Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Technische Entwicklung
2.1 Historischer Rückblick
2.2 Stand der Technik
2.2.1 Bildaufnahme
2.2.2 Bildübertragung
2.2.3 Bildspeicherung
2.2.4 Bildinterpretation (Automated Visual Surveillance)
2.3 Videoüberwachungsmöglichkeiten in der Zukunft
3 Gesellschaftspolitische Entwicklung
3.1 Von der Industrie- zur Risikogesellschaft
3.1.1 Veränderung der Rahmenbedingungen
3.1.2 Kriminalität als Risiko
3.1.3 Konsequenzen für die Kriminalpolitik
3.2 Kriminalitätstheorien hinter der Videoüberwachung
3.2.1 Ökonomische Kriminalitätstheorie – Der „Rational Choice“ Ansatz
3.2.2 Traditionelle Kontrolltheorie und „General Theory of Crime“
3.2.3 Situational Crime Prevention
3.2.4 Situaltional Crime Prevention Strategies
3.2.5 Selbstdisziplin – Das Panopticon
4 Videoüberwachung in Grossbritannien
4.1 Die Anfänge von CCTV
4.2 Exponentielles Wachstum von CCTV
4.3 Ursachen für die Ausbreitung
4.3.1 Der politische Hintergrund
4.3.2 Ökonomische Interessen
4.3.3 Fehlende Rechtliche Regulierung
4.3.4 Mangelnde Evaluationen – „Does CCTV work?“
4.3.5 Mediale Verbreitung
4.3.6 Angst vor Terrorismus
5 Effektivität der Videoüberwachung
5.1 Ziele der Videoüberwachung
5.2 Kriminalprävention durch Videoüberwachung
5.2.1 Allgemeines
5.2.2 Verlagerung („Displacement“)
5.2.3 Diffusion of Benefits – „Overspill“ Effekt
5.2.4 Life Cycle und Time Delay
5.2.5 Methodenkritik
5.2.6 Ergebnisse der Evaluationsstudien
5.3 Kriminalrepression durch Videoüberwachung
5.3.1 Allgemeines
5.3.2 Ergebnisse der Evaluationsstudien
5.4 Erhöhung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung durch Videoüberwachung
5.4.1 Die Bedeutung der Kriminalitätsfurcht
5.4.2 Evaluation des Sicherheitsgefühls
6 Kritische Würdigung
6.1 Anpassungsdruck durch Videoüberwachung
6.2 Durchsetzung von Partikularinteressen
6.3 Im Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit
6.4 Symptombekämpfung?
7 Schlusswort
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Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Mit dem Fortschreiten der technischen Entwicklung ist auch die Videoüberwachung in den letzten Jahren zunehmend in unseren Lebensalltag gerückt. Dabei ist, vor allem in letzter Zeit, eine Ausweitung der Videoüberwachung vom privaten in den öffentlichen Raum zu beo- bachten. Auch die staatlichen Organe, insbesondere die Polizei, haben die Vorteile der opti- schen Überwachungstechnologie für ihre Tätigkeit erkannt und setzen diese vermehrt auch als Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung ein. So wird die Videoüberwachung teilweise als nütz- liche Ergänzung bei der polizeilichen Tätigkeit, teilweise gar als Wundermittel in der Krimina- litätsbekämpfung gefeiert und von Politikern gerne als solche angepriesen. Im Gegensatz zu Ländern wie der Schweiz oder Deutschland, wo bislang nur Modellversuche in beschränk- tem Umfang stattfinden, ist der Einsatz von Videoüberwachungsanlagen in Grossbritannien zum Zwecke der Kriminalitätsbekämpfung seit weit mehr als zehn Jahren Alltag1.
Mit der rasanten Zunahme der Videoüberwachung sowohl im privaten wie auch im öffentli- chen Bereich, gerät diese auch vermehrt unter Kritik. Besonders der kriminalistische Nutzen der Videoüberwachung wird im Hinblick auf Verdrängungseffekte bezweifelt. Aber auch ver- fassungsmässig garantierte Freiheitsrechte, wie das in Art. 8 EMRK2 garantierte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, werden durch den Einsatz der Videoüberwachung tangiert. In Folge der Terror Anschläge vom 11. September 2002 hat das Bedürfnis nach mehr Sicherheit in der Bevölkerung, wenn auch auf Kosten der Freiheit zugenommen. Die innere Sicherheit steht weit oben auf der aktuellen politischen Traktandenliste. Freiheit und Sicherheit stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander, Sicherheitsmaximierung geht zwangsläufig auf Kosten der Freiheitsrechte des Bürgers3. Letztendlich gilt es dieses Span- nungsverhältnis zu lösen, indem im Einzelfall Freiheit und Sicherheit sorgfältig gegeneinan- der abgewogen werden, damit der Einsatz der Videoüberwachungstechnologie gesellschaft- lich verantwortbar wird. Um eine solche Abwägung vornehmen zu können, müssen wir uns genauer mit den Wirkungsweisen der Videoüberwachung auseinandersetzen. So müssen beispielsweise bei der Prüfung der Verfassungsmässigkeit insbesondere die Fragen nach
der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismässigkeit der Videoüberwachung im Hinblick auf den mit ihr verfolgten Zweck beurteilt werden4.
Die folgende Arbeit soll sich kritisch mit dem Thema Videoüberwachung im öffentlichen Raum als Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung auseinandersetzen. Die Chancen und Risi- ken der Videoüberwachung sollen genauer analysiert und gegen einander abgewogen wer-
den. Es gilt herauszufinden, welche Wirkung von der Videoüberwachung ausgehen soll und welche sie tatsächlich hat, wobei in dieser Arbeit im Wesentlichen der kriminalpräventive5 Aspekt untersucht wird. Der Mythos von der Videoüberwachung als Allheilmittel gegen die Kriminalität soll durchleuchtet werden. Wegen der bereits langjährigen und umfangreichen Videoüberwachungspraxis in Grossbritannien ist es sinnvoll, auf die dort gesammelten Erfah- rungen zurückzugreifen, Bilanz zu ziehen und daraus die Konsequenzen für einen allfälligen
Einsatz der Technologie in unseren Breitengraden zu ziehen.
Der Begriff des „öffentlichen Raums“ wird im Folgenden nicht in einem formal juristischen Sinn, sondern in einem weiteren Sinne verwendet. Nach der hier gewählten Arbeitsdefinition umfasst er alle Räumlichkeiten, deren Zweck darin besteht, von einer unbestimmten Menge von Menschen genutzt zu werden, unabhängig davon, ob die Videoanlagen im öffentlichen oder privaten Besitz sind. Unter diesen Begriff fallen folglich alle Räume, welche öffentlich zugänglich sind, d.h. ohne Zutrittbeschränkungen, also beispielsweise städtische Kernzonen, Strassennetze und Plätze, aber auch Einkaufszentren und Transportsysteme. Trotzdem muss schon an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die Abgrenzung nach juristi- schen Kriterien für die unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen der Videoüberwachung von wesentlicher Bedeutung ist6.
Kapitel 2 der Arbeit beginnt mit der technischen Entwicklung, als eine der Vorraussetzungen für die Einführung der Videoüberwachung. Es sollen die technischen Voraussetzungen und Möglichkeiten dargestellt werden und ein Blick in die Zukunft optischer Überwachungstechnik geworfen werden. Um jedoch das Aufkommen und exponentielle Wachstum der neuen visu- ellen Überwachungsmöglichkeiten zu verstehen, ist es notwendig, die Technologie der Vi- deoüberwachung in einem weiteren gesellschaftlichen und politischen Kontext zu sehen7. Deshalb werden im Kapitel 3 die gesellschaftlichen Veränderungen, insbesondere die Ent-
wicklung zur Risikogesellschaft skizziert, und die Kriminalitätstheorien vorgestellt auf welche sich die Videoüberwachung als präventive Massnahme stützt. Kapitel 4 befasst sich mit der Videoüberwachung in Grossbritannien, dem Land, das als weltweiter Vorreiter im Bereich Videoüberwachung gilt. Danach sollen in Kapitel 5 die Wirkungen der Videoüberwachung aufgezeigt, und anhand der verfolgten Ziele gemessen werden. Im zweitletzten Kapitel wer- den die gesellschaftlichen Folgen der Überwachung diskutiert und die Ängste einer orwell- schen Vision vor dem Überwachungsstaat kritisch beleuchtet. Ursprünglich sollten danach in einem weiteren Kapitel die rechtlichen Voraussetzungen dargestellt werden. Die gründliche Behandlung dieses Themenbereichs hätte jedoch den Rahmen der Arbeit bei weitem ge- sprengt. Es sei deshalb auf die vom Datenschutzbeauftragten des Kantons Zürichs verfass- ten Dokumentationen verwiesen8.
2 Technische Entwicklung
2.1 Historischer Rückblick
Videoüberwachung im öffentlichen Raum wurde zwar erst in letzter Zeit auch in der Schweiz intensiver diskutiert9, sie ist jedoch keineswegs ein Novum. Bereits in den 60er-Jahren wur- den Kameras vor allem zur Überwachung und Steuerung von Verkehrsströmen eingesetzt. Die Wurzeln der Videoüberwachung reichen jedoch schon viel weiter zurück und basieren vor allem auf der Erfindung des Fernsehens im Jahre 192510. Im Jahre 1936 wurde die erste elektronische Kamera, das Ikonoskop vorgestellt. Noch im selben Jahr konnte die erste öf- fentliche Fernsehübertragung durch den staatlichen Sender BBC11 durchgeführt werden. Nach dem 2. Weltkrieg begann die Entwicklung der Bildaufzeichnung in den USA, wo 1956 der erste „Video Cassette Recorder“, kurz „VCR“, durch die Firma Amplex produziert wurde. Somit wurde der letzte Baustein für die Videoüberwachungstechnologie gelegt. Fortschritte in der Mikroelektronik führten zur Miniaturisierung der Geräte, zur Senkung der Herstellungs- kosten, und damit zu einer weiteren Ausbreitung der Videotechnologie im gesellschaftlichen Leben. Mit der zunehmenden Digitalisierung in allen Bereichen ergeben sich auch Vorteile für die Videoüberwachung. Diese liegen unter anderem in der verbesserten Bildqualität, der kos- tengünstigen und effizienten Speicherung, der Altersbeständigkeit der Informationen durch Vermeidung von Qualitätsverlusten, der schnellen Übertragung auf unbeschränkte Distanzen und in der Möglichkeit der nachträglichen Bearbeitung. Die Ausnutzung von Synergieeffekten in den Bereichen Computer, Telekommunikation und Videotechnik ergibt schliesslich das Potential für zukünftige Entwicklungen.
2.2 Stand der Technik
Die Videoüberwachung, wie wir sie heute kennen, besteht im Wesentlichen aus 4 Schritten; die Bildaufnahme, die Bildübertragung, die Bildspeicherung und die Bildinterpretation. Die letztere wird auch heutzutage noch durch Menschen vorgenommen, was jedoch bedingt, dass die Monitore permanent durch mindestens eine Person überwacht werden müssen. Durch künftige Entwicklungen könnte der Mensch durch den Computer ersetzt und damit hohe Personalkosten gespart werden. Die sich noch in Entwicklung befindende Bildinterpre- tation durch den Computer wird in der Fachwelt auch als „Automated Visual Surveillance“ oder „Intelligent scene monitoring“ bezeichnet.
2.2.1 Bildaufnahme
Die Bildaufnahme erfolgt mittels Videokamera. In den allermeisten Fällen werden bereits heu- te Farbkameras eingesetzt. Im Gegensatz zu schwarz-weiss Kameras bieten erstere einen höheren Informationsgehalt (z.B. zur Täteridentifizierung), können die Farbkameras nur bei ausreichender Beleuchtung eingesetzt werden12. Durch den Einsatz von Infrarottechnik kann die Überwachung auch bei vollkommener Dunkelheit realisiert werden. Wie in den übrigen Bereichen der Videoüberwachung ist auch auf Kameraseite eine zunehmende Digitalisierung zu verzeichnen. Kamerainterne Signalverarbeitungsprozessoren ermöglichen die Verbesse- rung der Bildqualität mittels Konturenanhebung, Kontrastverstärkung, Gegenlichtkompensati- on oder durch automatische Aufhellung von dunklen Bildbereichen. Kameras werden als Fix- kameras oder als bewegliche Kameras eingesetzt. Die Steuerung von beweglichen Kame- ras erlauben das Schwenken, Neigen und Zoomen. Diese Funktionalität ist im Zusammen- hang mit der Videoüberwachung im öffentlichen Raum von besonderer Bedeutung, da mit derselben Kamera Übersichtsaufnahmen und im Bedarfsfall eine gezielte Detailaufnahme realisiert und einzelne Personen oder Situationen verfolgt werden können. Die so genannte Dome Kamera13 erlaubt gegenüber den herkömmlichen Kameras auf Schwenk- und Neige- köpfen, einen Schwenkbereich von 360°, schnelle Positionierungszeiten und Drehgeschwin- digkeiten.
2.2.2 Bildübertragung
Die Bildübertragung kann analog oder digital sein. Für die analoge Übertragung muss grund- sätzlich eine direkte Verbindung von der Kamera zum Anzeige- oder Aufzeichnungsgerät hergestellt werden, wobei bei der digitalen Übertragung bereits bestehende Übertragungs- netze, wie ISDN Fernmeldeleitungen oder grenzüberschreitende Netze wie das Internet, ge- nutzt werden können14. Der Vorteil der Digitaltechnik gegenüber der Analogen, besteht also vor allem darin, dass eine Verbindung zu unterschiedlichen Empfangsgeräten und über lange Distanzen aufgebaut werden kann. Die heutigen Datenkomprimierungsverfahren garantie- ren, dass auch bei begrenzten Bandbreiten eine ausreichende Bildqualität beim Empfänger erreicht wird. Zunehmende Anwendung findet auch die Datenübertragung per Funkverkehr,
z.B. durch Wireless LAN15 Kameras, welche eine kabellose und somit mobile Videoüberwa- chung ermöglichen16. Das bedingt aber auch, dass mit Hilfe von kryphtographischen Verfah- ren die Daten genügend stark verschlüsselt werden müssen, um ein eventuelles Mitsehen Dritter zu verhindern. In den Leitstellen werden die Kamerabilder auf Monitoren dargestellt und über Schaltstellen können die Steuerungsbefehle für die Kameras eingegeben werden.
2.2.3 Bildspeicherung
Die Speicherung der Bildinformationen ist jedoch optional, da eine Echtzeitüberwachung am Monitor durch Sicherheitspersonal für das Funktionieren der Überwachung ausreichend ist. Die Vorteile der Speicherung bewegen jedoch viele, nicht auf diese zu verzichten. So können auch kritische Situationen, welche der Aufmerksamkeit des Sicherheitspersonals entgehen und erst nach ihrer Ereignung bekannt werden, wiedergegeben, und allenfalls als Beweismit- tel verwendet werden.
Auch bei der Videoaufzeichnung existiert eine starke Verdrängung der analogen Geräte durch die Digitaltechnik. Der Nachteil der in der Vergangenheit verwendeten Magnetbänder und Videorekordern liegt in der begrenzten Speicherkapazität und den beschränkten Durchsu- chungsmöglichkeiten. Durch die fallenden Preise bei den digitalen Speichermedien werden heutzutage in den meisten Fällen handelsübliche Computerfestplatten zur Speicherung der
digitalisierten Bilder verwendet17. Die riesigen Speicherkapazitäten dieser Festplatten ver-
mögen bei geeigneter Datenkompression, Unmengen an Daten zu speichern. Doch der we- sentlich wichtigere Vorteil besteht in dem nahezu direkten Zugriff auf einzelne Bilder über vordefinierte Suchkriterien, der sogar bei grossen Datenbeständen gewährleistet ist. Der Anschluss des Aufzeichnungsgeräts an ein Datennetz ermöglicht jeder autorisierten Person zu jeder Zeit den Zugang zum gesamten Datenbestand.
2.2.4 Bildinterpretation (Automated Visual Surveillance)
Mit der wachsenden Anzahl von Videoüberwachungskameras und der damit entstehenden Datenflut auf den Monitoren wird es immer schwieriger, die Informationen aus den Überwa- chungssystemen effektiv auszuwerten. Die natürliche Aufnahmefähigkeit des Menschen ist begrenzt. Eine einzelne Person vermag nur wenige Monitore zugleich effektiv zu überwachen und zu bedienen, so dass bei grösseren Systemen sehr viel kostenintensives Personal be- nötigt wird. Aus Kostengründen wird jedoch oft darauf verzichtet, so dass die Betreuung von bis zu 50 Monitoren durch eine einzige Person keine Seltenheit darstellt18. Dazu kommt,
dass die Beobachtung von Monitoren eine monotone Tätigkeit ist, welche notwendigerweise auch Zeiten der Unaufmerksamkeit beinhaltet. Daraus folgt, dass eine effiziente Auswertung der Bilder durch den Menschen limitiert ist.
Zur Entlastung des Bedienungspersonals wird heute intensiv an intelligenter Bildinterpretati- onssoftware gearbeitet, welche die Bildinhalte auf Gefahrenpotentiale hin analysiert19. Durch eine Automatisierung der Überwachung können alle Kameras gleichzeitig überwacht werden. Bei kritischen Situationen bekommt der Bediener eine Alarmmeldung, welche das Ergreifen von Massnahmen ermöglicht. Das System vergleicht dabei ein aufgezeichnetes Video- Frame mit dem gespeicherten „Hintergrundbild“, und schliesst darauf auf eine relevante Be- wegung20. Die gewonnen Erkenntnisse dieses ersten Arbeitsschritts, genannt „Image Pro- cessing“ (IP), werden in einem weiteren Schritt, dem Image Understanding (IU) ausgewer- tet21. Der Computer generiert mit der Zeit, an Hand von Beispielen, immer detailliertere Ver- haltensmodelle, mit denen er „normales“ von „verdächtigem“ Verhalten unterscheiden soll. So gleicht sich beispielsweise das Verhalten von Autodieben beim Heranschleichen und Flüchten auf einem Parkplatz derart, dass es mathematisch berechenbar wird und als Modell im Rechner gespeichert werden kann22. Sobald das System dieses Musterverhalten wieder erkennt, schlägt es Alarm, also noch bevor sich der Gesetzesverstoss ereignet hat. Die grosse Schwäche, der in der Vergangenheit verwendeten Systeme, liegt in deren hohen Falschalarm-Rate, ausgelöst durch Umwelteinflüsse wie Wind und Regen. Die Forschung ist dabei, intelligente Systeme zu entwickeln, welche sich automatisch über längere Zeit an die Umgebungsbedingungen adaptieren23. Auf weit tiefererem technischen Niveau wird be- reits seit längerem in vielen Ländern die automatische Schrifterkennung von Automobil- Kennzeichen eingesetzt, so auch in der Schweiz24.
Diesem Trend der Automatisierung folgend ist es denkbar, dass der Mensch im Überwa- chungsbereich einmal vollständig durch die Technik ersetzt werden kann, da der Computer das Bild nicht nur analysieren und interpretieren, sondern auch die entsprechenden Mass- nahmen veranlassen kann.
2.3 Videoüberwachungsmöglichkeiten in der Zukunft
Durch die zunehmende Verschmelzung der drei traditionell verschiedenen Industriesektoren, Telekommunikation, Photographie und Computerelektronik, ergibt sich auch für die Weiter- entwicklung der Videoüberwachungstechnik noch viel Potenzial. Neben der bereits erwähn- ten Bildinterpretationsmethode ist vor allem die Identifizierung von Personen an Hand von biometrischen Verfahren zu denken. Diese Systeme ermöglichen es in einem aufwendigen Rechenverfahren Gesichter aus einer Menschenmenge herauszufiltern und mit einer Daten- bank von gesuchten oder vermissten Personen abzugleichen. Im Rahmen eines Pilotver- suchs der Kantonspolizei Zürich wird seit Mitte Januar 2003 am Flughafen Zürich-Kloten ein Gesichtserkennungssystem der deutschen Firma C-Vis25 eingesetzt, um illegal eingereiste Personen bereits bei der Ankunft zu erkennen. Eine umfangreiche Beurteilung des Systems steht noch aus, wird aber voraussichtlich Mitte 2003, nach Abschluss der Testphase erfol- gen26. Durch die Kombination der beiden Methoden wird es möglich, ein detailliertes Verhal- tensprofil einer Person zu erstellen.
Mit dem rasanten Fortschreiten dieser Entwicklungen ergeben sich neue Möglichkeiten zur Kontrolle der Bürger. Die breite Bevölkerung wird sich jedoch erst allmählich über die Trag- weite dieser Entwicklungen bewusst. Jede dieser Technologien bringt mit dem in ihr liegen- den Nutzen auch Risiken mit sich. Es gilt diese Gefahren zu erkennen, um einem möglichen Missbrauch entgegenzuwirken. Unter dem Stichwort „technologischer Datenschutz“----
Gefahren oder Schutz
3 Gesellschaftspolitische Entwicklung
Die technischen Fortschritte sind sicherlich mitverantwortlich für das Aufkommen von Video- überwachungssystemen, doch muss diese Entwicklung auch in einem grösseren, gesell- schaftlichen Zusammenhang betrachtet werden. Deshalb werden nachfolgend die funda- mentalen gesellschaftlichen Veränderungen aufgezeigt, welche die Einführung der Video- überwachung in unserer Gesellschaft als eine risikobasierte Strategie für die Kriminalitäts- kontrolle begünstigt haben. Danach sollen die in dieser Zeit entwickelten Kriminalitätstheorien vorgestellt werden, auf welche sich die Videoüberwachung stützt.
3.1 Von der Industrie- zur Risikogesellschaft
3.1.1 Veränderung der Rahmenbedingungen
Mit dem Aufkommen neuer Technologien in den Bereichen Information und Kommunikation ändern sich die Lebensverhältnisse der Menschen grundlegend. Die standardisierten Le- bensformen der Industriegesellschaft, wie Kleinfamilie, geschlechtliche Rollenverteilung und soziale Schichtung verlieren ihre Verbindlichkeit27. An ihre Stelle tritt ein Wertepluralismus. Die mit der Globalisierung aufgekommene soziale und geographische Mobilität und Urbani- sierung lässt die eigenen Nachbarn zu Fremden werden. Die spätmoderne Gesellschaft ist entsolidarisert und entfremdet. Das Individuum und die Befriedigung seiner subjektiven Be- dürfnisse rücken zusehends in den Vordergrund, Egoismus wird zur Handlungsmaxime.
Die Befreiung des Individuums aus seiner gesellschaftlichen Umklammerung hat ambivalen- te Konsequenzen. Das Abstreifen gesellschaftlich vordefinierter Rollen und Verpflichtungen führt zum Verlust sozialer Sicherheiten und direkter Information über die eigenen Mitbürger. Traditionelle Bindungen und damit natürliche Formen von Überwachung und Kontrolle gehen verloren28. Der Individualismus führt zu einer Verstärkung von sozialer Isolation, Unsicherheit und der „Angst vor dem Fremden“29. Auf diesem Hintergrund wächst das Bedürfnis nach Sicherheit innerhalb der Bevölkerung, welche damit immer mehr zu einer knappen Ressour- ce wird.
3.1.2 Kriminalität als Risiko
Die bei diesem Strukturwandel entstehenden sozialen Probleme werden als durchaus „nor- male“ Schattenseiten des Fortschritts akzeptiert, welche es nicht zu lösen, sondern nur im Umfang und an Intensität einzudämmen gilt30. Im Sinne einer versicherungsmathematischen Logik werden die sozialen Probleme als Risiken klassifiziert. Risiko wird mit Risikobewusst- sein, Risikoverantwortung und Risk-management begegnet. Auch die Kriminalität wird als ein solches Risiko betrachtet, welches durch risikomindernde Interventionen zu begrenzen gilt. Kriminalität wird nicht mehr im Sinne der positivistischen Kriminologie als ein durch individu- elle persönliche Störung verursachtes, zu korrigierendes Verhalten verstanden, sondern als gegebener, unumgänglicher Fakt. Deshalb interessieren nicht mehr die Ursachen der Krimi- nalität sondern viel mehr in einem praktischen Sinn wie diese zu verwalten ist.
3.1.3 Konsequenzen für die Kriminalpolitik
Im Zusammenhang mit Kriminalitätskontrolle argumentierte Cohen bereits in 1985, dass:
„…the day is ending for individual intervention. The real master shift about to take place is towards the control of whole groups, populations and environments – not community control, bit the control of communities…In this movement technology and resources, par- ticularly at the hard end, are to be directed to surveillance, prevention and control, not tracking the individual adjudicated offender, but preventive surveillance (through closed circuit television, for example) of people and spaces.” 31
Nach den enttäuschenden Ergebnissen der Resozialisierungsbemühungen, bekannt unter dem Schlagwort des „nothing works“32, steht nicht mehr die individuelle Verhaltensbeein- flussung im Vordergrund, sondern die Lenkung von Aktionsmöglichkeiten durch vorbeugende Regulierung. Im Rahmen der Versicherungsmentalität verlagert sich das kriminalpolitische Interesse somit von der tat- und täterbezogenen Reaktion hin zur möglichst risikoarmen Gestaltung von Alltagssituationen. Es wird nicht mehr versucht das Individuum zu verbes- sern, sondern die Mauern um das Individuum so zu bauen, dass es in einer bestimmten Weise agiert. Im Zentrum steht nicht das Individuum, sondern dessen Risikopotential. Diese Tendenz der Vorverlagerung der strafrechtlichen Kontrolle ist auch an Hand der Zunahme von abstrakten Gefährdungsdelikten in den modernen Strafgesetzbüchern zu erkennen. Nicht die tatsächliche Verletzung, sondern bereits die abstrakte Gefährdung von Rechtsgü- tern Dritter reicht aus um den Tatbestand zu erfüllen. Es findet ein Wandel von der reaktiven zur proaktiven Kontrolle statt, bei dem nicht erst auf bereits eingetretene kriminelle Ereignis- se reagiert wird, sondern im Sinne einer vorbeugenden Straftatenbekämpfung Massnahmen getroffen werden, welche den Eintritt des Schaden, also der kriminellen Handlung überhaupt verunmöglichen sollen33. Auf der Makroebene kann in diesem Zusammenhang der kürzlich praktizierte amerikanische Präventivkrieg unter dem Slogan „War against Terror“ als Beispiel für diesen Trend angeführt werden.
Die risikoarme Gestaltung von Alltagssituationen wird einerseits durch vorbeugende Überwa- chung und andererseits durch die Ausgrenzung von Risikoträgern erreicht34. Durch die Kombination der Techniken der Überwachung, der Identifikation und der Vernetzung wird diese Entwicklung erheblich vereinfacht und gefördert.
[...]
1 In den angloamerikanischen Ländern wird vorwiegend „Closed Circuit Television“ (CCTV) als Oberbegriff für visuelle Überwachungstechnologien verwendet vgl. Privacy International http://www.privacyinternational.org/issues/cctv/cctv_faq.html [28.05.2003].
2 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (SR 0.101).
3 Einige Kriminologen sprechen in diesem Zusammenhang von der „Maximum Surveillance Society“, z.B. Clive Norris und Gary Armstrong.
4 Dabei handelt es sich um die Prüfung der Verhältnismässigkeit nach Art. 36 Abs. 3 BV.
5 Im Gegensatz zu den repressiven Massnahmen, wie Fahndung.
6 Vgl. dazu Kapitel 6.
7 Vgl. Norris/Armstrong S. 20.
8 Videoüberwachung durch öffentliche Organe, Bericht: http://www.datenschutz.ch/bericht_videoueberwachung_2002_07_v_2.pdf [07.06.2003], Empfehlungen: http://www.datenschutz.ch/empfehlungen_videoueberwachung_2003_02_v_2.pdf [07.06.2003] vgl. auch Merkblatt über die Videoüberwachung durch private Personen http://www.edsb.ch/d/doku/merkblaetter/video-d.pdf [07.06.2003]
9 Z.B. NZZ vom 30.01.2003, Nr. 24, S. 47 „Massnahmen gegen neue Drogenszenen, Prüfung einer Video- überwachung im Langstrassenquartier“. Die Schweizerischen Bundes Bahnen prüfen zurzeit die Installation von Videokameras in ihren Zügen als Teil eines Massnahmenpakets zur Verbesserung der Sicherheit vgl. http://www.zvv.ch/pdf/SICHERD.pdf [07.05.2003].
10 Moran in: Norris/Moran/Armstrong, Surveillance S. 278 f.
11 The British Broadcasting Company.
12 Vgl. ZVEI-Konzept, S. 27 f.
13 Bei Dome Kameras befinden sich Kamera und Objektiv in einer Kuppel, in Form einer durchsichtigen Halbkugel.
14 Die heutigen Breitbandanschlüssen ans Internet ermöglichen eine Videoüberwachung unter Verwendung eines handelüblichen PC per Internet-Browser, so dass keine zusätzliche Ausrüstung benötigt wird vgl. ZVEI- Konzept S. 33.
15 Wireless Local Area Network.
16 Vgl. Petri Mähönen, in Regazzoni/Fabri/Vernazza, Advanced Video-Based Surveillance Systems S. 144 f.
17 Vgl. ZVEI-Konzept, S. 34.
18 Hogg, Automated Visual Surveillance, in digma 2002, S. 24.
19 So z.B. an der University of Leeds vgl. http://www.comp.leeds.ac.uk/vision [06.05.2003].
20 Vgl. Hogg, Automated Visual Surveillance, in digma 2002, S. 24 f.
21 Vgl. Teschioni und Regazzoni, in: Regazzoni/Fabri/Vernazza, Advanced Video-Based Surveillance Systems S. 77 f.
22 Vgl. Büllesfeld, S. 16.
23 Vgl. Hogg, Automated Visual Surveillance, in digma 2002, S. 24 f.
24 In Zürich werden die Fahrzeugnummernschilder mit der Datenbank des Swiss Ripol Computers in Bern verglichen vgl. NZZ vom 5.11.2001 S. 10 und NZZ Online vom 20. März 2001. http://www.nzz.ch/2001/03/20/zh/page-article7A0JP.html [21.05.2003].
25 http://www.c-vis.com.
26 http://www.kapo.zh.ch/MedienAnzeige.asp?Funktion=vonIndex&medien_Id=5490 [16.05.2003].
27 Kunz, S. 192.
28 Vgl. dazu die „Social Bond Theory“, Hirschi, Causes of Delinquency , 1969.
29 MacCahill/Norris S. 12.
30 Kunz, S. 369.
31 Cohen S., Visions of Social Control, Cambridge, 1985, S. 127, zit. nach Norris/Armstrong, S. 25.
32 Vgl. Kritik zu Legalbewährung als Erfolgskriterium für Resozialisierungsbemühungen bei Kunz, S. 333 f.
33 Vgl. dazu den Kinofilm „Minority Report“; Spielberg-Verfilmung welcher auf einer Kurzgeschichte des Scien- ce-Fiction-Autors Ralph Dick basiert. Im Jahre 2054 wird es dem Polizeiinstitut „Precime“ möglich Einblick in das zukünftige Schicksal ihrer Bürger zu haben, und Täter von zukünftigen Verbrechen noch vor der Ausübung der Tat durch verhaften zu lassen.
34 Vgl. Kunz, S. S. 380 ff.
- Arbeit zitieren
- Alexander Frei (Autor:in), 2003, Videoüberwachung im öffentlichen Raum als Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108398
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