Verantwortlicher Gehorsam? Gehorsam in Theorie und Praxis in Bonhoeffers 'Nachfolge' und 'Ethik'


Seminararbeit, 1996

25 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Darstellung
2. 1. Der einfältige Gehorsam
2. 2. Die Struktur des verantwortlichen Lebens

3. Vergleich von einfältigem Gehorsam und verantwortlichem Leben
3. 1. Verhältnisbestimmung
3. 2. Vergleich nach einzelnen Gesichtpunkten
3. 2. 1. Bindung
3. 2. 2. Freiheit
3. 3. Fazit

4. Beurteilung
4. 1. Prüfung an der Heiligen Schrift
4. 2. Prüfung an der Praxis

Literatur

1. Einleitung

„Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe“[1].

So sagt es uns Jesus, und wer ihn als seinen Herrn und Erlöser erkannt hat, dem wird es das wichtigste Anliegen, seinen Willen zu tun. In der Bergpredigt finden wir nun Gebote Jesu, die uns in ihrer Radikalität faszinieren und in Frage stellen, uns dabei aber oft weltfremd und undurchführbar erscheinen. Unter den vielen Theorien zu der Frage, was die Bergpredigt dem heutigen Menschen zu sagen hat, fällt der Entwurf, den Dietrich Bonhoeffer in seinem Buch „Nachfolge“ ausführt, positiv auf, weil er davon ausgeht, daß Jesus das meint, was er sagt, wenn er vom Tun seiner Rede spricht.[2] Es geht Bonhoeffer „immer um das Halten des Gebotes und gegen das Ausweichen.“[3]

Weil dieses Buch aber den Eindruck hinterläßt, immer noch relativ weit vom praktischen Leben entfernt zu sein, ist es interessant, zu betrachten, wie Bonhoeffer selbst mit den schweren Entscheidungen und ethischen Konflikten umgegangen ist, die die Teilnahme an der Verschwörung gegen Hitler für ihn mit sich gebracht haben. Ein Zeugnis darüber findet sich in Bonhoeffers Ethik, dessen Kapitel „die Geschichte und das Gute“ eine getarnte ethische Analyse des Widerstands enthält.[4] Hier steht an der Stelle, die der „einfältige Gehorsam“ in der „Nachfolge“ hatte, der Begriff der „Verantwortung“.

Das erscheint auf den ersten Blick wie ein Bruch in Bonhoeffers Theologie: Wie verträgt sich die Aussage, der Verantwortliche habe „zwischen Recht und Recht, Unrecht und Unrecht“ zu entscheiden,[5] mit der in der „Nachfolge“ immer wieder betonten Eindeutigkeit des Gebotes? Ist die Behauptung, es gäbe Grenzfälle, in denen das Gebot übertreten werden muß,[6] nicht schon ein Ausweichen vor dem Gebot mit der Frage der Schlange im Paradies: „Ja, sollte Gott gesagt haben ...?“[7] Um die folgende Frage soll es uns gehen: Ist Verantwortung die Umsetzung des einfältigen Gehorsams als dessen praktische Konsequenz, oder ist ein jugendlicher Idealismus Bonhoeffers, mit dem er in der noch etwas heileren Welt von Finkenwalde die „Nachfolge“ schrieb, an der grausamen Realität des Nazi-Regimes in seiner Endphase zerbrochen?

2. Darstellung

2. 1. Der einfältige Gehorsam

An dem Buch „Nachfolge“, das 1937 erschien, hatte Bonhoeffer während seiner Jahre als Auslandspfarrer in London und als Studiendirektor des Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Finkenwalde gearbeitet. Die früheste Spur der Arbeit für das Buch findet sich im Frühjahr 1934.[8]

Im Vorwort des Buches sieht Bonhoeffer die Kirche seiner Zeit, also während des Kirchenkampfes, in einer Zeit der Erneuerung: Zum einen stelle die Situation vor die Frage, wie man ein treuer Christ sein könne, zum anderen sei die christliche Botschaft vielen fremd geworden, weshalb man all das Menschliche, das man zwischen sie und Christus gestellt habe, wegräumen müsse.[9] Beides führt Bonhoeffer zu einer Suche nach Jesus Christus, wie ihn die Heilige Schrift uns zeigt: „Was hat Jesus uns sagen wollen? Was will er heute von uns?“[10] Das Ziel ist also „die volle Befreiung der Menschen zur Gemeinschaft Jesu“[11], die nur in der Nachfolge möglich ist. Weil der einzige Inhalt der Nachfolge ist, „Folge mir nach, laufe hinter mir her!“[12], kann sich hier keine Menschensatzung und kein Ideal zwischen den Menschen und Jesus schieben. Nachfolge ist „Bindung an Jesus Christus allein“[13].

Diese Nachfolge kann aber nur als einfältiger Gehorsam gegenüber dem Ruf Jesu erfolgen. Der Gehorsam setzt den Ruf voraus. Wo jemand aus eigenem Antrieb z. B. alle seine Güter verkauft und das Geld den Armen gibt,[14] handelt es sich nicht um einen Gehorsamsschritt, sondern um die „freie Setzung eines eigenen Lebensstils, eines christlichen Ideals“[15]. So etwas wäre dann ein eigener Verdienst, den der Mensch als Vorbedingung bringen müßte, um mit Christus Gemeinschaft haben zu können. Wo dagegen der Ruf Voraussetzung ist, ist der Eigenverdienst ganz ausgeschlossen.[16]

Weil einfältig gehorchen bedeutet, einfach zu tun, was der Ruf fordert, ist vorausgesetzt, daß dieser Ruf eindeutig und klar ist. Das war er zu biblischen Zeiten auf jeden Fall.[17] Weil uns heute aber die Gebote Jesu in der Schrift nicht in persönlicher Anrede begegnen, wird Gehorsam zum hermeneutischen Problem. Der hermeneutische Schlüssel, der uns zeigt, was die Schrift uns sagen will muß „der lebendige Christus selbst“ bleiben, der nicht durch irgend ein Prinzip, über das wir verfügen könnten ersetzt werden darf.[18] Freilich darf ich mich nicht ohne weiteres mit einem in der Bibel Angeredeten identifizieren, dann würde ich mich ja wieder selbst entscheiden, welches Gebot nun gerade mir gilt.[19] Es kommt Bonhoeffer hier darauf an, daß man sich nicht selbst mit der Meinung, man wüßte nicht was Jesus von einem fordere, am gehorchen hindert.[20] Diese Meinung rechnet nicht damit, daß Jesus Christus heute lebt und uns heute in Wort und Sakrament real begegnet.[21]

Aus dem selben Grund warnt Bonhoeffer auch vor dem „paradoxe(n) Verständnis der Gebote“.[22] Am Beispiel des Reichen Jünglings[23] läßt sich paradoxe Auslegung gut zeigen: Jesus sagt, daß ich alle meine Güter verkaufen und das Geld den Armen geben soll. Eigentlich will er aber, daß ich innerlich frei von meiner Bindung an den Reichtum werde. Also kann ich mich auch innerlich freimachen und so mein Geld behalten. - Das Problem ist, daß der reiche Jüngling sich eben nicht innerlich freimachen konnte.[24] Wenn er so argumentiert hätte, hätte er sich selbst betrogen, und sich damit um den Gehorsam gebracht. Das paradoxe Verständnis hat seine Berechtigung, weil es Jesus letztlich tatsächlich nicht um das äußere Werk, sondern um die innere Freiheit zur Nachfolge geht.[25] Wer jedoch so denkt, ohne vorher dem Gebot einfältig, in seinem Wortsinn, gehorcht zu haben, steht in der Gefahr, sich die innere Einstellung nur vorzumachen, und so, ohne daß er es merkt, weder paradox noch einfältig zu gehorchen. Wer das Gebot wörtlich erfüllen will, merkt sehr schnell, ob er die dazu nötige innere Einstellung hat, oder nicht.[26]

All diese -oft unbewußten- Ausweichmanöver vor dem eindeutigen Gebot Christi sieht Bonhoeffer zusammengefaßt in der Frage der Schlange im Paradies: „Ja, sollte Gott gesagt haben (...)?“[27]

Wie schon angedeutet, ist das letzte Ziel des Rufes Jesu immer der Glaube. Ob nun, wie beim reichen Jüngling, etwas ausgeräumt wird, was ihn von der Nachfolge abhält, ob, wie bei Petrus, als er auf dem Wasser läuft, gewagtes Vertrauen bestätigt wird[28], oder ob heute einer in die Kirche geht, wo er Gottes Wort hört[29], der Gehorsamsschritt führt immer in „die Situation, in der geglaubt werden kann“[30]. Der Zusammenhang „Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt[31] ist einer der Dreh- und Angelpunkte im Buch „Nachfolge“.

Es bleibt die Frage, warum „Ruf“ und „Gebot“ hier so parallel verwendet werden und welches Verhältnis das Gesagte zur Bergpredigt hat. Jesus ruft in die Nachfolge; Nachfolge ist Bindung an Christus, der uns wiederum an Gottes Gesetz bindet.[32] Die Bergpredigt zeigt, weil sie von dem „Herrn und Geber des Gesetzes“ ist, das rechte Verständnis des Gesetzes,[33] und sie ist in Bonhoeffers Argumentationsgängen das, was Nachfolge praktisch mit sich bringt[34].

2. 2. Die Struktur des verantwortlichen Lebens

Das Buch „Ethik“ ist eine nachträgliche Zusammenstellung von Manuskripten aus den Jahren 1940 bis 1943 für eine Ethik, an der Bonhoeffer bis zu seiner Verhaftung am 5. April 1943 gearbeitet hat. Eberhard Bethge fand sie damals auf Bonhoeffers Schreibtisch und veröffentlichte sie später.[35]

Während der Arbeit an seiner Ethik führte Bonhoeffer ein „Doppelleben“ in der „Zwielichtigkeit“ „verantwortliche(r) konspirative(r) Aktion“. Er „war seinem Beruf nach wissenschaftlich theologischer Ratgeber der Bekennenden Kirche, außerdem aber auch V-Mann der Abwehr geworden;“[36] weil er wegen seines Engagements in der internationalen Ökumene viele Auslandskontakte pflegte, hatte er bei der „Abwehr“ die offizielle Aufgabe, kriegswichtige Informationen für die deutsche Führung zu beschaffen, für die Verschwörergruppe, die das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 durchführte, sollte er Kontakte mit dem Ausland knüpfen.

Bethge schreibt über die damals entstandenen Kapitel: Sie wollen „nicht nur logisch argumentieren, sondern auch zum Handeln befreien.“[37] D. h., wir haben hier die theologische Reflexion über die ethische Grenzsituation, die wir gesucht haben.

Der Grenzfall, wie Bonhoeffer die Verschwörung im Rückblick nennt,[38] wird in dem „Ethik“-Kapitel „die Geschichte und das Gute“ erörtert. Dieser Text, auf dessen zweite Fassung hier Bezug genommen wird, ist in der ersten Hälfte des Jahres 1942 entstanden.

Darin zeigt Bonhoeffer, daß es nicht richtig ist, einen „abstrakten Begriff des Guten“ an der konkreten geschichtlichen Wirklichkeit zu verwirklichen, weil er an der Wirklichkeit des Lebens vorbeigeht.[39] Die Frage nach dem Guten muß deshalb unter Beachtung der jeweiligen geschichtlichen Situation beantwortet werden. In dieser konkreten Lebenssituation ist die Entscheidung in Verantwortung zu treffen. Deshalb heißt der Hauptteil dieses Abschnitts auch „Die Struktur des verantwortlichen Lebens“.

Wo einer einen berechtigten Anspruch an einen anderen stellt, muß dieser sich vor jenem verantworten. Einen solchen Anspruch stellt nun Gott und durch sein Gebot der Nächste an den Menschen,[40] und die Bibel sagt klar, daß kein Mensch sich vor Gott verantworten kann, weil eben keiner Gottes Anspruch gerecht wird[41]. Hier gibt es nur einen Ausweg: „ Zur Rechenschaft gezogen von den Menschen und vor Gott, kann ich mich nur durch das Zeugnis von Jesus Christus verantworten“.[42] Bonhoeffer verwendet hier Formulierungen, die zwar verwirrend sind, sich aber etwa folgendermaßen zusammenfassen lassen: Jesus Christus hat unsere Verantwortung, die wir vor Gott und Menschen haben, auf sich genommen und uns dabei an sich gebunden. Darum sind wir nur noch Christus verantwortlich, daß wir uns mit „Wort und Leben“[43] zu ihm bekennen, d. h. ein „Leben als Antwort auf das Leben Jesu Christi“[44] führen.

Die Verantwortung ist durch Bindung und Freiheit bestimmt.[45] Die Verantwortung bindet mich an den, vor dem ich mich zu verantworten habe, und an was der mich bindet. D. h. konkret, ich bin an Christus gebunden und deshalb an den „Bereich der konkreten Verantwortung“, den er mir zuweist.[46] Freiheit ist nötig, um überhaupt Verantwortung wahrnehmen zu können.[47]

[...]


[1] Johannes 15, 10. Sämtliche Bibelstellen sind nach der im Literaturverzeichnis angegebenen Übersetzung zitiert.

[2] Vgl. Matthäus 7, 24.

[3] Aus: Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 39-41, zitiert nach Nachfolge, S. 7.

[4] Vgl. Krause, S. 62.

[5] Ethik, S. 284.

[6] Vgl. Ethik, S. 272 f.

[7] 1. Mose 3, 1.

[8] Vgl. Vorwort der Herausgeber zur „Nachfolge“, S. 7.

[9] Vgl. Nachfolge, S. 21.

[10] Nachfolge, S. 21.

[11] Nachfolge, S. 23.

[12] Nachfolge, S. 46.

[13] Nachfolge, S. 47.

[14] Vgl. Matthäus 19, 16-22

[15] Nachfolge, S. 75.

[16] Vgl. Nachfolge, S. 75.

[17] Vgl. Nachfolge, S. 69.

[18] Nachfolge, S. 74.

[19] Vgl. Nachfolge, S. 74.

[20] Vgl Nachfolge, S. 62.

[21] Vgl. Nachfolge, S. 215.

[22] Nachfolge, S. 73. para doxan = gegen den Schein.

[23] Vgl. Matthäus 19, 16-22.

[24] Das ganze Beispiel vgl. Nachfolge, S. 70.

[25] Vgl. Nachfolge, S.72.

[26] Vgl. Nachfolge, S. 73.

[27] 1. Mose 3, 1; vgl. Nachfolge, S. 61 f.

[28] Vgl. Matthäus 14, 28 f.; Nachfolge, S. 55.

[29] Vgl. Nachfolge, S. 54.

[30] Nachfolge, S. 72.

[31] Nachfolge, S. 52.

[32] Vgl. Nachfolge, S. 116.

[33] Nachfolge, S. 122.

[34] Das ist z. B. in Nachfolge, S. 126 unten vorausgesetzt.

[35] Vgl. Vorwort der Herausgeber zur „Ethik“, S. 9.

[36] Bethge, S. 891.

[37] Bethge, S. 810.

[38] In einem Brief vom 18. 11. 1943 (Widerstand und Ergebung, S. 147).

[39] Ethik, S. 248.

[40] Vgl. Ethik, S. 280.

[41] Vgl. Ethik, S. 255.

[42] Ethik, S.255.

[43] Ethik, S. 256.

[44] Ethik, S. 254.

[45] Vgl. Ethik, S. 256.

[46] Ethik, S. 266.

[47] Vgl. unten 3. 2.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Verantwortlicher Gehorsam? Gehorsam in Theorie und Praxis in Bonhoeffers 'Nachfolge' und 'Ethik'
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Veranstaltung
Systematisches Proseminar
Note
1
Autor
Jahr
1996
Seiten
25
Katalognummer
V108850
ISBN (eBook)
9783640070411
ISBN (Buch)
9783640882151
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der Bonhoeffer-Forschung wird gerne der reifere politische Bonhoeffer der Ethik-Fragmente gegen den jungen, radikalen frommen Bonhoeffer ausgespielt. Die Arbeit vertritt die These, dass Bonhoeffers politischer Widerstand (den er in der Ethik reflektiert) eine Konsequenz seiner Entscheidung zur radikalen Nachfolge Jesu Christi ist, die Bonhoeffer in seinen jungen Jahren getroffen hat.
Schlagworte
Theorie, Praxis, Nachfolge, Ethik, Bonhoeffer, Verantwortliches Leben, Freiheit, Bindung, Verantwortlicher Gehorsam
Arbeit zitieren
Otto Guggemos (Autor:in), 1996, Verantwortlicher Gehorsam? Gehorsam in Theorie und Praxis in Bonhoeffers 'Nachfolge' und 'Ethik', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108850

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