonienkrise– all diese Unruhen haben historische Ursprünge.

2.1.1 Der Einfluss der Geschichte

„Die Geschichte der Völker wird von ihrer Geographie geschrieben“

Napoleon Bonaparte

Der „Balkan“ tauchte zum Anfang des 19. Jahrhunderts auch im Westen als geopolitischer und kulturgeografischer Begriff auf. Als Balkan definierte das damalige Europa Bulgarien, Serbien, Mazedonien, Albanien, Bosnien, Montenegro und Nordgriechenland.[6]

Die gebirgige Struktur der Landschaft hat die Bildung großer politischer Einheiten so verhindert, dass nie eine politische Macht zentriert werden konnte. Im Laufe des 19. Jahrhundert entstanden die Staaten Serbien und Griechenland in ihren heutigen Grenzen, danach folgen Montenegro und Bulgarien, als letztes Albanien.[7]

Die von der politischen Seite geprägte Bezeichnung des Balkans als Pulverfass datiert ein Jahrhundert zurück, als sich die imperialen

Mächte, vor allem Deutschland, Österreich-Ungarn und das zaristische Russland um die Reste des Osmanischen Reiches in Südosteuropa und im Orient stritten. Als Folge wurden die zwei Balkankriege und letztendlich der erste Weltkrieg ausgelöst.[8]

Wegen seiner Lage an der Peripherie Europas, zwischen Abendland (Okzident) und Morgenland (Orient) sowie als Brücke der Kulturräume Europa und Orient, war der Balkan immer Spielball des christlich geprägten Westens und des orthodoxen Ostens. Aufgrund dieser historischen Entwicklungen sind die einzigen gemeinsamen historischen Erfahrungen Südosteuropas die Unterwerfung unter einen fremden Willen, Machtansprüche, Krieg und Fremdherrschaft. Die ethnischen, kulturellen und religiösen Einflüsse haben dazu geführt, dass der Balkan oftmals das war, was er heute wieder ist: eine Vielvölker- und Kleinstaatenregion mit historisch geprägter, nationaler Existenzangst.[9]

2.1.2 Zeiten des Kommunismus

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war in fast allen Ländern Süd- und Osteuropas die Kommunistische Partei (KP) an der Macht. Die KP war nicht nur die einzige existierende Partei in diesen Ländern, sondern bestimmte auch alle politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen. So wurden (nach dem Vorbild des Sowjetischen Systems) die Industrieunternehmen verstaatlicht, und es wurde nach Planwirtschaft gearbeitet.

Für Albanien war schon der Übergang zu der Planwirtschaft sehr problematisch, da in vielen Bereichen der Wirtschaft keine ausreichend entwickelte Infrastruktur vorhanden war. Wie auch in anderen kommunistischen Ländern wurden die landwirtschaftlich genutzten Flächen entweder kollektiviert oder in Staatsgüter übergeführt, die zukünftig enormen wirtschaftlichen Rückständen unterlagen. Der Staat Albanien zählte zu den ärmsten Ländern Europas.[10]

In SFRJ Jugoslawien war die Situation viel spezifischer. Obwohl sich Tito nach dem Zweiten Weltkrieg gegenüber der Sowjetunion loyal verhielt, wollte er Jugoslawiens Unabhängigkeit verteidigen und bekannte sich zu dem Pluralismus innerhalb der kommunistischen Bewegung. Das führte 1948 zum Bruch mit der Sowjetunion und dem Ausschluss der jugoslawischen Kommunistischen Partei aus demKominform[11]. Nach dem Bruch mit Stalin wurde das Land ein führendes Mitglied der Blockfreien Staaten[12], und Tito suchte in wirtschaftlicher Hinsicht die Annäherung an den Westen. Er führte ein eigenes liberales Sozialismusmodell[13]ein und verhinderte damit die Einmischung der Sowjetunion in die inneren Angelegenheiten Jugoslawiens.

Die jugoslawische Wirtschaft war wesentlich besser gestellt, als die von anderen sozialistischen Ländern in Europa. Wegen der großzügigen westlichen Kredite schaffte Jugoslawien unter Tito den Anschluss an das Weltniveau. Insbesondere sind zwei Aspekte sehr wichtig: Der erste Aspekt war die Aufhebung der Visabeschränkung und die Förderung des Tourismus, was hohe Devisen-Einnahmen garantieren sollte. Der zweite war die Reisefreiheit und die Ausreiseerlaubnis für die jugoslawischen Bürger. Dies führte bis Mitte der achtziger Jahre zu über einer Million jugoslawischer Gastarbeiter im Ausland, die wiederum beträchtliche Geldsummen nach Hause schickten.[14]

Slowenien, Kroatien und Vojvodina waren die reichsten Regionen SFR Jugoslawiens, während Kosovo und Mazedonien zu den weniger entwickelten zählten. Die kommunistische Führung sorgte jedoch für einen Lastenausgleich zwischen reicheren und ärmeren Republiken, was immer wieder die Unzufriedenheit der Wohlhabenderen und harte Verteilungskämpfe zwischen den Republiken und Nationen hervorrief.

2.1.3 Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens und Krieg

Die Völker Jugoslawiens haben es geschafft, ihren vorher gemeinsam aufgebauten Staat in Schutt und Asche zu legen. Viele Beobachter der Kriege in Jugoslawien verweisen auf die kulturhistorischen Gegensätze als einen wesentlichen Auslöser des Krieges. Diese immer wieder bemühte Erklärung ist insofern richtig, als sich hier unterschiedlichste Sozialnormen, Traditionen, Wertesysteme und Mentalitäten bilden konnten. Alle Nationen und Religionen haben nationale und historische Erblasten mit sich getragen, die dennoch nicht die wesentlichen Gründe des Balkankrieges waren.

Das Fehlen von demokratischer Tradition und marktwirtschaftlicher Reformen trug zum Ausbruch der Gewalt bei. Die gegenwärtigen politischen Versäumnisse, falsche Strategien und fehlende Leistungsfähigkeit der Politiker sind hauptsächlich als Gründe für die Kriege auf dem Balkan zu sehen. Unbeglichene Rechnungen und zurückliegende historische Ereignisse zwischen den Nationen wurden nur taktisch präsentiert, um die nationalen, religiösen und kulturellen Unterschiede zu vertiefen und friedliches Leben der Völker unmöglich zu machen.[15]

Der Zerfallsprozess Jugoslawiens wurde zudem durch die weltpolitischen und ideologischen Veränderungen beschleunigt. Nach dem Ende des Kalten Krieges, dem Verschwinden der Machtblöcke und dem Zusammenbruch des Sozialismus in Südosteuropa zerbrach auch die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene jugoslawische

Ideologie. Jugoslawien konnte seine blockfreie Politik nicht mehr durchsetzen. Umliegende südosteuropäische Staaten begannen mit

dem politischen und wirtschaftlichen Wandel, mit einem Prozess der Demokratisierung und der Integration in die Europäische Union. Obwohl sich Jugoslawien als ehemaliger Führer der Blockfreien Staaten mit gewisser Liberalisierung und Reisefreiheit im Unterschied zu den meisten Ländern Ost- und Südeuropas bis dahin behaupten konnte, verfehlte es den Integrations- und Demokratisierungsversuch.

2.1.4 BR Jugoslawien unter Milosevic, Wirtschaftssanktionen und NATO

Nach dem Zusammenbruch des „kommunistischen“ Regimes Anfang der 90er Jahre, kamen Milosevic und seine Sozialistische Partei Serbiens an die Macht – mit Hilfe eines starken serbischen Nationalismus, der öffentlich forciert wurde.

In der Hoffnung, den Krieg dadurch zum Stillstand zu bringen, wurde die FR Jugoslawien im Mai 1992 aus verschiedenen Wirtschafts-Organisationen, wie dem Internationalen Währungsfond (IMF) und dem Internationalen Handelsabkommen (GATT), ausgeschlossen. Wegen der Politik des serbischen Präsidenten Milosevic und der Einmischung FR Jugoslawiens in den Krieg in Bosnien-Herzegowina und Kroatien wurden ebenfalls im Mai 1992 die UN-Wirtschaftssanktionen und seitens der EU ein Handelsembargo über Jugoslawien verhängt. Diese Maßnahmen wurden im April 1993 noch verschärft.

Nach der Unterzeichnung des Dayton-Abkommens im Jahre 1995, das Frieden in Bosnien und Herzegowina bedeutete, wurden die Sanktionen im Oktober 1996 endgültig aufgehoben. Die Teilnahme FR Jugoslawiens in internationalen Organisationen und Institutionen wollten die USA jedoch nicht bewilligen. Die Voraussetzung war die Korporation FR Jugoslawiens mit dem Kriegstribunal in Den Haag und die Beachtung der Menschenrechte im Kosovo. Als der Konflikt im Kosovo letztendlich eskalierte, revidierten die EU und USA ihre Entscheidung Mitte 1998 und bestraften so das Land erneut. Diesmal wurden die Konten staatlicher Firmen im Ausland eingefroren, es kam

zum totalem Stopp von Geld- und Finanztransaktionen. Als sich Milosevic auf diplomatischem Wege nicht überzeugen ließ, eskalierte die Lage im Kosovo und fand im Jahr 1999 mit Luftangriffen der NATO gegen Serbien, Kosovo und Montenegro ihren Höhepunkt. Die USA und die EU verhängten dann mit 14 anderen Europäischen Ländern zusätzlich ein Öl-Embargo gegen die FR Jugoslawien. Die Luftangriffe dauerten ganze drei Monate, bis die UNO-Truppen im Kosovo einmarschieren konnten.[16]

Das Land war isoliert, der Lebensstandard sank und erreichte nach dem Nato-Bombardement einen Tiefstand, d.h. Jugoslawien lag mit dem Bruttosozialprodukt unter dem von Albanien, das seit langem als das ärmste Land Europas bekannt war. Das durchschnittliche Einkommen lag damals bei ungefähr € 25 pro Monat.

Ich werde an dieser Stelle keine weiteren Details des jugoslawischen Krieges erörtern, weil dies zu viel Raum einnehmen würde. Die Folge des Krieges ist die Armut des jugoslawischen Volkes, dem die grundlegenden Menschenrechte vorenthalten werden.

Die Regierung Milosevic wurde am 5. Oktober 2000 gestürzt.

2.1.5 Europa in dem Balkankrieg: 1991 – 1999

Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien von 1991-1999 (Slowenien 1991, Kroatien 1991-95, Bosnien 1992-95, Kosovo 1998-99) haben das Bild vom Balkan als „Europas Pulverfass“ zu neuem Leben erweckt.

Man muss jedoch ebenso den Staaten der Europäischen Union und den USA Handlungsunfähigkeit und irrige Strategien vorwerfen. Ihre Politik hat auf dem Balkan versagt und zugelassen, dass die Völker Jugoslawiens ihre Probleme auf dem Schlachtfeld lösen. Dieser Meinung ist auch Matthias Rüb: „Den Krieg in Europa haben die Europäer weder verhindert noch frühzeitig eingedämmt.“[17]

Zuerst hielten Europa und die USA an der Erhaltung des jugoslawischen Staates und dem Gebot der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten fest. Während die meisten europäischen Länder und die USA der Ansicht waren, „den Zerfall Jugoslawiens nicht durch unüberlegte diplomatische Schritte zu beschleunigen“[18], insistierte die Bundesrepublik Deutschland schon im Herbst 1991 auf die internationale Anerkennung der jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien. Trotz der Warnungen erkannte Deutschland Slowenien und Kroatien am 23. Dezember 1991 an. Die anderen EU-Staaten folgten am 15. Januar 1992.[19]Die Anerkennung der Republiken fand jedoch ohne vorherige Abklärung zwischen den Minderheiten und Mehrheiten statt. Es wurde kein Verfassungskonsens gefunden und die Minderheitsproblematik blieb ungewiss.[20]Mit der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens war wahrscheinlich das einzige übrig gebliebene Druckmittel für eine politische Lösung verspielt.

Als das damalige Jugoslawien vor dem Zerfall stand, war der Westen überrascht und fassungslos. Er war durch die Golfkrise abgelenkt, und außerdem wussten viele nicht zu reagieren, weil ihnen im eigenen Land ähnliche offene oder verdeckte nationalistische Bestrebungen (z.B. Korsen, Basken, Nordirland, etc.) bekannt waren.[21]Sie befürchteten ein gleiches Szenario im eigenen Land. „Aus dieser Angst heraus hat Europa vor dem Jugoslawien-Konflikt die Augen verschlossen und auf eine ‚innere Regulierung’ des Krisenherdes gebaut“.[22]

Erst als der Konflikt eskalierte, setzte sich der Westen für eine Konföderation als Lösung ein. Leider kam diese Entscheidung zum falschen Zeitpunkt. Die Europäer haben es verpasst, diese letzte Möglichkeit und die Grundlage für weitere Verhandlungen und den friedlichen Wandel in Jugoslawien zu nutzen und die jugoslawischen Politiker zum Dialog zu zwingen.

[...]


[1]Vgl. Nohlen, 1993, S.209-211

[2]Vgl. Weithmann 1993, S.8

[3]Vgl. Weithmann 2000, S.24

[4]Nach der Auflösung der ehemaligen „Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“ (SFRJ) schlossen sich Serbien und Montenegro zu der „Föderativen Republik Jugoslawien“ (FRJ) zusammen, die oftmals in der Presse als „Restjugoslawien“ bezeichnet wurde. 1996 kam es jedoch zur Anerkennung von Serbien-Montenegro als Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ). Vgl. Rüb, 1999, S.332-344

[5]Vgl. diese Arbeit, Anhang 1

[6]Vgl. Weithmann, 2000, S.24

[7]Vgl. Weithmann, 1993, S.8

[8]Vgl. Angelova, 2002, S.13 und diese Arbeit, Anhang 2

[9]Vgl. Weithmann, 2000, S.15

[10]Vgl. o.V., Encarta Enzyklopädie PLUS, 1999, [Albanien]

[11]Kominform – Das Kommunistische Informationsbüro wurde im Oktober 1947 auf einem Treffen der kommunistischen Parteien aus neun Ländern (der UdSSR, Jugoslawien, Frankreich, Italien, der Tschechoslowakei, Polen, Ungarn, Bulgarien und Rumänien) gegründet. Es sollte angeblich als Stelle zum Austausch von Informationen von allgemeinem Interesse dienen, in Wirklichkeit jedoch als Instrument zur Durchsetzung von Stalins Politik. Nikita Chruschtschow schaffte am 17. April 1956 das Kominform ab, um eine sowjetisch-jugoslawische Aussöhnung zu erzielen. Vgl. Der Grosse Brockhaus, 1955, S.499

[12]Blockfreie Staaten - Bündnis von Staaten, die während des Kalten Krieges keinem der beiden Machtblöcken zugehörten.

[13]Das war das System der Selbstverwaltung der sozialistischen Marktwirtschaft, eine Art Mittelding zwischen Sozialismus und Kapitalismus.

[14]Vgl. Judah, 2000, S.142-144

[15]Vgl. Rüb, 1998, S.94-96

[16]Vgl. EBRD, 2001, S.2

[17]Rüb ,1998, S.47

[18]Calic, 1996, S.40

[19]Vgl. Marković, 2000, S.30-32

[20]Vgl. Richter, 1999, S.96-98

[21]Vgl. Grotzky, 1993, S.7

[22]Grotzky, 1993, S.7

Ende der Leseprobe aus 100 Seiten

Details

Titel
Die Entwicklungshilfe der Europäischen Union für die Balkanländer-Ziele, Umsetzungsprobleme
Hochschule
Hochschule RheinMain  (International Business Administration)
Note
2,00
Autor
Jahr
2002
Seiten
100
Katalognummer
V10825
ISBN (eBook)
9783638171489
Dateigröße
1174 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Europäische Union, Wiederaufbau, Entwicklungshilfe, Balkan, Serbien, Südosteuropa, Stabilitätspakt, Projekte
Arbeit zitieren
Jasmina Vuckovic (Autor:in), 2002, Die Entwicklungshilfe der Europäischen Union für die Balkanländer-Ziele, Umsetzungsprobleme, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10825

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