INHALT
0 Warum Mikrofinanzierung?
1 Theoretische Überlegungen zum Konzept der Mikrofinanzierung
2 Rahmenbedingungen in Georgien
2.1 Institutionelle Schwächen
2.2 Politische Instabilität
2.3 Wirtschaftliche Entwicklung
2.4 Soziale Tendenzen
3 Entwicklungspolitische Zieldimensionen für Georgien
4 Mikrofinanzierung in Georgien: Ansätze, Strategien und Ergebnisse
4.1 Kreditnachfrage: Die Zielgruppe
4.2 Kreditangebot
4.2.1 Georgische Geschäftsbanken
4.2.2 Kreditprogramme multinationaler Entwicklungsorganisationen
4.2.3 Geldverleiher im informellen Sektor
4.3 Die Mikrofinanzbank Georgien (MBG)
4.3.1 Ziele
4.3.2 Kreditangebot
4.3.3 Ergebnisse
5 Fazit
ANHANG 1: Liste der Interviews
ANHANG 2: Kommerzielle Banken in Georgien
ANHANG 3: MBG – Entwicklung der Geschäftskredite
ANHANG 4: MBG – Entwicklung der Pfandkredite
ANHANG 5: MBG – Entwicklung der Zahlungsrückstände
LITERATURVERZEICHNIS
0 Warum Mikrofinanzierung?
„Unter den Walnussbäumen am Eingang zum ,Chardin-Fußweg’ hocken ältere Mütterchen auf dreifüßigen Schemeln vor einem Sammelsurium bescheidner Ware, das sie am Straßenrand auf Pappkartons ausgebreitet haben: Marlboro- Schachteln, Efes-Bierdosen, Bücher, Schrauben, Lollis, Melonen, Blumen. So
mühsam erwacht der Handel wieder ...“1
Das von Fried Nielsen in seinem Reisebericht „Wind, der weht. Georgien im Wandel“ beschriebene Straßenbild in Tbilissis Altstadt scheint auf den ersten Blick trostlos, deutet aber schon an, welchen herausragenden Stellenwert der Handel als Einkommensquelle für die einheimische Bevölkerung einnimmt. Nur einige Minuten Fußmarsch von der geschilderten Szene entfernt, im Универмаг am Rustaweli, präsentieren Händlerinnen und Händler bereits auf vier Etagen ihre meist in Russland, der Türkei, im Iran oder in China gekauften Waren. Demgegenüber sind die Basare am Bahnhof, am Dinamo-Stadion und an der Didube Metro sowie der Lilo-Markt im Osten der Hauptstadt Tbilissis Hauptumschlagplätze für Obst, Gemüse, Schuhe und Textilien. Der im einleitenden Zitat beschriebenen „Mühsamkeit“ der Handelsaktivitäten soll im vorliegenden Aufsatz auf den Grund gegangen werden. Es wird vermutet, dass ein Mangel an Kapital das Geschäft dieser Kleinhändlerinnen und Handwerker maßgeblich erschwert: Kommerzielle Geschäftsbanken bevorzugen meist Großkunden aus Gründen der Gewinnmaximierung. Somit bleibt den
Kleingewerbetreibenden lediglich das Geschäft mit sogenannten Pfandleihern oder anderen Finanzintermediären des informellen Sektors2, wenn von Verwandten und Freunden keine finanzielle Hilfe zu erwarten ist.
Im folgenden soll deshalb untersucht werden, inwieweit der Mikrokredit- Ansatz der Mikrofinanzbank Georgiens (MBG) eine Alternative für diese Kleingewerbetreibenden darstellt. Auch wenn die MBG als kommerzielle Finanzinstitution in erster Linie gewinnmaximierend arbeitet, sollen ihre Mikrokreditaktivitäten unter entwicklungspolitischen Zieldimensionen analysiert und auf ihren Beitrag zur wirtschaftlichen und institutionellen Entwickung Georgiens
geprüft werden. In die Untersuchung fließen neben Geschäftsberichten und Daten aus Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung der MBG auch Erfahrungen von internationalen und lokalen Nichtregierungsorganisationen (NRO), die Mikrokreditprogramme durchführen, ein.
Als empirische Basis wurden einerseits Publikationen der entsprechenden Institutionen ausgewertet, andererseits Interviews sowohl mit Kreditexperten und – sachbearbeiterInnen (Angebotsseite) als auch mit KlientInnen in Tbilissi und Umgebung (Nachfrageseite)3 geführt. Ein weiteres Interview fand am 27. November 2002 mit Revas Sakvarelidse, Leiter der Abteilung für Arbeit und
Beschäftigungspolitik des Georgischen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales statt, um auch die staatliche Sichtweise in die Analyse zu integrieren.
In Kapitel 1 werden zunächst die theoretischen Grundlagen der Mikrofinanzierung erarbeitet. Kapitel 2 bietet einen Überblick über die gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen in Georgien. Kapitel 3 schließt mit den entwicklungspolitischen Zieldimensionen internationaler Geldgeber an, die im Fazit (Kapitel 5) als Maßstab für die Bewertung der MBG-Aktivitäten angelegt werden. Im Kernkapitel 4 werden die Mirkokreditangebote multilateraler und lokaler Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit einerseits sowie kommerzieller Geschäftsbanken andererseits gegenüber gestellt, wobei die Kreditlinien und –technologien der seit 1999 in Tbilissi tätigen MBG im Zentrum stehen.
1 Theoretische Überlegungen zum Konzept der Mikrofinanzierung
Als theoretische Legitimierung für Mikrofinanzierung kann der 1981 erschienene Artikel „Credit Rationing in Markets with Imperfect Information“ von J. Stiglitz and
A. Weiss verstanden werden. Entgegen der neoklassischen Annahme, dass der Zinssatz den Kreditmarkt räumt, also Kreditangebot und –nachfrage ausgleicht, argumentieren Stiglitz und Weiss, dass ein Teil der Kreditnachfrage nicht gedeckt wird: „... credit is rationed.“4
Sie zeigen, dass eine Ausweitung des Kreditangebots seitens der Banken, das mit einer Erhöhung des Zinssatzes einherginge, zwei Effekte mit sich bringt: einerseits erhöht sich der Ertrag der Bank aus dem Kreditgeschäft (direkter Effekt), andererseits ziehen hohe Zinssätze riskantere Projekte an. Dieses Problem der adversen Selektion und das damit verbundene höhere Ausfallrisiko kann den Ertrag der Bank reduzieren (indirekter Effekt). Auch höhere Sicherheiten können den indirekten Effekt nach sich ziehen, denn ein moral hazard Verhalten potentieller Kreditkunden kann auch hier nicht ausgeschlossen werden.
Die Banken als Gewinnmaximiererinnen werden vorziehen, ihre Kreditangebote zu rationieren, anstatt den Zinssatz zu erhöhen. Die Konsequenz für einen Teil potentieller Kreditnehmer, v. a. für Klein- und Mittelunternehmen (KMU), ist daher, bei kommerziellen Geschäftsbanken von der Kreditvergabe ausgeschlossen zu sein.
Vor diesem Hintergrund diskutieren Ökonomen und Politiker seit nunmehr über zehn Jahren Strategien der Mikrofinanzierung und unterstützen die Implementierung entsprechender Projekte. Das erhöhte Interesse an dieser Thematik ist mit weiteren, globaleren Entwicklungen zu begründen, die eng mit Mikrofinanzierung verflochten
sind:5
- Zunehmende weltweite Landflucht dehnt den informellen Sektor in den Städten aus. Diese MigrantInnen suchen nach Wegen der Einkommensschaffung und benötigen vermehrt Kleinstkrediten für ihre low budget -Wirtschaftsaktivitäten.
- Die zunehmende Bedeutung des Finanzsektor als ganzen wurde erkannt und seit 1989 in die Politik von Weltbank und IMF integriert.
- Im Rahmen der Neuen Institutionenökonomie werden verstärkt Phänomene der asymmetrischen Informationsverteilung (principal agent theory6) sowie des opportunistischen Verhaltens der Wirtschaftssubjekte und positiver Transaktionskosten7 diskutiert, die Auswirkungen haben auf Fragen der Anreizgestaltung in (Kredit)verträgen8 und auf Strategien des institution building.
Es bedarf also Strategien und Mechanismen, die der spezifischen Nachfrage von Kleinst- und Kleinunternehmern nach Kredit entgegenkommen.
Krahnen und Schmidt entwickelten mögliche Optionen des institution building
(Grafik 1):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nach: Krahnen, Schmidt (1994), S. 86
Insbesondere wurden die Optionen a) und c) erprobt und werden noch immer kontrovers diskutiert:
- Downscaling, Versuche externer Geldgeber, existierende Banken zur Bedienung der Kreditnachfrage privater KMU zu motivieren, waren zumindest in der Vergangenheit wenig erfolgreich. Die Ursachen hierfür liegen u. a. darin, dass sich die großen Geschäftsbanken einerseits vornehmlich mit Großkunden identifizierten und andererseits nicht selten Finanzkrisen oder Korruptionsskandalen zum Opfer fielen, was auch die
speziellen Kreditprogramme für KMU in Mitleidenschaft zog.9 Die Einsicht,
dass gerade ein Fokus auf Kleinkunden profitabel sein kann, setzt sich jedoch stetig, wenn auch langsam, durch.10
- Das Konzept des upgrading setzt bei NRO und lokalen Handelskammern an, die aufgrund ihrer Zielgruppennähe von Geldgeberseite geschätzt werden. Ziel ist es, deren Non-Profit-Aktivitäten zu kommerzialisieren, d. h. dauerhafte Kreditstrukturen im Interesse von KMU aufzubauen. Einige NRO-Vertreter sehen damit ihre Identität in Frage gestellt und zeigen sich skeptisch, „mit aller Härte als Bankiers aufzutreten und die Ownership für eine
Finanzinstitution zu übernehmen.“11 Andere jedoch haben das Ziel, eine
dauerhafte Mikrofinanzinstitution (MFI) zu etablieren, bereits in ihre Agenden aufgenommen.12
Bevor in Kapitel 3 die entwicklungspolitische Zielsetzungen internationaler Geldgeber dargestellt werden, liefert das folgende Kapitel einen einleitenden Überblick über die politische, wirtschaftliche und soziale Situation in Georgien.
2 Rahmenbedingungen in Georgien
Georgien, mit einer Einwohnerzahl von 5,0 Mio. (2000) und einem Pro-Kopf- Einkommen von 620 USD (2001)13, ist, wie auch die anderen GUS-Staaten, bisher daran gescheitert, marktwirtschaftlich-demokratische Reformen konsequent durchzusetzen. Defizite sind sowohl auf politischer als auch auf wirtschaftlicher Ebene zu erkennen, wobei institutionelle Schwächen besonders hervortreten.
Die folgende Grafik veranschaulich überblicksmäßig die wesentlichen Problemfelder aus der Sicht der Bevölkerung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: UNDP (2002), S. 13
2.1 Institutionelle Schwächen
Korruption, in obiger Grafik auf Platz Zwei rangierend, ist Ausdruck schwach entwickelter Institutionen. David Darchiashvili spricht von einer „offenkundige[n] Krise nationaler Sicherheit und Staatlichkeit“.14 Diese äußert sich im weit verbreiteten rent-seeking -Verhalten der Beamter, im enormen Ausmaß an Bestechungsgeldern, die georgische Firmen zu zahlen bereit sind15 sowie in mangelnder Transparenz, Gesetzeslücken und Kompetenzüberschreitungen im politisch-administrativen Bereich.
2.2 Politische Instabilität
Präsident Eduard Schewardnadses Position im politischen Gefüge Georgiens ist verhältnismäßig schwach: “… [The] political power coalesces around several ‘oligarchic’ poles that engage in political violence as a means of gaining advantage
over other contenders.”16 Einige Teile des Landes entziehen sich der Kontrolle der Zentralregierung. Regionale Eliten gewannen im Laufe der letzten Jahre an Einfluss und konnten – in unterschiedlichem Maß – gegenüber Tbilissi an Autonomie gewinnen. Nach wie vor sind die jeweiligen Zentrum–Peripherie–Beziehungen konfliktgeladen:
- Die Autonome Republik Abchasien erreichte mit russischer Unterstützung seine faktische Unabhängigkeit von Georgien, in deren Folge während des Bürgerkrieges 1992 – 93 etwa 280 000 ethnische GeorgierInnen aus der Region flohen. Der Konflikt ist noch nicht beilgelegt, nach wie vor sind an der georgisch-abchasischen Grenze Einheiten der Beobachtungsmission der UNO (UNOMIG) stationiert.
- Auch Süd-Ossetien ist autonomes Gebiet. Die Forderungen nach Unabhängigkeit von Georgien und Angliederung an Nord-Ossetien (Russische Föderation) mündeten 1991 in einen bewaffneten Konflikt. UNOMIG- Truppen observieren bis heute die Grenze.
- Adscharien, wirtschaftlich weitaus stärker entwickelt als der Großteil Georgiens - u. a. durch das landwirtschaftlich günstige, feuchte Klima sowie die strategisch vorteilhafte Position am Schwarzen Meer mit dem Hafen Batumis und die Nähe zu den türkischen Gütermärkten - ist eine autonome Republik innerhalb Georgiens. Der Lokalgouverneur Aslan Abashidse erfreut sich großer Bliebtheit bei weiten Teilen der georgischen Bevölkerung und gilt als aussichtsreicher Kandidat für die kommende Präsidentschaft.
- Achalkalaki, zu über 95 % armenisch besiedelt und in der Region Javachetien im Süden Georgiens gelegen, wurde von der staatlichen Infrastrukturpolitik stark vernachlässigt und hängt wirtschaftlich am Tropf des (noch) dortigen russischen Militärstützpunktes.17 Auch wenn es Spekulationen über mögliche Waffenverkäufe von russischen Militärs an separatistische, lokale
Gruppierungen gibt, wird die Möglichkeit einer destabilisierenden Wirkung auf die Region allgemein als gering eingeschätzt.
- Mit Blick auf den Krieg in Tschetschenien bleiben Georgiens Beziehungen zu Russland angespannt. Moskau sieht sich durch die jüngste Weigerung Georgiens, die verbleibenden acht der an der georgisch-tschetschenischen Grenze aufgegriffenen Tschetschenen an Russland auszuliefern,18 in seiner
Annahme bestätigt, dass sich Georgien dem sogenannten Kampf gegen den internationalen Terrorismus entzieht.
[...]
1 Nielsen (2000), S. 141
2 Adams (1992) klassifiziert die Finanzintermediäre des informellen Sektors folgendermaßen: sophisticated but unregulated institutions, moneylenders, merchants, pawnbrokers, loan brokers, landlords, friends and relatives, money guards, savings groups, rotating savings and credit associations (ROSCAs).
3 Liste der Interviews, s. Anhang 1
4 Siglitz and Weiss (1981), S. 394
5 ausführlicher s. Steinwand (2001)
6 vgl. Fischer (1995)
7 vgl. Williamson (1990), Kapitel 2
8 vgl. Tschach (2001)
9 vgl. Nitsch (2000a)
10 vgl. z. B. Mikrokreditangebote der Bank of Georgia, http://www.bankofgeorgia.com.ge/eng/product/credit.shtml?lang=eng&category=products, download 04.12.2002
11 Nitsch (2000a), S. 314
12 z. B. Oxfam, Constanta, Business Assistance Initiative (BAI, lokale NRO)
13 Worldbank, download 04.12.2002, http://devdata.worldbank.org/external/CPProfile.asp?SelectedCountry=GEO&CCODE=GEO&CNAM E=Georgia&PTYPE=CP
14 Darchiashvili, S. 175
15 vgl. IMF (2001a) Lt. einer EBRD-Untersuchung werden etwa 4 % der Firmenausgaben als Bestechungsgelder an staatliche Behörden gezahlt. (S. 23) Damit rangiert Georgien auf Platz 6 der korruptesten Staaten Mittel- und Osteuropas. (S. 36)
16 Dr. Ghia Nodia, Politikwissenschaftler und Vorstand des Kaukasischen Instituts für Frieden, Demokratie und Entwicklung. In: RFE/RL, Press Releases, 10. Oktober 2002
17 ausführlicher: RFE/RL: Georgia: Javakheti Armenians’ Calls for Autonomy has Tbilisi on Guard (Part I), 26.11.2002, http://www.rferl.org/nca/features/2002/11/25112002183353.asp
18 RFERL,Weekly Magazine – North Caucasus, 27.11.2002, http://www.rferl.org/nca/features/2002/11/29112002103323.asp
- Arbeit zitieren
- Kristin Höltge (Autor:in), 2002, Bankgeschäft oder mehr? - Die Kreditaktivitäten der Mikrofinanzbank Georgien (MBG) aus entwicklungspolitischer Perspektive, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108434