Lage der neuen Länder: 10 Jahre nach der Vereinigung


Seminararbeit, 2001

20 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Gliederung

Abkürzungsverzeichnis

1. Einführung

2. Lage der neuen Bundesländer im Jahre 1990
2.1. Überblick
2.2. Strukturschwächen
2.3. Investitionen blieben zurück
2.4. Warenpreisentwicklung: erhöhte Kaufkraft der ostdeutschen Konsumenten
2.5. Hohe Deckungslücken im Staatshaushalt
2.6. Erblasten der sozialistischen Planwirtschaft: Umweltschaden und vernachlässigte Infrastruktur

3. Entwicklung der neuen Länder von 1990 bis 1999
3.1. Wachstumspole
3.2. Produktivitätslücken
3.2.1. Produktivitätslücken und ihre Ursachen
3.2.2. Konvergenzprozess im Unternehmenssektor: Industrie, Bauunternehmen und Dienstleistungen

4. Lage der neuen Länder heute

5. Anhang

6. Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einführung

Mit dem Inkrafttreten der innerdeutschen Wirtschafts- und Währungsunion zum 1.Juli 1990 wurden die entscheidenden institutionellen und wirtschaftlichen Weichen für den Transformationsprozess der ostdeutschen Volkswirtschaft gestellt. Mit der Entscheidung für eine Übernahme des ordnungspolitischen Rahmens der Bundesrepublik sowie für den Verzicht auf eine eigenständige Geld- und damit Währungspolitik war der zukünftige Weg des Systemwandels vorgezeichnet. Einerseits wurde hierdurch die weitere Transformation schwieriger, da mit dem Verzicht auf das Instrument Wechselkurs die Wahrscheinlichkeit möglicher Transformationsschocks gestiegen war; andererseits erleichterte die Übernahme eines bewährten institutionellen Regelwerks die zahllosen im Übergang von einer Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft erforderlichen Entscheidungen in Unternehmen und Verwaltungen.

Die ostdeutsche Wirtschaft hatte mit der Wirtschafts- und Währungsunion zwei Herausforderungen gleichzeitig zu bewältigen: zum einen den Übergang von einer Planwirtschaft in eine funktionierende Marktwirtschaft, zum anderen die schlagartige Integration in die hochentwickelte westdeutsche Wirtschaft und auch in die Weltwirtschaft. Diese Integrationsnotwendigkeit machte den Weg Ostdeutschlands einzigartig, vergleicht man ihn mit den Bedingungen der übrigen Transformationsstaaten Mittel- und Osteuropas.

In dieser Arbeit wird betrachtet, wie der Übergangsprozess von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft während letzen 10 Jahren in Ostdeutschland verlaufen ist. Als erstes wird die Lage der neuen Länder im Jahre 1990 gezeigt bzw. die Schwächen und die Lasten, welche die Planwirtschaft hinterlassen hat. Als zweites wird die Entwicklung Ostdeutschlands innerhalb des letzten Jahrzehntes betrachtet. Dabei werden Akzente bei folgendem gesetzt: Wachstumspole, die sich mittlerweile in Ostdeutschland herauskristallisiert haben; Produktivitätslücken, ihre Ursachen und ihr Aufholprozess; Entwicklung in verschiedenen Bereichen des Unternehmenssektors. Letztendlich werden Schlussfolgerungen über die heutige Lage der neuen Bundesländer gezogen.

2. Lage der neuen Bundesländer im Jahre 1990

2.1. Überblick

Im Jahre 1990 waren erhebliche Wohlstandsunterschiede zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland vorhanden. Was pro Kopf der Bevölkerung in Ostdeutschland an finanziellen und sachlichen Vermögen geschaffen wurde, was je Erwerbstätige an derzeitigem Einkommen erwirtschaftet wurde, lag sehr viel niedriger im Vergleich zur westdeutschen Wirtschaft. Besonders schlimm war es, dass die Umwelt in Ostdeutschland durch eine schonungslose Nutzung natürlicher Ressourcen stark beschädigt war.[1]

Mit Inkrafttreten des Staatsvertrages zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ist die Wirtschaft der DDR in eine marktwirtschaftliche Ordnung gestellt worden. Die schnelle Einführung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen hat zwar neue Perspektiven geschaffen, aber auch die Wettbewerbsschwäche des alten Systems offengelegt. Schon in den wenigen Monaten nach Einführung der D-Mark haben die Betriebe der ehemaligen DDR ihre Produktion drastisch einschränken müssen. Während des ersten Halbjahres hat sich die Industrieproduktion um rund ein Drittel vermindert. Der größte Teil des Güterangebotes ostdeutscher Betriebe war in einem nach außen offenen Markt nicht wettbewerbsfähig. Produktion und Beschäftigung sind auf breiter Front gesunken. Besonders stark waren Einbußen in der Industrie, aber auch in den Bereichen: Bau, Handel und Landwirtschaft.

Die Leistungsschwäche der ostdeutschen Betriebe wurzelte im Systemfehler der Planwirtschaft. Vor allem fehlte der Druck des Internationalen Wettbewerbs, der die Unternehmen zur Kostensenkung und zur Marktorientierung ihrer Produktion zwingt.

2.2. Strukturschwächen

Am Anfang der Übergangsperiode zur Marktwirtschaft gab es die durch den Systemwechsel bedingten Übergangsprobleme, aber das Kernproblem der ostdeutschen Wirtschaft waren die von der Planwirtschaft hinterlassenen Strukturprobleme. Dazu zählt man:[2]

- Überhöhter Personaleinsatz. Auf Grund des Mangels an Wettbewerb, das faktische Verbot von Entlassungen und die durch Lieferengpässe verursachte Fehlzeiten.
- Die volkswirtschaftlichen Ressourcen wurden nach staatlichen Vorgaben gelenkt. Deswegen war eine Produktionsstruktur entstanden, die nicht den Konsumenten wünschen entsprach.
- Auf Grund der Abschottung vom Weltmarkt war die Produktion zu wenig spezialisiert. Ein großer Teil der benötigten Investitionsgüter und Vorleistungen kam aus heimischer Produktion. Auch untereinander haben die Betriebe mit einer hoher Fertigungsstufe produziert, um sich von Zulieferungen unabhängig zu machen.

Die Absatzverluste der Industriebetriebe hatten vielfältige Gründe, die in den einzelnen Produktionszweigen unterschiedlich waren: Unwirtschaftlichkeit der Produkte wegen hoher Kosten, Stillegung der Produktion infolge der enormen Umweltbelastungen, Fehlen marktfähiger Produkte. Aber Hauptursache dafür war der Mangel an einem marktkundigen Management in den der Zentralverwaltung unterstellten Betrieben Ostdeutschlands.

Die Lage in der Landwirtschaft verschlechterte sich ebenfalls schockartig. Die Verbraucher hatten westliche Agrarprodukten bevorzugt. Nach der Anpassung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise an das EG-Preisniveau wurde deutlich, dass die großen Genossenschaften viel zu teuer produzierten. Eine Ursache dafür war die niedrige Arbeitsproduktivität im Agrarsektor der ehemaligen DDR.

Auch die Bauwirtschaft klagte über Auftragsmangel. Die Bauunternehmen mussten zunächst ihre Produktion um ein Sechstel gegenüber dem Vorjahresniveau einschränken. Begründend dafür dürften sowohl die noch immer weitgehend ungeklärten Eigentumsverhältnisse an den Gründstücken als auch die angespannte finanzielle Situation von Investoren und Bauunternehmen im Ostdeutschland sein.

Im Dienstleistungssektor war die Situation günstiger als in der Industrie, im Bau und in der Landwirtschaft. Zwar waren die produktionsnahen Dienstleistungsbereiche durch den Rückgang der Industrieproduktion beeinträchtigt worden, aber es haben sich auch neue Dienstleistungsaktivitäten aufgetan. So haben sich westdeutsche Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen schon vor der Währungsunion in Ostdeutschland engagiert.

2.3. Investitionen blieben zurück

Nach der Öffnung der Grenze zeigte sich, dass ein beträchtlicher Kapitaleinsatz notwendig sein würde, um den vorhandenen Kapitalstock zu erneuern und wettbewerbsfähig zu machen. Direktinvestitionen fördern auch den Transfer von technologischen Wissen und Management-Know-how, das für die ostdeutschen Unternehmen am Anfang des Übergangs zur Marktwirtschaft sehr notwendig war. Aber es brauchte in dieser Phase Zeit, bis einzelwirtschaftliche Investitionsentscheidungen in Gang kamen. Die Investitionsneigung der ostdeutschen Unternehmen wurde durch den Absatzeinbruch ab Jahresmitte zusätzlich abgeschwächt. Die Investitionen westdeutscher Unternehmen waren vielfach darauf ausgerichtet, Absatz- und Vertriebsorganisationen aufzubauen. Investitionen, die der Errichtung neuer Produktionsstätten dienten, hatten einen erheblichen Planungsvorlauf.

2.4. Warenpreisentwicklung: erhöhte Kaufkraft der ostdeutschen Konsumenten

Nach der Öffnung der Grenze und der Einführung der D-Mark konnten die neuen Bundesbürger als Konsumenten rasch auf ein reichhaltiges und besseres Güterangebot zurückgreifen. Die Nachfrage nach westlichen Gütern hatte sich schlagartig verstärkt. Die ostdeutschen Unternehmen hatten unter Anpassungszwang nur die Möglichkeit, ihre Absatzchancen durch Preissenkungen zu wahren. Von Mai bis Juli 1990 hatten sich die industriellen Erzeugnispreise im Durchschnitt halbiert.

Die Preise für die einzelnen Warengruppen haben sich jedoch sehr unterschiedlich entwickelt. Während sich die dauerhaften Gebrauchsgüter, auf denen früher hohe Abgaben lasteten, drastisch verbilligten, zogen die Preise für Grundnahrungsmittel wegen Subventionskürzungen kräftig an (Tabelle 1. Schaubild 1). Unverändert blieben die Mieten und die Preise für Energie und Verkehrsleistungen, weil die Subventionen hier beibehalten wurden.[3]

Ein Vergleich des Preisniveaus vor und nach der Vereinigung ist allerdings problematisch, weil zum einen sich das Güterangebot und zum andern die Struktur des privaten Verbrauchs in Ostdeutschland grundlegend verändert haben.

2.5. Hohe Deckungslücken im Staatshaushalt

Mit der Einführung der Marktwirtschaft haben sich die Ziele und die Aufgaben des finanzpolitischen Handels grundlegend geändert. Nunmehr beschränkte sich die Aufgabe des Staats auf die Bereitstellung von öffentlichen Gütern und auf die Korrigierung der Verteilung von Markteinkommen nach sozialen Gesichtspunkten.

Im Jahre 1990 konnte man folgende Situation beobachten: Das 1989 rund 275 Mrd. DM betragende Haushaltsvolumen war bis 82 Mrd. DM gesunken. Zu diesem Ausgabenrückgang hat vor allem beigetragen, dass – mit Ausnahme der Stützungsmaßnahmen – alle Preissubventionen gestrichen wurden. Den Einsparungen durch die Kürzung der Subventionen standen erhöhte Ausgaben in anderen Aufgabenfeldern gegenüber. So wurden an Arbeitslose und Kurzarbeiter sowie auf Grund der Rentenerhöhungen allein rund 13 Mrd. DM als Zuschuss für die soziale Sicherung aufgebracht. Das entsprach einem Anteil von 15vH an den gesamten Staatsausgaben.

Noch stärker als die Ausgaben gingen jedoch die Einnahmen zurück. Die produktgebundenen Abgaben, die von Betrieben abgeführt werden mussten und im Haushalt der DDR rund 80 vH der Gesamteinnahmen betrugen, entfielen zur Mitte des Jahres 1990. Die Einführung des neuen Steuer- und Abgabensystems führte also zu einem beträchtlichen Rückgang der Staatseinnahmen. Die Lohnsteuereinnahmen waren auf Grund des niedrigen Einkommensniveaus genauso gering: im zweiten Halbjahr 1990 trugen sie an den gesamten Steuereinnahmen nur mit einem Anteil von rund 13,5 vH bei. Bei der Umsatzsteuer wirkte sich einnahmenmindernd aus, dass es nach Einführung der D-Mark zu einer starken Verlagerung der Käufer in die westlichen Bundesländer kam. Die Steuereinnahmen blieben also um rund 7 Mrd. DM hinter dem erwarteten Aufkommen zurück.

Zum überwiegenden Teil mussten die Ausgaben durch Kredite finanziert werden. Insgesamt wiesen in der zweiten Jahreshälfte 1990 die ostdeutschen öffentlichen Haushalte einen Fehlbetrag von knapp 60 Mrd. DM (70 vH an den Gesamtausgaben) auf. Die Finanzzuweisungen aus dem Fonds Deutsche Einheit und aus der Anschubfinanzierung beliefen sich insgesamt auf 24,75 Mrd. DM. Der Staat der DDR verschuldete sich am Kapitalmarkt in Höhe von 10 Mrd. DM. Der DDR-Staatshaushalt ging ab dem zweiten Halbjahr 1990 auf den Bund über. Die Mehrausgaben und Mindereinnahmen im DDR-Budget wurden Bestandteil des dritten Nachtragshaushalts des Bundes und über eine Erhöhung seiner Nettokreditaufnahme (25,9 Mrd. DM) mitfinanziert.

2.6. Erblasten der sozialistischen Planwirtschaft: Umweltschaden und vernachlässigte Infrastruktur

Das Versagen der sozialistischen Planwirtschaft wird nicht nur durch den Rückstand in der Güterversorgung dokumentiert, sondern auch im Mangel an öffentlichen Gütern. Die schwersten Versäumnisse sind in Bereichen Umweltschutz und Infrastruktur festzustellen.

Die Umweltbelastung in der ehemaligen DDR ist beispiellos: Im Jahre 1988 wurde die fünffache Menge Schwefeldioxid in die Luft ausgestoßen als in der Bundesrepublik. In keinem anderem Land wurde eine so hohe Staubbelastung wie in der DDR erreicht. Auch der Ausstoß an Kohlendioxid je Einwohner war der höchste der Welt.[4] Gravierend war auch die Verschmutzung der Gewässer: Die Hälfte der Fließgewässer war für die Trinkwassergewinnung nicht mehr verwendbar und ein weiteres Drittel nur mit sehr hohen Aufbereitungskosten. Das Grundwasser wurde durch die großflächige Ausbringung durch Pflanzschutzmittel und intensive Verwendungen von Düngemitteln belastet.

In der DDR mangelte es an einem verbindlichen umweltpolitischen Regelwerk, und für den Umweltschutz wurden zu wenig Mittel eingesetzt. Es wurde viel in die Energiegewinnung, aber wenig in die Energieeinsparung investiert. So war der Wirkungsgrad in der Energieerzeugung aufgrund veralteter Techniken niedrig und in den Gebäuden, die unzureichend gedämmt und noch zu 60 vH mit Ofenheizungen versehen waren, entstanden hohe Wärmeverluste.

Die Umweltschäden beeinträchtigten die Standortqualität Ostdeutschlands als Wohngebiet sowie als Produktionsstätte. Im Einigungsvertrag wurden deshalb, die im internationalen Maßstab strengen Auflagen der Bundesrepublik, auch für die neuen Bundesländer für verbindlich erklärt. Bei Neuanlagen und baulichen Veränderungen gelten bereits seit dem 1.Juli 1990 die Anforderungen des bundesdeutschen Genehmigungsrechts. Die dramatische Umweltsituation in der ehemaligen DDR konnte in vielen Fällen nur durch Stillegung von Betrieben verändert werden.

Wirtschaft und Bevölkerung in der früheren DDR litten auch unter der qualitativ und quantitativ unzureichenden Infrastrukturausstattung. Besonders markant waren die Mängel im Telekommunikationssektor, der nicht den Ansprüchen einer moderner Wirtschaft entsprach. Im Jahre 1989 gab es in der DDR lediglich 1,8 Mio. Telephonanschlüsse, 18000 Telexanschlüsse und nur 2500 Telefaxanschlüsse.[5]

Die Versorgung mit Büro- und Gewerberaum war ungenügend. Die vorhandene Bausubstanz stammte meistens noch aus der Zeit vor 1930. Da notwendige Instandhaltungsmaßnahmen oft unterblieben, waren viele Gebäude vom Verfall bedroht.[6]

Ebenso der Verkehrsbereich wies erhebliche Mangel auf. Das Eisenbahnnetz war zwar besser ausgebaut als in der BDR, doch war nur zu einem Viertel elektrifiziert und nur ein Drittel war zwei- oder mehrgleisig ausgebaut. Das Schienennetz war streckenweise infolge der Verwendung wenig robuster Materialien nur mit niedriger Geschwindigkeit befahrbar.

Auch die vorhandenen Straßen waren den künftigen Beanspruchungen nicht gewachsen. Das Straßennetz war nur halb so dicht wie in der Bundesrepublik. Das Autobahnnetz war dünnmaschig und nur auf die ehemaligen Transitstrecken konzentriert.

Der Investitionsbedarf im Bereich der Verkehrsinfrastruktur betrugt im Jahre 1990 nach Schätzung des Bundesverkehrsministeriums etwa 127 Mrd. DM; davon entfielen allein 58 Mrd. DM auf den Ausbau des Straßennetzes und 48 Mrd. DM auf die Erneuerung der Schienenwege. Für die Verbesserung des Öffentlichen Personennahverkehrs wurden etwa 12 Mrd. DM veranschlagt; der Ausbau der Binnenwasserstraßen dürfte weitere 8 Mrd. DM erfordern.[7]

3. Entwicklung der neuen Bundesländer von 1990 bis 1999

3.1. Wachstumspole

Zehn Jahren nach der Vereinigung Deutschlands haben sich die transformationsspezifischen Probleme in den neuen Bundesländern ganz deutlich verringt, häufig sind sie gelöst. In Ostdeutschland haben sich inzwischen regionale Wachstumspole herausgebildet, deren wirtschaftliches Potential nicht hinter dem mancher westdeutscher Regionen zurücksteht, es teilweise sogar übertrifft. Zugleich existieren strukturschwache Regionen, die wegen der Entfernung von Agglomerationen nicht die Vorteile der großen Ballungsräume nutzen können.

Somit weist Ostdeutschland eine große regionale wirtschaftliche Ausdifferenzierung auf. Um dies aufzuzeigen, werden zur regionalen Abgrenzung Arbeitsmarktregionen gewählt, die unter Verflechtungs- und Erreichbarkeitsgesichtspunkten funktional abgegrenzte Gebiete darstellen. Das ergibt 67 Regionen (Schaubild 2). Als Indikator der wirtschaftlichen Leistung in diesen Regionen wird die Bruttowertschöpfung je Einwohner verwendet.

Zur Messung der regionalen Ungleichheiten dient der Variationskoeffizient, der die Standardabweichung in Relation zum Mittelwert setzt. Die regionale Streuung der Bruttowertschöpfung je Einwohner in Ostdeutschland ging zwischen den Jahren 1992 und 1996 - aktuellere Daten zur Bruttowertschöpfung sind nicht verfügbar - geringfügig zurück; sie näherte sich dem westdeutschen Wert an, der sich in derselben Periode kaum veränderte, und unterschritt diesen im Jahre 1996 sogar leicht (Tabelle 2). Bezogen auf das gesamte Bundesgebiet verringerte sich der Variationskoeffizient hingegen deutlich. Darin kommt zum Ausdruck, dass im Zeitraum der Jahre 1992 bis 1996 eine Annäherung der Wirtschaftsleistung innerhalb des gesamten Bundesgebiets stattfand. Die Differenz zwischen dem ostdeutschen und dem westdeutschen (gewichteten) Mittelwert der Bruttowertschöpfung pro Kopf verringerte sich im gleichen Zeitraum um gut ein Viertel. Im Jahre 1992 wiesen erst drei ostdeutsche Arbeitsmarktregionen eine Bruttowertschöpfung je Einwohner aus, die über dem westdeutschen Minimum lag; im Jahre 1996 waren es bereits 33. Der westdeutsche Durchschnitt wurde im Jahre 1996 allerdings erst von einer ostdeutschen Region (Prenzlau) übertroffen. Insgesamt dürfte sich in der jüngsten Vergangenheit die Anzahl der ostdeutschen Regionen, die gegenüber westdeutschen wirtschaftlich aufholen, erhöht haben.[8]

Aufgrund starker Ausdifferenzierung Ostdeutschlands bietet sich eine regional differenzierte Analyse für die neuen Länder an. Für die Regionalanalyse werden die ostdeutschen Arbeitsmarktregionen zunächst auf ihre Ausstattung mit sogenannten Potentialfaktoren - Faktoren, die das regionale Entwicklungspotential bestimmen - hin untersucht; dann wird ein Vergleich mit der Potentialfaktorausstattung in Westdeutschland vorgenommen. Schließlich werden die Regionen hinsichtlich ihrer Ausstattung mit Potentialfaktoren klassifiziert, so dass sich Wachstumspole identifizieren lassen. Dies geschieht mittels des dafür üblichen Verfahrens, der Clusteranalyse.

Als Potentialfaktoren werden die Produktionsfaktoren, die sektorale Wirtschaftsstruktur, die geographische Lage und die Agglomeration ausgewählt; dafür werden geeignete Indikatoren bestimmt.[9]

Zu den Produktionsfaktoren gehören das Humankapital und das Sachkapital. Die Ausstattung mit Humankapital lässt sich annähernd an der Anzahl hochqualifizierter Beschäftigter (sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit einem Universitäts- oder Fachhochschulabschluss) in Relation zu den Einwohnern messen. Der Indikator liegt in den neuen Ländern durchschnittlich bei 3,1 vH; es besteht eine ausgeprägte regionale Differenzierung (Tabelle 3). Die höchste Humankapitalausstattung weisen die Regionen Dresden (7,5 vH), Jena (6,5 vH) und Erfurt (6,0 vH) auf; sie übertreffen Salzwedel, Sangerhausen und Stendal, die am unteren Spektrum stehen, um durchschnittlich das Vierfache.

Sachkapital umfasst privates und öffentliches Kapital. Jedoch liegen auf regionaler Ebene keine Kapitalstockdaten vor. Als Hilfsgröße wurden die kumulierten Investitionshilfen herangezogen, die über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur” für den Zeitraum der Jahre 1990 bis 1998 geleistet wurden.[10] Die Fördermittel aus der Gemeinschaftsaufgabe betrugen je Einwohner in Ostdeutschland für den Zeitraum der Jahre 1990 bis 1998 durchschnittlich 13 768 DM.

Die Qualität des Produktionsfaktors Arbeit und die Effizienz seines Einsatzes werden durch die Produktivität erfasst, definiert als Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen. Die mit Abstand höchste - das ostdeutsche Durchschnittsniveau um mehr als das Zweifache übersteigende - Produktivität von 150 644 DM je Erwerbstätigen wurde im Jahre 1996 in der Arbeitsmarktregion Prenzlau erzielt, in welcher der Industriestandort Schwedt liegt. Dieser Standort wurde vor der Vereinigung mit modernen Anlagen als eine eigene Basis in den Grundstoffindustrien Erdöl- und Papierverarbeitung erschaffen und stützte sich auf die Rohstofflieferungen aus der Sowjetunion. Mit einer Produktivität von 91 622 DM folgt an zweiter Stelle Berlin.

Die sektorale Wirtschaftsstruktur gibt Auskunft darüber, in welchen Wirtschaftsbereichen die Ressourcen einer Region eingesetzt werden. Gelingt es, diese für die Produktion solcher Waren und Dienstleistungen zu nutzen, für die die Region wegen ihrer jeweiligen Ausstattung mit Potentialfaktoren Kostenvorteile hat und für die die Einkommenselastizität der Nachfrage groß ist, so ergeben sich Wettbewerbsvorteile für die Region. Man kann bei der Analyse der komparativen Vorteile jeder einzelnen Region davon ausgehen, dass tendenziell die Einkommenselastizität der Nachfrage nach Dienstleistungen höher ist als die nach Waren anderer Wirtschaftsbereiche. Insofern lässt der Anteil des Dienstleistungssektors auf den Potentialcharakter der sektoralen Wirtschaftsstruktur schließen und wird als Indikator herangezogen.[11]

Zur Bestimmung des relativen Umfangs des Dienstleistungssektors wird der Anteil der dort sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt des Jahres 1998 verwendet. Hier liegen die Regionen Berlin und Dresden über dem Mittel der neuen Bundesländer (30,6 vH) mit je etwa 40 vH und Jena mit 38,5 vH; in Salzwedel, Finsterwalde und Burg hingegen beträgt der Indikator nur etwa 19 vH.

Die günstige geographische Lage einer Arbeitsmarktregion trägt zusammen mit einer gut ausgebauten Verkehrsinfrastruktur zu einer Verringerung der Transaktionskosten auf dem Gütermarkt bei. Diese Faktoren lassen sich über einen Distanzindikator quantifizieren, der auf der Berechnung von den Fahrzeiten im Schienen- und im PKW-Verkehr zu den drei nächsten nationalen oder ausländischen Ballungsräumen mit den Anteilen des Eisenbahnverkehrs und des Straßenverkehrs bei der Beförderung von Gütern beruht.[12] Die nachteiligste Lage haben die Arbeitsmarktregionen Mecklenburg-Vorpommerns. Die durchschnittliche Fahrzeit von diesen zu den drei nächsten Ballungsräumen beträgt 169 Minuten und übertrifft deutlich den ostdeutschen Durchschnitt von 120 Minuten. Die Regionen Leipzig und Dresden zeichnen sich durch eine geringe Distanz von 85 beziehungsweise 87 Minuten Fahrzeit aus.

Die Agglomeration wirtschaftlicher Aktivität bietet besonders große Vorteile für Betriebe in Branchen, in denen steigende Skalenerträge realisiert werden können. Als Maß für diese räumliche Konzentration dient die Industriedichte. Sie ist hier definiert als die Anzahl der Arbeitsplätze in Betrieben mit 20 und mehr Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe einschließlich des Bergbaus, bezogen auf 1 000 Einwohner. In Bezug auf die Industriedichte lässt sich ein deutliches Süd-Nord-Gefälle konstatieren. Die geringste Industriedichte weisen die Regionen Mecklenburg-Vorpommerns auf. Arbeitsmarktregionen mit einer überdurchschnittlichen Industriedichte befinden sich vor allem in Thüringen und Sachsen, Spitzenreiter sind hier Eisenach, Pößneck und Zwickau. Das Gewicht des landwirtschaftlichen Sektors nimmt umgekehrt von Norden nach Süden tendenziell ab.

Ein geringer Spezialisierungsgrad ist für eine Region von Vorteil, weil sie damit weniger stark von sektorspezifischen Schocks betroffen wird. Um diesen Aspekt zu berücksichtigen, wird als zweiter Agglomerationsindikator der Spezialisierungskoeffizient verwendet. Er misst die Konzentration von Branchen in einem Teilraum (Arbeitsmarktregion) im Vergleich zu der im Gesamtraum (Deutschland). Der kleinstmögliche Wert Null bedeutet eine vollständige Übereinstimmung der Branchenstruktur beider Gebiete. Die Regionen Bergen (mit einem Spezialisierungskoeffizienten von 12,5 vH), Senftenberg (10,9 vH), Stralsund (10,3 vH) und Zwickau (9,1 vH) weisen eine im ostdeutschen Vergleich hohe Konzentration von Branchen des Verarbeitenden Gewerbes auf. Hingegen unterscheiden sich Berlin, aber auch Annaberg und Pirna, was ihre Wirtschaftsstruktur betrifft, kaum vom deutschen Gesamtraum.

Für die Messung der Agglomeration in einer Region wird schließlich die Bevölkerungsdichte (Einwohner je Quadratkilometer) herangezogen. Sie ist deshalb wichtig, weil mit zunehmender Bevölkerungszahl die Durchschnittskosten der Bereitstellung und Instandhaltung öffentlicher Güter sinken. Hier ergibt sich eine starke regionale Abweichung: Dresden ist die Region mit der höchsten Bevölkerungsdichte (677 Einwohner je Quadratkilometer), sodann folgen Berlin (474) und Halle/Saale (456); die Bevölkerungsdichte liegt in diesen Regionen deutlich über dem ostdeutschen Durchschnitt von 162.

Die bisherige Analyse bestätigt eine starke Ungleichmäßigkeit der ostdeutschen Arbeitsmarktregionen auch hinsichtlich der Verteilung der einzelnen Potentialfaktoren. Vergleicht man die neuen Länder mit den alten Ländern als Ganzes, fallen die Unterschiede nicht immer zu Ungunsten der neuen Bundesländer aus. So liegt der Anteil hochqualifizierter Beschäftigter an der Bevölkerung in Ostdeutschland über dem Vergleichswert für Westdeutschland.[13] Der Spezialisierungskoeffizient für Ostdeutschland unterschreitet den für Westdeutschland deutlich. Der Anteil des Dienstleistungssektors in den neuen Ländern ist immerhin fast ebenso hoch wie in den alten Ländern. Gleichzeitig sind die Gewichte des Verarbeitenden Gewerbes und des Handels in den neuen Bundesländern relativ niedrig. Die Bedeutung des landwirtschaftlichen Sektors ist hoch, die Bevölkerungsdichte und die Industriedichte sind vergleichsweise gering.

Ein höherer Wert des Distanzindikators in Ostdeutschland in Relation zu Westdeutschland ergibt sich auch aus einem noch bestehenden Rückstand bezüglich des Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur in Ostdeutschland und in den angrenzenden Nachbarstaaten. Das ostdeutsche Produktivitätsniveau unterschritt im Jahre 1998 im Mittel das westdeutsche um 36 vH.

Einige ostdeutsche Regionen haben hinsichtlich bestimmter Potentialfaktoren zu westdeutschen bereits aufgeschlossen oder diese sogar überholt. Vergleicht man die alten und die neuen Länder in Bezug auf die Werte ihrer Potentialfaktoren, so fällt auf, dass der Anteil hochqualifizierter Beschäftigter in der diesbezüglichen ostdeutschen Spitzenregion Dresden (7,5 vH) deutlich über dem Wert des entsprechenden westdeutschen Spitzenreiters München (6,1 vH) liegt.[14] Dies stützt die Erwartung, dass sich der Aufholprozess fortsetzen wird.

Um der Politik eine Orientierung zu geben, ist es sinnvoll, Arbeitsmarktregionen mit gleichen Merkmalen zu identifizieren. Mit Hilfe einer Clusteranalyse wird eine Klassifizierung der Regionen nach den genannten Potentialfaktoren vorgenommen. Jeweils mit gleichem Gewicht gehen die oben genannten Faktoren in die Analyse ein.

Die Regionalanalyse zeigt die beachtliche Heterogenität innerhalb Ostdeutschlands auf. Dort haben sich wie in Westdeutschland einige Arbeitsmarktregionen wirtschaftlich nur schwach entwickelt, andere haben sich aber zu Wachstumspolen herausgebildet. Zu diesen gehören Leipzig, Dresden, Halle/Saale, Jena, Erfurt, Chemnitz und Berlin. Hinsichtlich dieser Wachstumspole lassen sich zwei Ergebnisse hervorheben:

- Diese Regionen hatten gute Ausgangsbedingungen bezüglich ihrer Potentialfaktorausstattung schon zum Zeitpunkt der Vereinigung. Hier gelang es, die vorhandenen Potentiale zu nutzen und die Schaffung weiterer Potentialfaktoren zu stimulieren.
- Es handelt sich bei diesen Regionen um Agglomerationsräume, in denen Unternehmen untereinander sowie mit Forschungszentren und Hochschulen verflochten sind.

Die Ähnlichkeit in der regionalen Ausdifferenzierung legt zukünftig einen regionalökonomisch und regionalpolitisch bundesweit einheitlichen Ansatz nahe. Es gibt jedoch wirtschaftliche Probleme, die nur oder in besonderer Weise Ostdeutschland betreffen. Zu nennen sind vor allem die Produktivitätslücken von gegenwärtig einem Drittel des westdeutschen Niveaus.

3.2. Produktivitätslücken

3.2.1. Produktivitätslücken und ihre Ursachen

Noch kein ostdeutsches Flächenland weist gegenwärtig eine Arbeitsproduktivität auf, die auch nur annähernd der des Saarlands entspricht. Das Saarland ist das westdeutsche Land mit dem niedrigsten Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen. Brandenburg als ostdeutscher Spitzenreiter kommt auf 75 vH des Saarlands und auf 69 vH des westdeutschen beziehungsweise 73 vH des gesamtdeutschen Durchschnitts.[15] Eine Verringerung dieser Produktivitätslücke der ostdeutschen Wirtschaft ist die notwendige Voraussetzung für Realeinkommenszuwächse und Beschäftigungsgewinne.

Für den gegenwärtigen Rückstand der ostdeutschen Arbeitsproduktivität gibt es eine Reihe von Gründen:[16]

- Die geringere Kapitalintensität der ostdeutschen Produktion. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle schätzt in Untersuchungen eine durchschnittliche Kapitalintensität der ostdeutschen Wirtschaft in Höhe von rund 75 vH des Westniveaus. Solche Unterschiede reflektieren unterschiedliche Faktorpreisverhältnisse, vor allem Unterschiede in der Lohn-Zins-Relation.

Die niedrigere Kapitalausstattung erklärt allerdings nur rund ein Sechstel der bestehenden Produktivitätslücke. Für einen sich selbst tragenden Konvergenzprozess spielt aber die Investitionsdynamik eine entscheidende Rolle. Dieser Umstand erklärt, dass der Konvergenzprozess sich seit der Mitte der neunziger Jahre verlangsamt hat, weil die Investitionsdynamik in den neuen Ländern seit Mitte der neunziger Jahre bemerkbar nachgelassen hat.

- Ein niedrigerer Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten kann eine Ursache für Produktivitätsunterschiede sein. Daten für das Verarbeitende Gewerbe deuten aber darauf hin, dass die Unterschiede im Nutzungsgrad des Kapitalstocks keinen sehr hohen Erklärungsbeitrag für den Produktivitätsrückstand liefern. Der Auslastungsgrad der ostdeutschen Anlagen lag beispielsweise im September 2000 nur um rund 3 Prozentpunkte unter dem Westdeutschlands.

- Bestehende Preisnachteile der ostdeutschen Unternehmen. Zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit sind Unternehmen in den neuen Bundesländern oft gezwungen, niedrigere Absatzpreise als vergleichbare westdeutsche Firmen zu akzeptieren. Nach Berechnungen des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle erklärt dies rund ein Drittel der Produktivitätslücke. Aber wenn niedrigere Preise erforderlich sind, um die geringere Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Betriebe zu kompensieren, müssen die Ursachen dafür identifiziert werden. Zu diesen zählen: eine unzureichende Integration in überregionale Absatzmärkte, Defizite in modernen Marketingtechniken, eine viel zu geringe Betriebsgröße in Branchen, die mit wachsenden Skalenerträgen produzieren, bestehende Infrastrukturmängel, vor allem im Verkehrsbereich.

Diese Überlegungen zeigen: Die Produktivitätsdifferenz kann nicht mit einem Grund erklärt werden. Zentral für eine Beschleunigung des Aufholprozesses wird sein, ob es gelingt, eine hinreichend große Anzahl wettbewerbsfähiger Produzenten überregional und international handelbarer Güter festzusetzen. Dies ist sinnvoll, weil ein wettbewerbsfähiger Kernbereich solche Produktivitätsgewinne erzeugt, die auf realwirtschaftlichen Ursachen beruhen. Ein derartiges Produzenten-Cluster könnte für die übrigen Sektoren der ostdeutschen Wirtschaft eine Schrittmacherfunktion erfüllen und auf diese Weise zu einer Erhöhung der Investitionstätigkeit führen, die eine weitere Konvergenz möglich macht.

3.2.2. Konvergenzprozess im Unternehmenssektor: Industrie, Bauunternehmen und Dienstleistungen

Der wettbewerbsfähige Kernbereich wird in hohem Maße von der Entwicklung im Verarbeitenden Gewerbe entwickelt. Damit hat dieser Bereich für das künftige Wirtschaftswachstum eine entscheidende Bedeutung. Ausgehend von einem niedrigen Niveau gehen von diesem Bereich seit dem Jahre 1995 deutliche Impulse für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands aus. Da über den gesamten Zeitraum der Jahre 1991 bis 1999 der Anstieg der realen Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen den nominalen Zuwächsen entsprach, signalisieren diese Produktivitätsfortschritte in hohem Maße eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen dieses Bereichs (Tabelle 4).

Die starken Zuwächse der Jahre 1991 bis 1993 sind allerdings durch den vorherigen massiven Produktionseinbruch und den damit verbundenen Beschäftigungsabbau nach oben verzerrt. So sank der noch auf Basis der alten DDR-Statistik erstellte Index der industriellen Warenproduktion im Jahre 1990 um über 50 vH. Zwischen Juni und Juli 1990 kam es aber zu einem Rückgang von 35 vH. Betroffen von diesem Produktionsschock waren vor allem die Erzeuger überregional handelbarer Güter, die durch den Kostenschock der Währungsunion gegenüber westdeutschen Anbietern nicht mehr konkurrenzfähig waren.[17]

Die Ertragslage der ostdeutschen Unternehmen verbesserte sich im Jahre 1997 gegenüber dem Vorjahr deutlich und näherte sich der durchschnittlichen Ertragslage in Westdeutschland weiter an. Erstmals seit dem Jahre 1991 erzielten die Unternehmen in den neuen Ländern insgesamt Überschüsse: Die durchschnittliche Umsatzrendite, definiert als Jahresergebnis vor Gewinnsteuern und vor Ergebniszuführungen und Ergebnisabführungen in Relation zum Umsatz, betrug 0,7 vH gegenüber -0,2 vH im Jahre 1996. Die Entwicklung wurde hauptsächlich vom Verarbeitenden Gewerbe getragen; hier erhöhte sich die Umsatzrendite von -0,8 vH im Vorjahr auf 1,1 vH, was neben der günstigen Industriekonjunktur im Jahre 1997 auf die zunehmende Wettbewerbsfähigkeit der Industrieunternehmen zurückzuführen sein dürfte. Nur bei den Bauunternehmen sank die durchschnittliche Umsatzrendite von 0,4 vH auf 0,2 vH. Die Steigerung der Umsatzrendite der ostdeutschen Unternehmen insgesamt fiel damit stärker aus als die der westdeutschen Unternehmen, deren Rendite um 0,7 Prozentpunkte zunahm, allerdings mit 3,1 vH deutlich über dem ostdeutschen Niveau lag. In Ostdeutschland verbesserte sich die Ertragslage in der Gruppe der schwächsten Unternehmen, auch weil einige der ertragsschwächsten Betriebe ausgeschieden sind. Der Anteil der Unternehmen, die Gewinne erzielten, unterschritt mit rund 68,5 vH den in Westdeutschland (79 vH) deutlich.

Ein aktuelleres Bild über die Ertragslage ostdeutscher Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes und des Baugewerbes geben Umfrageergebnisse des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Demnach stabilisierte sich die Ertragslage der Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes im Jahre 1998 weiter: Der Anteil der Unternehmen mit Gewinnen stieg von 47 vH im Jahre 1997 auf 53 vH, gleichzeitig reduzierte sich der Anteil der Unternehmen, die Verluste auswiesen, um fünf Prozentpunkte auf 25 vH. Die übrigen Unternehmen befanden sich in der Zone, in der die Kosten gerade gedeckt werden. Für den Unternehmenssektor im Ganzen hat sich die wirtschaftliche Lage gefestigt. Dieses Bild zieht sich durch alle Größenklassen der Unternehmen und durch alle Hauptgruppen des Verarbeitenden Gewerbes.

Im Gegensatz dazu verschlechterte sich die Ertragslage der ostdeutschen Bauunternehmen deutlich. Die kritische Ertragslage der ostdeutschen Bauunternehmen zeigt sich darin, dass sich gleichzeitig die Gewinnspanne der Hälfte aller Unternehmen verringerte und nur ein Fünftel der Betriebe diese vergrößern konnte. Unternehmensbefragungen des DIHT ergaben, dass sich die Gewinnsituation in Ostdeutschland im Jahre 1999 im Baubereich weiter verschlechtert hat.[18]

Der Dienstleistungsbereich entwickelte sich anders als das Verarbeitende Gewerbe. Hier wuchs insbesondere in den ersten Jahren nach der Vereinigung die nominale Arbeitsproduktivität deutlich schneller als die reale. Die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen im Bereich Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister stieg beispielsweise im Zeitraum von 1991 bis 1995 in jeweiligen Preisen um rund 127 vH, in realer Rechnung dagegen lediglich um 19 vH. Seitdem hat sich die drastische Abweichung in diesem Bereich ausgeglichen. Auch bei den Öffentlichen und Privaten Dienstleistern kam es in der ersten Hälfte der neunziger Jahre zu starken Preissteigerungen und damit zu einer deutlichen Abweichung zwischen nominaler und realer Produktivitätsentwicklung. Dies dürfte wesentlich auf den transfergestützten Nachfrageüberhang zurückzuführen sein.

Im Baugewerbe war in den ersten Jahren eine dem Dienstleistungsbereich ähnliche Entwicklung zu beobachten: hohe nominale Produktivitätsgewinne, deutlich niedrigere reale Zuwächse. Im Jahre 1996 hat der Abbau der Überkapazitäten begonnen und die Entwicklung hat sich umgekehrt: Der Anstieg der nominalen Wertschöpfung war niedriger als die realen Produktivitätsgewinne.

4. Teil III: Lage der neuen Bundesländer heute

Bis zur Vereinigung Ost- und Westdeutschlands hatte die Planwirtschaft bedeutende Strukturschwächen hervorgerufen und solche Erblasten wie Umweltverschmutzung und ungenügend entwickelte Infrastruktur hinterlassen. Die Produktion der ostdeutschen Unternehmen war nicht wettbewerbsfähig infolge hoher Kosten, der nicht den Konsumentenpräferenzen entsprechenden Produktionsstruktur und geringe Spezialisierung der Produktion. Außerdem waren die ostdeutschen Unternehmen gezwungen, ihre Preise zu senken, um ihre Absatzchancen zu sichern. Der noch nicht genügende Kapitalstock war auch für die niedrige Produktivität ostdeutscher Unternehmen verantwortlich. Die Staatsausgaben mussten größtenteils durch Kredite finanziert werden.

Diese Nachteile zusammen mit der plötzlichen Konkurrenz zu westdeutschen Unternehmen erschwerten die Lage für viele ostdeutsche Unternehmen.

Bis heute haben sich die für die Transformation charakteristischen Probleme deutlich vermindert. Ostdeutschland weist gegenwärtig eine erhebliche regionale Ausdifferenzierung auf. Manche Arbeitsmarktregionen haben sich sehr effektiv entwickelt und ihr wirtschaftliches Potential ist sogar mit dem Potential westdeutscher Regionen vergleichbar. Dazu gehören Leipzig, Dresden, Halle/Saale, Jena, Erfurt, Chemnitz und Berlin.

Die Defizite in den neuen Bundesländern hinsichtlich der Ausstattung mit Potentialfaktoren stellen sich regional unterschiedlich dar; ihre Beseitigung erfordert folgerichtig eine zwischen einzelnen Regionen differenzierende Politik. Dabei sollte die Politik nicht auf regionalen Ausgleich setzen, sie sollte vielmehr auf Regionen konzentriert sein, in denen bereits Potential vorhanden ist, so dass dieses besser genutzt werden kann. Aufgrund der positiven externen Effekte in solchen Regionen dürften sich dort die Agglomerationstendenzen verstärken und Eigendynamik entfalten. Die wirtschaftliche Entwicklung in diesen Regionen dürfte sich beschleunigt vollziehen, dabei werden neue Wachstumspole entstehen. Der Staat kann zur Ausweitung des regionalen Entwicklungspotentials besser mittels Investitionen beitragen, die komplementär zu privaten Investitionen sind. Durch Deregulierung kann der Staat die Gründung innovativer Unternehmen stimulieren und zugleich den bereits auf dem Markt befindlichen Betrieben Wachstumsmöglichkeiten eröffnen. Er kann weiter den Ideenwettbewerb innerhalb der Regionen und zwischen ihnen durch Wettbewerbsprogramme forcieren. So wird in den Regionen ein innovatives Klima geschaffen, welches Gründungen neuer Unternehmen sowie Forschungs- und Bildungseinrichtungen unterstützt.

In Ostdeutschland sind heutzutage noch bedeutende Produktivitätslücken vorhanden, die auf einer geringen Kapitalintensität der ostdeutschen Produktion und Preisnachteilen der ostdeutschen Unternehmen beruhen. In verschiedenen Bereichen des Unternehmenssektors verlief der Konvergenzprozess unterschiedlich: in den Bereichen Verarbeitendes Gewerbe und Dienstleistung hat sich die Ertragslage verbessert, im Bauunternehmensbereich hat sie sich verschlechtert. Im Großen und Ganzen kann der Zeitraum des Aufholprozesses in 2 Teilen unterschieden werden: bis zum Jahr 1995, worauf der größte Teil des Zuwachses (64 vH) entfiel und nach dem Jahr 1995, worauf lediglich 12 vH entfiel.[19] Der Aufbau des Unternehmenssektors setzte sich ebenfalls heute noch fort.

Je besser den ostdeutschen Unternehmen die Integration in den internationalen Wettbewerb gelingt, desto rascher schlagen Veränderungen im internationalen Umfeld auch auf die ostdeutsche Wirtschaft durch.

5. Literaturverzeichnis

Online-Quellen

Sachverständigenrat: Jahresgutachten/Sachverständigenrat zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2000/2001: Chancen auf einen höheren Wachstumspfad, 2000, Online im Internet: URL: http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/gutacht/00_ges.pdf [Stand 13.12.2000]

Sonstiges

Sachverständigenrat (Hrsg.): Jahresgutachten/Sachverständigenrat zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1999/2000: Wirtschaftspolitik unter Reformdruck, Stuttgart, 1999

Sachverständigenrat (Hrsg.): Jahresgutachten/Sachverständigenrat zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1998/1999: Vor weitreichenden Entscheidungen, Stuttgart, 1998

Sachverständigenrat (Hrsg.): Jahresgutachten/Sachverständigenrat zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1994/1995: Den Aufschwung sichern – Arbeitsplätze schaffen, Stuttgart, 1994

Sachverständigenrat (Hrsg.): Jahresgutachten/Sachverständigenrat zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1991/1992: Die wirtschaftliche Integration in Deutschland, Stuttgart, 1991

Sachverständigenrat (Hrsg.): Jahresgutachten/Sachverständigenrat zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1990/1991: Auf dem Wege zur wirtschaftlichen Einheit Deutschlands, Stuttgart, 1990

[...]


[1] JG 1990, Ziffer 71

[2] JG 1990, Ziffer 87

[3] JG 1990, Ziffer 104

[4] JG 1990, Ziffer 111

[5] JG 1990, Ziffer 117

[6] JG 1990, Ziffer 119

[7] JG 1990, Ziffer 121

[8] JG 1990, Ziffer 133

[9] JG 1999, Ziffer 135

[10] JG 1994, Ziffern 105 ff.

[11] JG 1999, Ziffer 137

[12] JG 1999, Ziffer 138

[13] JG 1999, Ziffer 144

[14] das gleiche

[15] JG 2000, Ziffer 183

[16] JG 2000, Ziffer 184, S. 187

[17] JG 1991, Ziffer 67

[18] JG 1999, Ziffer 121

[19] JG 2000, Ziffer 181

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Lage der neuen Länder: 10 Jahre nach der Vereinigung
Hochschule
Universität Paderborn
Note
gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
20
Katalognummer
V108470
ISBN (eBook)
9783640066674
Dateigröße
386 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine Seminararbeit über die wirtschaftliche Lage der neuen Bundesländer zu dem Zeitpunkt der Wiedervereinigung und deren Entwicklung während 10 Jahren danach.
Schlagworte
Lage, Länder, Jahre, Vereinigung
Arbeit zitieren
Anastasia Zarkovskaya (Autor:in), 2001, Lage der neuen Länder: 10 Jahre nach der Vereinigung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108470

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