Der Begriff „Digital Divide“ beschreibt das Problem der Wissenskluft, deren Diskussion ihren Ursprung bereits 1970 an der Minnesota Universität hatte, wobei er heute die Verstärkung der Kluft durch die Neuen Medien mit einbezieht.
Der Digital Divide besteht zwischen den verschiedensten Gruppen:
a) Arm und Reich, vor allem zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern, b) aber auch innerhalb der einzelnen Länder zwischen den sozial besser und schlechter gestellten Schichten; c) Land und Stadt; d) Mann und Frau, da sich die Frauen lange Zeit nicht im selben Maße wie die Männer an die Neuen Medien heran wagten; e) Jung und Alt, da es jungen Menschen leichter fällt, sich auf die Neuen Medien einzulassen; und f) Gesunden und Behinderten, da letzteren oft die physischen Möglichkeiten fehlen, sich im selben Maße mit den Neuen Medien auseinander zu setzen wie gesunde Menschen.
In dieser Hausarbeit möchte ich mich jedoch vor allem mit einer bestimmten Kluft und einem Versuch, sie zu verringern beschäftigen, mit der Kluft zwischen den Höher- und weniger Gebildeten. Diese Kluft hängt eng mit der Kluft zwischen Arm und Reich zusammen: Menschen mit niedrigerer Bildung verdienen meist weniger Geld und können es sich deshalb nicht leisten, ihre Kinder auf höhere Schulen zu schicken. Sie müssen viel arbeiten, um ihr Geld zu verdienen und haben weniger Zeit, sich um ihre Kinder und deren Bildung zu kümmern. Oft sehen sie auch den Zweck einer höheren Bildung nicht ein. So entsteht ein Teufelskreis.
Diesem Kreis versuchte man zu entkommen, indem man Wissen über einen Kanal vermitteln wollte, der auch Leuten mit weniger Geld größtenteils zur Verfügung stand: dem Fernsehen.
Die Sesame Street, Vorbild für die deutsche Sesamstraße, wurde in Amerika als Versuch entwickelt, die Kluft zwischen sozial schwächeren und stärkeren Schichten zu beheben. Wie kam man plötzlich auf das Fernsehen als Vermittler von Bildung für Kleinkinder?
„Da Kindergärten und Personal fehlten, bot sich als privater und billiger Lückenbüßer einer versäumten Bildungsplanung das Fernsehen an, dessen Beliebtheit auch bei den Kleinsten nun nicht mehr verschwiegen zu werden brauchte.“1
Das Fernsehen musste als Bildungsmedium dienen, da die traditionellen Instanzen der Vorschulerziehung nicht fortschrittlich und erfolgreich genug waren, dem Staat für eine Reform jedoch das Geld fehlte. Das Fernsehen als Bildungsmedium eignete sich hingegen sehr gut: Es war bereits – auch bei den sozial schwächeren Schichten – weit verbreitet: Schon in den 60er Jahren hatten 96 Prozent der amerikanischen Familien ein Fernsehgerät, als intensivste Fernsehzuschauer galten die zwei- bis fünfjährigen Kinder, deren
durchschnittlicher Fernsehkonsum bei ungefähr 50 Wochenstunden lag2. Außerdem war das
Fernsehen ein relativ kostensparendes und einflussreiches Medium, das bereits sowieso genutzt wurde. Die Hemmschwelle auf der einen Seite, neue Lernprogramme ins Fernsehen einzubringen und sie – auf der anderen Seite - zu nutzen war also sehr gering.
Fernsehen hat außerdem einen sehr großen Einfluss auf Kinder. Sie setzen sich mit den Inhalten vor allem in emotionaler Betroffenheit auseinander, da ein Kleinkind noch nicht zwischen Realität und Fiktion unterscheiden kann. Durch den Mangel an eigener Erfahrung betrachten Kinder das Fernsehen kritiklos und glauben an die höheren Mächte, die ihnen im Fernsehen vermittelt werden. So wurde das Fernsehen als ideales Bildungsmedium betrachtet. Dennoch steckt in dieser Tatsache auch die Gefahr, dass Kinder durch Fernsehen manipuliert werden können.
Die Idee zur Sesame Street stammt aus Amerika. Durch den Sputnik-Schock - die Tatsache, dass die Russen zuerst im Weltraum waren - hatte man in den USA das Gefühl, sich stärker für die Bildung des Landes einsetzen zu müssen. Der erste Plan für eine Bildungssendung entstand im November 1968, als man sich entschloss, eine neuartige Fernsehserie für Kleinkinder zu entwerfen, die vor allem Kindern aus sozial schwachen Schichten einen besseren Schulstart ermöglichen sollte3. Im März wurde der Children’s Television Workshop (CTW) gegründet. (Heute existiert der CTW unter dem Namen Sesame Workshop mit der Internetseite www.sesameworkshop.org weiter.) Innerhalb dieses Workshops fanden fünf Seminare unter der Leitung von Gerald Lesser, einem Professor an der Graduate School of Education in Harvard, statt. Beteiligt waren auch Psychologen, Psychiater, Lehrer,
Soziologen, Filmemacher, TV-Produzenten, Kinderbuchautoren und Werbefachleute. Man formulierte konkrete Lernziele und setzte sich mit deren Umsetzung auseinander. Aufgabe der Filmemacher und TV-Produzenten war dabei, die speziellen Produktionstechniken des Fernsehens für die Wirksamkeit der Sendung auszunutzen, wie die kurzen, wiederholten Spots der Werbung, die bei Kindern Aufmerksamkeit und Lerneffekt erzielen. Prototypen, die nach den Ergebnissen der Seminare entwickelt worden waren, mussten eine Feldstudie durchlaufen, in der sie auf ihre Tauglichkeit getestet und anschließend noch einmal überarbeitet wurden. Im November 1969 wurde die Sesame Street das erste Mal landesweit
ausgestrahlt4.
Auch in Deutschland kam man auf die Idee, das Fernsehen als Bildungsmedium für sozial schwächere Schichten zu nutzen. Im Juli 1969 startete der Saarländische Rundfunk eine Pilotstudie, die sich damit beschäftigte, ob und in welcher Weise das Fernsehen einer Vorschulerziehung dienen könnte5. Einige Erkenntnisse aus dieser Studie wurden in einem Vorläufer der deutschen Sesamstraße, der Spielschule, umgesetzt6. Die Sesame Street
lernten deutsche Fernsehmacher erst 1970 beim „Prix Jeunesse“, einem internationalen Wettbewerb für Kinder- und Jugendsendungen, in München kennen. Daraufhin begann eine Auseinandersetzung um die Rechte an der Sendung: Da der CTW ein pädagogisches Ziel verfolgte, das ZDF das Projekt aber hauptsächlich unter geschäftlichen Gesichtspunkten sah, wurden die Rechte schließlich an den NDR vergeben. Die Amerikaner forderten für die Fernsehrechte, einschließlich der Nebenrechte für die Puppen und Bücher, 450.000 Dollar für die Dauer eines Jahres. Die Bundesregierung zeigte großes Interesse an bundesweiter Vorschulerziehung, und so förderte sie das Projekt „Sesamstraße“ mit drei Millionen DM7.
Außerdem wurde eine „Arbeitsgruppe Sesamstraße“ gegründet, da man sich einig war, dass die Sendung für die Ausstrahlung in der Bundesrepublik überarbeitet werden müsse. Die Arbeitsgruppe sollte sich mit inhaltlichen und formalen Fragen beschäftigen und eine stärkere Konzentration auf die Förderung des sozialen Lernens in den deutschen Folgen bewirken. Die erste deutsch bearbeitete Folge der Sesamstraße wurde am 8. Januar 1973 um 9.30 Uhr in den Ersten und Dritten Fernsehprogrammen ausgestrahlt8. 9
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1 Kübler, Hans-Dieter/Lipp, Claudia: Kinderfernsehen versus Kinder sehen fern, in Kreuzer, Helmut/Prümm, Karl (Hrsg.): Fernsehsendungen und ihre Formen, S. 212
2 http://www.ndr.de/tv/sesamstrasse/geschichte.html
3 Paus-Haase, Ingrid; Soziales Lernen in der Sendung „Sesamstraße“, S. 90
4 medien praktisch, Artikel von Winterhoff-Spurk, Auf dem Weg in die mediale Klassengesellschaft?, S. 19
5 Paus-Haase, Ingrid; Soziales Lernen in der Sendung „Sesamstraße“, S. 91
6 Paus-Haase, Ingrid; Soziales Lernen in der Sendung „Sesamstraße“, S. 92
7 Paus-Haase, Ingrid; Soziales Lernen in der Sendung „Sesamstraße“, S. 101
8 Paus-Haase, Ingrid; Soziales Lernen in der Sendung „Sesamstraße“, S. 103
9 Der Bayrische Rundfunk lehnte eine Ausstrahlung jedoch ab. Er war mit dem pädagogischen Konzept der Sendung nicht einverstanden. Die Serie sei veraltet, das Auffassungsvermögen der Kinder werde überfordert und die Lebenswelt der Kinder (Slum- und Rassenproblematik) stimme nicht überein. Ferner sei die Sesamstraße nach den Prinzipien der Werbung – kurze Spots, viele Wiederholungen – konzipiert.
- Arbeit zitieren
- Monika Moras (Autor:in), 2003, Die Sesamstraße als Ansatz zur Behebung des Digital Divide zwischen den Klassen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108487