Elio Vittorini - Uomini e no - Vom verzweifelten Kampf zum verzweifelten Kämpfer - ein Partisan zwischen politischer und persönlicher Identität


Seminararbeit, 2004

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 ,,Uomini e no” - Elio Vittorini
1.1 Biographisches und Zeitgeist
1.2 „Uomini e no” — Eine kurze Zusammenfassung

2 Die Darstellung des Helden in ,,Uomini e no”
2.1 Enne 2’s äußerer und innerer Kampf — zwischen persönlicher und politischer Glückssuche
2.1.1 Politischer Kampf und die Liebe — Normalkapitel
2.1.2 Enne 2 und Berta — Motiv des Verderbens vs. Motiv der Befreiung
2.1.3 Das Motiv der infanzia und der Wirklichkeit in den Kursivteilen
2.2 Das Ende des Kampfes - Das mangelnde Lebenskonzept

3 Schlußbetrachtungen

4 Literatur

1 ,,Uomini e no” - Elio Vittorini

1.1 Biographisches und Zeitgeist

Elio Vittorini wird am 23. Juli 1908 in Sizilien geboren. Im Selbststudi­um lernt er Französisch und Englisch und übersetzt Werke von Faulkner, Hemingway, Saroyan und Steinbeck ins Italienische. Berühmt macht ihn vor allen Dingen sein Homan „Conversazione in Siclia”, aber auch „Uo­mini e no” und seine politische Zeitschrift „II Politecnico”. Seit seinem 17. Lebensjahr lebt er vorwiegend im Norden Italiens. Wie viele Menschen seiner Generation sympathisiert auch Vittorini zunächst mit dem faschi­stischen Gedankengut. „Vivendo poveramente, negli anni 1931-1937 colla­bora al „Bargello”, il settimanale della Federazione fascista di Firenze, su cui esprime le sue posizioni di fascista „di sinistra”.”[1] Doch seine Haltung ändert sich schon bald, vor allem durch seine Beschäftigung mit dem spa­nischen Bürgerkrieg — schon 1936 wird er aus der faschistischen Partei ausgeschlossen. 1938 zieht er mit seiner Familie nach Mailand. Während des Krieges beteiligt er sich an Untergrundaktionen für die Kommunisti­sche Partei und wird schließlich im Sommer ’43 verhaftet und bleibt bis September im Gefängnis San Vittore. Wieder frei, kehrt er nach Mailand zurück und arbeitet an der Untergrundpresse mit und beteiligt sich an ver­schiedenen Aktionen der Resistenza. Noch im letzten Kriegsjahr beginnt Vittorini mit der Arbeit an seinem Roman „Uomini e no”, in dem er die jüngsten historischen Ereignisse literarisch verarbeitet. „Uomini e no” er­scheint 1945 und wird zum ersten Resistenzaroman schlechthin.

1.2 ,,Uomini e no” — Eine kurze Zusammenfassung

Der Roman spielt während der deutschen Besatzung Mailands im Winter 1944. Hauptfigur ist der Widerstandskämpfer Enne 2. Auf der Suche nach Authentizität und persönlichem Glück, zeigt Vittorini auf verschiedenen Handlungsebenen den Konflikt des Widerstandskämpfers. Es ist einerseits die politische Geschichte der Hauptfigur und andererseits die Geschichte einer unerfüllten Liebe. Vittorini stellt die Resistenza hier eher beispielhaft anhand der verschiedenen Personen und deren Konflikte dar. So steht über allem die Antithese „Uomini e no” und wird auch anhand des Protagonisten dargestellt und auch innerhalb des Romans werden auf die verschiedensten Weisen immer wieder dieselben Prägen aufgeworfen: Was macht einen Men­schen aus — gehört nur das Gute zum Menschen oder ist das Böse nicht auch Teil des Menschen? Was bedeutet persönliches Glück im Leben eines Einzelnen für das ganze Kollektiv? Wie wird man authentisch? Alles auch Konflikte, denen sich der Protagonist gegenüber stehen sieht.

2 Die Darstellung des Helden in ,,Uomini e no”

2.1 Enne 2’s äußerer und innerer Kampf — zwischen persönlicher und politischer Glückssuche

Elio Vittorinis Roman beginnt mit der Beschreibung Mailands im Winter 1944. Die Stadt liegt in Trümmern und ist von den Deutschen besetzt und der Winter ist außergewöhnlich mild. Schon die ersten Kapitel leben von Wiederholungen und Gegensätzen. So steht die Sonne im Gegensatz zu le macerie und zum inverno - der beschriebene Tag mutet eher frühlingshaft an. Und diese Ungewöhnlichkeit wird durch häufige Wiederholung unter­strichen: „L’inverno del ’44 è stato a Milano il più mite che si sia avuto da un quarto secolo;[...]”[2], „Questo è il più mite l’inverno che abbiamo avu­to da trentasei anni. Dal 1908.”[3] Schon in dieser Anfangssequenz läßt sich eine seltsame Art von Wirklichkeit erkennen, eine scheinbare Alltagswelt, die weiterhin parallel existiert und doch eingebettet ist in den Krieg und die Resistenza: der sonnige Tag, an dem ganz normale alltägliche Dinge ab­laufen und die Menschen sich auf der Straße über das Wetter unterhalten, als stünden sie nicht in Mailands Trümmern, unter deutscher Besatzung, im Kriegsjahr 1944. In dieser unwirklichen Atmosphäre trifft Enne 2 auf seine unerfüllte Liebe Berta, die er seit Monaten nicht mehr gesehen hat, da er inhaftiert war. Enne 2 ist sein momentaner Name - sein ursprünglicher Name wird nicht erwähnt - dies scheint ein Hinweis darauf, daß seine mo­mentane Existenz als Enne 2 dicht an die Resistenza geknüpft ist - es ist sein Deckname nicht sein privater. „Ora non ho un vero e proprio nome.” „Dimmi come ti chiamano.” „Enne 2.” „Enne 2 ? Non posso chiamarti En­ne 2.”[4] Es ist ein Name, der nur für diesen Zweck steht und so mag schon diese Bezeichnung auf eine Entfremdung Enne 2’ s von sich selbst und von der Realität außerhalb der Resistenza hindeuten. Es ist Enne 2 als Chef einer Partisanengruppe, als Mitglied der Resistenza und nicht ein Mann mit einem Beruf, mit Herkunft oder mit Frau. Diese funktionale Ebene En­ne 2’ s wird durchbrochen durch die Treffen mit Berta, die ihn in Bezug setzen zu seiner privaten Seite und zu seinem Leben vor der Resistenza.

Doch Enne 2’ s private Seite ist mit Konflikten behaftet, denn sie beinhaltet die bisher unerfüllte Liebe zu Berta, die schon mit einem anderen Mann verheiratet ist. Enne 2 erscheint als zweifelnder und leidender Held, der für seine politische und persönliche Freiheit kämpft. Dieser Kampf und die Konflikte, mit denen der Protagonist zu kämpfen hat, werden durch unter­schiedliche Handlungsebenen dargestellt. Sehr auffällig ist, daß Vittorinis Roman von mehreren Kapiteln durchbrochen wird, die im Kursivdruck von den anderen Kapiteln abgesetzt sind. Die Handlung des Romans vollzieht sich auf mehreren Ebenen, wodurch auch der Protagonist aus verschiede­nen Perspektiven dargestellt wird. Die oberflächliche Handlung besteht vor allem aus dem Widerstandskampf gegen die deutsche Besatzung und den einzelnen Aktionen der Partisanen. Dies ist zunächst die geschichtliche bzw. politische Ebene, in der auch eine Reflexion über die Resistenza enthalten ist, welche ihre Darstellung innerhalb der Dialoge zwischen den Wider­standskämpfern findet. Eine weitere Ebene ist die persönliche Ebene Enne 2’s innerhalb der Liebesbeziehung zu Berta. Die Liebesbeziehung zu Berta ist sowohl in den normalen Kapiteln sowie in den Kursivteilen angesiedelt, wobei ihr in den Kursivteilen noch eine besondere Stellung zukommt.

2.1.1 Politischer Kampf und die Liebe — Normalkapitel

Enne 2’s Geschichte wird in 136 sehr kurzen Kapiteln dargestellt, die von 5 Kursivteilen unterbrochen werden. Berta begegnet er insgesamt 2 Mal - jedesmal in der Stadt. Beim ersten Treffen ziehen sie sich in Enne 2’s Unterschlupf bei der Genossin Selva zurück. Schon bei dieser Begegnung mit Selva wird der menschliche Konflikt Enne 2’s angesprochen: der eines Partisanen, der nicht fähig ist die Beziehung zu Berta in sein jetziges Leben zu integrieren. Beide sind nicht fähig sich zueinander zu bekennen.

„Sì”, Selva continuò „sarei contenta che fosse la tua compa­gna. [,..]Preriferei che fosse così, che fosse solo la tua compagna. Davvero non è la tua compagna?”[5]

Enne 2 antwortet nur mit der Gegenfrage „Ma perché, Selva?” [...][6] Er ver­steht nicht, was sie ihm sagen, möchte. Er scheint sich außerhalb dieser persönlichen Dinge zu sehen, für die innerhalb der Resistenza kein Platz zu sein scheint. Doch Selva läßt nicht von ihm ab und auch hier spielt Vittorini wieder mit der Eindringlichkeit von Wiederholungen.

„Non possiamo desiderare che un uomo sia felice? Noi la­voriamo perchè gli uomini siano felici. Non è per questo che lavoriamo?”[7],,[...]Bisogna che gli uomini possono essere felici.

Ogni cosa ha un senso solo perchè gli uomini siano felici. Non è solo per questo che le cose hanno un senso.”[8]

Das Motiv des Glücklich-Seins kommt immer wieder vor und wird auch zu einer der zentralen Fragen: Wieviel persönliches Glück innerhalb des Ausnahmezustands Resistenza ist erlaubt, ist möglich - oder ist sogar nötig, um dem Kämpfen einen Sinn zu geben? Eine Haltung wird hier klar: persönliche Glückserfahrung ist eine Voraussetzung, für eine bessere und glücklichere Welt zu kämpfen. Aber während des Kampfes steht das persönliche Glück hinten an, was sehr anschaulich in einer anderen Szene dargestellt wird, als die Gruppe von Partisanen dem Genossen Coriliano klarmachen, daß seine Frau und Kinder in Verstecken der Resistenza nichts zu suchen haben.

Doch Enne 2 ist voller Zweifel - zwischen Sehnsucht nach Berta und nach ei­ner anderen politischen Situation auf der einen Seite und mangelnder Hoff­nung auf baldige Änderung auf der anderen Seite. Der politische Kampf, der zunächst sein Leben mit einer Aufgabe und Inhalt füllte, scheint ihn immer mehr aufzureiben und die Fragestellung der Legitimation des Kamp­fes geht auch hier auf einer anderen Ebene weiter. So wie Selva auf dem persönlichen, privaten Rahmen bezogen Fragen stellt, so tut es der Genosse Gracco innerhalb der Widerstandsgruppe, der die Genossen immer wieder nach der persönlichen Motivation zu kämpfen fragt.

Enne 2 ist in zweifacher Hinsicht ein gefangen: im momentanen politischen System und in der Liebesbeziehung zu Berta. Gegen das politische Sy­stem hat er Handlungsmöglichkeiten gefunden, aber wie sieht es mit seinem Kampf für seine Liebe aus?

Die Beziehung zu Berta ist ungeklärt - und das seit zehn Jahren. Bei­de scheinen sich zu brauchen, doch wenn sie beieinander sind, schaffen sie es nicht, den Moment zu genießen. Besonders auffällig sind die immer wiederkehrenden Motive des Suchens und Findens. ,,[...]Perché puoi non cercarmi?”,,Ho cercato di cercarti.Hai cercato? Davvero mi hai cerca­to?” „Ero ancora arrabbiato, ma ti ho cercato.”[9] Und ein paar Zeilen weiter: ,,E hai potuto non trovarmi?” ,,Ti ho cercato senza cercarti.”[10] Beide schei­nen gefangen, ohne wirkliche Handlungsmöglichkeiten zu finden. Sie gehen wieder auseinander, versprechen, sich zu suchen und zu finden, ohne eine Lösung gefunden zu haben. Enne 2 bleibt unglücklich zurück und widmet sich weiter dem Kampf. Hier ist der Gegner konkret, es sind die Deutschen, die sie bekämpfen. Schon kurz nach der Verabschiedung von Berta ist er wieder im Kampf, bei dem ein deutscher Offizier getötet wird. Die Aktion wird sehr knapp und meist nur durch Dialoge dargestellt. Doch die Hand­lung wird immer wieder in den Hintergrund gedrängt — besonders durch die Kursivteile. In Kapitel 17 verdichten sich die Motive, die sich weiterhin wie ein roter Faden durch den ganzen Roman ziehen, und bilden somit eine Überleitung auf das erste kursive Kapitel.

„[...]vide nella città il deserto. Ossa di case erano nel de­serto, e spretti di case; coi portoni chuisi, le finestre chuise, i negozi chuisi. Il sole del deserto splendeva sulla città inverna­le. L’inverno era come non era più stato dal 1908, e il deserto era come mai stato in nessun luogo del mondo. [...] non era né di sabbia né di pietre, e tuttavia era com’è in tutto il mondo.

Era com’è anche in mezzo a una camera. Un uomo entra. Ed entra nel deserto. Enne 2 vide ch’era il deserto, lo attraversò, e pensava a Berta che non abitava a Milano, andò fino in fondo al corso Sempione dov’era la sua casa. Dietro ebbe sempre il grido di Cane Nero, sopra il deserto. Entrò nella sua camera.”[11]

Vittorini schafft hier einen Perspektivenwechsel von der äußeren in die in­nere Welt von Enne 2. Das Motiv der deserto und dessen Wiederholung erzeugt eine Atmosphäre der Trostlosigkeit und Einsamkeit. Enne 2 läuft durch die Wüste und betritt sie in seinem Zimmer. Die Wüste steht für eine menschenleere Weite, in der er auf sich alleine gestellt ist, ohne Berta und in der es äußerst schwierig ist, zu überleben. Sie veranschaulicht das Gefühl von Leere und Einsamkeit. Außerdem bildet das Kapitel den Übergang vom offenen Kampf und von einem Handlungshöhepunkt zu dem ersten kursiv abgesetzten Kapitel. So begegnet man auch in diesem Absatz wieder dem Motiv des spretto, das auch schon im Zusammenhang mit Berta vorkam. Während es zuvor als Bild für Bertas Abwesenheit stand, gleichsam Bertas Gespenst war, so sind es hier die Häuser, die als Gespenster bezeichnet wer­den. Gespenster sind Gestalten, die in einer Zwischenwelt gefangen sind, nicht tot sind und nicht lebendig — wie Enne 2 — Gestalten auf der Suche, die auf Erlösung warten und auf Befreiung von ihrem momentanen Dasein. Interessant ist auch, daß die Häuser und deren Fenster geschlossen sind. Die Fenster der Häuser sind wie deren Augen, man kann hinein aber auch hinaus schauen. Doch hier sind die Fenster geschlossen, was auf eine mo­mentane Trennung der äußeren von der inneren Welt hindeutet. Enne 2’s Zustand wird hier mit scheinbar äußeren Beschreibungen dargestellt und führt den Leser in dessen bedrückende Gedankenwelt.

Und doch vermischt sich für Enne 2 äußeres und inneres immer mehr. Je verzweifelter er innerlich ist, desto mehr zweifelt er auch an den Aktionen. Und auch Berta erfährt während des Homans eine Veränderung. Doch diese läuft konträr zu der Enne 2’s. Während Berta alles immer klarer wird - sie aufrichtiger und authentischer werden will — sich befreien will — sich von ihrem Mann trennen will - wird Enne 2 immer hoffnungsloser und depres­siver und seine Gedanken kreisen mehr und mehr um Tod und Verderben und um die Rechtfertigung zu töten.

„Ma se io fossi uno di loro? Se fossi uno dei quaranta che saranno fucilati domattina? Che me ne sembrerebbe di dover essere fucilato con altri trentanove per quattro cangile che i patrioti hanno tolto di mezzo?”[12]

Noch hat er immer wieder Genossen, die ihm ins Gewissen reden, die noch überzeugt sind, von dem Kampf, den sie führen.

„[...]Pensavamo che valesse la pena versare il sangue di mille di noi perché un cane fascista vi affogasse dentro. Volevamo la lotta. Ora è la lotta che abbiamo.”[13] [14]

2.1.2 Enne 2 und Berta — Motiv des Verderbens vs. Motiv der Befreiung

Berta wird mehr und mehr zum Kontrastpunkt in Enne 2’s Leben. Schon am Anfang des Romans wird verdeutlicht, wie sehr sie mit ihm verbunden ist. „Un grande suono allora irruppe in lui;[...]”u, heißt es beim ersten Wiedersehen und dieses Motiv des grande suono wiederholt sich, wenn er Berta trifft. Es steht im positiven Sinne für die Beziehung, so wie lo spettro im Gegensatz dazu für Bertas Abwesenheit steht. Neben il grande suono ist es noch lo splendore, der für ihn von Berta ausgeht. Besonders beim zweiten Treffen wird der Kontrast deutlich, da zuvor die Gewalt und das Sterben der Genossen sowohl aus Enne 2’s als auch aus Bertas Sicht beschrieben werden. Beide sind wieder in der Stadt, am selben Ort, an dem sie sich das erste mal wiedersahen und auch sprachlich findet sich in Kapitel 62 eine Korrespondenz zum Anfang:

„Berta prese il tram, e andò in tram fino a piazza della Scala. L’inverno era lo stesso di due giorni prima; l’aria leggera, viva; lo stesso sole; e barbagli di sole in tutti i vetri. Lo stesso poteva esser lui dietro il tram, sulla sua bicicletta.”

Zuvor hatten Enne 2 und seine Widerstandsgruppe das Militärgericht über­fallen, um zu verhindern, daß unschuldige Arbeiter verurteilt und erschos­sen werden. Als Berta in die Stadt kommt, bietet sich ihr ein Bild des Grauens — es hat viele Opfer unter den Widerstandskämpfern gegeben, die jetzt wie gesammelte Säcke auf der Straße zur Schau gestellt werden. Unter den Toten sind auch Kinder, Frauen und alte Männer, die von der SS exekutiert wurden. Die Fragen, die sich Enne 2 als Partisan stellt, wer­den hier stellvertretend von Gracco geäußert. Wieder fragt er nach dem Warum und Wozu, als er seine Kameraden Foppa und Coriliano tot auf dem Gehsteig liegen sieht: ,, Egli era stato un uomo pacifico, un uomo sem­plice. Perché, ora, era morto? Avrebbe potuto non combattere;^..].”[15] Enne 2 antwortet nicht auf Graccos Fragen, sondern Gracco denkt für ihn wei­ter: [...] eppurre Gracco vide ch’era anche lui un uomo pacifico e semplice, malgrado la sua faccia disperata. Pensava quello che tutti pensavano.”16

Zeitgleich ist Berta auf dem Weg zu Selva, doch diese ist nicht zu Hause. Deshalb setzt sie sich in einen nahegelegenen Park und fängt dort an zu weinen. Ein alter Mann gesellt sich zu ihr und der Dialog, der zwischen beiden entsteht, führt Berta zu neuen Ansichten und ist gleichzeitig ei­ne Legitimation für die Resistenza. Wieder geht es um das Warum und Wofür.

„Berta non piangeva sopra i morti, per il sangue loro. Ora lo sapeva. Le veniva da loro, ma non era pietà per loro. Era pietà, о forse disperazione, su se stessa; ma dinanzi a loro era un’altra cosa. Che cosa?”[17]

Berta beginnt sich ihres Lebens immer bewußter zu werden, ihrer Verzweif­lung und ihrer Gefangenschaft in einer Ehe, die nicht aus Liebe entstand, sondern wie Selva fragte: „Sei moglie di un altro perché vuoi essere buo­na?”[18] Vittorini ändert auch hier immer wieder die Wirklichkeitsstruktur, durchbricht den Realismus der geschichtlichen Ereignisse und läßt die To­ten stellvertretend zu den Protagonisten sprechen. So auch in der Szene, in der Berta zu den Toten auf der Straße zurückkehrt und beginnt mit ihnen zu sprechen. So werden die Toten hier zum Symbol für il mondo offeso und ihre Botschaft soll die Menschen befreien und sie lehren, wofür sie gestorben sind. Ihre Reflexionen sind in einem Kursivteil beschrieben, der sonst immer Enne 2’s Gedanken - und Gefühlswelt wiederspiegelt. Diese drei kleinen Kapitel (Kapitel 76 - Kapitel 78) beschreiben Berta’s Bewußt- werdungsprozeß. Der Dialog mit den Toten gibt ihr Antworten. Sie seien für sie gestorben, so wie für jeden einzelnen Menschen auf der Welt. Sie seien dafür gestorben, um jeden einzelnen zu befreien — auch sie. „Dieci anni è stata ferma in questo, tenendo fermo un uomo al suo fianco e ora non è Ara, ne ha vergogna dinanzi ai morti. Che cos’è questo dinanzi lo­ro?”[19], denkt sie sich. Alle ihre Gründe, weshalb sie sich Enne 2 verweigerte erscheinen ihr auf einmal nichtig, da sie sich nur auf kleinliche bürgerliche Normen beriefen und nichts mit ihr und ihrem Gefühl zu tun hatten.

Währenddessen verzweifelt Enne 2 immer mehr an dem Bild, das sich ihm bietet. Seine Genossen liegen tot am Boden und ihm überkommt mehr und mehr ein Gefühl der Ohnmacht und Sinnlosigkeit. Hier tritt zum ersten Mal das Motiv der perdizione auf.

,,[...] e già egli pensava che non poteva dargli nessun aiutato, pensava che mai avrebbe potuto dare aiuto a nessuno, mai c’era da dare aiuto, ed era disperato anche per lui, aveva voglia di perdersi insieme a lui, fare basta, non dover più sapere di gente che si perdeva,[20]

In diesem Moment entdeckt er Berta. Beide haben das Gleiche gesehen, doch unterschiedlicher kann man die Schlüsse, die man daraus ziehen kann, kaum darstellen. Während Berta gerade eine tiefgreifende Erkenntnis erfah­ren hat, schaute Enne 2 in den Abgrund der Menschheit und seiner Seele. Während sie Kraft und Liebe entdeckte, entdeckte er nur Sinnlosigkeit und Verderben. So wird sie in diesem Moment zu einer rettenden Figur, denn sie reißt ihn heraus aus diesem Verderben. Enne 2 spricht plötzlich von ei­nem incantesimo, den ihre Beziehung umgibt. Seine Stimmung ändert sich sofort beim Anblick Bertas. „Che io debba vederti quando sono al limite.” sagt er zu ihr und „Quando ho voglia ha perdirmi.”[21] Der Dialog zeigt sehr eindringlich die unterschiedlichen Wahrnehmungen ein - und dessel­ben Geschehens und für beide ist ihre Sichtweise real, doch für Enne 2 mit negativen Folgen. Denn er ist nur noch auf den Tod und das Leid fixiert, auf seine eigene Verzweiflung, die es ihm kaum mehr möglich macht, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen. Diese andere Sicht bietet ihm Berta, zumindest solange sie bei ihm ist: „Ora è il contrario. E questo dico che sembra un incentesimo. Che appena ho raggiunto il limite debba ritrovarti e avere il contrario.”[22] So hat Berta für ihn immer wieder auch eine rettende Funktion oder zumindest eine heilende. Überhaupt scheint es, daß die Frauen in diesem Roman oft eine positive, versöhnliche Rolle übernehmen. Als brächten sie auch immer wieder Licht und Klarheit in die düstere Welt des Enne 2. Denn auch Lorena und Selva stehen, jede auf ihre Art im Kontrast zu Enne 2, sind aber auf gewisse Weise auch seine Weggefährtinnen.

2.1.3 Das Motiv der infanzia und der Wirklichkeit in den Kur­sivteilen

Die Kursivteile folgen jeweils auf die Handlungshöhepunkte des Romans. Hier wechselt auch die Perspektive von der heterodiegetischen Er - Er­zählung zu einer homodiegetischen Ich - Erzählung. Der Protagonist wird in diesen Teilen in seine Kindheit versetzt — jedoch nicht in die, wie sie war, sondern in eine, wie er sie gerne gehabt hätte. Das Motiv der infanzia ist ein wiederkehrendes Motiv in Vittorinis Romanen. Während die Haupt­figur in „Conversazione in Sicilia” in das Land seiner Kindheit reist und hierdurch wieder Zugang zur eigenen Erinnerung findet, so reist hier Enne 2 gedanklich in seine Kindheit zurück, jedoch mit der Intention, diese zu verändern. Die Wirklichkeit wie sie ist und war, soll verändert werden. Die Kursivteile geben eine zusätzliche Vorstellung davon, in welcher Spannung der Protagonist sich befindet. So werden die Ruhezeiten auf seinem Bett zu Phantasiereisen, in der Traum und Wirklichkeit verschwimmen, so wie die Zeiten. Dies ambivalente Gefühl zur Zeit und zur Wirklichkeit äußert sich schon vorher bei den Treffen mit Berta. Erinnerungen und Wunschdenken gehen hier oft ineinander über. Die Darstellung der Dialoge zwischen Enne 2 und Berta haben etwas irreales und mystifizierendes: „Vorrei avere dieci anni di meno.” „E non e così? [...] Sei anche una bambina.” „Vorrei che tu fossi molto più vecchio di me.” Lo sono. Lo sono. Sono anche tuo padre e anche tuo nonno.” [...] „No” lei disse. „Sono stata io a farti nascere.”„Ma io ho veduto l’inverno in cui sei nata.” „Tu sei nato perchè io l’ho voluto” disse lei. „Io sono nata” disse „ e subito ho voluto che anche tu ci fos­si. Non volevo essere al mondo senza che tu ci fossi.” „Tu sei anche mia madre.”[23] Sie wollen und scheinen alles für einander zu sein: Frau, Mann, Vater, Mutter, Tochter, Sohn. Sie scheinen /üreinander und durcheinander zu leben, jedoch können sie nicht miteinander leben. Diese Beschreibun­gen über ihr zeitliches und emotionales Verhältnis zueinander werden in den Kursivteilen in Form von Enne 2’s Phantasiereisen in eine gemeinsame Kindheit wieder aufgenommen.

Das Motiv der infanzia ist ein Leitmotiv der Romane Vittorinis. Sie steht für einen unbeschwerten, fast paradiesischen Zustand — für Geborgenheit und Glück. So steht hier die Kindheit, dargestellt durch Worte wie il giardi­no, la campagna, il villaggio und i pattini a rotelle im krassen Gegensatz zur Erwachsenenwelt, die sich durch Worte wie la città, il deserto und la lotta darstellt. Enne 2’s Bett wird zum Ort des Übergangs von einer Welt in die andere. So steht il letto nicht nur für Ruhe und Rückzug, sondern ist für ihn auch ein Zufluchtsort, um sich in Tagträumen und Reflexionen zu ergehen. Il letto wird hier zu einer Pforte in eine andere Welt, zu ei­nem Zeitfenster, daß es ihm mit Hilfe des Ich - Erzählers möglich macht, in seine Kindheit zu reisen. „Seine Versuche der Rückkehr in die Kind­heit, sei es durch Reisen oder wie bei „Uomini e no” durch ein Medium, durch das „vestito dietro la porta” sind Ausdruck der Suche nach Glück und Wahrheit.”[24] Doch es ist nicht nur die Suche nach Glück und Wahr­heit, es ist auch ein verzweifelter Versuch wenigstens in der Imagination der Realität zu entfliehen und eine Veränderung für die Gegenwart und Zukunft herbeizuführen. Während er im realen Leben immer in der Stadt auf Berta trifft, trifft er sie in seinen Tagträumen stets in einer ländlichen Umgebung. Die Stadt wird mit deserto assoziert, während la campagna positiv konotiert ist. Wie schon in „Conversazione in Sicilia” taucht auch hier die Hauptfigur ein in einen irrealen traumhaften Zustand. So wandelt Enne 2 im Zwiegespräch mit dem Ich - Erzähler durch Bertas Kindheit, in der er sie treffen möchte. Er möchte sie als Kind treffen, aber mit dem Wissen eines Erwachsenen. „La mia infanzia è questa cosa insieme.” „Man non è reale.” „È due volte reale.” „Tu di allora?” gli dico. „E tu di ora?”[25] [26]

Die Realität, die zweimal vorhanden ist, ist ein weiteres beliebtes Motiv Vittorinis. Es zeigt, daß ein Mensch nicht nur im Hier und Jetzt lebt, son­dern er immer wieder durch einen Geruch, ein Geräusch, ein bestimmtes Licht in eine andere Zeit versetzt werden kann. Zeitfenster, die aufsprin­gen und die das Kind hervorholen, oder den Jugendlichen, je nachdem wie alt der Mensch ist. So ist der Mensch zwar da, als Erwachsener, aber ist emotional und gedanklich auch immer wieder in seinen Erinnerungen und ist somit mehrmals vorhanden. Enne 2 ist nicht nur der Partisan, er ist auch der Mann, der er vorher war und das Kind, das er früher war und der Mann, der er gerne wäre. „Io nella mia infanzia” egli mi dice. ,, E nella mia infanzia anche lei. La cosa nostra in un giorno di allora.” Das wünscht sich Enne 2. Und so trifft er auf Berta - sie ist 10 Jahre und er 7 Jahre alt. Als er sie auf der Straße mit ihren Rollschuhen sieht, ruft er ihren Namen. Im Gegensatz zu ihm, kann sie ihn nicht kennen, denn sie ist das Kind das sie war, nur mit dem Wissen, das sie damals hatte. „Io sono nei GAP”, il bambino dice. „Che cosa?” dice lei di dieci anni. ,, Che cosa?”26 Er stellt sich als Mitglied der GAP vor, doch sie weiß nicht, was dies bedeutet, da die Resistenza für sie in jener Zeit noch nicht existent war. So scheitert das Treffen — er kann sie nicht erreichen. Er ist weiter denn je von ihr entfernt, was ihn noch verzweifelter werden läßt. „Non voglio che continui. Non vo­glio che accada quello che è accaduto. Non voglio che incontri quell’uomo. Voglio fermarla!”[27]

Im Zweiten Kursivteil übernimmt der Ich - Erzähler mehr als zuvor die Rolle des Kommentators, aber auch die des imaginären Freundes - oder auch die, eines Menschen, der einen Teil von sich verloren hat und dieser Teil ist Enne 2, mit dem er nun Zwiesprache hält. Er ist die erklärende all­wissende Instanz und Begleiter in seinen Tagträumen. Er scheint Mitwisser und Mitgestalter gleichzeitig, so auch als Enne 2 im 2. Kursivteil über sein Erlebnis mit seiner Genossen Lorena reflektiert. Kurz zuvor hatte er mit ihr geschlafen - auch sie steht hier mit ihrem Verhalten im Kontrast zu

Enne 2. Während er sie zwar sexuell begehrt, es jedoch zunächst nicht für richtig hält mit ihr zu schlafen, obwohl er eine andere liebt, schafft sie es, eine gewisse Einfachheit und Leichtigkeit in sein Leben zu bringen. Sie sieht darin nichts schlechtes, miteinander zu schlafen auch ohne Liebe, solange es beiden gut tut. Danach fühlt er sich für einen kurzen Moment wieder wie ein Mann, der lebt und seinen Körper spürt: ,,E buona cosa” disse „essere un uomo.” Es scheint, als fühle er sich zum ersten Mal nach langer Zeit wieder lebendig. Doch das Gefühl hält nicht lange an. Er kann es nicht festhalten oder integrieren. Wieder mit sich alleine beginnt er wieder sich in seine Gedanken zu verstricken, die vom Ich - Erzähler erläutert werden.,, [...]e allora prenderne uno che non è la tua ed ecco avere, in una camera d’albergo avere, invece dell’amore, il suo deserto.”[28]

Lorena galt nur als Ersatz für das, was er sich von Berta wünschte. Zurück bleibt wieder ein schales Gefühl der Einsamkeit. „Ma è solo simile alla cosa, non è la cosa.”[29] heißt es hier. Diese Beschreibung erinnert wieder an das Motiv der spretti. Auch ihr Zustand ist nur ein dem Leben ähnlicher Zustand. Und auch Enne 2 scheint nicht wirklich zu leben. Mit Lorena zu schlafen war etwas ähnliches, was er brauchte, aber es war es nicht wirklich. So ist auch sein Kampf gegen die Besatzung irgendwann nur noch ein Ersatz für sein Leben und vielleicht ist auch seine Vorstellung seiner Liebe zu Berta nur so etwas ähnlich wie Liebe, denn sie haben sie beide noch nicht konkretisiert, noch nicht verwirklicht, indem sie sich zueinander bekennen und sich einander hingeben. In diesem Kursivteil versucht er sie nicht in seiner Kindheit wieder zu treffen. Erst in Kapitel 54 bis Kapitel 58 findet die nächste Traum - und Zeitreise Enne 2’s statt, in der sie sich in der infanzia begegnen. Diesmal führt seine Reise in seine Heimat - nach Sizilien. „Dalla Sicilia fin dentro Milano?[...]Ora siamo, dalla Sicilia, dentro Milano, e lui di dieci anni la chiama. Berta le dice non temere. Sono quel ragazzo dell’altra volta.”[30] Diesmal erkennt sie ihn wieder und wie in einem schönen Traum, lernt sie seine Familie kennen. Und doch kippt die Vorstellung um in eine bedrückende negative Atmosphäre, denn diesmal sind Tod und Verderben mit in die Kindheit gereist: „Sono i ragazzi bionda che abbiamo ucciso io e i miei fratelli” le dice. „Mica ci è piaciuto” anche le dice. „Loro sempre lo vogliono. Abbiamo dovuto ucciderli.”[31]

2.2 Das Ende des Kampfes - Das mangelnde Lebens­konzept

Die Kapitel 81 bis 84 sind alleine der letzten realen Begegnung zwischen Enne 2 und Berta gewidmet. Wie schon in Absatz 2.1.2 erwähnt, reißt Ber­ta ihn zunächst noch einmal aus dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit heraus. Wie in einer klasischen Tragödie spielt Vittorini hier mit dem retardieren­den Moment. Der Handlungsverlauf wird unterbrochen. Noch einmal sind beide in Enne 2’s Wohnung und es scheint, als würde sich alles zum Guten wenden: ,,[...] un fiume di emozione e di pace che la portò calmo e lar­go, celeste pace, come la vita piseria che volevano i morti.”[32] Dies Gefühl des ernsteren, authentischeren Lebens scheint zunächst auch auf Enne 2 überzuspringen. Die Motive des Suchens und Findens werden wieder auf­gegriffen und endlich bekennen sich beide zu ihrer Liebe. „Sei mia moglie, allora?” „Lo sono se mi vuoi. Mi vuoi?” „Oh! Lo sei sempre stata.” „Lo sono soltanto da stamattina.”[33] In diesem Dialog versucht Berta ihm verständlich zu machen, was sich für sie an diesem Morgen verändert hat. Noch kann man hoffen, daß beide einen Weg finden nun endlich miteinander zu leben und Konsequenzen zu ziehen aus ihrer Liebe zu einander. Doch es kommt anders. Als Berta sich entschließt, doch zuerst mit ihrem Ehemann offen zu reden, bricht für Enne 2 jegliche Hoffnung zusammen. Er schafft es nicht, einen Unterschied zu den vorherigen Treffen zu empfinden:

„Non pensare che sia come le altre volte.” ,,È come le altre volte.” ,,E diverso. Non volermi male.” ,,E come le altre volte, e hai visto i morti.” „Ma è diverso” Berta disse. „Tornerò subito.” „Tornerai sempre e sarà la stessa cosa” disse Enne 2.

Enne 2 kann keine Veränderung erkennen. Er glaubt nicht an Bertas Worte, denn sein Gefühl ist dasselbe wie immer - er wird alleine Zurückbleiben und vielleicht wird sie wieder kommen. Er scheint zu wissen, daß sobald sie ihn wieder verläßt, er wieder dem starken Gefühl verfallen sein wird, ins Verderben rennen zu wollen. So bleibt er zurück mit dem dumpfen Gefühl der Verzweiflung und Einsamkeit.

Noch einmal treten die Aktionen der Resistenza in den Vordergrund, doch während sich die Ereignisse mehr und mehr überstürzen, verliert sich Enne 2 emotional immer mehr in lähmender Passivität und Hoffnungslosigkeit. Als er schließlich nach der letzten Aktion durch die Zeitung gesucht wird und von einem Tabakhändler verraten wird, scheint er sich immer mehr zu entfernen, von sich und seinem Leben. Es scheint, als habe er irgendwann nur noch die Kraft für den Kampf, aber nicht mehr die Kraft sein eigenes Leben zu retten — sein eigenes Leben zu leben, da ihm jegliches alternatives Konzept und der Glauben daran verloren gegangen ist. Er will sein Zimmer nicht verlassen, weil er auf Bertas Rückkehr hofft und doch scheint er auch das nicht mehr wirklich zu glauben. Er kann sich aus seiner Perspektive nicht befreien — er findet keine (Er-)Lösung, außer die, zu warten.

Im Gegensatz zum Genossen Coriliano, der seine Frau bei sich hatte oder Orazio, der sich doch entschließt noch während der Besatzungszeit zu hei­raten, fehlen ihm diese Perspektiven. Er hat seine Erinnerungen, seine Ver­gangenheit und seine Sehnsucht nach Berta. Aber er hat kein Konzept für die Zukunft. In den Kursivteilen wollte er die Vergangenheit ändern, damit seine Gegenwart glücklicher ist. Aber in der Gegenwart findet er kein Mittel etwas zu verändern, damit er in Zukunft glücklicher ist. Anstatt den Kampf aufzugeben - kurzfristig oder komplett - gibt er das Leben auf. Und doch ist sein letzter Tag auch ein seltsam zufriedener Tag, trotz all der Ambi­valenz. Einer nach dem anderen kommen sie ihn besuchen, reden mit ihm, kümmern sich - statten ihm einen Besuch ab, wie einem Kranken oder Tot­geweihten und er weiß den persönlichen Kontakt auf einmal hinzunehmen, sogar zu genießen. Und in seinem Abschied und seiner Aufgabe, beginnt er sich teilweise zu versöhnen mit der Welt und den Menschen darin, auch mit dem Tabakhändler, der ihn verraten hat:

„Forse è invece un buon uomo.” „Parli del tabaccaio?” „Par­lo di lui e di ognuno. Forse ognugno è un buon uomo.”[34]

Und doch gibt er sein Leben auf, indem er auf Cane Nero und die SS - Männer wartet. In einem letzten Akt, will er Cane Nero töten und an­schließend selbst zu Grunde gehen: „Si perdeva, ma combatteva insieme.

Non combatteva insiema? Mica c’era solo combattere e sopravivere. C’era anche combattere e perdersi. E lui faceva questo tanti altri che l’avevano fatto.”[35] Das Leben ist für ihn der Kampf und da ihm nichts anderes zu bleiben scheint, wählt er auch als letztes Aufbäumen seines Lebens nicht die Flucht, oder die Suche nach Berta - er wählt das, von dem er eine ein­deutige Vorstellung hat - alles andere liegt unsicher und schwammig vor ihm. So mag der Tod für ihn ein Ausweg sein aus seinem Zustand. Ein Ausweg, in dem er endlich Ruhe findet oder so wie er sagt: „Pensò la terra e gli uomini senza più sole, e gli parve che fosse riposo; non più la luce; il sonno. Gli parve che avesse bisogno soltanti di riposo;36 In einem letz­ten selbstzerstörerischen Akt, liefert er sich der Konfrontation mit Cane Nero aus, um ihn zu töten. Noch einmal tritt er in Zwiegespräch mit dem Ich - Erzähler, doch alles scheint sinnlos. „Al diavolo la mia infanzia” [...] „Tutto al diavolo.”[37] Nichts kann ihn mehr retten. Seine Kindheit nicht - auch Berta nicht und am wenigsten er selbst. Es ist ihm nichts übrig geblieben am Ende, außer zu kämpfen. Er gibt die Suche nach Glück und Authentizität auf.

3 Schlußbetrachtungen

In den Beschreibungen seines Helden verzichtet Vittorini bewußt auf of­fensichtliche Psychologisierungen und doch wird dem Leser der Konflikt des Protagonisten eindringlich näher gebracht. Die kurzen hoffnungsvollen Moment können seinen verzweifelten und niedergedrückten Zustand nicht aufwiegen. Es ist eine Spirale, die sich immer schneller dreht und ein Sog des Verderbens, der immer mehr auf ihn übergreift und ihm jeglicher Lebens­perspektive und Kraft beraubt, wodurch sich Fragen wie: Warum bleibt er und wartet auf Cane Nero? Warum gibt er sich auf? Warum geht er nicht zu Berta und nimmt sie mit aufs Land?, erübrigen. Er kann diese Alter­nativen nicht erkennen,was sozusagen symptomatisch für seinen Zustand ist. Am Ende ist er nicht mehr Gefangener eines politischen Systems oder einer unerfüllten Liebe, sondern vor allem Gefangener seiner selbst. Und den Kampf gegen sich selbst verliert er.

4 Literatur

Vittorini, Elio: Uomini e no. Oscar Classici Moderni. Milano 1990.

Gesthuisen, Mechthild: Elio Vittorini und sein literarisches Werk in der Zeit. Wesel 1985.

www.italialibri.net/autori/vittorini.html (5.April)

[...]


[1] www. italialibri. net / aut ori / vittorini.html

[2] Vittorini, Elio: Uomini e no. Oscar classici moderni. Milano 1990. S. 3

[3] Ebd. S. 3

[4] Ebd. S. 8

[5] Ebd. S. 12

[6] Ebd. S. 12

[7] Ebd. S. 12

[8] Ebd. S. 13

[9] Ebd. S. 16

[10] Ebd. S. 17

[11] Ebd. S. 25

[12] Ebd. S. 43

[13] Ebd. S. 43

[14] Ebd. S. 4

[15] Ebd. S. 105

[16] Ebd. S. 107

[17] Ebd. S. 109

[18] Ebd. S. 95

[19] Ebd. S. 125

[20] Ebd. S. 123

[21] Ebd. S. 127

[22] Ebd. S. 127

[23] Ebd. S. 8

[24] Mechthild Gesthuisen: Elio Vittorini und sein literarisches Werk in der Zeit. Wesel 1985. S. 38

[25] Vittorini, Elio: Uomini e no. Oscar classici moderni. Milano 1990. S. 27

[26] Ebd. S. 30

[27] Ebd. S. 31

[28] Ebd. S. 38

[29] Ebd. S. 38

[30] Ebd. S. 84

[31] Ebd. S. 91

[32] Ebd. S. 129

[33] Ebd. S. 130

[34] Ebd. S. 202

[35] Ebd. S.208

[36] Ebd. S. 200

[37] Ebd. S. 209

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Elio Vittorini - Uomini e no - Vom verzweifelten Kampf zum verzweifelten Kämpfer - ein Partisan zwischen politischer und persönlicher Identität
Hochschule
Universität Mannheim
Veranstaltung
Proseminar Elio Vittorini
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V108788
ISBN (eBook)
9783640069811
Dateigröße
478 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Elio, Vittorini, Uomini, Kampf, Kämpfer, Partisan, Identität, Proseminar, Elio, Vittorini
Arbeit zitieren
Miriam Oberle (Autor:in), 2004, Elio Vittorini - Uomini e no - Vom verzweifelten Kampf zum verzweifelten Kämpfer - ein Partisan zwischen politischer und persönlicher Identität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108788

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