Johann Nepomuk Nestroy in der Tradition des Wiener Volkstheaters


Magisterarbeit, 2004

109 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Vorwort

Einleitung

Die Geschichte des Volksstückes. Die Posse.

Das Leben

Die Bedeutung Nestroys

„Der konfuse Zauberer“ - Nestroy in der Tradition der Zauberspiele

Die Tradition des Zauberspiels

„Der böse Geist Lumpazivagabundus“ - Die Tradition des Wiener Volkstheaters

Das Volksstück

Das Volkstheater

Lumpazivagabundus

„Der Talisman“ - Der Aufstieg durch Sprache

„Freiheit in Krähwinkel“ - Die Revolution von 1848 in Österreich

Zusammenfassung

Nestroy im Bild
Wenzel Scholz und Nestroy als Nationalgardisten
Nestroy (Brustbild mit Hut)
Nestroy als Sansquartier
Nestroy als Natzi (Eulenspiegel)
Nestroy als Pan (in Offenbachs Daphnis und Chloe)
Wenzel Scholz, Karl Treumann und Nestroy
Nestroy als Tratschmiedl
Nestroy als Willibald (Die schlimmen Buben in der Schule)
„Der österreichische Shakespeare“
Nestroys Reisepass
Wenzel Scholz (1787-1857)
Marie Weiler
Nestroy als Bertram in »Robert der Teuxel«
Szene aus "Zu ebener Erde und erster Stock"
Wenzel Scholz
Johann Nestroy
Marie Weiler
Nestroy als Jupiter in Offenbachs Operette
Grabstein auf dem Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof

Nestroys Lebenswerk

Bibliographie

Abbildungenhinweis

Vorwort

Diese Arbeit stelle ich am Schluss meines Germanistik-Studiums an der Karl-Franzens Universität Graz fertig. Über Nestroy zu schreiben, kommt nicht so von ungefähr. Es war ein Proseminar über Nestroy im Rahmen des Faches Neuere Deutsche Literatur im Wintersemester 1999 der Ausgangpunkt dieser Arbeit. Einen wesentlichen Anteil am Zustandekommen dieser Studie hat Dr. Alice Bolterauer. Ihr gelang es, Nestroy für mich in einer natürlichen und leicht zugänglichen Weise darzustellen. Mit Rat und Tat stand Sie an meiner Seite auch damals, als ich im Sommer 2001 das Germanistik-Studium an der „Luigj Gurakuqi“ Universität in Shkodra - Albanien beendete. Ich schrieb damals meine Abschlussarbeit eben über Nestroy. Die Suche nach Literatur und das Lesen von Werken Nestroys führte zu einer Ausweitung meines Bewusstseins über das Zeitalter, in dem Nestroy lebte und wirkte. Dadurch gewann ich einen besseren Überblick über die deutsch-österreichische Literatur des Vormärz und die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ereignisse und Zustände dieser Zeit im besonderen in Wien bzw. Österreich. Nun widme ich diesem Thema mein Interesse noch einmal, um damit die damals unvermeidlichen Lücken in meiner ersten Studie auszufüllen und die damals angefangene Arbeit vervollständigen zu können.

Ich nutze hier die Gelegenheit, mich bei meinem Betreuer Prof. Melzer recht herzlich zu bedanken, sowie bei Prof. Höflechner und Dr. Bolterauer, die mich unterstützt haben!

Diese Arbeit widme ich meinen Eltern!

Einleitung

Als Schauspieler, Sänger, Stückeschreiber, Possendichter wurde Nestroy zu einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der österreichischen Bühne. Nestroy ist ein österreichischer Autor, Komiker und Schauspieler, der die letzten Jahrzehnte die Literaturforschung sehr oft und sehr viel beschäftigt hat. In diesem Sinn ist auch diese Studie nichts Neues am Horizont. Es ist aber auf der anderen Seite kein leichtes Unterfangen. Wenn man merkt, was für eine Menge an Sekundärliteratur es gibt, die sich mit Nestroy beschäftigt, dann könnte man sehr wohl mit Zurückhaltung reagieren. Nestroy-Studien, Nestroy-Tage, Nestroy-Gespräche, Aufsätze über Nestroy: über Nestroy gibt es eine Menge Literatur von verschiedenen Kritikern und Literaturwissenschaftlern. Historiker zählen dazu, Theaterkritiker und Philosophen. Theater, Literatur und Geschichte sind mit der Gestalt Nestroy eng verbunden, der eine multidimensionale Persönlichkeit darstellt. Als Autor, Übersetzer und Bearbeiter war er ebenso erfolgreich wie als Schauspieler und Theaterdirektor. Da Nestroy sich nie theoretisch zu seinen Stücken geäußert hat, bleiben viele Fragen offen. Eine dieser Fragen wäre die Frage nach Nestroys Intention, eigene Stücke in dieser Form auf die Bühne zu bringen.

Ob er das Theater verändern, die Menschen seiner Zeit auf der Bühne bloßstellen oder die sozialen Verhältnisse darstellen wollte, sind Fragen, die sich allein aufgrund einer Analyse von Nestroys Werken nicht beantworten lassen, sind Fragen, deren Spezifik die Verwobenheit solcher Fragestellungen leicht aus dem Blick geraten lässt.

Der Versuch, einzelne Themen bzw. Problemstellungen nur anhand einzelner Stücke darzustellen – wie es in dieser Studie unternommen wird –, versteht sich als Kompromiss. Es soll damit auch jene Vergewaltigung vermieden werden, die sich unweigerlich einstellt, wenn man versucht, Nestroy klassifizieren zu wollen.

Nestroy ist weder zur Gänze dem Biedermeier zuzuzählen noch der revolutionären Richtung des Vormärz. Die Frage, inwieweit sich Nestroy kritisch zu den politischen Verhältnissen seiner Zeit verhalten hat bzw. inwieweit er selbst zu deren Stabilisierung beigetragen hat, zählt bis heute zu den spannendsten Fragen der Nestroy-Forschung.

Aber vielleicht ist es auch falsch, die politische Dimension im Werk Nestroys zu sehr zu betonen gegenüber den eher philosophischen, insbesondere sprachphilosophischen Aspekten seines Schreibens.

Die Aktualität und die große Beliebtheit von Nestroy Stücken jedenfalls sprechen für eine Untrennbarkeit beider Seiten seines Schreibens wie jedes Schreibens überhaupt: der sprachlich-artistischen wie der gesellschaftsbezogen-realistischen.

Der Grund, warum ich über Nestroy schreibe, ist nicht nur, dass er mir gefällt. Das würde nicht genügen, um eine Arbeit wie diese zu rechtfertigen. Seine Sprache, sein Humor und Spielstil, seine Fähigkeit, menschliche Charaktere auf der Bühne künstlerisch zu problematisieren, mit anderen Worten: seine Komplexität als österreichischer Autor reizt jeden, der etwas über Österreich und die Österreicher wissen will. Derjenige, der sich mit Nestroy beschäftigt oder auch nur ein Stück von ihm gesehen oder gelesen hat, sieht sich versucht, auf die Frage nach dem Eindruck entweder eine lange Antwort zu geben, die vielleicht Hunderte Seiten umfassen könnte, oder eine ganz kurze. Das reicht aber sicher nicht. Denn Nestroy, diese faszinierende Persönlichkeit der österreichischen Bühne, der Meister der Bühnensprache, der lustige Schauspieler, der gnadenlose Kritiker, bleibt zu jeder Zeit aktuell.

Diese Arbeit umfasst einen kurzen Überblick über das Leben Nestroys sowie die Analyse von vier Stücken mit jeweils verschiedener Akzentuierung. Anhand dieser Analysen soll ein Einblick in das Schaffen Johann Nestroys sowie ein kurzer Abriss über die Breite seiner Themen und Anliegen gegeben werden. Am Beginn steht eine Übersicht über die Vorgeschichte des Wiener Volkstheaters, in deren Kontext das Phänomen Nestroy entstanden ist.

Die Geschichte des Volksstückes. Die Posse.

Man kann von einer gleichzeitigen Entstehung von Volksstück und bürgerlichem Theater ausgehen. Bis ins 18. Jahrhundert dominiert das Hoftheater; die herrschende Gattung ist die Tragödie. Die Komödie war für die untersten Schichten der Gesellschaft gedacht. Infolgedessen ist die Posse noch im ausgehenden 17. Jahrhundert die niedrigste literarische Gattung.

Die vorsätzliche ästhetische Anspruchslosigkeit war im sogenannten Barock-Zeitalter nicht geschätzt, und die darauffolgende Aufklärungszeit des 18. Jahrhunderts lehnte das ungeregelte Possenspiel aus verschiedenen anderen Gründen ebenfalls ab.[1]

Das Volksstück und das bürgerliche Theater entstehen als Alternative zu und in Auseinandersetzung mit diesem höfischen Theater. Volksstücke waren beim Volk sehr populär. Dieses Theater entfaltete die alltägliche Wirklichkeit, die Freuden und die verschiedenen Probleme, die das einfache Volk betrafen. Das Volkstheater und das Volksstück wurden sozusagen zu Unterhaltern der breiten Maße, aber auch zu scharfen Kritikern der feudalen Obrigkeit, die ihrerseits harte Maßnahmen dagegen unternahm. Kritik wurde sowohl durch den Inhalt des Stückes selbst, als auch, wegen der Zensur, durch das Extemporieren auf der Bühne geübt. Die Zensur, die die Wegbegleiterin des Volkstheaters, d.h. von Stücken, Intendanten, Schauspielern und Autoren dieser Zeit immer war, versuchte, direkte Kritik am Adel zu verhindern. Extemporieren war nicht erlaubt. Offiziell wurde das Extemporierverbot in der Zeit von Kaiserin Maria Theresia im Jahr 1751-1752 von Josef von Sonnenfels (1733-1817) durchgesetzt.[2]

Sonnenfels entdeckt die Ventilfunktion des Volkstheaters, er findet das Volkstheater „wild“ und undiszipliniert.

Er will den Autoren von Volksstücken die Möglichkeit nehmen, völlig frei und unbehindert, gewissermaßen öffentlich zu diskutieren. Er möchte gewährleisten, dass auf diese Weise nicht unkontrolliert Aufruhr und Revolution von der Bühne gepredigt werden. Gleichzeitig möchte er den Autoren jedoch die Möglichkeit lassen, Unzufriedenheit zu artikulieren und damit spielerisch aufzuheben.[3]

Sonnenfels versucht also, die eigentliche Funktion des Volkstheaters, die Unterhaltungs- und Ventilfunktion umzufunktionieren zu einem Erziehungsauftrag des Volkstheaters.[4] So entsteht das typische Handlungsschema des „Zauberspiels“ in dieser Zeit des Absolutismus: Der Außenseiter wird durch Feen, Geister und Zauberer wieder auf den Weg der Ordnung und des Gehorsams zurückgebracht. Ohne deren Hilfe kann der Mensch nicht gebessert werden. Nur Zauberer, Feen und Geister, alle außerirdischen Kräfte also, können die Ordnung auf die Erde bringen. Bis zu Nestroy bzw. bis zu seinem Stück „Der konfuse Zauberer“ werden diese außerirdischen metaphorischen Figuren immer positiv beschrieben. Sie sind die positiven Kräfte, sie sind immer die „ordentlichen“ Vorbilder, den „irdischen“ Menschen unerreichbar. Den Autoren war also das Spiel nur innerhalb dieser Rahmen möglich, was – wie sich von selbst versteht – kein leichtes Unternehmen war.

So ist der Versuch, das Volkstheater zu bändigen, fast ebenso alt wie die Erscheinung des Volkstheaters. Anders ausgedrückt: Das Volksstück ist fast ebenso lange Unterhaltungstheater wie es Emanzipationstheater ist.[5]

Am Ende des 18. Jahrhunderts entstehen neben den sozialkritischen Stücken von Philip Hafner (1735-1764), der als „Vater des Wiener Volksstücks“ bezeichnet wird, und Ferdinand Kringsteiner die ersten Formen des singspielhaften Zauberstücks mit einer Fluchtfunktion, wie etwa die „Zauberflöte“ von Emanuel Schikaneder (1751-1812).

Als Alternative zu dem Zauberstück entsteht zeitgleich das „Besserungsstück“, das einen realistischeren Inhalt aufweist. Die bekanntesten Autoren des „Besserungsstückes“ sind Alois Gleich (1772-1841), Karl Meisl (1775-1853) und Adolf Bäuerle (1786-1856).

Das Besserungsstück, wie es Gleich und Meisl entwickelten, hatte pädagogische Tendenzen. Es diente im Grunde den bestehenden Verhältnissen und endete meist mit einem happy-end. Es zeigt, wie ein mit sich und der Gesellschaft Unzufriedener durch die Erfüllung aller seiner Wünsche von Geistern und Feen zur Einsicht der Vermessenheit seiner Ansprüche gebracht wird. Am Ende steht die Einordnung in die bestehenden Verhältnisse.[6]

Das Besserungsstück ist thematisch sehr eingeschränkt. Es stellt die Verfehlungen der Menschen gegen die gottgewollte Ordnung und die Verbesserung der Menschen, d. h. die Akzeptanz oder Wiederherstellung dieser gottgewollten Ordnung dar.

In der berüchtigten Restaurationszeit, der Ära Metternich, wird damit eine Theaterform entwickelt, in der nicht die Wirklichkeit den menschlichen Bedürfnissen angepasst wird, sondern in der der Mensch den Verhältnissen entsprechend umgewandelt und „gebessert“ wird.[7]

Die Meinung des Autors war in dieser Gattung und zu diesem Zeitpunkt nicht gefragt. Grundsätzlich wird der Mensch als demütiges Wesen gesehen. Er darf nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern, sondern er muss versuchen, sich diesen Verhältnissen anzupassen. Hier haben wir es nicht mit einer Verbesserung der Verhältnisse zu tun, sondern mit einer „Verbesserung“ des Menschen, diese Verbesserung wird unterstützt durch Geister und Feen, irreale Figuren, die allein die Macht haben, mit Hilfe ihrer Zauberkräfte alles in einem Augenblick verändern zu können. Der einfache Mensch allein kann das nicht tun! Ein Weiterwirken des deux ex machina-Prinzips verbindet sich hier mit einer volkspädagogisch-moralisierenden Tendenz.

Diese Situation reicht bis in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts. Die ständige Zensur führt zu einer Degenerierung des Volksstückes zu einem „Bestätigungstheater“.[8]

Bestätigt wird die Selbsttäuschung des Bürgers.[9] Auf der Bühne wird die schöne Welt dargestellt, eine Welt, in der die Ordnung herrscht oder: besser ausgedrückt, eine Welt, wo die Ordnung wiederhergestellt wird. Allerdings überlebt das Volksstück und bleibt die einzige Gattung, die so etwas wie einen Wirklichkeitsbezug weiterhin wahrt. Das Volkstheater steht im Gegensatz zum bürgerlichen Theater näher beim Volk und dessen Wirklichkeit.

[...] noch um die Mitte des 19. Jhs. erkennen aufmerksame Beobachter wie Gottfried Keller im Volksstück die überlegene Kraft dieser Gattung gegenüber dem „realistischen“ bürgerlichen Theater.[10]

Der Schweizer Autor Gottfried Keller kommt in seinen Briefen gelegentlich auf das Wiener Volkstheater zu sprechen. Er sieht die Posse als lebendigen Gegensatz zum toten und sterilen Lustspiel des bürgerlichen Bildungstheaters. In der Posse könne man noch die für die Literatur so wichtige Verbindung mit Zeit und Wirklichkeit herstellen, die dem Bildungstheater verloren gegangen sei. Hier könne man noch Literatur in ihrer „Naturform“ finden, die in ihrer Struktur volkstümlich und wirklichkeitsbezogen sei und ihre Wirkung und Entstehung gerade einer engen Verflechtung von komischen Elementen und zeitgenössischen sozialen Phänomenen verdanke. Jede gute Komödie gehe aus den „Zusammenhängen des sozialen Lebens der jeweiligen Epoche“ hervor und sei im Ganzen der Zeit eingebettet. Wenn Keller vom Wiener Volkstheater spricht, sind ihm natürlich die großen Namen dieses Theaters gegenwärtig – Ferdinand Raimund und Johann Nepomuk Nestroy.[11]

Raimund und Nestroy sind die zwei bedeutendsten Persönlichkeiten des Wiener Volkstheaters. Erst mit Raimund und später mit Nestroy erlebte dieses Theater einen nie zuvor gesehenen Aufschwung, bekam also eine neue Dimension.

Sowohl mit diesen beiden Autoren als auch mit den späteren Vertretern des Volkstheaters wie Ludwig Anzengruber, Peter Rosseger, Ludwig Thoma oder Karl Valentin hat sich die Literaturwissenschaft leider erst sehr spät beschäftigt.[12]

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die Nestroy-Forschung voll ein, während sie heute beinahe unüberschaubar geworden ist.

Das Leben

Johann Nepomuk Eduard Ambrosius Nestroy wurde am 7. 12. 1801 in Wien geboren und ist am 25. 5. 1862 in Graz gestorben. Der Vater Nestroys kam aus Österreich-Schlesien, der Troppauer Gegend, als Jura-Student. Am 1. April 1797 promovierte er zum Doktor beider Rechte und heiratete am 23. 10. 1799 im 34en Lebensjahr Maria Magdalena Constantin, die Tochter des wohlhabenden Josef Constantin und dessen Frau Franziska geb. Decker. Sie hatten acht Kinder, von denen nur vier, zwei Brüder und zwei Schwestern, am Leben blieben.

Ab 1808 besuchte Nestroy die Grundschule bzw. Normalschule bei St. Anna, die er 1810 abschloss. Er wechselte 1811 an das von den Piaristen geleitete Akademische Gymnasium. Nach den schwachen Schulergebnissen, die Nestroy am Ende der drei Grammatikalklassen nachweisen konnte, wechselte er 1814 an das Schottengymnasium, wo er im Jahr 1816 die vierte Grammatikalklasse und die beiden Humanitätsklassen absolvierte.

Am 15. April 1814 starb die Mutter Nestroys an der „Wiener Krankheit“, einer unheilbare Lungenschwindsucht.

Im Jahr 1816 schließt Nestroy das Gymnasialstudium ab und bezieht 1817 die Wiener Universität. Er studiert als Sohn eines Hof- und Gerichtsadvokaten zunächst Jura in Wien, ehe er sich der darstellenden Kunst zuwendet. Immatrikuliert im Jahr 1820 an der juridischen Fakultät. Nebenbei arbeitet er als Sänger. Von 1819 bis 1822 ist Nestroy Stammsänger der Gesellschaft für Musikfreunde in Wien. 1820 lernte Nestroy auch Sprechrollen, manches speziell aus dem Bereich des volkstümlichen Theaters, kennen. Die sängerischen Ambitionen Nestroys traten trotzdem in den Vordergrund.

[...] Johann Nestroy bewegte sich in jener kunstbegeisterten Gesellschaft, die die Geistigkeit Mozarts, Haydns und Beethovens hinüberleitete in die Biedermeier-Epoche um den Wiener Kongreß (1814/15). Er gehörte der jungen Generation an, die für kurze Zeit hoffnungsvoll versuchte, das alte Erbe weiterzutragen, ehe solche Versuche in der weltschmerzlichen und vormärzlichen Zeitlage abstarben. So verwundert es nicht, dass Nestroy in einer jener Rollen schließlich am 24. August 1822 an der Hofoper (Kärtnertortheater) debütierte, die eine Symbolfigur aufgeklärter Humanität geworden war, nämlich als Sarastro in Mozarts/ Schikaneders Oper Die Zauberflöte. Das Debüt war erfolgreich: Der junge Sänger erhielt sofort einen Vertrag für zwei Jahre. Bedenkt man die damals schon wirtschaftlich prekäre Situation im Elternhaus, dann war das Engagement zweifellos ein wirtschaftlicher Befreiungsakt.

Für Nestroy begann nun die Suche nach beruflicher, nach künstlerischer Erfüllung auf der Bühne. Die Jugendjahre und deren Bildungsgang waren abgeschlossen.[13]

Von 1822-1823 verbringt Nestroy die ersten Lehrjahre am Kärntnertortheater in Wien. Am 29. 8. 1823 schließt er seine Karriere als Sänger in Wien ab und wechselt an das Deutsche Theater in Amsterdam, wo er bis 1825 bleibt. Am 7. 9. 1923 heiratet er Marie Wilhelmine Philippine von Nespiesni (1804-1870). In Amsterdam übernimmt Nestroy einige Sprechrollen in Lustspielen.

Nestroy scheint sich selbst und die Arten des Sprechdramas, in denen er auftrat, genau beobachtet zu haben. Nach dem ersten offiziellen Auftritt in einem Lustspiel folgte am 31. 12. 1823 der erste in einer Posse. [...] Offenbar machten Nestroy diese Ausflüge ins heitere bis komische Fach des Schauspiels Spaß; [...].[14]

Am 26. 10. 1825 geht Nestroy nach Brünn, wo er vom Direktor des Deutschen Theater in Brünn, Zwoniczek, engagiert wird. Dort übernimmt Nestroy auch Rollen in Sprechstücken.

In Brünn ergab sich auch die Gelegenheit, im ernsten Sprechstück aufzutreten. Schon am 7. November übernahm Nestroy aus Gefälligkeit die Rolle des Richard Harald in Therese von Artners Drama Die stille Größe und bemerkte dazu: „Ich habe die Rolle aus Gefälligkeit übernommen, sie war zugleich mein erster Versuch im seriösen Drama.“ [...] Bald gehört auch der Landvogt Gessler aus Schillers Wilhelm Tell zum Repertoire, und sorgfältig vermerkt Nestroy, dass er im 4. Akt zu Pferd erschien. Im Kontrast zu den ernsten Rollen beschäftigt man ihn auch im komischen Fach des Volkstheaters: den Kasperle spielt er in Carl Friedrich Henslers komischem Volksmärchen Die Teufelsmühle (am Wienerberg), den Hausknecht Adam in Friedrich Joseph Korntheuers Lustspiel Alle sind verheiratet [...] Es war das erste Mal, dass Nestroy schauspielerisch mit dem Volkstheater in engste berufliche Berührung kam, und zum ersten Mal erprobte er vor einem „österreichischen“ Publikum als Berufsschauspieler sein Improvisations- und Extemporiertalent.[15]

Im Mai 1826 wird er von dem Theaterleiter Johann August Stöger in Graz engagiert, wo die komischen Sprechrollen bereits die Gesangspartien überwiegen.

Im August 1831 engagiert ihn Direktor Carl ans Theater an der Wien. Das Jahr 1831 bezeichnet also den Beginn der Zusammenarbeit zwischen Nestroy und dem Direktor des Wiener Volkstheaters Karl Carl. Dort feiert Nestroy nicht nur als Schauspieler große Erfolge, sondern macht auch erste Schreibversuche, die über Textbearbeitung und kleine Vorspiele hinausgehen. 1832 erzielt er als Bühnenautor bereits beachtliche Erfolge.

Die Wendung ins Positive erfolgte dort, wo sie kaum zu erwarten war. Der Direktor des Theaters an der Wien, bisher überaus erfolgreich, geriet in unvorhergesehene Schwierigkeiten, die mit der Entwicklung des volkstümlichen Theaters und des Publikumsgeschmacks zusammenhingen. Karl Carl hatte bislang höchst verschiedene Ware geboten, von der Tragödie bis zur Oper, von Virtuosenkonzerten bis zu gymnastischen Kunstvorführungen; insbesondere hatte er das volkstümliche Theater gepflegt: Er selbst war ein sehr guter Komiker, für drollig lustige Rollen hatte er den in seiner Art unübertrefflichen Wenzel Scholz im Esemble und auch Friedrich Hopp trug mit seiner Komik bei, auf diesem Gebiet das Niveau zu halten. Freilich, dem Leopoldstädter Theater, der alten Triumphstätte volkstümlicher Komik, konnte er damit das Wasser nicht abgraben. Da kam ihm der günstige Augenblick zu Hilfe. Als Ferdinand Raimund die Direktion des Leopoldstädter Theaters zurücklegte und frei wurde, setzte Karl Carl alles daran, diesen großartigen Künstler für sein Haus zu gewinnen und – hatte Erfolg. In der Saison 1830/31 spielte Raimund seine große Rollen am Theater an der Wien. Nun wurde zweierlei deutlich: zunächst dass Raimunds überragende Schauspielkunst das Duo Carl und Scholz auf das Vorteilhafteste ergänzte, ja noch mehr, sinnvoll anführte; dann – dass die alten Stücke von Gleich, Meisl, Bäuerle, Hensler usw. nur in ihren besten parodistischen und possenhaften Leistungen nicht überholt waren, im übrigen aber zu veralten begannen. Raimund hatte einen neuen Weg eingeschlagen, der die Publikumserwartungen voll erfüllte, der andere – nämlich der konsequente Ausbau der Posse als satirischer Spiegel der Gesellschaft - war noch nicht einmal betreten worden. Als Raimunds triumphales Gastspiel zu Ende ging und Carl den Künstler nicht mehr zu halten vermochte, wurde die prekäre Lage des Theaters an der Wien deutlich. Carl brauchte dringendst einen Autor, der ihm jene Possen lieferte, deren neue Gestaltungsart gleichsam in der Luft lag, und einen Komiker, der in diesem Genre darstellerisch glänzte. Beides fand er in Johann Nestroy. Mit sicherem Theaterinstinkt band Carl den selbst in größter Verlegenheit Befindlichen an sein Haus, freilich ohne zu ahnen, dass dieser Nestroy in einem Erfolgszug ohnegleichen das Volkstheater im Theater an der Wien und im Leopoldstädter bzw. Carl-Theater zu einem – historisch nach Raimund – zweiten Höhepunkt, der weit über die habsburgisch-österreichischen Grenzen hinaus bejubelt wurde, führen würde.[16]

Den größten Durchbruch als Autor erreicht er mit seinem Stück „Lumpazivagabundus“ 1933. Dieses Stück wird, wie ich später noch ausführlicher erwähnen werde, zum meistgespielten Werk Nestroys.

Nestroy ist und gilt als Leitfigur des vormärzlichen Wiener Volkstheaters. Als Schauspieler erringt er das Interesse des Publikums. Das gelingt ihm hauptsächlich in Zusammenarbeit mit Karl Carl, Scholz, Grois und Treumann, für die er seine Rollen schreibt. Nachdem er mit Carl an das Theater in der Leopoldstadt gewechselt ist (1845), übernimmt er im Jahr 1854 die Direktion dieses Theaters. Dank seiner Talente und mit Hilfe seiner Frau Marie Weiler erreicht Nestroy auch hier einen großen Erfolg. Am Ende seines Lebens zieht er sich nach Bad Ischl zurück und später nach Graz, wo er 1862 auch stirbt.

Die Bedeutung Nestroys

Nestroy ist von verschiedenen Kritikern als der „österreichische Shakespeare“ bezeichnet worden. Er gilt als der größte Lustspieldichter Österreichs.

Im Großen und Ganzen ist er in vielem Urvater und Wegbereiter der modernen österreichischen Theaterdichtung (Anzengruber, Horvath, Soyfer, Bauer, Jelinek).[17]

Nestroy entwickelt in seinem literarischen Schaffen konsequent die Tradition des Wiener Volkstheaters weiter. Er dominiert das Wiener Theaterleben vom Biedermeier über den Vormärz bis zur Revolution. Er ist auch nach der Revolution von 1848 wichtig geblieben.

Nestroy bringt einen neuen Stil in seine Stücke, der von den Zeitgenossen als ganz eigenartig empfunden wird: er ersetzt die liebenswert-heiteren Feenmärchen und romantisch-humoristischen Phantasiekomödien, die im Schaffen Ferdinand Raimunds einen letzten Höhenflug erlebt haben, durch ein zeitgemäßeres, teils realistisch-satirisches, teils sozialkritisches Volkstheater und reflektiert damit wie ein Seismograph die gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit, stets pendelnd zwischen Provokation und scheinbarer Angepasstheit.[18]

Nestroys frühe Possen hatten nichts mit der harmlosen und idyllischen Biedermeierdramatik eines Raimund, Meisl oder Gleich zu tun. Er fühlte sich der sozialen Wirklichkeit der Wiener Nachkongressgesellschaft verpflichtet und griff in seinen Stücken realhistorische Probleme auf, die das kleinbürgerliche – und nicht etwa das großbürgerliche – Publikum im Theater behandelt sehen wollte.

Ähnliches lässt sich über den Schauspielstil Nestroys sagen, der in genauem Gegensatz zu Raimunds psychologischer Darstellungsweise stand. Nestroy griff auf die alten Hanswurstgestalten, die komischen Outsiderfiguren der Gesellschaft zurück und entblößte mit seinem aggressiven Witz die Dummheit und Brutalität der gesellschaftlichen Stützen des Metternich–Regimes. Nestroys hässlicher Naturalismus und seine wahrheitsgetreuen Milieuschilderungen waren für das Wiener Theaterpublikum ein Novum, mit dem es sich nur schwer anfreunden konnte.[19]

Nestroy muss aber auch mit der staatlichen Zensur, mit Kritikern und der Reaktion des Publikums rechnen. Trotzdem gelingt es ihm, dem Wiener Volkstheater einen nie vorher erreichten Ruhm zu geben. Seine überragenden Erfolge werden zu seinen Lebzeiten vor allem seiner magischen, dämonischen Ausstrahlung als komischer Charakterspieler zugeschrieben.[20] Trotzdem ist Nestroy zu seinen Lebzeiten, wie auch kurz nach seinem Tod, nicht genauer untersucht und richtig bewertet worden. Noch Jahrzehnte nach seinem Tod wird die sprachliche, theatralische und dramaturgische Qualität seiner Stücke oft und viel unterschätzt. Einer der ersten und berühmtesten Kritiker, der sich mit Nestroy ernsthaft beschäftigt hat, ist Karl Kraus, der die wahren Werte Nestroys erkannt hat.

Erst Karl Kraus leitet eine Wiederentdeckung ein, befreit N[estroy] vom Klischee des witzigen Wiener Dialekt-Dichters und erkennt in ihm den großen Theaterdichter deutscher Sprache, dessen Werke – über das Lokale weit hinausreichend – inhaltlich und formal zeitlose Gültigkeit haben und deshalb auch heute zu den meistgespielten Theaterstücken im deutschsprachigen Raum zählen.[21]

Nestroys Stücke sind überwiegend Übersetzungen und Bearbeitungen fremdsprachiger Vorlagen. Seine Volksstücke, Possen, Travestien und Parodien (auf Grillparzer, Meyerbeer, Holtei, Hebbel und Wagner) basieren fast durchwegs auf fremdsprachigen Roman- oder Stückvorlagen, die inzwischen mit Recht vergessen sind. Sie sind immer mehr oder weniger durchsetzt mit Gesangseinlagen (Couplets, Chören, Duetten, Quodlibets), welche die Handlung teils distanziert reflektieren, teils situationsbezogen akzentuieren.[22]

Vor allem gilt Nestroy als scharfer Kritiker. Mit Satire, Witz und Ironie greift er auf die Menschencharaktere zu. Alle seine Werke sind geprägt von desillusionierender, absoluter Skepsis gegenüber menschlichem Verhalten und gesellschaftlichen Entwicklungen jeglicher Art. Gnaden- und wahllos kritisiert er die negativen Seiten bzw. Phänomene, die die österreichische Gesellschaft dieser Zeit klar aufweist. Unerbittlich zeigt er menschliche Abgründe und Schwächen, prangert sie an, doch ist stets Sympathie für die kleinen Leute spürbar, letztlich auch eine tiefversteckte moralische Utopie.[23]

In seinem Werk distanziert sich Nestroy von der bisher herrschenden Vorstellung des von Geburt an sündigen Menschen, wie es zum Beispiel bei Raimund der Fall war. Der Mensch kommt in diese Welt unschuldig, es sind die Umwelt, die Gesellschaft, die sein Verhalten prägen. Der Mensch wird zum Guten und Schlechten gedrängt durch seinen Verkehr mit den anderen Menschen. Ob er lächerlich wird, ob ein Held, ein Pantoffelheld oder was auch immer, ist nicht Sache des Schicksals, sondern Frage des Wollens. Nestroy überwindet schon mit dem Stück „Lumpazivagabundus“ das alt gewordene Modell des hilfreich eingreifenden Magiers, der das menschliche Verhalten ändern kann und alles zum Guten wendet, er breitet in seinem Werk den sozialen Aspekt aus. Ein Ausspruch von Nestroy selbst kann das besser illustrieren.

Wenn der Zufall zwei Wölfe zusammenführt, fühlt gewiss keiner die geringste Beklemmung über das, dass der andere ein Wolf ist; aber zwei Menschen können sich nie im Wald begegnen, ohne dass nicht jeder denkt, der Kerl könnte ein Rauber sein.[24]

Das zeigt die Kompliziertheit, vor allem die latente Bösartigkeit des menschlichen Wesens, die Nestroy in seinem Werk darzustellen und zu problematisieren unternommen hat.

Denn hier war aus der altwienerischen Spektakeltradition und den literarischen Residuen des Barocks ein Volkstheater ganz neuer Prägung, nämlich aggressivster satirischer Komik, entstanden, hier wurde von einem Scharfäugigen dem Volk aufs Maul gesehen, wenngleich sehr oft nicht nach dem Mund geredet. Das Fundament, das wir meinen, ist das damalige österreichische Deutsch: die Hochsprache, Umgangssprache, vor allem aber die Wiener Mundart. Nestroys Genie schöpfte aus dieser reichen, polychromen, überaus bildhaften Nationalsprache; seine spezifische Wortakrobatik, sein Wortspielbetrieb sind sozusagen Elementarereignisse, die in einer annähernd gleichwertigen sprachlichen Kollektivsituation auftreten. Diese kulturelle Landschaft, der Urgrund zwar bajuwarisch, deren Nährboden oder Humus jedoch exquisit österreichisch war, sehen wir, zu Nestroys Lebenszeit, unter gewittrigem Vormärz-Licht und von politischen Geistesblitzen erhellt. Dialekt und Dialektik waren damals eins, bei Nestroy werden sie zur tödlichen Waffe eines genialen satirischen Temperaments.[25]

In seinen Stücken kombiniert Nestroy den Dialekt mit Hochsprache mit dem Ziel, die Möglichkeiten der Sprache auszuloten und zugleich die Sprache selbst zu verfremden:

Das raffinierte Wechselspiel von Dialekt und (meist aufgesetzter) Hochsprache entlarvt nicht nur die Charaktere bzw. deren soziale Herkunft und Befindlichkeit, sondern vereinigt sich bei Nestroy zu einer ungemein rhythmischen und präzisen Art von Kunstsprache, deren stärkste Aphorismen und Wortbilder als Zitate wieder in den Volksmund eingegangen sind.[26]

Dass das Spiel mit der Sprache nicht nur „spaßig“ oder Selbstzweck ist, sondern durchaus auch politische Dimension gewinnt – um z. B. der Zensur zu entgehen –, versteht sich.

Auf diese Weise und mit diesen Mitteln gibt Nestroy den tradierten und bewährten Komödienschemata einen neuen Schwung und, innerhalb dieser Rahmen bleibend, verleiht er durch seine Sprache der Komödie ein ganz eigenartiges Gesicht. Nestroy experimentiert ab und zu mit neuen Spielarten, erreicht aber nicht immer den gewünschten Erfolg und verzichtet, sobald er bemerkt, dass das Publikum derartige Formen nicht versteht.

Wie schon oben erwähnt, ist der Sprachkünstler Nestroy erst sehr spät verstanden worden. Das hat er selbst vorausgeahnt.

„Ich beleidige die ganze Welt, weil die ganze Welt mich beleidigt“[27], donnert der Dichterfürst in die schicke Tischgesellschaft und verlässt wutentbrannt das Dinner, das ihm zu Ehren angerichtet wurde. Grund des Eklats: Er hat gerade mit der Lesung seines neuesten Stückes Perlen vor die Säue geworfen und nur Grunzen geerntet.[28]

inzwischen kann man von einer Nestroy-Renaissance sprechen. Sprach- und Theaterwissenschaftler beschäftigen sich immer mehr mit Nestroys Schaffen. Nestroy kommt immer mehr auf die Bühne. Was aber immer fehlen wird, glaube ich, ist der Schauspieler Nestroy. Sein Spiel muss einmalig gewesen sein. Man muss hier erwähnen, dass einige seiner Stücke nur wegen seines Spiels im Repertoire geblieben sind. Seine Mimik und Gestik haben, wie von den Chroniken der Zeit berichtet wird, das Publikum total beeinflusst und fasziniert.

Die Gestalt Johann Nestroys, die literarische wie die theatergeschichtliche, wird heute vor allem den Sprachliebhaber fesseln. Vielleicht war Nestroy, der Komödiant, größer als Nestroy, der Possendichter; leidenschaftlich bejahende und auch ablehnende bis hasserfüllte Augen- und Ohrenzeugen dieses zweifellos einzigartigen historischen Phänomens könnten eine solche Annahme nahe legen. Da uns aber Nestroys Schauspielkunst nicht im lebenden Bild oder in der Tonwiedergabe, sondern nur im berichtenden, meist verzerrenden Wort der Zeitgenossen überliefert ist, halten wir uns, wo immer möglich, an den Dichter selbst, der uns gleichfalls durch das Wort, nur eben aus erster Hand, gegenwärtig wird. Die Unstimmigkeit dürfte gerade bei Nestroy keine schwerwiegende sein: aus dem Schauspieler springt der Sprachkünstler, aus dem Sprachkünstler der Schauspieler heraus.[29]

Nestroy musste eine enorme Arbeit leisten. Das Theater war eine Industrie, die ihre eigenen Gesetze hatte, und zwar jene des freien Marktes. Nestroy musste produzieren und gefallen. Daraus folgt auch, dass nicht alle seine Stücke das gleiche Niveau aufweisen.

Die Not und Nötigung Nestroys bestanden darin, dass er zumeist in großer Hast für den Tagesbedarf schreiben musste. Er konnte und wollte mit seinen Dialogen dem Schauspieler (sich selbst und den Kollegen) nur eine Handhabe bieten.[30]

Nestroy hatte also nicht nur nicht genug Spielraum, um sogenannte „hohe“ oder „wertvolle“ Literatur zu verfassen, er verstand sich auch selbst nicht als Dichter, sondern als Textfabrikant.

Nestroy hielt sich keineswegs für einen Literaten, und schon gar nicht war er einer, der mit einem Auge nach postumem Ruhm schielte; er hielt sich lediglich für einen Lustspiellieferanten (wie es damals, in der theaterfreudigen Biedermeierzeit mit ihrem raschen Verschleiß an Stücken viele gab), für einen passable Possen zuschneidernden Schauspieler, der in Stoffwahl und Ausführung nicht zimperlich sein durfte, weil er für die unersättliche Theaterkasse arbeitete.[31]

Die Themenschwerpunkte der folgenden Analysen sind die Tradition des Zauberspiels („Der konfuse Zauberer“), die Tradition des Wiener Volkstheaters („Lumpazivagabundus“), die Funktion der Sprache („Der Talisman“) und die Rolle der Revolution („Freiheit in Krähwinkel“).

„Der konfuse Zauberer“ - Nestroy in der Tradition der Zauberspiele

Die Tradition des Zauberspiels

Raimund und Nestroy sind zwei Größen des Volksstückes, die aber verschiedene Wege in ihren theatralischen und schauspielerischen Laufbahn einschlugen.

Die literarisch-ästhetische Kritik verfolgte aufmerksam, z. T. Grenzen setzend, z. T. neue Möglichkeiten andeutend, z. T. theaterpraktisch Erarbeitetes anerkennend, den Aufstieg einer bislang abgewerteten Gattung. Man begriff, dass hier ein Anspruch der seinerzeitigen Aufklärung weitergeführt und gleichsam durch das Theater permanent öffentlich gehalten werden konnte: menschliche Torheiten, Unzulänglichkeiten im Bereich des Gesellschaftlichen wie des Privaten lächerlich zu machen. Die Posse wurde so zu einem biedermeierlich – vormärzlichen künstlerischen Ventil, welches half, das Ungenügen an der Gegenwart spielerisch anzugehen, vielleicht auch zu überwinden. Nestroys Talent fand hier seine Erfüllung.[32]

Raimund, der Erneuerer des Volkstheaters, wie er sich selbst bezeichnet, treibt die Entwicklung des Volkstheaters voran, indem er sich ihm entgegenstellt.

Ehe Nestroy diesen Weg ging, suchte Ferdinand Raimund aus dem älteren Lachtheater der Schikaneder bis Bäuerle eine andere, ihm näher stehende Konsequenz zu ziehen. Dass das Lachtheater der Wiener Vorstadtbühnen eine diätische Funktion, eine die Seele stabilisierende, über die Sorgen und Belastungen des Alltags hinausführende Aufgabe hatte, wusste er ebenso gut wie der jüngere Nestroy. Nur: Raimund machte sich die andere Botschaft der Aufklärung zunutze und suchte die Frage nach der Erlangung irdischen Glücks und Zufriedenheit mit den Maximen der inneren, seelisch-geistigen Reform des Menschen zu beantworten, wie sie gleichzeitig auf verwandten Wegen im anspruchsvollen Hochstildrama Grillparzer für sich erarbeitete. In solchem Sinn wurde für Raimund die Dramatik von Lessing bis Schiller und Goethe vorbildlich. Da er außerdem – im Unterschied zu Nestroy – eine ausgesprochene Begabung hatte, Handlungen und Charaktere, mit einem Wort dichterische Welten von großer Einprägsamkeit zu erfinden, lag es ihm nahe, durch seine Stücke das Volkstheater der Sphäre des höheren Theaters anzunähern. Das brachte Raimund höchste Bewunderung ein, denn seine Verbindung von Komik, Humor und tiefer Lebensweissheit, die Gemüthaftigkeit seiner Stücke und das geniale theatralische Geschick, die Realhandlungen mit übersinnlichen Vorstellungswelten sinnbringend zu verknüpfen, waren Kennzeichen einer bedeutenden theatralisch-dichterischen Kraft. Raimund erntete jedoch ebenso Kritik. Wem das Possentheater ein Anliegen war, und wer die satirische Aggressivität der heiteren Gemüthaftigkeit vorzog, der wusste mit Raimunds Kunst weniger anzufangen.[33]

Raimund gilt zwar nicht als ein revolutionärer Autor. Der Gedanke an eine Revolution passt nicht in sein Weltbild. Für ihn liegen das wahre Glück und die wirkliche Größe des Menschen in der Selbstbescheidung. Maß, Beschränkung, freiwilliger Verzicht gehören zu den höchsten Tugenden des Menschen, so Raimund[34]: die ideale biedermeierliche Haltung, die in den Zauberstücken von Raimund verkörpert ist.

Das Zauberstück „Der konfuse Zauberer oder Treue und Flatterhaftigkeit“[35] wurde am 26. September 1832 aufgeführt. Zum letzten Mal wurde das Stück im Jahr 1839 gegeben, insgesamt wurde das Stück 24 Mal gespielt. Das Stück steht zum Teil in der Tradition der Zauberspiele, inhaltlich weist das Stück wesentliche Brüche mit der Tradition des Zauberstückes und des Volkstheaters auf. Ein solcher Bruch besteht etwa darin, dass der Konflikt nicht wie etwa in Raimunds Stück „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ bloß den Menschenkreis betrifft, sondern auch den Zaubererkreis. Eine Vermischung von Menschen- und Zaubererfiguren und der diesen zugeordneten Konflikte ist in dem Stück Nestroys durchgängig. Raimunds Rappelkopf könnte Nestroys Schmafu sein, und Raimunds Alpenkönig könnte an die Stelle von Nestroys Konfusius treten. Und doch machen gerade die Übereinstimmungen die Unterschiede deutlich. Selbstverständlich gibt es wesentliche Merkmale des Zauberspiels bei beiden Stücken, aber hier handelt es sich doch um einen riesigen Unterschied, der nicht nur die Charaktere, sondern auch die Konzeption des Zauberstückes an sich betrifft. Es gibt in diesem Stück Nestroys keine Guten und keine Bösen, alle sind gleich.

Ein Rückblick auf die Tradition des Wiener Volks- und Zaubertheaters soll diese Erneuerung des Zauberstückes durch Nestroy ausführlicher veranschaulichen. Es ist hier nicht möglich, die Entwicklung des Altwiener Theaterlebens genauer auszubreiten. Otto Rommel beschreibt in seiner Nestroy-Studie, wie das Altwiener Volks- und Zauberspiel

schon um die Mitte des 17. Jahrhunderts in der Oper des Hofes und den glanzvollen Kaiserspielen der Jesuiten einen ersten Höhepunkt erreichte und also schon eine jahrhundertalte, seit Anfang des 18. Jahrhunderts die ganze Breite und Tiefe des Volkslebens erfassende Entwicklung von staunenswerter Originalität hinter sich hatte, als Nestroy 1832 maßgebend und gestaltend in sie eingriff. Handelt es sich doch um ein Phänomen, das sich über mehr als ein Vierteljahrtausend erstreckt und sich in mehr als hunderttausend Aufführungen entfaltet. Nur zwei bezeichnende Momente seien herausgehoben. Das erste ist der gleichnishafte Charakter, der in Wien dem Theater zukommt. Er tritt besonders eindrucksvoll in der barocken Epoche hervor. Was sich auf den Bühnen der prächtigen Oper des Kaiserhauses und der nicht minder prächtigen Theaterhäuser der Jesuiten abspielte, erhob niemals den Anspruch, eine Abspiegelung der Wirklichkeit zu sein, aber es repräsentierte das Leben, wie die Epoche es sah. Auch die geistlichen Dramen, in welchen ohne Bedenken antike Gottheiten neben Heiligen und Aposteln als Vertreter der metaphysischen Welt erscheinen konnten, schied ihr gleichnishafter Charakter deutlich von der Zone der Devotion, der zum Beispiel die in ein kultisches Zeremoniell eingebauten Fronleichnamsspiele noch angehören. Auch die Oper des kaiserlichen Hofes stellt grundsätzlich nicht die wirkliche, sondern eine fiktive Welt dar, die aber die wirkliche „bedeutete“, d. h. irgendwie repräsentierte und normativ bestimmte. Nur aus diesem sicheren Verständnis für das Fiktive und Repräsentative im Wesen des Theatralischen heraus ist z. B. die erstaunliche Lebenskraft des Altwiener Zauberstückes zu verstehen, das sich mit lächelnder Selbstverständlichkeit inmitten der mondänen Skepsis der Kongresszeit behauptete. In Wien wurde Theater nie mit Wirklichkeit verwechselt.[36]

Nestroys Stück „Der konfuse Zauberer“ bringt – wiewohl in der Tradition des Zauberstücks stehend – neue Akzente. Im Unterschied zu dem nur bombastisch-irrealen Märchenstück verzichtet Nestroy nicht darauf, Realität in seine Stücke einzubringen.[37]

Besonders in diesem Stück ist die Vermischung von Mensch- und Zauberwelt eine permanente. Im Handlungsbereich dieses Stückes bilden Menschen und Zauberer eine Einheit, ihr Handeln kennt keine Grenze.

Nestroy gibt den Geistern und Zauberern sehr wohl Namen, die in der Tradition des barocken Allegorie-Stücks sowie in jener des volkstümlichen Zauberspiels stehen: „Flatterhaftigkeit“, „Schmafu“ oder „Eigensinn“, was für das Volksstück typisch ist. Was in Nestroys „Der konfuse Zauberer“ fehlt, ist eine Figur, die über allem und allen thront, die – wie z. B. in Raimunds „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ der Alpenkönig - sich um Frieden zwischen den Menschen bemüht.

Die Geschichte des Stücks ist eine Liebesgeschichte im Zauberermilieu. Schmafu ist seit 25 Jahren in Flatterhaftigkeit „frisch“ verliebt, kann sie aber nicht heiraten, weil sie seit 25 Jahren von der Fee Treue, die den Schmafu liebt, in einen Zauberschlaf versetzt ist. Diesen an sich trivialen Konflikt nimmt Nestroy als Ausgangspunkt, um ein Szenario des Durcheinander und der Konfusion zu entwerfen. Alle, egal ob Diener oder Herren, sind in dieses Spiel involviert. Wie oft bei Nestroy, wie z. B. auch bei „Lumpazivagabundus“, sind es die einfachen Leute, Diener und Wächter, die das Spektakel eröffnen. Sie enthüllen von Anfang an, was hinter den prächtigen Palästen steht:

CHOR:

Jetzt kommen wir erst von der Wacht,

Wo wir geschlafen d’ ganze Nacht,

Erstatten schnell den Rapport

Und gehen dann zur Ruhe fort.

Nein, die Strapazen in dem Haus,

Die halt’ der Teuxel länger aus;

Beim Eigensinn im Dienst zu sein,

Das ist die allergrößte Pein. (I, 1)

Nur die Namen Dienstbare Geister zeigen, dass es sich hier um Zauberer und Feen handelt. Ansonsten würde man sie für ganz gewöhnliche Sterbliche halten. Nestroy zeigt auf diese Weise ein sehr vermenschlichtes Feenreich. Es ist kein abgehobenes Reich der Freuden und des Allesvermögens, in dem höchstens Liebesprobleme die Ruhe stören, sondern ein Reich mit faulen Dienern und grantelnden Herren.

Warum im Dienste von Eigensinn zu sein, die allergrößte Pein ist, zeigt das Gespräch zwischen Eigensinn und seinen Geistern, die witzigerweise Diener sind. Der Eigensinn, seinem Namen entsprechend, ist eigensinnig, unentschieden, konfus, weiß nicht, was er will, nur eines ist klar: Er widerspricht allen und allem, auch wenn es gegen ihn selbst losgeht. Er ist einer Logik des Widerspruchs verpflichtet:

EIGENSINN: Mein Frühstück!

ERSTER GEIST: Euer Gnaden sagen ja immer, ‚s Frühstücken tut ihnen nicht gut.

EIGENSINN: Grad deswegen. Marsch! (Erster Geist ab.)

[...]

ERSTER GEIST (kommt zurück): Die mächtige Fee ist draußen, die Treue.

EIGENSINN: So? Die Treue.

ERSTER GEIST: Soll ich ihr sagen, dass sie herein kann?

EIGENSINN: Nein, du sagst ihr’s just nicht. (Auf den dritten Geist deutend.) Der wird ihr’s sagen. Marsch! (der dritte Geist geht ab.) Soll ich ihr entgegengehn? (Geht einige Schritte, dann bleibt er stehen.) Nein, just nicht! (I, 2)

Die Konflikte der „mächtigen“ Zauberer sind die Alltagsprobleme der Menschen: Treue, Untreue, Hass, Eifersucht und Intrigen. Die Treue liebt Schmafu und hasst die Flatterhaftigkeit, Schmafu seinerseits liebt die Flatterhaftigkeit und hasst die Treue. Die Handlung nimmt den Anstoß von Amoroso, dem Neffen des Schmafu, und Amanda, der Nichte der Treue, die ineinander verliebt sind und heiraten wollen. Ihre Funktion ist es, das Spiel in Gang zu bringen. Die Liebenden sind ja – das ist alte Tradition der commedia dell’arte – selbst völlig ohnmächtig und farblos. Sie sind ohne Individualität, treten immer nur zu zweit auf, reden in Floskeln, haben praktisch keine Kraft, etwas zustande zu bringen. Auch bei Nestroy spielen die Liebenden keine bedeutende Rolle, wie das Thema „Liebe“ selbst auch nicht. Dieses Thema dient nur als Ausgangspunkt für die Entfaltung der Konflikte. Amoroso und Amanda können nicht ohne Schmafus Einwilligung heiraten. Nun nützen die Treue und Schmafu diese Situation, um Rache zu üben. Amoroso und Amanda dürfen heiraten, so Schmafu, wenn die Treue dem Schmafu den Ring mit dem Talisman gibt, mit dem sie die Flatterhaftigkeit schlafend hält. Die Liebenden sind in diesem Fall kraftlos, sie sind Opfer des Widersinns der anderen handelnden Figuren.

AMANDA und AMOROSO: Mächtiger Zauberer!

EIGENSINN: Was steht zu Diensten?

AMOROSO: Sie nur können uns erretten.

EIGENSINN: Nein, just nicht!

AMANDA: Warum wollen Sie unser Unglück? Aus welchem Grund?

EIGENSINN: Aus gar keinem Grund; ich bin halt der Eigensinn, ich hab’ nie einen andern Grund. (I, 3)

So wie der Eigensinn eben in der Befolgung seines Eigensinns nicht mehr eigen-sinnig ist, d.h. nicht länger zu seinem eigenen Vorteil oder in seinem eigenen Interesse handelt, d. h. aus lauter Eigensinn aufhört, eigensinnig zu sein, oder: seinen Eigensinn selbst unterläuft, so kommt die Treue aufgrund ihres Treuseins, ihres an der Zeit-Festhaltens „aus der Mode“.

EIGENSINN: Wie geht’s Ihnen denn immer, Frau von Treu’?

TREUE: Wie können Sie fragen! Miserabel! Ich komm’ ganz außer Mode. Wenn ich mir nicht in den schwärmerischen Zeiten einen prächtigen Feensitz gegründet hätte, so wär’ ich jetzt betteltutti.

EIGENSINN: Warum denn? Es gibt ja Verliebte genug.

TREUE: Aber von der Treue wollen s’ nichts wissen, höchstens bei zwei Verliebte auf’n Land find ich noch auf drei Tag’ eine Unterkunft. (I, 3)

Dass die Treue zudem eine Adelige ist, eine Frau „von“ Treu, die trotz prächtigem Feensitz kurz vor dem Ruin steht, ist mehr als eine lustige Pointe. Es ist auch eine Anspielung auf einen degenerierten Adel, der keine Zukunft mehr hat.

Ist Nestroy ein Revolutionär, ein Kritiker der Monarchie oder einfach ein neutraler Beobachter? Vielleicht alles zusammen. Die Rede von der Treue ist auf jeden Fall doppeldeutig. „ Aber von der Treue wollen s’ nichts wissen “. Das meint nicht nur die alternde Frau, die keinen Liebhaber mehr findet, sondern auch die Monarchie, die nicht mehr so populär und beliebt im Volk ist. Doch mehr als die politischen Verhältnisse im Wien des Biedermeier stehen die Widersprüchlichkeiten der Menschen im Vordergrund.

So wie sich der Eigensinn und die Treue in der Befolgung ihrer Wesenszüge selbst widerlegen, so steht Schmafu – schon aufgrund seines Namens – für die typische Wiener Gemütlichkeit zwischen Resignation und Leichtigkeit. Das prahlerische Gehabe – „Ich schlag’ alles nieder, was mir in den Weg tritt“ (I, 3) – kontrastiert mit seiner Unterwürfigkeit vor der Treue.[38]

In dieser Unentschiedenheit seiner Gefühle, Aussagen und Handlungen ist Schmafu dem Konfusius vergleichbar, bei dem sich Bequemlichkeit und Ausreden die Waage halten:

KONFUSIUS (nachspottend): Geheißen? – Kein Mensch hat mir’s g’heißen. –

Unglückliche Lieb’ – und dann, als Bauerknecht war mir die Arbeit zu viel, das Schafhüten hat den Geist zu stark ang’strengt, ich bin teils aus unglücklicher Liebe, teils aus Kommodität Seeräuber worden. (I, 12)

Nestroy schwingt sich bereits hier zur Brillanz eines Sprachwitzes auf, wie wir ihn in seinen späteren Possen wiederfinden werden.

KONFUSIUS (allein): Ah, das ist nicht übel, jetzt steh’ ich frisch! Jetzt haben s’ mich ang’hängt, und wenn mich wer erkennt, so wird’ ich aufg’hängt; ich komm’ aus der Hängerei gar nicht heraus. (I, 12)

Die Brutalität, die sich hinter dem scheinbaren Witz verbirgt, findet sich bei Raimund nicht.

In diesem Stück haben wir nicht nur ein Individuum, wie etwa Rappelkopf, der negativ ist, über den gelacht und der gebessert wird, nein, hier enthüllen sich alle Subjekte als fehlerhaft, alle Charaktere werden zugrunde problematisiert, in einer übertriebenen Form sind alle Subjekte Objekt des Lachens und Humors.

PEPPI: Euer Gnaden brauchen einen Dienstboten?

SCHMAFU: Das versteht sich von selbst, oder glaubt Sie, dass ich mir mit meinem Schmerz selbst aufbetten und auskehren soll? – Wie grausam doch die Welt urteilt! – Wie alt ist sie?

PEPPI: Achtzehn Jahr’.

SCHMAFU: Ist das alt? Achtzehn Jahr’ ist jung, und ich hab’ gefragt: wie alt sie ist.

PEPPI: Auch achtzehn Jahr’.

SCHMAFU: Das hat Sie gleich sagen sollen. Wo hat Sie früher gedient? (II, 3)

Wird der Konflikt in „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ vom Alpenkönig gelöst, gibt Nestroy diese Funktion einem Menschen, also dem Konfusius, der den Talisman findet. Dieser Einfall erweist sich als wichtiger Tabubruch, denn endlich hat ein Mensch Macht gegen die Feen und Zauberer erlangt: etwas Neues in der Tradition des Zauberstückes. Bemerkenswert ist der ironische Zugang der Zauberwelt, Magie gegen Magie, das gab es noch nie:

WÜNSCHELTRUD: Ja, aber halt ein Wunderwasser zu bereiten, was bei einem Manne angreift, das ist eine kuriose Aufgabe, denn die Männer sind heutzutage mit allen Wässern g’waschen.

TREUE: Da nimm das Geld! (Gibt ihr eine Börse.) Wird dieser Trank dem Magier Liebe einflößen zu mir?

WÜNSCHELTRUD: Gewiss, wenn Ihr ihn recht gebraucht.

TREUE: Wie muss ich ihn gebrauchen?

WÜNSCHELTRUD: Ihr lasst ihm durch die dritte Hand nur einige Tropfen davon in den Wein mischen, dann sucht sein Herz zu rühren, den Hass gegen Euch zu verbannen und seine Liebe zu gewinnen. Gelingt Euch dies, dann habt Ihr seine Liebe gewonnen, und er liebt Euch auf den Liebestrank gewiss.

TREUE: Ha, Hex’, ich glaub’, Sie will mich für ein’ Narren halten.

WÜNSCHELTRUD: Das will ich nicht, das hab’ ich schon, als Ihr mir bares Geld für klares Wasser bezahltet! – Hahaha! Empfehl’ mich für ein andermal. (Trippelt fort) (I, 14)

Konfusius erweckt die Flatterhaftigkeit aus ihrem Schlaf, und zusammen mit Schmafu übersiedeln sie in die Stadt. Mit nehmen sie auch den Argwohn und die Eifersucht. Wohl Merkmale einer Stadt, wo das Leben einen anderen Rhythmus hat. In der Stadt wird auch Schmafu ein anderer Mensch. Treu ist er nicht mehr, sondern mit verschiedenen Geliebten macht er es sich gemütlich. Die Stadt entwertet alles Menschliche und Sittliche, alles ist Trug, nur Schein:

SCHMAFU: Haben Sie nicht eine Schwester?

COMIFO: Wie können Sie glauben, dass ich bloß eine Schwester hab’? Ich hab’ noch mehr, ich hab’ eine Fräul’n Schwester.

SCHMAFU: Heißt Ihre Schwester nicht Amalie?

COMIFO: Manchmal heißt sie Amalie, manchmal Emilie, es kommt darauf an, in welchem Verhältnis sie sich bewegt. (III, 7)

Alle Figuren in diesem Stück sind mehr oder weniger untreu, und alle haben eine Ausrede:

KONFUSIUS: Sie wollen also nicht mein sein? Sie sind verliebt in Ihren Gemahl und, schau’n Sie, ich könnt’ ihn schwarz machen bei Ihnen, kohlschwarz – ich könnt’ Ihnen sagen, dass Ihr Gemahl Ihnen untreu ist.

FLATTERHAFTIGKEIT: Ha!

KONFUSIUS: Dass er eine Amour hat.

FLATTERHAFTIGKEIT: Nicht möglich!

KONFUSIUS: Mit meiner Schwester.

FLATTERHAFTIGKEIT: Schändlich!

KONFUSIUS: Dass er jetzt bei ihr ist.

FLATTERHAFTIGKEIT: Abscheulich!

KONFUSIUS: Dass er mit ihr durchgehen will.

FLATTERHAFTIGKEIT: Zu viel, zu viel für dies Herz.

KONFUSIUS: Alles könnt’ ich Ihnen sagen, wenn ich was ausplauschen wollt’, aber ich bin ein Mann und weiß Geheimnisse zu bewahren.

FLATTERHAFTIGKEIT: Also so macht er’s? Und ich sollte keinen Zoll breit, Wienermaß, vom Pfad der Tugend weichen?

KONFUSIUS: Rächen Sie sich, gehen Sie etwas mit mir. (III, 17)

Die Mittel rechtfertigen das Ziel, und so entsteht ein Durcheinander, ein wechselseitiges Betrügen, das ist das Leben in einer Stadt. Zwischen „Himmel“ und „Erde“ ist kein Unterschied sichtbar.

Eine Ähnlichkeit mit dem „Alpenkönig“ kommt in der 23. Szene (III. Akt) vor, als der Konflikt eskaliert. Während Raimund den Konflikt ohne Schießereien löst, erlaubt das Nestroy. In diesem Punkt haben wir es mehr mit einem Drama zu tun als mit einem Zauberstück. Meiner Meinung nach fügt Nestroy dieses Element hinzu, um die Realitätsbezogenheit seines Stückes zu betonen.

Der Schluss mit seinem Happy end steht in die Tradition der Zauberstücke. Dabei bleibt einiges ungelöst. Was wird mit Flatterhaftigkeit, Peppi, Amalie und Comifo? Sie werden alle gleichsam geopfert, nur damit Schmafu und die Treue sich versöhnen können. Diese Unstimmigkeiten hängen zusammen mit der Absicht Nestroys, das Zauberstück zu erneuern, indem er in der Tradition des Zauberstückes bleibt, dabei aber trotzdem wird darauf versucht, dem Publikum Wahrheiten zu vermitteln. Realität auf die Bühne zu bringen.

„Der böse Geist Lumpazivagabundus“ - Die Tradition des Wiener Volkstheaters

„D’ Welt steht auf kein Fall mehr lang.“ (III, 8)

Das Volksstück

Das Volksstück als literarisches Genre und das Volkstheater als Institution tragen in sich selbst mehr als eine Bedeutung. So einfach ist es nicht, Akzente zu setzen: die Vielfältigkeit der Themen überwältigt. Zu klären, was ein Volksstück und was Volkstheater ist, gehört zu den schwersten Aufgaben. Der Bestand an Sekundärliteratur zu diesem Thema ist groß, ebenso groß ist auch die Unterschiedlichkeit an Meinungen. Es hat natürlich Bestrebungen gegeben, diese zwei Begriffe kurz und bündig zu erklären; eben dann bleiben aber weiterhin Unklarheiten und Unschärfen. Der Begriff des Volksstücks und des Volkstheaters ist diffus wie die Sache selbst.[39]

Ein signifikantes Beispiel ist ein Aufsatz von Brecht, der selbst für ein emanzipatorisches Volksstück eintrat,[40] das er vom traditionellen Volksstück unterschieden wissen wollte. Letzteres definiert er wie folgt:

Da gibt es derbe Späße, gemischt mit Rührseligkeiten, da ist hahnebüchene Moral und billige Sexualität. Die Bösen werden bestraft und die Guten werden geheiratet, die Fleißigen machen eine Erbschaft und die Faulen haben das Nachsehen.[41]

Als ein vermeintlich minderwertiges Genre der Literatur und des Theaters hat das Volksstück eher spät das Interesse der Germanistik geweckt. Das hängt mit einem Wechsel der Funktion des Volksstückes sowie mit einem Neuverständnis von Literatur und Literaturwissenschaft zusammen. Die einseitige Fixierung auf die Literatur der Weimarer Klassik hat einem weiteren und offenem Verständnis von Literatur Platz gemacht, das auch Volksstücke und Zauberspiele umfasst. In der Tat sind nicht alle sogenannten Volksstücke „gute“ Stücke; oft enthalten sie Schund.

Als „triviale“ Literatur, die „bloß“ unterhaltende Funktion habe, ist die Volksliteratur auch von der Fachgermanistik lange Zeit einseitig missverstanden worden. Goedeke etwa hat das Volkstheater als eine „Schaubühne ohne ideale Ansprüche“ abgetan und damit die für einen Teil der Gattung sicherlich richtige Charakterisierung fälschlicherweise auf die ganze Gattung übertragen.[42]

Das Volkstheater

So wie es problematisch ist, von „dem“ Volkstheater zu sprechen, so schwierig ist es, über eine kontinuierliche Tradition des Volkstheaters und des Volksstückes zu reden. Verschiedene Autoren haben ihre Stücke unter verschiedenen sozialen und politischen Umständen geschrieben. Hinzu kommt die Weltanschauung der jeweiligen Autoren, die sich in ihrem Werk spiegelt. Eben die Werke, die diesem Genre angehören, bestätigen das.

Gerade in der scharfen Gegenüberstellung des populären volkstümlichen Unterhaltungstheaters vom Typ Komödienstadel und dem emanzipatorischen Agitationstheater, zu dessen Wortführer Brecht sich machte, liegt die Problematik des Begriffes Volksstück. Nichts zeigt dies besser als ein Blick auf die deutsche Theatergeschichte der letzten 200 Jahre, die in weiten Teilen eine Auseinandersetzung über den Bedeutungsinhalt des „Volkstümlichen“, „Volksgemäßen“ „Volkshaften“ gewesen ist.[43]

Es ist also ganz natürlich, wie auch Erwin Piscator meinte, dass die Begriffe „Volkstümlichkeit“ und „Volkstheater“ erst aus der Analyse ihres jeweiligen historischen Kontextes zu erschließen sind.[44] Der Umfang der Termini ergibt sich aus ihrer Geschichte.[45]

Wie bereits gesagt, haben die Autoren, die Volksstücke geschrieben haben, in verschiedenen Epochen gewirkt, d. h. die gesellschaftlichen Entwicklungen, die Geschichte, ihre jeweilige Weltanschauung haben in diesen Stücken Platz gefunden. Man kann über verschiedene Stränge von „Traditionen“ reden und Gruppen von Autoren, die unter dem Dach des Volkstheaters Volksstücke kreiert haben.

Trotz der Verschiedenheit an Meinungen und Urteilen ist das Volkstheater die Heimat aller Autoren, die in ihren Werken Bezug auf das Volksleben genommen haben. Die Brüche in der Tradition des Volkstheaters lassen sich mit den geschichtlichen und sozialen Entwicklungen, die im Laufe der Zeit geschehen sind, erklären. Die Evolution der Gesellschaft hinterlässt ihre Spuren auch in der Literatur. Die Weltanschauung der Autoren selbst mag eine Rolle gespielt haben, die Produktionsbedingungen zählen noch dazu. Wichtig ist nur, dass das Volkstheater eine bemerkenswerte Vielfalt an Themen und Geschehnissen enthält und darstellt.

Angesichts dessen, was oben angeführt wurde, entsteht natürlich die Frage nach der Position und Rolle Nestroys. Insbesondere ist zu fragen, worin der Unterschied zwischen Nestroy und seinen Vorgängern besteht. Es liegt nahe, einen Vergleich zwischen ihm und Raimund anzustellen.

Aus der Sicht der Forschung ist Raimund dem Biedermeier und Nestroy dem Vormärz zuzuzählen.

Fasst man die literarische Kultur des österreichischen Biedermeiers als eigengearteten Zusammenklang heimischer aufklärerischer Überlieferungen mit Einwirkungen des Weltbildes und Kunstverständnisses, wie es sich vor allem bei Goethe, Schiller und Herder ausprägte, auf, und begreift man die literarische Kultur des österreichischen Vormärz als engagiert-zeitkritische Kunst, ebenfalls gespeist aus der heimischen Tradition vorurteilsloser Menschen- und Weltkritik des josefinisch-aufklärerischen Schrifttums, dann steht Ferdinand Raimund auf der Seite des Biedermeier, Nestroy auf der Seite des Vormärz.[46]

Nestroy war ein sehr viel schärferer Beobachter, kritischer analysierender Geist als Raimund, was ihm unberechtigterweise den Vorwurf eintrug, er sei ein gemeingefährlicher Revoluzzer. Der Burgschauspieler Costenoble notiert sich anlässlich einer Aufführung mit Nestroy in sein Tagebuch, die Spielart Nestroys erinnere ihn „immer an diejenige Hefe des Pöbels, die in Revolutionsfällen zum Plündern und zum Totschlag bereit sei“, und Friedrich Hebbel schreibt, die Furcht vor dem „Hereinbrechen der ungezügelten Anarchie“ sei gerechtfertigt, „wenn man die Wiener Vorstadttheater mit ihrem Nestroy kennt“.[47]

Das alles deutet darauf hin, wie erfolgreich Nestroy gearbeitet hat und welche Wirkungen von diesem Theater tatsächlich ausgehen konnten. Wenn man heute in Bezug auf den politischen Radikalismus, den Hebbel und andere konservative Zeitgenossen Nestroy nachsagten, wohl differenzierter ist, so bleibt doch unbestreitbar, dass Nestroy noch einmal die Möglichkeit des Volkstheaters voll ausgeschöpft hat. Ihm ist es noch einmal gelungen, die wahren Intentionen des Volkstheaters als eines Agitationstheaters zu verwirklichen, ehe es dann für den Rest des Jahrhunderts zur Unterhaltungsbühne und zum Operettentheater herabsank. Ihm gelingt es, allgemeine Probleme öffentlich auf der Bühne zur Schau zu stellen und sie im Dialog mit dem Publikum zu diskutieren. Nestroys Rivale und Kollege Friedrich Kaiser hat das in seiner Autobiographie richtig beobachtet, wenn er schreibt: „Wenn man das Wort ‚Volk’ nicht etwa identisch mit dem Wort ‚Pöbel’ hält, sondern unter jenem die Mittelklasse der Residenzbewohner, Bürger und Beamte und die nicht bloß an sinnlichen Genüssen hängende Arbeiterschaft versteht, so war damals das Theater an der Wien ein Volkstheater im eigentlichen Sinne des Wortes.“ Eines der bedeutendsten Beispiele ist das bekannteste und am meisten gespielte Stück Nestroys „Lumpazivagabundus“.

Lumpazivagabundus

Als am 11. April 1833 die Zauberposse „Der böse Geist Lumpazivagabundus oder das Liederliche Kleeblatt“[48] im Theater an der Wien Premiere hatte, reagierte das Publikum zunächst mit Zurückhaltung. Erst die weiteren Aufführungen brachten dem Stück einen überwältigen Erfolg. Bis 1881 wurde es über 1000 Mal aufgeführt. Es ist in fast alle europäische Sprachen übersetzt worden.

Der spektakuläre Erfolg des Stückes beruhte sicher zum Teil in der großen Möglichkeit zur schauspielerischen Entfaltung, die es dem liederlichen Kleeblatt bot. Andererseits fühlte sich das Publikum angesprochen durch die anarchische Haltung der Hauptfiguren ZWIRN und KNIERIEM, die sich den Zwängen der bürgerlichen Ordnung entziehen. Das Thema der Unverbesserlichkeit des Menschen wird bereits im Vorspiel im Feenreich angesprochen. Lumpazivagabundus ist daher die Negation des Altwiener Besserungsstückes. Ungünstig gesinnten Zeitgenossen war diese dunklere Seite des Stückes schon bald aufgefallen.[49]

Befremdlich für das Publikum mag sich zudem bei der Premiere die Spielart Nestroys ausgewirkt haben, die sich hier zum erstenmal unverwechselbar gezeigt hat. Verwirrend mag aber auch der Umstand gewesen sein, dass hier eine traditionell unproblematische Form kritisch in Frage gestellt wurde. Beide Aspekte legten den Vergleich mit der bis dahin beherrschenden Gestalt des Wiener Volkstheaters nahe, mit Ferdinand Raimund.

Was die ideellen Ziele der Raimundschen Art verbürgten, nämlich Irrwege und Unzulänglichkeiten des menschlichen Daseins im Grundsätzlichen anzupacken und Wege der Zufriedenheit zu suchen, das konnte man von Nestroys auf den Menschen der Großstadt und auf dessen Pervertiertheiten gerichteten Satire nicht erhoffen. Raimunds Stücke gewährten eine tröstende Gemüthaftigkeit, eine auf das Ganze menschliche Dasein gerichtete Sinngebung; dieses letzte Ziel von Raimunds Stücken ermöglichte eine gelöste Heiterkeit, ein verstehendes Lächeln, manches Mal unter Tränen, und schuf die versöhnliche Atmosphäre der Spiele: [...].[50]

Raimund hatte das Publikum mit dem Gefühl angesprochen, hatte es bisweilen zu Tränen gerührt, ihm bis zur Sentimentalität die Gemütlichkeit seiner Kaiserstadt Wien vor Augen geführt, hatte ihm schöne Prospekte auf die Bühne gestellt, einschmeichelnde Melodien ins Ohr gesungen, dies alles unter meisterlicher Ausnützung der dramaturgischen Möglichkeiten, die ihm die Posse und das Volkstheater boten. Und Nestroy? Er war eine Neu-Erscheinung auf der Wiener Bühne und als solche musste man ihn erst verstehen. Mit Nestroy bricht sozusagen eine Tradition zusammen, die auf der Wiener Bühne längst verankert war.

[Nestroys] Komik war zu grotesk, zu sehr abweichend von der Weise aller bis herigen Komiker der Volkstheater, sein Witz zu scharf, zu ätzend, zu zynisch, als dass man seine Stücke als einen Ersatz für die immer vom Hauche der Poesie belebten Produkte Raimund’s, welcher zur selben Zeit auch als ein Vorbild aller Volksdichter galt, hätte annehmen wollen.[51]

„Lumpazivagabundus“ bedeutete für das Volkstheater einen wesentlichen Wendepunkt, der in den Chroniken der Zeit ein großes Echo fand.

[...] Am 24. März wurde dann zum 99. Mal LUMPAZIVAGABUNDUS gegeben, ein Stück, das Stainhauser schon oft gesehen hatte, worüber er aber „auch heute noch von Herzen lachen“ konnte. Bei der hundersten Aufführung am 21. April spielte er selbst den Fludribus, und etwas später urteilt er:

„Dieses Stück ist ganz bestimmt die beste Dichtung Nestrois und die beste Leistung des Theaters an der Wien. Nach meiner Szene schaute ich in der 2. Gallerie zu, und ergötzte mich namenlos ungeachtet ich diese Lokal Zauber Posse schon unzählige Male belacht habe.

Jeder Witz in dem Munde Nestrois und Scholzs ist und wird neu.“[52]

Den Stoff zu seinem Stück nahm Nestroy, wie das häufig bei ihm der Fall ist, von anderen Autoren. Im aktuellen Fall konnte er auf Karl Weisflogs Erzählung „Das große Los“ zurückgreifen, die 1827 im 6. Band der „Phantasiestücke und Historien“ erschienen war.

Die Handlung der Zauberposse „Lumpazivagabundus“ geht auf zwei Ebenen vor sich. Sie besteht einerseits aus einer Rahmenhandlung, gewissermaßen einem „Prolog im Himmel“, und andererseits aus der eigentlichen Handlung, die auf der Erde spielt. Die Rahmenhandlung führt in die Welt der Feen und Geister, die irdische Handlung spielt unter Menschen. Beide sind durch die Gleichartigkeit der Probleme miteinander verbunden und daher nicht zu trennen.

„Lumpazivagabundus“ ist in verschiedenen kritischen Aufsätzen als ein Anti-Bekehrungsstück bezeichnet worden. Diese Tendenz des Widerstandes gegen die „Ordnung“ bestimmt die ganze Handlung und ist gleichzeitig das Wesensmerkmal dieses Stückes, das einen Wendepunkt in der Tradition des Volksstückes darstellt.

Die Infragestellung der Ordnung bildet den Ausgangskonflikt des Stücks. Symptomatisch ist, dass dieser Aufstand gegen die Ordnung im Feen- und Zaubererreich selbst stattfindet. Letzteres erweist sich also selbst als Ort gefährdeter Ordnung, eines Zustands mithin, dem nicht einmal mit eigenen Zauberkräften beizukommen ist. Die höchste Instanz, der Feenkönig selbst, muss zu Hilfe gerufen werden:

CHOR DER ALTEN ZAUBERER.

Wir werden euch schon Mores lehren

Ihr liederlichen Bursche ihr,

Was nun geschehen wird, sollt ihr hören

Der Feenkönig ist gleich hier.

Ihr kehrt im nächsten Augenblick

Zur Ordnung wiederum zurück. (I, 1)

Dass die rebellischen Burschen nicht „im nächsten Augenblick“ zur Ordnung zurückkehren wollen, das lässt sich bald nach dem Auftritt des Feenkönigs Stellaris und dessen Dialog mit Lumpazivagabundus absehen. Lumpazivagabundus bekennt sich als Beherrscher des lustigen Elends, Beschützer der Spieler, Protektor der Trinker etc. (I, 2). Alle diese „bösen“ Taten werden sozusagen von einem Geist beschützt und institutionalisiert. Die Tradition des Volksstückes kennt dieses Phänomen nicht, weil sie auf die Besserung der Menschen zielt.

Eine Darstellung des Feenreichs, wie sie Nestroy 1833 im „Lumpazivagabundus“ auf die Bühne stellt, war bislang unvorstellbar gewesen. Nestroy verschärft die Darstellung des Feenreichs als Ort gefährdeter Ordnung noch dadurch, dass dieser Aufstand gegen die Ordnung nicht als ephemerer, vergänglicher gezeigt wird, sondern als permanenter. Der diesen Zustand gefährdeter Ordnung provozierende und diesen beschützende „böse Geist“ Lumpazivagabundus behält seine Macht auf Dauer.

LUMPAZIVAGABUNDUS. Natürlich, weil er nichts nutzt. Ob ich da bin, oder nicht, das ist alles eins, diese jungen Herrn bleiben auf alle Fäll meine getreuen Anhänger, denn meine Grundsätze leben in ihnen fort. (I, 2)

Diese Auseinandersetzung zwischen den Feen und Geistern erreicht den kritischen Höhepunkt, ich würde sogar von einer dramatischen Pointe sprechen, durch Fludribus´ Antwort: „ Dann lassen wir uns einsperren. Da gibt sich hernach die Ordnung von selbst“ (I,2). Man kann bereits an dieser Stelle festhalten, dass der zentrale Konflikt in „Lumpazivagabundus“ jener zwischen Ordnung und Gefährdung der Ordnung, zwischen der Macht, Ordnung aufrechtzuerhalten, und dem Widerstand gegen diese Macht ist. Es ist ein im weitesten Sinn „sozialer“ und „sozial-politischer“ Konflikt. Dies bleibt festzuhalten.

Anders als bei „Der konfuse Zauberer“, wo den Ausgangskonflikt eine desperate Liebesbeziehung bildet, ist es in „Lumpazivagabundus“ der ‚soziale’ Konflikt, der den Startpunkt für die Handlung abgibt. Der Liebeskonflikt ist in diesem Fall nur ein Vorwand. Dass die Liebe, die den Anstoß zur Wette gibt, allein als jene Macht zu gelten habe, welche – stärker als Geld und Strafe – den Einfluss des „Lumpazivagabundus“ zu zerstören imstande sei, lässt sich auf den ersten Blick als Fortschreibung eines trivialen Klischees verstehen. Ein zweiter Blick, nämlich jener auf die Realität der Liebe eines Leim – und in den späteren Fassungen auch eines Zwirn und Knieriem – entlarvt die Hoffnung auf die Macht der Liebe als trügerisch. Arbeitsamkeit und Bissigkeit machen das Eheleben aus.[53]

Ein anderer Aspekt dieser von Nestroy veranstalteten kritischen Auseinandersetzung mit der Tradition des Volksstückes bildet die Entmachtung der Feen.

LUMPAZIVAGABUNDUS (auf HILARIS zeigend). Den geb’ ich auf, - die andern alle aber sind und bleiben in meiner Macht. (I, 2)

Nestroy hat die Zauberer und Feen entmachtet. Der innere Konflikt im Feenreich zeigt es. Strafe hilft nicht, Geld sowieso auch nicht: zwei Mittel, durch die man gemeinhin das Böse zu besiegen können glaubt. Interessant ist das Spiel mit dem Schicksal, das von Fortuna verkörpert wird. In den Abbildungen des 15. und 16. Jahrhunderts wird Fortuna als auf einem Ball im Meer stehende Fee dargestellt. Wie sicher sich der Mensch in dieser Stellung fühlt, das versteht sich von selbst!

Bei Nestroy kommt es zu einer Destruktion der barocken Allegorie. Fortuna tritt noch auf als Allegorie mit dem Anspruch, das Leben der Menschen zu bestimmen; de facto hat sie ihren Einfluss verloren. Lumpazivagabundus spricht mit ihr wie mit einer sich aufplusternden Hausmeisterin, die nicht ganz ernst zu nehmen ist. Der moderne Mensch, so ließe sich sagen, lässt sich nicht mehr von Fortuna bestimmen, er bestimmt sein Leben selbst, und die Segnungen oder Versagungen der Glücksgöttin sind ihm gleichgültig.

LUMPAZIVAGABUNDUS. Aber noch einmal, Madam Fortuna, Ihnen fürcht ich nicht, denn was meine wahren Anhänger sind, die machen sich nicht so viel aus Ihnen. Kommt’s Glück einmal, so werfen sie’s beym Fenster hinaus, und kommt’s noch mal, und will sich ihnen aufdringen, auf eine dauernhafte Art, so treten sie’s mit Füßen. So behandeln meine ächten Brüderln das Glück. Gehorsamer Diener allerseits. (I, 2)

Dieser Dialog zeigt auch, wie schwer es ist, den „wahren“ Lumpazivagabundus festzumachen. Er hinterlässt seine Schatten im Feenreich. Unruhe entsteht, weil alle Zauberer und Feen selbst eigensinnig an ihren Prinzipien festhalten. Stellaris wendet sich gegen Lumpazivagabundus, dieser gegen Fortuna und letztere gegen Amorosa. Der Widerspruch liegt auch darin, dass, während sich der „böse“ Geist der wahren Liebe fügt, die sogenannte „gute“ Fee Fortuna sich gegen die gute Fee Amorosa stellt. Der Streit zwischen Amorosa und Fortuna bestätigt die lumpenhafte Verfassung der Feen und Zauberer und erinnert uns an den Konflikt zwischen Schmafu und Treue in dem Stück „Der konfuse Zauberer“. Die Frage ist, ob wir es hier mit mehr als einem ‚bösen’ Geist zu tun haben, und die Antwort würde „Ja“ lauten.

Der Konflikt wechselt von der Auseinandersetzung zwischen den rebellischen Söhnen und den alten Zauberern zur Auseinandersetzung zwischen den Feen und Zauberern selbst. Die dadurch bewirkte „Entwertung der Werte“ hat das Verschwinden der moralischen Grenzen zwischen den handelnden Personen zur Folge. Die Wette zwischen Amorosa und Fortuna entspricht dem Verhalten zwischen zwei „Lumpen“ sozusagen:

FORTUNA. Nun denn so sey’s. Ich will eine Bedingung setzen, die zugleich jenem Frechen, der meine Macht verspottete, der glaubt nur du (zu AMOROSA) allein seyst ihm gefährlich, das Gegentheil beweisen soll. Ich wähle unter den sterblichen drey seiner Anhänger, lockere Gesellen; jedoch solche, die schon der Armuth drückend Loos gefühlt. Diese will ich mit Reichtum überschütten. Werfen sie, wie er gesagt, das Glück zum Fenster hinaus, so dringe ich es ihnen dauernd auf, treten sie es sonach mit Füßen, dann erkenne ich mich als besiegt, und Hilaris wird meiner Tochter Gemahl, doch wenn sie, wie kaum zu zweifeln ist, das Glück mit Danck empfangen, und aus Furcht vor neuer Dürftigkeit mit weiser Mäßigung für’s ganze Leben sich bewahren, wenn ich sie so dem Lumpacivagabundus entreiße, dann bin ich Siegerin, und Hilaris wird auf immer von meiner Tochter getrennt. (I, 3)

Aufgrund dieser Lumpenhaftigkeit der Feen und Zauberer, ihres Eigensinns, Hasses und Egoismus´, wird die Zukunft von zwei Liebenden zerstört.

Theoretisch und strukturell ist dieser Konflikt auf zwei Ebenen angesiedelt: im Himmel und auf der Erde, wo Unsterbliche und Sterbliche agieren. Inhaltlich ist diese Trennung aufgehoben. Die Probleme sind hier wie dort die gleichen. Dennoch werden die spezifisch sozialen Umstände der Konflikte auf der Erde nicht ausgespart. Ein wichtiger Aspekt des Stücks ist der Hinweis auf die sozialen Verhältnisse der Protagonisten. So z. B. zeigt die Verwandlung der Szene auf der Erde deutlich, wo die gesellschaftlichen Gegensätze wurzeln. Es ist eine soziale Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse der damaligen Zeit. Konkreter erzählt es Leim in seinem Monolog:

LEIM. (mit einem Felleisen, tritt gleich nach der Verwandlung auf). Da wär ich beim Thor. Es ist aber, so viel ich merk, eine ungefällige Stadt; denn wenn sie gefällig wär, so wär sie mir auf halbem Weg entgegengekommen. Im Grund betrachtet, ist’s a Schand, ich bin ein Ausgelernter Tischler, und es gehen mir ordentlich d’ Füß aus’ n Leim. Ist’s denn aber auch anders möglich? Die Wirth auf der Straßen haben ja Herzen so hart als ein Ast in ein buchsbaumenen Pfosten. Woher kommt das aber? Weil die Leut keine Bildung haben auf’n Land. Und warum haben s’ auf’n Land keine Bildung? Weil s’ lauter eichene Möbeln haben, drum kennt das Volk keine Politur; und wer keine Politur kennt, ist ein Socius. – Jetzt will i halt a bisserl ausrasten da und nachher um d’ Herberg fragen. (I, 4)

Die ungesicherte Stellung „vazierender“ Handwerksburschen ermöglicht es Nestroy, über die sozialen Implikationen individueller Karrieren nachzudenken. Leim, der leidet und in der Einfügung in Ehe und Arbeitswelt seine Zufriedenheit findet, steht dem Knieriem gegenüber. Knieriem denkt nicht so viel nach. Er nimmt das Leben ganz einfach. Er beklagt sich nicht über sein Schicksal. Zufrieden ist er dann, wenn er einen Gulden hat und diesen vertrinken kann. Er hat sonst keinen anderen Anspruch. Die Sterne werden kommen, und dann wird es zu spät sein. Praktisch hat er aufgegeben.

KNIERIEM.

Es kommen d’ Stern, es wird schon spät,

Zeit is, dass s’ einmal da is d’ Stadt.

Ich brauch ein Guld’ n jetzt zum Verhaun,

Da mus i gleich zum Fechten schaun.

Und wie i ein Gulden z’ sammbettelt hab,

Da laßts mir drei Maß Bier hinab.

A drei Maß Bier laßts mir hinab.

Mein Rausch hab i Jahr aus Jahr ein,

Es wird doch heut kein Ausnahm sein. (I, 4)

Zwirn ist der Typ „Hallo, was kostet die Welt!“. Obwohl er arm ist, spielt das für ihn überhaupt keine Rolle. Er demonstriert keine Unzufriedenheit mit dem Leben, das er führt. In dieser Hinsicht sind Zwirn und Knieriem im Vergleich zu Leim anders. Zwirn ist ein lustiger Mensch, Knieriem ein Choleriker. Leim denkt nach, bemüht sich, seinen gegenwärtigen Zustand irgendwie zu begründen.

Gegenüber den Feen und Magiern sind die Menschenfiguren im „Lumpazivagabundus“ unkomplizierter. Leim, Zwirn und Knieriem hassen nicht, neidisch sind sie nicht. Ich würde sagen, dass, wenn es nötig wäre, eine Einteilung der Figuren in gute und schlechte zu machen, meiner Ansicht nach die drei Lumpen zu den positiven zu zählen wären. Sie sind als Asoziale auf der Suche nach einer Hoffnung. Auch dies ist ein Unterschied zwischen Nestroys Figurenkonzeption und derjenigen seiner Vorgänger. Und es geht hier nicht nur um den Unterschied zwischen Nestroy und seinen Vorgängern, sondern auch um den Unterschied zwischen Nestroy und Nestroy selbst. Das mag erstaunlich klingen, aber ein Rückblick auf bzw. ein Vergleich mit dem Stück „Der konfuse Zauberer“ erweist auf vielen Ebenen wesentliche Veränderungen. Die sozialen Verhältnisse werden in „Der konfuse Zauberer“ kaum problematisiert. Vielleicht in einer indirekten Form, nicht aber so direkt wie in dem hier behandelten Stück. „Lumpazivagabundus“ könnte ganz gut die Ergänzung bzw. der zweite Teil von „Der konfuse Zauberer“ sein.

Das Reichwerden der drei Gesellen bis zu ihrem Jubiläumstreffen ist sozusagen ein geschlossener Zyklus, in dem die Unveränderlichkeit der Klassengesellschaft gezeigt wird. Eine radikale Veränderung der sozialen Umstände findet nicht statt. Gelingt dem von seinem Meister Hobelmann finanziell ausgestatteten Leim die Integration in eine bürgerliche Lebensweise, so bleiben die sozialen Außenseiter Zwirn und Knieriem Außenseiter. Ob Nestroy selbst der Meinung war, der Mensch könne durch sein aktives Tun sein Leben bestimmen oder ein echter Ausbruch aus den gesellschaftlichen Schranken sei unmöglich, lässt sich aufgrund dieses Stückes – und auch aufgrund der allgegenwärtigen Zensur – nicht sagen. Was unbestritten ist und bleibt, ist: die Macht des Geldes. Leim gewinnt bürgerliche Stellung und Ehe nur wegen des Geldes:

HOBELMANN: Halt! da hab ich auch ein Wort dreinzureden. Dem ersten besten Hasenfuß, der nix ist und nix hat, kann ich meine Tochter nicht geben. Indessen, das ist mit Ihm anders geworden. Er ist ein Mann, der Seine Batzen hat. (II, 7)

Je mehr Geld einer hat, desto höher ist seine Stellung in der Gesellschaft.

HOBELMANN: Ich hab für Ihn damals, wie Er den Wurf aufg’fangt hat, der meine Tochter getroffen hätt, 500 Dukaten angelegt, die g’hören sammt Interessen Sein. Jetzt fang er halt Sein Meisterstück an, in drei Wochen ist er Meister, und dann soll Er’s Madel haben! (II, 7)

Fazit ist:

HOBELMANN: Das Geld gehört also alles Sein? Jetzt muss Er’s Madel nehmen! (Vereinigt ihre Hände.) Heut vier Wochen ist Hochzeit, da soll die ganze Stadt reden davon. (II, 7)

Im „Lumpazivagabundus“ demonstriert Nestroy seine Sympathie für Knieriem und Zwirn. Trotz ihrer Missachtung des Geldes schlägt in ihrer Brust ein menschliches Herz.

ZWIRN: Herr Hobelmann, jetzt geben S’ nur g’schwind die hundert Taler her.

HOBELMANN: Da könnts euch einen frohen Tag drum anthun.

ZWIRN: Ja, das wollen wir auch.

KNIERIEM: Aber auf eine andere Art, als der Herr Hobelmann glaubt, wir bringen ihm das Geld ins Spital und nichts wird davon versoffen.

ZWIRN: Wir wollen unterwegs Erdäpfel essen, dass uns der Staub bei die Ohren herausfahrt. (III,4)

Dass es am Ende zu keiner echten Veränderung, vor allem zu keiner Besserung kommt, ist bei Nestroy nicht erstaunlich. Das, was Leim am Anfang des Stückes prophezeit, erfüllt Knieriem am Ende.

[KNIERIEM:] Die glaubt nicht an den Kometen, die wird Augen machen. – Ich hab die Sach schon lang heraus. Das Astralfeuer des Sonnenzirkels ist in der goldenen Zahl des Urion von dem Sternbild des Planetensystems in das Universum der Parallaxe mittelst des Fixstern-Quadranten in die Ellipse der Ekliptik gerathen; folglich muß durch die Diagonale der Aproximation der perpendikulären Cirkeln der nächste Komet die Welt zusammenstoßen. Diese Berechnung ist so klar wie Schuhwix. Freilich hat nicht Jeder die Wissenschaft so im klein Finger als wie ich; aber auch der minder Gebildete kann alle Tag Sachen genug bemerken, welche deutlich beweisen, dass die Welt nicht lang mehr steht. Kurzum, oben und unten sieht man, es geht rein auf’n Untergang los. (III, 8)

Die Verwandlung der Szene am Schluss des Stücks, wo gezeigt wird, dass Zwirn und Knieriem ins bürgerliche Leben integriert sind, kontrastiert total mit der ganzen Handlung. Aber Knieriem demaskiert das Ende bzw. die alte Tradition des Volkstheaters mit ihrem Happy End. Nestroy übt eigentlich Rache, nachdem er alle seine Figuren als scheinbar zufriedene verankert hat.

KNIERIEM: (zu seinem WEIBE). Ist das ein Glück, Weib, der Komet is ausbliebn, d’ Welt steht alleweil noch, und wir stehen mitten drauf mit unserer unsinnigen Familie. (III, 17)

Nestroys Eigenleistung liegt in der Meisterschaft der genrebildhaften Szenen. Wo diese in der Quelle vorlagen, hat Nestroy sie verwertet, andere hat er neugeschaffen. Nestroys wichtigste Leistung ist es, die drei Hauptfiguren zu individuellem Leben erweckt zu haben. „Der konventionelle Tischler konnte beibehalten werden, unterscheidet sich aber jetzt auch in der Sprache von dem dumpf aggressiven Schuster und dem quirligen Schneider mit seinen noblen Ambitionen. Sagt die Erzählung kaum mehr aus, als dass auch unter einem schlechten Rock ein treues Herz schlagen kann, so gibt Nestroy seinem Werk eine andere geistige Dimension, dies allein schon durch den Zauberrahmen, der ein psychologisches und weltanschauliches Problem schneidet, aber vor allem auch durch die Verschmelzung des trinkenden Schlossers mit dem fatalistischen sterngläubigen Schuster aus Genius, Schuster und Marqueur.“[54]

„Der Talisman“ - Der Aufstieg durch Sprache

Die Stoffvorlage für die Posse „Der Talisman“[55] bietet das im Jahre 1840 im Pariser Théâtre du Vaudeville aufgeführte, wenig begeisternde Singspiel „Bonaventure“ der zwei bald vergessenen Librettisten Duperty und F. de Courcy.

Nestroy arbeitet das Singspiel noch im selben Jahr um zu einer Posse in drei Akten, wie es seiner Schaffensperiode ab 1834 im Zeichen der Gegenwartsposse und auch einem „neuen“ breiten Publikumsgeschmack entspricht. Er streicht die originalen 14 Gesangseinlagen und setzt die der Wiener Volkskomödie eigenen Couplets sowie ein „Quodlibet-Terzett“ an deren Stelle; er verschärft die Charakterisierung sämtlicher wichtiger Figuren, die im Stück auftreten, und erfindet eine Bühnenfigur hinzu: jene des Bierversilberers Spund, welcher im Original nur beiläufig erwähnt wird, bei Nestroy aber das Personenregister als eine für die Handlung eine Schlüsselfigur und Charaktervielfalt unentbehrliche Person ergänzt.

Am 16.12.1840 erlebt das Stück seine Uraufführung am Theater an der Wien mit Nestroy als Titus Feuerfuchs, Elise Rohrbeck als Salome, Carl als Spund, Louis Grois als Plutzerkern und Marie Weiler als Flora Baumscheer. Es wurde von Kritik und Publikum, insbesondere ob des genialen Wortwitzes, gleichermaßen enthusiastisch aufgenommen und avanciert während Nestroys Lebzeiten zu seinem am zweithäufigsten gespielten Stück (nach „Einen Jux will er sich machen“).

Nach Nestroys Tod gerät es, wie dessen gesamtes Œuvre, überraschend rasch in Vergessenheit. Die Errettung aus diesem bedauernswerten Zustand erfolgt im Januar 1881, als das Carl-Theater im Rahmen seines hundertjährigen Jubiläums eine Nestroy-Woche (die auf Grund des überwältigenden Erfolges zu einem ganzen Nestroy-Zyklus ausgeweitet wird!) veranstaltet. Dem „Talisman“ werden in den nun folgenden Jahrzehnten jedoch andere, (scheinbar) unbeschwerter amüsierende Possen vorgezogen.

Die unabdingbare Talisman-Renaissance im Kontext der Wiederentdeckung Nestroys verdanken wir entscheidend einem herausragenden Mann zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Karl Kraus. Er erkennt als bis dato vielleicht Einziger den Satiriker und Sprachkünstler Nestroy in seinem wahren Ausmaß und insbesondere auch den Wert des „Talismans“. Bis zum Zweiten Weltkrieg setzt das Stück zu einer grandiosen Aufholjagd an und steigt in der Nachkriegszeit schließlich „spielend“ empor zum (auch gegenwärtig) häufigst aufgeführten Stück Nestroys.

Im „Talisman“ geht es um den Außenseiter schlechthin – exemplifiziert an Menschen mit roten Haaren. Ignoriert von der Gesellschaft, verspottet und vernachlässigt, bemühen sich die Rothaarigen darum, in die Gesellschaft integriert und von ihr akzeptiert zu werden. Die Hauptfigur in diesem Stück ist Titus Feuerfuchs, doch zunächst begegnet uns die Gänsehüterin Salome. Ich will hier mit der Salome anfangen, nicht nur weil sie uns am Anfang als die erste Außenseiterin vorgestellt wird, sondern auch weil ihre Sprache die direkteste ist.

SALOME. Ich bleib halt wieder allein z’ruck, - und warum? weil ich die rothkopfete Salome bin. Roth is doch g’wiß a schöne Farb; die schönsten Blumen seyn die Rosen – und die Rosen seyn roth. Das schönste in der Natur is der Morgen, der kündigt sich an durch das prächtigste Roth. Die Wolcken sind doch g’wiß keine schöne Erfindung und sogar die Wolcken seyn schön, wenn s’ in der Abendsonn’ brennroth da stehen am Himmel. Drum sag ich, wer was geg’n die rothe Farb hat, der weiß nicht was schön is. Aber was nutzt mir das alles, ich hab doch kein der mich auf’n Kirtag führt. – Ich könnt allein hingeh’n – Da spotten wieder d’Madln über mich, lachen und schnattern – ich geh zu meine Gäns’, die schnattern doch nicht aus Bosheit wenn s’ mich sehn, und wenn ich ihnen ’s Futter bring, schaun s’ mir auf d’ Hand, und nicht auf’n Kopf. (I, 3)

Ihrer Meinung nach tun die Menschen ihr Unrecht, sie (die Menschen) wissen ja gar nicht, was schön und was nicht schön ist. Laut Salome stehen die Menschen unter dem Rang eines Tieres, ihre Gänse wissen besser als die Menschen, wo die Schönheit liegt. Schönheit ist nicht „Äußerliches“, sondern ein innerer Wert.

Mit Titus Feuerfuchs betritt der zweite Rothaarige die Szene: Titus, dessen Auftrittscouplet ebenso der Empörung über seine ungerechte Behandlung Ausdruck verleiht:

Der hat weiter nit g’schaut,

Beynah’ hätt ich’n g’haut

Der Spitzbub’, ’s is wahr,

Lacht mich aus weg’n die Haar;

Wem geht’s denn was an,

Ich hoff doch i kann

Haar’ hab’n wie ich will,

Jetzt wird’s mir schon z’viel.-

Rothe Haar’ von ein falschen Gemüth zeigen soll’n,

’s is dümmste, wann d’ Leut’ nach die Haar urtheil’n woll’n,

’s giebt G’schwufen g’nug mit ein kohlrab’nschwarzen Haupt,

Und jede is ang’schmiert die ihnen was glaubt;

Manch blondg’lockter Jüngling, is beym Tag so still,

Und schmachtend, - warum? Bey der Nacht lumpt er z’viel;

Und mit eisgraue Haar’, schau’n die Herrn aus so g’scheidt,

Und seyn oft verrückter noch als d’ jungen Leut’,

Drum auf d’ Haar muß man geh’n,

Nacher trifft man’s schon schön. (I, 5)

Titus’ Einstellung erweist sich allerdings als wesentlich aggressiver als jene der Salome – „beinah’ hätt’ ich’ n g’haut“ – und weniger solidarisch. Während Salome sofort die Wahlverwandschaft zwischen sich und Titus – gleiche Haarfarbe, gleiche Stellung in der Gesellschaft – erkennt und sich sofort auf seine Seite stellt, zeigt sich Titus distanziert. Während Salome auf die Solidarität zwischen Außenseitern, Rothaarigen eben, setzt, will Titus die Gesellschaft mit ihren Vorurteilen attackieren und von ihrem Unrecht überzeugen. Er erklärt uns, warum die roten Haare so unbeliebt sind; bei den Männern würden die roten Haare ein falsches Gemüt (I, 5) bedeuten, bei den rothaarigen Frauen auf Unehrlichkeit (I, 5) hinweisen. Dass diese Vorurteile ebenso unsinnig wie unbegründet sind, will er in seinem Couplet an besonders drastischen Beispielen zeigen:

Die rothhaarig’n Madl’n heißt’s, betrüg’n d’ Männer sehr;

Wie dumm! Das thu’n d’Madeln von jeder Culör;

Die Schwarz’n heißt’s, seyn feurig, das thut d’ Männer lock’n,

Derweil is a Schwarze oft d’ fadeste Nocken,

Die Blonden seyn sanft, o!, a Blonde is a Pracht!

Ich kenn’ eine Blonde die raufft Tag und Nacht;

Doch mit graue Haar seyn s’ treu, na da stund’ man davur,

Nit wahr is, die färb’n sich’s, und geb’n auch ka Ruh –

Drum auf d’ Haar muss man geh’n,

Nacher trifft man’s schon schön. (I, 5)

Der Witz und die Bissigkeit der Posse „Der Talisman“ liegen nun zum einen darin, dass Nestroy zeigt, wie leicht mit diesen Vorurteilen gespielt werden kann, wie sehr sie für bestimmte Zwecke eingesetzt und auch wieder abgelegt werden können, und zum anderen darin, dass es einem durch das Vorurteil in die Außenseiterrolle Gedrängten gelingt, mit Tricks an die Spitze der Gesellschaft vorzudringen.

Die komische Figur kommt aus dem Nichts und arbeitet sich zum Mittelpunkt der Gesellschaft empor: nirgends wird dies deutlicher dargestellt als im Talisman (1840). Der Außenseiter, der zum Zentrum wird, das hat es bisher in der Wiener Komödie noch nicht gegeben.[56]

Die Karriere des Titus beginnt mit einer Perücke. „Ja, der Mensch denkt, und – (beiseite) die Perücke lenkt.“ (I, 14) Sie begründet sein Glück. Die Perücke, der Talisman, ist die Maske, mit deren Hilfe Titus in die hohe Gesellschaft einsteigen soll. Sein und Schein sammeln sich in dieser Perücke.

MARQUIS (mit einer Carton – Schachtel). So, Freund, nehmen Sie das, Sie werden’s brauchen, die gefällige äußere Form macht viel – beynahe Alles, es wird Ihnen nicht fehlen, hier ist ein Talisman (gibt ihm die Schachtel) und mich wird’s freuen, wenn ich der Gründer Ihres Glückes war. Adieu, Freund, adieu! (I, 12)

Aufgrund dieses Talismans trennen sich die Wege der zwei Rothaarigen, Salome und Titus. Während Salome sich zu ihrer Rothaarigkeit bekennt, sich als Rothaarige akzeptiert, hat Titus die Vorurteile der Gesellschaft so sehr verinnerlicht, dass er, indem er eine Perücke aufsetzt, sich diesen Vorurteilen unterwirft. Dass dieser Versuch einer Assimilation und Selbstverleugnung letztlich scheitern muss, sieht Salome klug voraus:

SALOME. Wer weiß, Sie gehen so stolz bei der Thür’ hinein, dass ich immer glaub’, ich wird’s noch seh’n, wie S’ Ihnen bei der nehmlichen Thür’ hinauswerfen wer’n. (I, 14)

Der Aufstieg des Titus Feuerfuchs verdankt sich vor allem aber auch der virtuosen Handhabung von Sprache, die er wie eine Maske verwendet, um sich den unterschiedlichen Situationen anzupassen und auch um sich größer zu machen, als er ist. Sprache als Instrument, Sprache aber auch als Mittel der Repräsentation, um den „Schein“ zu wahren.

Titus verwendet mehr Wörter, als nötig sind. Das eigentliche Problem, das er mit seinen roten Haaren hat, versucht er durch seine Sprache zu kompensieren. Auf die Frage nach seinen Eltern gibt er eine weitschweifige Antwort, die für ein einfaches Mädchen wie Salome unverständlich klingt:

SALOME. Ich versteh’ Ihnen nit, aber Sie reden so schön daher – wer ist denn Ihr Vater?

TITUS. Er is gegenwärtig ein verstorbener Schulmeister.

SALOME. Das ist schön. Und ihre Frau Mutter?

TITUS. War vor ihr´m Tod lange Zeit verehelichte Gattin ihres angetrauten Gemahles. (I, 8)

Ein anderes, berühmtes Beispiel:

FRAU v. CYPRESSENBURG. Ist Sein Vater auch Jäger?

TITUS. Nein, er betreibt ein stilles abgeschiedenes Geschäft, ein Geschäft bei dem die Ruhe das einzige Geschäft ist, er liegt von höh’rer Macht gefesselt, und doch ist er frey und unabhängig, denn er ist Verweser seiner selbst – er ist todt.

FRAU v. CYPRESSENBURG (für sich). Wie verschwenderisch er mit 20 erhabenen Worten das sagt was man mit einer Sylbe sagen kann! der Mensch hat offenbare Anlagen zum Litteraten. (Laut) Wer war also sein Vater? (II, 17)

Titus aber spricht so, wie er spricht, in bewusster Absicht. In fast keinem anderen Stück ist die Sprache so verschwenderisch verwendet worden wie im „Talisman“. Diese „geschwollene“ und weitschweifige Redeweise verfehlt nicht ihre Wirkung, sie beeindruckt die anderen und entlarvt damit auch deren Dummheit:

TITUS. Die find’t alles schön, ich kann so dumm daher reden als ich will. (I, 8)

Auf der anderen Seite nutzt Titus die Sprache, um sich in jeder Situation als souverän zu erweisen. Er attackiert, deutet um, versteht nicht oder versteht falsch – je nachdem, was ihm in der jeweiligen Situation als opportun erscheint. Ein Beispiel bildet die Szene mit der Gärtnerin Flora Baumscheer, die er als „Tyrannin“ beschimpft, sobald sich ihm die Möglichkeit bietet, auf der Karriereleiter eine Sprosse höher zu steigen.

TITUS. Sich können Sie verbieten, was Sie wollen, aber mir nicht. Ich steht’ nicht mehr unter Ihre Tyranney, ich hab’ eine andere eine bessere Condition angenommen. (II, 4)

Er findet das starke Wort Tyranney, um die unverzügliche Trennung von Flora stärker zu betonen. Wie sehr Sprache in das Spiel um Sein und Schein verwickelt sein kann, zeigt auch der Auftritt der Salome, als sie zu Titus über ihn als einen anderen spricht:

SALOME. [...] Seyn S’ nit bös, und wenn S’ vielleicht den seh’n mit die rothen Haar, so sagen S’ ihm, ich hab’s gut g’meint, ich hab ihn nur warnen woll’n, ich wird ihn g’wiß nit verrathen vor die Leut, die um ihn frag’n, und sagn S’ ihm ich wird auch g’wiß sein Glück nicht mehr in Weg treten – (die Tränen unterdrückend) sagn S’ ihm das, wenn S’ den seh’n mit die rothen Haar’... (II, 8)

Salome beweist hier ihre Solidarität auch mit dem „Verräter“ Titus, sie spielt auf der Ebene der Sprache sein Spiel um den echten und falschen Titus mit, wenngleich sie ihre Erregung nicht verbergen kann.

Die Ausrede des Titus ist auch in diesem Fall typisch für einen Sprachvirtuosen. Dank seiner Gabe, mit der Sprache zu spielen, gelingt es ihm, jeden Verdacht von seiner Person zu entfernen.

TITUS. Was geht denn aber das mich an? Zuerst haben S’ mich völlig ausg’macht, weil sie Bewegungslos war, und jetzt fahren S’ über mich, weil sie eine Bewegung hat, ich begreif’ gar nicht - (II, 9)

Sprachverwendung und sozialer Aufstieg laufen im „Talisman“ parallel. Eines kann man daraus lernen. Die „Rothaarigen“ alias „Außenseiter“ können nicht durch Betrug in die „hohe“ Gesellschaft vordringen, weil die Maske nicht so lang hält. Irgendwann einmal muss der Mensch so vorgestellt werden, wie er in der Realität ist. Das Schicksal eines Menschen hängt also nicht von den „Haaren“ bzw. vom „Schein“ ab.

„Freiheit in Krähwinkel“ - Die Revolution von 1848 in Österreich

„Freiheit in Krähwinkel“[57] ist das einzige Stück, das Nestroy nicht unter dem Druck der Zensur geschrieben hat. Es kam von 1. Juli bis 4. Oktober 1848 zu Aufführung. Das Thema, das das ganze Stück bestimmt, ist die satirische Widerspiegelung jener geschichtlichen Ereignisse, die in dieser Zeit Österreich und ganz Europa erfassten. Mehr als in jedem anderen Werk Nestroys ist hier seine kritische Stellungnahme gegenüber den sozial-politischen Entwicklungen seiner Zeit entfaltet. Es ist ein Revolutionsstück in doppelter Hinsicht: geschrieben im Sinn der Revolution und Bezug nehmend auf die Ereignisse der tatsächlich stattfindenden Revolution. Wie Nestroy die Revolution von 1848 erlebte und welche Schlüsse er daraus zog, das klärt sich im Verlauf des Stückes selbst. Hier zeigt sich Nestroy direkter als irgendwo anders. Die Probleme, die in diesem Stück auftauchen, sind verschiedener Art. Neben der theoretischen Auseinandersetzung mit Revolution und ancien régime bringt Nestroy eine Reihe von Figuren und Ereignissen der real stattfindenden Revolution auf die Bühne.

Nestroys kritisch-skeptische Position, die schon in seinen „Besserungsstücken“ angeklungen war, in denen die sozialen Spannungen der Habsburger Monarchie (Entstehung eines Lumpenproletariats in den Vorstädten, unsichere materielle Situation der Kleinbürger zwischen Proletarisierung und Aufstieg ins Bürgertum) nicht wie bei Raimund verklärt und idealisiert, sondern aggressiv seziert und realistisch dargestellt worden waren, tritt besonders deutlich in der Posse „Freiheit in Krähwinkel“ hervor. Aufbauend auf dem Genre der „Krähwinkeliaden“,[58] Volksstücken, die das enge Kleinstadtleben verspotten, vermischt mit komödienhaften Elementen sowie einer Liebesintrige, entwirft Nestroy ein satirisches Bild der revolutionären Zeit.

Der Inhalt von „Freiheit in Krähwinkel“ ist bekannt: Eberhard Ultra macht in der Maske eines Liguorianers, eines russischen Knutenfürsten, Metternichs und eines Proletariers sowie als europäischer Freiheits- und Gleichheitskommisär die Anschläge des reaktionären Bürgermeisters auf die junge Freiheit zunichte und erringt für sich die Hand der Frau von Frankenfrei.

In thematischer Hinsicht bilden die Zensur, die Jesuiten, die „Katzenmusik“, die Reaktion und die Kritik am Proletariat selbst, das die Gefahr nicht ernst nimmt, die Säulen des Stückes, die im Laufe der Handlung wiederholt zur Sprache kommen und den Fortgang des Stückes bestimmen.

Der Journalist Ultra treibt als Zentralfigur die Handlung weiter und kommentiert sie zugleich von einer höheren Warte aus. Er kämpft gegen die reaktionären Mächte der damaligen Zeit, gegen das zaristische Russland und gegen die Jesuiten sowie allgemein gegen das „Zopfensystem“, wie es pointiert im Refrain eines seiner Lieder heißt. Den entleerten und pervertierten Begriffen „Recht“ und „Freiheit“ versucht er wieder einen Sinn zu geben. Dabei ist die Gedankenfreiheit – dass man aussprechen darf, was man denkt – entsprechend Nestroys Vorstellung von bürgerlicher Öffentlichkeit eine zentrale Forderung.

Ultra (tritt während dem Ritornell des folgenden Liedes ein).

Ultra.

Lied

1.

Unumschränkt hab´n s´regiert,

Kein Mensch hat sich g´rührt,

Denn hätt´s einer g´wagt

Und a freies Wort g´sagt,

Den hätt´ d´Festung belohnt,

Das war man schon g´wohnt.

Ausspioniert hab´n s´ alls glei,

Für das war d´Polizei.

Der G´scheite is verstummt;

Kurz, ´s war alles verdummt;

Diese Zeit war bequem

Für das Zopfensystem.

Österreichbezogen ist das erste Lied ein Spiegel der vorherrschenden sozial-politischen Zustände vor der Revolution. Es ist ausserdem eine scharfe Kritik an das sogenannten „Zopfensystem“, das schon der Vergangenheit gehört.

2.

Auf einmal geht´s los

In Paris ganz kurios,

Dort sind s´ fuchtig wor´n,

Und hab´n in ihr´n Zorn,

Weil s´ d´ Knechtschaft nicht lieb´n,

Den Louis Philipp vertrieb´n.

Das Beispiel war bös,

So was macht a Getös´,

Und völlig über Nacht

Ist Deutschland erwacht;

Das war sehr unangenehm

Für das Zopfensystem.

Der gleichzeitige Zusammenbruch alter Systeme bzw. von despotischen und feudalistischen Systemen in ganz Europa signalisiert gleichzeitig Solidarität und in subtiler Form auch eine Ermutigung für die österreichische Revolution.

3.

Da fing z´denken an

Der gedrückte Untertan:

“Zum Teuxel hinein,

muss i denn a Sklav´ sein?

Der Herrsch´r is zwar Herr,

Ab´r I bin Mensch wie er;

Und kostet´s den Hals –

Rechenschaft soll für alls

Gefordert jetzt wer´n

Von die großmächtigen Herrn.” –

Da war´n s´ sehr in der Klemm´

Mit ´n Zopfensystem.

4.

Das wär´ wieder verflog´n,

´s Wetter hätt´ sich verzog´n,

wenn nicht etwas g´schehn wär´,

was Großartigs, auf Ehr´.

Auf einen Wink, wie von oben,

Hat sich Östreich erhob´n.

Dieser merkwürd´ge Schlag

Hat g´steckt in ein´ Tag

Den Tyrannen ihr Ziel,

Verraten ihr Spiel –

Jetzt war´n s´ gänzlich Groß-Schlemm

Mit´n Zopfensystem.

Aus dem glorreichen, freiheitsstrahlenden Österreich führt mich mein finsteres Schicksal nach Krähwinkel her. Nach Krähwinkel, wo s´ noch mit die physischen Zöpf´ paradieren, folglich von der Abschneidungsnotwendigkeit der moralischen keine Ahnung haben. Nach Krähwinkel, wo man von Recht und Freiheit als wie von chimärisch-blitzblaue Spatzen red´t. Is uns aber auch nit viel besser gegangen, und zwar aus dem nämlichen Grund; Recht und Freiheit sind ein paar bedeutungsvolle Worte, aber nur in der einfachen Zahl unendlich groß, drum hat man sie uns auch immer nur in der wertlosen vielfachen Zahl gegeben. Das klingt wie ein mathematischer Unsinn und ist doch die evidenteste Wahrheit. Es ist grad wie manche Frau, die sehr viele Tugenden hat. Sie hat einen freundlichen Humor und brummt nicht, wenn der Mann ausgeht – das ist eine Tugend; sie hat ein gutes Herz, das ist eine Tugend; sie bringt die fünfte Schale Kaffee schon schwer hinunter, das ist auch eine Tugend; und trotz so vieler ihr innewohnenden Tugenden is doch Tugend bei ihr nicht zu Haus! Grad so is´s uns mit Freiheit und Recht ergangen. Was für eine Menge Rechte haben wir g´habt, diese Rechte der Geburt, die Rechte und Vorrechte des Standes, dann das höchste unter allen Rechten, das Bergrecht, dann das niedrigste unter allen Rechten, das Recht, dass man selbst bei erwiesener Zahlungsunfähigkeit und Armut einen einsperren lassen kann. Wir haben ferner das Recht g´habt, nach erlangter Bewilligung Diplome von gelehrten Gesellschaften anzunehmen. Sogar mit hoher Genehmigung das Recht, ausländische Courtoisie Orden zu tragen. Und trotz all diesen unschätzbaren Rechten haben wir doch kein Recht gehabt, weil wir Sklaven waren. Was haben wir ferner alles für Freiheiten g´habt! Überall auf´n Land und in den Städten zu gewissen Zeiten Marktfreiheit. Auch in der Residenz war Freiheit, in die Redoutensäle nämlich die Maskenfreiheit. Noch mehr Freiheit in die Kaffeehäuser; wenn sich ein Nichtsverzehrender ang´lehnt und die Pyramidler geniert hat, hat der Markör laut und öffentlich g´schrien: Billardfreiheit! Wir haben sogar Gedankenfreiheit g´habt, insofern wir die Gedanken bei uns behalten haben. Es war nämlich für die Gedanken eine Art Hundsverordnung. Man hat s´haben dürfen, aber am Schnürl führen! – Wie man s´loslassen hat, haben s´einem s´erschlagen. Mit einem Wort, wir haben eine Menge Freiheiten gehabt, aber von Freiheit keine Spur. Na, das ist anders geworden und wird auch in Krähwinkel anders werden, wahrscheinlich werden dann von die Krähwinkler viele so engherzig sein und nach Zersprengung ihrer Ketten, ohne gerade Reaktionär´ zu sein, dennoch kleinmütig zu raunzen anfangen: “O mein Gott, früher is es halt doch besser gewesen – und schon das Ganze Leben jetzt – und diese Sachen alle – aber das macht nichts, man hat ja selbst in Wien ähnliche Räsonnements gehört. Und sonderbar, gerade die, die am schwersten betrifft, verhalten sich am ruhigsten dabei. Das sind die Hebammen und die Dichter; für die Hebammen kann das gewiß nicht angenehm sein, daß jetzt die Geburt nix mehr gilt, und die Dichter haben ihre beliebteste Ausred´ eingebüßt. Es war halt eine schöne Sach´, wenn einem nichts eing´fallen is und man hat zu die Leut´ sagen können: “Ach Gott! Es is schrecklich, sie verbieten einem ja alles.” Das fallt jetzt weg, und aus dem Grund und aus vielen andern Gründen – ah, mein Prinzipal! - (I, 7)

Die Zensur und die Zensoren sind Themen, mit denen Ultra sich beschäftigt. Was Zensur heißt und was der Zensor ist, beschreibt er mit spitzen Metaphern, die in ihrer Bitterkeit der bitteren Realität der damaligen Zustände und Verhältnisse in Österreich entsprechen. Die Kritik an diesen Institutionen, die in der heftigen Auseinandersetzung zwischen dem Bürgermeister und Ultra gipfelt, ist in diesem Stück direkter und aggressiver als in früheren Stücken. Endlich konnte Nestroy auf Umschreibungen verzichten und seine Meinungen direkt ausdrücken. Die Empörung Ultras spiegelt natürlich auch teilweise die lange und schlechte Erfahrung Nestroys mit der Zensur und den Zensoren. Hier finden sich die vielzitierten Definitionen des Zensors, dieser sei ein Menschgewordener Bleystiften oder ein Bleistiftgewordener Mensch; ein Fleischgewordener Strich über die Erzeugnisse des Geistes, ein Krokodil was an den Ufern des Ideenstromes lagert, und den darin schwimmenden Dichtern die Köpf‘ abbeißt. (I, 14)

Die Zensur wiederum bezeichnet Ultra als die jüngere von zwey schändlichen Schwestern, die ältere heißt Inquisition; - die Censur is das lebendige Geständniß der Großen, dass sie nur verdummte Sclaven treten, aber keine freyen Völker regieren können; - Die Censur is etwas, was tief unter dem Hencker steht, denn derselbe Aufklärungsstrahl, der vor 60 Jahren dem Henker zur Ehrlichkeit verholfen, hat der Censur in neuester Zeit das Brandmahl der Verachtung aufgedrückt. (I, 14)

Außer der theoretischen Auseinandersetzung mit Unterdrückung und Zensur bringt Nestroy auch eine Reihe von Figuren und realen Begebenheiten der Revolution auf die Bühne. Ein Beispiel dafür sind die Liguorianer, die – wie in diesem Stück – auch im Auge des Volkes als Reaktionäre galten. Sie waren die Unterstützer der Reaktion und des totalitären Regimes. Die Revolution ist für Klaus die Cholera, und das einzige Heilmittel gegen diese tödliche Krankheit seien die Liguorianer.

KLAUS. Wenn uns etwas bewahren kann vor dieser Pest, so sind’s die Ligorianer; auf diese frommen Herrn bau’ ich noch meine einzige Hoffnung. (I, 16)

Der Verrat der Geistlichkeit an den Ideen der Revolution mündet in den erzwungenen Abzug der Liguorianer, wie er tatsächlich am 6. April 1848 im Kloster Maria Stiegen stattgefunden hat.[59] Ein anderes „reales“ Element in Nestroys Revolutionsstück ist die „Katzenmusik“, jene originelle und typisch österreichische Form des Protests des Volkes. Im Zuge der Revolution von 1848 kam diese Art des Protests und des Demonstrierens zur Anwendung.[60]

In jenem berühmten Artikel der „Neuen Rheinischen Zeitung“, in dem Karl Marx die Bilanz über den „Sieg der Kontrerevolution“ zog, mit schneidender Ironie den „Verrat der Bourgeoisie“ an ihrer eigenen Revolution geißelte und den „revolutionären Terrorismus“ forderte, prägte er das Wort von der „österreichischen Völkerkatzenmusik“. Marx spielte damit auf die beliebteste Form politischen und sozialen Protests in Wien an, den er bei seinem Aufenthalt wohl ebenso wie das führende satirische Blatt, Engländers „Katzenmusik“, kennenlernen konnte.[61]

Prominente Persönlichkeiten des ancien régimes bzw. im Volk verhasste Figuren wurden durch diese „Musik“ verspottet und aus Wien vertrieben.

Lärmende Kundgebungen gegen die als Werkzeug der Reaktion angefeindeten Redemptoristen (Liguorianer), begleitet von einer massiven Flugblattkampagne, zwangen den Orden zum Verlassen Wiens. Auch Erzbischof Milde zog es vor, nach Katzenmusik vor seinem Palais ins Sommerschloss Kranichberg zu übersiedeln [...]. Am Abend des 2. Mai wurde dem Ministerpräsidenten Graf Ficquelmont, den man des Einverständnisses mit der russischen Diplomatie bezichtigte, eine so lautstarke Katzenmusik zuteil, dass er am 4. Mai seinen Abschied nahm.[62]

In Nestroys Stück bleibt dem reaktionären Bürgermeister eine solche Katzenmusik nicht erspart. Er muss sein Haus verlassen und im Schlafrock[63] zu Klaus flüchten.

BÜRGERMEISTER. Das Entsetzlichste ist geschehen, der Krähwinkler-Jüngstetag bricht an, alle verstorbenen Bürgermeister drehen sich in die Gräber herum – man hat mir eine Katzenmusik gemacht, man macht sie mir noch – hörst du? (I, 20)

Nestroys Intention in diesem Stück ist aber nicht nur die lustige Unterhaltung des Publikums oder die satirische Verspottung politischer Feinde und so weiter und so fort, sondern ist es auch, zu warnen. Zu warnen vor den reaktionären Mächten, die die Revolution umkreisten und ernst bedrohten. Eine Revolution kann nicht nur durch Katzenmusik durchgesetzt werden bzw. Erfolg haben. Exemplarisch für die reaktionären Kräfte steht die russische Gefahr:

[BÜRGERMEISTER.] Er hat nicht so ganz unrecht – und geht’s nicht durch eig’ne Kraft, so gibt’s ja auch noch fremde Hilfe – hm, hm, der Gedanke ist nicht schlecht – so muss es gehen – (Sich wieder zur Ruhe legend.) wart’ nur du Volk – du sollst mir nicht über den Kopf wachsen, du Volk du – (Hüllt sich in seinen Mantel und schläft ein) (Im Orchester beginnt leise Musik, welche nach und nach einen höchst behaglichen Traum charakterisiert, die Wand öffnet sich, wie früher, ebenso der Wolkenvorhang, die Musik geht plötzlich in einen russischen Triumphmarsch über, und man sieht des Bürgermeisters Traum im tableau. Auf einer Seite knien DIE KRÄHWINKLER BÜRGER , an der andern Seite steht eine dem Bürgermeister ganz gleiche GESTALT mit einem RUSSISCHEN GENERAL Arm in Arm unter einem Triumphbogen. Im Hintergrunde sieht man KOSAKEN ansprengen, und RUSSISCHE GRÄNADIERE , welche die Knute schwingen. Nach einer Weile schwindet das Traumbild, DER BÜRGERMEISTER drückt im Schlaf die größte Behaglichkeit aus, der Vorhang fällt.) (I, 25)

Wird es aber den Wiener Bürgern, Studenten und Arbeitern gelingen, die ihnen im März und Mai in den Schoß gefallene Freiheit zu bewahren und weiterzuentwickeln? Wie wird der „Jux auf der Grenze zwischen Herrschaft und Knechtschaft“[64] dem Volk bekommen? Nestroy blieb skeptisch. Während sich die geschäftigen Akteure noch an Fackelzug, Arndts Lied vom „Deutschen Vaterland“ und Strauß’ Revolutionsmarsch erfreuen, lauert das sehr reale „Gespenst“ der Reaktion schon hinter den Kulissen. Die Zuschauer wollten diese Mahnung nicht wahrhaben und setzten durch, dass der Traum des Bürgermeisters vom „russischen Triumphmarsch“ (I, 25) gestrichen wurde.[65]

Die Botschaft ist mehr als klar. In dieser Szene fehlt jede Note von Satire, hier gibt es nur Ernst. Die Gefahr muss wahrgenommen werden. Leider aber wurde diese Warnung vom Publikum nicht ernstgenommen. Neben dieser Gefahr von außen sieht Nestroy auch Gefahren von innen: eine Kluft innerhalb der Reihen der Revolutionäre selbst: die Kluft zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft, die – im ersten Revolutionstaumel unbeachtet – bald zur Probe für den reformwilligen Bürger wird. Auflösung der Schranken nach obenhin, aber nicht nach unten hies die Parole. „Heilig sei das Eigentum“ – schreiben die Krähwinkler auf ihre Türen.

Ein weiteres Handicap für die erfolgreiche Durchsetzung der Revolution stellt die sprichwörtliche Mentalität der Wiener, ihre Gemütlichkeit und gleichzeitige Melancholie dar.

KLAUS. Nein, ich kenn’ die Krähwinkler, man muss sie austoben lassen – is’ der Raptus vorbei, dann werden s’ dasig, und wir fangen s’ mit der Hand; da woll’n wir’s hernach recht zwicken, das Volk. (I, 24)

Die Knute (I, 25) ist das Schicksal, das der Revolution droht. Verstärkt betont Nestroy noch einmal seine Warnung – diesmal legt er sie Sperling in den Mund. Sein Gedichtchen ist eine Verherrlichung der Knute und soll den Revolutionären als Abschreckung dienen:

O Knute, o Knute!

Die schwingen man thute,

Machst Wirkung sehr gute

Bey frevelndem Muthe;

Was dem Kinde die Ruthe,

Ist dem Volke die Knute;

Du stillest die Wuthe

Rebellischem Blute,

Das Alles das thute

Die Knute, die Knute!

Deshalb ich mich spute

In einer Minute

Poetischer Glute

Schrieb ich an die Knute

Dies Gedichtchen, dies gute. (II, 3)

Auffallend ist der Ruf, den die russische Armee als Europas Gendarmerie genießt. Die vierte Szene im zweiten Akt spielt auf tragikomische Weise darauf an. Hier wird durch Gesten und Gesprächsführung bis in Details demonstriert und gezeigt, was für einen Feind die Revolution hat und welches Risiko daraus entstehen kann.

BÜRGERMEISTER (zu ULTRA). Darf ich um den erlauchten Nahmen bitten?

ULTRA. Fürst Knutikof Sibiritschevski, Tyrannski Absolutski.

BÜRGEMEISTER (zu SPERLING und RUMMELPUFF): Das muß schon einer von die ersten dortigen Fürsten seyn.

ULTRA (auf WILLIBALD zeigend). Den da Dollmetschki, (auf DEN NACHTWÄCHTER zeigend) den da Leibeinski.

BÜRGERMEISTER (bey Seite). Ich begreiffe nicht, woher ich so gut russisch verstehe. (Laut zu ULTRA.) Diese Leibeig’nen sind wirklich eine schöne Erfindung.

ULTRA (zum NACHTWACHTER). Iwanof Kuschku!

(NACHTWACHTER fallt, die Arme über die Brust kreutzend, vor ULTRA auf die Knie).

ULTRA (zieht eine Knute aus dem Gürtel). Tuki strixi patoki.

(Gibt DEM NACHTWACHTER ein Paar Streiche.)

(NACHTWACHTER küsst den Saum von Ultras Kleide, dann die Knute, und tritt wieder zurück.)

WILLIBALD. Dies ist der Charakter unserer Nation.

BÜRGERMEISTER. Schicksal, warum hast du keinen Russischen Bürgermeister aus mir gemacht?

ULTRA. Ah, Passionski regierski Volkski despotski. (II, 4)

Durch die Dialoge kann man eine Vorstellung von den gesellschaftlichen Verhältnissen der Zeit gewinnen. Die Szene lässt Schlüsse zu auf die tatsächlichen Klassenunterschiede, die damals nicht überwunden werden konnten. Dass aber die Windischgraetz-Äußerung, dass der Mensch erst beim Baron anfange,[66] hier ironisch zitiert wird, zeigt an, wie sehr das Gefüge der Standesbarrieren ins Schwanken geraten ist.

SPERLING (zu RUMMELPUFF). Versuchen Sie’s Anfangs mit Güte; es sind ja doch Menschen.

RUMMELPUFF. Menschen? warum nicht gar! der Mensch fängt erst beym Baron an.

ULTRA. (ihn freundlich auf die Achsel klopfend). Bravidschi Zopfki Aristokratski! (II, 7)

Dass wir alle nur „Menschen“ seien – ein großes Wort seit der Aufklärung – wird als Revolutionslosung auch gegen die Gegner der Revolution verwendet, denen ihr „Menschsein“ abgesprochen wird:

BÜRGERMEISTER (grimmig zu ULTRA). Mensch – !

ULTRA. Hätten Sie mir einen andern Nahmen gegeben, so hätt ich g’sagt „Selber einer“ – aber so – (I, 14)

Oder:

ULTRA. ‚s Is wahr, der Bürgermeister und ein Mensch kommen in’s selbe Haus; is halt a g’mischte Gesellschaft. (III, 2)

Wie sehr jedoch das Revolutionsstück „Freiheit in Krähwinkel“ nicht nur Dokument der Revolutionsereignisse ist, sondern auch Spiel, wird in jeder Szene deutlich. Revolution findet auf der Bühne statt, als Spiel mit Verkleidungen, Ablenkungsmanövern, Liebesintrigen: die Revolution als Spektakel, das man nicht versäumen möchte: „A bisserl Revolution anschauen“ (II, 11) – das ist der Wunsch des biederen Klempnermeisters Pemperl und seiner Freunde.[67]

DIE KRÄHWINKLERINNEN (aus dem Vordergrunde links auftretend). Halt! Halt Männer! Halt!

FRAU PEMPERL. Wo wollts denn hin?

PEMPERL. A Bisserl Revolution anschau’n.

FRAU PEMPERL. Na sei so gut, daß dir was g’schieht.

FRAU SCHNABENFELLNER (zu ihrem MANN). Du gehst gleich z’Haus.

SCHNABENFELLNER. Nein Weiberl, auf a 5 Minuten muß ich hinschau’n.

PEMPERL. Wer weiß, wann wieder a Revolution is.

FRAU PEMPERL. Nix da!

SCHNABENFELLNER (zu seiner FRAU). Mich brächt‘ die Neugier um zu Haus.

DIE KRÄHWINKLER. Wir müssen hin!

DIE KRÄHWINKLERINNEN. Dageblieben!

DIE KRÄHWINKLER. Um kein G’schloß! d’Revolution müssen wir seh’n. (II, 11)

Der Sieg über die Reaktion und ihre Helfershelfer, den verschlagenen Ratsdiener Klaus und den aufgeblasenen Rummelpuff – Bürokratie und Armee –, wird nicht durch offenen Kampf, sondern spielerische Überrumpelung errungen.

„Freiheit in Krähwinkel“ trägt den Stempel der Zeit. Das Stück ist eine sehr kritische Analyse der damaligen Zustände nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa. Die Revolution von 1848 war nicht nur ein österreichisches Phänomen, sondern eine Entwicklung, die für den ganzen Kontinent eine Umwälzung der politischen Zustände bedeutete. Die Biedermeier-Idylle war nicht aufrechtzuerhalten. Die knechtische Verehrung der Herrscher funktionierte nicht mehr. Die Bestrebungen nach mehr Freiheit und Gerechtigkeit hatten ihre Basis auch in der Misere, unter welcher die breiten und weiten Volksschichten litten. Ultras Lied (I, 7) am Anfang des Stückes ist ein Resümee des Aufbruchs in Österreich. Das Lied am Ende zeigt die Internationalität der Freiheitsbewegung und die Sonderstellung Österreichs.

[ULTRA.] Und da schreibt der Kerl „Heilig sei das Eigentum“ – ah diese Kreidenverschwendung, das is zu stark! [Wer hätt sich aber jemals dieses regsame bewegte Leben in dem friedlichen Krähwinkel als möglich gedacht. Wir haben halt jetzt überall die Zweite Auflag von der vor 14 hundert Jahren erschienenen Völkerwanderung, nur mit dem Unterschied, dass jetzt die Völker nicht wandern, sich aber desto stärker in ihren stabilen Wohnsitzen bewegen. Natürlich so was wirkt nach allen Seiten hin, gährt und muss sich abbeißen, und kann folglich nicht so g’schwind vorüber geh’n.]

Lied

[1.

Neapel

In Sizilien beiden

Wär’n d’Menschen z’beneiden,

Herumspazier’n imma

In ein herrlichen Klima,

In d’Politik nix pantschen,

Schön fressen Pomerantschen,

Singen Lieder der Minne

Zu der Mandeldoline,

Selbst Vesuvischem Brande

Ruhig zuschau’n vom Strande –

So hätt’s Leb’n in Neap’l recht a friedliches G’sicht,

Aber d’Weltg’schicht sagt: „justament nicht“.

Nach Freiheit hab’n s’ g’rungen,

’s is ihnen gelungen –

da denkt sich der Köni:

„Da wär’ i ja zweni;

’s Volk schreyt mordionisch:

„Nur nix mehr Bourbonisch!“ –

Die G’schicht ändern kann i,

I zahl d’Lazaroni,

Den Gusto solln’s büßen,

Ich laß s’ halt z’sammschießen.” –

Sie, das is curios,

Aber’s gibt noch ein Stoß,

’s is die Gährung z’groß,

Es geht überall los.

2.

England

In England wär’s herrli,

So findt man’s wohl schwerli,

’s Geld nach Pfund, nit nach Kreuzer,

Chesterkäs statt ein Schweitzer,

Diese Beafsteak das Porter,

Die gelehrten Oxforter!

Und trotz dass’s Volk herrscht allmächti,

Geht’s der Königin auch prächti;

Der Prinz Albert, nix weiter,

Als Victoria schreyt er,

So hätt’s Leben in London recht a freundliches G’sicht,

Aber d’Weltg’schicht sagt: „justament nicht“.

Betracht’n wir’s politisch,

Steht’s in England sehr kritisch,

So viel Millionen Gulden

Hat gar kein Staat Schulden,

In dem Reich der Drey Inseln

Thut auch z’viel Armuth winseln,

Aufgeklärt Occonnelisch,

Wird Irrland rebelisch,

Denn der Hung’r psychologisch

Is rein demagogisch.

O, ich bin drauf curios,

Na da gibt’s noch ein Stoß,

Denn die Gährung is z’groß,

Es geht überall los.

3.

Russland

Es lassen sich d’Russen

Durch gar nix aufhussen,

Dort hint bey die Eisbär’n

Thun s’ auch selten was Neu’s hör’n.

Sie hab’n viel Wutki viel Zobel,

Eins is billig, ein[s]’s nobel,

’s hat auch d’ Knute die schlimme,

Jetzt statt Acht Knöpf nur simme,

’s is rührend auf Ehre,

Wie s’ so mild wird’n die Czääre,

So hätt’s Leben in Russland recht a fridliches G’sicht,

Aber d’Weltg’schicht sagt: „Justament nicht“.

Der Czaar möchte den Westen

Mit Knechtschaft verpesten,

Bey der G’leg’nheit wird sein Osten

Die Freiheit verkosten;

’s wird ihn’n auf einmal z’rund seyn

Den Russen das Hundseyn

Geg’n d’Regirung so knutig

Empör’n sie sich muthig,

Z’reißen d’Ukas in Stuckeln,

Thun Caviar d’rein wickeln.

O, ich bin schon curios,

Denn da giebt’s noch ein Stoß,

’s is die Gährung zu groß,

Es geht überall los.

4.

Frankreich

Frankreich denkt sich, „was thu i,

Es prellt uns der Louis,

Um d’Freiheit allmählich

Durch Minister gar schmählich.

’s Thut’s nicht mehr Orleanisch,

Wer’n wir Republikanisch“.

’s kommt zur Realisierung

D’Proletarier Regierung.

In ein Tag waren s’ auf Rosen

Gebettet d’Franzosen.

So hätt ’s Leben in Frankreich recht a friedliches G’sicht,

Aber d’Weltg’schicht sagt, „justament nicht“.

Es woll’n d’Republiken

In Europa nicht glücken –

Selbst für die von die Schweitzer

Geb ich keine Fünf Kreuzer –

Von d’Pariser nicht wenig

Woll’n schon wieder ein König,

Woher nehm’n und nicht stehlen.

Viele Krieg’rische Seelen

Ein Napoleon verlangen;

Da wer’n sie’s erst fangen,

O, i bin drauf curios,

Denn da gibt’s noch ein Stoß,

’s is die Gährung zu groß,

Es geht überall los.

5.

Österreich

Anders thut sich Österreich machen,

Da geh’n umg’kehrt die Sachen;

Zwar is d’Aufgab’ ka kleine,

Da z’kommen in’s Reine,

’s Soll ein Cirkel Völkerschaften

An ein Mittelpunct haften,

Unser’ Stellung war schwirig,

Und Viele haben schon gierig

G’wart’t auf uns’re Auflösung

(Niest.) Atzi! zu[r] Genesung!

Sie hab’n schon glaubt, dass All’s feindlich in Theile zerbricht –

Aber d’Weltg’schicht sagt: „justament nicht“.

Eine Freyheit vereint uns,

So wie a Sonn’ nur bescheint uns,

Gscheh’n auch Umtrieb von Ischl

Oder von Leitomischl,

Wir kommen zur Klarheit,

G’sunder Sinn find’t schon d’Wahrheit;

Und trotz die Diff’renzen

Wird Östreich hoch glänzen

Fortan durch Jahrhundert

Gepriesen bewundert –

Wir steh’n da, ganz famos,

Wir fürchten kein’n Stoß,

Is die Gährung auch groß,

Bey uns geht nix mehr los. (III, 22)

Man kann natürlich noch vieles über „Freiheit in Krähwinkel“ sagen. Das Stück ist als Revolutionsstück in besonderer Weise dazu geeignet, sich Gedanken über den „Realismus“ von Literatur zu machen oder darüber, inwieweit der Autor als Intellektueller sich politisch äußern kann und soll. Dass diese Fragen bis heute aktuell geblieben sind, macht auch den Reiz des Stückes „Freiheit in Krähwinkel“ aus.

Zusammenfassung

Ziel dieser Studie war es, ein möglichst komplettes Bild Nestroys zu zeichnen. Nestroy als Stückeschreiber, Bearbeiter und Schauspieler ist im Gesamtkontext der langen Tradition des Volksstückes und des damit verbundenen Volkstheaters zu verstehen. Diese Tradition war der Nährboden, aus dem Nestroys literarische und schauspielerische Laufbahn erwuchs. Nur, bei Nestroy kann nicht, wie bei seinen Vorläufern, von einem Festhalten an den alten Spielregeln der Tradition des Volksstückes die Rede sein. Nestroy vollzog den Bruch mit dieser Tradition und wurde somit ein österreichisches „Phänomen“. Was heißt aber „Bruch“ in diesem Fall? Was macht ihn erkenntlich im Werk Nestroys? Die Antwort kann man an seinen Stücken ablesen. Nestroy fand am Anfang seines literarischen Schaffens ein breites Spektrum sozialer und politischer Themen vor, einen Kanon volksstückhafter Konfliktsituationen. Bei ihm werden aber diese Konflikte anders gelöst: es gibt kein Happy End, stattdessen macht sich Resignation breit. Zuletzt erscheinen die Verhältnisse nicht geändert, sondern bestätigt. Anders als bei seinen Vorgängern wird der Nestroy-Mensch nicht „verbessert“. Es wird vielmehr sein Verhalten bloßgestellt und „lächerlich“ gemacht.

Mit Absicht steht „Der konfuse Zauberer“ am Beginn unserer Auseinandersetzung mit Nestroy. Dieses Stück signalisiert, wie oben erwähnt, den Bruch mit der Tradition des Zauberstückes. Die vermeintlich fehlerfreien Feen und Geister verhalten sich wie Menschen, in mancher Hinsicht schlimmer sogar als sie. Mit „Der konfuse Zauberer“ rüttelt Nestroy am Tabu von der fehlerfreien Welt der Feen und Geister. Diese bislang unantastbaren „hohen“ Kreaturen nehmen menschliche Eigenschaften an und werden dadurch Objekte nestroyscher Satire.

„Lumpazivagabundus“ ist das erfolgreichste Stück Nestroys. So wie in „Der konfuse Zauberer“ wird dem Publikum auch hier eine konfliktreiche Feenwelt vorgestellt. Ginge es nach der alten Tradition, wären Streit, Rebellion und Wette den Menschen vorbehalten. Nestroy stand in diesem Fall im klaren Gegensatz zu Ferdinand Raimund. Raimund, wiewohl fast ein Zeitgenosse Nestroys, hielt sich an die Spielregeln des traditionellen Zauber- und Besserungsstückes. Die Verbesserung der Menschen auf der Erde durch Feen und Geister kennzeichnet das Ende seiner Stücke. Es gibt bei Raimund eine klare Trennlinie zwischen Welt und Himmel. In „Lumpazivagabundus“ schmilzt sie allmählich. Es gibt kaum einen Unterschied zwischen Menschen und Feen. Menschliche Konflikte werden auf die Feenwelt übertragen. Die Feen handeln und streiten gleich wie die Menschen. Von vornherein wird auch der Ausgang des Konfliktes signalisiert. Was kann diese überirdische Macht für die Menschen tun, wie kann sie den Menschen verbessern, wenn sie seine Probleme teilt!

In „Der Talisman“ bringt Nestroy die Vorurteile einer Gesellschaft und die Ausgrenzung von Außenseitern zur Sprache. In dem Stück wird die „hohe“ Gesellschaft angegriffen und entlarvt. Das erreicht Nestroy durch seinen souveränen Umgang mit Sprache, die hier selbst zum Thema wird. Die Grenzen der Sprache werden durch das Spiel mit derselben aufgezeigt.

Die Revolution von 1848 konnte nicht ohne Spuren im Werk Nestroys bleiben. „Freiheit in Krähwinkel“ ist aber keineswegs ein Stück für und über die Revolution im engeren Sinne. Dieses Ereignis wird aus der Perspektive eines Komikers und Kritikers betrachtet. Nestroy übt Kritik an seinen österreichischen Mitbürgern, die alles andere im Sinn haben, als Revolution zu machen, stattdessen lieber „Revolution schauen“! Die Gelegenheit gibt es ja nicht jeden Tag! Selbst in dem pointiert ausgewählten Titel ist ein ironischer Unterton bemerkbar. Österreich ist ein Winkel in dieser Welt, wo nur die Hähne krähen, sonst nichts. Ultras Resümee „Bey uns geht nix mehr los“ bringt die Kritik auf den Punkt, die Nestroy an der österreichischen „Revolution“ von 1848 übte.

Nestroy im Bild

Wenzel Scholz und Nestroy als Nationalgardisten

Öl

Nestroy (Brustbild mit Hut)

Lithographie von August Prinzhofer, 1846

Nestroy als Sansquartier

Aquarell von Melchior Fritsch, 1857

Nestroy als Natzi (Eulenspiegel)

Öl von Franz Gaul

Nestroy als Pan (in Offenbachs Daphnis und Chloe)

Aquarell von Emil von Hartitzsch

Wenzel Scholz, Karl Treumann und Nestroy

Lithographie von Joseph Kriehuber, 1855

Nestroy als Tratschmiedl

Öl von Franz Gaul, 1866

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nestroy als Willibald (Die schlimmen Buben in der Schule)

Lithographie von Melchior Fritsch, 1857

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Der österreichische Shakespeare“

Johann Nepomuk Eduard Ambrosius Nestroy 1801–1862

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nestroys Reisepass

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wenzel Scholz (1787-1857)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Marie Weiler

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nestroy als Bertram in »Robert der Teuxel«

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Szene aus "Zu ebener Erde und erster Stock"

Wenzel Scholz

Aquarell von Franz Gaul

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Johann Nestroy

Lithographie von Melchior Fritsch, 1857

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Marie Weiler

Photographie, 1860

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nestroy als Jupiter in Offenbachs Operette

»Orpheus in der Unterwelt«

Grabstein auf dem Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof

Nestroys Lebenswerk

1. Friedrich, Prinz von Korsika (zwischen 1822 und 1826/27)

2. Der Zettelträger Papp (1827)

3. Sieben / Zwölf Mädchen in Uniform (1827)

4. Die Verbannung aus dem Zauberreiche oder Dreißig Jahre aus dem Leben eines Lumpen (1828) Dreißig Jahre aus dem Leben eines Lumpen (1829)

5. Der Einsilbige oder Ein dummer Diener seines Herrn (1829)

6. Der Tod am Hochzeitstage oder Mann, Frau, Kind (1829)

7. Der unzusammenhängende Zusammenhang (1830)

8. Magische Eilwagenreise durch die Komödienwelt (...) (1830)

9. Zwei Schüsseln voll Faschingskrapfen (1831)

10. Der gefühlvolle Kerkermeister oder Adelheid die verfolgte Wittib (1832)

11. Nagerl und Handschuh oder Die Schicksale der Familie Maxenpfutsch (1832)

12. Humoristische Eilwagenreise durch die Theaterwelt (1832)

13. Zampa der Tagdieb oder die Braut von Gips (1832)

14. Der konfuse Zauberer oder Treue und Flatterhaftigkeit (1832)

15. Die Zauberreise in die Ritterzeit oder Die Übermütigen (1832)

16. Genius, Schuster und Marqueur oder Die Pyramiden der Verzauberung (1832)

17. Der Zauberer Februar oder Die Überraschungen (1833)

18. Der Feenball oder Tischler, Schneider und Schlosser

19. Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt (1833)

20. Robert der Teuxel (1833)

21. Der Tritschtratsch (1833)

22. Der Zauberer Sulphurelectrimagnetikophosphoratus und die Fee Walpurgiblocksbergiseptemtrionalis oder Die Abenteuer in der Sclaverey oder Asiatische Strafe für europäische Vergehen oder Des ungeratenen Herrn Sohnes Leben, Taten und Meinungen, wie auch dessen Bestrafung in der Sklaverei und was sich all dort Ferneres mit ihm begab (1834)

23. Müller, Kohlenbrenner und Sesseltrager oder Die Träume von Schale und Kern (1834)

24. Das Verlobungsfest im Feenreiche oder Die Gleichheit der Jahre (1834)

25. Die Gleichheit der Jahre (1834)

26. Die Fahrt mit dem Dampfwagen (1834)

27. Die Familien Zwirn, Knieriem und Leim oder Der Welt-Untergangs-Tag (1834)

28. Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab (1835)

29. Eulenspiegel oder Schabernack über Schabernack (1835)

30. Zu ebener Erde und erster Stock oder Die Launen des Glückes (1835)

31. Der Treulose oder Saat und Ernte (1836)

32. Die beiden Nachtwandler oder Das Notwendige und das Überflüssige (1836)

33. Der Affe und der Bräutigam (1836)

34. Eine Wohnung ist zu vermieten in der Stadt, Eine Wohnung ist zu verlassen in der Vorstadt, Eine Wohnung mit Garten ist zu haben in Hietzing (1837)

35. Moppels Abenteuer im Viertel unter Wiener Wald, in Neu-Seeland und Marokko (1837)

36. Das Haus der Temperamente (1837)

37. Glück, Mißbrauch und Rückkehr oder Das Geheimnis des grauen Hauses (1838)

38. Der Kobold oder Staberl im Feendienst (1838)

39. Gegen Torheit gibt es kein Mittel (1838)

40. Die verhängnisvolle Faschingsnacht (1839)

41. Der Färber und sein Zwillingsbruder (1840)

42. Der Erbschleicher (1840)

43. Die zusammengestoppelte Komödie (1840)

44. Der Talisman (1840)

45. Das Mädl aus der Vorstadt oder Ehrlich währt am längsten (1841)

46. Einen Jux will er sich machen (1842)

47. Die Ereignisse im Gasthofe (1842)

48. Die Papiere des Teufels oder Der Zufall (1842)

49. Liebesgeschichten und Heiratssachen (1843)

50. Das Quodlibet verschiedener Jahrhunderte (1843)

51. Nur Ruhe (1843)

52. Eisenbahnheiraten oder Wien, Neustadt, Brünn (1844)

53. Hinüber Herüber (1844)

54. Der Zerrissene (1844)

55. Die beiden Herren Söhne (1845)

56. Das Gewürzkrämerkleeblatt oder Die unschuldigen Schuldigen (1845)

57. Unverhofft (1845)

58. Der Unbedeutende (1846)

59. Zwei ewige Juden und Keiner (1846)

60. Der Schützling (1847)

61. Die schlimmen Buben in der Schule (1847)

62. Martha oder Die Mischmonder Markt-Mägde-Mietung (1848)

63. Die Anverwandten (1848)

64. Freiheit in Krähwinkel (1848)

65. Lady und Schneider (1849)

66. Judith und Holofernes (1849)

67. Der alte Mann mit der jungen Frau (1849)

68. Höllenangst (1849)

69. Sie sollen ihn nicht haben oder Der holländische Bauer (1850) Der holländische Bauer (1850)

70. Karikaturen-Charivari mit Heiratszweck (1850)

71. Alles will den Propheten sehen (1850)

72. Verwickelte Geschichte (1850)

73. Mein Freund (1851)

74. Der gemütliche Teufel oder Die Geschichte vom Bauer und der Bäuerin (1851)

75. Kampl

76. Heimliches Geld, heimliche Liebe (1853)

77. Theaterg’schichten durch Liebe, Intrige, Geld und Dummheit (1854)

78. Nur keck! (1856)

79. Umsonst (1857)

80. Tannhäuser (1857)

81. Ein gebildeter Hausknecht

82. Zeitvertreib (1858)

83. Lohengrin (1859)

84. Frühere Verhältnisse (1862)

85. Häuptling Abendwind oder Das greuliche Festmahl (1862)

Bibliographie

Primärliteratur

Nestroy, Johann: Der Talisman. In: Johann Nestroy: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Jürgen Hein und Johann Hüttner. Bd 17/I. Hrsg. von Jürgen Hein und Peter Haida. Wien: Jugend und Volk 1993, S. 5 – 86.

Nestroy, Johann: Der böse Geist Lumpacivagabundus. In: Johann Nestroy: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Jürgen Hein, Johann Hüttner, Walter Obermaier und W. Edgar Yates. Bd 5. Hrsg. von Friedrich Walla. Wien: Jugend und Volk 1993, S. 69 – 132.

Nestroy, Johann: Der konfuse Zauberer. In: Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Bd 1. Hrsg. von Otto Rommel. Wien: Anton Schroll & Co 1962, S. 219 – 304.

Nestroy, Johann: Freiheit in Krähwinkel. In: Johann Nestroy: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Jürgen Hein, Johann Hüttner, Walter Obermaier und W. Edgar Yates. Bd 26/I. Hrsg. von John R. P. McKenzie. Wien: Jugend und Volk 1995, S. 7 – 77.

Nestroy, Johann: Weder Loorbeerbaum noch Bettelstab. In: Johann Nestroy: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Jürgen Hein, Johann Hüttner, Walter Obermaier und W. Edgar Yates. Bd 8/II. Hrsg. von Friedrich Walla. Wien: Deuticke 1998, S. 17 – 81.

Nestroy, Johann: Einen Jux will er sich machen. In: Johann Nestroy: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Jürgen Hein und Johann Hüttner. Bd 18/I. Hrsg. von W. Edgar Yates. Wien: Jugend und Volk 1991, S. 9 – 95.

Sekundärliteratur

Basil, Otto: Johann Nestroy in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1967. (=Rowohlts Monographien. 133.)

Brill, Siegfried: Die Komödie der Sprache. Untersuchungen zum Werke Johann Nestroys. Nürnberg: Hans Carl 1967. (=Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft. 28.)

Häusler, Wolfgang: Freiheit in Krähwinkel? Biedermeier, Revolution und Reaktion in satirischer Beleuchtung. In: Österreich in Geschichte und Literatur, 31, H. 2 (1987), S. 69-111.

Hein, Jürgen: Johann Nestroy. Stuttgart: Metzler 1990. (=Sammlung Metzler. 258.)

Hein, Jürgen: Spiel und Satire in der Komödie Johann Nestroys. Bad Homburg v. d. H., Berlin, Zürich: Gehlen 1970. (=Ars poetica: Studien. 11.)

Müller, Gerd: Das Volksstück von Raimund bis Kroetz. Die Gattung in Einzelanalysen. München: R. Oldenbourg 1979. (=Analysen zur deutschen Sprache und Literatur.)

Obermaier, Walter: Nestroy und Stainhauser. In: W. Edgar Yates, John R. P. McKenzie (Hrsg.): Viennese popular theatre: A Symposium/Das Wiener Volkstheater: Ein Symposion. University of Exeter. Exeter: A. Wheaton & Co Ltd 1985, S. 41-54.

Rommel, Otto: Johann Nestroys Weg vom Opernsänger zum Volkskomiker (1801-1831). In: Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Bd 1. Wien: Anton Schroll & Co 1962, S. 9-26.

Urbach, Reinhard: Komödie als Satire: Nestroy. In: Reinhard Urbach: Die Wiener Komödie und ihr Publikum. Stranitzky und die Folgen. Wien, München: Jugend und Volk 1973, S. 117-125. (=Wiener Themen.)

Walla, Friedrich: Der böse Geist Lumpazivagabundus – Einführung. In: Johann Nestroy: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Jürgen Hein, Johann Hüttner, Walter Obermaier und W. Edgar Yates. Bd 5. Hrsg. von Friedrich Walla. Wien: Jugend und Volk 1993, S. 65-68.

Walla, Friedrich: „Der böse Geist Lumpazivagabundus“ – Entstehung und Rezeption. In: Johann Nestroy: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Jürgen Hein, Johann Hüttner, Walter Obermaier und W. Edgar Yates. Bd 5. Hrsg. von Friedrich Walla. Wien: Jugend und Volk 1993, S. 297-618.

www.nestroy.at [Stand: 06. 03. 2004]

Yates, W. Edgar, McKenzie, John R. P. (Hrsg.): Viennese Popular Theatre: A Symposium/Das Wiener Volkstheater: Ein Symposion. University of Exeter. Exeter: A. Wheaton & Co Ltd 1985.

Zeman, Herbert: Johann Nepomuk Nestroy. Wien: Holzhausen 2001.

Abbildungenhinweis

Die Abbildungen stammen aus der Nestroy-Internetadresse http://www.nestroy.at [Stand: 06. 03. 2004]

ENDE

[...]


[1] Herbert Zeman: Johann Nepomuk Nestroy. Wien: Holzhausen 2001, S. 46.

[2] Gerd Müller: Das Volksstück von Raimund bis Kroetz. Die Gattung in Einzelanalysen. München: R. Oldenbourg 1979, S. 12. (=Analysen zur deutschen Sprache und Literatur.)

[3] Ebda, S. 12-13.

[4] Vgl. ebda, S. 13.

[5] Ebda, S. 13.

[6] Ebda, S. 14.

[7] Ebda.

[8] Vgl. ebda.

[9] Ebda.

[10] Ebda.

[11] Ebda, S. 14-15.

[12] Vgl. ebda.

[13] Zeman, S. 17f.

[14] Ebda, S. 25.

[15] Ebda, S. 34.

[16] Ebda, S. 60f.

[17] URL: www.nestroy.at [Stand: 06. 03. 2004]

[18] A. a. O.

[19] W. E. Yates, John R. P. McKenzie (Hrsg.): Viennese Popular Theatre: A Symposium/Das Wiener Volkstheater: Ein Symposion. University of Exeter. Exeter: A. Wheaton & Co Ltd 1985, S. 110.

[20] www.nestroy.at [Stand: 06. 03. 2004]

[21] A. a. O.

[22] A. a. O.

[23] A. a. O.

[24] Reinhard Urbach: Die Wiener Komödie und ihr Publikum. Komödie als Satire: Nestroy. Wien, München: Jugend und Volk 1973, S. 122. (=Wiener Themen.)

[25] Otto Basil: Johann Nestroy in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1967, S. 7. (=Rowohlts Monographien. 133.)

[26] www.nestroy.at [Stand: 06. 03. 2004]

[27] Johann Nestroy: Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab (1835). In: Johann Nestroy: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Jürgen Hein, Johann Hüttner, Walter Obermaier und W. Edgar Yates. Bd 8/II. Hrsg. von Friedrich Walla. Wien: Deuticke 1998, S. 17 – 81.

[28] www.nestroy.at {Stand: 06. 03. 2004]

[29] Basil, S. 7.

[30] Ebda, S.14.

[31] Ebda, S. 14f.

[32] Zeman, S. 48f.

[33] Ebda, S. 49.

[34] Müller, S. 17.

[35] Johann Nestroy: Der konfuse Zauberer (1832). In: Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Bd 1. Hrsg. von Otto Rommel. Wien: Anton Schroll & Co 1962, S. 219 – 304. (In diesem Kapitel mit römischer Akt- und arabischer Szenenangabe zitiert.)

[36] Otto Rommel: Johann Nestroy, der Satiriker auf der Altwiener Komödienbühne. In: Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Bd 1. Wien: Anton Schroll & Co 1962, S. 9-26, hier S. 10 f.

[37] Hier lässt sich die Brücke zum Volksstück schlagen.

[38] Ganz ähnlich das Schwanken der Melancholie zwischen Todessehnsucht und der Sorge ums eigene Wohlergehen: „Ich wünsch’ mir nichts als den Tod! ... Acht geben, Fiaker, dass du nicht umwirfst.“ (I, 10)

[39] Müller, S. 9.

[40] Vgl. ebda.

[41] Ebda, S. 9.

[42] Ebda.

[43] Ebda, S. 9-10.

[44] Vgl. ebda.

[45] Ebda, S.10.

[46] Zeman, S. 71.

[47] Müller, S. 27.

[48] Johann Nestroy: Der böse Geist Lumpacivagabundus (1833). In: Johann Nestroy: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Jürgen Hein, Johann Hüttner, Walter Obermaier und W. Edgar Yates. Bd 5. Hg. von Friedrich Walla. Wien: Jugend und Volk 1993, S. 69 – 132. (In diesem Kapitel mit römischer Akt- und arabischer Szenenangabe zitiert.)

[49] Ebda, S. 66.

[50] Zeman, S. 71.

[51] Ebda.

[52] Walter Obermaier: Nestroy und Stainhauser. In: W. Edgar Yates, John R. P. McKenzie (Hrsg.), Viennese popular theatre: A Symposium/Das Wiener Volkstheater: Ein Symposion. University of Exeter. Exeter: A. Wheaton & Co Ltd 1985, S. 41-54, hier S. 46.

[53] Nun spielt das Thema Liebe bei Nestroy generell keine wesentliche Rolle, sondern er verziert damit seine Stücke, entweder um zu zeigen, dass er in den Bahnen der Tradition des Volksstückes bleibt, oder eben um diese Tradition zu verspotten.

[54] Friedrich Walla, Lumpacivagabundus, S. 334.

[55] Johann Nestroy: Der Talisman (1840). In: Johann Nestroy: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Jürgen Hein und Johann Hüttner. Bd 17/I. Hg. von Jürgen Hein und Peter Haida. Wien: Jugend und Volk 1993, S. 5 – 86. (In diesem Kapitel mit römischer Akt- und arabischer Szenenangabe zitiert.)

[56] Reinhard Urbach. Die Wiener Komödie und ihr Publikum. Stranitzky und die Folgen. Wien, München: Jugend und Volk 1973, S. 117. (=Wiener Themen.)

[57] Johann Nestroy: Freiheit in Krähwinkel (1848). In: Johann Nestroy: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Jürgen Hein, Johann Hüttner, Walter Obermaier und W. Edgar Yates. Bd 26/I. Hg. von John R. P. McKenzie. Wien: Jugend und Volk 1995, S. 7 – 77. (In diesem Kapitel mit römischer Akt- und arabischer Szenenangabe zitiert.)

[58] Vgl. dazu auch: Wolfgang Häusler: Freiheit in Krähwinkel? Biedermeier, Revolution und Reaktion in satirischer Beleuchtung. In: Österreich in Geschichte und Literatur 31, H. 2. (1987), S. 69-111.

[59] Vgl. Hinweis von J. Hein in der Reclam-Ausgabe des Stücks. Johann Nestroy: Freiheit in Krähwinkel. Hg. von Jürgen Hein. Stuttgart 1994, S. 61.

[60] Häusler, Freiheit in Krähwinkel?, S. 87.

[61] Ebda, S. 85.

[62] Ebda.

[63] Anspielung auf Metternich, der Wien in Frauenkleidern verlassen musste.

[64] Vgl. Johann Nestroy: Einen Jux will er sich machen. Stuttgart 1998, S. 22. (I, 13)

[65] Häusler, S. 97.

[66] Ebda, S. 89.

[67] Ebda, S. 98.

Ende der Leseprobe aus 109 Seiten

Details

Titel
Johann Nepomuk Nestroy in der Tradition des Wiener Volkstheaters
Hochschule
Karl-Franzens-Universität Graz
Autor
Jahr
2004
Seiten
109
Katalognummer
V108795
ISBN (eBook)
9783640069880
Dateigröße
1364 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Johann, Nepomuk, Nestroy, Tradition, Wiener, Volkstheaters
Arbeit zitieren
Amir Ballaj (Autor:in), 2004, Johann Nepomuk Nestroy in der Tradition des Wiener Volkstheaters, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108795

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