The Command Bunker in a Military Hospital
Zum Verständnis der Relevanz von Wolfes Text „The Command Bunker in a Military Hospital“ für die Ethnologie ist es zunächst notwendig, den Begriff der „Organizational Ethnography“ zu kennen. Daher werde ich zu Beginn dieser Arbeit im Rahmen meiner Möglichkeiten eine Definition liefern. Im Weiteren möchte ich einige biographische Daten über den Autor Wolfe anschließen, um dann eine kommentierte Zusammenfassung des Aufsatzes nachzustellen, gefolgt von einer abschließenden Stellungnahme, in der ich versuchen werde, eine Meinung zu bilden.
1. Die Organizational Ethnography (Jones 1988, 11-25)
Will man den Begriff „Organisation“ (auch im Folgenden stets im Sinne von Verband, Verein, Firma etc.) definieren, so existieren zwei Wege, die sich beschreiten lassen; zum ersten der herkömmliche, der den praktischen und instrumentellen Charakter einer Organisation in den Mittelpunkt stellt, und zum anderen ein Ansatz, der eine Organisation sieht als ein Produkt menschlichen Schaffens, in dem ästhetische und expressive Belange eine große Rolle spielen (Jones 1988, 14).
Über „Inside Organizations“, der Aufsatzsammlung, in welcher der hier vor allem behandelte Text von Terance Wolfe erscheint, weht das Banner der Organizational Ethnography, ein Begriff und zukünftig womöglich ein großes, neues, interdisziplinäres Arbeitsfeld, das Wissenschaftler aus Bereichen wie zum Beispiel der Forschung über Organisationsentwicklung und Management, der Ethnologie, der Psychologie und der Soziologie miteinander vereint. Objekt der Organizational Ethnography sind symbolische und kulturelle Aspekte von Management und Arbeitsleben.
Schon seit längerer Zeit ist im Lager der Management- und Organisationsforscher die Wichtigkeit von Symbolismen im Rahmen von Firmen und Verbänden bekannt, jedoch sind diese erst kürzlich mit dem Begriff „Folklore“ zur Deckung gebracht worden.
Innerhalb von Organisationen trifft man auf zahlreiche Formen von Folklore, so unter anderem Metaphern, Sprichworte, Jargon, Scherze, Feiern, Zeremonien, Ritualisierungen, das Erzählen von Geschichten, Gerüchten und Tratsch, außerdem, in materieller Hinsicht, auf dekorierte Arbeitsplätze, Verzierungen der Arbeitsumgebung. Ständig imitiert, reproduziert, modifiziert oder transformiert, verdienen diese kulturellen Äußerungen durchaus die Bezeichnung „Traditionen“ (Jones 1988, 17).
Nach Klärung dieser Begrifflichkeit macht es also durchaus Sinn, sich dem Verständnis ebendieser Traditionen mit den Mitteln einer Disziplin anzunähern, die sich, wenn auch zunächst in anderem Kontext, unter anderem der Aufzeichnung und dem Verständnis von Traditionen als kulturellen Äußerungen gewidmet hat, namentlich der Ethnographie. Nach den Autoren sind die zuvor aufgezählten Aspekte von Organisationskultur eine „einzigartige Quelle von Informationen von innerhalb einer Organisation über Werte, Einstellungen und Belange von Teilnehmern, den Charakter oder Ethos, der sich entwickelt hat und die Erwartungen und Bedürfnisse der Menschen in individueller und kollektiver Hinsicht.“ (Jones 1988, 23)
Wie lassen sich also Organisationen aufbauen, die auf der einen Seite einem kollektiven Ziel dienen und auf der anderen individuellen Bedürfnissen gerecht werden? Die Herausgeber sehen in der Organizational Ethnography eine Möglichkeit, nach der Antwort auf diese Frage zu suchen:
„One way to increase understanding of management and work life and appreciation of what organizing entails is to employ methods of Organizational Ethnography. This requires carrying out long-term and in-depth interviewing that focus on expressive forms, sociability and the symbolic. Such a richly descriptive, inside view of organizations can reveal much about the human element in enterprise, informing us of this component of organization.“ (Jones 1988, 16)
2. Der Autor (Jones 1988, 384)
Zum Zeitpunkt des Erscheinens von „Inside Organizations“ (1988) ist Terance J. Wolfe Doktorand an der University of California in der Behavioral and Organization Science Group, Graduate School of Management. Zuvor hatte er sechs Jahre lang an der University of Maryland sowohl Management und Organisationsverhalten als auch Psychologie gelehrt.
Wolfe verfaßte zahlreiche Aufsätze anläßlich von Treffen solcher Vereinigungen wie unter anderen der American Psychological Association und der California Folklore Society. Zur Zeit forscht er über Macht und politische Prozesse innerhalb von Organisationen mit besonderem Bezug auf die Implementierung von Informationssystemen.
Es ist also festzuhalten, daß Wolfe am vielleicht treffendsten als Organisationspsychologe zu bezeichnen ist, jedoch der Ethnographie zunächst, was seine Ausbildung angeht, nicht besonders nahestehen sollte.
3. Der Text
In dieser Zusammenfassung interessiert mich vornehmlich die Methodik Wolfes: Wie geht er vor, um an seine Informationen und Einblicke zu gelangen? Inwiefern betreibt er Ethnographie, und, im Zusammenhang mit dem Seminar wichtiger, inwiefern führt er eine Feldforschung durch? So ist auch die Art und Weise, auf die Wolfe das Machtparadox und das Kommunikationsproblem in der Organisationsstruktur des Krankenhauses letztendlich auflöst, so interessant es auch sein mag, eher von geringer Bedeutung für mich, da ich mich eher auf die Art und Weise des Erkenntnisgewinnes und die Deutung der Ergebnisse mittels Werkzeugen der Organizational Ethnography verlegen möchte.
Der Autor befand sich in einem Militärkrankenhaus in Deutschland und wurde angehalten, in Vertretung eines offenbar verhinderten Kollegen ein Seminar zur teilnehmenden Entscheidungsfindung mit dem Personal durchzuführen. Die üblichen Fragen, die man hier an den Text stellen würde, wenn es sich um eine Ethnographie im herkömmlichen Sinne handelte (so zum Beispiel die nach der genauen Offenlegung der Forschungssituation), werden zwar in dieser recht knappen Einleitung nicht beantwortet, sind allerdings auch hinfällig, gibt doch, wie später noch zu zeigen sein wird, der Erfolg dem Forschenden recht.
Die Teilnehmerschaft des Workshops setzte sich zusammen aus den Mitgliedern der drei professionellen Disziplinen, die in dem Hospital zu finden waren: Die Gruppe der Ärzte, die der Verwalter und die der Pfleger. „Team building“ und „confronting conflict“ sollten die Schwerpunkte sein (Wolfe 1988, 343). Es stellte sich jedoch schnell heraus, daß, obwohl viel über Kooperation geredet wurde, dergleichen nicht in zufriedenstellendem Maße stattfand. Es bestanden starke Konflikte zwischen den Gruppen; jede fühlte sich von mindestens einer anderen zu unrecht dominiert, und der Informationsfluß, der das Zusammenarbeiten als Organisation erst möglich macht, sickerte eher spärlich. Der Nabel dieser Problematik, so Wolfe, war der sogenannte „Kommandobunker“ (Wolfe 1988, 344), zu dessen Natur er im weiteren Verlauf des Textes mehr zu sagen haben wird.
Die Klärung der für das Militärkrankenhaus-Problem relevanten theoretischen Begriffe und Konzepte aus der Organisationsentwicklung, die Wolfe nun folgen läßt, möchte ich zum größten Teil stark raffen.
So wäre da die Differenzierung, die die Gliederung einer Organisation in spezialisierte Gruppen beschreibt, die sich entsprechend verschiedener Umstände und Aufgaben gleichsam in einzelne Subkulturen mit eigenen Methoden und Kommunikationsformen entwickeln.
Die Integration bezeichnet, wie sollte es anders sein, die Integration ebendieser Gruppen in den gesamtorganisatorischen Zusammenhang. Je differenzierter eine Organisation ist, desto wichtiger ist es, die Koordination der Integration ihrer differenzierten Einheiten im Auge zu behalten.
Eng verbunden mit den beiden obigen Konzepten ist die Idee des Boundary Management, für das sich meines Erachtens lediglich eine holprige deutsche Übersetzung finden läßt. Hier wird die Kontrolle zwischen den spezialisierten Gruppen fließender Information über deren Grenzen hinweg beschrieben.
Dieser Informationsfluß wiederum wird beeinflußt von der Permeabilität der Grenzen, deren Durchlässigkeit.
Vor dem Hintergrund einer Organisation agieren die Beteiligten in einem Bedeutungssystem:
In meinen Augen das interessante, weil am ehesten mit meinem Fach zur Deckung zu bringende Konzept, meint das Bedeutungssystem den Rahmen, in dem Mitglieder die Handlungen anderer interpretieren. Anhand von diesen Aktionen zugewiesenen Attributen werden Modelle der Situation konstruiert – Wolfe spricht hier von „Realitäten“- (Wolfe 1988, 345) die wiederum verwendet werden, um persönliche Interessen darzustellen und zu verwirklichen. Diese Definition wirft meines Erachtens am ehesten Licht auf die Möglichkeit, ein Organisation als eine Kultur zu betrachten; auch Kultur ist ein Bedeutungssystem, in dem symbolische Äußerungen in vielerlei Form ein bestimmender, wenn nicht der bestimmende Faktor sind.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Idee der Macht, wobei hier nicht die Macht gemeint ist, die dem tatsächlichen hierarchischen Gefüge einer Organisation entspricht, sondern vielmehr Wahrnehmungen der Machtverteilung durch die einzelnen Gruppen, die sowohl untereinander, als auch vom tatsächlichen Zustand stark differieren können. Gruppen tendieren dazu, sich anderen Gruppen grundsätzlich an Macht unterlegen zu fühlen; Wolfe spricht hier vom Machtparadox.
(Alle Definitionen: Wolfe 1988, 345-6)
Das Problem im deutschen Militärhospital stellte sich nun, unter Zuhilfenahme der zuvor definierten Begriffe, folgendermaßen dar: Durch die starke Differenzierung der Organisation versagte das Boundary Management, wurden die integrativen Prozesse überfordert: Die einzelnen Abteilungen (Ärzte, Pfleger, Verwalter) entwickelten eigene, unabhängige Methoden zur Problemlösung, die Kommunikationsfähigkeit zwischen den Einheiten nahm ab, und es fand eine Polarisierung der Gruppen gegeneinander statt. All dies verursachte einen Niedergang der Möglichkeit zur produktiven Kooperation und der Moral. Die fehlende Kommunikation unter den Einheiten hatte ein Machtparadox zur Folge, in dem sich jede Gruppe als „Handlanger“ einer mächtigeren Gruppe sah (Wolfe 1988, 346). In dieser eingebildeten Machtlosigkeit festgefahren, waren Einzelne und Gruppen nicht mehr in der Lage, ihre individuelle und kollektive Macht spielen zu lassen, und in ihrer Interaktion mit der Leitung des Hospitals implizierte sich eine Identität, die nicht mehr dem ursprünglichen Zweck der Gruppe entsprach (Wolfe 1988, 347), mit anderen Worten, sie verhielten sich gegenüber ihren Vorgesetzten auf eine Art und Weise, die diese denken läßt, daß das Personal nicht mehr viel auf kollektive Ziele der Organisation gab. Dieser Eindruck verstärkte sich mit jeder stattfindenden Interaktion, die sich interpretieren ließ als abzielend weniger auf Interesse der Organisation als auf Selbstinteresse (Wolfe 1988, 347).
Wolfe teilt die Problematik in drei sich wechselseitig bedingende Teilaspekte: den Zusammenbruch der Kommunikation, die Isolation der Berufsgruppen und den „Kommandobunker“.
Im Absatz, den Wolfe „Isolation“ übertitelt hat, beschreibt er, wie ihm klar wurde, daß das Hospital aus mehreren „Kulturen“ bestand, die sich durch sehr eigene interne und externe Beziehungen voneinander unterschieden (Wolfe 1988, 348). In ihrem Umgang miteinander ergaben sich gar „Subkulturen“, nämlich die der einzelnen Kulturen untereinander. Diese Begriffe lassen den Ethnologen natürlich aufhorchen. Aber bei näherem Nachdenken scheint hier eine Diskrepanz zu bestehen zwischen dem, was Wolfe unter der Idee „Kultur“ versteht und dem, was die Ethnologie sich darunter vorstellt. Natürlich herrscht mit Sicherheit auf beiden Seiten reichlich Uneinigkeit darüber, was man sich nun konkret unter diesem Begriff vorzustellen hat, jedoch glaube ich doch, nicht allein zu sein auf der ethnologischen Seite, wenn ich behaupte, daß es noch keine Kultur macht, als Krankenpfleger mit anderen Krankenpflegern in einem Krankenhaus zu arbeiten.
Die zweite Teilaspekt der Krankenhausproblematik, über den ich hier Worte verlieren möchte, ist der des „Kommandobunkers“, und an dieser Stelle glaube ich, eine ethnographische Arbeitsweise Wolfes erkennen zu können. In Gesprächen mit der hierarchisch mittleren Schicht des Personals wurde Wolfe gegenüber, wie er schreibt, wiederholt mit großer Selbstverständlichkeit der Terminus „Kommandobunker“ erwähnt, offenbar, wie der Autor zunächst annahm, der Ort, von dem die Befehle kommen. Das war allerdings, wie sich später zeigt, nur in bildhafter Hinsicht richtig. Ein Kritikpunkt, dessen ich mich an dieser Stelle nicht enthalten kann: Wolfe schreibt, er wußte nicht recht, was er sich unter dem Kommandobunker vorzustellen hatte, aber der Begriff wurde mit so großer Selbstverständlichkeit gehandhabt, daß es ihn verlegen gemacht hätte, danach zu fragen (Wolfe 1988, 349). Diese Tatsache in Verbindung mit dem anderen von Wolfe erwähnten Umstand, daß er anfangs gar das Bedürfnis hatte, das Gelände nach diesem ominösen Gebäude abzusuchen, davon aber wieder Abstand nahm, weil er fürchtete, unauthorisiert auf Militärgelände angetroffen zu werden, wirft nicht unbedingt ein positives Licht auf sein Einfühlungsvermögen.
Schließlich stellte sich jedoch heraus – nicht wirklich überraschend, wie ich finde – daß es sich beim Kommandobunker um eine rein symbolische Bezeichnung handelt, mit der die Gruppe der drei Oberen der drei Professionsgruppen (der „Chief of Professional Servives“, der der Gruppe der Ärzte vorsteht, der „Executive Officer“, der die Verwalter unter sich hat, und der Oberpfleger) und des Basiskommandanten bedacht wurde. Wolfe und ich sind einer Meinung, wenn wir sagen, daß die Konnotationen dieses Begriffes sowohl weitreichend als auch eindeutig sind:
„Organizational members perceived the people in the command bunker as insulated, sheltered, protected and detached from the reality of the rest of the organization. ... The professional staff ... felt cut off, removed and unused as information and decision-making resources“ (Wolfe 1988, 349)
Die Kommandobunker-Gruppe war formell nicht anerkannt, da offiziell jeder Vorstehende Teil seiner jeweiligen Gruppe war, und selbst die so Betitelten wußten nicht, daß man sie mit diesem Titel versehen hatte. Tatsache aber war, daß man sie stets zusammen auftreten sah.
So war der Angelpunkt aller Probleme die Existenz dieses Kommandobunkers; an den mit dem Begriff verbundenen Konnotationen läßt sich die gesamte Problematik ablesen. So ist es Wolfe gelungen, an alltäglichen Äußerungen, deren Bedeutung und Symbolgehalt er erst allmählich erschlossen hat und die in ihrer gesamten Tragweite den Beteiligten nicht bewußt war, die zentrale Problemstellung festzumachen, ähnlich wie oft auch ein Ethnologe von Alltagsgesprächen auf abstraktere Konzepte schließen muß. Nun hat Wolfe dem Ethnologen die Möglichkeit der Intervention voraus; mit der Idee des Bunkers als Ansatz konnte er nun versuchen, das Problem zu beheben und am Ausgang der „Therapie“ ablesen, ob seine Interpretation der Gegebenheiten die Richtige war. Der Ethnologe hingegen, dem im Idealfall die Idee einer verbesserungswürdigen, fehlerhaft arbeitenden Kultur fremd ist, wird wohl nie mit vollkommener Sicherheit erfahren, ob er tatsächlich die richtigen Schlüsse gezogen hat, denn seine Disziplin verbietet ihm den Eingriff. Zugegeben: Der Gedanke, mit den Apinayé in einer Diskussionsrunde die Fishbowl-Technik anzuwenden, um ihre interne Kommunikation zu verbessern, hat nicht viel für sich.
So gelingt dann auch Wolfes Vorhaben: Am ersten Tag des Workshops, an dem die oberen und mittleren Führungsebenen des Krankenhauses teilnahmen, führte Wolfe seinen Klienten die Absurdität des Machtparadoxons vor, indem er jeden Teilnehmer aus einer Reihe von verschiedenen möglichen Machtdiagrammen der Organisation dasjenige auswählen ließ, welches er für das Zutreffendste hielt. Jede Gruppe ordnete sich einstimmig im Machtgefüge unter mindestens einer der jeweils anderen ein, und nachdem Wolfe dieses Ergebnis öffentlich gemacht und diskutiert hatte, war der Weg geebnet für die sogenannte Fishbowl-Technik, die er am zweiten Tag anwandte, um den Informationsfluß zwischen den Gruppen wiederherzustellen. Hier war der erste Schritt, den Kommandobunker als separate Gruppe explizit zu machen. Die tieferen Details möchte ich hier vernachlässigen; nur soviel: Kern des von Wolfe verwendeten Fishbowl-Verfahrens ist es, eine der Gruppe in die Mitte eines Kreises zu stellen, der aus den jeweils restlichen Gruppen besteht. Die äußeren Gruppen kommentieren ihre Wahrnehmung der inneren Gruppe, und im Anschluß kommentiert die innere Gruppe ihre Wahrnehmung des Kommentiertwerdens. Dieser Vorgang wird mit wechselnder Besetzung wiederholt, bis jede der vier Gruppen (Pfleger, Ärzte, Verwalter und Kommandobunker) den Platz in der Mitte des Kreises innegehabt hat. Durch diese Vorgehensweise war es Wolfe möglich, sowohl Inkongruenzen als auch Übereinstimmungen in den Wahrnehmungen der verschiedenen Gruppen voneinander aufzutun und allen Beteiligten zu verdeutlichen. Allen Teilnehmern, insbesondere aber den Mitgliedern des Kommandobunkers, wurden Fehler bewußt, und die Bereitschaft, Veränderungen in Gang zu setzen, war das unmittelbare Resultat.
Mit der Beseitigung des Kommandobunkers als Stein des Anstoßes und der sich entwickelnden besseren Permeabilität der Grenzen zwischen den Gruppen war nun nach einiger Zeit keine Notwendigkeit mehr gegeben, sich eines Bedeutungssystems zu bedienen, um die Führungsebene des Hospitals symbolisch zu entwerten, und bald verschwand die Bezeichnung aus dem Vokabular des Personals, ein eindeutiger und letzter Hinweis darauf, daß Wolfe mit seiner Intervention die Dinge wieder zurechtgerückt hatte.
4. Die Stellungnahme
Wolfe postuliert in seiner Konklusion eine Zusammenarbeit zwischen Vertretern der Disziplinen, die er unter dem Begriff „Folkloristen“ zusammenfaßt, und Wissenschaftlern seines eigenen Hintergrundes. Der wichtigste Unterschied, der die verschiedenen Arbeitsweisen dieser Richtungen charakterisiert, ist der der Intervention. Menschen vom Schlage eines Wolfe „infiltrieren“ eine Organisation mit dem Ziel, durch Verständnis der dort stattfindenden kulturellen Prozesse Mittel zur Beseitigung von Mißständen aufzutun, wohingegen ein Ethnologe (den ich hier mit einem „Folkloristen“ gleichsetzen möchte) in der Regel die Funktionstüchtigkeit einer untersuchten Kultur als gegeben voraussetzt; das Verständnis des Untersuchten ist – zumindest innerhalb der Forschungssituation – Selbstzweck. Es stellt sich nun die Frage, wie sinnvoll es ist, Methoden einer Disziplin mit grundsätzlich anderer Zielsetzung einzusetzen in einem Bereich, in dem man von vornherein davon ausgeht, daß etwas im Argen liegt. Die Ethnologie hat immerhin lange gebraucht, um sich von ebendieser Ausgangsannahme zu lösen.
Sicherlich ist die Vorstellung der kulturellen Äußerungen im Firmenkontext in vielerlei Hinsicht ein sinnvoller Ansatz. Und die Tatsache, daß bei der Planung und Betreuung von Organisationen von Jones und seinen Kollegen das Menschliche gegenüber dem Funktionalen in den Mittelpunkt gestellt wird, kann ohne Zweifel nur eine positive Entwicklung sein. Aber es scheint mir, wenn auch zugegebenermaßen ohne es wirklich belegen zu können, daß man sich hier vielmehr mit einer Frage verschiedener Terminologien als verschiedener Wissenschaften konfrontiert sieht: Nennt man es Symbolismus, läßt man Organisationspsychologen und Soziologen daran arbeiten, nennt man es Folklore, macht es plötzlich Sinn, Ethnologen ihre Erkenntnisse einbringen zu lassen. Mir will nicht recht einleuchten, inwiefern die Wissenschaft von fremden Kulturen geeignet sein soll, das Bedeutungsgefüge innerhalb einer medizinischen Dienstleistungsfirma zu verstehen, jedenfalls nicht, inwiefern die Ethnologie hier Psychologie und Soziologie überlegen sein soll. Ist es nicht viel eher so, daß ein Ethnologe, der Krankenhauskultur untersucht, sich der Werkzeuge seiner Kollegen aus Soziologie und Organisationspsychologie bedient, als umgekehrt?
Natürlich fehlt mir der Weitblick desjenigen, der sich eingehender mit dieser Materie auseinandergesetzt hat, aber zumindest in Wolfes Aufsatz, trotz der Tatsache, daß er das Problem des Krankenhauses offenbar ganz vorbildlich gelöst hat, wird mir nicht wirklich deutlich, inwiefern er sich Hilfestellung aus dem Lager der „Folkloristen“ hat geben lassen, was also das brückenschlagende zwischen den Wissenschaften an dieser Stelle beinhaltet.
Die einzigen Interaktionen mit seinen „Patienten“, die Wolfe beschreibt, finden im Kontext eines Workshops statt, also in einer Situation, die nur höchst entfernt mit der einer Feldforschung vergleichbar ist. Ob er vor seiner Berufung an die Stelle seines verhinderten Kollegen teilnehmender Beobachter war, geht nicht aus dem Text hervor, und auch die Art, auf die er seine Erkenntnisse außerhalb des Seminars gewinnt, wird – mit wenigen Ausnahmen - nicht näher spezifiziert. Ich gewann jedoch den Eindruck, daß es sich eher nicht um Ergebnisse einer längerfristigen Beobachtung handelte, sondern vielmehr um aus Interviews mit seinen Auftraggebern, der Krankenhausleitung, gewonnene Erkenntnisse.
Wo ist also noch nach ethnographischer Methode zu suchen? In der Deutung der gefundenen Symbolismen. Das Phänomen „Kommandobunker“ läßt sich in diesem Zusammenhang ansprechen. Wie oben schon erwähnt, hat Wolfe hier in alltäglichen, dem Personal selbstverständlich scheinenden Äußerungen Symbolgehalt und Signifikanz erkannt und von diesem Punkt aus auf eine abstraktere Ebene geschlossen. Auf diese Art und Weise würde auch ein Ethnograph vorgehen, soviel ist gewiß. Aber hat man hier nicht unter Umständen einen Psychologen, der sich psychologischer Methoden bedient, derer sich an dieser Stelle auch ein Ethnologe bedienen würde? Ich kann hier nicht mehr tun, als diese Frage zu stellen; die Antwort weiß ich nicht, wie ich eingestehen muß. Aber ich möchte doch Zweifel anmelden, ob man es hier tatsächlich mit einem – in welcher Hinsicht auch immer -ethnographischen Text zu tun hat.
Wenn also Wolfes Text ein Beispiel sein soll für erfolgreich angewandte Organizational Ethnography, so fürchte ich zugeben zu müssen, daß ich nicht vollkommen folgen kann.
Letztendlich bleibt die Entwicklung eines neuen Forschungszweiges jedoch ausschließlich zu begrüßen, gar herzlich willkommen zu heißen, denn sie bedeutet ein weiteres Betätigungsfeld für zukünftige Ethnologen, die es bekanntlich vielerorts schwer haben, eine Anstellung zu finden. Man ist also dankbar für jede neue Möglichkeit.
Literatur
JONES, Michael Owen, Michael D. Moore, Richard C. Snyder (Hrsg.)
1988 Inside Organizations. Understanding the Human Dimension. Sage Publications, Beverly Hills u.a.; 384 S.
WOLFE, Terance J.
1988 The „Command Bunker“ in a Military Hospital. Changing Power Perceptions Through a Modified Fishbowl Technique. In: Jones 1988, 343-356.
- Arbeit zitieren
- Nico Czaja (Autor:in), 2000, The Command Bunker in a Military Hospital - Changing Power Perceptions Through a Modified Fishbowl Technique, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108466
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