Gliederung
1. Einleitung
2. Braucht Europa eine gemeinsame Sprache?
2.1. Argumente gegen eine einzige europäische Amtssprache
3. Welche Sprache könnte die gemeinsame Amtssprache Europas werden?
3.1. Englisch
3.2. Eine synthetische Sprache
3.3. Latein?
4. Die Wichtigkeit europäischer Mehrsprachigkeit
5. Zusammenfassung
1. Einleitung
Zur Zeit gibt es 11 Amtssprachen innerhalb der EU: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Dänisch, Finnisch, Griechisch, Niederländisch, Portugiesisch und Schwedisch. Die Erweiterung im Mai 2004 erhöht diese Zahl um 9 (Slowenisch, Tschechisch, Polnisch, Slowakisch, Ungarisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Maltesisch).[1] Die Frage nach der Stellung der Sprachen wird immer dringlicher, weil viele Amtssprachen die europäische Verwaltung kompliziert und aufwendig machen und die Aktionsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft mehr hemmen als nötig ist.
Obwohl der EU-Vertrag die Gleichheit der offiziellen Sprachen festlegt, ist die absolute Gleichheit in der Praxis unverwirklichbar, aus Effizienz- und Kostengründen. Wie viel Zeit würde die Kommission brauchen um neue Gesetzvorschläge vorzulegen, und der Rat sie zu ergreifen, wenn man jede Abänderung in 20 Sprachen übersetzten müsste? Wie viel würde es kosten in den Plenartagungen mit den zukünftigen 732 Mitgliedern des Europäischen Parlamentes von einer Sprache in eine andere simultan zu übersetzen?
Die europäischen Institutionen arbeiten verschiedene Optionen aus um die Mehrsprachigkeit mit der Notwendigkeit schneller Entscheidungsverfahren zu vereinen. Der Rat kann den Gebrauch aller Sprachen nur auf Minister- und Regierungschefebene garantieren, nicht in den verschiedenen Ausschüssen, die die Arbeit des Rates vorbereiten, wo nur drei Sprachen benutzt werden. Die Kommission übersetzt nur die endgültigen Vorschläge, während die vorhergehende Arbeit nur in drei Sprachen stattfindet.
Die EU-Bürger könnten sich entscheiden müssen, ob sie eine einzige Amtssprache einführen oder alle Sprachen der Mitgliedsstaaten auch Amtssprachen der EU sein sollen. Die Vorstellung einer gemeinsamen Sprache, die parallel neben den Nationalsprachen existiert, ist verlockend. Aber welche Sprache soll das sein? Welche Kriterien müsste sie erfüllen? Sollte es eine der existierenden europäischen Sprachen sein, oder wäre eine synthetische Sprache, zum Beispiel Esperanto, eine bessere Lösung?
2. Braucht Europa eine gemeinsame Sprache?
Eine gemeinsame Amtsprache würde die Politik der EU ändern. Alle sind sich darüber einig, dass der Zugang der EU-Bürger in ihrer Staatssprache zu den Dokumenten der Gemeinschaft erhalten werden muss. Aber für die Arbeit der EU Verwaltung oder zum Beispiel die Parlamentssitzungen sind inhaltlich-komplexe Übersetzungen schwer möglich und führen zu Missverständnissen. Eine Reduktion oder gar einheitliche Verkehrssprache könnte so zu einer Vereinfachung der Verwaltung führen, ohne die Bürger in ihren (Sprach-) Rechten einzuschränken.
Außerdem könnte eine gemeinsame europäische Sprache (auch wenn sie nur in der Administration verwendet würde) die Integration fördern und zu einerstärkeren europäischen Identität führen. Es ist vorstellbar, dass, wenn die EU-Bürger sich näher fühlen, und das würde wahrscheinlich mit einer einheitlichen Sprache passieren, sie sich auch mehr bewusst wären, was Integration wirklich bedeutet. Nicht nur als Wort in Verträgen oder Dokumenten, sondern als etwas, das ihr alltägliches Leben (evtl. positiv) beeinflussen kann. Wenn nur eine engere Integration oder sogar eine politische Union gewünscht wird, ist es von Vorteil, dass die Teilnehmer dieser Gemeinschaft gemeinsame Elementen teilen, wie zum Beispiel Werte, Geschichte, und als eins der wichtigsten eine gemeinsame Sprache.
2.1. Argumente gegen eine einzige europäische Amtssprache
Dagegen kann man auch die Ansicht vertreten, dass der Gebrauch der Erstsprache ein wesentliches Merkmal der Identität ist und dass die Beschränkung auf eine oder mehrere Amtssprachen mittelfristig zu einem irreparablen Sprach- und Kulturverlust in Europa führen würde. Wenn nur eine Sprache für die Administration verwendet wird, ist vorauszusehen, dass sie irgendwie als privilegiert betrachtet würde. Auch wenn alle europäische Sprachen von der Sprachenpolitik beschützt werden, ist es möglich, dass ein Bürger der EU in seinem alltäglichen Leben weniger mit seiner eigenen Sprachen zu tun haben würde, mehr mit der Amtssprache. Es könnte mit der Zeit geschehen, dass immer weniger in den verschiedenen Sprachen veröffentlicht werden würde. Bereits jetzt zeigt sich, dass insbesondere wissenschaftliche Texte nur noch auf Englisch publiziert werden, zum Beispiel die meisten Artikel in den Fachzeitschriften.
Derzeit betreibt die EU außerhalb der Übersetzung in die 11 Amtssprachen keine aktive Sprachenpolitik. Dies liegt in der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten und der daraus folgenden unterschiedlichen Regelungen für die in ihrem Staatsgebiet gesprochenen Minderheitensprachen begründet. Auch dort besteht die Gefahr, dass Sprachen verloren gehen. Nicht nur Nutzer nordischer Sprachen, wie zum Beispiel Finnisch oder Schwedisch, erleben ihre Sprache als Minderheitssprachen, darüber hinaus existieren noch ein Dutzend "große" und unzählige kleine Minderheitensprachen (zum Beispiel das von etwa 7,5 Millionen Katalanen gesprochene Katalanisch), die sich alle gefährdet sehen.
3. Welche Sprache könnte die gemeinsame Amtssprache Europas werden?
3.1. Englisch
Wenn es eine der heutigen Sprachen sein soll, kommen Englisch und Französisch deshalb in Frage, weil sie die meistbenutzten Sprachen in der operativen Politik und Diplomatie der EU sind[2] (zum Beispiel im Jahr 1997 wurden 45,3 Prozent der schriftlichen Texte der EU-Kommission ursprünglich auf Englisch verfasst und 40,4 Prozent auf Französisch[3] ). Aber man kann auch Deutsch in Betracht ziehen, weil es die meist benutzte Sprache innerhalb der EU ist, wenn man die Zahl seiner Muttersprachler heranzieht (24% der EU-Bürger sind deutschsprachig[4] ).
Von diesen drei Sprachen ist Englisch die meistverbreitete in der Welt. Das wäre von Vorteil in der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten (deren Kultur der europäischen Kultur nahe steht) und anderen Ländern in der Welt, die Englisch benutzen. Englisch ist auch die häufigste Sprache im Internet, es ist die wissenschaftliche Verkehrssprache in vielen Disziplinen und wird in vielen europäischen Ländern schon heute als erste Fremdsprache in der Schule unterrichtet.
Andererseits würde Englisch als gemeinsame Verkehrssprache wahrscheinlich nicht die Identität und das Selbstgefühl der Europäer verstärken, abgesehen von der Förderung der Globalisierung (Englisch würde eine noch stärkere Position in der Welt gewinnen).
3.2. Eine synthetische Sprache
Vorteile einer Kunstsprache wären, dass sie erstens keine Nation benachteiligen würde und zweitens wäre sie leichter erlernbar. Zum Beispiel Esperanto, das schon am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde, hat wenige grammatische Regeln und ist für viele leichter erlernbar. Ungefähr 75% seines Wortschatzes ist lateinischer oder romanischer Herkunft (besonders aus dem Französischen), um die 20% hat Esperanto von germanischen Sprachen (dem Deutschen und Englischen) und der Rest wurde aus slawischen Sprachen (dem Russischen und Polnischen) entnommen. Esperanto ist eine Sprache, deren Differenz zwischen geschriebener und gesprochener Sprache der Idee nach nicht vorhanden, auf jeden Fall äußerst gering ist. Jeder Buchstabe sollte nur auf eine Weise gesprochen werden, es gibt keine Ausnahmen.[5]
Auf der anderen Seite kann man fragen: Wäre es sinnvoll, eine künstliche Verkehrssprache einzuführen, wenn das Problem darin besteht, dass es ohnehin zu viele Sprachen in Europa gibt?
3.3. Latein?
Manchmal wird auch der Vorschlag gemacht, Latein für diesen Zweck zu nehmen.[6] Er bekommt Plausibilität durch einige Kriterien des Lateins: es ist eine europäische Sprache, die fast alle heutigen europäischen Sprachen beeinflusste. Heute wird sie von keiner Nation benutzt und deshalb würde sie niemanden benachteiligen. Diese Idee ist nicht realistisch. Die größte Schwierigkeit besteht darin, dass sie nicht leicht erlernbar ist. Man müsste ihre Grammatik vereinfachen, viele Begriffe ergänzen, und am Ende ergäbe sich eine Kunstsprache, die sich vom ehemals gesprochenen Latein sehr unterscheiden würde.
4. Die Wichtigkeit europäischer Mehrsprachigkeit
Heute haben die Bürger der EU das Recht, Rechtstexte den einzelstaatlichen Verwaltungen und den Gerichten der Mitgliedstaaten in ihrer Landessprache zur Verfügung zu stellen und sich in ihrer Sprache an die Organe der Union zu wenden.[7] Somit können alle Mitgliedstaaten und alle Bürger der europäischen Union unter gleichen Bedingungen mit ihr kommunizieren.
Viele europäischen Sprachen können, abgesehen von dem spezifischen Kommunikationsdefizit, auch als großer Vorteil angesehen werden. Sie repräsentieren den Reichtum und das kulturelle Erbe der europäischen Nationen, die zu bewahren und weiter zu entwickeln notwendig ist. Diese Aufgabe bedarf gleichzeitig des bewussten Gebrauchs der jeweiligen Muttersprache und der aktiven Zuwendung zu Sprachen der anderen europäischen Kulturgemeinschaften. Darum sollten die EU-Bürger andere Sprachen lernen, besonders womöglich die Sprachen der nationalstaatsgrenzenübergreifenden Regionen der EU, wo er lebt. Dies kann zur Zusammenarbeit der Nachbarvölker beitragen.[8]
Aufgrund dessen kann die gemeinsame Sprache Europas wahrscheinlich kaum zu mehr als einer Amtssprache werden.
5. Zusammenfassung
Die Frage nach der gemeinsamen europäischen Sprache wird heute oft in Anbetracht des Integrationsprozesses der europäischen Länder, vor allem in Zusammenhang mit der Erweiterung der EU im Mai 2004, gestellt.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Englisch und Französisch sind heute die meistbenutzten Sprachen in der EU-Kommission und im -Parlament und Englisch ist die erste Fremdsprache, die die Schüler in den meisten europäischen Ländern lernen. Deshalb hat Englisch eine große Chance, die gemeinsame Sprache zu werden. Eine synthetische Sprache, wie zum Beispiel Esperanto, ist eine andere Möglichkeit. Andere Vorschläge sind weniger oder mehr unrealistisch.
Die gemeinsame europäische Sprache kann kaum größere Rolle spielen als die Rolle der Amtssprache. Die Mehrsprachigkeit Europas ist zu bewahren, weil es einen Reichtum repräsentiert und von Vorteil für die Europäische Gemeinschaft sein kann.
Literaturverzeichnis
Gellert-Novak, Anne: Europäische Sprachenpolitik: Sprachenregelungen in Europäischen Organisationen. In: Europäische Sprachenpolitik und Euroregionen. Tübingen, Gunter Narr Verlag 1993, S. 71-77.
Hoberg, Rudolf u. a.: Deutsch im vielsprachigen Europa. eine Stellungnahme der Gesellschaft für deutsche Sprache. Der Sprachdienst Nr. 6/1999, S. 201–203.
Maier, Hans: Das Problem der Mehrsprachigkeit in einem politisch zusammenwachsenden Europa. In: Nationalsprachen und die Europäische Gemeinschaft (Herausgegeben von Manfred Hättich und Paul Dietmar Pfitzner). München, Olzog 1989, S. 79-89.
Valentino, Stefano: L´Eurobabele. Gia´oggi un terzo del bilancio comunitario e´assorbito dalle traduzioni. La tentazione di imporre due soli idiomi. Famiglia Cristiana Nr. 24/2003, S. 62-63.
http://www.wirsindeuropa.at/frameset.htm?%20testmenue.htm&event20062001.htm
http://www.welt.de/data/2003/03/11/50406.html
http://www.univie.ac.at/dieuniversitaet/2002/wissen/10000740.htm
http://www.esperanto.net/veb/faq/html
http://europa.eu.int/translation_enlargement/index_de.htm
http://www.politikforum.de/forum/archive/5/2001/02/3/5970
[...]
[1] http://www.welt.de/data/2003/03/11/50406.html
[2] Gellert-Novak, Anne: Europäische Sprachenpolitik: Sprachenregelungen in Europäischen Organisationen. In: Europäische Sprachenpolitik und Euroregionen. Tübingen, Gunter Narr Verlag 1993, S. 72.; http://www.welt.de/data/2003/03/11/50406.html
[3] http://www.univie.ac.at/dieuniversitaet/2002/wissen/10000740.htm
[4] http://www.univie.ac.at/dieuniversitaet/2002/wissen/10000740.htm
[5] http://www.esperanto.net/veb/faq/html
[6] Vgl. http://www.politikforum.de/forum/archive/5/2001/02/3/5970
[7] http://www.univie.ac.at/dieuniversitaet/2002/wissen/10000740.htm
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in diesem Text?
Dieser Text befasst sich mit der Frage, ob Europa eine gemeinsame Sprache benötigt, welche Sprache dafür in Frage käme und welche Bedeutung die europäische Mehrsprachigkeit hat. Er betrachtet Argumente für und gegen eine gemeinsame Amtssprache, untersucht die Eignung von Englisch, synthetischen Sprachen wie Esperanto und Latein als potenzielle Kandidaten und betont die Wichtigkeit der Bewahrung der europäischen Sprachenvielfalt.
Welche Argumente werden gegen eine einzige europäische Amtssprache angeführt?
Zu den Argumenten gegen eine einzelne europäische Amtssprache zählen die Wahrung der sprachlichen und kulturellen Identität, die Befürchtung eines Sprach- und Kulturverlusts in Europa, die mögliche Privilegierung einer Sprache gegenüber anderen und die Gefahr, dass Bürger im Alltag weniger mit ihrer eigenen Sprache in Kontakt kommen könnten.
Welche Sprachen werden als mögliche gemeinsame Amtssprache Europas in Betracht gezogen?
Der Text erwägt Englisch, Französisch und Deutsch als mögliche Kandidaten aufgrund ihrer Verbreitung in der EU-Politik und -Diplomatie sowie der Anzahl ihrer Muttersprachler. Zudem werden synthetische Sprachen wie Esperanto und Latein diskutiert.
Welche Vorteile hätte Englisch als gemeinsame Amtssprache?
Englisch ist die weltweit am weitesten verbreitete Sprache, was die Zusammenarbeit mit anderen Ländern erleichtern würde. Es ist die häufigste Sprache im Internet, die wissenschaftliche Verkehrssprache in vielen Disziplinen und wird in vielen europäischen Ländern als erste Fremdsprache in der Schule unterrichtet.
Welche Vorteile hätte eine synthetische Sprache wie Esperanto?
Eine Kunstsprache würde keine Nation benachteiligen und wäre leichter erlernbar, da sie in der Regel über wenige grammatikalische Regeln verfügt.
Warum wird Latein als mögliche gemeinsame Sprache diskutiert?
Latein ist eine europäische Sprache, die fast alle heutigen europäischen Sprachen beeinflusst hat. Da es von keiner Nation mehr benutzt wird, würde es niemanden benachteiligen. Allerdings wird die Idee als unrealistisch angesehen, da Latein nicht leicht erlernbar ist.
Welche Bedeutung hat die europäische Mehrsprachigkeit?
Die europäische Mehrsprachigkeit wird als großer Vorteil angesehen, da sie den Reichtum und das kulturelle Erbe der europäischen Nationen repräsentiert. Sie sollte bewahrt und weiterentwickelt werden, indem die Bürger andere Sprachen lernen, insbesondere die Sprachen der grenzüberschreitenden Regionen der EU.
Welche Rolle kann eine gemeinsame Sprache in Europa spielen?
Eine gemeinsame Sprache könnte die Integration fördern und zu einer stärkeren europäischen Identität führen. Sie könnte auch die Arbeit der EU-Verwaltung vereinfachen, ohne die Rechte der Bürger einzuschränken. Allerdings wird betont, dass eine gemeinsame Sprache wahrscheinlich kaum mehr als eine Amtssprache werden kann.
- Arbeit zitieren
- Sara Bigini (Autor:in), Libor Svanda (Autor:in), 2003, Überlegungen zu einer gemeinsamen Sprache Europas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108543