Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die indogermanische Familie und die Verwandtschaftstermini
3. Die Verwandtschaftstermini auf *– ter des Indogermanischen
3.1 Das indogermanische *– ter
3.2 Mutter
3.3 Vater
3.4 Tochter
3.5 Bruder
3.6 Zusammenfassung der Ergebnisse
4. Der Etymologie von Schwester
4.1 Die etymologische Bedeutung von * swesōr-
4.2 idg. * swesōr- > nhd. Schwester
4.2.1 Idg. - ōr - > Germ. - or - > Germ. - er -
4.2.2 t -Einschub
4.3.3 Mhd. sw - > Nhd. Schw -
5. Schlusswort
6. Bibliographie
1. Einleitung
Die Verwandtschaftstermini gehören zum ältesten Wortschatz des Indogermanischen und haben oft Anlass zu Diskussionen gegeben. Dabei ging das Interesse von der ethnologischen Frage nach dem Stamm der Indogermanen über die ursprüngliche Form dieser Termini und ihrer Herleitung bis hin zu ihrer tieferen Etymologie.
Betrachtet man die zentrale Gruppe der indogermanischen Verwandtschaftstermini * pater, *māter, *bhrāter und * dhughatēr, so fällt die morphologische Gemeinsamkeit, gegeben durch das Wortende – ter, auf. Dieses weist auch das neuhochdeutsche Wort Schwester auf. Untersucht man aber die indogermanische Form des Wortes, so erkennt man, dass es dieses Endstück ursprünglich nicht beinhaltete.
Es stellt sich nun also die Frage, wie diese morphologische Gemeinsamkeit zustande kommt. Welche Funktion hatte dieses – ter ? War es womöglich von Anfang an das Suffix der Verwandtschaftstermini? Weshalb weist das Wort ‚Schwester’ dieses Wortende erst seit dem Gotischen auf? Ich vertrete dabei den Standpunkt, dass das ter -Suffix ursprünglich jenes zur Bezeichnung der Kontrastive war. Später wurde es, ausgehend von * mātér - und * pэtér, zum Merkmal der lexikalischen Klasse der Verwandtschaftsbezeichnungen, worauf die Endungen weiterer Verwandtschaftstermini - so auch jene von Schwester – analog dazu angepasst wurden.
Von dieser These ausgehend will ich zunächst die Verwandtschaftstermini im Allgemeinen betrachten und darlegen, was diese über die Struktur der indogermanischen Familie aussagen.
Im folgenden Kapitel soll es um das Wortende – ter gehen. Ich werde hauptsächlich die Standpunkte Onofrio Carrubas[1], Hans Schmejas[2] und Emile Benvenistes[3] erläutern. Diese haben sich explizit zu diesem Thema geäussert und haben die Termini, welche diese morphologische Gemeinsamkeit aufweisen, auch in Bezug zu einander gesetzt. Auf diese Weise will ich aufzeigen, welche Alternativen zu meiner These bestehen und wie plausibel diese scheinen.
In einem weiteren Kapitel geht es um die einzelnen Bezeichnungen für ‚Vater’, ‚Mutter’, ‚Bruder’ und ‚Tochter’. Ich werde darlegen, wie diese Begriffe in ihrer ursprünglichen Form und in ihrer heutigen Form in anderen Sprachen hiessen beziehungsweise heissen. Indem ich einige Etymologien zu Rate ziehe, werde ich versuchen, die früheste Form der einzelnen Termini zu eruieren. Ausserdem will ich in diesem Kapitel aufdecken, was verschiedene Etymologien aus Artikeln in Wörterbüchern und Ähnlichem über das Wortende aussagen.
In einem letzten Kapitel will ich den Terminus ‚Schwester’ genauer beleuchten. Daher werde ich zunächst darlegen, wie der Begriff in den verschiedenen Sprachen auftritt. In einem weiteren Schritt will ich wieder verschiedene Etymologien vergleichen, um herauszufinden, was der Begriff ursprünglich wohl am ehesten bedeutet hat. Schliesslich interessiert mich die Entwicklung von idg. * swesōr - zum heutigen Schwester. Es soll auch erläutert werden, wie im Laufe der Zeit das Wortende – ter entstand.
Die Schwierigkeit bei der Behandlung der Fachliteratur bestand darin, dass entweder über den Terminus * swesōr- oder über die Verwandtschaftstermini mit dem Endstück – ter diskutiert wurde, kaum aber über das – ter in Schwester. Daher habe ich die verschiedenen Blickwinkel der Forschung kombiniert und versucht die Plausibilität der einzelnen Theorien im Hinblick auf meine Fragestellung zu erläutern, was ohne ausgeprägte Indogermanistik-Kenntnisse nicht immer einfach ist.
2. Die indogermanische Familie und die Verwandtschaftstermini
Die indoeuropäischen Verwandtschaftstermini zählen zu den konstantesten und am besten belegten des Indoeuropäischen. Sie sind in fast allen Sprachen vertreten und gehen oft aus gesicherten Gleichungen hervor. Damit gehören sie zum urindogermanischen Wortschatz, wobei zwischen den klassifikatorischen und den deskriptiven Bezeichnungen zu unterscheiden ist.[4]
Aus den Verwandtschaftstermini wird eine Grossfamilienstruktur erkennbar. Es lebten so wohl mehrere Generationen, oft zwischen fünfzig und siebzig Personen, in einem Haus und mehrere Gentes bildeten eine Phratrie. Eine der indoeuropäischen Gesellschaften, in denen sich die alte Struktur am längsten erhielt, ist die der Südslawen, wo man heute noch den zadruga genannten Familientyp beobachten kann.[5] In anderen Kulturen, in denen die Struktur der Grossfamilie allmählich aufgelöst wurde, ist der indoeuropäische Bestand klassifikatorischer Verwandtschaftstermini auch nach und nach zugunsten deskriptiver Termini verschwunden. Diese Umwandlung geschah je nach Gesellschaft mehr oder weniger schnell und vollständig. Die Beständigkeit oder Erneuerung einer Bezeichnung erlaubt uns aber in keinem Fall, unmittelbar auf die entsprechenden Verwandtschaftsbeziehungen zu schliessen.[6]
Die indogermanische Grossfamilie war streng patriarchalisch. Die Mutter hatte eine relativ schwache Rechtsstellung, die ihr weder Autorität noch Besitz gewährte. Da die Heirat von Kreuzcousins erlaubt war, stellten die Bezeichnungen Vater und Mutter oder Bruder und Schwester denn auch keine symmetrischen Paare dar. So bezeichnete * pater - gegenüber * māter- nicht den leiblichen Vater, und auch * bhrāter- wurde nicht nur für den leiblichen Bruder genutzt, sondern für ein ‚Mitglied der Phratrie’. Auch * swesōr scheint relativ weitläufig indem es die ‚Frau der Gruppe/Grossfamilie’ bezeichnet haben soll. Näheres folgt im Anschluss.[7]
3. Die Verwandtschaftstermini auf *– ter des Indogermanischen
3.1 Das indogermanische *- ter -
In der indogermanischen Verwandtschaftsterminologie ergibt sich morphologisch gesehen eine teilweise Einheitlichkeit, gegeben durch das Endstück *- ter. Dieses trifft man in Begriffen wie * mātér -, * pэtér, * bhrāter oder * dhug-ā-ter. Oft hat man deshalb versucht herauszufinden, was es mit dieser Analogie auf sich hat.
Ein Standpunkt, welcher vor allem in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts vertreten wurde, war der, dass die Verwandtschaftstermini auf – ter Nomina agentis seien. So soll laut Bopp, Kuhn und Fick * pэtér der ‚Beschützer, Herrscher, Ernährer’ gewesen sein, * mātér die ‚Schaffende, Ordnende’, * bhrāter der ‚Träger, Erhalter’ und * dhug-ā-ter ein ‚Säugling’ oder die ‚Melkerin’.[8]
Emil Benveniste und andere[9] unterstützen hingegen die These, dass dieses Suffix, ausgehend von * mātér - oder * pэtér zum Merkmal der lexikalischen Klasse der Verwandtschaftsbezeichnungen geworden ist. Laut Szemerényi hatte das Suffix beim Paar * mātér - : * pэtér noch eine klar kontrastive Funktion, erhielt im nach und nach aber jene, Verwandtschaftstermini zu bilden. So wurden die Suffixe anderer familienbezogener Termini angepasst.[10]
Da für Benveniste weder * pэtér noch * mātér - analysierbar sind, hält er es aber für unmöglich zu sagen, ob das Wortende von Anfang an ein Suffix war. Auf jeden Fall verwirft er, leider ohne einen Grund anzugeben, die Meinung, dass es das Morphem der Nomina agentis oder das der Komparative sei.[11] Vielmehr sei es ein vorbildliches Verwandtschaftssuffix, welches nicht nur zur Bildung einiger der ältesten Verwandtschaftstermini diene, sondern auch nach der Ausgliederung der Einzelsprachen produktiv geblieben sei. Die primäre Gruppe der nicht analysierbaren Verwandtschaftsbegriffe mit diesem Wortende habe ursprünglich aus den vier Ausdrücken * mātér -, * pэtér, * bhrāter und * dhug-ā-ter bestanden. Später sei die Endung, zumindest in einem Teil der Sprachen auf neue Bezeichnungen, wie * nepot - angewandt, und die ursprüngliche Gruppe der Verwandtschaftstermini auf – ter graduell erweitert worden. So sehe man heute, dass die Bildung auf – ter von Anfang an mit zahlreichen Verwandtschaftstermini in Zusammenhang stand.[12]
Eines der deutlichsten Beispiele für die Ausbreitung der Bildung mit – ter -Suffix findet sich laut Benveniste im Iranischen, im Mittel- und Neupersischen, wo dieses aufgrund des Wegfalls der Endung eliminierte Suffix sekundär wiedereingeführt wurde. Nachdem die alte Reihe pitar, mtar-, brātar., duxtar im Wege der Lautentwicklung zu pit, mat, brat und duxt geworden waren, sei die charakteristische Endung – ar nämlich wieder hergestellt worden, was die heutigen persischen Formen pidar, mādar, brādar und duxtar ergeben hat.[13]
Anders sieht es Onofrio Carruba: Auch er meint zunächst, dass das - ter -Suffix nicht jenes der Nomina agentis sein könne, da sich sonst verschiedene Hemmnisse ergeben würden. Dazu zählt er die absolute Undeutbarkeit der Radikalen * pэ - und * mā - und die Unwahrscheinlichkeit, dass nur gewisse Termini der Verwandtschaftsnamen Nomina agentis seien, andere - wie * sunus und * swesōr - hingegen keine.[14]
Weiter meint Carruba, dass Namen der engeren Blutsverwandten Termini der Referenz eines Zustandes, nicht aber zur Bezeichnung einer Funktion sein dürften. Es bestehe zwar die Möglichkeit der Komposition, aber immer als Bezeichnung eines Zustandes, falls Beispiele wie * sw-esor oder * ne-pot als solche aufzufassen sind.[15]
So nimmt er Cowgills Vorschlag auf, der ein unabhängiges Wort *h2ter annimmt und dies durch das Anatolische bis auf den Laryngal genau bestätigt findet. Dasselbe soll eine sehr alte indogermanische Bezeichnung für ‚Verwandtschaft’ sein.
Auf mehreren Seiten versucht Carruba aufzuzeigen, dass es in verschiedenen anatolischen Sprachen, sowie im Griechischen Termini gibt, die es erlauben, ein Wort für ‚Seele, Bild, Art’ oder ‚ Blut’ im Sinne von ‚ Sippe, Nachkommenschaft, Familienangehöriger’ zu rekonstruieren.[16] Der postulierte indogermanische Radikal ist *a/etŗ bzw. *a/eter oder *h1/2etŗ bzw. *h1/2ter. Dieser Stamm hatte eine breite Skala von Bedeutungen, welche sich von ‚ Clan, Familie, Nachkommen‘ evtl. über ‚Blut , Herz, Seele ‘ zu ‚Person, selber‘ entwickelt haben. Und dieser Stamm *h1étr/*h1tér mit der Bedeutung ‚ Blut, Sippe’ sei nun eben für die Bildung der Verwandtschaftstermini auf –ter grundlegend gewesen.[17]
Die Verwandtschaftsnamen auf – ter deutet Carruba also als sehr alte Komposita mit * h1tér ‚Sippe’, welches er bisher nur im Anatolischen, vielleicht auch im Griechischen (gr. έταρος, έταιρος ‚Gefährte, Genosse, Freund‘ und/oder ήτορ ‚Herz‘) klar belegt sieht. Diese Verwandtschaftstermini bezeichneten aber nur einige Mitglieder der Familie. Andere Bezeichnungen wie ‚Sohn’ und ‚Schwester’ seien indes mit der Wurzel * sū - ‚gebären’ gebildet, welche wohl im Anatolischen hes-/has - ‚gebären’ erhalten ist. Während also * sū - auf die direkte Verwandtschaft durch Geburt hindeute, bezeichne *h1ter eher die breitere, durch das Blut verbundene Grossfamilie. Beide Termini sollen jedenfalls im Laufe der Zeit eine Bedeutungsentwicklung durchlaufensein von ‚Sippe’ beziehungsweise ‚ alles, was geboren wurde’ vielleicht auch. ‚Blut‘ zu ‚selbst’ bzw. ‚eigen‘.[18] Dabei ist mir nicht ganz klar, was laut Carruba bzw. Cowgill bei der Wahl zwischen * h1tér oder * sū - zur Bildung einer Bezeichnung das massgebende Kriterium war. Die Idee der zwei Wurzeln, wobei eine die direkte, die andere eher die breitere Verwandtschaft bezeichnete, erscheint mir interessant. Weshalb die Tochter mit dem Stamm der breiteren, der Sohn oder die Schwester hingegen mit dem der engeren Verwandtschaft gebildet sein soll, ist indes nicht ersichtlich.
Der aktuellste Beitrag zum Thema des – ter bei Verwandtschaftsbezeichnungen stammt aus der Feder von Hans Schmeja.[19] Dieser meint, den Bildungen Vater und Mutter scheine „eher eine frühe athematische Vorstufe des Kontrastiv-Suffixes – tero-/-ā zugrunde zu liegen, wobei in Gegensatzpaaren zunächst nur der kontrastierende Begriff mit diesem Suffix markiert war (...)“[20].
Dem idg. * bhrāter - ‚Bruder’ mit Suffix stehe deshalb ein suffixloses * swesōr ‚Schwester’ gegenüber, so auch * dhugh-tér - ‚Tochter’ im Gegensatz zu * sū-nú-s ‚Sohn’. Das Vorhandensein des Suffixes sowohl in * mātér - wie in * patér erklärt Schmeja so, dass von einer Paarbildung * papa (bzw. atta, tata usw.):* mā-tér, dann auch * mā (mama, amma usw.):* pa-tér - und schliesslich * mātér -:* patér auszugehen sei. Dabei fehlt letztere - ter -Bildung in einem Teil der indogermanischen Sprachen, wie in den anatolischen Sprachen, dem Albanischen, Baltischen und wohl auch im Slawischen. Dies weist * patér - als sekundär gegenüber dem gemeinindogermanischen * mātér - aus.[21] Wir sehen hier also Szemerényis Meinung bestätigt, welcher, wie wir oben gesehen haben, dem – ter ursprünglich ebenfalls eine kontrastive Funktion zuordnet. Anders als letzterer schreibt Schmeja allerdings nicht, dass das Suffix sich im Laufe der Zeit zum Verwandtschaftssuffix gewandelt haben soll.
Die überzeugendsten Annahme ist, meiner Meinung nach, diejenige, welche dem Endstück nachträglich die Funktion, Verwandtschaftstermini zu bilden zuteil werden und es dadurch produktiv bleiben lässt. Dies könnte auch erklären, weshalb die indogermanische Form für Schwester dieses Wortende nicht aufweist, die gotische Form hingegen schon. Aber dazu folgt Näheres im Anschluss.
3.2 Mutter
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[22]
Weitere Begriffe aus der Wurzel * mātēr- [23]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die ursprüngliche etymologische Bedeutung des Wortes ‚Mutter’ ist nicht mit letzter Sicherheit zu eruieren. Einen ersten Deutungsansatz liefern aber Kluge und Seebold. Ihrer Meinung nach liegt dem ersten Glied sicher die Lautgebärde * mā- für ‚Mutterbrust, Mutter‘ zugrunde. Das Bildungsmuster sei dann im Indischen und Germanischen dasselbe, wie bei Vater und Tochter. [24] Man erfährt allerdings weder beim Artikel zu Vater, noch in dem zu Tochter, was damit gemeint ist.
Das erste Glied könnte weiter auch das Sauggeräusch bezeichnen, das ein Kind macht, wenn es gestillt wird. Wörter aus heutiger Zeit, die zur Unterstützung dieser Annahme genannt werden, sind Begriffe wie Sanskrit annah ‚Nahrung’, lateinisch mamma ‚Brust’, altgriechisch mamman ‚nach Essen schreien’ oder englisch mammal ‚Säugetier’.[25]
In den beiden oben genannten Fällen wäre das Endstück *- ter ein Suffix. Über dessen Bedeutung äussert sich jedoch keine der zwei Etymologien.
Anders als die Obigen, hält Carruba das Wortende, wie wir gesehen haben, für eine Abstammung vom indogermanischen Radikal *h1étr/*h1tér ‚ Blut, Sippe’. * mātér - wäre damit ein Kompositum aus der familiären Form der Anrede * mā oder aus * méh- ‚Mässigung, Gebieter’ und dem Stamm für ‚Sippe’ und wäre dementsprechend als ‚* mā der Sippe’ beziehungsweise ‚ Mässigung, Gebieter in der Sippe’ zu deuten . [26]
Es bestehen also verschiedene Deutungsmöglichkeiten für * mātér. Für den ersten Teil des Terminus kommen so die Bedeutung ‚Mutterbrust’, ein Lallwort oder die Lautgebärde des Sauggeräusches in Frage, welches beim Stillen entsteht. Über das Wortende, der Gemeinsamkeit mit den anderen hier untersuchten Namen, sind in den verwendeten Etymologien allerdings keine weiterführenden Theorien enthalten. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass der Wurzel * mā- ein Suffix angehängt wird. Aussagen wie die, dass * mātér- wie * p э tēr gebildet sei, geben aber keinen Aufschluss über die Funktion oder Bedeutung des Suffixes aus.
3.3 Vater
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Die von allen Verwandtschaftstermini am besten belegte Form ist der Name des Vaters * p э tēr. Es bezieht sich laut Kluge und Seebold auf die gesellschaftliche Stellung des Vaters als ‚Herr über die Grossfamilie’, erlaubt aber wie das Wort Mutter keine weitere Etymologie.[28]
Andere Quellen[29] folgen hingegen dem Vorschlag Isačenkos und gliedern den Terminus in die Verbalwurzel * pā - ‚nähren, weiden, hüten’ und das Suffix *– ter zur Bezeichnung der Nomina agentis.[30] Diese Annahme des Nomina-agentis-Suffixes wird heute indes, wie wir oben gesehen haben, oft begründet oder unbegründet verworfen.[31]
So hält Hans Schmeja * p э tēr- vielmehr für eine sekundäre ter -Bildung analog zu * mātér vom Lallwort * papa aus. Diese Bildung fehlt einem Teil der (ost)europäischen Sprachen, wie den anatolischen Sprachen, dem Albanischen, dem Baltischen und dem Slawischen. Sie ist diesen Sprachen entweder fremd geblieben oder hat sich gegenüber dem Lallwort nicht durchzusetzen vermocht.[32]
Neben der entsprechenden Form zu * p э tēr- besteht in manchen Sprachen ein familiäres Lallwort vom Typ gotisch a tta oder französisch und neuhochdeutsch Papa. Während letzteres den leiblichen Vater bezeichnet, wurde das indogermanische * p э tēr- auch zur Bezeichnung der Mitglieder der sozial, ökonomisch und politisch führenden Schicht und des obersten Gottes der Indoeuropäer verwendet. Daraus ist dann auch der Begriff * dyeu p э tēr- für ‚Vater Himmel!’ hervorgegangen und in einem weiteren Schritt die lateinische Form Jūpiter, die sich mit dem griechischen Vokativ Zeu pater genau deckt.[33]
In Sprachen, in denen nur * atta - in Gebrauch ist, wie im Hethitischen oder Altkirchenslawischen, ist keine Spur einer alten Mythologie erhalten, in der ein ‚Gottvater’ herrschte. Da man dieses * atta mit Hilfe seiner phonetischen Form ausserdem den „familiären“ Ausdrücken zuordnen kann, muss es wohl den leiblichen Vater bezeichnet haben.[34]
* atta - und * pэtēr- konnten so gut nebeneinander bestehen. Dass * atta - in einem Teil des Sprachgebietes vorherrschte, führt Benveniste auf tiefgreifende Veränderungen in den religiösen Vorstellungen und der Sozialstruktur zurück.[35]
Fassen wir aber noch mal Ergebnisse hinsichtlich des Wortes * pэtēr- zusammen: Die erste Frage ist, ob sich der Terminus gliedern lässt oder ob er dem urindogermanischen Wortschatz entstammt und damit nicht analysierbar ist. Der zweite Standpunkt wird zum Beispiel von Kluge, Seebold und Benveniste unterstützt.
Unter jenen, welche den Begriff gliedern, glaubt zum Beispiel Isačenko, dass der Wortanfang ‚nähren, weiden, hüten’ bedeute. Schmeja sieht darin indes das heute noch gebräuchliche Lallwort Papa. Das Wortende könnte gemäss Isačenko auch hier das Suffix der Nomina agentis sein. Diese Vermutung ist aber umstritten ist. Eine alternative Lösung bietet Schmeja, der den Begriff für eine sekundäre Bildung analog zu * mātér- hält. Aus diesem Grunde weise * pэtēr- das selbe - ter auf wie * mātér.
3.4 Tochter
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Das Wort für Tochter findet sich in fast allen indogermanischen Sprachen, ausser im Albanischen. Obwohl die ursprüngliche Bedeutung des Terminus nicht bekannt ist, meinen Mallora und Adams, dass die Töchter auf jeden Fall wichtig für die Familien waren. Weiter erläutern sie zwei mögliche Deutungsansätze. Der eine nimmt *dhug(ha)tēr aus * dhugh - ‚melken’ und dem Nomina agentis-Suffix an. Damit wäre die ursprüngliche Bedeutung für Tochter ‚Melkerin’ gewesen. Diese These verwirft Szemerényi[37] aber, da es eine indogermanische Wurzel * dhugh - ‚melken’ nicht nachgewiesen werden kann. Während das Wort für Tochter gemeinindogermanisch ist, existiert das Verbum nur im Arischen, möglicherweise sogar nur im Indischen. So kommt diese Erklärung laut Szemerényi nicht in Frage.[38]
Wie Mallora und Adams in ihrer zweiten These, sieht auch er den Begriff vielmehr auf die Wurzel * dhug - basierend, welche im gotischen ga-dauka ‚Hausgenosse’ und dauhts ‚Gastmahl, Bewirtung’ belegt ist. „Formell wäre * dhugэ der Vokativ des ā-stämmigen Nomen agentis * dhugā, der auch als Nominativ verwendet und später durch – ter - erweitert wurde.“[39] Die Tochter wäre somit ‚die, welche das Mahl bereitet’.[40]
Einen weiteren Ansatz präsentieren Kluge und Seebold, indem sie Pârvulescu zitieren, welcher für ‚Tochter’ eine Ausgangsbedeutung ‚hervorbringen, arbeiten’, also ‚Arbeiterin, Dienerin’ erschliesst. Dies habe sich nach und nach zu ‚Mädchen’ und schliesslich zu ‚Tochter’ entwickelt. Regional bedeutet das Wort für Tochter, wahrscheinlich aufgrund des Einflusses des Französischen, noch heute auch ‚Mädchen’.[41]
Die letzte These kommt von Carruba, der *dhug(h)āter als *dhugh(éh2)-h1ter rekonstruiert, wobei der Stamm *dheugh - wohl als ‚ von Nutzen sein’ (germanisch) oder ‚ treffen, gelingen’ (griechisch) zu deuten sei. Somit sei die Tochter als ‚ Nützliche, Taugliche, Treffliche in der Sippe’ bezeichnet worden.[42]
Wieder fällt auf, dass neben Carruba kaum oder gar nicht explizit auf das Wortende eingegangen wird. Lediglich Szemerényi schreibt, dass der Wortanfang * dhugэ- durch – ter erweitert wurde, ohne jedoch darauf einzugehen, warum gerade diese Erweiterung verwendet wurde. Meist wird so stillschweigend vom Suffix der Nomina agentis oder von einer Analogbildung zu * pэtēr- und/oder * mātér ausgegangen
3.5 Bruder
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Auch der indogermanische Name für ‚Bruder’ enthält das für indogermanische Verwandtschaftsnamen typische – ter -Suffix. Dieser Terminus bezeichnete ursprünglich nicht nur den leiblichen Bruder, sondern allgemeiner ein ‚Mitglied der Phratrie’.[44]
Laut Benveniste ist es nicht möglich, den Terminus * bhrāter zu analysieren. Es lässt sich höchstens die bereits genannte Endung – ter feststellen. Dem Radikal * bhrā - werde aber keine Erklärung gerecht. Ihn mit der Wurzel * bher - von lat. fero ‚Eisen‘ in Verbindung zu bringen, sei nicht angebracht, da keine bekannte Verwendung von Formen dieser Wurzel zur Bedeutung ‚Bruder‘ führt. So entstamme auch * bhrāter dem ältesten indoeuropäischen Bestand genau wie die drei bereits abgehandelten Termini.[45]
Szemerényi versucht einen anderen Ansatz, indem er zunächst aufzeigt, dass die bisherige Etymologie für den Wortanfang den Stamm bhar - aus dem Sanskrit für ‚tragen‘ annimmt, an den das Suffix der Nomina agentis angehängt wird. Der so entstandene Begriff bhar-tar- würde ‚Träger, Erhalter, Beschützer‘ bedeuten. Er weist aber weiter darauf hin, dass das Indogermanische keine Wurzelform * bhrā - für ‚tragen‘ kannte, sondern nur * bher -. Die Segmentierung müsste demnach nicht *bhra-ter, sondern * bhr-ater lauten.
In diesem Fall stellt sich aber die Frage nach der Bedeutung des zweiten Teils des Terminus. Ist dieser mit dem Begriff * ater ‚Feuer‘ in Zusammenhang zu bringen, so wäre der Bruder ‚der, welcher das Feuer bringt‘ beziehungsweise ‚der, welcher dem Feuer Sorge trägt‘.[46] Diese Bedeutung scheint mir allerdings nicht angebracht für die Person des Bruders. Und für Adams und Mallora macht sie nur bei wandernden Völkern Sinn. Die Indogermanen waren aber sesshaft.
Das Griechische hat die Entsprechung φράτηρ zu * bhrāter durch άδελφεός ersetzt. Man nimmt an, dass dies geschah, als die Grossfamilie immer mehr gewachsen ist. In Folge davon haben die Mitglieder der Grossfamilie angefangen, sich nicht mehr als unmittelbar verwandt zu sehen, sondern nur als Mitglieder der selben Phratrie. Um den leiblichen Bruder von anderen männlichen Verwandten der selben Generation unterscheiden zu können, musste für ersteren ein neuer Begriff geschaffen werden. So wird φράτηρ über den Bezug zum gemeinsamen Vater, άδελφεός (‚von der gleichen Gebärmutter geboren‘) über den zur gemeinsamen Mutter definiert. Von da an wurde für die Bruderbeziehung die Abstammung von der gemeinsamen Mutter als Kriterium angesehen, wobei nur einzelne Sprachen diese Entwicklung durchgemacht haben.[47]
Auch dem Terminus * bhrāter kann keine endgültige, einheitliche Bedeutung zugeordnet werden. Ein Standpunkt sieht die Bezeichnung als nicht analysierbar, da es dem ältesten indogermanischen Bestand entstamme. Andere Wissenschaftler sehen darin die Bedeutung ‚Träger, Beschützer‚ Erhalter’ (der Familie) oder ‚der dem Feuer Sorge trägt’. Dem Wortende wird neben der Funktion des Suffixes der Nomina agentis die Bedeutung * ater ‚Feuer’ zugeordnet. In welchem Bezug letzteres zum – ter anderer Verwandtschaftstermini steht, wird allerdings nicht erläutert.
3.6 Zusammenfassung der Ergebnisse
Betrachtet man nun die Ergebnisse, welche sich in Bezug auf das – ter der Verwandtschaftsbezeich-nungen ergeben haben, so erkennt man, dass die Etymologien zu den einzelnen Verwandtschaftstermini keine neuen Ergebnisse liefern. Auf das Wortende wird selten konkret eingegangen und wenn, dann nur zum - ter der einzelnen Bezeichnungen, ohne einen Bezug zu den anderen Termini herzustellen. Hält man die Namen * mātér-, * pэtēr-, * dhug(ha)tēr, * bhrāter für analysierbar, so findet man in den verwendeten Etymologien für die Bedeutung beziehungsweise Funktion des Wortendes keine konkrete Erklärung, die auch die Gemeinsamkeit berücksichtigen würde. Einer der am häufigsten vertretenen Standpunkte ist der eines Nomina agentis-Suffixes. Diese These wird aber von anderen Wissenschaftlern verworfen. Die zweite, oft zitierte Vermutung, welche Analogbildungen zu * mātér und/oder * pэtēr annimmt , erscheint mir die überzeugendere Erklärung.
4. Die Etymologie von Schwester
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Vor t-Einschub neugeschaffen:
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4.1 Die etymologische Bedeutung von * swesōr-
Den indogermanischen Begriff für Schwester kann man aus zahlreichen Belegen problemlos als * swesōr- rekonstruieren. Dieses beginnt mit dem selben * swe- wie * swekuros ‚Schwiegervater‘ und * swekrūs ‚Schwiegermutter‘. Laut Szemerényi lautete * swesōr- ursprünglich * swesū. Da es aber in einer Gruppe mit * pэter, * māter und * bhrāter auftrat, wurde es zu * sweswer angepasst. Daraus soll sich dann * sweswor und später das oben genannte * swesōr- entstanden sein.[49]
Das heutige Wortende - ter war im indogermanischen Begriff also nicht vorhanden. Der Fakt, dass es erst im Gotischen eingebaut wurde[50], könnte so die These unterstützen, dass dieses Endstück ursprünglich nichts mit dem Verwandtschaftsbegriff zu tun hatte, dass die Suffixe einiger Verwandtschaftsbezeichnungen im Laufe der Zeit aber an die von * pāter -, * māter - angepasst worden seien.[51]
Dem Wortanfang * sū- ist laut Szemerényi ein Wurzelnomen von * sū - ‚gebären’. Es würde in diesem Fall ‚alles was geboren ist’ bezeichnen und damit eine der frühesten Bezeichnungen für ‚die Grossfamilie’ sein.[52] Wenn man von dieser Annahme ausgeht, so wäre das Possessivum * swe - weiter die Adjektivisierung des Nomens und würde ‚zur Familie gehörig’ bedeuten.[53] Da nun in der Grossfamilie jeglicher veräusserbare Besitz allen gehörte, können wir nun auch erklären, weshalb sich dieses Pronomen ursprünglich auf alle Personen und Numeri beziehen konnte. Erst als die Struktur der Grossfamilie auseinanderbrach, wurde es auf die 3. Person beschränkt.[54]
Für dieses Thema relevante Bezeichnungen, welche aus der Wurzel * swe - entstanden sind, sind zum Beispiel altindisch svá ‚eigen’, got. und anord. swes beziehungsweise ahd. swas ‚eigen’. Ausserdem die Termini got. sibja ‚ Sippe, Gesamtheit der eigenen Leute’ oder ahd. sipp(e)a ebenfalls ‚Sippe’ zu idg. *s(u)e-bh(o)-, *suo-bho- ‚von eigener Art’. Hierzu gehören auch die t -Ableitungen aksl. svatz ‚Verwandter, Angehöriger, Brautwerber’ und lit. svótas ‚Hochzeitsgast, weitläufiger Verwandter’. Diese Bezeichnungen zeigen den Zusammenhang zwischen dem Possessivum * swe - und Bezeichnungen für die Familie.
Im Gegensatz zum Possessivstamm soll der Reflexivstamm * se - und * sewe-, *swe- aus * so, * se oder * soi entstanden sein, welcher sich nur auf die 3. Person bezog. Erst später habe sich die Variante * swe gebildet. Dabei kommt diese Alternation w:Null im Anlaut besonders bei * su - und * tu - vor. Dabei ist umstritten, ob das an der Lautfolge s bzw. t vor u liegt, oder ob hier zum Reflexivpronomen se unter Einfluss der Wurzel tu - die Variante swe- gebildet wurde. Unter dem Einfluss des Possessivums soll sich die Bedeutung von * swe - später ebenfalls auf andere Personen ausgeweitet haben.[55]
Beim zweiten Teil von * swesōr- geht ein Grossteil der Linguisten davon aus, dass *(e)sōr-, eine archaische Bezeichnung für ‚Frau’ sei. Diese Form kommt nämlich in archaischen Komposita vor, wo es Feminina kennzeichnet. Die Frage, ob die Wurzel mit oder ohne Anfangs-‚ e -’ auftrat, bleibt noch offen.[56]
Als Belege für die Wurzel *(e)sōr- im Indogermanischen und Hethitischen wird zum Beispiel heth. hassussara - ‚Königin’ genannt. Dieses sei analog zu hassu - ‚König’ gebildet und weise, wenn man es in hasu - asara gliedert, *- asar - als Substratum für Frau auf. Dasselbe ist bei ishassara ‚Herrin’ und supissara ‚Jungfrau’ zu beobachten. Ausserdem hat das Glied asri im Luwischen die Funktion der Geschlechtsangabe. Und schliesslich sind Namen mit sar -Endung auf Kültepetafeln weiblich.[57]
Aus den indogermanischen Sprachen werden weiter das griechische óαρ ‚Ehefrau’, av. anhairi ‚feminin, Frau’ und hāirišī - ‚Frau, Weibchen’ und schliesslich idg. * kwetes (o) res ‚vierte’ zu * kwet(e)- ‚vier’ und im Kontrast zu * kwet-wores ‚vierter’ genannt.
* swesōr würde in diesem Fall ‚Frau der eigenen Grossfamilie‘ bedeuten. Zu seiner heutigen Bedeutung wurde der Begriff nur dadurch verengt, dass andere weibliche Mitglieder bereits andere Bezeichnungen hatten.
Ein weiterer Bedeutungsansatz setzt * swesōr - aus * su -, als Schwundstufe zum Possessivum oder * su ‚mit‘ und *esōr ‚ Blut‘ zusammen.[58] Die Schwester wäre in diesem Fall ‚eigenes Blut‘ oder ‚durch das Blut verbunden‘ genannt worden. Szemerényi verwirft diese These allerdings, indem er ausführt, dass man ‚Blut’ aufgrund der sprachlichen Belege aus dem Lateinischen nicht auf idg. * esōr zurückführen könne, sondern vielmehr ein ursprüngliches * āser annehmen müsse. Ausserdem nennt er Laroches Einwand, dass in einer blossen Bezeichnung ‚durch das Blut verbunden’ die weibliche Komponente fehle.[59]
4.2 Idg. * swesōr - > Nhd. Schwester
4.2.1 Idg. - ōr - > Germ. - or - > Germ. - er-
Die Festlegung des ehemals freien Akzents auf die erste Silbe hat im Germanischen eine Abschwächung der Nebensilben bewirkt. So wurde das indogermanische lange – ō- gekürzt und die daraus entstandene feminine Endung - or- zu germanisch -er.[60]
4.2.2 t-Einschub
Der schwachen Alternanten * swesr - zu * swesōr -/* sweser wurde wohl in vorgermanischer Zeit in der Reihenfolge s-r- der Übergangslaut -t- eingeschoben, wie es auch bei idg. * srow - mo - > urgerm. * strauma ‚Strom‘ zu beobachten ist.[61]
Der t -Einschub könnte aber auch als Anpassung an die Endung von * pэter und * māter erfolgt sein. Es stellt sich hier deshalb die Frage, inwieweit wir es mit lautgesetzlichen beziehungsweise analogischen Vorgängen zu tun haben. Wurde das Wortfeld rein formal angepasst oder ist nur oder zum Teil der Vokalverlust in der Nullgrad Schwundstufe und die daraus entstandene Lautfolge – sro - dafür zuständig? In der Literatur gibt es hierzu leider keine Angaben. Mir scheint aber die Vermutung des Verwandtschaftssuffixes bestätigt, welches auch nach der Ausgliederung der Einzelsprachen produktiv geblieben ist.[62] Der Vokalverlust der Alternanten könnte indes als Katalysator gedient haben.
4.3.3 Mhd.sw- > Nhd.Schw-
S vor Konsonanten verstärkt im Neuhochdeutschen seinen palatalen Charakter und wird zu einem palato-alveolaren <sch>.[63]
5. Schlusswort
Im ersten Kapitel wurden die Verwandtschaftstermini des Indogermanischen dargelegt. Es ist ersichtlich geworden, dass dieselben eine Grossfamilienstruktur erkennen lassen. So waren die Termini Vater und Mutter beziehungsweise Bruder und Schwester keine symmetrischen Paare und ihre Bedeutung viel weitläufiger als wir sie heute kennen.
Im folgenden Kapitel sind die Verwandtschaftstermini des Indogermanischen auf *– ter erläutert worden. Drei Standpunkte zur Funktion dieses Endstückes wurden thematisiert. Die These von Benveniste, die ein ursprüngliches Kontrastivsuffix voraussetzt, dem später die Funktion, Verwandtschaftstermini zu bilden zuteil wurde, hat sich als überzeugend erwiesen.
Bei der Untersuchung der Etymologie von Mutter, Vater, Tochter und Bruder habe ich weiter festgestellt, dass man keiner dieser Bezeichnungen eine sichere etymologische Bedeutung zuordnen kann.
Vor diesem Hintergrund konnte ich mich schliesslich im vierten Kapitel dem Kernthema widmen, indem ich zunächst versucht habe, den Terminus * swesōr - zu gliedern, um seine tiefere etymologische Bedeutung zu verstehen. Dabei scheint mir die weit verbreitete Meinung, dass die Bezeichnung in * sw(e-) und * (e)sōr - zu teilen und als ‚Frau der eigenen Grossfamilie‘ aufzufassen ist,[64] am plausibelsten.
Weiter ging es im letzten Kapitel um zwei verschiedene Entstehungsmöglichkeiten für das heutige Wortende – ter -. Die eine erklärt dieses dadurch, dass in der Lautfolge der schwachen Alternanten * swesr- lautgesetzlich ein – t- eingeschoben wurde, was schliesslich zum Endstück – ter - führte. Ein anderer Ansatz sieht darin hingegen eine analogische Anpassung des Suffixes an jenes von * pэter und * māter. Letzteres scheint mir sehr wahrscheinlich, wobei der Vokalverlust der Nullgrad Schwundstufe als Katalysator gedient haben könnte.
Ein weiterer Ansatz für eine ähnliche Arbeit wäre der, weitere Begriffe im Vergleich mit ein zu beziehen. Interessant wären zum Beispiel Schwäher und Schwager hinsichtlich des Wortanfangs und nepot hinsichtlich des Wortendes.
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[...]
[1] Carruba, Verwandtschaftsnamen auf – ter des Indogermanischen, 1995.
[2] Schmeja, Indogermanisches Wort für ‚Vater’, 1999.
[3] Benveniste, Indoeuropäische Institutionen, 1993.
[4] Vgl. Benveniste, Indoeuropäische Institutionen, S. 160.
[5] Vgl. Ebd., S. 160 und S. 170.
[6] Vgl. Ebd., S. 160, S. 192 und S. 216.
[7] Vgl. Ebd., S. 160-163 und Szemerényi, Indo-European Kinship, S. 33.
[8] Vgl. Delbrück, Indogermanische Verwandtschaftstermini, S. 383-386 und Szemerényi, Indo-European Kinship, S. 151f.
[9] So auch Brugmann und Szemerényi, vgl. Szemerényi, Indo-European Kinship, S. 152f.
[10] Vgl. Szemerényi, Indo-European Kinship, S. 153.
[11] Vgl. Benveniste, Indoeuropäische Institutionen, S. 166.
[12] Vgl. Benveniste, Institutions indoeuropéennes, S. 256.
[13] Vgl. Benveniste, Indoeuropäische Institutionen, S. 200.
[14] Vgl. Carruba, Verwandtschaftsnamen auf -ter, S. 143.
[15] Vgl. Ebd., S. 145.
[16] Vgl. Ebd., S. 148.
[17] Vgl. Carruba, Verwandtschaftsnamen auf - ter, S. 152 und S. 154.
[18] Vgl. Ebd., S. 155.
[19] Vgl. Schmeja, Zum indogermanischen Wort für ‚Vater’, 1999.
[20] Ebd., S. 414.
[21] Vgl. Ebd., S. 415.
[22] Folgende Formen aus: Kluge, Seebold, Etymologisches Wörterbuch, S. 640.
[23] Vgl. Pokorny, Indogermanisches etymologisches Wörterbuch, S. 700f.
[24] Vgl. Kluge, Seebold, Etymologisches Wörterbuch, S. 640.
[25] Vgl. Sanskrit Texts and Stotras: Mama, mother, an Etymology, URL.
[26] Vgl. Carruba, Verwandtschaftsnamen auf - ter, S. 152 und S. 154f.
[27] Folgende Formen aus: Kluge, Seebold, Etymologisches Wörterbuch, S. 948.
[28] Kluge, Seebold, Etymologisches Wörterbuch, S. 248.
[29] So zum Beispiel Bopp, Kuhn und Fick. S.o.
[30] Vgl. dazu Schmeja, Indogermanisches Wort für ‚Vater‘, S. 413.
[31] Zum Beispiel bei Benveniste, Indoeuropäische Institutionen, S. 164.
[32] Vgl. Schmeja, Indogermanisches Wort für ‚Vater’, S. 415.
[33] Vgl. Benveniste, Indoeuropäische Institutionen, S. 163f. und Rix, patronus, matrona, colonus, S. 227.
[34] Vgl. Benveniste, Indoeuropäische Institutionen, S. 164f.
[35] Vgl. Ebd., S. 165.
[36] Folgende Belege siehe: Kluge, Seebold, Etymologisches Wörterbuch, S. 918.
[37] Szemerényi, Das griechische Verwandtschaftsnamensystem, 1987.
[38] Vgl. Ebd., S. 1457.
[39] Ebd., S. 1458.
[40] Vgl. Adams, Mallora, Encyclopedia, S. 148 und Szemerényi, Griechisches Verwandtschaftsnamensystem, S. 1458.
[41] Vgl. Kluge, Seebold, Etymologisches Wörterbuch, S. 918.
[42] Vgl. Carruba, Verwandtschaftsnamen auf - ter, S. 154f.
[43] Folgende Formen siehe: Kluge, Seebold, Etymologisches Wörterbuch, S. 154.
[44] Vgl. Adams, Mallora, Encyclopedia, S. 84.
[45] Vgl. Benveniste, Indoeropäische Institutionen, S. 169.
[46] Vgl. Szemerényi, Griechisches Verwandtschaftsnamensystem, S. 1458f.
[47] Vgl. Benveniste, Indoeuropäische Institutionen, S. 167f.
[48] Folgende Formen aus: Kluge, Seebold, Etymologisches Wörterbuch, S. 834.
[49] Vgl. Szemerényi, * sor - ‚woman’, S. 122.
[50] Vgl. Walde, Vergleichendes Wörterbuch, S. 533.
[51] Vgl. Szemerényi, Kinship Terminology, S. 153.
[52] Vgl. Szemerényi, Griechisches Verwandtschaftsnamensystem, S. 1460.
[53] Vgl. Ebd., S. 1461.
[54] Vgl. Szemerényi, Kinship Terminology, S. 44.
[55] Vgl. Ebd., S. 45.
[56] Vgl. Benveniste, Indoeuropäische Institutionen, S. 168.
[57] Vgl. Szemerényi, * sor- ‚Frau’, S. 110f.
[58] So Pisani, 1951 und 1975 zit. nach Szemerényi, Indo-European Kinship, S. 35.
[59] Vgl. Laroche, 1971 zit. nach Szemerényi, Indo-European Kinship, S. 36.
[60] Vgl. Schmidt, Deutsche Sprache, S. 54.
[61] Vgl. Noreen, Lautlehre, S. 167.
[62] Vgl. Benveniste, Institutions indoeuropéennes, S. 256.
[63] Vgl. Schmidt, Deutsche Sprache, S. 327.
[64] Vgl. z.B. Szemerényi, Indo-European Kinship, S. 33 und Benveniste, Indoeuropäische Institutionen, S. 168.
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- Aliki Adamantidis (Autor:in), 2003, Das '-ter' in 'Schwester' und seine etymologische Bedeutung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108699